Aus der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover Leiter: Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. N.-C. Gellrich Therapie und Prognose des Lippenkarzinoms: Eine retrospektive Auswertung des hannoveraner Patientenguts Dissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Zahnheilkunde in der Medizinischen Hochschule Hannover vorgelegt von Manina Friedland-Philipp aus Elmshorn Hannover 2014 Angenommen vom Senat der Medizinischen Hochschule Hannover am 24.07.2014 Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover Präsident: Prof. Dr. med. Christopher Baum Betreuer: Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Horst Kokemüller Referent: Prof. Dr. med. dent. Dr. med. André Eckhardt Korreferent: PD Dr. med. dent. Constantin von See Tag der mündlichen Prüfung: 24.07.2014 Promotionsausschussmitglieder: Prof. Dr. med. dent. Harald Tschernitschek Prof. Dr. med. Matthias Fink PD Dr. med. Björn Jüttner Meinem verständnisvollen Ehemann und meinen lieben Kindern gewidmet, die mir neben meinen beruflichen Verpflichtungen und Abwesenheiten den Freiraum für diese Arbeit gegeben haben. Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung 4 1.1. Epidemiologie 4 1.2. Ätiologie 5 1.3. Ziel der Arbeit 6 1.4. Klinisches Bild 6 1.4.1. Makropathologie 7 1.4.2. Klinik 9 1.4.3. Mikropathologie 11 1.5. Therapie 12 1.5.1. 13 Operative Therapie 1.5.1.1. End-zu-End 14 1.5.1.2. Lokale Nahlappenplastik 14 1.5.1.3. Gestielte Fernlappen 19 1.5.1.4. Freies mikrovaskuläres Transplantat 21 1.5.2. Perkutane Strahlungstherapie 21 1.5.3. Chemotherapie 23 2. Patienten, Material und Methoden 24 2.1. Patientengut 25 2.2. Datenursprung 25 2.3. Datenerfassung 25 2.4. Statistische Methoden 26 2.5. Vollständigkeit der Daten 26 2.6. Erhebungskatalog 26 3. Ergebnisse und Auswertung 27 3.1. Geschlechts- und Altersverteilung 27 3.2. Tumorlokalisation 30 3.3. Tumorstadium und Tumorgrading 34 3.4. Lymphknotenbefall 36 3.5. Metastasen 37 3.6. Gefäß- und Knocheninfiltration 38 3.7. Therapie 40 3.8. Resektion 41 3.9. OP-Technik und –Ausmaß 42 1 Inhaltsverzeichnis 3.10. Lymphknotenchirurgie 45 3.11. Rekonstruktion 47 3.12. Zweitneoplasien 48 3.13. Rezidive und sekundäre Metastasen 49 3.14. Follow-Up 51 4. Überlebenskurven 53 4.1. Überlebenswahrscheinlichkeit gesamt 54 4.1.1. Rezidivfreies Überleben gesamt 55 4.2. Überlebenswahrscheinlichkeit nach Alter 56 4.3. Überlebenswahrscheinlichkeit nach Geschlecht 58 4.3.1. Rezidivfreies Überleben nach Geschlecht 60 4.4. 61 Überlebenswahrscheinlichkeit nach T-Stadium 4.4.1. Rezidivfreies Überleben nach T-Stadium 63 4.5. 65 Überlebenswahrscheinlichkeit nach Lymphknotenbefund 4.5.1. Rezidivfreiheit nach Lymphknotenbefund 67 4.6. 68 Überlebenswahrscheinlichkeit nach Grading 4.6.1. Rezidivfreies Überleben nach Grading 70 4.7. Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffener Lippe 72 4.8. Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffenem Lippenbereich 74 5. Diskussion 76 6. Zusammenfassung 84 7. Literaturverzeichnis 86 8. Abbildungsverzeichnis 101 9. Anhang 103 10. Danksagung 105 11. Lebenslauf 106 12. Erklärung nach § 2 Abs. 2 Nrn. 6 und 7 der Promotionsordnung 107 2 Einleitung 1.Einleitung 1.1. Epidemiologie Das Lippenkarzinom ist ein maligner Tumor im Bereich der Lippen (ICD C00.0-00.9). Seine Inzidenz liegt nach Moore et al. (60) in Europa bei 12:100 000, in Nordamerika bei 12,7:100 000 und in Ozeanien bei 13,5:100 000, während in der Literatur für Asien keine Inzidenz benannt wird. Nach Bork et. al. (8) tritt das Lippenkarzinom relativ selten bei Dunkelhäutigen auf, nach Salgarelli et al. (68) liegt der Anteil hellhäutiger Lippenkarzinompatienten bei 99,4%. In Deutschland werden maligne Neoplasien von Zunge, Gaumen, Speicheldrüsen, Mundboden, Rachen und Lippen für statistische Berechnungen zusammengefasst; gemäß dem Robert-Koch-Institut (RKI) (65) liegt die jährliche Inzidenz bundesweit bei 2800 Frauen und 7600 Männern. Der Anteil des Lippenkarzinoms aller Malignome der oralen Cavität beträgt nach Batsakis et al. (4) etwa 25% bis 30%, nach Salgarelli et al. (68) 15% bis 30%. Das Thüringer Tumorzentrum (79) gibt den Anteil der Lippenkarzinome bei allen Tumoren im Kopf-Halsbereich mit 4,3% an. Nach Chiodo et al. (15) macht das Lippenkarzinom etwa 1% aller menschlichen Malignome aus. Das Durchschnittsalter bei Erkrankung liegt nach Heller et al. (34) bei 60 bis 79 Jahren. In der Studie nach Casal et al. (13) wird das Durchschnittsalter mit 67,6 Jahren angegeben. In der Literatur finden sich variierende Angaben zur geschlechtsspezifischen Inzidenz und Lokalisation des Lippenkarzinoms. Die Studie von Luna-Ortiz et al. (55) gibt ein Verhältnis von Männern zu Frauen von 65,5% zu 34,5% (= 2:1) an. Nach Casal et al. (13) beträgt das Verhältnis von Männern zu Frauen 80,7% zu 19,3% (= 4:1). Nach Bork et al. (8) tritt das Lippenkarzinom mit 89% am häufigsten paramedian auf dem Lippenrot der Unterlippe auf. Mit 8% folgt die Lokalisation im Mundwinkel und mit 3% das Lippenrot der Oberlippe. Die Metastasierung erfolgt meist lymphogen, seltener hämatogen, Kristen et al. (46). 3 Einleitung 1.2. Ätiologie Die Ätiologie des Lippenkarzinoms ist multifaktoriell. Vor allem wird eine erhöhte Sonnenlichtexposition als primärer Risikofaktor für die Entstehung eines Lippenkarzinoms angenommen. Nach Kornevs et al. (45) gaben 53,1% der Männer und 90% der Frauen ihrer Studie eine erhöhte Sonnenlichtexposition an. Nach Czerninski et al. (17) tritt das Lippenkarzinom 40-mal häufiger an der Außenseite der Lippe auf als an der Innenseite. Der Zusammenhang zwischen erhöhter Sonnenlichtexposition und der Entstehung eines Lippenkarzinoms erklärt somit auch das deutlich häufigere Auftreten des Lippenkarzinoms an der Unterlippe, da die Oberlippe der Sonnenstrahlung weniger exponiert ist. Neben der erhöhten Sonnenlichtexposition werden ebenso immunologische, genetische, alters- und geschlechtsspezifische Faktoren in der Literatur diskutiert, wie z. B. in den Studien von Wilson et al. (92) und Dardanoni et al. (18). Eine Verbindung zwischen Tabakabusus und der Entstehung eines Lippenkarzinoms scheint nicht zu bestehen. Sowohl Lindquist et al. (51) wie auch Salgarelli et al. (68) konnten diesen Zusammenhang für das Lippenkarzinom nicht nachweisen. Das Lippenkarzinom wächst lokal destruierend, wobei das Wachstum eher langsam ist und eine lymphogene Metastasierung meist erst spät erfolgt. Nach Bork et al. (8) erklärt dies die hohe Überlebensrate von Patienten mit einem Lippenkarzinom im Vergleich zu Patienten mit intraoralen Karzinomen. Aufgrund seiner besonderen Lokalisation auf dem Lippenrot, der Grenze zwischen Haut und Schleimhaut, nimmt das Lippenkarzinom eine Sonderstellung ein. Der Lippenbereich ist nicht nur ästhetisch eine prominente Gesichtsregion, sondern auch verantwortlich für eine Reihe wichtiger Funktionen wie der Nahrungsaufnahme, der Artikulation und der Mimik. Eine niedrige Rezidiv- wie auch Metastasierungsrate kennzeichnen die erfolgreiche, meist chirurgische Therapie. Dennoch bestehen in der Literatur unterschiedliche Auffassungen zu bestimmten Therapiemodalitäten, z.B. dem Stellenwert einer Bestrahlung, dem anzustrebenden Sicherheitsabstand sowie dem Ausmaß der Einbeziehung des regionalen Lymphabflusses in die chirurgische Therapie, Bucur et al. (9), Gooris et al. (31), Lopez et al. (54). 4 Einleitung 1.3. Ziel der Arbeit Die vorliegende Arbeit ist eine retrospektive Untersuchung des Patientenguts der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie sowie der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover, welches in den Jahren von 1981 bis 2010 unter der Diagnose eines Lippenkarzinoms behandelt worden ist. Es erfolgte eine umfassende Aufarbeitung zur Therapie und Prognose des Lippenkarzinoms anhand des eigenen Patientenguts, um die gewonnen Daten im Kontext der medizinischen Fachliteratur zu vergleichen. Die Auswertung soll das Überleben von Patienten mit Lippenkarzinom anhand des eigenen Patientenguts bestimmen und auf mögliche prognostische Einflussfaktoren untersuchen. Die Ergebnisse dieser Arbeit stellen somit eine interne Qualitätskontrolle eigener Therapiekonzepte dar. 1.4. Klinisches Bild Das klinische Bild beschreibt die Erscheinungsformen des Lippenkarzinoms. So beinhaltet dieses die genaue Lokalisation der Tumorerkrankung, welche nicht nur auf dem Lippenrot vorkommen kann, sondern nach ICD-Kodierung (36) ebenfalls an den angrenzenden kutanen und mukösen Oberflächen: Bösartige Neubildungen der Lippe C00.- : C00.0: Äußere Oberlippe (Lippenrot/-grenze) C00.1: Äußere Unterlippe (Lippenrot/-grenze) C00.2: Äußere Lippe, nicht näher bezeichnet C00.3: Oberlippe, Innenseite (Mundhöhlenseite) C00.4: Unterlippe, Innenseite (Mundhöhlenseite) C00.5: Lippe, nicht näher bezeichnet; Innenseite 5 Einleitung C00.6: Lippenkommisur, Mundwinkel C00.8: Lippe, mehrere Teilbereiche überlappend C00.9: Lippe, nicht näher bezeichnet 1.4.1. Makropathologie Klinisch imponiert das Lippenkarzinom meist als eine schmerzlose Veränderung an der Hautoberfläche, welche anfänglich zu keiner Funktionseinschränkung führt. Oftmals entwickelt es sich aus einer aktinischen Keratose. Es scheint nur langsam zu wachsen und ist therapieresistent gegen eine oberflächliche Medikamentation. Häufig wird es anfänglich für einen Herpes simplex gehalten. Es kann sowohl exophytisch als auch endophytisch wachsen. Exophytisch (von griechisch: exo – außerhalb) wachsende Lippenkarzinome erheben sich über das Niveau der umgebenden Haut bzw. Schleimhaut. Sie weisen zumeist eine zerklüftete, höckerige, teilweise auch mit Fibrin belegte Oberfläche auf. In der Basis dringen sie infiltrierend in tiefere Schichten ein. Im fortgeschrittenen Stadium kommt es im Zentrum zu einem Ulkus (Abb. 1). 1: Beispiel eines exophytisch wachsenden Lippenkarzinoms an der Unterlippe, links 6 Einleitung Endophytisch (von griechisch: endo – innen) wachsende Karzinome stellen sich klinisch als Ulkus mit unregelmäßig gestalteten, aufgeworfenen und verdickten derben Rändern dar. Das kraterförmige Ulkus überragt das Niveau der Haut bzw. Schleimhaut und fällt zum Zentrum flach ab. Der Ulkusgrund ist meist leuchtend rot bis grau-rötlich gefärbt und mit grau bis gelblichen Fibrin belegt (Abb. 2). 2: Beispiel eines endophytisch wachsenden Lippenkarzinoms an der Unterlippe, mittig (Abbildungen 1 und 2: Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover) 7 Einleitung 1.4.2. Klinik Die Diagnose des Lippenkarzinoms erfolgt in der Regel klinisch, gefolgt von einer histologischen Sicherung. Diese erfolgt, je nach Größe des Tumors, entweder durch Inzisionsbiopsie, Exzisionsbiopsie oder therapeutischer Exzision. Bestandteil der Diagnostik ist außerdem die Untersuchung des Lymphabstromgebietes. Zusätzlich zu der klinischen Untersuchung der zervikalen Lymphknoten sind weiterführende diagnostische Verfahren wie Sonographie, CT oder MRT indiziert. Die Einteilung des lokalen und regionalen Tumorwachstums erfolgt heute allgemein nach dem TNM-System. Dieses wurde in den Jahren von 1942 bis 1952 von Denoix entwickelt und von der Union International Contre le Cancer (UICC) (82) ausgebaut und übernommen. Seit der 4. Auflage von 1987 ist es von allen nationalen TNMKomitees anerkannt und weltweit gültig, Wittekind et al. (93). Nach der histologischen Diagnosesicherung wird die Ausdehnung der Tumorerkrankung wie folgt erfasst: T-Primärtumor TX: Primärtumor kann nicht beurteilt werden TO: Kein Anhalt für Primärtumor Tis: Carcinoma in situ T1: Tumor 2 cm oder weniger in größter Ausdehnung T2: Tumor mehr als 2 cm, aber nicht mehr als 4 cm in größter Ausdehnung T3: Tumor mehr als 4 cm in größter Ausdehnung T4: Tumor infiltriert tiefe Nachbarstrukturen 8 Einleitung N-Regionäre Lymphknoten NX: Regionäre Lymphknoten können nicht beurteilt werden NO: Keine regionären Lymphknotenmetastasen N1: Metastase in solitären ipsilateralen Lymphknoten, weniger als 3 cm in größter Ausdehnung N2a: Metastase in solitären ipsilateralen Lymphknoten, mehr als 3 cm, aber weniger als 6 cm in größter Ausdehnung N2b: Metastasen in multiplen ipsilateralen Lymphknoten, alle weniger als 6 cm in größter Ausdehnung N2c: Metastasen in kontralateralen oder bilateralen Lymphknoten, alle weniger als 6 cm in größter Ausdehnung N3: Metastase(n) in Lymphknoten, mehr als 6 cm in größter Ausdehnung M-Fernmetastasen MX: Fernmetastasen können nicht beurteilt werden MO: Keine Fernmetastasen M1: Fernmetastasen Die postoperative Einteilung (pTNM-Klassifikation) richtet sich nach dem histopathologischen Befund. 9 Einleitung G-Grading Eine weitere Einteilung ist das Tumorgrading, welches sich nach dem Differenzierungsgrad des Tumorgewebes richtet. Je undifferenzierter das Gewebe eines Tumors ist, desto größer sind Wachstumsgeschwindigkeit und Malignität, aber auch die Empfindlichkeit gegenüber Strahlen- und Chemotherapie. G1: Gut differenziert (Anteil undiff. Tumorzellen < 25% ) G2: Mäßig differenziert (Anteil undiff. Tumorzellen < 50% ) G3: Schlecht differenziert (Anteil undiff. Tumorzellen < 75% ) G4: Undifferenziert (Anteil undiff. Tumorzellen > 75% ) GX: Differenzierungsgrad kann nicht bestimmt werden 1.4.3. Mikropathologie Das Lippenkarzinom ist histologisch gekennzeichnet durch einen unregelmäßigen Aufbau verschieden großer, unreifer epidermoider Zellstränge mit zahlreichen atypischen Mitosen und hyperchromatischen Zellkernen. Die Zellstränge, bei dem Plattenepithelkarzinom aus unterschiedlich großen Stachelzellverbänden bestehend, bilden zentrale Hornperlen und infiltrieren in das umgebende Gewebe. Das stark invasive Wachstum erschwert eine definierte Abgrenzung, weshalb Tumoreinbrüche in benachbarte Lymphgefäße oft einem Nachweis entgehen. Dennoch fällt eine Dilation und lympho-monozytäre Infiltration der Umgebung vieler subtumoraler Lymphgefäße auf. 10 Einleitung 1.5.Therapie Die Entscheidung über Art und Umgang der Therapie eines Lippenkarzinoms ist abhängig von unterschiedlichen Faktoren. So beinhaltet diese neben Tumorgröße, Lymphknotenstatus und Fernmetastasierung ebenso auch den Allgemeinzustand des Patienten sowie dessen Lebensalter. Die Tumorbehandlung kann in zwei unterschiedliche Wege aufgeteilt werden: Entweder ist sie auf die vollständige Heilung der Krankheit ausgerichtet und damit kurativ intendiert, oder sie muss sich auf den Versuch der symptomatischen Linderung beschränken und ist somit palliativ intendiert. Die Behandlung eines Lippenkarzinoms ist meist kurativ intendiert und hat die dauerhafte Heilung des Patienten zum Ziel. In der Regel wird die vollständige operative Entfernung des Tumors empfohlen. Wesentlich für den Behandlungserfolg ist, dass die Resektionsflächen im gesunden Gewebe („in sano“) liegen. Um auch kleinere Tumorausläufer in das Resektionspräparat einzubeziehen, muss ein Sicherheitsabstand Untersuchung des zum Tumor eingehalten Operationsresektats gibt werden. Die Aufschluss pathologische darüber, ob die Resektionsflächen frei von Tumorgewebe sind. Bei zurückgebliebenen Tumorzellen sollte umgehend nachreseziert werden. In Einzelfällen, wie zum Beispiel bei schwerwiegenden und OP-einschränkenden Begleiterkrankungen, kann auch die Strahlen- oder Chemotherapie als Therapieverfahren der zweiten Wahl in Betracht gezogen werden. Diese Therapieformen haben dann häufig eher palliativen Charakter, wobei die Tumorkontrolle im Vordergrund steht. Durch seine prominente Lage stellt die chirurgische Behandlung des Lippenkarzinoms eine Herausforderung sowohl in funktioneller als auch in ästhetischer Hinsicht dar. So ist nicht nur die Rekonstruktion in Anbetracht physiologischer Funktionen wie Phonetik, Mimik und Nahrungsaufnahme von entscheidender Bedeutung, sondern ebenso die Ästhetik hinsichtlich des psychosozialen Wohlbefindens des Patienten. 11 Einleitung 1.5.1. Operative Therapie Die Therapie des Lippenkarzinoms besteht in der Regel aus der vollständigen chirurgischen Entfernung des Karzinoms mit anschließender Rekonstruktion. Ziel ist die vollständige Entfernung aller vermehrungsfähigen Tumorzellen, Eckardt (22,23). In Abhängigkeit von der Größe des Tumors und dem damit verbundenen Resektionsausmaß können Defekte entstehen, welche zu erheblicher funktioneller und ästhetischer Beeinträchtigung führen. Um dies zu vermeiden, sind rekonstruktive Verfahren erforderlich, bei denen in der Regel lokale Nahlappenplastiken, in Extremfällen auch gestielte und freie Fernlappenplastiken, genutzt werden. Behandlungsziel muss neben der Tumorentfernung nach Möglichkeit auch die dauerhafte Bewahrung der Lebensqualität sein, Ehrenfeldt et al. (29). Dazu gehören der Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Funktion und Form der betroffenen Lippenregion, um eine Minimierung der therapiebedingten Belastung für den Patienten zu erreichen. Durch die Resektion des Tumors entstehende Gewebedefekte werden in den allermeisten Fällen primär rekonstruiert. Ein natürlich aussehendes Ergebnis ist dabei anzustreben. Eine Abweichung der Symmetrie beider Gesichtshälften, wie Verziehungen von Lippenlinien, Nase oder Augen aus ihrer physiologischen Position, mindern das ästhetische Ergebnis. Ebenso beeinträchtigt wird das postoperative Ergebnis durch Aufwerfungen oder Einziehungen an den Resektionsrändern, Reuther (64). Die Defektgröße wird durch die klinische Tumorgröße plus Sicherheitsabstand bestimmt. Beim Lippenkarzinom wird ein Sicherheitsabstand von 1 cm in allen drei Ebenen empfohlen, Eckardt (23). Die Rekonstruktion erfolgt nach vollständiger Tumorentfernung entweder primär einzeitig nach intraoperativer Schnellschnittdiagnostik oder primär zweizeitig nach Vorliegen des histopathologischen Untersuchungsergebnisses. 12 Einleitung 1.5.1.1. End-zu-End Bei kleinen, wenig invasiven Lippentumoren, bei denen maximal 1/3 einer Lippe reseziert wird, stellt die End-zu-End Methode die einfachste Form der Rekonstruktion dar. Bei ihr erfolgt nach der Exzision der direkte Wundverschluß. Die Schnittführung, welche Haut, Mukosa und Muskel durchtrennt, ist entweder V- oder W-förmig. Nach Möglichkeit sollte die Lippen-Kinn-Falte nicht mit einbezogen werden, da es sonst zu ästhetisch beeinträchtigenden Narben kommen kann. Die große Beweglichkeit des mundöffnungsumgebenden Gewebes lassen kosmetisch sehr ansprechende Ergebnisse mit dieser Methode erzielen. 1.5.1.2. Lokale Nahlappenplastik Die lokale Nahlappenplastik ersetzt einen Gewebedefekt bei Resektionen, bei denen mehr als 1/3 der Lippe entfernt wird bzw. bei Resektionen im Bereich des Mundwinkels oder der Oberlippe. Diese Lappen stammen aus der Defektumgebung und haben den Vorteil, dass sie hinsichtlich der Beschaffenheit der Haut dem verloren gegangenen Gesichtsabschnitt weitgehend entsprechen. Die Entnahmestelle des Lappens wird dabei meist primär geschlossen. Für die Rekonstruktion der entstehenden Defekte werden in der Literatur eine Vielzahl unterschiedlicher Techniken und Modifikationen angegeben. Abhängig von der Lokalisation, Größe und Tiefe des Defektes bleibt es dem Operateur überlassen, das Rekonstruktionsverfahren mit den besten funktionell und ästhetisch zu erwartenden Ergebnis individuell auszuwählen. In der Medizinischen Hochschule Hannover werden zumeist die drei folgenden lokalen Nahlappenplastiken angewandt: 13 Einleitung 1. Bernard-Fries-Plastik: Der Lippendefekt wird nach Exzision eines Hautdreiecks im Bereich der Nasolabialfalte und anschließender Mobilisation des Lippenstumpfes nach medial geschlossen. Diese Technik kann bei totaler und subtotaler Unterlippenresektion auch beidseitig durchgeführt werden. Gegebenenfalls kann das rekonstruierte Ergebnis durch paramentale Verschiebeinzisionen noch optimiert werden (Abb. 3ae). 3a 3b 3c 3d 3e 14 Einleitung 3a: Präoperative Markierung der Schnittführung 3b: Resektion des Tumors mit Sicherheitsabstand 3c: Bilaterale Resektion der Burowschen Dreiecke 3d: Mobilisation der Tumorresektionsränder 3e: Wundschluß des Resektionsdefektes und der Entnahmestelle der Burowschen Dreiecke (Abbildung 3a-e: Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover) 2. Karapandzic-Plastik: Nach Resektion im Bereich der Unterlippe erfolgt ein halbmondförmiger Schnitt von der Nasolabialfalte um den Mundwinkel und umschließt bogenförmig die Mundöffnung. Der M. orbicularis oris und die A. labialis bleiben hierbei erhalten, ebenso wie die Sphinkterfunktion des Mundes. Als nachteilig gilt die Verkleinerung der Mundöffnung sowie Sensibilitätsstörungen im Bereich von Unterlippe und Kinn (Abb. 4a-d). 4a 4b 15 Einleitung 4c 4b 4a: Ausgangsbefund eines lateral liegenden Unterlippenkarzinoms 4b: Schematische Schnittführung und subtotale Resektion der Unterlippe 4c: Wundschluß der Tumorentnahmestelle sowie der Entlastungsschnitte 4d: Postoperatives Ergebnis (Abbildung 4a und 4d: Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover, 4b und 4c: eigene Skizzen) 3. Abbé-Plastik: Für die Rekonstruktion eines Defektes der Oberlippe wird ein Drehlappen aus der seitlichen Unterlippe gebildet. Dieser enthält die A. labialis inferior. Nach der Einheilung des Lappens müssen sekundär die Stieldurchtrennung des Lappens sowie meist auch eine Mundwinkelplastik erfolgen (Abb. 5a-e). 5a 5b 16 Einleitung 5c 5d 5e 5a: Resektion der Oberlippe, Markierung des Drehlappens an der Unterlippe 5b: Präparation des Unterlippen-Drehlappens 5c: Mobilisation des Unterlippen-Drehlappens 5d: Deckung des Oberlippendefektes mit Abbé-Plastik 5e: Nahtschluss der Entnahmestelle der Abbé-Plastik (Abbildungen 5a-e: Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover) 17 Einleitung 1.5.1.3. Gestielte Fernlappen Mehrschichtige und ausgedehnte Entnahmedefekte, bei denen eine Rekonstruktion aus umgebenden Geweben nicht mehr möglich ist, können mit Lappen aus entfernteren Regionen rekonstruiert werden. Die gestielten Fernlappenplastiken verfügen über einen ernährenden Lappenstiel mit Gefäßen. Es gibt kutane und myokutane Fernlappenplastiken. Nach ausgedehnten Tumorresektionen im Untergesicht finden klinisch zwei gestielte Fernlappen bevorzugt Anwendung: 1. Latissimus dorsi-Lappen: Dieser myokutane Fernlappen wird bevorzugt für die Deckung großer Defekte im unteren Gesichts- und Halsbereich gewählt. Es erfolgt eine einseitige Mobilisierung des Musculus latissimus dorsi. Die Versorgung erfolgt über die A. und V. thoracodorsalis. Durch einen Tunnel von der Axilla aus kann der am Gefäßbündel gestielte Lappen unterhalb des Ansatzes des M. pectoralis major dann in den Gesichtsbereich verlagert werden (Abb. 6a-c). 6a 6b 18 Einleitung 6b 6d 6e 6a: Mehrfach vortherapiertes, rezidivierendes Lippenkarzinom 6b: Tumorresektion sowie Kontinuitätsresektion des infiltrierten Unterkiefers 6c: Plastische Rekonstruktion des Unterkieferdefektes mittels alloplastischen Implantates 6d: Defektdeckung mit Latissimus dorsi-Lappen 6e: Postoperatives Ergebnis vor Durchtrennung des Lappenstiels 19 Einleitung (Abbildungen 6a-e: Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover) 2. Deltopectoral-Lappen: Große Weichteildefekte im Gesichts- und Halsbereich können mit Hilfe dieses Hautfaszienlappens plastisch gedeckt werden. Der deltopectorale Lappen wird medial der V. cephalica über horizontal verlaufende Gefäße versorgt, lateral zu der V. cephalica ist die Blutversorgung variabel. Nach der Verlagerung des Lappens zum Haut- und Weichteilersatzes in die untere Gesichtsregion erfolgt die Durchtrennung des ernährenden Gefäßstiels erst etwa drei Wochen später an der Basis. Aufgrund der Hautstruktur seiner Entnahmestelle ist sein ästhetisches Ergebnis unbefriedigender, weshalb er nur eingeschränkt Anwendung findet, primär bei Männern (Abb. 7a-c). 7a 7a) 7c 7b 20 Einleitung 7a: Rezidiv eines Lippenkarzinoms 7b: Defektdeckung im unteren Gesichtsbereich und entstandener Entnahmedefekt des Deltopectoral-Lappens 7c: Ergebnis nach Durchtrennung des Lappenstiels an der Basis (Abbildungen 7a–c: Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover) 1.5.1.4. Freies mikrovaskuläres Transplantat Bei dieser Technik erfolgt die Transplantation von Gewebe unter Anwendung mikrochirurgischer Operationstechniken. Knochenresektionen werden, unter Nach ausgedehnten Verwendung von Weichteil- Lupenbrille und und/oder Mikroskopen, freie Transplantate revaskularisiert. Selbst kleine Gefäße mit einem Durchmesser von weniger als 1 mm können so anastomosiert werden. Voraussetzung für eine mikrochirurgische Anastomosierung sind in der Defektregion vorhandene Anschlussgefäße. Limitierend können hierbei ein schlechter Gefäßstatus sowie eine im Empfängergebiet erfolgte Strahlenbehandlung sein. Solche Eingriffe setzen eine entsprechende operative Belastbarkeit des Patienten voraus. Der Verlust eines Transplantates kann durch eine Thrombose im Gefäßstiel erfolgen. Ebenso kann eine Koadaption von Nerven mit Hilfe dieser Technik erfolgen. Es gibt eine Vielzahl zur Verfügung stehender mikrovaskulär-anastomosierbarer Gewebetransplantate zum Ersatz von Haut, Muskulatur und auch Knochen. 1.5.2. Perkutane Strahlentherapie Wie die Operation ist auch die Strahlenbehandlung eine lokale Behandlungsmaßnahme. Die Radiatio kann grundsätzlich vor der Operation zur Tumorverkleinerung (neoadjuvant) oder nach der Operation zur Eliminierung von 21 Einleitung Tumorresten (adjuvant) erfolgen. Die alleinige primäre Strahlentherapie als Alternative zur Operation kleinerer Tumore wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Strahlentherapeuten sehen den Vorteil in der nicht erforderlichen plastischen Rekonstruktion. Dagegen stehen die nicht sichere Entfernung des Primärtumors sowie das Risiko eines strahleninduzierten Zweittumors. Als Applikationsform für Tumore im Kopf-Halsbereich wird die externe Radiotherapie bevorzugt. Die Strahlenwirkung hängt von der Dosis, der Größe des Bestrahlungsfeldes sowie von der Empfindlichkeit des betroffenen Organes ab. Die bestrahlte Haut kann ähnlich wie bei einem Sonnenbrand reagieren. Als Begleiterscheinung können Appetitlosigkeit, Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen auftreten. Intraoral kommt es häufig zu Schäden an den Schleimhäuten sowie den Speicheldrüsen. In Folge dessen kann es zum Auftreten einer radiogenen Xerostomie kommen. Diese kann zu schmerzhaften Entzündungen der Mundschleimhaut sowie Schluckbeschwerden führen, Bootz et al. (7), Krüger et al. (48). Das Risiko einer Strahlenkaries, bedingt durch den Wegfall der remineralisierenden und neutralisierenden Wirkung des Speichels, ist extrem hoch. Zum Schutz der Zähne, vor dadurch resultierender Karies, können Fluoridschienen angefertigt werden bzw. Speichelersatzmittel eingesetzt werden, Kristen et al. (46), Krüger et al. (48). Der Tumor wird auf verschiedenen Zugangswegen durch die Haut hindurch (perkutan) bestrahlt. Dies kann entweder mit natürlich strahlenden Substanzen („Kobaltbombe“) oder mit durch Hochvolttechnik künstlich erzeugter Strahlung (Linearbeschleuniger) geschehen. Dabei kommt es in den getroffenen Tumorzellen zu Radikalbildungen, welche das Genom zerstören und zum Absterben der Zelle führen. Die perkutane Strahlentherapie wird sowohl auf den Tumor als auch auf seine strahlenbiologischen Erfordernisse individuell fokussiert. Die Gesamtdosis liegt meist bei 60-70 Gy. Entweder erfolgt eine konventionelle Fraktionierung von 2 Gy/Tag mit einer Therapiepause zur Halbzeit oder eine Applikation in akzelerierter Fraktionierung. Dabei werden mehrere Einzeldosen pro Tag appliziert. Dies führt zu einer signifikanten Steigerung der lokalen Tumorfreiheit und des Gesamtüberlebens, aber ebenso zu einem Anstieg der lokalen Akut- wie Spättoxizität, Bier (5), Bootz et al. (7). 22 Einleitung 1.5.3. Chemotherapie Die zytostatische Chemotherapie ist eine systemische Behandlungsmaßnahme, deren Ziel die Vernichtung aller vermehrungsfähigen Tumorzellen ist. Zytostatika wirken hemmend auf das Zellwachstum bzw. auf die Zellteilung. Bei der Behandlung von Tumorerkrankungen nutzen diese Medikamente die schnellere Teilungsfähigkeit der Tumorzellen, da diese sensibler als gesunde Zellen auf Störungen der Zellteilung reagieren. Jedoch sind häufig auch gesunde Zellen mit einer höheren Teilungsfähigkeit, wie Haarzellen und auch Schleimhautzellen, betroffen. Dies kann sich bei bestimmten Präparaten durch Nebenwirkungen wie Haarausfall und Durchfall äußern, Bier (5), Ehrenfeldt et al. (29). Die Chemotherapie kann unter verschiedenen Kriterien eingesetzt werden: Die kurative Chemotherapie hat die vollständige Heilung der Tumorerkrankung zum Ziel. Sie kann adjuvant wie auch neoadjuvant eingesetzt werden. Bei der adjuvanten Chemotherapie erfolgt zunächst die operative Sanierung der Tumorerkrankung. Im Anschluss wird die Chemotherapie durchgeführt. So können inoperable Ausläufer des Primärtumors gemeinsam mit Mikrometastasen vernichtet werden. Die neoadjuvante Chemotherapie wird vor einer geplanten operativen Tumorsanierung verabreicht. Ziel hierbei ist die Verkleinerung der Tumormasse. Die palliative Chemotherapie hat die Tumorkontrolle zum Ziel. Ihre Anwendung beschränkt sich in der Regel auf inoperable Patienten im fortgeschrittenen Stadium. Ebenso kann die Chemotherapie in Kombination mit einer Radiotherapie erfolgen. Es wird eine erhöhte biologische Wirksamkeit der Bestrahlungsdosis erwartet, Bootz et al. (7). 23 Material und Methoden 2. Patienten, Material und Methoden 2.1. Patientengut In der Zeit von 1981 bis 2010 wurden an der Medizinischen Hochschule Hannover in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Nils-Claudius Gellrich) und in der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (Direktor Prof. Prof. h.c. Dr. med. Thomas Lenarz) 168 Patienten mit der Diagnose eines Lippenkarzinoms behandelt. Bei 153 Patienten (91%) fand die Behandlung in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie statt, bei 15 Patienten (9%) in der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde. Es wurden die Krankenunterlagen dieser Patienten retrospektiv nach verschiedenen Gesichtspunkten ausgewertet. 2.2. Datenursprung Über das Tumorzentrum der Medizinischen Hochschule Hannover wurde durch die Zieldiagnose „Lippenkarzinom“ nach ICD-10-GM (36) sowie früheren Revisionen der ICD zunächst eine Patientenliste erstellt. Anhand dieser Patientenliste wurden über das Zentralarchiv der Medizinischen Hochschule Hannover die zugehörigen Patientendaten als verfilmte Microfiche oder bei bereits digitalisierten Akten über das hochschulinterne Datenarchivierungsprogramm „Alida“ (Arzt- und Leistungsstellen unterstützendes Informationssystem der digitalen Archivierung; Ceyoniq syst. Healthcare) bereitgestellt. 24 Material und Methoden 2.3. Datenerfassung Grundlage der Datenerhebung waren die ambulanten wie auch die stationären Patientenakten. Neben den biographischen Daten wie Geburtsdatum, Geschlecht und OP-Datum wurden die tumorrelevanten Daten wie Lokalisation, TNM-Stadium und vorherigebzw. Zweitneoplasien den Krankenakten entnommen. Ebenso gehörte zum Untersuchungsgegenstand Art und Umfang der Therapie. Im Falle einer Operation wurden Resektionausmaß und Art der Rekonstruktion vermerkt. Zur Ermittlung von Rezidiven und Überlebenszeiten wurden das Auftreten von Halslymphknotenmetastasen oder Lokalrezidiven sowie deren Zeitpunkt und der Zeitpunkt des Todes des Patienten bzw. das Datum des letzten Patientenkontaktes erhoben. Das „Follow-Up“ wurde möglichst vollständig bis zum Todesdatum bzw. „Last Info“ erhoben, um das Rezidivverhalten des Lippenkarzinoms und das Überleben dieser Patienten auszuwerten und auf mögliche Einflussfaktoren zu untersuchen. Für die Patienten, welche sich außerhalb der Tumornachsorge befanden, erfolgte eine Nacherfassung beim Einwohnermeldeamt zum Stichtag dieser Arbeit (Erhebungskatalog siehe: 9. Anhang, Seite 103 und 104). 2.4. Statistische Methoden Um eine computergestützte Auswertung zu ermöglichen, wurden die vorher festgelegten notwendigen Behandlungsinformationen der Patienten den Patientenakten entnommen und tabellarisch festgehalten (Programm: Microsoft Ecxel 2007, release 2.0). Zur Standardisierung wurden ausschließlich numerische Felder und Felder mit Datum angelegt. Anhand dieser erhobenen Daten erfolgte die statistische Auswertung und graphische Darstellung nach Anzahl und Prozent. Im Anschluss wurde eine univariate Analyse erstellt. Bei dieser Rechnung wird die relative Häufigkeit eines Ereignisses berechnet, indem die absolute Häufigkeit eines Ereignisses durch die Anzahl der Patienten geteilt wird. Um die 25 Material und Methoden Zusammenhangstrukturen zu erfassen, erfolgte ferner eine multivariate Analyse, in der mehrere Variablen gleichzeitig gegeneinander gestellt werden. Die Ereigniszeitanalyse nach Kaplan-Meier erfolgte im Tumorzentrum der MHH (Programmsystem H.I.T.). Dieses Programm ermöglichte die statistische Analyse, bei der die Zeit bis zu einem bestimmten Ereignis zwischen unterschiedlichen Gruppen verglichen wird. Daraus ergaben sich die Ereigniszeit-Verteilungsfunktion und resultierend als graphische Darstellung die Überlebenskurven. Mit Hilfe dieser Überlebenszeitanalyse lässt sich die Wahrscheinlichkeit berechnen, bei der ein Ereignis bis zu einem bestimmten Zeitpunkt eintritt. Bei der Kaplan-Meier Methode ist dieses auch dann möglich, wenn nicht alle Patienten identische Beobachtungszeiträume aufweisen. 2.5. Vollständigkeit der Datenerhebung Die Krankheitsverläufe wurden vom Zeitpunkt der Diagnosestellung bis zu der Entlassung aus der Tumornachsorge, bis zum Todesdatum bzw. bis zum Stichtag rekonstruiert. Das Auftreten von Lokalrezidiven, sekundären Halsmetastasen und weiteren Tumorerkrankungen wurde mit Datum erfasst. Leider war es nicht möglich, alle Einflussgrößen vollständig zu erheben. Die Dokumentation der älteren Patientenakten, insbesondere auf Microfiche, war zum Teil sehr lückenhaft. 2.6. Erhebungskatalog Der Erhebungskatalog befindet sich unter 9. Anhang, Seite 103 und 104. 26 Ergebnisse und Auswertung 3. Ergebnisse und Auswertung 3.1. Geschlechts- und Altersverteilung Das gesamte Patientenkollektiv dieser retrospektiven Studie umfasste 168 Patienten, welche in dem Zeitraum von 1981 bis 2010 an der Medizinischen Hochschule Hannover mit einem Lippenkarzinom behandelt wurden. 153 Patienten (91%) hiervon wurden in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie (Direktor: Prof. Dr. med. Dr. med. dent. N.-C.-Gellrich) und 15 Patienten (9%) in der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde (Direktor Prof. Prof. h. c. Dr. med. Th. Lenarz) behandelt. Hiervon waren 134 Patienten (80%) männlichen und 34 Patienten (20%) weiblichen Geschlechts, was einem Verhältnis von 4:1 entspricht (Abb. 8). schraffiert:$weiblich$ grau:$männlich$ 20%$ (34)$ 80%$ (134)$ 8: Geschlechterverteilung 27 Ergebnisse und Auswertung Das Durchschnittsalter der Patienten zum Zeitpunkt der Behandlung an der MHH betrug 67,8 Jahre. Die Altersspanne der männlichen Patienten lag bei 25 bis 92 Jahren mit einem Durchschnitt bei 66,5 Jahren, bei den weiblichen Patienten lag die Altersspanne bei 34 bis 90 Jahren mit einem Durchschnitt von 71,3 Jahren. Die Altersverteilung des gesamten Patientenkollektivs zum Zeitpunkt der Behandlung an der Medizinischen Hochschule Hannover betrug acht Lebensdekaden. Angefangen im 3. Lebensjahrzehnt (20-30 Jahre) mit 1 Patienten (0,6%) bis zu dem 10. Lebensjahrzehnt (90-100 Jahre) mit ebenfalls 1 Patienten (0,6%) lag der höchste Anteil in dem 7. Lebensjahrzehnt mit 57 Patienten (33,9%), gefolgt von dem 8. Lebensjahrzehnt mit 38 Patienten (22,6%) (Abb. 9). 40,0%% 33,9%% (57)% 35,0%% Prozentuale!Verteilung% 30,0%% 22,6%% (38)% 25,0%% 17,3%% (29)% 20,0%% 13,7%% (23)% 15,0%% 8,3%% (14)% 10,0%% 5,0%% 0,6%% (1)% 3,0%% (5)% 0,6%% (1)% 0,0%% 20%bis%30% 30%bis%40% 40%bis%50% 50%bis%60% 60%bis%70% 70%bis%80% 80%bis%90% 90%bis%100% 9: Altersverteilung gesamt 28 Ergebnisse und Auswertung Die weitere Aufteilung der Altersverteilung nach Geschlecht zeigte bei den männlichen Patienten einen ausgeprägten Erkrankungsgipfel im 7. Lebensjahrzehnt, für die weiblichen Patienten einen weniger stark ausgeprägten Erkrankungsgipfel im 8. Lebensjahrzehnt (Abb. 10). 40,0%% 35,0%% 35,8%% (48)% grau:%männlich% schraffiert:%weiblich% Prozentuale!Verteilung% 30,0%% 29,4%% (10)% 26,5%% (9)% 25,0%% 20,9%% (28)% 20,0%% 14,3%% (19)% 15,0%% 9,7%% (13)% 10,0%% 5,0%% 0,0%% 23,5%% (8)% 5,9%% (2)% 0,7%% (1)% 2,2%% (3)% 15,7%% (21)% 11,8%% (4)% 2,9%% (1)% 0,7%% (1)% 0,0%% 20%bis%30% 30%bis%40% 40%bis%50% 50%bis%60% 60%bis%70% 70%bis%80% 80%bis%90% 0,0%% 90%bis%100% 10: Altersverteilung geschlechtsspezifisch 29 Ergebnisse und Auswertung 3.2. Tumorlokalisation Die Auswertung der Tumorlokalisation sagittal auf der Lippe zeigte das zahlreichste Auftreten des Lippenkarzinoms auf dem Lippenrot der Unterlippe, welches bei 135 Patienten (80,4%) der Fall war. Die Schleimhaut der Unterlippe war bei 4 Patienten (2,4%) betroffen. Das Lippenrot der Oberlippe stellte mit 19 Patienten (11,2%) die zweithäufigste Lokalisation des Lippenkarzinoms dar, bei 2 Patienten (1,2%) befand sich das Lippenkarzinom auf der Schleimhaut der Oberlippe. Der Mundwinkel war bei 6 Patienten (3,6%) betroffen. Bei 2 Patienten (1,2%) erfolgte keine nähere Angabe zu der Tumorlokalisation in sagittaler Richtung in den Krankenunterlagen (Abb. 11). 90,0%% 80,4%% (135)% 80,0%% Prozentuale!Verteilung% 70,0%% 60,0%% 50,0%% 40,0%% 30,0%% 20,0%% 11,2%% (19)% 10,0%% 1,2%% (2)% 2,4%% (4)% 3,6%% (6)% 1,2%% (2)% 0,0%% Oberlippe,%%%% Lippenrot% Unterlippe,%%% Lippenrot% Schleimhaut%der% Schleimhaut%der% Oberlippe% Unterlippe% Mundwinkel% Lippe%o.n.A.% 11: Lippenlokalisation gesamt 30 Ergebnisse und Auswertung Differenzierte man bei weiterer Betrachtung der Tumorlokalisation an der Lippe nach Geschlecht, so fiel auf, dass bei den weiblichen Patienten die Oberlippe deutlich häufiger betroffen war als bei den männlichen Patienten. Bei den männlichen Patienten war das Lippenrot der Unterlippe die wesentliche Lokalisationsstelle des Lippenkarzinoms (Abb. 12). 84,2%% (112)% 90,0%% 80,0%% 65,7%% (23)% Prozentuale!Verteilung% 70,0%% grau:%männlich% schraffiert:%weiblich% 60,0%% 50,0%% 40,0%% 30,0%% 20,0%% 10,0%% 20,0%% (7)% 9,0%% (12)% 5,7%% (2)% 0,0%% 0,0%% Oberlippe,%%%% Lippenrot% Unterlippe,%%% Lippenrot% 3,0%% (4)% 0,0%% Schleimhaut%der% Schleimhaut%der% Oberlippe% Unterlippe% 8,6%% (3)% 2,3%% (3)% Mundwinkel% 1,5%% (2)% 0,0%% Lippe%o.n.A.% 12: Tumorlokalisation geschlechtsspezifisch 31 Ergebnisse und Auswertung Die Betrachtung der Tumorlokalisation in transversaler Richtung zeigte, dass sich das Lippenkarzinom bei 94 Patienten (56%) lateral an der Lippe befand, bei 6 Patienten (4%) am Mundwinkel und bei 35 Patienten (21%) median auf der Lippe. Bei 11 Patienten (7%) umfasste das Lippenkarzinom mehrere Teilbereiche. Bei 22 Patienten (13%) erfolgte keine nähere Angabe zu der Lokalisation des Lippenkarzinoms in transversaler Richtung in den Krankenunterlagen (Abb. 13). 70,0%& 59,0%& (94)& Prozentuale!Verteilung& 60,0%& 50,0%& 40,0%& 30,0%& 21,0%& (35)& 20,0%& 13,0%& (22)& 10,0%& 4,0%& (6)& 7,0%& (11)& 0,0%& median& lateral& Mundwinkel& mehrere&Teilbereiche& keine&Angabe& 13: Gesamtverteilung transversale Tumorlokalisation 32 Ergebnisse und Auswertung Bei 62 Patienten (37%) war ein Tumorwachstum mit Überschreitung der Lippenmitte in der Krankenunterlage dokumentiert, bei 95 Patienten (56%) war dort eine seitliche Lokalisation beschrieben. Bei 11 Patienten (7%) fand sich keine Angabe zu der sagittalen Lokalisation des Lippenkarzinoms und eventuellen Überschreitung der Mittellinie in den Krankenunterlagen (Abb. 14). 56,0%& (95)& 60,0%& Prozentuale!Verteilung& 50,0%& 40,0%& 37,0%& (62)& 30,0%& 20,0%& 7,0%& (11)& 10,0%& 0,0%& ja& nein& keine&Angabe& 14: Überschreitung der Mittellinie 33 Ergebnisse und Auswertung 3.3. Tumorstadium und Tumorgrading Das Tumorstadium gibt die Größe des Tumors an. Bei 4 Patienten (2%) handelte es sich um ein Carcinoma in situ. Mehr als die Hälfte des Gesamtkollektivs, genau 92 Patienten (55%), befanden sich in einem T1-Stadium, 34 Patienten (20%) in einem T2-Stadium, 7 Patienten (4%) in einem T3-Stadium und 3 Patienten (2%) in einem T4-Stadium. Die Krankenunterlagen von 28 Patienten (17%) enthielten keine Angaben zum TStadium (Abb. 15). 60,0%% 55,0%% (92)% Prozentuale!Verteilung% 50,0%% 40,0%% 30,0%% 20,0%% (34)% 20,0%% 10,0%% 17,0%% (28)% 4,0%% (7)% 2,0%% (4)% 2,0%% (3)% 0,0%% Tis% T1% T2% T3% T4% k.A.% 15: Tumorstadium 34 Ergebnisse und Auswertung Das Tumorgrading gibt die histologische Differenzierung der Tumorzellen an. Die Bestimmung der Resektionspräparate erfolgte in dem Pathologischen Institut der Medizinischen Hochschule Hannover. Die Auswertung des Gesamtkollektivs ergab bei 57 Patienten (34%) mit G1 eine gute Differenzierung, bei 73 Patienten (43%) mit G2 eine mäßige Differenzierung und bei 4 Patienten (2%) mit G3 eine schlechte Differenzierung. Bei 36 Patienten (21%) enthielten die Krankenunterlagen keine Angaben hinsichtlich des Differenzierunggrades. Es erfolgt eine Bewertung in GX (Abb. 16). 50,0%& 43,0%& (73)& 45,0%& Prozentuale!Verteilung& 40,0%& 34,0%& (57)& 35,0%& 30,0%& 25,0%& 21,0%& (36)& 20,0%& 15,0%& 10,0%& 2,0%& (7)& 5,0%& 0,0%& GX& G1& G2& G3& 0,0%& G4& 16: Tumorgrading 35 Ergebnisse und Auswertung 3.4. Lymphknotenbefall Die ersten Filterstationen der Lymphabflusswege der Lippen sind die submentalen und submandibulären Lymphknoten. Insbesondere bei Tumoren, welche die Mittellinie überschreiten, muss auch mit einer Metastasierung in regionäre Lymphknoten der kontralateralen Seite gerechnet werden. Die Auswertung der Patientenakten zeigte, dass sich das Therapiekonzept in den 1980er und 1990er Jahren an der Ausbreitung des Lokalbefundes und des Befallmusters der Halslymphknoten orientierte. Seit einiger Zeit wird in vielen Zentren vermehrt eine elektive Ausräumung der submandibulären Loge favorisiert. 132 Patienten (79%) hatten einen in den Krankenunterlagen dokumentierten N0 Befund, 8 Patienten (4,8%) einen N1 Befund. Bei jeweils einem Patienten (0,6%) war der Befund N2a bzw. N2c, also auch ipsilateral mit größerem Durchmesser bzw. kontra-/bilateral mit größerem Durchmesser. Bei 26 Patienten (15%) war kein Lymphknotenstatus den Krankenunterlagen zu entnehmen, so dass eine Einordnung in NX (nicht zu bewerten) erfolgte (Abb. 17). 90,0%& 79,0%& (132)& 80,0%& Prozentuale!Verteilung& 70,0%& 60,0%& 50,0%& 40,0%& 30,0%& 20,0%& 15,0%& (26)& 4,8%& (8)& 10,0%& 0,6%& (1)& 0,0%& 0,6%& (1)& 0,0%& N2a& N2b& N2c& N3& 0,0%& NX& N0& N1& 17: Lymphknotenstatus 36 Ergebnisse und Auswertung 3.5. Metastasen Die Auswertung der Patientenakten ergab, dass bei keinem Patienten zum Zeitpunkt der Diagnosestellung eines Lippenkarzinoms eine nachgewiesene Fernmetastase vorlag. Bei 108 Patienten (64%) war in den Krankenunterlagen der Befund M0 dokumentiert, bei 60 Patienten (36%) befand sich keine Aussage hinsichtlich einer Fernmetastase in den Untersuchungsunterlagen. Somit erfolgte eine Bewertung in MX (Abb. 18). 70,0%& 64,0%& (108)& Prozentuale!Verteilung& 60,0%& 50,0%& 40,0%& 36,0%& (60)& 30,0%& 20,0%& 10,0%& 0,0%& 0,0%& MX& M0& M1& 18: Fernmetastasen 37 Ergebnisse und Auswertung 3.6. Gefäß- und Knocheninfiltration Die Metastasierung des Lippenkarzinoms verläuft meist lymphogen. Erste Filterstationen für das Lippenkarzinom sind die submentalen und submandibulären Halslymphknoten. Der Durchbruch in ein Lymphgefäß ist für eine Tumorzelle weitaus einfacher als in ein Blutgefäß, da diese keine Basalmembran besitzen. Haben die Tumorzellen die Lymphgefäßwand durchwandert, wachsen sie lumenwärts und können so entweder zu Zirkulationsbehinderungen im Lymphgefäßsystem führen oder aber werden zum nächsten Lymphknoten gespült. So bekommt die Lymphangiosis carcinomatosa eine besondere Bedeutung, da Tumoreinbrüche in benachbarte Lymphgefäße oftmals einem Nachweis entgehen. Im gesamten Patientenkollektiv war bei 4 Patienten (2%) eine im Halspräparat nachgewiesene Lymphangiosis carcinomatosa in der Krankenunterlage dokumentiert. Bei 138 Patienten war keine nachgewiesene Lymphangiosis carcinomatosa dokumentiert. Bei 26 Patienten (15%) fehlte diese Angabe in der Patientenakte (Abb. 19). 83,0%% (138)% 90,0%% 80,0%% Prozentuale!Verteilung% 70,0%% 60,0%% 50,0%% 40,0%% 30,0%% 15,0%% (26)% 20,0%% 10,0%% 2,0%% (4)% 0,0%% ja% nein% keine%Angabe% 19: Lymphangiosis carcinomatosa 38 Ergebnisse und Auswertung Im gesamten Kollektiv war bei 6 Patienten (4%) eine Infiltration des Tumors in den Knochen in den Untersuchungsunterlagen dokumentiert. Bei 158 Patienten (94%) lag keine Knocheninfiltration vor. Bei 4 Patienten (2%) war keine Angabe hierzu in den Untersuchungsunterlagen enthalten (Abb. 20). 93,8%% (152)% 100,0%% 90,0%% Prozentuale!Verteilung% 80,0%% 70,0%% 60,0%% 50,0%% 40,0%% 30,0%% 20,0%% 10,0%% 3,7%% (6)% 2,5%% (4)% 0,0%% ja% nein% keine%Angabe% 20: Knocheninfiltration 39 Ergebnisse und Auswertung 3.7. Therapie Die Auswertung der Krankenakten zeigte, dass bei 151 Patienten (90%) mit einem Lippenkarzinom die alleinige operative Tumorentfernung die Therapie der ersten Wahl darstellte. Bei 11 Patienten (7%) fand eine kombinierte Therapie aus operativer Tumorentfernung und anschließender Chemotherapie statt. Bei weiteren 2 Patienten (1%) erfolgte die perkutane Bestrahlung als alleinige Therapie. Die Chemotherapie als alleinige Therapie, wie auch in Kombination, wurde nicht angewandt. Die Angabe zu der gewählten Therapieform war bei 4 Patienten (2%) den Krankenunterlagen nicht eindeutig zu entnehmen (Abb. 21). 100,0%% 90,0%% 90,0%% (151)% Prozentuale!Verteilung% 80,0%% 70,0%% 60,0%% 50,0%% 40,0%% 30,0%% 20,0%% 10,0%% 1,0%% (2)% 0,0%% chirurgisch% perkutane% Bestrahlung% 7,0%% (11)% 0,0%% Chemotherapie% chirurgisch%+% Bestrahlung% 2,0%% (4)% keine%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% Angabe% 21: Art der Initialtherapie 40 Ergebnisse und Auswertung 3.8. Resektion Bei allen operierten 162 Patienten (100%) erfolgte die chirurgische Tumorresektion in sano (R0). Jedoch war bei 13 Patienten (8%) eine Nachresektion für dieses Ergebnis notwendig (Abb. 22). 100,0%$ 100%$ (162)$ Prozentuale!Verteilung$ 90,0%$ 80,0%$ 70,0%$ 60,0%$ 50,0%$ 40,0%$ 30,0%$ 20,0%$ 10,0%$ 0,0%$ 0,0%$ R0$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ R1$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$$ in$sano$ non$in$sano$ 22: Resektionsstatus 41 Ergebnisse und Auswertung 3.9. OP-Technik und -Ausmaß Die Art der Resektion wird durch die Größe des Tumors sowie seine Art zu wachsen bestimmt. Bei den chirurgisch therapierten 162 Patienten (100%) erfolgte bei 21 Patienten (13%) ein Lip Shaving, bei dem die Hautschicht der betreffenden Lippe entfernt wurde. Diese Methode wird bei kleinen, nicht invasiv wachsenden Tumoren angewandt. Bei 80 Patienten (49,4%), und somit fast der Hälfte des Gesamtkollektivs, wurde eine Keilresektion vorgenommen. Hierbei erfolgt die keilförmige Entfernung von Lippenrot, Haut, Schleimhaut sowie Muskelgewebe. Die Kastenresektion stellt einen erheblich größeren Entnahmedefekt dar und wurde bei 52 Patienten (32%) angewandt. Die Untersuchungsunterlagen von 9 Patienten (5,6%) enthielten keine Angaben zu der gewählten OP-Technik (Abb. 23). 60,0%& 49,4%& (80)& Prozentuale!Verteilung& 50,0%& 40,0%& 32,0%& (52)& 30,0%& 20,0%& 13,0%& (21)& 5,6%& (9)& 10,0%& 0,0%& Shaving& Keilresek<on& Kastenresek<on& keine&Angabe& 23: OP-Technik 42 Ergebnisse und Auswertung Das Resektionsausmaß gibt an, wie viel Gewebe der Lippe und des umgebenden Gewebes entfernt wurde. Bei 78 Patienten (48,2%) kam es zu der Entfernung von 1/3 der betroffenen Lippe. 1/2 der betroffenen Lippe wurde bei 39 Patienten (24%) entfernt, bei 22 Patienten (13,6%) erfolgte mit der Entfernung von 2/3 der betroffenen Lippe eine subtotale Resektion. Die totale Lippenresektion war bei 9 Patienten (5,6%) in den Untersuchungsunterlagen dokumentiert. Bei 14 Patienten (8,6%) fand sich keine Angabe zu dem Resektionsausmaß in den Patientenunterlagen (Abb. 24). 60,0%& Prozentuale!Verteilung& 50,0%& 48,2%& (78)& 40,0%& 30,0%& 24,0%& (39)& 20,0%& 13,6%& (22)& 5,6%& (9)& 10,0%& 8,6%& (14)& 0,0%& 1/3& 1/2& 2/3&subtotal& total& keine&Angabe& 24: Gesamtdarstellung des Resektionsausmaßes 43 Ergebnisse und Auswertung Die Entfernung von Knochen erfolgte bei 6 Patienten (3,7%) des gesamten Patientenkollektivs, wobei es bei 2 Patienten zu einer Kontinuitätresektion des Unterkiefers kam und bei 4 Patienten zu einer Kastenresektion. Bei 152 Patienten (93,8%) erfolgte keine Entfernung von Knochen und bei 4 Patienten (2,5%) enthiet die Patientenakte keine Angabe hierzu (Abb. 25). 93,8%% (152)% 100,0%% 90,0%% Prozentuale!Verteilung% 80,0%% 70,0%% 60,0%% 50,0%% 40,0%% 30,0%% 20,0%% 10,0%% 3,7%% (6)% 2,5%% (4)% 0,0%% ja% nein% keine%Angabe% 25: Knochenresektion 44 Ergebnisse und Auswertung 3.10. Lymphknotenchirurgie Die ersten Stationen der Lymphabflußbahnen der Lippen sind die submentalen und submandibulären Berücksichtigung Lymphknoten. des Die Ausgangsbefundes Lymphknotenentfernung in das chirurgische wird Konzept unter mit einbezogen. Grundsätzlich muss auch mit einer kontralateralen Streuung gerechnet werden. Bei 108 Patienten (66,7%) erfolgte keine Lymphknotenentfernung. Bei 18 Patienten (11,1%) war in den Untersuchungsunterlagen eine ipsilaterale Lymphknotenentfernung dokumentiert und bei 16 Patienten (9,9%) eine bilaterale Lymphknotenentfernung. In den Untersuchungsunterlagen von 20 Patienten (12,3%) fanden sich keine Aussagen hinsichtlich einer eventuell stattgefundenen Lymphknotenentfernung (Abb. 26). 80,0%% 70,0%% 66,7%% (108)% Prozentuale!Verteilung% 60,0%% 50,0%% 40,0%% 30,0%% 20,0%% 11,1%% (18)% 9,9%% (16)% ipsilateral% bilateral% 10,0%% 12,3%% (20)% 0,0%% keine% keine%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% Angabe% 26: Initiale Lymphknotenchirurgie 45 Ergebnisse und Auswertung Die chirurgische Lymphknotenentfernung als Teil des chirurgischen Konzepts ist abhängig von dem Ausgangsbefund, wobei das Ausmaß der Entfernung unterschiedlich groß sein kann. So werden bei der radikalen Neck Dissection der M. sternocleidomastoideus, die V. jugularis interna sowie der N. accesorius entfernt. Die funktionelle Neck Dissection schont eben diese Strukturen und beinhaltet nur die Entfernung des lymphatischen Gewebes sowie des umgebenden Fett- und Bindegewebes. In Abhängigkeit von dem jeweiligen therapeutischen Konzept besteht auch die Möglichkeit der selektiven Ausräumung einzelner Halslogen. In diesem Kollektiv fand bei 34 Patienten eine operative Lymphknotenentfernung statt (siehe Seite 45). Bei 31 Patienten (91,2%) hatte diese den Umfang einer selektiven bzw. funktionellen Neck Dissection. Bei 3 Patienten (8,8%) handelte es sich den Untersuchungsunterlagen nach um eine radikale Neck Dissection (Abb. 27). 100,0%& 91,2%& (31)& 90,0%& Prozentuale!Verteilung& 80,0%& 70,0%& 60,0%& 50,0%& 40,0%& 30,0%& 20,0%& 8,8%& (3)& 10,0%& 0,0%& selek4ve&und&funk4onelle&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&& Neck&Dissec4on& radikale&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&& Neck&Dissec4on& 27: Umfang der Lymphknotenentfernung 46 Ergebnisse und Auswertung 3.11. Rekonstruktion Nach der Entfernung des Tumors erfolgt der Wundverschluß mit eventueller Rekonstruktion verloren gegangener Strukturen. In Abhängigkeit der Defektgröße stehen hierfür unterschiedliche Methoden zur Auswahl (siehe 1.5.1., Seite 12). Bei den 162 chirurgisch behandelten Patienten erfolgte bei 54 Patienten (33,4%) die direkte Adaption der entstandenen Wundränder zu einem End-zu-End Verschluss. Bei 86 Patienten (53%) erfolgte die Defektrekonstruktion mit einer lokalen Lappenplastik. Bei 1 Patienten (0,6%) wurde der Defekt mit einem gestielten Fernlappen gedeckt, bei 4 Patienten (2,5%) wurde für die Defektrekonstruktion ein mikrovaskulärer Gewebetransfer gewählt. In den Untersuchungsunterlagen von 17 Patienten (10,5%) fanden sich keine Angaben in Bezug auf das gewählte Rekonstruktionsverfahren (Abb. 28). 60,0%% 53,0%% (86)% Prozentuale!Verteilung% 50,0%% 40,0%% 33,4%% (54)% 30,0%% 20,0%% 10,5%% (17)% 10,0%% 0,6%% (1)% 2,5%% (4)% 0,0%% End2to2End% lokale%%%%%%%%%%%% Lappenplas<k% ges<elter%%%%%%%% Fernlappen% mikrovaskulärer% Gewebetransfer% keine%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%%% Angabe% 28: Art der Rekonstruktion 47 Ergebnisse und Auswertung 3.12. Zweitneoplasie Die Zweitneoplasie ist eine Tumorerkrankung, welche an anderer Stelle als der nach erfolgter Therapie des Lippenkarzinoms zu kontrollierenden Stelle auftritt. Kam es zu einem erneuten Auftreten eines Tumors an der gleichen Stelle mindestens 10 Jahre nach Rezidivfreiheit, so wurde dies auch als Zweitneoplasie gewertet. Bei 22 Patienten (13%) war eine Zweitneoplasie in den Patientenunterlagen dokumentiert. Bei 114 Patienten (68%) kam es den Untersuchungsunterlagen nach zu keiner Zweitneoplasie. Bei 32 Patienten (19%) fand sich keine Angabe zu einer Zweitneoplasie in den Patientenunterlagen (Abb. 29). 80,0%& 68,0%& (114)& 70,0%& Prozentuale!Verteilung& 60,0%& 50,0%& 40,0%& 30,0%& 20,0%& 19,0%& (32)& 13,0%& (22)& 10,0%& 0,0%& ja& nein& keine&Angabe& 29: Gesamtdarstellung Zweitneoplasie 48 Ergebnisse und Auswertung 3.13. Rezidive und sekundäre Metastasen Ein Rezidiv ist das Wiederauftreten einer alten Erkrankung. Nach erfolgter Therapie des Lippenkarzinoms sollte sich der Patient mindestens 5 Jahre, besser 10 Jahre, in Tumornachsorge befinden, in der eine regelmäßige Kontrolle des Tumorgebietes stattfindet. Kommt es dabei zu dem Verdacht eines Rezidivs, kann frühzeitig eine erneute Therapie eingeleitet werden. Bei 28 Patienten (17%) kam es innerhalb der Tumornachsorge zu dem erneuten Auftreten eines Lippenkarzinoms. 111 Patienten (66%) verliesen die reguläre Tumornachsorge ohne das ein Rezidiv dokumentiert wurde. 29 Patienten (17%) entzogen sich vorzeitig, vor Abschluss der regulären Tumornachsorge, der weiteren Dokumentation. Somit konnte für diese Patienten keine Aussage in Bezug auf die Entstehung eines Rezidivs gemacht werden (Abb. 30). 80,0%& 66,0%& (111)& 70,0%& Prozentuale!Verteilung& 60,0%& 50,0%& 40,0%& 30,0%& 20,0%& 17,0%& (28)& 17,0%& (29)& 10,0%& 0,0%& ja& nein& keine&Angabe& 30: Gesamtdarstellung Lokalrezidive 49 Ergebnisse und Auswertung Sekundäre Halsmetastasen entstehen in den regionären Halslymphknoten durch Wachstum der Tumorzellen in den Lymphabflussweg, deren erste Stationen die submentalen und submandibulären Halslymphknoten sind. Bei 23 Patienten (14%) kam es innerhalb der Tumornachsorge zu der Entwicklung einer sekundären Halsmetastase. 124 Patienten (74%) blieben innerhalb der regulären Tumornachsorge frei von der Bildung einer sekundären Halsmetastase. Bei 21 Patienten (13%) konnte aufgrund fehlender Angaben in den Untersuchungsunterlagen oder wegen vorzeitigen Verlassens der regulären Tumornachsorge hierzu keine Angabe gemacht werden (Abb. 31). 74,0%& (124)& 80,0%& 70,0%& Prozentuale!Verteilung& 60,0%& 50,0%& 40,0%& 30,0%& 20,0%& 14,0%& (23)& 12,0%& (21)& 10,0%& 0,0%& ja& nein& keine&Angabe& 31: Gesamtdarstellung sekundärer Halsmetastasen 50 Ergebnisse und Auswertung 3.14. Follow-Up Stichtag für das Follow-Up ist der 30.06.2010. Das Follow-Up beschreibt in dieser Studie die Zeit und Anzahl, in der sich die Patienten nach Beendigung der Therapie ihres Lippenkarzinoms noch in der Tumornachsorge befanden (Tertiärprävention). Diese Nachkontrollen erfolgten größtenteils in der behandelnden Fachabteilung der Medizinischen Hochschule Hannover oder in Einzelfällen beim niedergelassenen Facharzt. Von dort erfolgt dann die Übermittlung der entsprechenden Daten an die Fachabteilung der Medizinischen Hochschule Hannover. Die durchschnittliche Nachbeobachtungsdauer betrug 8 Jahre. Zum Stichtag befanden sich noch 68 Patienten in der Tumornachsorge. Für die 100 Patienten, welche sich nicht mehr in der Tumornachsorge befanden, erfolgte ebenfalls zum Stichtag, den 30.06.2010, die Abfrage an die Einwohnermeldeämter. Für die Ermittlung der lokalen und regionären Rezidivfreiheit sowie der Überlebenszeiten wurde das Auftreten von Lokalrezidiven bzw. sekundären Halsmetastasen mit jeweiligem Datum sowie der Zeitpunkt des Todes des Patienten bzw. das Datum des letzten Patientenkontaktes erhoben. Die Aktualität des Follow-Up der 68 Patienten, die sich zum Stichtag noch in der klinikeigenen Tumornachsorge befanden, gliedert sich folgendermaßen auf: 51 Patienten (75%) Last Info nicht älter 6 Monate, 5 Patienten (7,4%) Last Info nicht älter als 12 Monate, 8 Patienten (11,8%) Last Info nicht älter als 18 Monate, 1 Patient (1,4%) Last Info nicht älter als 24 Monate, 3 Patienten (4,4%) Last Info älter als 24 Monate (Abb. 32). 51 Ergebnisse und Auswertung 80,0%& 75,0%& (51)& 70,0%& Prozentuale!Verteilung& 60,0%& 50,0%& 40,0%& 30,0%& 20,0%& 11,8%& (8)& 7,4%& (5)& 10,0%& 1,4%& (1)& 4,4%& (3)& 0,0%& 0&/&0,5& 0,5&/&1& 1&/&1,5& 1,5&/&2& <&2& 32: Aktualität des Follow-Up in Jahren ( aus n=68, siehe Text Seite 51) 52 Überlebenskurven 4. Überlebenskurven Die Überlebenskurven zeigen graphisch die Sterberate des untersuchten Patientenkollektivs über den Zeitraum von 10 Jahren. Sie dienen der Darstellung und dem Vergleich von Überlebenszeiten in einer untersuchten Gruppe. Berechnet wurde nach dem Kaplan-Meier-Verfahren. Die Berechnung erfolgt mittels univariater Analyse. So wird der Effekt einzelner Risikovariablen auf das Überleben nach primärer Behandlung anhand von Kaplan-Meier-Schätzungen dargestellt und statistisch bewertet. Der Median gibt jene Überlebenszeit an, die 50% der Patienten nicht erreichen und die anderen 50% der Patienten überschreiten, während der Mittelwert die durchschnittliche Überlebenszeit der untersuchten Gruppe im arithmetischen Mittel angibt. Der Log-Rank-Test ist ein nicht parametrischer Test zum Vergleich zweier Überlebensraten. Mit seiner Hilfe wird die statistische Signifikanz zweier Überlebenskurven verglichen. 53 Überlebenskurven 4.1. Überlebenswahrscheinlichkeit gesamt Die Überlebenswahrscheinlichkeit des gesamten Patientenkollektivs der Medizinischen Hochschule Hannover, welches in den Jahren von 1981 bis 2010 mit der Diagnose eines Lippenkarzinoms behandelt wurde. Es ergeben sich folgende Überlebenswerte: Gesamt: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 86,6% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 72,2% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 49,6% Median: 10 Jahre, Mittelwert: 13,53 Jahre Die Überlebenskurve zeigt eine nahezu gleichverlaufende Abnahme, welche nach 5 Jahren bei 72,2% und nach 10 Jahren bei 49,6% liegt (Abb. 33). 33: Überlebenswahrscheinlichkeit gesamt 54 Überlebenskurven 4.1.1. Rezidivfreies Überleben gesamt Das rezidivfreie Überleben gesamt gibt für das gesamte Patientenkollektiv die Wahrscheinlichkeit für das Ausbleiben eines Erkrankungrückfalls (Lokalrezidiv oder sekundäre Halsmetastase) an. Es ergeben sich folgende Werte: Rezidivfrei gesamt: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 78% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 68% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 66% Median: 0,8 Jahre, Mittelwert: 1,69 Jahre. In dem gesamten untersuchten Patientenkollektiv kam es nur innerhalb der ersten sechs Jahre nach Diagnosestellung zu der Ausbildung eines Lokalrezidivs oder einer sekundären Halsmetastase. Der Median liegt bei 0,8 Jahren und der Mittelwert bei 1,69 Jahren. 55 Überlebenskurven 4.2. Überlebenswahrscheinlichkeit nach Alter Die Überlebenswahrscheinlichkeit nach Alter bei Erkrankung ergibt folgende Überlebenswerte nach Altersgruppen: Jünger als 60 Jahre: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 90,3% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 79,8% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 73,7% Median: 17,2 Jahre, Mittelwert: 24,31 Jahre 60-70 Jahre: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 94,7% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 86,9% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 62% Median: 12,6 Jahre, Mittelwert: 13,06 Jahre 70 Jahre und älter: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 77,4% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 54% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 22,1% Median: 5,9 Jahre, Mittelwert: 6,47 Jahre Die Überlebenskurve zeigt den Einfluss des Alters bei Erkrankung auf das Überleben. Auffallend bei dieser Abbildung ist die Überkreuzung nach 7 Jahren zwischen den 60 bis 70-jährigen und den jünger als 60-jährigen, nachdem die ersten beiden Jahre nahezu parallel verlaufen. Der Log-Rank-Test der Gruppen jünger als 56 Überlebenskurven 60 vs. 70 und älter sowie 60-70 vs. 70 und älter ist hochsignifikant, jedoch in diesen Zusammenhang aufgrund der geringeren Lebenserwartung der älteren Patienten nicht aussagekräftig (Abb. 34). 34: Überlebenswahrscheinlichkeit nach Alter bei Erkrankung Log-Rank-Test: Jünger als 60 vs. 60-70: p=0,071 nicht signifikant Jünger als 60 vs.70 und älter: p=0,001 hochsignifikant 60-70 vs. 70 und älter: p=0.001 hochsignifikant 57 Überlebenskurven 4.3. Überlebenswahrscheinlichkeit nach Geschlecht Für die Überlebenswahrscheinlichkeit nach Geschlecht ergeben sich folgende Werte: Männer: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 85,7% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 72,3% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 49,7% Median: 10 Jahre, Mittelwert: 12,96 Jahre Frauen: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit : 90,3% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit : 71,6% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit : 49,6% Median: 9,4 Jahre, Mittelwert: 12,07 Jahre Die Überlebenswahrscheinlichkeit nach Geschlecht zeigt keine signifikanten Unterschiede. In dem Verlauf der beiden Kurven kommt es jedoch mehrfach zu Überschneidungen dieser (Abb. 35). 58 Überlebenskurven 35: Überlebenswahrscheinlichkeit nach Geschlecht Log-Rank-Test: Männlich vs. weiblich: p=0,465 nicht signifikant 59 Überlebenskurven 4.3.1. Rezidivfreies Überleben nach Geschlecht Die Betrachtung des rezidivfreien Überlebens nach Geschlecht zeigt die Wahrscheinlichkeit des Ausbleibens eines Erkrankungsrückfalls (Lokalrezidiv oder sekundäre Halsmetastase). Bei den männlichen Patienten zeigt sich eine etwas geringere Rezidivfreiheit. Der Log-Rank-Test ist nicht signifikant. Männer: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 70% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 65% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 62% Median: 0,8 Jahre, Mittelwert: 1,69 Jahre Frauen: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 82% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 79% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 79% Median: 0,9 Jahre, Mittelwert: 1,35 Jahre Log-Rank-Test: Männlich vs. weiblich: p=0,829 nicht signifikant 60 Überlebenskurven 4.4. Überlebenswahrscheinlichkeit nach T-Stadium Für die Überlebenswahrscheinlichkeit nach T-Stadium ergeben sich folgende Werte: T1: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 86,4% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 73,6% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 54,4% Median: 10,7 Jahre, Mittelwert: 11,87 Jahre T2: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 85,1% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 75,1% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 42,3% Median: 7,8 Jahre, Mittelwert: 9,55 Jahre T3: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 71,4% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 53,6% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 53,6% Median: 12,1 Jahre, Mittelwert: 9,28 Jahre T4: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 66,7% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 66,7% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 0% Median: 6,2 Jahre, Mittelwert: 4,64 Jahre 61 Überlebenskurven Während die Kurven des T1 und T2 Status in den ersten fünf Jahren nahezu parallel verlaufen, fallen die Kurven des T3 und T4 Status bereits nach einem Jahr deutlich ab. Die Überlebensrate für den T3 Status änderte sich im weiteren Verlauf erst 13 Jahre postoperativ erneut. Der Verlauf des T4 Status endete nach 6 Jahren total (Abb. 36). 36: Überlebenswahrscheinlichkeit nach T-Stadium Log-Rank-Test: T1 vs. T2: p=0,238 nicht signifikant T1 vs. T3: p=0,323 nicht signifikant T1 vs. T4: p=0,242 nicht signifikant T2 vs. T3: p=0,956 nicht signifikant T2 vs. T4: p=0,392 nicht signifikant T3 vs. T4: p=0,791 nicht signifikant 62 Überlebenskurven 4.4.1. Rezidivfreies Überleben nach T-Stadium Das rezidivfreie Überleben nach T-Stadium gibt die Wahrscheinlichkeit für das Ausbleiben eines Erkrankungsrückfalls (Lokalrezidiv oder sekundäre Halsmetastase) an. Der Log-Rank-Test ist im T1 vs. T3 Vergleich hochsignifikant. Ein Median konnte aufgrund mangelnder Daten nicht errechnet werden. T1: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 62% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 58% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 58% Mittelwert: 1,8 Jahre T2: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 87% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 75% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 75% Mittelwert: 1,34 Jahre T3: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 67% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 67% 10-Jahres- Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 67% Mittelwert: 0,5 Jahre T4: 2-Jahres-Wahrscheiinlichkeit für Rezidivfreiheit: 50% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 50% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 50% Mittelwert: 1,41 Jahre 63 Überlebenskurven Log-Rank-Test: T1 vs. T2: p=0,960 nicht signifikant T1 vs. T3: p=0,032 signifikant T1 vs. T3: p=0,568 nicht signifikant T2 vs. T3: p=0,197 nicht signifikant T2 vs. T4: p=0,755 nicht signifikant T3 vs. T4: p=0,63 nicht signifikant 64 Überlebenskurven 4.5. Überlebenswahrscheinlichkeit nach Lymphknotenbefund Die Überlebenswahrscheinlichkeit nach Lymphknotenbefund ergibt folgende Werte: N0: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 87,5% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 75,1% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 51,9% Median: 10,2 Jahre, Mittelwert: 11,3 Jahre N+: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 60% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 50% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit:13,3% Median: 2,8 Jahre, Mittelwert: 5,39 Jahre Die Kurven offenbaren große Unterschiede. Bei N0 fällt die Überlebenskurve gleichmäßig ab. Die Kategorie N+ (N1 und N2) dagegen fällt steil ab, liegt schon im dritten Jahr bei nur noch 50%. Der Log-Rank-Test ist hochsignifikant (Abb. 37). 65 Überlebenskurven 37: Überlebenswahrscheinlichkeit nach Lymphknotenbefund Log-Rank-Test: N0 vs. N+: p=0,003 hochsignifikant 66 Überlebenskurven 4.5.1. Rezidivfreies Überleben nach Lymphknotenbefund Das rezidivfreie Überleben nach Lymphknotenbefund gibt die Wahrscheinlichkeit für das Ausbleiben der Bildung eines Lokalrezidivs oder einer sekundären Halsmetastase an. N0: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 68% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 65% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 65% Median: 0,8 Jahre, Mittelwert: 1,66 Jahre N+: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 83% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 83% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 83% Median: 0,6 Jahre, Mittelwert: 0,63 Jahre Log-Rank-Test: N0 vs. N+: p=0,103 nicht signifikant 67 Überlebenskurven 4.6. Überlebenswahrscheinlichkeit nach Grading Die Berechnung der Überlebenswahrscheinlichkeit nach Grading zeigt folgendes: G1: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 91% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 75% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 58,5% Median: 12,1 Jahre, Mittelwert: 11,89 Jahre G2/G2: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 82,7% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 68,6% 10-Jahre-Überlebenswahrscheinlichkeit: 44,6% Median: 8 Jahre, Mittelwert: 10,56 Jahre Der Verlauf der beiden KurvenG1 zu G2/G3 erscheint nahezu parallel, wobei G2/G3 kontinuierlich unterhalb von G1 verläuft, der Log-Rank-Test ist nicht signifikant (Abb. 38). 68 Überlebenskurven 38: Überlebenswahrscheinlichkeit nach Grading Log-Rank-Test: G1 vs. G2/G3: p=0,599 nicht signifikant 69 Überlebenskurven 4.6.1. Rezidivfreies Überleben nach Grading Für das rezidivfreie Überleben nach Grading ergeben sich folgende Werte: G1: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 87,7% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 84,3% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 84,3% Mittelwert: 22,84 Jahre G2/G3: 2-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 75,4% 5-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 65% 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit: 65% Mittelwert: 16,46 Jahre Der Kurvenverlauf G2/G3 zu G1 zeigt einen deutlich steileren Verlauf. Bemerkenswert ist jedoch, dass es nach dem fünften Jahr postoperativ zu keinen weiteren Rezidiven kommt. Ein Median konnte aufgrund einer zu geringen Datenmenge nicht errechnet werden. Der Log-Rank-Test ist hochsignifikant (Abb. 39). 70 Überlebenskurven 39: Rezidivfreies Überleben nach Grading Log-Rank-Test: G1 vs. G2/G3: p=0,020 hochsignifikant 71 Überlebenskurven 4.7. Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffener Lippe Die Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffener Lippe (Ober- oder Unterlippe) ergibt folgende Werte: Oberlippe: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 78,4% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 66,3% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 52,3% Median: 12,6 Jahre, Mittelwert: 13,98 Jahre Unterlippe: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 86% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 70,3% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 47,9% Median: 9,4 Jahre, Mittelwert: 12,24 Jahre In den ersten zwei Jahren kommt es dreimal zu einer Überschneidung der beiden Überlebenskurven. Die Überlebenskurve für die Unterlippe verläuft ab dem zweiten Jahr kontinuierlich unterhalb der Oberlippenkurve, der Log-Rank-Test ist nicht signifikant (Abb. 40). 72 Überlebenskurven 40: Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffener Lippe Log-Rank-Test: Oberlippe vs. Unterlippe: p=0,087 nicht signifikant 73 Überlebenskurven 4.8. Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffenem Lippenbereich Für die Überlebenswahrscheinlichkeit in Abhängigkeit des betroffenen Lippenbereichs (Mittellinienzone oder lateral) ergeben sich folgende Werte: Lateral: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 88,7% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 72% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 49% Median: 9,2 Jahre, Mittelwert: 10,92 Jahre Median: 2-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 74,3% 5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 68,5% 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit: 49,4% Median: 9,4 Jahre, Mittelwert: 11,23 Jahre Die beiden Kurven nehmen in den ersten 5 Jahren einen unterschiedlichen Verlauf. So fällt die Kurve für die Mittellinienzone in den ersten zwei Jahren deutlicher ab. Kurz nach dem fünften Jahr postoperativ kommt es bei 70% zu einer Überschneidung beider Kurven. Im weiteren Verlauf, in dem es zwischen dem sechsten und achten Jahr zu einem deutlicheren Abfall der Lateralkurve kommt, treffen sich beide Kurven im zehnten Jahr erneut, der Log-Rank-Test ist nicht signifikant (Abb. 41). 74 Überlebenskurven 41: Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffenem Lippenbereich Log-Rank-Test: Mittellinienzone vs. lateral: p=0,704 nicht signifikant 75 Diskussion 5. Diskussion In der Zeit von 1981 bis 2010 befanden sich an der Medizinischen Hochschule Hannover insgesamt 168 Patienten wegen eines Lippenkarzinoms in ambulanter oder stationärer Behandlung. Alle Patienten wurden entweder von niedergelassenen Fachärzten oder aus der Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie an der Medizinischen Hochschule Hannover in die Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie oder in die Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover überwiesen. Es wurden die Tumor- und Therapiedaten sowie die Verlaufsdaten erhoben. Histologisch handelte es sich bei den ausgewerteten Patienten ausschließlich um Plattenepithelkarzinome. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit dieser Studie betrug 8 Jahre. In Deutschland wird das Lippenkarzinom statistisch mit den bösartigen Neubildungen der Mundhöhle und des Rachens (Zunge, Gaumen, Speicheldrüsen Mundboden und Rachen) zusammen erfasst, RKI (65). Da deren Prognose jedoch deutlich schlechter ist als die des Lippenkarzinoms, wird das Lippenkarzinom zunehmend eigenständig betrachtet. Während das Lippenkarzinom Gegenstand zahlreicher internationaler Studien ist, finden sich im deutschen Sprachraum noch relativ wenig Publikationen, welche Inzidenz und Epidemiologie des Lippenkarzinoms isoliert betrachten. In der Literatur wird der Anteil des Lippenkarzinoms an allen Malignomen der Mundhöhle mit bis zu 30% angegeben, Batsakis et al (4), Vukadinovic et al. (88). Die Diagnose des Lippenkarzinoms findet jedoch in der Regel in einem früheren Stadium als die der Malignome der Mundhöhle statt, da es früher wahrgenommen wird, Salgarelli et al. (68). Das Lippenkarzinom unterscheidet sich in Bezug auf Metastasierung, Rezidivverhalten und Therapieerfolg deutlich von den Karzinomen der oralen Kavität, Warnakulasuriya et al. (90). Daraus resultiert eine wesentlich günstigere Prognose in Bezug auf die Überlebenszeit. 76 Diskussion Die durchschnittliche Überlebenszeit des gesamten Kollektivs in der vorliegenden Studie betrug 13,53 Jahre, wobei die 2-, 5- und 10-Jahres- Überlebenswahrscheinlichkeit bei 86,6%, 72,2% und 49,6% lag. Es konnte kein signifikanter Unterschied zwischen männlichen und weiblichen Patienten in Hinsicht auf die Überlebenswahrscheinlichkeit festgestellt werden. Die 2-, 5- und 10-JahresWahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit (keine Bildung eines Rezidivs oder einer sekundären Halsmetastase) lag bei 78%, 68% und 66% mit einem Mittelwert von 1,69 Jahren. Die folgende Tabelle gibt Daten zu den Überlebensstatistiken anderer vergleichbarer Studien wieder, wobei das Patientengut hinsichtlich der TNM-Klassifikation Unterschiede aufweist (Abb.: 42): Autor&und&Jahr&der& Beobachtungs7 Anzahl&der&Patienten Publikation zeitraum Verhältnis&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&&& Betroffene&Lippe m/w&Patienten& T7Stadium 57Jahres7 Lymphknoten7 Überlebens7 befund rate 251#gesamt,#davon# Heller#et#al.,#1979,################## 171#in#Initialtherapie# USA#(34) und#ausgewertet 1955#V#1969 m:#238#bzw#95,2% w:####12#bzw##4,8% UL:#152/89%,# OL:#12#bzw.7% MW:#7#bzw.4% de#Visscher#et#al.,# 1998,#Niederlande# (86) 1045 1989V1994 m:#889#bzw.#85% w:#156#bzw.#15% UL:#924/88,4% T1:#76% OL:#98/9,4% T3:#0,5% MW:#4/0,4%##k.A.:19/1,8% k.A.:13% T2:#9% T4:#1,5% k.A. k.A. Casal#et#al.,#2009,# Portugal#(13) 228 1993V2000 m:#184#bzw.#81% w:####44#bzw.#19% UL:#218/#95,6% OL:#6/2,6%, MW:#3/1,3% T2:#21% T4:#4% N+:#17 #91,7% k.A. 88,1%#V#93,8% k.A. 72,2% 17%#lokal, 14%#sek.#Halsmetastasen Hakulinen#et#al.,# 2010,#Skandinavien# (32) FriedlandVPhilipp,# 2014,#Deutschland 22520################################# 1964V2003 DK,#FIN,#SWE,#(ISL) 168 1981V2010 DK:####m#87%:#w#13% FIN:###m#81%:#w#19% NOR:#m#87%:#w#13% SWE:#m#82%:#w#18% m:#134#bzw.#80% w:####34#bzw.#20% Tis+T1:#73% T2:#22% N0:#154 N1:#11 T3:#5% T4:#0% N2:#1 N3:#5 Rezidive T1:#68,6% T3:5,3% k.A. UL:#139/82,8% OL:#21/12,4% MW:#6/3,6%##k.A.:2/1,2% k.A. Tis+T1:#57% T2:#20% N0:#132 N1:#8 T3#:4% T4:#2% N2:#2 N3:#0 k.A.:17% K.A.:#26 90% T1:10,#T2:3,##T3:#1 4/17#innerhalb#von#5# Jahren#verstorben k.A. 29/12,8%,#zeitlicher Mittelwert:#35#Monate Abb. 42 Überlebensstatistiken vergleichbarer Studien Das Durchschnittsalter der Patienten in dieser Studie zum Zeitpunkt der Behandlung betrug 67,8 Jahre, wobei die Alterspanne der Patienten zwischen dem 25. und 92. Lebensjahr lag. Während sich die Spitze der Erkrankungen bei Männern in der sechsten Lebensdekade (48 Patienten bzw. 35,8%) befand, lag diese bei den Frauen in der siebten Lebensdekade (10 Patienten bzw. 29,4%). Übereinstimmende Werte finden sich sowohl in den Studien bei Bootz et al. (7) wie auch bei Sargeran et al. (70). 77 Diskussion Die Auswertung der Überlebenswahrscheinlichkeit nach Alter des untersuchten Kollektivs erwies sich zwar als hochsignifikant. Dieses Ergebnis ist jedoch aufgrund der natürlichen geringeren Lebenserwartung eines älteren Patienten in diesem Zusammenhang nicht aussagekräftig. In der vorliegenden Studie zeigte sich, übereinstimmend mit der Literatur, ein deutlich häufigeres Auftreten des Lippenkarzinoms bei Männern als bei Frauen. Ähnliche Angaben finden sich sowohl in Untersuchungen von Warnakulasuriya et al. (89) als auch bei Heller et al. (34). So besteht das untersuchte Patientengut der Medizinischen Hochschule Hannover aus 134 Männern (80%) und 34 Frauen (20%), was einem Verhältnis von 4:1 entspricht. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Studien von Casal et al. (13) und de Visscher et al. (86). Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in Bezug auf die Überlebenszeit in Abhängigkeit des Geschlechts der Patienten. Während die durchschnittliche Überlebenszeit bei den männlichen Patienten des Kollektivs bei 12,96 Jahren lag, ergab sich für die weiblichen Patienten eine durchschnittliche Überlebenszeit von 12,07 Jahren. Auch das rezidivfreie Überleben zeigte in Abhängigkeit von dem Geschlecht keinen signifikanten Unterschied. Mit einer 2-, 5- und 10-Jahres Wahrscheinlichkeit von 70%, 65% und 62% für männliche Patienten sowie 82%, 79% und 79% für die weiblichen Patienten konnte lediglich ein Trend für eine höhere Rezidivneigung bei den männlichen Patienten dargestellt werden. Der Einfluss von UV-Strahlung, wie bei Lindquist et al. (49, 50) beschrieben, konnte aufgrund fehlender Angaben in der Anamnese in dieser Studie nicht weitergehend untersucht werden. Es fanden sich keine validen Aussagen über den ausgeübten Beruf und eventuell damit verbundener erhöhter UV-Exposition für die Patienten. Demnach konnte zu der in der Literatur oft erwähnten gesundheitsschädigenden Wirkung und kanzerogenen Eigenschaft des Sonnenlichts keine Aussage in Bezug auf die Bildung eines Lippenkarzinoms getroffen werden. 78 Diskussion Ebenfalls wurde in der Anamnese nur unzureichend der Genuss von Nikotin bzw. Alkohol abgefragt. Somit kann auch hinsichtlich dieser Noxen in der vorliegenden Untersuchung keine Bewertung erfolgen. In der Fachliteratur wird immer wieder der Zusammenhang zwischen Herpes labialis mit der Entstehung eines Lippenkarzinoms diskutiert. Die vorliegende Untersuchung konnte auch hierzu aufgrund fehlender Angaben in der Anamnese keine Bewertung vornehmen. Jedoch konnte dieser Verdacht auch in anderen Studien nicht klar bestätigt werden, Dardanoni et al. (18). Lippenkarzinome stellen mit ca. 1% aller Karzinome eine nicht zu vernachlässigende Gruppe dar, Chido et al. (15), wobei durch ihre prominente Lokalisation ein frühzeitiges Erkennen einfach möglich ist. Als prognoserelevante Faktoren werden in der Literatur sowohl die Tumorgröße sowie auch der Lymphknotenstatus diskutiert, Cerezo et al. (14), Czerninski et al. (17), de Visscher et al. (85). Die Untersuchung der Tumorgröße in dieser Studie erwies sich als nicht signifikant, was jedoch vermutlich an der geringen Anzahl an Patienten im T4-Stadium (3 Patienten bzw. 2%) lag. Die Betrachtung des T-Stadiums zeigte auch in der vorliegenden Studie, dass Patienten mit kleineren Tumoren eine durchschnittlich höhere Überlebenszeit hatten. Die Überlebenszeit in Jahren nach Tumorstadium lag im ausgewerteten Patientenkollektiv für T1 bei 11,87 Jahren, für T2 bei 9,55 Jahren, für T3 bei 9,28 Jahren und für T4 bei 4,64 Jahren. Während der Vergleich der 2-, 5- und 10-JahresÜberlebenswahrscheinlichkeit der Gruppen T1 vs. T2 nur marginal ausfiel, zeigt sich bei Betrachtung der Stadien T3 und T4 eine deutliche Reduzierung der Überlebenswahrscheinlichkeit. Allerdings erwiesen sich dieser Unterschied aufgrund der geringen Fallzahlen des höheren T-Stadiums als nicht signifikant. Es konnte lediglich für das rezidivfreie Überleben ein statistischer Unterschied zwischen den Stadien T1 zu T3 festgestellt werden. Die Sensibilität in Hinsicht auf Hautveränderungen offenbart sich in einem Anteil von 55% der therapierten Patienten mit einem T1-Status an der Medizinischen Hochschule Hannover. In ähnlichen Studien gibt es unterschiedliche Angaben zu 79 Diskussion dem Anteil des T1-Stadiums des Lippenkarzinoms. Dieser liegt zwischen vergleichbaren 50% bei McGregor et al. (56) und 75% - 80% bei Zitsch et al. (98). Als Therapie der ersten Wahl stellte sich bei 151 Patienten (90%) die chirurgische Tumorentfernung heraus. Bei weiteren 11 Patienten (7%) wurde die chirurgische Therapie durch eine Strahlentherapie ergänzt. Bei weiteren 2 Patienten (1%) erfolgte die Radatio als alleinige Therapiemaßnahme. Resultierend aus der frühzeitigen Therapieeinleitung bei geringerem Tumordurchmesser kam es bei der chirurgischen Tumorentfernung bei einem Großteil der Patienten zu kleineren Gewebedefekten. So zeigt die retrospektive Auswertung, dass bei 48,2% der Patienten ein Drittel der betroffenen Lippe entfernt werden musste, bei 24% der Patienten die Hälfte entfernt werden musste und bei 13,6 % der Patienten zwei Drittel (subtotal) der Lippe entfernt werden musste. Bei 5,6% der Patienten fand eine totale Lippenresektion statt. Nur bei 6 Patienten (3,7%) wurde zusätzlich eine Knochenresektion durchgeführt. Sämtliche der an der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführten Resektionen eines Lippenkarzinoms erfolgten „in sano“. Jedoch musste für dieses Ergebnis bei 13 Patienten nachresiziert werden. In der Literatur findet sich eine Vielzahl an Operationsmethoden. Die Patienten dieser Untersuchung wurden ausschließlich mit den in Kapitel 1.5.1.1. bis 1.5.1.3 beschriebenen Techniken operiert. Die Notwendigkeit eines sekundären, korrigierenden Eingriffes bestand nur bei wenigen Patienten, zum Beispiel bei postoperativer Mikrostomie. Für die Versorgung der entstandenen Resektionsdefekte waren bei der überwiegenden Anzahl der Patienten lokale plastische Maßnahmen ausreichend. Nur eine kleine Minderheit der Patienten war auf gestielte Fernlappen Plastiken bzw. einen mikrovaskulär-anastomisierten Gewebetransfer angewiesen. Von den 162 chirurgisch therapierten Patienten des untersuchten Kollektivs fand bei insgesamt 34 Patienten (21%) eine initiale Lymphknotenentfernung statt. Bei 18 Patienten (11,1%) wurden diese ipsilateral durchgeführt, bei 16 Patienten (9,9%) bilateral. Bei 31 Patienten handelte es sich hierbei um eine selektive oder funktionelle Neck Dissection, nur bei 3 Patienten um eine radikale Neck Dissection. 80 Diskussion Insgesamt 14% des Gesamtkollektivs entwickelten im Anschluss dennoch sekundäre Halsmetastasen. In der Studie von McGregor et. al. (56) ist dieser Wert mit 18% angegeben. Deutlich zeigt sich der signifikante Einfluss des Lymphknotenbefundes in Hinblick auf die durchschnittliche Überlebenszeit. Diese lag bei einem N0 Befund bei 11,3 Jahren, mit einer 2-, 5- und 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von 87,5%, 75,1% und 51,9%. Die durchschnittliche Überlebenszeit reduziert sich bei einem N+ Befund auf 5,39 Jahre, mit einer 2-, 5- und 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit von 60%, 50% und 13,3%. Diese Bedeutsamkeit beschreiben Teuber et al. (78) sowie Marrochio et al. (56) ebenso. Die Wahrscheinlichkeit für einen Erkrankungsrückfall bei einem N0 Status lag innerhalb der ersten zwei Jahre nach Diagnosestellung bei 32%, danach erhöhte sich diese bis zum fünften Jahr nach Diagnosestellung um weitere 3%. Der zeitliche Mittelwert für einen Erkrankungsrückfall lag bei 1,66 Jahren. Bei einem N+ Status kam es lediglich im ersten Jahr nach Diagnosestellung zu der Bildung eines Rezidivs oder einer sekundären Halsmetastase, wobei der zeitliche Mittelwert bei 0,63 Jahren lag. Die Wahrscheinlichkeit für einen Erkrankungsrückfall innerhalb der ersten 2 Jahre nach Diagnosestellung wurde mit 17% angegeben. Der Grund hierfür liegt wahrscheinlich in der nicht erfolgten Entfernung der okkulten Lymphknotenmetastasen bei vermeintlichem N0 Befund. Das deutlich häufigere Auftreten insbesondere von sekundären Halsmetastasen bei vermeintlichen N0 Befund lässt ein größeres, nicht diagnostiziertes Vorkommen versprengter Tumorzellen in den Lymphknoten vermuten. Somit scheint sich das gerade in den letzten Jahren zunehmend aggressivere chirurgische Vorgehen am Hals zu rechtfertigen. Das Grading scheint primär geringen Einfluss auf die Überlebenszeit zu haben. Das durchschnittliche Überleben wurde für G1 mit 11,89 Jahre bestimmt, wobei die 2-, 5und 10-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei 91%, 75% und 58,5% lag. Der Mittelwert für G2/G3 lag bei 10,56 Jahren, die 2-, 5- und 10-Jahres- Überlebenswahrscheinlichkeit bei 82,7%, 68,8% und 44,6%. 81 Diskussion Dennoch gibt der histologische Differenzierungsgrad Aufschluss über die biologische Aktivität des Tumors. So zeigte sich für das rezidivfreie Überleben nach Grading, dass der Vergleich G1 zu G2/G3 hochsignifikant war. Während für G1 die 2-, 5- und 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für Rezidivfreiheit bei 87,7%, 84,3% und 84,3% lag, betrug diese bei G2/G3 lediglich 75,4%, 65% und 65%. Bemerkenswert war, dass kein Patient des untersuchten Kollektivs nach histo-pathologischen Befund den Differenzierungsgrad G4 aufwies. Die Auswertung der erhobenen Daten in Bezug auf die betroffene Lippe (Ober- oder Unterlippe) ergaben im Hinblick auf das Geschlecht des Patienten nur marginale Unterschiede. So war das Lippenrot der Unterlippe bei männlichen wie weiblichen Patienten die Hauptlokalisationsstelle. Jedoch war die prozentuale Verteilung zugunsten der Unterlippe zu der Oberlippe bei den männlichen Patienten mit 84,2% zu 9% stärker, als mit 65,7% zu 20% bei den weiblichen Patienten. Auch die durchschnittliche Überlebenszeit sowie die Überlebenswahrscheinlichkeit nach 2-, 5- und 10 Jahren wiesen hinsichtlich der betroffenen Lippe keine signifikanten Unterschiede auf. Die Auswertung der Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffener Lippenregion (lateral oder median) zeigte ebenfalls nur geringe Unterschiede. So lag der Mittelwert bei einem lateralen Auftreten des Lippenkarzinoms bei 10,92 Jahren, bei einer medianen Lokalisation bei 11,23 Jahren. Die 2-, 5- und 10-Jahres- Überlebenswahrscheinlichkeit einer lateralen Lokalisation lag bei 88,7%, 72% und 49%. Für die mediane Lokalisation ergaben sich 74,3%, 68,5% und 49,4%. Diese Ergebnisse decken sich mit den neueren Studien von Czerninski et al. (17) und Warnakulasuriy (90). Im Gegensatz dazu fragten Lindquist et al. (51) in ihrer Studie von 1980 noch: „Is upper lip cancer “true“ lip cancer?“. Hieraus geht hervor, wie sich die Betrachtung des Lippenkarzinoms seitdem gewandelt hat. Die Betrachtung des Lippenkarzinoms als eigenständiges Malignom findet in den vergangenen Jahren zunehmend Beachtung. Dies scheint aufgrund der deutlich besseren Prognose im Vergleich zu den anderen malignen Neubildungen der oralen Kavität gerechtfertigt zu sein. Die meisten Studien, die das Lippenkarzinom eigenständig betrachten, stammen aus Australien, Kanada und Europa. In Deutschland wird das Lippenkarzinom für statistische Betrachtungen immer noch 82 Diskussion gemeinsam mit anderen Malignomen der oralen Kavität zusammen gefasst. Es gibt nur wenig deutsche Studien, welche sich ausschließlich mit der Epidemiologie und Inzidenz des Lippenkarzinoms befassen, Bootz et al. (7) oder Czerninski et al. (17) sowie Teuber et al. (78). Im asiatischen und afrikanischen Raum findet sich nahezu keine Literatur über das Lippenkarzinom. Dies liegt sicher an dem geringen Auftreten des Lippenkarzinoms in diesen Ländern und in den dortigen Bevölkerungsgruppen. Das Lippenkarzinom ist primär ein Tumor der hellhäutigen Bevölkerung, Moore et al. (59). Zusammenfassend lassen die Ergebnisse dieser retrospektiven Analyse erkennen, dass die frühzeitige Diagnosestellung, sowie die konsequente chirurgische Therapie von herausragender prognostischer Bedeutung sind. Dabei scheint der initiale Lymphknotenbefund den größten Einfluss auf die Prognose zu haben, bereitet aber trotz innovativer Weiterentwicklungen bildgebender Verfahren nach wie vor diagnostische Probleme. Der Trend der letzten Jahre zur elektiven bilateralen Lymphknotenchirurgie erscheint angesichts der diagnostischen Unsicherheit gerechtfertigt zu sein. 83 Zusammenfassung 6. Zusammenfassung In einer retrospektiven Analyse wurden insgesamt 168 Patienten mit Lippenkarzinomen erfasst, welche im Zeitraum von 1981 bis 2010 an der Medizinischen Hochschule Hannover behandelt wurden. Die durchschnittliche Nachbeobachtungszeit betrug 8 Jahre. Insgesamt waren 134 Patienten (80%) männlichen und 34 Patienten (20%) weiblichen Geschlechts. Das Durchschnittsalter der Patienten zum Zeitpunkt der Behandlung betrug 67,8 Jahre mit einer Alterspanne von 25 bis 92 Jahren. Die Unterlippe war mit 135 Patienten (80,4%) am häufigsten betroffen, gefolgt von Oberlippe und Mundwinkelregion. Ein mittellinien- überschreitendes Wachstum lag bei 62 Patienten (37%) vor. T1-, T2-, T3- und T4Stadien wurden für 55%, 20%, 4% und 3% der Patienten angegeben. Für 17% der Patienten konnte das T-Stadium retrospektiv nicht ermittelt werden. N0-, N1-, N2aund N2c- Stadien wurden für 79%, 4,8% und jeweils 0,6% angegeben. Eine Lymphangiosis carcinomatosa wurde histopathologisch nur bei 4 Patienten (2%), eine Knocheninfiltration nur bei 6 Patienten (3,7%) beschrieben. Die Resektion erfolgte bei 48,2% der Patienten als 1/3-Resektion, bei 24% als 1/2-Resektion, bei 13,6% als 2/3-Resektion und bei 5,6% als totale Lippenresektion. Bei 8,6% der Patienten war das Resektionsausmaß retrospektiv nicht zu ermitteln. Bei 66,7% der Patienten erfolgte keine Lymphknotenchirurgie. Lediglich 11,1% bzw. 9,9% der Patienten erhielten im Rahmen der Primärbehandlung eine ipsilaterale bzw. bilaterale Lymphknotenausräumung. Nur bei 4 Patienten (2,5%) war zu der Defektdeckung ein mikrovaskulärer Gewebetransfer erforderlich, bei einem Patienten (0,6%) wurde ein gestielter Fernlappen zu der Defektdeckung verwendet. Lokalrezidive bzw. sekundäre Halsmetastasen wurden für 17% bzw. 14% der Patienten dokumentiert. Das Gesamtüberleben nach 2, 5 und 10 Jahren betrug 86,6%, 72,2% und 49,6%, das durchschnittliche Überleben wurde mit 13,53 Jahren berechnet. Geschlecht, Tumorlokalisation und T-Stadium übten in der univariaten Analyse (log rank) keinen signifikanten Einfluss aus. Lediglich das N-Stadium erwies sich als dominanter prognostischer Faktor mit einer durchschnittlichen Überlebenszeit für N0 bzw. N+ von 11,3 Jahren gegenüber 5,4 Jahren (p=0,003). Auch das Lippenkarzinom scheint zu einem nicht unwesentlichen Teil mit okkulten 84 Zusammenfassung Lymphknotenmetastasen einherzugehen, die mit den herkömmlichen diagnostischen Verfahren nicht sicher erfasst werden. Der Trend der letzten Jahre zur elektiven bilateralen Lymphknotenchirurgie erscheint angesichts der Inzidenz von sekundären Halsmetastasen gerechtfertigt zu sein. 85 Literaturverzeichnis 7. Literaturverzeichnis 1. Abreu LP, Kruger E, Tennant M. Oral cancer in Western Australia. J Oral Pathol Med. 2010 May;39(5):376-81. 2. 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Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: exophytisch wachsendes Lippenkarzinom 9 Abbildung 2: endophytisch wachsendes Lippenkarzinom 10 Abbildung 3a-e: Bernhard-Fries-Plastik 14 Abbildung 4b-d: Karapandzic-Plastik 15/16 Abbildung 5a-c: Abbé-Plastik 16/17 Abbildung 6a -e: Latissimus dorsi-Lappen 18/19 Abbildung 7a-c: Deltopectoral-Lappen 20 Abbildung 8: Geschlechterverteilung 27 Abbildung 9: Altersverteilung gesamt 28 Abbildung 10: Altersverteilung geschlechtsspezifisch 29 Abbildung 11: Lippenlokalisation gesamt 30 Abbildung 12: Tumorlokalisation geschlechtsspezifisch 31 Abbildung 13: Gesamtverteilung transversale Tumorlokalisation 32 Abbildung 14: Überschreitung der Mittellinie 33 Abbildung 15: Tumorstadium 34 Abbildung 16: Tumorgrading 35 Abbildung 17: Lymphknotenstatus 36 Abbildung 18: Fernmetastasen 37 Abbildung 19: Lymphangiosis carcinomatosa 38 Abbildung 20: Knocheninfiltration 39 Abbildung 21: Art der Initialtherapie 40 Abbildung 22: Resektionsstatus 41 Abbildung 23: OP-Technik 42 Abbildung 24: Gesamtdarstellung des Resektionsausmaßes 43 Abbildung 25: Knochenresektion 44 Abbildung 26: Initiale Lymphknotenchirurgie 45 Abbildung 27: Umfang der Lymphknotenentfernung 46 Abbildung 28: Art der Rekonstruktion 47 Abbildung 29: Gesamtdarstellung Zweitneoplasie 48 Abbildung 30: Gesamtdarstellung Lokalrezidive 49 Abbildung 31: Gesamtdarstellung sekundärer Halsmetastasen 50 101 Abbildungsverzeichnis Abbildung 32: Aktualität des Follow-Up in Jahren 52 Abbildung 33: Überlebenswahrscheinlichkeit gesamt 54 Abbildung 34: Überlebenswahrscheinlichkeit nach Alter bei Erkrankung 57 Abbildung 35: Überlebenswahrscheinlichkeit nach Geschlecht 59 Abbildung 36: Überlebenswahrscheinlichkeit nach T-Stadium 62 Abbildung 37: Überlebenswahrscheinlichkeit nach Lymphknotenbefund 66 Abbildung 38: Überlebenswahrscheinlichkeit nach Grading 69 Abbildung 39: Rezidivfreies Überleben nach Grading 71 Abbildung 40: Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffener Lippe 73 Abbildung 41: Überlebenswahrscheinlichkeit nach betroffenem Lippenbereich 75 Überlebensstatistiken vergleichbarer Studien 77 Abbildung 42: 102 Anhang 9. Anhang (Erhebungskatalog) 1. Laufende Nummer 2. Patienten ID-Nummer 3. Name, Vorname 4. Geschlecht: 1 = m, 2 = w 5. Geburtsdatum 6. Patient aus Abteilung: 1 = MKG, 2 = HNO 7. Kontaktadresse, Telefonnummer 8. OP-Datum 9. Erstbefund: 1 = MHH, 2 = extern 10. Lippe: 1.= Unterlippe, 2 = Oberlippe, 3 = beide 11. Tumorlokalisation sagittal: 1 = kutan, 2 = Lippenrot, 3 = mukös, 4 = mehrere Teilbereiche überlappend 12. Tumorlokalisation transversal: 1 = median, 2 = lateral, 3 = Mundwinkel, 4 = mehrere Teilbereiche überlappend 13. Mittellinie überschreitend: 1 = ja, 2 = nein 14. Tumorstadium: 1 = TX, 2 = T0, 3 = Tis, 4 = T1, 5 = T2, 6 = T3, 7 = T4 15. Tumorgrading: 1 = GX, 2 = G1, 3 = G2, 4 = G3, 5 = G4 16. Fernmetastasen: 1 = MX, 2 = M0, 3 = M1 17. Regionale Lymphknoten: 1 = NX, 2 = N0, 3 = N1, 4 = N2a, 5 = 2Nb, 6 = 2Nc, 7 = N3 18. Anzahl befallener Lymphknoten 19. Lymphknotenbefall: 1 = ipsilateral, 2 = kontralateral, 3 = bilateral 20. Lymphangiosis carcinomatosa: 1 = ja, 2 = nein 21. Knocheninfiltration: 1 = ja, 2 = nein 22. Initialtherapie: 1 = chirurgisch, 2 = perkutane Bestrahlung, 3 = Chemotherapie, 4 = kombiniert 23. Resektionsstatus: 1 = R0 (in sano), 2 = R1 ( mikroskopisch sichtbare Tumorausläufer), 3 = R2 (makroskopisch sichtbare Tumorausläufer) 24. Knochenresektion: 1 = ja, 2 = nein 25. OP-Technik: 1 = Shaving, 2 = Keilresektion, 3 = Kastenresektion 26. Resektionsausmaß: 1 = 1/3, 2 = 1/2, 3 = 2/3 (subtotal), 4 = total 27. Initiale Lymphknoten Chirurgie: 1 = keine, 2 = ipsilateral, 3 = bilateral 103 Anhang 28. Strahlentherapie: Angabe in Gy gesamt 29. Chemotherapie: Angabe des Medikaments 30. Rekonstruktion: 1 = End-zu-End, 2 = lokale Lappenplastik, 3 = gestielter Fernlappen, 4 = mikrovaskulärer Gewebetransfer 31. Lokalrezidiv: 1 = ja, 2 = nein 32. Sekundäre Halsmetastase: 1 = ja, 2 = nein 32a. Datum 32b. Lokalisation:.1 = ipsilateral, 2 = kontralateral, 3 = bilateral 33. Fernmetastasen: 1 = ja, 2 = nein 33a. Datum 33b. Lokalisation: 1 = Lunge, 2 = Knochen, 3 = sonstige 33c. Beschreibung 34. Vorherige Neoplasie: 1 = ja, 2 = nein 34a. Datum 34b. Beschreibung 35. Zweitneoplasie: 1 = ja, 2 = nein 35a. Datum 35b. Beschreibung 36. Verstorben: 1 = ja, 2 = nein 37. Datum Last Info 38. Tumorassoziierter Tod: 1 = ja, 2 = nein 39. Intervall Überlebenszeit: Intervall OP-Termin-Last Info 40. Tumorfreies Überleben: Intervall OP-Termin-lokales Rezidiv 104 Danksagung 10. Danksagung Ich bedanke mich bei Herrn Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Nils-Claudius Gellrich, Direktor der Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover, für die guten Voraussetzungen zur Durchführung dieser Studie. Mein Dank gilt ebenso Herrn Prof. Prof. h.c. Dr. med. Thomas Lenarz, Direktor der Klinik für Hals-, Nasen und Ohrenheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover, für die Bereitstellung der Patientendaten aus der HNO-Poliklinik. Bei meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Horst Kokemüller, Abteilung für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover, bedanke ich mich für die große Geduld und Hilfsbereitschaft, die er mir stets entgegengebracht hat. Meinem Zweitbetreuer, Herrn Priv.-Doz. Dr. med. Omid Majdani, danke ich für die wissenschaftlichen Anregungen und Unterstützung. Mein besonderer Dank gilt Herrn Dr. Gerd Wegner, Leiter des Klinischen Krebsregisters des Tumorzentrums der Medizinischen Hochschule Hannover, für die Unterstützung bei der Auswertung der Daten und statistischen Analyse. Meiner Familie danke ich für ihr Verständnis und ihre moralische Unterstützung. 105 Erklärung 12. Erklärung nach § 2 Abs. 2 Nrn. 5 und 6 Ich erkläre, dass ich die in der Medizinischen Hochschule Hannover zur Promotion eingereichte Dissertation mit dem Titel: „Therapie und Prognose des Lippenkarzinoms: Eine retrospektive Auswertung des hannoveraner Patientenguts“ in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie unter der Betreuung von Prof. Dr. Dr. Horst Kokemüller mit der Unterstützung durch Herrn Priv.-Doz. Dr. Omid Majdani aus der Klinik für Hals-, Nasen und Ohrenheilkunde als Zweitbetreuer, ohne sonstige Hilfe durchgeführt und bei der Abfassung der Dissertation keine anderen als die dort aufgeführten Hilfsmittel benutzt habe. Die Gelegenheit zum vorliegenden Promotionsverfahren ist mir nicht kommerziell vermittelt worden. Insbesondere habe ich keine Organisation eingeschaltet, die gegen Entgelt Betreuerinnen und Betreuer für die Anfertigung von Dissertationen sucht oder die mir obliegenden Pflichten hinsichtlich der Prüfungsleistungen für mich ganz oder teilweise erledigt. Ich habe diese Dissertation bisher an keiner in- oder ausländischen Hochschule zur Promotion eingereicht. Weiterhin versichere ich, dass ich den beantragten Titel bisher noch nicht erworben habe. Hannover, den 07.04.2014 107