4.1.1 | 9 50 Jahre antihormonelle Therapie – was haben wir dazugelernt? W. Schultze-Seemann, Abt. Urologie, Chirurgische Universitätsklinik Freiburg i.Br. Das Prostatakarzinom ist lediglich bei organbegrenztem Wachstum ein potentiell kurabler Tumor. Erfreulicherweise konnte in den vergangenen Jahren der Anteil organbegrenzter Tumoren bei Diagnosestellung durch neuere diagnostische Verfahren wie prostataspezifisches Antigen (PSA) und transrektaler Ultraschall (TRUS) auf ca. 70% gegenüber 30–40% vor einem Jahrzehnt erhöht werden. Dennoch ist ca.1/3 der Tumoren bei Diagnosestellung fortgeschritten, weiterhin kommen stadienabhängig 20% (T2) bis 50% (T3b) der initial kurativ behandelten Neoplasmen im weiteren Verlauf in eine Tumorprogression und bedürfen dann einer palliativen Therapie. Standardtherapie seit 50 Jahren ist die antihormonelle Behandlung durch operativen (Orchiektomie) oder medikamentösen (GnRH-Analogon) Hormonentzug. Der Fortfall testikulärer Androgene führt bei der Mehrzahl der hormonabhängig wachsenden Prostatakarzinome zur Apoptose maligner Zellen, ist jedoch im Ansprechen zeitlich limitiert, so dass sekundär eine «Hormonresistenz» durch Selektion primär androgenunabhängig wachsender Zellklone (Selektionsprinzip) oder durch Adaptation an den Hormonentzug (Adaptationsprinzip) stattfindet. Die Einschätzung, dass eine Wachstumsstimulation durch adrenale Androgene für die Progression verantwortlich ist und diese durch das Prinzip der «kompletten Androgenblockade» verhindert wird, hat sich in großen Studien nicht als tragfähig erwiesen. Während eine kleine Subpopulation («minimal disease») von dieser Kombinationstherapie profitiert, ist dies bei der überwiegenden Mehrzahl der Patienten nicht nachvollziehbar. Eine Modifikation der antihormonellen Therapie stellen die «intermittierende Androgenblockade» wie die «sequentielle antihormonelle Therapie» dar. Die intermittierende Therapie sieht eine Behandlung mit einem GnRH-Analogon, ggf. in Kombination mit Antiandrogenen für 6–9 Monate vor, nach Erreichen des PSA-Nadirs erfolgt eine Therapiepause bis zum neuerlichen PSA-Anstieg. Nach mehreren Therapiezyklen tritt ebenso eine sekundäre Hormontaubheit auf. Langzeitergebnisse der intermittierenden Therapie fehlen bisher, insbesondere zur Frage, ob die Progression gegenüber einer permanenten Androgenblockade verzögert auftritt. Unbestritten ist allerdings der Gewinn an Lebensqualität im therapiefreien Intervall. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die sequentielle Androgenblockade. Dabei wird ein Antiandrogen mit einem 5-AlphaReduktasehemmer kombiniert. Ziel ist vor allem eine Erhaltung der Libido und Potenz, auch hier fehlen größere Therapieserien, insbesondere Langzeitergebnisse. Größere Beachtung haben in den vergangenen Jahren die Nebenwirkungen der antihormonellen Therapie erfahren. Zu nennen sind hier die Anämie, eine Reduktion der Muskelmasse, eine Osteoporose, Libido- und Potenzverlust, rez. Schweißneigung und z.T. gravierende psychische Veränderungen. Interessante Ansätze bieten sich hier insbesondere mit der frühzeitigen Kombination der antihormonellen Therapie mit Biphosphonaten, um sogenannte knochenassoziierten Ereignissen wie pathologischen Frakturen und Osteoporosen vorzubeugen. Nach Versagen der antihormonellen Therapie gibt es keine Standardsekundärbehandlung, alle Modalitäten (Chemo-, Radionuklid- und Immuntherapie) haben bisher zu keiner Lebensverlängerung geführt. Zusammenfassend bleibt die antihormonelle Therapie Standardbehandlung des fortgeschrittenen Prostatakarzinoms, im metastasierten Stadium sind die Ergebnisse vergleichbar denen, die Nesbit und Baum bereits 1950 publiziert haben. Modifikationen des Hormonentzugs haben bisher ihre Überlegenheit nicht bewiesen, in einzelnen Serien konnte jedoch ein Gewinn an Lebensqualität dokumentiert werden. 4.1.2 Neue pharmakologische Prinzipien der Tumortherapie 4.1.2 | 1 Orale Fluoropyrimidine H. Henß, Abt. Innere Medizin I, Hämatologie/Onkologie, Medizinische Universitätsklinik, Tumorzentrum Freiburg i.Br. Das Fluoropyrimidin 5-Fluorouracil (5-FU), ein Thymidilat-SynthetaseInhibitor (TS-Inhibitor) wird seit 1957 in der Therapie maligner Erkrankungen eingesetzt. Es hat sich als wirksame Substanz bei zahlreichen Tumorerkrankungen erwiesen. Insbesondere die Gabe als länger dauernde bzw. kontinuierliche Infusion hat zu einem verbesserten Ansprechen geführt. Dem stehen allerdings der Aufwand dieser Therapie und die Einschränkung der Lebensqualität der Patienten gegenüber. Die orale Gabe von 5-FU hat sich bisher wegen stark wechselnder Resorption und unsicherer Wirkung infolge der relativ raschen Inaktivierung durch die Dihydropyrimidindehydrogenase (DPD) nicht als sicher effektiv erwiesen. Derzeit sind einige orale Fluoropyrimidine in der klinischen Entwicklung, die durch verschiedene Modifikationen versuchen, diese Probleme unter Beibehaltung des Prinzips der TS-Inhibition zu vermeiden. Einerseits wird durch Substanzmodifikationen eine bessere Resorption erreicht, zum anderen wird versucht, durch gleichzeitige Blockierung der DPD den Wirkspiegel von FU zu verbessern. Schließlich wurden auch Prodrugs entwickelt, die gezielt erst intratumoral ihre Wirkung entfalten sollen. Uracil-Tegafur (UFT) ist ein 5-FU-Prodrug (Tegafur) in Verbindung mit einem DPD-Inhibitor (Uracil). In mehreren Studien konnte ein mit dem von 5-FU vergleichbarer Effekt bei verschiedenen Tumorentitäten nachgewiesen werden. Die Substanz ist, unter Zufügung von oraler Folsäure (Leucovorin) im Sinne einer doppelten Modulation, unter dem Namen Orzel® in Entwicklung zur Zulassung in Europa. Die empfohlene Dosis 53 Downloaded by: 88.99.70.242 - 11/2/2017 2:43:34 AM Radioakt. Quelle fährt in im Organ liegende Hohlnadeln) zur Verfügung. In den 70er Jahren hatte man mit Seed-Implantationen Erfahrung gesammelt, es wurde über einen Zeitraum von mehren Wochen eine Dosis von 90–170 Gy im Organ akkumuliert. Neben dem Strahlenschutz für Patient und Personal bestanden die Probleme bei dieser Methode v.a. in der inhomogenen Dosisverteilung im Organ, zum anderen wurden Dislokationen und Migrationen von Seeds beobachtet. Die Behandlung des Prostatakarzinoms mit radioaktiven Seeds hatte den Vorteil der einmaligen Therapie verglichen mit der wochenlangen täglichen Bestrahlung. Die Ergebnisse waren jedoch keinesfalls besser als die der konventionellen Bestrahlung. Seit Anfang der 90er Jahre hat man die Seed-Implantation mit Jod weitgehend verlassen. In neuerer Zeit werden andere Seeds (Palladium) und andere Applikationsformen für Seeds angeboten. Auch bei einer inzwischen verbesserten Implantationstechnik bleiben die Probleme der inhomogenen Verteilung der Seeds im unterschiedlich dichten Organ sowie der potentiellen Migration bestehen. Die Indikation für eine alleinige interstitielle Therapie des Prostatakarzinoms ist derzeit nicht geklärt. Während die Kombinationsbehandlung aus perkutaner Strahlentherapie plus Afterloadingboost bewusst das periprostatische Gewebe erfasst, wird bei der alleinigen interstitiellen SeedImplantation auf die Organgrenze dosiert. Eine Dosierung in das umgebende Weichteilgewebe hätte eine wesentlich höhere Belastung für Blase und Rektum zur Folge. Aktuell kann gesagt werden, dass das Prostatakarzinom in gut definierten Stadien alternativ kombiniert strahlentherapeutisch – gemeinsam mit den Urologen – oder operativ behandelt werden kann. Die Folgen der jeweiligen Therapie (Zystitis, Proktitis, Strikturen der Urethra/Potenzverlust, Harninkontinenz) sind abzuwägen. Die in jüngerer Zeit wieder angewandte alleinige interstitielle Therapie mit Seeds wird möglicherweise ihren Platz bei der Behandlung des kleinen, auf die Prostata begrenzten Karzinoms finden. 4.1.2 | 2 Topotecan in der Gynäkologischen Onkologie G. Gitsch, Abt. Frauenheilkunde und Geburtshilfe I, Universitäts-Frauenklinik Freiburg i.Br. Topotecan ist ein halbsynthetisches Zytostatikum mit einem neuartigen Wirkungsmechanismus, der darauf basiert, die Topoisomerase-I reversibel zu blockieren. Dieses im Zellkern angesiedelte Enzym interagiert mit der DNS und ist für essentielle Prozesse wie Replikation, Transkription und Reparatur notwendig. Die zytotoxische Wirkung von Topotecan beruht also auf einer Topoisomerase-I-vermittelten Schädigung der DNS. In präklinischen Studien konnte die antineoplastische Aktivität der Substanz bei unterschiedlichen Tumorzelllinien sowie bei Xeno- und Allotransplantaten gezeigt werden. In Phase-I-Studien wurde die Wirksamkeit bestätigt. Auch in Kombination mit anderen Zytostatika wurden sowohl präklinisch als auch in Phase-I-Studien interessante Ergebnisse erzielt. Die aus den Phase-I-Studien abgeleitete und empfohlene Dosierung von Topotecan beträgt 1,5 mg/m2/Tag, verabreicht als intravenöse 30minütige Infusion an 5 aufeinander folgenden Tagen mit einer Wiederholung alle 3 Wochen. Diese Anwendung erwies sich als sicher, eine Prämedikation war dabei nicht erforderlich. Die dosislimitierende Toxizität bei der Anwendung von Topotecan ist die Myelosuppression, die am häufigsten in Form einer schweren Neutropenie oder Thrombozytopenie auftritt. Diese Nebenwirkung ist jedoch vorhersehbar, reversibel und lässt sich gut beherrschen. Des weiteren liegen auch keine Hinweise auf eine kumulative hämatologische Toxizität vor. Die nichthämatologischen Nebenwirkungen sind von leichter Art, gefürchtete Nebenwirkungen wie Überempfindlichkeitsreaktionen, Neurotoxizität, kardiovaskuläre Veränderungen und Arthralgien/Myalgien traten nicht auf. Es ergaben sich keine Anhaltspunkte für Organschädigungen oder eine Veränderung der Organfunktionen. In klinischen Studien bei der Behandlung von Patientinnen mit metastasiertem Ovarialkarzinom nach Versagen einer platinhaltigen Primär- oder nachfolgender platinhaltigen Kombinationstherapie wurde die Wirksamkeit der Substanz beschrieben. Die Remissionsraten lagen hierbei zwischen 14 und 43%. Auch beim kleinzelligen Bronchialkarzinom, beim nichtkleinzelligen Bronchialkarzinom und beim Kolonkarzinom wird die Substanz eingesetzt. Aufgrund der besonderen Fähigkeit, die intakte BlutHirn-Schranke zu überwinden, erzielt man auch bei Tumoren des ZNS und bei Hirnmetastasen eine zytotoxische Aktivität. 54 4.1.2 | 3 Herceptin®: Ein Antikörper zur Behandlung des Mammakarzinoms M. Azemar, C. Unger, Klinik für Internistische Onkologie der Klinik für Tumorbiologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. Das humane HER-2/neu/ErbB-2-Rezeptor-Protein ist eine 1255 Aminosäuren lange, 185 kD schwere Tyrosin-Kinase. Beschrieben bei chemisch induzierten neuroektodermalen Tumoren der Ratte (neu) wurde ein homologes Proto-Onkogen bei Vögeln gefunden (avian erythroblastosis ErbB) aber auch beim Menschen (human EGF-Rezeptor-2: HER-2). Diese Tyrosin-Kinase gehört zu einer Familie von WachstumsfaktorRezeptoren, von denen bislang 4 beschrieben wurden: EGF-R (ErbB1), ErbB-2, 3, 4. Es wurde bisher kein Ligand für ErbB-2 gefunden. Die Bindung von Liganden an das Rezeptorprotein führt zu Heterodimeren mit ErbB-2 und damit zur Aktivierung durch Phosphorylierung von Tyrosin. Eine Überexpression von ErbB-2 findet hauptsächlich während der Embryogenese in verschiedenen Geweben statt. Bei ErbB-2-knock-out Mäusen beobachtet man eine embryonale Frühletalität durch kardiale Missbildungen. Bei erwachsenen Menschen ist die Expression von ErbB-2 in den meisten Geweben niedrig. Eine Überexpression ist bei verschiedenen Tumorerkrankungen bekannt, insbesondere bei Mamma-, Ovarial-, und Magenkarzinomen. Etwa 20–25% der Mammakarzinome überexprimieren ErbB-2. Diese Überexpression korreliert, zumindest bei nodal positiven Patientinnen, mit schlechter Prognose und Chemotherapieresistenz. Der murine monoklonale Antikörper 4D5 bindet an ErbB-2 und übt eine zytostatische Wirkung auf überexprimierende Zellen aus. Daraus wurde ein rekombinanter humanisierter Antikörper abgeleitet: Trastuzumab (Herceptin®). In einer multinationalen Studie wurden 222 Patientinnen mit metastasiertem und ausgiebig vortherapiertem Mammakarzinom mit Herceptin-Monotherapie behandelt. Dabei wurde eine objektive Ansprechrate von 15% beobachtet mit einer mittleren Ansprechdauer von 9,1 Monaten und einer medianen Überlebenszeit von 13 Monaten. Eine offene, kontrollierte, randomisierte Phase-III-Studie wurde an 469 Patientinnen durchgeführt, als Primärtherapie im metastasierten Stadium. Dabei wurde randomisiert zwischen Chemotherapie (AC oder Paclitaxel: P) versus Chemotherapie plus Herceptin (H) (s. Tabelle). Tumoren sollten in einem semi-quantitativen Test eine 2+- oder 3+-Überexpression von ErbB-2 aufweisen. Eine erhöhte Inzidenz von kardialen Dysfunktionen wurde in der Gruppe der Patientinnen beobachtet, die Chemotherapie mit Herceptin erhielten. Außerdem beobachtet man diskret vermehrt Leukopenien, Anämien, Diarrhöen und Infektionen. Herceptin wurde 1998 in den USA zugelassen, als «first line»-Therapie in Kombination mit Paclitaxel beim metastasierten Mammakarzinom oder als «second- bzw. thirdline» in der Monotherapie. H + AC AC H+P P Patientenzahl 143 138 92 96 Zeit bis zur Progression: Monate 8,1 p = 0,0003 6,1 6,0 3,0 p = <0,0001 Objektive Remissionsrate (%) 52 p = 0,1038 43 42 16 p = <0,0001 1-Jahres-Überleben (%) 83 p = 0,0415 72 60 p = 0,0975 A: Adriamycin bzw. Epirubicin, C: Cyclophosphamid. Downloaded by: 88.99.70.242 - 11/2/2017 2:43:34 AM ist 300–350 mg/m2 +150 mg/d orales Leucovorin Tag 1–28; Wiederholung alle 35 Tage. S1 ist die Kombination von Tegafur mit Kaliumoxonat (inhibiert Phosphorylierung von 5-FU im Intestinum) und 5-chloro-2,4-dihydropyridin (CDHP), ein DPD-Inhibitor, der etwa 200 × aktiver als Uracil ist. Erste Studien haben ermutigende Resultate bei Patienten mit Magenkarzinomen gezeigt. Die Dosis war bisher 80 mg/m2 2 × täglich über 4 Wochen; Wiederholung alle 6 Wochen. Cabecitabin ist eine Weiterentwicklung des oralen Prodrugs Doxifluridin und der erste Vertreter der Klasse der Fluoropyrimidin-Carbamate. Capecitabin nutzt die höhere Thymidinphosphorylase-Aktivität maligner Zellen, verglichen mit gesunden Zellen, zur selektiven Aktivierung der Wirksubstanz im Tumor aus. In klinischen Studien mit über 1400 Patienten zeigte Capecitabin deutliche Aktivität vor allem bei Patienten mit metastasiertem Kolonkarzinom und fortgeschrittenem Mammakarzinom. Die Substanz ist unter dem Namen Xeloda in den USA und der Schweiz zugelassen. Die Dosisempfehlung ist 2500mg/m2 Tag 1–14; Wiederholung alle 3 Wochen. Eniluracil ist ein potenter irreversibler Inaktivator der DPD. In Verbindung mit oralem 5-FU konnte eine deutlich verbesserte therapeutische Verfügbarkeit erreicht werden. So entsprach die AUC bei 20 mg 5-FU oral in Verbindung mit 3,7 mg/m2 Eniluracil der von 600 mg 5-FU als schnelle i.v. Bolus-Gabe. Die Nebenwirkungen der oralen Fluoropyrimidine entsprechen in etwa denen der 5-FU-Dauerinfusion. Im Vordergrund stehen Übelkeit/Erbrechen, Diarrhoe, Mucositis und Hand-Fuß-Syndrom. Grad-3- bis Grad-4Toxizitäten sind allerdings selten, insbesondere ist die Myelosuppression im Allgemeinen mild. S. Fuxius, J. Drevs, C. Unger, Klinik für Internistische Onkologie der Klinik für Tumorbiologie an der AlbertLudwigs-Universität Freiburg i.Br. Die ersten Liposome wurden 1965 hergestellt und ihre Vorteile im pharmazeutischen und pharmakologischen Bereich schnell erkannt. So lassen sich Substanzen ohne großen Aufwand in Liposomen verkapseln und weisen in dieser Formulierung verbesserte pharmakologische Eigenschaften auf. Aber erst mit der Entwicklung von stabilen Stealth-Liposomen, welche mit kurzen Polyethylenglykol-Ketten gecoated sind, gelang die klinische Weiterentwicklung. Für eine solche liposomale Formulierung bieten sich Anthrazykline besonders an. Einerseits weisen sie ein breites zytotoxisches Spektrum auf, andererseits haben sie eine hohe Nebenwirkungsrate (v.a. Kardiotoxizität). Die ersten pharmakokinetischen Daten eines liposomalen Doxorubicin (Caelyx®) aus 16 Tumorpatienten zeigten im Vergleich zum freien Anthrazyklin eine verlängerte Halbwertzeit, eine kleineres Verteilungsvolumen und eine verringerte Plasma-Clearance. Zudem fanden sich signifikant höhere DoxorubicinKonzentrationen in Tumorgeweben und Flüssigkeiten. In tierexperimentellen Untersuchungen konnte mit Caelyx® zusätzlich eine verbesserte Wirksamkeit bei reduzierter systemischer Toxizität (v.a. kardiale Toxizität) gegenüber freiem Doxorubicin gezeigt werden. In klinischen PhaseI-Studien wurde Caelyx® in Dosierungen von 20–80 mg/m2 alle 3 bis 6 Wochen geprüft. Hierbei stellten das Hand-Fuß-Syndrom und, seltener, auch die Myelosuppression die dosislimitierenden Toxizitäten dar. Kardiale Komplikationen traten unter Caelyx® auch bei einer Summendosis über 2500 mg/m2 nicht auf. Die empfohlene Dosierung liegt bei ca. 20–45 mg/m2 pro Behandlungszyklus. Aufgrund einer Phase-III-Studie beim Kaposi-Sarkom, welche signifikant mehr objektive Remissionen und eine bessere Verträglichkeit als eine Kombinationsbehandlung mit Doxorubicin, Bleomycin und Vincristin zeigte, ist Caelyx® in Europa zur Behandlung des Kaposi-Sarkoms zugelassen. In der Monotherapie des vorbehandelten Ovarialkarzinoms konnten in Phase-II-Studien Ansprechraten bis zu 24% gezeigt werden. Aufgrund dieser Datenlage ist Caelyx® seit Juli 1999 in den USA zur Behandlung des Taxol- und Platin-resistenten Ovarialkarzinoms zugelassen. Beim Ovarialkarzinom wird Caelyx® derzeit auch in der Kombination mit Paclitaxel bzw. Gemcitabine geprüft. Phase-II-Studien zum vorbehandelten, metastasierten Mammakarzinom zeigen Ansprechraten von bis zu 31%. Derzeit wird bei Patientinnen mit metastasiertem Mammakarzinom Caelyx® sowohl in der Monotherapie als auch in der Kombinationstherapie mit Cyclophosphamid gegen freies Doxorubicin geprüft. Weitere Tumorentitäten, bei denen Caelyx® klinisch geprüft wird, sind Non-Hodgkin-Lymphome und das Multiple Myelom. 4.1.2 | 5 Telomerase Inhibition: Ein neues therapeutisches Wirkprinzip in der Tumortherapie? U. Martens, Abt. Innere Medizin I, Hämatologie/Onkologie, Medizinische Universitätsklinik Freiburg i.Br. Bei der Suche nach tumorspezifischen Angriffspunkten ist die Biologie der Telomere in den vergangenen Jahren in den Blickpunkt der onkologischen Grundlagenforschung geraten. Telomere sind essentielle genetische Elemente an den Enden der Chromosomen und bestehen aus sich tausendfach wiederholenden Hexanukleotidsequenzen mit der Basenfolge TTAGGG. Die Anzahl der Telomersequenzen ist variabel und beträgt beim Menschen 2–15 kb [1]. Die Synthese der Telomere erfolgt in der Regel durch Telomerase, einem multimerischem Enzymkomplex mit reverser Transkriptase-Aktivität. Da Telomeraseaktivität in den meisten normalen somatischen Zellen fehlt und die Enden der Chromosomen nicht komplett repliziert werden können, kommt es zu einer progredien- 56 ten Telomerverkürzung mit zunehmenden Zellteilungen in vitro und in vivo. Mittlerweile kann als gesichert angesehen werden, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem progredienten Telomerverlust und replikativem Altern besteht [2]. Dabei wird vermutet, dass eine kritisch kurze Telomerlänge in einer Zelle den Austritt aus dem Zellzyklus bzw. Apoptose über DNA-Checkpoint-Kaskaden induziert. Im Gegensatz zu normalen somatischen Zellen zeigen 80–90% aller Tumorzellen hohe Telomeraseaktivität [3]. Die hohe Aktivität ermöglicht den Tumorzellen, den Verlust von Telomersequenzen zu kompensieren, wodurch die limitierte Lebensspanne aufgehoben wird und ein immortaler Phänotyp entsteht. Da der Telomererhalt eine essentielle Voraussetzung für die Proliferation von Tumoren darstellt, erscheint das nahezu universale Prinzip der Telomerase Aktivierung eine Art «Achilles-Ferse» von Tumorzellen darzustellen [4]. Daher ist es gerechtfertigt, die Inhibition dieses Enzyms als ein mögliches neues Wirkprinzip in der Tumortherapie anzusehen, um die Lebensspanne von malignen Zellen zu begrenzen bzw. den replikativen Altersprozess zu reaktivieren. Bislang sind jedoch noch keine wirksamen Telomeraseinhibitoren identifiziert worden. Allerdings zeigen erste Ansätze mit Expression von Antisense-Konstrukten der katalytischen Komponente von Telomerase beachtliche antitumorale Effektivität sowohl in vitro als auch in vivo (Nacktmaus) [5, 6]. Dabei führt die Telomerase-Inhibition in den Tumorzellen zu einer kritischen Telomerverkürzung, die schließlich über Induktion von Apoptose die zelluläre Lebensspanne limitiert. Im Hinblick auf einen potentiellen klinischen Nutzen von Telomerase-Inhibitoren muss jedoch berücksichtigt werden, dass das Zeitintervall des Tumorresponse von der Telomerlänge des Tumors abhängig ist, d.h. Tumoren mit sehr kurzen Telomeren würden ein unmittelbares Ansprechen zeigen, bei Tumoren mit relativ langen Telomeren würde ein antiproliferativer Effekt erst mit einiger Verzögerung eintreten, so dass dieses Wirkprinzip bei massivem Tumorbefall initial von untergeordneter Bedeutung wäre. Der Einsatz von Telomeraseinhibitoren wäre ferner denkbar als synergistisches Wirkprinzip in Kombinationschemotherapien sowie als adjuvante Chemotherapie oder Erhaltungstherapie zur Elimination minimaler residueller Zellen. Zusammenfassend erfüllt Telomerase viele Eigenschaften eines idealen Tumortargets. Die kritische Durchsicht der vorliegenden präklinischen Daten lässt auf ein neues wirksames Therapieprinzip in der Tumortherapie bei Entwicklung von geeigneten Telomeraseinhibitoren hoffen. Referenzen: 1 Martens, et al: Nature Genetics 1998;18:76. 2 Bodnar, et al: Science 1998;279:349. 3 Kim, et al: Science 1994;266:2011. 4 Hahn, et al: Nature 1999;400:464. 5 Hahn, et al: Nature Medicine 1999;5:1164. 6 Zhang, et al: Genes & Development 1999;13:2388. 4.1.2 | 6 Apoptose und Signaltransduktion in der Tumorbiologie. Wirkmechanismen etablierter und experimenteller Therapien C. Grüllich, Abt. Innere Medizin I, Hämatologie/Onkologie, Medizinische Universitätsklinik Freiburg i.Br. Unter Apoptose verstehen wir einen Prozess bei dem Zellen in kontrollierter Weise nach einem internen Programm Kern und Organellen proteolytisch degradieren. Die Apoptose ist ein Mechanismus, mit dessen Hilfe sich mehrzellige Organismen sowohl im Rahmen ihrer embryonalen Entwicklung überflüssig gewordener Zellen, als auch im adulten Zustand potentiell für den Organismus schädlicher Zellen entledigen. Wichtige Beispiele dafür sind das Immunsystem und die Entfernung von potentiellen Tumorzellen. Hierbei werden im Wesentlichen zwei Signalmechanismen unterschieden, eine interne Maschinerie, welche im Falle irreparabler DNS-Defekte den Zelltod herbeiführt, und eine durch zellmembranständige Rezeptoren aktivierbare Kaskade. Exemplarisch für den ersteren Mechanismus ist der p53-abhängige Pfad, für den zweiten die Transduktion via Rezeptoren der TNF-Familie (TNF-R1, Fas, TRAIL-R). Beide Mechanismen bedienen sich teilweise der gleichen Maschinerie. Downloaded by: 88.99.70.242 - 11/2/2017 2:43:34 AM 4.1.2 | 4 Liposomales Doxorubicin (CAELYX®): Von der Präklinik zur klinischen Anwendung 4.1.2 | 7 Tumorangiogenese: Ein neuer therapeutischer Ansatz in klinische Studien J. Drevs, S. Fuxius, C. Unger, Klinik für Internistische Onkologie der Klinik für Tumorbiologie an der AlbertLudwigs-Universität Freiburg i.Br. Vor etwa 25 Jahren postulierte Judah Folkman, dass das Wachstum solider Tumoren von der Neubildung von Blutgefäßen abhängig ist. In den vergangenen Jahren konnte gezeigt werden, dass sich ein Tumor bis zu einer Größe von 2–3 mm3 durch Diffusion versorgen kann. Weiteres Tumorwachstum setzt den sog. «angiogenic switch» voraus, welcher zu einer Verschiebung des Gleichgewichts zwischen pro-angiogenen und anti-angiogenen Faktoren zugunsten der Angiogenese führt. Die daraus resultierende Migration und Proliferation der Endothelzellen stellt die Voraussetzung für den weiteren Progress und die Metastasierung maligner Erkrankungen dar. Eine Vielzahl der an der Tumorangiogenese beteiligten Faktoren konnte bisher identifiziert werden. Sie stellen vielversprechende Ansatzpunkte in der Strategie der anti-angiogenen Behandlung dar. Inhibitoren der Tumorangiogenese, die klinisch geprüft werden, lassen sich nach ihren Wirkmechanismen in vier verschiede Gruppen unterteilen. Metalloproteinase (MMP)-Inhibitoren unterbinden die Matrix-Degradation, welche durch proteolytische Enzyme der Endothelzellen ausgelöst wird und die Voraussetzung für ihre Migration darstellen. MMPInhibitoren wie Marimastat, AG3340 und Neovastat werden derzeit bereits in klinischen Phase-III-Studien geprüft. Für direkte Inhibitoren der Endothelzellproliferation wie TNP-470, Thalidomid oder Endostatin, welche aktuell in Phase-I/II-Studien geprüft werden, ist der eigentliche Wirkmechanismus unbekannt. Ein weitere Gruppe von Inhibitoren der Tumorangiogenese setzt an den pro-angiogenen Wachstumsfaktoren an. Hierbei handelt es sich um Tyrosinkinase-Inhibitoren (PTK787/ZK 222584, SU5416, SU6668) die das Rezeptorsignal in der Endothelzelle unterbinden oder um Antikörper gegen Wachstumsfaktoren (Anti-VEGFAntikörper). Substanzen mit unspezifischen Mechanismen in der Hemmung der Tumorangiogenese sind CAI (Hemmung des Calcium Influx), Interleukin-12 und IM862. Allen Inhibitoren der Tumorangiogenese gemeinsam ist der therapeutische Ansatz an der Tumorendothelzelle. Daraus resultiert die Hoffnung auf einen selektiven und nebenwirkungsarmen Ansatz ohne Resistenzentwicklung. Allerdings fanden sich in einigen klinischen Prüfungen unerwartet Toxizitäten. Wie auch in tierexperimentellen Versuchen konnten in der klinischen Anwendung bei einzelnen Substanzen Remissionen beobachtet werden. In der Mehrzahl wurden allerdings Krankheitsstabilisierungen erreicht. 4.1.3 Problematik der genetischen Information über das Krebsrisiko 4.1.3 | 1 Problematik der genetischen Information über das Krebsrisiko – die Sicht des Klinikers D.G. Kieback, Abt. Frauenheilkunde und Geburtshilfe I, Universitäts-Frauenklinik Freiburg i.Br. In unserer Region erkrankt etwa eine von 10 Frauen im Laufe ihres Lebens an einem Mammakarzinom, etwa eine von 100 Frauen an einem Ovarialkarzinom. Bei der Mehrzahl der Betroffenen handelt es sich um sporadische Erkrankungsfälle. Nur etwa 5–10% der Mamma- und Ovarialkarzinome sind auf Keimbahnmutationen in prädisponierenden autosomal dominant erblichen Genen zurückzuführen. Die Gene BRCA1 und BRCA2 sind für etwa die Hälfte der erblichen Mammakarzinome verantwortlich. Eine Mutation in einem dieser beiden Gene führt zu einem stark erhöhten Risiko für das Auftreten von Mamma- und Ovarialkarzinom sowie zu einem erhöhten Risiko für Malignome in anderen Organen. Mutationen in anderen Genen wie TP53, PTEN sind nur für einen sehr kleinen Anteil der erblichen Mammakarzinome verantwortlich. Die Nutzung genetischer Information im klinischen Kontext ist damit in der gynäkologischen Onkologie gegenwärtig nur in beschränktem Umfang möglich, da lediglich ein geringer Anteil von Krebserkrankungen durch einen derzeit bekannten genetischen Risikofaktor verursacht wird. Für Risikopersonen aus Familien mit bekannter genetischer Disposition eröffnen sich jedoch neue Möglichkeiten der Risikoabschätzung und Prävention. Für eine bessere Nutzung genetischer Information ist es aus klinischer Sicht erforderlich, dass die Bedeutung der bekannten genetischen Risikofaktoren (z.B. Genotyp- Phänotypbeziehung) genauer abgeklärt wird. Auf der Basis der BRCA1/2-Diagnostik sollten im Rahmen von Beratungszentren Konzepte für Interventionsstudien entwickelt werden, um für Betroffene präventive Konzepte zu entwickeln und damit die beängstigende genetische Information positiv umzusetzen. Für eine breitere Nutzung genetischer Information ist es erforderlich, dass weitere genetische Faktoren charakterisiert werden, die für die individuelle Risikoabschätzung, Prognosebeurteilung, Entscheidungen zur präventiven Intervention und zukünftig auch für die Therapiewahl herangezogen werden könnten. 4.1.3 | 2 Problematik der genetischen Information über das Krebsrisiko – die Sicht des Humangenetikers G. Wolff, Institut für Humangenetik und Anthropologie, Universitätsklinikum Freiburg i.Br. In der Praxis der genetischen Beratung hat das Gespräch über familiäre Tumorerkrankungen und das hierbei bestehende individuelle Krebsrisiko schon immer eine bedeutsame Rolle gespielt. Das Auffinden von Krebsgenen und krankheitsverursachenden Mutationen in diesen Genen eröffnet jedoch eine neue Dimension der Spezifizierung und Individualisierung dieser genetischen Risiken und damit einer je nach Krankheit unterschiedlich effektiven Prävention bzw. Therapie. Die individuelle, familiäre und psychosoziale Bedeutung eines erhöhten Krebsrisikos sowie der in vielen Fällen nicht unmittelbar evidente Nutzen einer genetischen Diagnostik lassen es jedoch geboten erscheinen, die ansonsten gültigen Prinzipien der genetischen Beratung, so wie sie auch in verschiedene Richtlinien und Stellungnahmen eingeflossen sind (z.B. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik zur Entdeckung der Brustkrebsgene 1995, Richtlinien der Bundesärztekammer 57 Downloaded by: 88.99.70.242 - 11/2/2017 2:43:34 AM Die Haupteffektoren des apoptotischen Apparats werden von Caspase (Cysteine-Asparagin-Protease) genannten Proteasen gestellt. Gesteuert wird die Aktivität der Caspasen von einer Vielzahl pro- und antiapoptotischer Faktoren. Hierzu gehören im Wesentlichen: Mitglieder der Bcl-2Familie, Protein-Kinasen und «Lipid Second Messenger». In Tumorzellen überwiegen die anti-apototischen Faktoren, viele Onkogene haben ausgeprägte antiapoptotische Funktionen (z.B. bcl-2, ras, myc). Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die etablierten zytostatischen Substanzen neben ihren bisher bekannten Wirkungsmechanismen aktiv in apoptotische Prozesse eingreifen. So konnte in vitro nach Inkubation mit vielen zytostatischen Substanzen erhöhte Caspase-Aktivität in Tumorzellen gefunden werden. Für Anthrazykline z.B. konnte ein Mechanismus gezeigt werden, bei welchem durch den intrazellulären Anstieg von freien Sauerstoffradikalen und die Schädigung von Mitochondrien Apoptose induziert wird. Taxane und Vinca-alkaloide dagegen induzieren Apoptose über eine Inaktivierung des bcl-2-Onkogens durch Phosphorylierung. Experimentelle Therapiestrategien richten sich bereits auf Modulation von apoptotischen Faktoren. Klinische Studien mit Inhibitoren gegen ras oder Protein-Kinase-C werden bereits durchgeführt und weitere Substanzen befinden sich in der Entwicklung.