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Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie
von
Fritz H. Kayser, Erik Christian Böttger, Rolf M. Zinkernagel
12., überarb. Aufl.
Thieme 2010
Verlag C.H. Beck im Internet:
www.beck.de
ISBN 978 3 13 444812 2
Zu Inhaltsverzeichnis
schnell und portofrei erhältlich bei beck-shop.de DIE FACHBUCHHANDLUNG
10.4 Leishmania-Arten
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Moskitonetze (s. Malaria, S. 606) sowie Unterbindung der Erregerübertragung bei
Bluttransfusionen und Organtransplantationen. Bekämpfung der Vektoren mit
Insektiziden. Bekämpfungsmaßnahmen haben in den letzten Jahren die Infektionsraten in einigen Ländern stark reduziert (Argentinien, Bolivien, Brasilien,
Chile, Paraguay, Uruguay).
10.4
Leishmania-Arten
Erreger der Leishmaniose
Verschiedene, durch Sandmücken (Familie Psychodidae) übertragene LeishmaniaArten verursachen in warmen Regionen beim Menschen viszerale, kutane und mukokutane Leishmaniosen. In Mitteleuropa hat die Leishmaniose als Importkrankheit
sowie als HIV-assoziierte Infektion praktische Bedeutung.
Vorkommen. Verschiedene Formen der Leishmaniose kommen in warmen Regionen von 88 Ländern in Asien, Afrika, Europa und Lateinamerika vor (Abb. 10.6). Für
Europa ist das Endemiegebiet von Leishmania infantum im Mittelmeerraum am
wichtigsten.
Erreger und Entwicklung. Die zahlreichen (etwa 15) humanpathogenen Arten
der Gattung Leishmania sind morphologisch einheitlich. Die Differenzierung
von Arten, Unterarten und Stämmen erfolgt durch Isoenzym- oder DNA-Analyse
unter Berücksichtigung der Krankheitsbilder sowie biologischer und epidemiologischer Kriterien (Tab. 10.3, S. 571).
Im Menschen und Wirbeltier parasitieren die Leishmanien in mononukleären,
phagozytischen Zellen (Makrophagen, Monozyten, Langerhans-Zellen) als amastigote Stadien. Sie sind lichtmikroskopisch nach Giemsa-Färbung als rundovale Zellen von 2–5 μm Durchmesser mit einem Zellkern und einem kleinen, stäbchenförmigen Kinetoplasten erkennbar (Abb. 10.7). Elektronenmikroskopisch werden
außerdem eine rudimentäre Geißel, ein einzelnes Mitochondrion und andere Zellorganellen sichtbar (s. auch Trypanosoma).
Die beim Menschen parasitierenden Leishmanien werden durch weibliche
Sandmücken (englisch sand flies) der Gattungen Phlebotomus (Alte Welt) oder Lutzomyia (Neue Welt) übertragen (Abb. 10.8). Die beim Blutsaugen an einem infizierten Wirt in die Insekten gelangten amastigoten Stadien wandeln sich im Darm der
Überträger in 10–15 μm lange, schlanke, begeißelte promastigote Formen um, die
sich extrazellulär vermehren und schließlich in den Stechrüssel einwandern. Diese
Entwicklung dauert bei tropischen Temperaturen 5–8 Tage. Bei einer weiteren
Blutmahlzeit infizierter Mücken gelangen die promastigoten Formen aus dem
Stechrüssel in einen neuen Wirt (Wirbeltier, Mensch). Dort koppeln sie mit Hilfe
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Leishmania infantum
Leishmania donovani
Leishmania chagasi
a
b
10
Leishmania tropica
Leishmania major
Leishmania major und L. tropica
Leishmania aethiopica
Leishmania-Arten der Neuen Welt
Abb. 10.6 Verbreitung von Leishmaniosen. a Viszerale Leishmaniosen, b kutane und
mukokutane Leishmaniosen. (Nach Bryceson ADM. In: Cook GC, ed. Manson’s Tropical
Diseases. 20th ed. London: Saunders, 1996: 1217–1219)
von Rezeptoren an Makrophagen an, werden danach phagozytiert und in ein Phagolysosom eingeschlossen, wo sie vor der Wirkung lysosomaler Enzyme u. a. durch
Substanzen in ihrer Zellmembran geschützt sind. In kurzer Zeit (12–14 h) wandeln
sich die promastigoten in amastigote Stadien um, die innerhalb des Phagolysosoms
in einer parasitophoren Vakuole eingeschlossen sind; sie vermehren sich durch
Zweiteilungen. Die amastigoten Stadien werden freigesetzt und infizieren neue
Zellen.
Krankheitsbild und Immunologie. Die wichtigsten Leishmaniose-Formen des
Menschen sind in Tab. 10.3 zusammengestellt. Bei kutanen Leishmaniosen bleiben
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10.4 Leishmania-Arten
571
Tabelle 10.3 Leishmaniose-Formen des Menschen (Auswahl)
Zeichenerklärung: ER: Erregerreservoir; Ü: Überträger
Viszerale Leishmaniose
Hauptlokalisation: Innere Organe, seltener Haut.
meist 3 - 6 Monate, auch wenige Wochen bis Jahre.
Inkubation:
Fieber, Spleno- und Hepatomegalie, Hypergammaglobulinämie,
Leitsymptome:
progrediente Anämie.
L. donovani in Asien: Indien, Bangladesh, südliches Nepal. Vorwiegend bei Erwachsenen. Wird auch als Kala-Azar1 bezeichnet. ER: Mensch. Ü: Phlebotomus-Arten.
In Afrika: Hauptsächlich Sudan, Äthiopien, Kenia. ER: Mensch, Hund (Feliden,
Nager?)2. Ü: Phlebotomus-Arten.
L. infantum: Mittelmeerraum (Iberische Halbinsel bis Türkei, Nordafrika), Mittlerer
Osten und Zentralasien, China. Bei Kindern und Erwachsenen; selten Hautmanifestation. ER: Hund, evtl. Wildkaniden, Ratte Ü: Phlebotomus-Arten.
L. chagasi:3 Mittel- u. nördl. Südamerika. Vorwiegend bei Jugendlichen. ER: Hund,
Fuchsarten, Opossumarten. Ü: Lutzomyia-Arten.
Kutane Leishmaniose
Hauptlokalisation: Haut.
Wochen bis Monate.
Inkubation:
Solitäre oder multiple, trockene, später evtl. geschwürig zerfalLeitsymptome:
lende Papeln in der Haut; selten Ausbreitung in Lymphgefässe
und Lymphknoten. Heilung unter Narbenbildung. Solide Immunität bei L. major- und L. tropica-Infektion.
L. major (Orientbeule): Nordafrika, Mittlerer Osten, Sahelzone, Westasien. „Feuchte“,
„ländliche“ oder „zoonotische“ Form. Schnelle Vergrösserung der Hautläsion, später
geschwüriger Zerfall und Heilung innerhalb von 6 Monaten. ER: Nagetiere.
Ü: Phlebotomus-Arten.
L. tropica (Orientbeule): Mittelmeerraum, Südwest-Asien bis Indien. „Trockene“,
„städtische“ oder „anthroponotische“ Form. Entwicklung und Persistenz der Läsion
länger als bei L. major. ER: Mensch. Ü: Phlebotomus-Arten.
L. aethiopica: Äthiopien, Kenia. ER: Klipp- und Buschschliefer. Ü: Phlebotomus-Arten.
Amerikanische Haut- und Schleimhautleishmaniose
Hauptlokalisation: Haut, Schleimhaut.
Leitsymptome:
Hautveränderungen ähnlich der kutanen Leishmaniose, bei
einigen Formen Tendenz zur Ausbreitung in Schleimhäute und zu
starker Gewebezerstörung.
Fußnoten s. S. 572
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572 10 Protozoen
Tabelle 10.3
(Fortsetzung)
L. mexicana- Komplex: Südl. USA (Texas), Zentralamerika und nördl. Südamerika.
Verschiedene Unterarten des Erregers. Destruktive kutane Form. ER: Waldnager.
Ü: Lutzomyia-Arten.
L. braziliensis-Komplex: Zentral- und Südamerika. Verschiedene Unterarten des Erregers. Mukokutane Form („Espundia“). ER: Waldnager, Faultier, Opossum. Ü: Lutzomyia-Arten.
L. peruviana: Peru (Anden). Kutane Form („Uta“). ER: Hund. Ü: Lutzomyia-Arten.
1
Kalar-Azar = Schwarze Krankheit (wegen Hyperpigmentierung der Haut durch die
Infektion). 2 In Klammern mit Fragezeichen: Bedeutung fraglich. 3 L. chagasi (Syn. L.
infantum), wurde aus Europa nach Südamerika vermutlich mit Hunden eingeschleppt.
a
Abb. 10.7 Leishmanien. a Leishmanien in einem Makrophagen. b Leishmania infantum in einem Makrophagen; Giemsa-Färbung eines Knochenmarkausstrichs.
10
die Erreger im Allgemeinen auf die Haut beschränkt. Die Läsionen können zwar
lange persistieren, neigen aber zur Selbstheilung. Einige Formen der Haut- und
Schleimhautleishmaniosen haben die Tendenz zur Ausbreitung in tiefere Gewebschichten und zu destruktiven Veränderungen. Bei viszeralen Leishmaniosen
können die Erreger das mononukleäre Phagozytensystem in verschiedenen inneren Organen (u. a. Milz, Leber, Lymphknoten, Knochenmark) und seltener auch in
der Haut befallen und entsprechende Läsionen verursachen.
Der Infektionsverlauf hängt von der Aktivierung verschiedener Subpopulationen von T-Lymphozyten durch Leishmania-Antigene ab. Die Aktivierung von
TH1-Zellen ist mit der Produktion von INF-γ verbunden, das Makrophagen aktiviert, die eine Schutzwirkung vermitteln. Hingegen werden bei der Aktivierung
von TH2-Zellen größere Mengen IL4 und IL10 gebildet, die auf die Makrophagenaktivierung und die TH1-Akivitäten hemmend wirken und damit die Elimination
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10.4 Leishmania-Arten
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2
3
7
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Abb. 10.8 Leishmania infantum: Entwicklungszyklus. 1 Inokulation von promastigoten Stadien durch Sandmücke; 2 Invasion von Zellen durch Erreger (Langerhans-Zellen,
dendritische Zellen, Makrophagen); 3 amastigote Form in parasitophorer Vakuole eines
Makrophagen; 4 Vermehrung amastigoter Formen in einem Makrophagen; 5 Aufnahme
amastigoter Formen beim Blutsaugen durch Sandmücke; 6 Umwandlung in promastigote
Form und Vermehrung im Insekt; 7 Hund als Reservoirwirt.
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von Leishmanien einschränken oder verhindern. Außerdem kommt es zu einer
starken polyklonalen B-Zell-Aktivierung und einer erhöhten Produktion spezifischer Antikörper. Die Antikörper spielen bei der Abwehr der Leishmanien keine
wesentliche Rolle, sie sind jedoch durch Bildung von Immunkomplexen an der Pathogenese beteiligt.
Bei Immundefizienz (z. B. bei HIV-Infektion) kann eine latente LeishmaniaInfektion exazerbieren und einen fulminanten, symptomatischen Verlauf nehmen.
In Endemiegebieten ist für AIDS-Patienten das Risiko einer Infektion mit Leishmanien stark erhöht. Die meisten der von 1990 bis 1999 in 31 Ländern erfassten
AIDS-assoziierten Leishmaniose-Fälle (> 80 % Männer) sind aus Endemiegebieten
von L. infantum im südwestlichen Europa (Italien, Frankreich, Spanien, Portugal)
gemeldet worden (WHO, 2004). In anderen Regionen wurden HIV-Koinfektionen
mit weiteren Leishmania-Arten gefunden (z. B. L. donovani, L. braziliensis, L. tropica).
Epidemiologie. Kurze Hinweise zur Epidemiologie finden sich in Tab. 10.3. In
Mitteleuropa verdient die Leishmaniose als Reisekrankheit Beachtung, vor allem
die aus Mittelmeerländern importierte viszerale, durch L. infantum verursachte
Leishmaniose. Gelegentlich treten in verschiedenen Regionen große Epidemien
von viszeraler Leishmaniose auf, z. B. im südlichen Sudan mit 100 000 Todesfällen
in einer Bevölkerung von < 1 Million (WHO, 2000).
10
Diagnose. Die Diagnose der viszeralen Leishmaniosen erfolgt durch Erregernachweis in Punktatmaterial von Lymphknoten oder Knochenmark (bei HIV-Patienten
auch in der angereicherten Leukozytenfraktion des Blutes). Die Erreger werden in
Giemsa-gefärbten Ausstrichen (unsicher!), in Kulturen (in denen sich Promastigote entwickeln) oder durch die PCR nachgewiesen. Kultur und PCR haben eine hohe,
etwa gleichwertige Sensitivität. Ferner sind im Serum eines großen Teiles der immunkompetenten Patienten (um 99 %) spezifische Antikörper nachweisbar, aber
40–50 % der Patienten mit HIV-Koinfektion sind seronegativ.
Bei den Hautleishmaniosen wird die Diagnose meist klinisch gestellt. Die ätiologische Verifizierung erfolgt durch Erregernachweis (s. o.) in Ausstrichen und/
oder Probeexzisaten aus den Randgebieten der veränderten Hautbezirke. Nur
bei einem kleinen Teil der Fälle lassen sich serologisch spezifische Antikörper
nachweisen.
Therapie und Prophylaxe. Standardbehandlung der viszeralen Leishmaniose bisher parenteral mit Antimonpräparaten (u. a. Glucantime; langwierig, oft Nebenwirkungen), zum Teil in Kombination mit Pentamidin, Amphotericin B oder Allopurinol. Neuerdings perorale Applikation von Miltefosin, das hochwirksam und
gut verträglich ist und auch bei Kindern und HIV-Patienten mit viszeraler Leishmaniose eingesetzt werden kann. Miltefosin wirkt auch gegen verschiedene Formen von kutaner Leishmaniose. Eine wirksame Chemoprophylaxe gibt es bisher
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10.5 Entamoeba histolytica und andere Darmamöben
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nicht. Wichtig ist daher der Schutz vor den Stichen der Sandmücken mit kleinmaschigen, insektizidimprägnierten „Moskitonetzen“ (S. 606). Die Überträger werden mit Insektiziden und durch Beseitigung ihrer Brutstätten bekämpft.
10.5
Entamoeba histolytica und andere
Darmamöben
Erreger der Amöbose (Amöbiasis, Entamöbose)
Entamoeba histolytica ist als Erreger der weltweit verbreiteten, vor allem in warmen
Ländern häufigen Amöbose von großer Bedeutung. Die vegetativen Stadien (Trophozoiten) von E. histolytica leben im Dickdarm und bilden enzystierte Stadien (Zysten),
die mit den Fäzes ausgeschieden werden. Durch Zysten wird die Infektion von Mensch
zu Mensch übertragen. Die Trophozoiten von E. histolytica können in die Darmwand
eindringen und auf dem Blutweg in die Leber sowie in andere Organe gelangen und
verschiedene Formen der Amöbose verursachen, am häufigsten die invasive Darmamöbose („Amöbenruhr“) und die Leberamöbose („Amöbenleberabszess“). Die Diagnose der Darminfektion erfolgt durch Erregernachweis im Stuhl; bei invasiven, intestinalen oder extraintestinalen Infektionen mit E. histolytica lassen sich spezifische
Antikörper im Serum nachweisen. Morphologisch ist E. histolytica von der apathogenen Entamoeba dispar nicht unterscheidbar (Sammelbegriff für beide Arten: E. histolytica/E.dispar-Komplex).
Vorkommen. Weltweit sind ungefähr 500 Millionen Menschen mit E. histolytica/
E. dispar infiziert. Dabei ist die Prävalenz von E. dispar etwa 10 mal höher als die
von E. histolytica. E. histolytica verursacht jährlich etwa 40 Millionen Krankheitsfälle, davon 40 000-100 000 mit letalem Ausgang. Die höchsten Prävalenzen von
E. histolytica/ E. dispar findet man in warmen Regionen mit niedrigem Hygienestandard. In den USA und Europa sind bis 4 % der Bewohner Träger dieser Amöbenarten. Höhere Prävalenzen von E. histolytica/ E. dispar wurden in Risikogruppen
festgestellt (u. a. männliche Homosexuelle, Immigranten aus Endemiegebieten).
Erreger. Erreger der Amöbose ist die pathogene Entamoeba histolytica. Diese Art
und die apathogene E. dispar sind morphologisch identisch, sie lassen sich aber
durch Zymodem- und DNA-Analysen sowie mit Hilfe monoklonaler Antikörper
unterscheiden. Beide Arten treten in Form von Trophozoiten (= vegetative Stadien)
und Zysten auf (Abb. 10.9 und 10.10).
&
Die Trophozoiten von E. histolytica sind Zellen von variabler Form und Größe
(10–40 μm), die meist ein einziges, breites Pseudopodium (= Ausstülpung von
Zellmembran und Zytoplasma) bilden, das rasch in Bewegungsrichtung ausgestülpt wird. Charakteristisch für die Gattung Entamoeba ist der im gefärbten
Präparat ringförmig erscheinende Kern mit zentralem Kernkörperchen und
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