Einer der umstrittensten Bereiche der Tierverhaltensforschung ist

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VORBEMERKUNG
E
iner der umstrittensten Bereiche der Tierverhaltensforschung ist die
Erforschung des tierischen Gehirns – seiner Beschaffenheit und seines Inhalts. Forscher vieler Disziplinen fragen sich z.B. „Wie ist es, ein bestimmtes Tier zu sein?“, „Wie ist es, dieses Tier zu sein?“ und „Was wissen
Tiere über sich selbst, über andere und über ihre Umwelt?“
Dieser Teil des Buches, EMOTIONEN, KOGNITION UND TIERISCHES SELBST,
behandelt zuerst die Emotionen, weil ein weit verbreitetes Interesse daran besteht, was Tiere fühlen und wie sie ihre Gefühle ausdrücken. Für das Verständnis, warum zahllose Menschen enge Bindungen zu Tieren aufbauen
können und weshalb wir uns überhaupt damit beschäftigen, wie Tiere behandelt werden, ist es wichtiger zu erkennen, was sie fühlen, als was sie wissen.
Die vier Essays in diesem Teil spiegeln mein langjähriges Interesse am
Bewusstsein von Tieren wider und bieten eine umfassende und interdisziplinäre Übersicht über die wichtigsten wissenschaftlichen Fragen der kognitiven
Verhaltensforschung. Darunter versteht man die vergleichende, evolutionäre
und ökologische Erforschung des Bewusstseins von Tieren und schließt die
Begriffe der Denkprozesse, der Anschauungen, der Rationalität, der Informationsverarbeitung und der Selbstreflektion mit ein. Diese Essays bauen
thematisch aufeinander auf, obwohl sie nicht in der Reihenfolge ihrer Entstehung angeordnet sind. Ich präsentiere außerdem Material, dass sich auf die
Verwendung dessen konzentriert, was ich die beiden A-Wörter nenne, nämlich den Anthropomorphismus (im Grunde bezeichnet dies, Tieren menschliche Eigenschaften zuzuweisen) und die Anekdoten zur Erklärung des Bewusstseins, der Emotionen, des Selbstbewusstseins und der Empathie von
Tieren. Das alles sind kontrovers diskutierte Themen unter Wissenschaftlern
und Nichtwissenschaftlern.
Beim erneuten Lesen dieser Essays stelle ich fest, dass die meisten der
darin vorgestellten Ideen (wenn nicht gar alle) für Jahrzehnte in meinem
Geist und meinem Herzen präsent waren. Sie tauchen ab Mitte der 1970er
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in einigen meiner Essays auf; zu jener Zeit, als ich ernsthaft über die Art und
Weise nachzudenken begann, wie Hunde, Kojoten und Füchse ihre Absicht
mitteilen, ein Sozialspiel zu beginnen (siehe auch Teil III dieses Buches). Ich
hatte jedoch noch nicht mit den Philosophen Dale Jamieson und Colin Allen zusammen gearbeitet, daher war meine Argumentation in einigen Bereichen nicht besonders klar oder schlüssig. Als ich Dale traf, war ich bereit für
einen umfassenden und tiefgehenden interdisziplinären Meinungsaustausch
über tierische Kognition, Emotionen von Tieren und Geistesphilosophie und
darüber, wie das Bewusstsein das individuelle Wohlbefinden beeinflussen
kann. Dale und ich fanden unsere gemeinsame Arbeit so anregend, dass wir
die Grundzüge unseres zweibändigen Werks INTERPRETATION AND EXPLANATION IN THE STUDY OF ANIMAL BEHAVIOR bei einem Mittagessen auf einem
Parkplatz entwarfen. Einen Großteil unserer Arbeit verrichteten wir, während
wir Margaritas tranken und auf langen Wanderungen mit unseren Hunden
Grete und Jethro, die unsere Überlegungen scheinbar langweilig fanden, denen wir jedoch trotzdem diese Bücher widmeten.
Was ich besonders interessant und wichtig finde, ist, wie meine eigenen
und die Vorstellungen anderer sich über die Jahre geändert haben. Dies erfolgte aufgrund (1) der Ansammlung von Vergleichsdaten für unterschiedliche Organismen, denen viele meiner Kollegen extrem ungern Bewusstsein
zusprechen würden, (2) der weit verbreiteten Akzeptanz der Unausweichlichkeit der Vermenschlichung und (3) der Beeinflussung der Theorie durch
philosophische Diskurse, gesunden Menschenverstand sowie volkstümliche
und psychologische Erklärungen.
Die A-Wörter: Anekdoten und Anthropomorphismus
Keines dieser A-Wörter wird später noch explizit erörtert, daher möchte ich kurz erklären, warum Anekdoten und Anthropomorphismus häufig genutzt werden, um das Feld der kognitiven Verhaltensforschung zu diskreditieren.
Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten zu beschreiben, was Tiere tun.
Wie jemand zusammenfasst, was Tiere sehen, hören oder riechen, hängt von
den Fragen ab, für die sich derjenige interessiert. Es gibt mehr als eine korrekte Art zu beschreiben oder zu erklären, was Tiere tun oder fühlen.
Anekdoten oder Geschichten prägen die Sicht der Menschen auf Tiere.
Einige meiner Kollegen mögen keine Anekdoten oder ignorieren sie, da diese „lediglich Geschichten“ mit geringer oder gar ohne jegliche Substanz sind;
es sind keine harten Fakten. Obwohl ein Großteil unserer Theorie über die
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Entwicklung des Verhaltens auf mehr oder weniger guten Geschichten beruht, haben nur wenige Menschen Einwände gegen die Abhängigkeit von
Anekdoten; vielleicht weil die zu Grunde liegende, alle einigende Theorie der
natürlichen Auslese allgemein akzeptiert wird.
Anekdoten sind wichtig für die Erforschung des Verhaltens, da sie viel
zur Wissenschaft beitragen. Durch die Sammlung immer weiterer Geschichten über gezeigtes Verhalten entwickeln wir eine solide Datenbank, die verwendet werden kann, um weitere empirische Forschungen anzustoßen und,
ja, weitere Geschichten zu hören.
Der Plural von Anekdote lautet Daten. Stephen J. Gould betont in seinem Vorwort zum Buch THE SMILE OF A DOLPHIN die Bedeutung von Fallstudien für die Wissenschaft. Anekdoten, ähnlich wie der Anthropomorphismus, können dazu dienen, die Wissenschaft zu verbessern, wenn wir
sorgfältig berücksichtigen, wie wir sie verwenden.
Biozentrischer Anthropomorphismus:
Die behutsame Vermenschlichung von Tieren
1908 schrieb die Professorin Margaret Washburn: „Wir müssen eingestehen, dass alle psychischen Interpretationen tierischen Verhaltens auf der
Analogie menschlicher Erfahrungen beruhen (...). Ob wir wollen oder nicht,
wir sind unausweichlich anthropomorphisch, wenn wir eine Vorstellung davon entwickeln, was im Gehirn eines Tieres vorgeht.“
Zwei Jahre zuvor schrieb der Naturalist William J. Long in seinem wunderbaren Buch BRIER-PATCH PHILOSOPHY BY „PETER RABBIT“: „Es ist daher möglich, dass der einfache Mann, der naturnah lebt und dessen Sprache von beständigen menschlichen Begriffen geprägt ist, die Wahrheit über das Leben
von Tieren besser erfasst als der Psychologe, der in einer Bibliothek lebt und
heute eine Sprache spricht, die morgen vergessen sein wird.“
Leider haben viele Forscher ignoriert, was so offensichtlich ist – wir sind
Menschen und haben daher eine menschliche Sicht auf die Welt. Die Art,
wie wir das Verhalten von Tieren beschreiben und erklären, ist durch die
Sprache beschränkt, die wir verwenden. Durch Anthropomorphismus verschaffen wir uns und anderen Menschen Zugang zur Welt der Tiere. Der Anthropomorphismus ermöglicht es uns, die Emotionen oder Gefühle von Tieren leichter zu verstehen und zu erklären. Doch das bedeutet nicht, dass Tiere auf die gleiche Weise glücklich oder traurig sind wie wir Menschen (ja,
nicht einmal wie andere Individuen derselben Spezies). Natürlich kann ich
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nicht absolut sicher sein, ob Jethro glücklich, unglücklich, verärgert, traurig
oder verliebt war, doch mit diesen Worten kann erklärt werden, was er empfunden haben mag.
Einige Menschen argumentieren, dass Anthropomorphismus nutzlos
und falsch sei. Der Psychologe und Verhaltensforscher Clive Wynne glaubt,
dass anthropomorphische Erklärungen äußerst ungenau sind, aber das ist eigentlich eine empirische Frage. Er belegt dies nicht wissenschaftlich. Seine
Ansicht ist typisch für diejenigen, die reduktionistische Reiz-Reaktions-Erklärungen gegenüber anderen Erklärungsversuchen bevorzugen, die sich der
Begriffe Bewusstsein, Absichten und Ansichten bedienen (d.h. die Überzeugung
vertreten, dass wir Recht haben und die anderen falsch liegen). Viele, die mechanistische Erklärungen bevorzugen, haben nicht viel Zeit damit zugebracht, Tiere in freier Wildbahn zu beobachten.
Sicherlich ist keines der Erklärungsmodelle angesichts der Komplexität
und der Flexibilität von Verhalten immer korrekt. Wichtiger ist jedoch, dass
Wynne und andere die Tatsache ignorieren, dass die Verwendung und Genauigkeit der verschiedenen Erklärungsweisen nicht empirisch untersucht
wurden. Daher wissen wir eigentlich nicht, ob seine Erklärungsmethode zu
einem besseren Verständnis von und besseren Vorhersagen über das Verhalten führen, als die von ihm abgelehnten Erklärungsmethoden. Bis genaue
Daten vorliegen, sollten daher Aussagen darüber, welche Erklärungsweise
besser ist, nur mit Vorsicht geäußert werden. Es ist nicht sehr wissenschaftlich, angesichts mangelnder Beweisdaten eine einseitige Arbeitsweise vorzuziehen.
Um die Verwendung von Anthropomorphismus und von Anekdoten
für Kritiker akzeptabler zu machen, schlägt Gordon Burghardt den Begriff
des kritischen Anthropomorphismus vor, bei dem verschiedene Informationsquellen zur Findung von Ideen herangezogen werden, die für zukünftige Forschungen nützlich sein könnten. Diese Quellen umfassen die Naturgeschichte, die Wahrnehmungen von Individuen, die Intuition, die Gefühle,
die sorgfältige Beschreibung von Verhalten, die Identifizierung mit dem Tier
sowie verschiedene Optimierungsmodelle und Vorgängerstudien.
Um den Widerstand gegen diese Art des Anthropomorphismus zu überwinden, folgte ich Burghardts Beispiel und bot den Begriff des biozentrischen
Anthropomorphismus an, um zu betonen, dass wir tatsächlich zuverlässige Erklärungen zu Phänomenen wie Schmerzen, Leiden und Verhalten geben
können, ohne zu vergessen, wer und wie Tiere in ihrer eigenen Welt sind. Ich
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argumentierte auch, dass es unvermeidlich ist, anthropomorphisch zu sein,
weil wir auf die menschliche Sprache und auf menschliche Erfahrungen zurückgreifen müssen, um tierisches Verhalten und die Gefühle von Tieren
sinnvoll beschreiben und erklären zu können.
Das Verhalten und die Emotionen von Tieren lediglich unter Bezugnahme auf das Abfeuern von Neuronen oder Muskelbewegungen zu beschreiben, lässt den sozialen Kontext und die sonstigen Umwelteinflüsse außer Acht. Diese sind jedoch von entscheidender Bedeutung, um herauszufinden, warum Tiere tun, was sie tun, und was sie (wahrscheinlich) dabei
empfinden.
So habe ich z.B. den Eindruck, dass verschiedene Verhaltensmuster (wie
etwa: zusammenkauern, verstecken, erschlaffen, sich ducken, zittern, wegrennen oder vermeiden bestimmter Situationen, geschlossene Augen, Gangart, Haltung, urinieren, koten, ausscheiden von Drüsensekreten, Veränderung der Atmung und des Herzschlags, um nur einige zu nennen) im Zusammenhang mit Veränderungen bei physiologischen Messungen den
Schluss zulassen, dass Tiere in vielen Situationen, denen sie absichtlich von
Menschen ausgesetzt werden, leiden und Schmerzen empfinden.
Einige Wissenschaftler sind außerhalb ihrer Laboratorien offen anthropomorphistisch. Bernard Rollin weist darauf hin, dass einige Forscher beispielsweise ihren Haustieren ohne Unbehagen menschliche Eigenschaften zuweisen. Sie erzählen Geschichten darüber, wie glücklich ihr Hund Bello ist,
wenn sie nach Hause kommen, wie traurig er aussieht, wenn sie ihn zu Hause lassen oder ihm seinen Kauknochen wegnehmen, wie Bello seine Freunde
vermisst oder wie schlau Bello ist, wenn es darum geht herauszufinden, wie
er eine geschlossene Tür öffnen oder um ein Hindernis herumgehen kann.
Wenn die gleichen Wissenschaftler jedoch ihre Laboratorien betreten, werden Hunde (und andere Tiere) zu Objekten, und Gespräche über ihr Gefühlsleben und darüber, wie intelligent sie sind, sind tabu. Eine mögliche Erklärung für dieses Phänomen ist, dass diese Hunde einer Vielzahl von Behandlungen ausgesetzt werden, die man seinem eigenen Haustier nicht oder
nur sehr ungern antun würde.
Ich frage mich auch, warum einige Menschen nicht realisieren, dass die
Nahrungsmittel, die sie genießen, die Kleidung, die sie tragen, oder die Zirkusnummern, an denen sie sich erfreuen, empfindungsfähige Lebewesen betreffen, die für unser Vergnügen immens gelitten haben. Warum sind diese
Erkenntnisse so schwierig? Ich schätze, weil es schwer ist zuzugeben, dass sie
Teil haben an Formen von Tierquälerei; und das ist kein schöner Gedanke.
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