Psychotherapeutische Angebote für Wohnungslose

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Psychotherapeutische
Angebote für Wohnungslose Therapieverfahren, Erfolge, Grenzen
Menschenrechte und Frauenrechte
Fachtagung BAGW Berlin, AG 3
14. Oktober 2014
Beate Gaupp
Übersicht
Rahmenbedingungen
Epidemiologie
Soziodemographische Daten der PatientInnen
Zwei Fallbeispiele
Therapieziele
Therapieprinzipien und -verfahren
Besonderheiten einer Praxis für
wohnungslose Patienten/innen
Fazit und Ausblick
2
Rahmenbedingungen
-1-
Psychiatrisch - psychotherapeutische Praxis
2004 - 2012 (50 % Vollzeitstelle; 50% Fortbildungsauftrag für Fachkräfte Sozialpädagogik
und Verwaltung ) Die Nachfolge ist gesichert
Grundlage: Kooperationsvereinbarung zwischen
kassenärztlicher Vereinigung Bayerns,
gesetzlichen Krankenkassen und
Landeshauptstadt München (Sozialreferat)
Auftrag: ambulante Versorgung psychisch
erkrankter wohnungsloser Patienten/innen in der
Stadt München
3
Rahmenbedingungen
-2-
Behandlungsermächtigung gemäß SGB V
aufgrund des nachgewiesenen Mangels in der
Regelversorgung für die Zielgruppe
Finanzierung ärztlicher Leistungen über
Fallpauschale (Abrechnung mit KVB;
Rückführung an Kommune bei festem Gehalt)
Behandlungen im Rahmen der Praxis und
aufsuchender Arbeit in kommunalen
Notquartieren und Pensionen (gewerblicher
Betreiber)
4
Hintergrund: Epidemiologie
Fichter Studien 90er Jahre:
90
80
70
60
50
40
30
20
10
0
Wohnungslose
Menschen in
Pensionen
Wohnungslose in
Einrichtungen freier
Träger
Wohnungslose auf
der Straße
Fichter / Fichter / Fichter et
Quadflieg Quadflieg, al. 1996
1999
1997
Stichprobe
Gesamtbevölkerung
Oberbayern
5
Epidemiologie Fichter Studien:
Lebenszeitprävalenz für psychische Störungen:
93,3 %, 1-Monats-Prävalenz 74,4%
Substanzinduzierte Störungen ( ++ Alkohol) im
Vordergrund
Depressive und Angststörungen: hohe
Prävalenz; etwas geringer schizophrene
Störungen
hohe Komorbiditätsraten
bei der Klientel geringe Inanspruchnahme
medizinischer Dienste; vorrangig: soziale
Sicherung und Wohnperspektive
6
Epidemiologie SEEWOLF - Studie:
Seelische Erkrankungsrate in den Einrichtungen der
Wohnungslosenhilfe im Großraum München (Bäuml, Jahn,
Baur, Brönner et al. 2014)
Lebenszeitprävalenz für psychische Störungen:
93,2 %, 1-Monats-Prävalenz 74%
Vergleich: Lebenszeitprävalenz
Allgemeinbevölkerung: 27,7% (Jacobi et al.
2014; zit nach Bäuml et al.)
Diagnostische Verteilung (Häufigkeiten) ähnlich
FICHTER Studien
Persönlichkeitsstörungen (Achse II DSM IV):
Antisoziale > Schizoide > Borderline PS.
7
Diagnostische Verteilung (nach ICD 10)
Praxis Gaupp 2005 - 2009 (Durchschnitt)
Substanzinduzierte Störungen (F1)
37,5%
Schizophrene u. wahnhafte Störungen 22,7%
(F2)
Persönlichkeitsstörungen (F6)
18%
Depressive Störungen (F3)
Neurotische u. Belastungsstörungen
(F4)
Organische Störungen (F0):
10%
7%
3,5%
8
Diagnostische Verteilung (%)
F 01 - F 07 organisch bedingte
psychische Störungen
F 10 Alkoholbedingte Störungen
30
F 11 - F 19 andere
Abhängigkeitserkrankungen
F 20 - F 25 schizophrene +
wahnhafte Störungen
F 31 - F 33 Depressive Störungen
25
20
15
F 41 - F 43 Neurotische +
Belastungsstörungen
F 60 Persönlichkeitsstörungen
10
5
andere Störungen
0
1
9
Geschlechterverteilung und Herkunft:
Männer
N = 502
85%
Frauen
N = 88
15%
Deutsche PatientInnen N = 392
66%
N = 198
PatientInnen mit
Migrationshintergrund *
33%
* Flüchtlinge, Asylbewerber, Gastarbeiter und deren Kinder,
in Deutschland aufgewachsene ausländische Patienten 10
Durchschnittliches Alter
45
40
35
30
18-35 Jahre
36-54 Jahre
über 55 Jahre
25
20
15
10
5
0
18-35 Jahre
36-54 Jahre
über 55 Jahre
11
Soziale Beziehungen
Durchschnitt
alleinstehend, keine frühere
feste Partnerschaft bekannt
alleinstehend, nach
Trennung / Scheidung
alleinstehend, verwitwet
47,5 %
verheiratet, in Partnerschaft
5,0 %
unbekannt / nicht erfragt
1,3 %
45,0 %
1,3 %
12
Soziale Sicherung
Gehalt
Durchschnitt
1,25 %
Rente
11,25 %
Arbeitslosengeld I
6,25 %
Arbeitslosengeld II (Hartz IV)
32,50 %
Sozialhilfe (SGB XII)
30,00 %
Vermögen / Ersparnisse
1,25 %
17,50 %
Varia, unbekannt / ∅ erfragt
13
Wohn-, Unterbringungsform
Durchschnitt
kommunales Notquartier /
Pension / Clearinghaus
Übernachtungsheim freier Träger
30,0 %
37,5 %
andere niedrigschwellige
Einrichtung
Obdachlosigkeit (Straße)
5,0 %
bei Bekannten
3,8 %
mittel - + langfristiges Wohnheim
6,3 %
17,6 %
14
1. Fallbeispiel Psychotherapie: ♀
Patientin, Mitte 70, obdachlos. Lehrerin an der
Realschule gewesen, vorzeitig berentet. Hat
Wohnung wegen Mietschulden verloren. Weigert
sich, Notunterkunft o.ä. zu beziehen.
Kommt, um hier eine Psychoanalyse zu machen
(war in mittlerem Lebensalter tatsächlich bei
inzwischen hochbetagter Analytikerin in M.) Will
Träume berichten, kennt sich in einschlägiger
Literatur gut aus. - Pat. glaubt, daß ehemalige
Analytikerin mit ihrer Versicherungskarte für
andere Patienten abrechne.
15
1. Fallbeispiel Psychotherapie:
-2-
Befund: mißtrauisch im Kontakt, gleichzeitig
bedürftig erscheinend. Elaborierte Sprache,
Bildungsgrad erkennbar, keine formalen
Denkstörungen. Inhaltlich: Hinweise auf
wahnhaftes Erleben. Stimmung teilweise gereizt.
Diagnose: wahnhafte Störung im Alter bei
Verdacht auf neurotische Störung
(Angststörung) in jüngerem Lebensalter.
FRAGE: was kann / soll die Zielsetzung von
Therapie sein?
16
1. Fallbeispiel Psychotherapie:
-3-
Verlauf: Patientin begleitet von 2006 - 2012. Sie
kommt regelmäßig, ohne feste Termine
einhalten zu können. Versuch medikamentöser
Behandlung gescheitert. In Zusammenarbeit mit
Sozialdiensten Zielsetzung einer festen Bleibe
anfangs ebenfalls nicht möglich. Erst nach vier
Jahren aus eigener Initiative und ⇑körperlicher
Beschwerden Einzug in Frauenobdach.
FRAGE: was war - psychotherapeutisch wirksam?
17
1. Fallbeispiel: was wirkt ?
-4-
Verlässliche Beziehung, Beziehungskontinuität
soweit möglich stabiler Rahmen; der "sichere
Ort" (nach L. Reddemann)
Ambivalenztoleranz (für eigene widersprüchliche
Gefühle und Zielsetzungen)
"beeing with", Begleitung des wahnhaften
Erlebens (Element des SOTERIA Therapiekonzepts)
keine eingreifenden Interventionen
gute Kooperation mit sozialen Diensten
18
2. Fallbeispiel Psychotherapie: ♂
-1-
Mitte 50jähriger Patient, seit ca. 10 Jahren auf
der Straße lebend. Früher erhebliches Alkoholproblem, seit längerem trocken.
wird von Allgemeinärztin geschickt, da er unter
zunehmenden körperliche Beschwerden, insbesondere Schmerzen leide und nicht länger auf
der Straße bleiben wolle. Deutliche Depression.
Frage: Diagnose und Therapiemöglichkeiten.
Vorgeschichte: bis Ende der 90er Jahre sozial
integriert (Arbeit, Beziehung), dann "alles
verloren"
19
2. Fallbeispiel Psychotherapie:
-2-
Suchtberatungsstelle niedergelassener
Psychiater "geht nicht ambulant", "zu
schwierig" Klinik ("Doppeldiagnosen")
rechtliche Betreuung (Rechtsanwalt)
nach weiteren Klinikaufenthalten löst Betreuer
Wohnung auf geschlossene Heimunterbringung
Entlassung auf die Straße
vorübergehend Wohngemeinschaft (Patient: "zu
eng") zurück auf die Straße.
20
2. Fallbeispiel Psychotherapie:
-3-
Biographisches: aus anderer Großstadt
stammend, Vater Alkoholiker, die Kinder
geprügelt ("es ist schade um jeden Schlag, der
daneben geht"), Mutter mit Kindern auf die Straße
geflohen
im Jugendalter Tuberkulose, wiederholt stationär,
seit 15.Lj. Alkohol ("Beruhigungsmittel"). Heim für
"schwer Erziehbare", zurück nach Hause. Mit 18
vom Vater herausgeworfen auf die Straße ("da
war ich frei") (Straße = Symbol für die Flucht vor
dem Vater / Autoritäten / eigene Autonomie)
21
2. Fallbeispiel Psychotherapie:
-4-
in der Folgezeit wiederholt kleinere Eigentumsdelikte, Jugendstrafen, hier zuletzt Handwerkerlehre. Anschließend aber keine anhaltende
Berufstätigkeit, Alkohol zunehmend (bis Abstinez
vor einigen Jahren = Ressource)
Befund: zurückhaltend in Kontakt und Erzählung,
eindeutig depressiv, erschöpft, hoffnungslos, keine
Zukunftsperspektiven. Somatische Beschwerden im
Vordergrund. Möchte keine Antidepressiva
(schlechte Erfahrungen, "unwirksam")
Reflektiert, intelligent
22
2. Fallbeispiel Psychotherapie:
-5-
Diagnosen: chronifizierte depressive Störung,
Z.n. Alkoholabhängigkeit, allgemeinmedizinisch:
COPD, LWS Syndrom, chronisches Schmerzsyndrom
Zielsetzung: Vermittlung in Notunterbringung als
erster Schritt, begleitende Psychotherapie zur
Behandlung der Depression (Medikamente
zunächst abgelehnt) Existenzsicherung i.R. SGB
XII (Patient zu Therapiebeginn noch in SGB II) in
Zusammenarbeit mit Sozialpädagogik /
Verwaltung
23
2. Fallbeispiel Psychotherapie:
-6-
Verlauf (2005 - 2009): zwei Therapieabbrüche nach
wenigen Stunden ("wenn ich über meine
Vergangenheit rede, muss ich wieder trinken")
Schuldgefühle wegen der Kosten einer kommunalen
Unterbringung ("habe ja nichts geleistet")
mit Hilfe der weiterhin konsultierten Allgemeinärztin
aber 2 x Wiederaufnahme Therapie möglich. Ziel
nurmehr "weg von der Straße". Mit Unterstützung
der Verwaltung (Begleitung zum Wohnungsamt,
Einzelzimmerattest, Gutachten dauerhafter Arbeitsunfähigkeit) Vermittlung in Wohnen erfolgreich
24
2. Fallbeispiel Psychotherapie:
-7-
FAZIT
aufdeckende, konfliktzentrierte Therapie angesichts
der Schwere und Komplexizität der Erkrankung
nicht möglich; Autodestruktivität als -dysfunktionale,
aber subjektiv wirksame- Bewältigungsstrategie
mit Reinszenisierungen traumatisierender
Erfahrungen (Reenactments, van der Kolk 1989)
muss gerechnet werden.
Therapieabbrüchen kann aber mit aktiver Intervention begegnet werden
Korrektur von ursprüngl.Therapiezielen erforderlich
25
Therapieziele - Zusammenfassung
Beziehungsaufbau und -kontinuität: Sicherheit,
Bindungsangebot, Verläßlichkeit, Toleranz
Krankheitswahrnehmung und -verständnis
fördern
Symptomreduktion; Gesundheitszustand und
Lebensqualität bessern
Entdeckung und Pflege erhaltener oder
verschütteter Ressourcen ( Resilienz)
Psychosoziale Reintegration (soweit als
möglich) in Kooperation mit Sozialarbeit und
Verwaltung: soziale Kontakte, Wohnung, Arbeit26
Therapieprinzipien und Haltung
-1-
größtmöglicher Grad an Struktur ("der beste
Therapeut ist nichts wert ohne überschaubaren
Rahmen" (J. KÖRNER1998)
aktive Haltung (nicht "abwarten")
psychotherapeutische Begleitung, „fördernder
Dialog“ (Leber, 1988), Containment (Bion 1992),
"Being with" (Therapiekonzept SOTERIA)
Verständnis für die Externalisierung innerer
Konfliktdynamiken der Patienten in der ArztPatienten-Beziehung
27
Therapieprinzipien und Haltung
-2-
motivierende Gesprächsführung (Miller und
Rollnick 2002); fragende Beziehung
(Bauriedl 1985)
Bifokaler Therapieansatz (Rauchfleisch,
1998): soziale Realität und Erleben /
Verhalten im Focus der Behandlung
Reflexion / Bewußtsein für eigene Motive,
Konflikte, Verstricktheit etc. von
TherapeutInnen in der Interaktion
(interaktive "Gegenübertragung" (KÖRNER)
28
Therapieprinzipien und Haltung
-3-
Ambivalenztoleranz für eigene
(widersprüchliche) Gefühle und
Zielsetzungen)
ergänzende somatische Diagnostik und
Therapie in einer allgemeinmedizinischen
Praxis für wohnungslose Patienten
ggf. begleitende Psychopharmakotherapie
gute Zusammenarbeit mit übrigen Diensten,
die Patient/in in Anspruch nimmt;
Interdisziplinarität
29
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Patienten
Diagnostisch Mehrfachbelastung der
Patienten: Soziale Notlage(n) und
psychisches Problem / Erkrankung
Überdurchschnittlicher hoher Anteil an
Abhängigkeitserkrankungen / schizophrenen
Störungen / Persönlichkeitsstörungen
(vorwiegend v. Borderline-Typ)
Mehrfachdiagnosen (Komorbidität
psychiatrische wie somatische Erkrankungen)
30
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Patienten
Biographisch: Gehäuftes Vorkommen von
frühen Traumatisierungen in der Familie
(emotionale Vernachlässigung / psychische und
physische Gewalt / familiäre Disharmonie)
Extremtraumatisierung bei Kriegsflüchtlingen
Psychologisch: Bindungsstörungen, Störungen
der Affektregulation. Defizite in der Autonomieentwicklung
31
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Patienten
fragiler Selbstwert, unreife Konfliktbewältigungsstrategien, geringes Vertrauen in Selbstorganisationsfähigkeiten; geringe Selbstfürsorge
Vorwiegen früher Abwehrmechanismen:
Verleugnung, Spaltung, Projektion, projektive
Identifizierung
"Identifikation mit dem Aggressor", „böse
Introjekte“, Autodestruktivität
32
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Patienten
Biologisch: erhöhte Stressvulnerabilität,
chronische Stressreaktion, erhöhte
Infektanfälligkeit bei Schwächung des
Immunsystems
Infolge ⇑Risikoverhaltens erhöhte Anfälligkeit
für (somatische) Erkrankungen
Soziale Mehrfachbelastung: geringe
Schulbildung, fehlende Berufsabschlüsse,
Langzeitarbeitslosigkeit
33
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Patienten
Verhalten im professionellen Kontext: oft hohe
Bedürftigkeit / Ansprüche an Unterstützung von
außen - bei gleichzeitiger Ablehnung von
Hilfsangeboten (Abhängigkeits-/Autonomiekonflikt)
Bewältigung ihres Alltags hat für Patienten
häufig Priorität, Zugang zur „inneren Welt“ oft
versperrt
34
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Therapeuten
Klärung von therapeutischer Haltung und Rolle
erforderlich: "Lokomotivführer" versus
"Reisebegleiter" / paternalistisch versus
partnerschaftlich
Hohe emotionale Belastung für Therapeuten /
alle Mitarbeiter in einer Praxis für
Wohnungslose, wenn Hilfsangebote nicht
angenommen werden können oder Fehlschläge
in Therapien sich entwickeln
35
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Therapeuten
Identifizierung mit Klienten,
„Ansteckungsgefahr“ (z.B. Depressivität)
Ohnmachtgefühle, Risiko der Resignation und
des „therapeutischen Nihilismus“
Risiko negativer (aggressiver) Gegenübertragungen wenn Abwehrmechanismus der
projektiven Identifizierung vorherrschend
36
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Praxisorganisation, Arbeitsabläufe
Praxisorganisation: offene Sprechstunde versus
Bestellpraxis
was tun, wenn Leerläufe: angemeldete
Patienten kommen nicht in die Sprechstunde
was tun, wenn Notfall während einer
Psychotherapiestunde?
Zeitaufwand pro Patient insgesamt hoch
37
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Praxisorganisation, Arbeitsabläufe
hoher Zeitaufwand bei Besuchen in
Notunterkünften (Fahrtzeit, Gestaltung des
Settings); Patienten sind bei angemeldeten
Besuchen z.Tl. nicht anzutreffen
zeitintensives Beratungsangebot für
sozialpädagogische Fachkräfte erforderlich
Risiko: Konkurrenzen zwischen Professionen
hinsichtlich therapeutischer / pädagogischer
Konzepte
38
Besonderheiten einer psychiatr.-psychotherap.
Praxis für wohnungslose Patienten
Praxisorganisation, Arbeitsabläufe
Zusammenarbeit mit Allgemeinarzt /-ärztin in
Praxisgemeinschaft ist günstig (somatische
Abklärung, Fallbesprechungen, gegenseitige
Überweisungen)
Kenntnisse über und Einbindung von
TherapeutInnen in Organisationsstrukturen +
Arbeitsabläufe der Wohnungslosenhilfe sind
hilfreich (Sozialmedizin)
39
Fazit
-1-
In einer niedergelassenen Praxis für Psychiatrie
und Psychotherapie ist Psychotherapie für
wohnungslos gewordene Patienten/innen
grundsätzlich möglich, nicht aber i.S. Richtlinienpsychotherapie
wesentliche Zielsetzung ist die Verbesserung
von Lebensqualität und soziale Reintegration
(Beziehungen, Wohnen, Arbeit)
Methodisch werden Elemente stützender und
konfliktzentrierter Therapie kombiniert (Bifokaler
40
Ansatz),
Fazit
-2-
Beziehungskontinuität ist wesentliches Element
"Es ist die Beziehung, die heilt" (Kernberg)
Entscheidend für mögliche Therapieerfolge sind
Haltung, Selbst-Reflexivität, Belastbarkeit von
TherapeutInnen und ein "langer Atem"
durch das Überwiegen sog. „Frühstörungen“ mit
psychischen „Strukturdefiziten“ bei frühkindlichen
Traumatisierungen / Bindungsstörungen und
unreifen Abwehrmechanismen / Konfliktbewältigungsstrategien der Klientel entsteht
41
Fazit
-3-
für Therapeuten ein besonderes
Belastungspotential.
Risiken für TherapeutInnen (und KlientInnen)
können sich entwickeln in Form von
Identifizierungen, Ohnmachtsgefühlen,
negativen Gegenübertragungsreaktionen etc.
im Vergleich zur psychotherapeutischen
„Regelversorgung“ kommt es häufiger zu
Therapieabbrüchen seitens der PatientInnen
42
Fazit
-4-
im Rahmen einer modifizierten "Abstinenzregel"
ist es aber möglich, Patienten („verlorene Kinder“)
nach Therapieabbruch „zurückzuholen“ (anrufen,
schreiben, Kooperation mit sozialen Diensten)
Grenzen sind gesetzt durch die Praxisorganisation
einer gemischt psychiatrisch / psychotherapeutischen Klientel mit der Notwendigkeit der
Versorgung von Notfällen. Eine störungsfreie
„Bestellpraxis“ i.S. der Richtlinienpsychotherapie
niedergelassener TherapeutInnen ist kaum
möglich.
43
Fazit
-5-
Gute Kenntnisse von Therapeuten über die
Systeme der sozialen Wohnungslosenhilfe und
der Verwaltung (beispielsweise SGB II,
Jobcenter), verbindliche Kooperationsbeziehungen, die Anerkennung
unterschiedlicher beruflicher Rollen und
Verfahren tragen dazu bei, individuelle wie
strukturelle Spaltungen zu identifizieren und zu
bearbeiten
44
Fazit
-6-
Im Raum München (1,4 Mill. Einwohner) sind laut
KVB ca. 850 ÄrztInnen für Psychiatrie und
Psychotherapie, FachärztInnen für psychotherapeutische Medizin und psychologische
PsychotherapeutInnen niedergelassen (Quelle:
KVB Internetauftritt 2010). Ende 2010 befanden sich
ca. 2500 Personen in akuter Notunterbringung
von Stadt und freien Trägern; davon 300
Personen auf der Straße. (Quelle: Stadt München)
Das Kontingent von einer halben Arztstelle für
wohnungslose PatientInnen spricht für sich.
Ausblick
45
-1-
im Sinne der Primärprävention von bio-psychosozialen Belastungs- und Risikofaktoren in
Kindheit und Jugend und deren pathogene
Auswirkungen auf das Erwachsenenalter
müssen wissenschaftlich fundierte "frühe Hilfen"
(z.B. Nationales Zentrum (NZFH), SAFE (LMU
München), First Steps (Brüssel) implementiert
werden.
Die Politik, insbesondere die Kommunen, haben
die Aufgabe (Sekundärprävention) durch gezielte
Wohnungsbauprogramme und
46
Ausblick
-2-
Wohnraumversorgung für schwächere
Bevölkerungsschichten Wohnungslosigkeit zu
verhindern / zu verringern
im Sinne der Tertiärprävention bei psychisch
erkrankten wohnungslosen PatientInnen ist eine
größere Anzahl psychotherapeutisch tätiger
ÄrztInnen zu gewinnen, die bereit und fähig sind,
die mehrfach belastete Klientel im Rahmen des
Möglichen zu behandeln. Ein Konzept nur auf
Richtlinienpsychotherapie ausgerichteter
Versorgung muss revidiert werden
47
Ausblick
-3-
zwischen kommunaler und verbandlicher
Wohnungslosenhilfe, öffentlicher Verwaltung und
medizinischem Versorgungssystem müssen
intelligente und wirksame Verknüpfungen und
Kooperationsbeziehungen hergestellt werden
(Beispiel: Projekt MOTIWOHN, Prof. Salize,
Mannheim & Freiburg 2013)
48
Ausblick
-4-
Handle in deinem Verantwortungsbereich so,
daß du mit dem Einsatz all deiner Ressourcen
immer beim jeweils letzten beginnst, wo es sich
am wenigsten lohnt
Klaus Dörner 2003
Das Heil der Welt liegt nicht in neuen
Maßnahmen, sondern in einer anderen
Gesinnung.”
Albert Schweitzer
49
Verwendete und weiterführende Literatur
-1-
Bion, Wilfred (1992): Elemente der Psychoanalyse.
Burkhardt-Mußmann, C. (2013). "ERSTE SCHRITTE" – Ein
Integrations- und Frühpräventionsprojekt für Kleinkinder mit
Migrationshintergrund. Analytische Kinder- und
Jugendlichenpsychotherapie, 44 (3): 381-399.Frankfurt/Main,
Suhrkamp.
Leber, Aloys (1988): Zur Begründung des fördernden Dialogs in
der Psychoanalytischen Pädagogik. In: Iben, G. (Hg.): Das
Dialogische in der Heilpädagogik, Mainz, S. 41 - 61
Kernberg, Otto (1993): Narzißtische Persönlichkeitsstörungen.
Frankfurt, Suhrkamp
Körner, Jürgen (1998) Behandlungsgeschichten erzählen, In:
Lindauer Texte, Heidelberg, Springer
50
Verwendete und weiterführende Literatur
-2-
Körner, Jürgen(1998): Der konstruktive Umgang mit der Abwehr.
Vorlesung Lindauer Psychotherapiewochen. Auditorium
Netzwerk. In: www.auditorium-netzwerk.de/.
Miller, William und Rollnick, Stephen (2002) Motivierende
Gesprächsführung. Freiburg, Lambertus.
Rauchfleisch, Udo (2004) Menschen in psychosozialer Not.
Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht.
Ruf, Gerhard Dieter (2005): Systemische Psychiatrie. Ein
ressourcenorientiertes Lehrbuch. Stuttgart, Klett-Cotta.
Sachsse Ulrich (Hg) (2004) Traumazentrierte
Psychotherapie. Stuttgart und New York, Schattauer
51
Verwendete und weiterführende Literatur
-3-
Salize, Hans Joachim (2013): Versorgungsbedarf und
Versorgungsrealität in der Psychiatrie. Zentralinstitut für
seelische Gesundheit, Mannheim. In:
www.dgppn.de/fileadmin/user...06.../salize_HS_Versorgung.pdf
SOTERIA Zwiefalten (2009): Milieutherapeutische Einrichtung
für Menschen in psychotischen Krisen. ZfP Südwürttemberg. In:
www.zfp-web.de/uploads/media/Soteria_-_StationsKonzept_01.pdf
Urban, Martin und Hartmann, Hans-Peter (Hg.) (2005):
Bindungstheorie in der Psychiatrie. Göttingen, Vandenhoeck &
Ruprecht
52
Vielen Dank
für Ihre Aufmerksamkeit !
53
Dr. med. Beate Gaupp
Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie
vormals Psychiatrisch-psychotherapeutische Praxis für
wohnungslose Patienten und Patientinnen in München
Edmund Husserl Str. 18
81245 München
Tel. 089 / 864 37 96
Mail: [email protected]
54
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