Sinnestäuschungen in Psychiatrie und Psychotherapie Wolfram

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Sinnestäuschungen in Psychiatrie und Psychotherapie
Wolfram Schmitt
Unsere Sinne vermitteln uns in der Regel ein zutreffendes, realitätskonformes Bild von der
Welt um uns und von uns selbst. Dennoch kommen Sinnestäuschungen häufig vor, auch bei
Gesunden in besonderen Situationen und Belastungen, hauptsächlich jedoch bei psychischen
Störungen und Krankheiten. Sinnestäuschungen können auftreten u. a. bei organischen
Störungen des Gehirns, etwa bei Drogen- oder Alkoholintoxikation, bei Erkrankungen des
Gehirns wie Epilepsien oder Hirntumoren, bei schizophrenen und affektiven Störungen, also
bei Depressionen und Manien, sowie bei dissoziativen Störungen (früher. hysterischen
Neurosen) und Borderline-Persönlichkeitsstörungen, nicht zuletzt auch als Nebenwirkung von
Medikamenten. Zu Sinnestäuschungen kann es auch in Situationen von Isolation, sensorischer
Deprivation, Hunger, Durst und schwerer Erschöpfung kommen, ebenso in Ekstase und
Trance, in mystisch-religiösen und meditativen Versenkungszuständen.
Man unterscheidet in der Psychopathologie bei den Sinnestäuschungen, die man auch
Trugwahrnehmungen nennt, vor allem Illusionen, Halluzinationen, Pseudohalluzinationen
und Einschlafhalluzinationen, sog. hypnagoge Halluzinationen.
Unter Illusionen versteht man Fehldeutungen von Sinneseindrücken, die durch ein reales
Objekt hervorgerufen wurden, so bei Erwartungsspannung mit freudigem oder ängstlichem
Affekt, bei Unaufmerksamkeit oder Übermüdung. Beispiel: In der Dämmerung wird bei
ängstlicher Grundstimmung ein Baumstumpf für ein Tier gehalten. Illusionen kommen bei
Gesunden nicht selten vor, unkorrigierbare Illusionen weisen jedoch auf psychische
Störungen verschiedenster Art hin.
Die Einschlafhalluzinationen (hypnagogen Halluzinationen) sind meist bei Gesunden in
oberflächlichen Schlafstadien auftretende, optische oder akustische Sinnestäuschungen in
Gestalt von Bildern, szenischen Vorgängen, Geräuschen, Melodien, Unterhaltungen. Sie
werden oft mit Erstaunen, in einer distanzierten Weise beobachtet und führen meist zum
Erwachen.
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Unter Pseudo-Halluzinationen verstehen wir sodann Sinnestäuschungen, deren Trugcharakter
vom Betroffenen erkannt wird. Von ihnen gibt es fließende Übergänge zu den echten
Halluzinationen mit vollem Realitätscharakter. Pseudo-Halluzinationen kommen meist bei
psychischen
Störungen
vor,
in
besonderen
Streßsituationen
oder
veränderten
Bewusstseinszuständen auch bei Gesunden.
Im folgenden will ich vornehmlich auf die eigentlichen Halluzinationen eingehen. Die
Bezeichnung ist abgeleitet von lat. (h)alucinari, was „gedankenlos reden, faseln,
geistesabwesend
sein“
bedeutet.
Halluzinationen
sind
–
in
psychopathologischer
Beschreibung – für objektiv real gehaltene Sinneseindrücke ohne entsprechenden
gleichzeitigen äußeren Sinnesreiz, es sind Sinneswahrnehmungen ohne reales Objekt. Weitere
Merkmale von Halluzinationen sind: Leibhaftigkeit, sinnliche Klarheit und Intensität, die
zwar variieren können, aber doch viel ausgeprägter sind als bloße Vorstellungen und
Gedanken. Meistens werden Halluzinationen in die Außenwelt oder auch in den eigenen
Körper projiziert. Sie treten neben und gleichzeitig mit realen Wahrnehmungen auf. Bei den
Halluzinationen handelt es sich eigentlich weniger um Wahrnehmungen im strengen Sinne,
sondern
um
eine
eigenständige,
neuartige
Erlebniskategorie
von
bloß
wahrnehmungsähnlichem Charakter. Die Störung betrifft auch nicht etwa isoliert den
Wahrnehmungssektor, sondern letztlich die Gesamtpersönlichkeit.
Halluzinationen sind
oftmals eingebettet in delirante Erregung, Desorientiertheit und Bewusstseinstrübung, was auf
eine hirnorganische Ursache hinweist. In anderen Fällen, insbesondere bei der Gruppe
schizophren Kranker, sind Halluzinationen eng verflochten mit wahnhaftem Erleben. Wahn
und Halluzinationen erscheinen oft nur als zwei Aspekte ein und derselben Grundstörung.
Aber auch wenn Wahnerleben in den Hintergrund tritt, liegt dem Halluzinieren eine abnorme
Bewusstseinsstruktur oder Bewusstseinserweiterung bzw. Bewusstseinseinengung zu Grunde.
Nicht nur beim Halluzinieren in der schizophrenen Krankheit, sondern darüber hinaus bei
Halluzinationen anderer Genese ist die Grenze zwischen Ich und Umwelt in Auflösung
begriffen. Was zum Ich gehört, wird als zur Umwelt gehörig erlebt. Halluzinatioen sind
pathologische Variationen der Grundbeziehung zwischen dem Ich und dem Anderen.
Psychodynamisch lassen sich manche Halluzinationen als Wunscherfüllungen oder als
Anpassungsmechanismen verstehen, die dem psychotischen Menschen eine Weiterführung
seiner Existenz ermöglichen sollen. Oft werden sie daher auch zeitweise als entlastend erlebt.
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Die hirnphysiologischen Grundlagen der Halluzinationen sind erst teilweise bekannt. Durch
elektrische Reizung der Hirnrinde – während Hirnoperartionen – sind unterschiedliche
Halluzinationen evozierbar: Von verschiedenen Bezirken des Schläfenlappens des Gehirns
sind Geruchs- und Geschmackshalluzinationen sowie akustische und optische Halluzinationen
auslösbar, vom Hinterhauptslappen ebenfalls optische Halluzinationen. Phänomenologisch
gibt
es
keine
eindeutigen
Kriterien
zur
Abgrenzung
derartig
hervorgerufener
Sinnestäuschungen von denjenigen Halluzinationen, die bei Intoxikationen, organischen
Hirnerkrankungen und bei endogenen Psychosen vorkommen. Zum Verständnis vor allem der
psychotisch bedingten Halluzinationen tragen diese Reizexperimente jedoch kaum etwas bei.
Man kann nur vermuten, dass eine Aktivierung von Wahrnehmungen, Vorstellungen oder
Erinnerungen bis hin zu traumähnlichen halluzinatorischen Vorgängen durch das thalamoretikuläre System, also in tiefen Regionen des Gehirns, erfolgt. Offenbar handelt es sich um
eine subkortikale Beeinflussung der kortikalen Funktionen, d. h. der Hirnrindenfunktionen, in
solchen Hirnrindenfeldern, die auch bei der direkten Wahrnehmung beteiligt sind. Eine
ausgearbeitete Theorie der Halluzination vermag die Neurophysiologie bislang noch nicht zu
geben. Experimentelle Forschungen mit Halluzinogenen wie Meskalin, LSD oder Haschisch
vermochten das Wesen der Halluzinationen ebenfalls noch nicht ausreichend zu erfassen,
insbesondere haben sie sich nicht als das erhoffte Modell der Halluzinationen bei endogenen
Psychosen, als „Modellpsychose“ speziell für die Schizophrenie, erwiesen.
Nach den betroffenen Sinnesbereichen lassen sich phänomenologisch folgende Arten von
Halluzinationen unterscheiden:
Akustische Halluzinationen: Der Gehörssinn ist im Vergleich zu anderen Sinnesbereichen am
häufigsten betroffen. Man unterscheidet einfachere Formen (Rauschen, Zischen, Summen;
Glockenläuten, Orgeltöne usw.) von differenzierten Gehörseindrücken, z. B. Hören von
Stimmen oder Gesprächen. Bei letzteren handelt es sich am häufigsten um ein Hören von
Stimmen, die von einer oder mehreren Personen auszugehen scheinen. Manchmal werden die
Stimmen irgendwelchen bekannten Personen zugeordnet, es können aber auch Stimmen
überirdischer Personen, Gottes oder des Teufels, zu Gehör kommen, oder es handelt sich um
für den Kranken unbekannte Stimmen. Die Stimmen werden häufig nach außen in bestimmte
Richtungen projiziert (Decke, Wand, Fußboden), seltener in den eigenen Körper (Kopf, Brust,
Bauch, Extremitäten). Inhaltlich handelt es sich vorwiegend um Beschimpfungen, Drohungen,
Vorhaltungen oder Befehle. Oft geben die Stimmen begleitende Kommentare zu dem, was der
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Betroffene tut oder denkt, oder die Stimmen unterhalten sich in dialogischer Form bzw. der
Patient führt Gespräche mit seinen Stimmen. Besonders kennzeichnend für eine schizophrene
Erkrankung ist das „Hören von Stimmen in der Form von Rede und Gegenrede“ und das
„Hören von Stimmen, die das eigen Tun mit Bemerkungen begleiten“. Dies sind Symptome 1.
Ranges nach Kurt Schneider, auf die sich – neben anderen Symptomen - die Diagnose einer
Schizophrenie stützen kann. Vom Stimmenhören gibt es fließende Übergänge zum
Lautwerden der eigenen Gedanken, dem sog. „Gedankenlautwerden“, ebenfalls ein
vorzugsweise
schizophrenes
Leitsymptom.
Wenn
sich
akustische
Halluzinationen
zurückbilden, werden sie oft als immer „leiser“ erlebt. Sie können aber auch an Aktualität
verlieren und schließlich nur noch als unbeachtete Geräuschkulisse fungieren.
Geruchs- und Geschmackshalluzinationen: Sie erscheinen meist in unangenehmen Qualitäten,
die an Teer, Rauch, Hering, Benzin, Schwefel, Leuchtgas, fauligen Gestank, Verwesung usw.
erinnern oder an bitteren, salzigen Geschmack. Angenehme Eindrücke werden seltener
wahrgenommen, etwa Blumen-, Frucht- oder Parfümduft. Bei Schizophrenen sind
Geruchshalluzinationen bei rund einem Drittel aller Erkrankungen zu erwarten, teilweise
kombiniert mit anderen Halluzinationen und teilweise auch als Initialsymptome auftretend.
Ebenso
können
auch
hirnorganische
Krankheiten
mit
Geruchs-
und
Geschmackshalluzinationen einhergehen, insbesondere Epilepsien mit psychomotorischen
Anfällen.
Bei
den
optischen
Halluzinationen
gehen
elementare,
undifferenzierte
optische
Wahrnehmungen wie Lichtschein, Farben, Blitze, Funken, Flecken usw. wahrscheinlich auf
hirnorganische Ursachen zurück, kommen selten aber auch bei Schizophrenie vor. Eine
andere Gruppe optischer Halluzinationen besteht aus raschen szenenhaften Abläufen, den sog.
szenischen Halluzinationen. Meist treten kleine, bewegliche Objekte auf wie Kaninchen,
Mäuse oder Insekten, die sich oft auf den Halluzinierenden zubewegen und ihn ängstigen.
Manchmal stehen die Szenen im Zusammenhang mit biographischen Fakten und Ereignissen.
Solche szenischen Halluzinationen treten typischerweise beim Alkoholdelir in Erscheinung,
aber auch bei anderen deliranten Zuständen, bei Intoxikationen und organischen
Hirnkrankheiten. Sie sind insbesondere beim Alkoholdelir verbal induzierbar und
beeinflussbar, was sie von Trugwahrnehmungen bei Schizophrenie abgrenzen lässt.
Komplexere zusammenhängende optische Halluzinationen können den Charakter von
Visionen annehmen. Es treten leuchtende, oft farbenprächtige und detailreiche Bilder auf, oft
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als religiöse, mythologische oder allegorische Darstellungen, entweder unbewegt oder
szenisch veränderlich. Sie kommen ebenfalls bei hirnorganischen Erkrankungen, bei
Intoxikationen oder in der epileptischen Aura vor, ebenso aber auch bei Schizophrenien.
Visionäre Erlebnisse, bei denen es dann allerdings fraglich ist, ob sie den geschilderten
Phänomenen gleichgesetzt werden können, gibt es auch außerhalb von neurologischpsychiatrischen Erkrankungen, so visionäre Erscheinungen im religiösen Kontext, bei
religiös-mystischer Versenkung oder auch bei Entrückung durch Meditation und andere
Verfahren. Voraussetzungen liegen in der Persönlichkeitsstruktur, in langdauernder
gedanklicher Beschäftigung mit entsprechenden Themen sowie evtl. Schulung durch übendmeditative Methoden (z.B. Yoga).
Taktile (= haptische) Halluzinationen sind Sinnestäuschungen, die auf die Körperoberfläche
projiziert
werden.
Erlebt
werden
können
u.
a.
Berührungs-,
Schmerz-
und
Temperaturempfindungen auf der Haut, die den Charakter des von außen Gemachten bzw.
einer Beeinflussung von außen annehmen können und dann für schizophrene Erlebnisweisen
typisch sind. Taktile Halluzinationen können auch in Gestalt von Trugwahrnehmungen
kleiner Lebewesen (Insekten u. a.) auftreten, die auf der Haut herumzukriechen scheinen.
Bekannt sind akute und chronische Formen solcher taktiler Halluzinosen. Akute Formen
werden besonders beim Kokain-Delir erlebt, aber auch bei anderen Intoxikationen und beim
Alkoholdelir. Nicht selten ist die chronische taktile Halluzinose, die auch als
Dermatozoenwahn bekannt ist und vorzugsweise im vorgerückten Lebensalter auftritt. .
Nicht immer von den taktilen Halluzinationen abzugrenzen sind die Körper-Halluzinationen,
Körper-Organhalluzinationen oder koenästhetischen Halluzinationen. Es handelt sich um
halluzinierte Körpermissempfindungen, die sich teils auf bestimmte Körperregionen beziehen,
teils auf den Gesamtkörper. Sie werden häufig in bizarren Schilderungen wiedergegeben: eine
Eisenfaust greift nach der Leber, ein Messer schneidet das Herz heraus, Tiere nagen die
Därme an usw. Sexuelle Missempfindungen sind meist unlustvoller Art, die mit halluzinierten
Einwirkungen von außen, z. B. durch Bestrahlung, in Zusammenhang gebracht werden.
Parasiten kreisen in der Blutbahn und fressen den Körper von innen her auf. Ein Verfaulen
des ganzen Körpers oder eine Umwandlung des Körpers in Holz kann empfunden werden u. ä.
Solche bizarren Körperhalluzinationen treten bei Schizophrenien auf, besonders wenn sie die
Qualität des von außen Gemachten annehmen, aber auch bei schweren hypochondrischen
Depressionen und hirnorganischen Erkrankungen.
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Das Spektrum der auf den Körper bezogenen Trugwahrnehmungen erstreckt sich auch auf die
kinästhetischen
Halluzinationen, bei denen Körperteile oder der ganze Körper von den
Kranken als bewegt empfunden werden. Besonders bei der Schizophrenie werden von außen
„gemachte“ Bewegungen das Körpers bei objektiver Unbewegtheit wahrgenommen. Es
kommen auch komplexere Bewegungshalluzinationen in Form bestimmter erlebter
Tätigkeiten besonders bei deliranten organischen Zustandsbildern vor. Fließende Übergänge
gibt es hier zu den vestibulären Halluzinationen, bei denen Empfindungen des Schwebens im
Sinne von Levitationserlebnissen, des Fliegens, Fallens, Gleitens und Schwankens auftreten.
Sie gehören zur Erlebnissphäre z. B. von Haschisch-Intoxikationen, aber auch von
Schizophrenien.
Insgesamt können Trugwahrnehmungen auch mehrere Sinnesgebiete gleichzeitig betreffen, so
z. B. ein bildhafter Szenenablauf, der von einem Dialog begleitet wird. Längeranhaltende
halluzinatorische Krankheitsbilder mit Trugwahrnehmungen auf einem oder mehreren
Sinnesgebieten fasst man unter den Begriff der Halluzinosen. Sie ereignen sich bei relativer
Besonnenheit und einigermaßen geordnetem Gesamtverhalten. Beispiele sind die chronische
Alkoholhalluzinosen, bei denen meist drohende und beschimpfende Stimmen gehört werden,
die quasi parallel zu der realen Umwelt wahrzunehmen sind. Nicht selten werden
Halluzinationen auch durch reale Wahrnehmungen ausgelöst. So hört ein Kranker Stimmen,
während das Wasser aus dem Hahn fließt. Es sind dies die sog. funktionellen Halluzinationen.
Halluzinationen sind in ihrem Wesen und ihrer Entstehung insgesamt noch nicht sehr gut
verstanden. Ebenso ist eine Verständigung zwischen einem halluzinierenden Kranken und
„den Anderen“, den Menschen der Umgebung, der Familie oder dem Therapeuten besonders
in akuten Phasen schwierig. Ein gemeinsamer Sinnhorizont, auf dem die abnormen Erlebnisse
und Wahrnehmungen zugänglich werden könnten, ist oft nur schwer, wenn überhaupt, zu
finden. Der Halluzinierende bewegt sich ganz oder doch teilweise in einer eigenen Welt, zu
der ein Überstieg vom Anderen her wie auch umgekehrt nur schwer möglich ist. Dies ist
besonders im Hinblick auf Halluzinationen bei schizophrener Erkrankung der Fall. Bei
Halluzinationen hirnorganischer Herkunft jedoch ist der Bezug des Betroffenen zur Umwelt
meist besser als beim schizophren Erkrankten.. Zum besseren Verständnis von Betroffenen,
die Sinnestäuschungen unterliegen, können vor allem Konzepte der Psychoanalyse wie auch
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der phänomenologisch-anthropologischen Psychiatrie hilfreich sein, ebenso für die
Begründung möglicher psychotherapeutischer Ansätze.
Aus psychoanalytischer Sicht, insbesondere in Freuds Konzept der Psychoanalyse der
Psychosen, sind Wahn und Halluzinationen, die psychodynamisch nicht voneinander zu
trennen sind, Manifestationen einer Verdrängung unerträglicher Vorstellungen und
Erfahrungen nicht ins Unbewusste, wie bei den Neurosen, sondern in die Außenwelt. Dieser
Mechanismus
der
Projektion
in
die
Außenwelt
wird
zum
charakteristischen
Abwehrmechanismus der Paranoia, wie Freud noch die paranoid-halluzinatorische
Schizophrenie nannte. Für Freud ist die schizophrene Psychose eine „Abwehrneurose“,
Halluzinationen (und Wahn) werden als neurotische oder zumindest neurosen-analoge
Symptome aufgefaßt. Zugrunde liegt der klassische „Es-Über-Ich-Konflikt“, d. h. bestimmte
Triebansprüche geraten mit der Gewissensinstanz in Konflikt und werden deshalb abgewehrt,
dergestalt dass die eigenen seelischen Anteile nach außen verlegt werden. Die halluzinierten
Stimmen thematisieren und kritisieren das Verhalten des Kranken z. B. durch ihre
Kommentare, sind jedoch nichts anderes als der Ausdruck der eigenen Selbstkritik und
Selbstzweifel, die abgewehrt und als eigene lautgewordene Gedanken nach außen projiziert
werden, ohne dass das Subjekt die projizierten Gedanken noch als die eigenen erkennen kann.
So tragen die Halluzinationen (und der Wahn) dem Subjekt das von außen zu, was eigentlich
von der Selbstbeobachtung, den eigenen Gewissensskrupeln, den eigenen abgewehrten
Wünschen herrührt. In der späteren Entwicklung der Psychoanalyse betrifft die projektive
Abwehr durch halluzinatorisches Erleben nicht mehr libidinöse Triebansprüche schlechthin,
sondern vorrangig uneingestandene homosexuelle Strebungen. In neuerer Sicht handelt es
sich um hauptsächlich aggressive Impulse, die eine paranoid-halluzinatorische Verabeitung
erfahren. In der heute vorherrschenden Ich-Psychologie wird die halluzinatorische (und
wahnhafte) Symptomproduktion als Folge einer Regression auf ganz frühe Stadien von
Autoerotismus bzw. primärem Narzissmus gesehen, wo sich das Subjekt noch in einem
eigenen Kosmos befindet und Ich-Grenzen noch nicht aufgerichtet sind. Daß eine solche
Regression stattfinden kann, setzt Fixierungen auf frühe Entwicklungsstadien voraus. Die bei
psychotischen Patienten vorauszusetzende Durchlässigkeit der Ich-Umwelt-Schranke, die
Unfähigkeit zwischen äußeren und inneren Wahrnehmungen zu unterscheiden, wie sie sich in
Halluzinationen bezeugt, ist auf eine anfängliche Defizienz in der Ich-Entwicklung in einer
Phase, wo sich eine feste Subjekt-Objekt-Differenzierung noch nicht herausgebildet hat,
zurückzuführen. Halluzinationen erscheinen so als direktes Ergebnis des Rückzugs der Ich-
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Besetzung, sofern die Kranken jetzt ihre Gedanken als äußere Realität erleben. Diese innere
Katastrophe des Ich- und Weltuntergangs bedarf des Wiederaufbaus des Subjekts, sollte
dieses überhaupt noch weiter existieren können.
Unter diesem Aspekt sind nach der Lehre Freuds psychotische Symptome wie die
Halluzinationen immer auch als Restitutionsversuche und Selbstheilungsprozesse zu
verstehen. Das Auftreten von Halluzinationen (und Wahn) kann so gesehen zu einer
Leidentlastung für den Patienten und zu einer Stabilisierung auf einem niedrigeren Niveau
führen. Daraus lässt sich auch verstehen, dass viele Kranke an den Halluzinationen festhalten
und nach zu rascher medikamentöser, therapeutisch unreflektierter Reduktion der
halluzinatorischen /und wahnhaften) Symptomatik in eine Depression fallen können.
Halluzinationen und Wahn isolieren den Betroffenen, er fällt damit aus der gemeinsamen
Welt und der gemeinsamen Sprache heraus, eine Verständigung wird zunächst nicht erreicht.
Zwar kann der Therapeut in langem therapeutischen Umgang lernen, warum es gerade zu
diesem Wahn und diesen Halluzinationen kommen konnte. Die psychotische Erfahrung selbst
kann er aber meist mit dem Patienten nicht teilen, schon deswegen nicht, weil er von dieser
Erfahrung nicht minder befremdet ist als der Patient selbst. Durch eine Spaltung entstehen
Vorstellungsgruppen, „Komplexe“, die aus dem zusammenhängenden Assoziationsgefüge
herausfallen und dem Ganzen eines Lebenszusammenhanges nicht mehr integrierbar sind. Die
Halluzinationen sind einfach da, ohne dass der Kranke sagen könnte, woher sie kommen oder
wie sie in sein Leben hineinragen. Der abgespaltene Komplex kann sich also in Form von
Halluzinationen melden.
Als Psychotherapeut ist man angesichts eines Patienten mit Halluzinationen (und Wahn)
immer betroffen. Es entsteht eine Wand zwischen dem in Wahn und Sinnestäuschungen
Befangenen und dem Zuhörer. Die Verständigung des Psychosekranken mit dem Anderen ist
nicht mehr möglich, weil seine Grundbefindlichkeit in der Welt singulär, unteilbar, ohne
„Überstieg“ geworden ist. Die wahnhaft-halluzinatorischen Ereignisse, in deren Umkreis der
Kranke wie ein kausal determiniertes Objekt gefangen ist, sind „zentripetal“ angelegt, sie
beziehen sich alle auf ihn. Das Geschehen in der Welt des Kranken ist nicht mehr neutral, er
verfügt nicht mehr frei als Subjekt über sich. Er wird zum Gegenstand einer universalen
Aufmerksamkeit, er vollzieht eine „ptolemäische Wende“ in den Mittelpunkt einer Welt. Für
den Therapeuten gibt es im Grunde zwei mögliche Vorgehensweisen im Umgang mit dem
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halluzinierenden und wahnhaften Kranken: Die wahn-externe und die wahn-interne Deutung.
Die wahn-externe Deutung bedeutet Konfrontation von Wahn und Halluzinationen mit
unserer Realität. Die wahn-externe Deutung akzeptiert das, was Wahn und Halluzinationen
aussagen, nicht, sie widerspricht dem vielmehr. Sie akzeptiert jedoch den Kranken selbst und
ist zu Kommunikation und bedingungsloser Offenheit bereit. Die Therapie arbeitet mit der
positiven latenten Intention des Wahns, d. h. sie unterstützt die unbewussten
kompensatorischen, stabilisierenden und selbstheilenden Tendenzen, die in Wahn und
Halluzinationen sich verbergen. Die therapeutische Absicht ist synthetisch, nicht analytisch,
und ist auf die Herstellung einer kommunikativen Basis, einer therapeutischen Beziehung
angewiesen.
Im Gegensatz zur „wahn-externen“ bedeutet die „wahn-interne“ Deutung, dass der
Psychotherapeut bereit ist, in den Wahn bzw. die Halluzinationen seines Patienten wie in eine
inszenierte Handlung einzutreten. Eine Auseinandersetzung mit Wahn/Halluzinationen als
solcher findet nicht statt. Vielmehr wird eine phantasmatische Kommunikation innerhalb des
wahnhaft-halluzinatorischen Bereiches angestrebt. Die halluzinatorische Evidenz z. B. der
wahrgenommenen Stimmen wird weder als irreal erklärt noch psychoanalytisch gedeutet,
sondern akzeptiert. Von hier aus wird eine positive Erweiterung versucht durch Öffnung der
Wahnthematik auf einen realistischen Bereich. Der Therapeut stellt sich als Hilfs-Ich zur
Verfügung, das in der kommunikativen Erfahrung der Solidarität das Ich des Patienten stärken
soll. Die wahn-interne Deutung geht von der Annahme aus, dass im wahnhafthalluzinatorischen Erleben kompensatorische Kräfte stimuliert werden können, die den
Wahn/die Halluzinationen transzendieren und schließlich auflösen. So kann der „progressive
Wahn“ – im Gegensatz zum regressiven – das Selbst des Kranken positiv stimulieren.
Die
Psychotherapie
wahnhaft-halluzinierender
Patienten
ist
eine
der
schwersten
psychiatrischen Aufgaben. Besonders schwierig und eher in ausgewählten Fällen
erfolgversprechend
sind
psychoanalytische
Verfahren.
Auf
eine
medikamentöse
Unterstützung mit Neuroleptika, die auf diese produktive Symptomatik sich meist günstig
auswirkt,
kann
nur
dann
verzichtet
werden,
wenn
der
Patient
sie
ablehnt.
Verhaltenstherapeutische und psychoedukative Verfahren, einzeln und vor allem in der
Gruppe, soziotherapeutische, ergotherapeutische und kunsttherapeutische Verfahren sowie
physikalische Maßnahmen und Bewegungstherapie finden breite Anwendung und führen
zusammen mit Neuroleptika-Medikation meist zu einer raschen Abnahme und vielfach auch
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zum Verschwinden der wahnhaft-halluzinatorischen Symptomatik. Insbesondere auf
hirnorganischen Erkrankungen, Intoxikationen und deliranten Zuständen beruhende
halluzinatorische Erlebnisse sprechen in erster Linie auf eine medikamentöse Behandlung gut
an. Grundsätzlich wichtig für die Therapie halluzinatorischer Zustände ist die Zielsetzung,
dass der Betroffene lernt, über seine besonderen Wahrnehmungen, z. B. das Hören von
Stimmen, zu sprechen, auch mit anderen Betroffenen, und die Wahrnehmungen, falls sie
chronisch auftreten, als zu ihm selbst gehörig zu akzeptieren und zu integrieren. Ziel für den
Betroffenen wäre, das Erleben der Sinnestäuschungen auf die Bedingungen der Krankheit
zurückführen zu lernen oder, falls er/sie das nicht annehmen kann, auf parapsychologische
oder transpersonale bzw. spirituelle Erklärungen zu rekurrieren. Hauptziel der Therapie muß
immer die Ich-Stärkung und die personale sowie soziale Weiterentwicklung des Patienten sein.
Aus der Sicht der phänomenologisch-anthropologischen Psychiatrie ist das Halluzinieren eine
ursprüngliche Störung des sinnlichen Erlebens, eine Abwandlung des In-der-Welt-Seins, eine
Störung des Verhältnisses von Ich und Welt („Ich-und-das-Andere“ nach E. Straus), des
Miteinander-Seins. In dieser derart veränderten Welt gibt es keine Gemeinschaft, keine
diskursive Erläuterung oder argumentative Verständigung. Der Kranke kann sich uns nicht
verständlich machen, kann er doch auch sich selbst und seine Welt nicht verstehen. Die
Sinnestäuschungen bedeuten Freiheitsverlust, eine freie Auseinandersetzung mit der Welt ist
dem Halluzinierenden verwehrt, personales Handeln ist nicht mehr möglich.
Die verschiedenen Sinne und Sinnesmodalitäten haben nach E. Straus eine je unterschiedliche
weltkonstituierende Funktion. In der veränderten Welt des Halluzinierenden wandeln sich die
Funktionen der Sinne in charakteristischer Weise ab. Eine wesentliche Veränderung ist die
„Einsinnigkeit“ der halluzinatorischen Sinneswahrnehmung, d. h. relativ selten wird
gleichzeitig im Bereich verschiedener Sinnesmodalitäten halluziniert. Selbst wenn dies
vorkommt, geschieht es meist nicht in Bezug auf ein und denselben Gegenstand. Zwar gibt es
Ausnahmen, z. B. szenische Halluzinationen, die in sich verschiedene Sinnesmodalitäten
vereinigen. Sie kommen jedoch kaum bei schizophren Kranken vor, sondern eher bei
hirnorganischen Erkrankungen. In der Regel fehlt den Halluzinationen das Miteinander
gleichzeitiger Sinneseindrücke von ein und demselben Gegenstand in verschiedensten
Sinnesregionen, wodurch sich ja erst die „Realität“ eines Gegenstandes konstituiert. Es fehlt
die Synthese der verschiedenen Sinnesmodalitäten, die ja erst die Realität einer
Gesamtwahrnehmung im Sinne eines „sensus communis“ ausmacht. Über das Fehlen eines
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gesamthaften, intersensoriellen Wahrnehmens hinaus kommt bei vielen Halluzinationen auch
kein intrasensorielles Wahrnehmen zustande, wenn man dabei die volle sinnliche Qualität im
Auge hat. So sind z. B. für die volle sinnliche Qualität im akustischen Bereich die
mitschwingenden Ober- und Untertöne wichtig. Diese fehlen nach den Berichten Betroffener
oft, so dass etwa beim Hören von Stimmen ein seltsamer, unnatürlicher Eindruck entstehen
kann. So übermächtig der informative Gehalt der Halluzinationen- nicht nur bei imperativen
Stimmen – zu sein scheint, so dürftig bleibt bei aller „Leibhaftigkeit“ der Halluzinationen (im
Sinne Karl Jaspers´) doch zunächst ihre sinnliche Fülle. Es fehlen die vielen Modulationen
und Abschattungen, die dem Wahrgenommenen seine Lebendigkeit geben. Es fehlt insgesamt
den Halluzinationen die perspektivische Vielfalt. Sie werden oft aber auch nicht als einer
Sinnesqualität zugehörig erlebt, nicht selten sind es synästhetische Wahrnehmungen, die
mehrere Sinne zusammennehmen, etwa wenn Stimmen nicht nur akustisch, sondern auch
körperlich-taktil oder zugleich optisch wahrgenommen werden oder eine fremdartige
Mischung aus verschiedenen Sinnesmodalitäten wahrgenommen wird.
Dem Mangel an Perspektivenbeweglichkeit der halluzinatorisch veränderten Wahrnehmung
entspricht eine „Aufmerksamkeitsstarre“ oder „Wahrnehmungsstarre“ im halluzinatorischen
Erleben der Betroffenen. Die Patienten wirken wie „gebannt“ durch das, was ihnen im
Halluzinieren (oder im Wahn) widerfährt. Diesem Bannungserlebnis korrespondiert eine
„Lähmung der intentionalen Beweglichkeit“ (nach Blankenburg), es ist subjektiv keine Kritik
gegenüber dem Wahrgenommenen möglich, es fehlt die „autonome Eigenbeweglichkeit“ des
normalen Realitätsbewusstseins gegenüber dem Wahrgenommenen. Die Perspektiveneinengung im Halluzinieren kann therapeutisch genutzt werden, indem man mit dem
Patienten
ein
Training
der
Perspektivenbeweglichkeit
und
der
Fähigkeit
zum
Perspektivenaustausch durchführt.
Sinnestäuschungen und halluzinatorische Zustände sind zweifellos eine leib-seelische
Grundmöglichkeit des Menschen, es sind Urerfahrungen, die zur anthropologischen Matrix
gehören. Nach Art und Häufigkeit stehen diese Zustände im Zusammenhang mit
unterschiedlichen kulturellen und historischen Bedingungen. Auch die Einschätzung als
normal, abnorm oder krankhaft ist kultur- und zeitabhängig. Das Auftreten von
Sinnestäuschungen
im
Bewusstseinserweiterung
weitesten
oder
Sinne
–einengung,
hängt
der
vom
Bewusstseinszustand,
affektiven
Verfassung
und
von
dem
Wachheitsgrade ab. Die Grenzen von Sinnestäuschungen zu den mehr im inneren
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Vorstellungsraum lokalisierten Wahrnehmungen, vor allem den eidetischen, imaginativen und
tagtraumartigen optischen Produktionen sind nicht immer sicher zu ziehen. Zustände
gesteigerter Wahrnehmungs- und Vorstellungsfähigkeit bzw. –tätigkeit und der gesamte
Bereich von Imagination und Fantasie mit ihren Verbindungen zur künstlerisch-dichterischen
Inspiration und Kreativität wären ebenfalls in die Betrachtung einzubeziehen. Von der
Imagination zur Halluzination führt durchaus ein Weg in Abhängigkeit von seelischen,
zerebralen und situativen Bedingungen, und die alte Rede von der Nähe zwischen Genie und
Wahnsinn besteht nicht ohne Grund.
Ein physiopsychologisches Modell des Neurophysiologen Roland Fischer kann diese
Zusammenhänge recht gut verdeutlichen. Er nimmt ein „Wahrnehmungs-HalluzinationsMeditations-Kontinuum“ an, das vom Bewusstseinszustand, d. h. vom zentralnervösen
Erregungszustand abhängt, der sog. „general arousal reaction“ oder allgemeinen
Weckreaktion. Dieser Zustand wird durch Sinnesreize, biochemische Vorgänge (z. B. bei
bestimmten Krankheiten) oder durch Drogen ausgelöst und verändert. Stufenweise Steigerung
oder Dämpfung des zentralnervösen Erregungszustandes ist mit jeweils verschiedenen
Zuständen veränderten Bewusstseins gekoppelt. Ein normaler Grad zentralnervöser Erregung
mit geringen Schwankungen ist die biologische Grundlage des normalen Bewusstseins.
Zunehmende zentrale Erregung, die ergotrope Phase, führt über die Stufen Sensitivität,
Kreativität, Angst, akute schizophrene und katatone Zustände bis zu mystisch-ekstatischen
Erlebnissen. Diesem Erregungskontinuum entspricht auf der sensorischen Seite eine Zunahme
abnormer Wahrnehmungserlebnisse, Sinnestäuschungen und Halluzinationen. Andererseits
entsprechen einer zunehmenden zentralnervösen Dämpfung, der trophotropen Phase,
außergewöhnliche Versenkungs-, Meditations- und Trancezustände. Ergotroper (hyperarousal)
und trophotroper (hypoarousal) Zustand können umkippen und in den jeweils anderen
Erregungszustand übergehen. So können Halluzinationen auch in Versenkungs- und
Trancezuständen auftreten.
Halluzinatorische Erlebnisse sind nicht nur in psychiatrischen Krankengeschichten, in
Lehrbüchern der Psychiatrie, in autobiographischen Aufzeichnungen schizophren Kranker
oder in Berichten von Rauschdrogen-Erfahrenen und in der Textüberlieferung der religiösmystischen Tradition, sondern auch eindrucksvoll und detailliert in der Dichtung dargestellt.
Darauf kann ich hier leider nicht eingehen, es wäre ein eigenes Thema. Zur abschließenden
Verdeutlichung sei der kurze Erlebnisbericht eines Dichters zitiert:
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In solchem Drang und Verwirrung konnte ich doch nicht unterlassen, Friedriken noch einmal
zu sehn. Es waren peinliche Tage, deren Erinnerung mir nicht geblieben ist. Als ich ihr die
Hand noch vom Pferde reichte, standen ihr die Tränen in den Augen, und mir war sehr übel
zu Mute. Nun ritt ich auf dem Fußpfade gegen Drusenheim, und da überfiel mich eine der
sonderbarsten Ahnungen. Ich sah nämlich, nicht mit den Augen des Leibes, sondern des
Geistes, mich mir selbst, denselben Weg, zu Pferde wieder entgegenkommen, und zwar in
einem Kleide, wie ich es nie getragen: es war hechtgrau mit etwas Gold. Sobald ich mich aus
diesem Traum aufschüttelte, war die Gestalt ganz hinweg. Sonderbar ist es jedoch, dass ich
nach acht Jahren, in dem Kleide, das mir geträumt hatte, und das ich nicht aus Wahl, sondern
aus Zufall gerade trug, mich auf demselben Wege fand, um Friedriken noch einmal zu
besuchen. Es mag sich übrigens mit diesen Dingen wie es will verhalten, das wunderliche
Trugbild gab mir in jenen Augenblicken des Scheidens einige Beruhigung. Der Schmerz, das
herrliche Elsaß, mit allem, was ich darin erworben, auf immer zu verlassen, war gemildert,
und ich fand mich, dem Taumel des Lebewohls endlich entflohn, auf einer friedlichen und
erheiternden Reise so ziemlich wieder.
Es ist, Sie werden es erkannt haben, Goethes Bericht über seine Doppelgänger-Halluzination
aus ´Dichtung und Wahrheit´, die er beim Abschied von Friederike Brion in Sesenheim in
einer hochambivalenten seelischen Belastungssituation erlebte. Sehr typisch ist, neben der
Leibhaftigkeit und Realistik der Erscheinung, daß die Projektion der Konfliktsituation in eine
Wahrnehmung von außen unmittelbar zu einer erheblichen Entlastung des Dichters geführt
hat. So zeigt sich auch am dichterischen Beispiel die mögliche Funktion halluzinatorischen
Erlebens als Überlebenshilfe und Wegweiser zur Selbststabilisierung oder Selbstheilung.
Insofern könnte man nicht nur von einem Sinn der Sinne, sondern ebenso auch von einem
Sinn der Sinnestäuschungen sprechen.
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