Zum Tod des Evolutionstheoretikers William D

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Wissenschaft intern
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BIOSPEKTRUM • 3.00 • 6. JAHRGANG
Zum Tod des Evolutionstheoretikers William D. Hamilton
Bernhard Haubold, Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie, Jena
쑺 Die großen Fragen der Biologie sind Kinderfragen: Warum werden wir krank? Warum
werden wir alt? Warum vermehren wir uns so
umständlich? Warum helfen sich manche
Menschen gegenseitig und andere nicht? Bill
Hamilton betrachtete diese Fragen vom
Standpunkt Darwins aus. Dabei begann er
stets mit einem genauen Studium der Naturgeschichte des untersuchten Systems. Die
von ihm aus dieser direkten Anschauung seit
den frühen 60-er Jahren entwickelten Theorien waren von einer Originalität und Frucht-
Wenn etwa ein Vogel einen Warnschrei
ausstößt, erhöht er die Gefahr, selbst einem
Räuber zur Beute zu fallen, während er andere Mitglieder der Gruppe schützt. In welchem Sinne kann die Rede davon sein, dass
der „Wächtervogel“ an einem Wettbewerb
um begrenzte Ressourcen teilnimmt, bei dem
er seine eigene Nachkommenschaft maximieren möchte? In noch größere Schwierigkeiten kommt naiver Darwinismus durch das
Studium sozialer Insekten. Bei Bienen zum
Beispiel vermehrt sich pro Stamm nur die
Bill Hamilton (Mitte) auf seiner letzten Forschungsreise im Regenwald von Kongo. In der Hand hält er
Blutproben von Schimpansen. Foto: Michael Worobey
barkeit, die in der Biologie der 2. Hälfte des
20. Jahrhunderts ihresgleichen sucht. Alles
begann mit drei Papers, in denen Hamilton
1963 und 1964 die Ergebnisse seiner Doktorarbeit veröffentlichte und gleichzeitig die
moderne Soziobiologie begründete.
Thema der bahnbrechenden Untersuchungen war die Evolution von Selbstlosigkeit. Selbstlos werden solche Handlungen
genannt, die dem Subjekt schaden und dem
Objekt nützten. Die Frage ist, ob es eine genetische Grundlage für solches Handeln gibt
und wie sich die entsprechenden Gene durchsetzen können. Hamilton war aufgefallen,
dass das darwinistische Schlagwort vom „Survival of the Fittest“ als gemeinnützigste
Handlungen die Paarung und das Aufziehen
von Nachkommen impliziert. Der im darwinistischen Sinne fitteste Organismus ist derjenige, der im Wettbewerb um begrenzte
Ressourcen die meisten Nachkommen hinterlässt. Dies reicht jedoch nicht aus, um das
Verhalten von echten Tiergemeinschaften zu
beschreiben.
Königin, während die Arbeiterinnen steril
sind. Wie ist derartige Selbstlosigkeit der Arbeiterinnen zu erklären? Eine beliebte Antwort ist, dass Tiere sich in Hinblick auf den
Nutzen ihrer Bezugsgruppe verhalten. Diese
Ansicht ist ebenso weit verbreitet wie unfruchtbar. Erstens ist unklar, um welche Gruppe es gehen soll: den einzelnen Bienenstamm,
alle Bienen, alle Hautflügler, alle Insekten?
Außerdem ist ein Verhalten, bei dem das Wohl
einer Gemeinschaft im Vordergrund steht,
unstabil, da stets der Gefahr des individuellen Schmarotzertums ausgesetzt.
Konsistenter und fruchtbarer lässt sich
über das Problem des altruistischen Sozialverhaltens nachdenken, wenn man mit Hamilton Nachkommenschaft genetisch fasst, also
den darwinistischen Wettbewerb auf die Maximierung der Verbreitung der eigenen Gene
reduziert. Exemplare der eigenen Gene sind
nicht nur in den leiblichen Kindern, sondern
auch in entfernteren Verwandten zu finden,
denn wir erhalten ebenso wie unsere Geschwister eine Hälfte unserer Gene vom Va-
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ter, die andere von unserer Mutter. Um die
gleiche Anzahl eigener Gene zu verbreiten,
macht es zum Beispiel keinen Unterschied,
ob jemand ein eigenes Kind, einen leiblichen
Bruder, oder zwei Nichten aufzieht. Die Pflege eigener Nachkommen kann somit als Spezialfall verschiedenster Verhaltensweisen betrachtet werden, bei denen die genetische
Nachkommenschaft maximiert wird.
Das Ergebnis von Hamiltons Doktorarbeit war die Erkenntnis, dass „Das soziale
Verhalten einer Spezies so evolviert, dass in
jeder einzelnen verhaltensprovozierenden
Situation das Individuum seine eigene Fitness gegen die seiner Nachbarn, entsprechend der dieser Situation angemessenen
Verwandtschaftsgrade, abzuwägen scheint“.
Diese erweiterte Form der Fitness nannte er
„inklusive Fitness“, da die Auswirkung von
Handlungen auf Verwandte bei ihrer Berechnung eine Rolle spielt.
Nun mag man einwenden, dass Situationen, die selbstloses Handeln erfordern, etwa
der Angriff eines Räubers, keine Zeit für komplexe Berechnungen des Verwandtschaftsgrads der möglichen Nutznießer lassen. Dieses Argument ist jedoch genauso wenig stichhaltig wie der Einwand, ein Tormann könne
niemals einen Ball halten, da die Berechnung
von Flugbahnen die Lösung komplexer Gleichungen erfordere. Die Beschreibung eines
Prozesses ist nicht äquivalent zu dessen innerer Maschinerie; es reicht, wenn Beschreibung und Beschriebenes in wichtigen Punkten übereinstimmen – etwa wenn die theoretische Berechnung des Flugziels eines Fußballs mit dem wirklichen und der vom Tormann angesprungenen Ecke des Tors übereinstimmt.
Wie kann nun das Konzept der „inklusiven Fitness“ den Verzicht der sterilen Arbeiterbienen auf Nachkommenschaft erklären?
Nach der hamiltonschen Theorie sollte eine
Betrachtung der Verwandtschaftsgrade ein
guter Ausgangspunkt für die Untersuchung
sein. Die Königin eines Bienenstamms wird
einmal im Leben von einer männlichen Biene befruchtet, deren Spermien alle genetisch
identisch sind. Jede Arbeiterin hat die eine
Hälfte ihrer Gene von der Königin, die andere von ihrem Vater. Der Verwandtschaftsgrad
zwischen Arbeiterin und Königin ist daher
1/2, genau wie zwischen menschlichen Eltern
und ihren Kindern, oder zwischen menschlichen Geschwistern. Da die Arbeiterinnen jedoch alle das exakt identische männliche Erbgut tragen, ist der Verwandtschaftsgrad der Arbeiterinnen untereinander 3/4. Im Gegensatz
zu uns Menschen sind also Bienengeschwister näher miteinander verwandt, als die Königin mit ihren Jungen. Es ist folglich für die
inklusive Fitness der Arbeiterinnen von Vorteil, auf eigene Nachkommen zu verzichten,
und sich um die Aufzucht der ihnen näherstehenden Geschwister zu kümmern.
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Hamilton hatte große Schwierigkeiten,
diese Überlegungen zu veröffentlichen. Noch
nicht einmal zwanzig Jahre nach Kriegsende
hing in Großbritannien dem Nachdenken
über den Zusammenhang von Verhalten und
Genetik noch stark der Geruch der Eugenetik und damit des Faschismus an.
Die Reduktion sozialen Verhaltens auf die
Maximierung der inklusiven Fitness ist allerdings auch heute noch beunruhigend. Ist
Selbstlosigkeit damit nichts anderes als genetisch programmierter Egoismus? Gibt es eine
genetische Grundlage dafür, Wertsysteme zu
schaffen, in denen nahen Verwandten, oder
denjenigen, die als solche angesprochen werden („alle Menschen werden Brüder“), vor
entfernteren Verwandten der Vorzug gegeben
wird? Seit der Popularisierung von Hamiltons
Ideen durch Richard Dawkins unter dem
Schlagwort „Selfish Gene Theory“, sind solche Überlegungen zumindest in angelsächsischen Ländern fast zu Allgemeinplätzen geworden.
Hamilton selbst, mittlerweile Professor
in Oxford, schrieb über seine erste Arbeit
zurückblickend: „Ich war überrascht von
dem Ausmaß meines letztendlichen Erfolgs
und habe insbesondere nicht den Grad der
Relevanz, die meine Entdeckungen für
Menschen haben würden, erwartet“. Eines
habe sich aber seit der ursprünglichen Veröffentlichung nicht geändert und das sei seine „Abneigung gegen die Vorstellung, daß
mein Verhalten oder das Verhalten meiner
Freunde meine Theorie von Sozialverhalten
oder irgendeine andere Theorie illustriert“.
In letzter Zeit interessierte Hamilton sich
für die vieldiskutierte Idee, dass der AIDSErreger HIV von Schimpansen auf den Menschen übertragen worden ist. Um diese Theorie zu überprüfen, braucht man Blutproben
von wilden Schimpansen und Hamilton fuhr
nach Kongo, um sie zu besorgen. Dabei infizierte er sich mit einer tropischen Krankheit
und starb am 7. März diesen Jahres im Alter
von 63 Jahren. Er hinterläßt ein Werk, mit
dem sich Biologen und biologisch interessierte Denker noch Jahrzehnte lang auseinandersetzen werden.
(Quellen: W. D. Hamilton. 1996. Narrow
Roads of Gene Land, The Collected Papers of W.
D. Hamilton, - Bd. 1. Oxford: W. H. Freeman;
ISBN: 0-7160-4530-5; R. Dawkins. 1976. The
Selfish Gene. London: Granada; ISBN: 0-58608316-2).
Korrespondenzadresse
Bernhard Haubold
Max-Planck-Institut für Chemische Ökologie
Carl-Zeiss-Promenade 10
07745 Jena
Tel.: 03641-643672
Fax: 03641-643668
eMail: [email protected]
Homepage: http://www.ice.mpg.de/~haubold
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