20 KULTUR NORDWESTSCHWEIZ SAMSTAG, 11. JUNI 2016 Baden lässt die Puppen tanzen Figurentheater Gruppen aus der ganzen Welt bespielen die Bühne der Bäderstadt diesem Jahr fordern wir unser Publikum etwas mehr.» Auffallend ist, dass viele Stücke das Thema Grenzen und Krisen aufgenommen haben. Das Zentrum des Festivals bildet neu ein Zelt auf dem Kirchplatz. «Wir wollten einen überdachten Treffpunkt für Künstler und Gäste», sagt Howald. Neben Schlemmereien und Getränken gibt es im Zelt jeden Abend Gratisvorstellungen und Konzerte. Die Künstler Simon Ho und Pedro Lenz eröffnen die abendlichen Aufführungen mit ihrer Uraufführung einer Experiment-Kapelle. «Was die beiden genau machen, wissen wir auch nicht. Es ist eine Überraschung für alle», sagt Eveline Gfeller. Für kleine und grosse Kinder, die selbst Hand anlegen möchten, gibt es auch Workshops zum Thema Puppen. Tiefgründige Denker können im ThiK Theater am philosophischen Gespräch mit dem Wahrnehmungspsychologen Fred Mast von der Universität Bern teilnehmen. Dieser erklärt, wieso sich Menschen mit den Figuren auf der Bühne identifizieren können. VON BARBARA SCHERER Insgesamt 34 Inszenierungen präsentiert die 12. Ausgabe des Figura Theaterfestivals in Baden, davon werden 18 zum ersten Mal in der Schweiz aufgeführt. Dazu überraschen Produktionen aus den USA und Brasilien. Wer aber glaubt, das sei ein Puppentheater für Kinder, der liegt falsch. «Das Programm bietet für die ganze Familie etwas», sagt Produktionsleiterin Irène Howald. So ist die Theatergruppe «Half past selber schuld» aus Deutschland dabei. Sie sind die Sieger der RTL-Show «Die Puppenstars 2016» und räumen auf witzige und absurde Weise im Stück «Pinocchio Sanchez» mit der Legende über Pinocchio auf. «Als wir die beiden gebucht haben, waren sie noch nicht so bekannt», sagt die künstlerische Leiterin Eveline Gfeller mit einem Lächeln. Der Regierungsrat des Kantons verleiht zudem zum siebten Mal den Förderpreis für junges Figurentheater «Grünschnabel». Man braucht einen Zeckenspray Das Stück «Irrung & Wirrung – die Liebe steht Kopf» vom Theater Blau lässt die Herzen aller Naturliebhaber höherschlagen; spielt das Stück doch im Wald auf der Baldegg. «Man braucht aber einen Zeckenspray», sagt Howald mit einem Augenzwinkern. Von Handund Klapppuppen über Schattentheater deckt das Figura fast alle Arten des Objekt- und Figurentheaters ab. «Faden-Marionetten sind dieses Mal aber leider keine dabei», sagt Howald. Gesamthaft treten 128 Künstler am Festival auf. Erstmals eröffnet dabei ein englischsprachiges Stück das Festival: Mit der Produktion «Saga» von Wakka Wakka Productions aus den USA beginnt das Festival im Kurtheater. Ebenfalls gibt es zum ersten Mal Stücke mit viel Text auf Französisch. Howald: «In Schmiede und Stanzerei Zum ersten Mal werden Stücke auch in der Schmiede und der Stanzerei aufgeführt. «In Baden funktioniert die Organisation sehr gut, die Stadt ist hilfsbereit und präsent », sagt Howald. «Dabei sind Räumlichkeiten am schwierigsten zu finden», ergänzt Gfeller. Bisher fehle eine mittlere Bühne, weshalb einer Gruppe abgesagt werden musste. Finanziert wird das Theaterfestival durch Kanton und Stadt sowie verschiedene Kulturstiftungen. «Es wird immer schwerer Stiftungsgelder zu erhalten», sagt Gfeller. Das mache ihr schon Sorgen. Es gebe aber viele Partner, die das Festival durch Sachleistungen unterstützen. Mit «Saga» der Wakka Wakka Productions aus den USA beginnt das Festival. Musikalisch Grenzen überschritten den interdisziplinären Musiker Frank Zappa (noch mehr hätte man sich zum Dadaisten Frank Zappa gewünscht). Die Texte schufen die Brücke zwischen den Songs der fünfköpfigen Rockband (Musikalische Leitung: Tobias Schwab) mit ihren drei Vocals (Andreas Lareida, Martina Schibler, George Vaine) und den ZappaInterpretationen des Argovia Philharmonic (Leitung: Douglas Bostock). Neue Musik Das Argovia Philharmonic zu Gast an den Festspielen Zürich. Mit einer Kammermusik-Formation liessen die Aargauer in der Produktion des Theaters Rigiblick Frank Zappa aufleben. Gewagt – gewonnen VON FRANZISKA FREY Es gebe weder E(rnste) noch U(nterhaltungs)-Musik – es gebe nur gute und schlechte Musik. So dachte Frank Zappa, der unkonventionelle Rockmusiker, Komponist, Dirigent, Musikproduzent und einiges mehr. Gegen Ende seines Lebens, er starb mit 52 Jahren an einer Krebserkrankung, schrieb Zappa vermehrt für sinfonisches Orchester, etwa «The Yellow Shark», uraufgeführt vom Ensemble Modern 1993 in Frankfurt. Und Frank Zappa liebte die Absurdität, das Schräge, Gewagte. Mit der Entdeckung, dass irgendjemand «in einem fernen Land» einmal dieselben Ideen hatte wie er, fand er auch eine Bezeichnung für seine Kunst: Dada. Platte ausschliesslich mit Trommeln Daniel Rohr, der das Konzept des Frank-Zappa-Abends im Theater Rigiblick ausgearbeitet hatte und für die Texte verantwortlich war, liess das amerikanische Multitalent mit Anekdoten aus Zappas Mund zu Wort kommen: Wie Zappa als Teenager seine erste LP erwarb, eine ganze Platte ausschliesslich mit Getrommel! Ein wegweisender Kauf, war es doch Edgar Varèses «Ionisation», das Zappas Interesse an der Neuen Musik – guten Musik! – anfachte. Man erfuhr Biografisches, Witziges (darunter die Zappa’sche «Anatomie des Orchesters») und einiges rund um Das musikalische Multigenie Frank Zappa liebte die Absurdität, das Schräge, Gewagte. KEYSTONE Mit den «Dog Breath Variations» konnte das Premierenpublikum im ausverkauften Rigiblick-Theater Frank Zappa «symphonisch und in Rock» (so der Programmtitel) erleben: Die Version von 1973 auf der rechten Bühnenseite mit der Zappa-Band, die Orchesterversion von 1993 mit dem «Zappa Philharmonic» auf der linken Bühnenseite. Ansonsten bewegten sich beide Formationen in «ihren» Bereichen. Die Gäste aus dem Aargau zeigten sich als begeisternder (und begeisterter) Klangkörper und bewegten sich flink in Zappas instrumentaler «Varietéshow», wie er selbst «The Yellow Shark» in einem Interview bezeichnete. Im Wechsel mit dem Sinfonieorchester spielte die Band: entfesselt in der Rock-Version von «Penguin in Bondage» (1986), auf den Punkt gebracht in «Joe’s Garage» (1979) oder in der Zugabe «Peaches En Regalia» (1969). Grandiose Leistung Es ist ein aufwendiges Projekt, dem Multitalent Frank Zappa in etwas mehr als zwei Stunden gerecht zu werden. Und dass sich ein «klassisches» Sinfonieorchester kurz vor Saisonschluss noch in solche ungewohnten Gefilde wagt, ist keine Selbstverständlichkeit. Wie gut, dass weder das Theater Rigiblick noch das Argovia Philharmonic den Aufwand zu diesem Frank-ZappaAbend gescheut hat. J. BALDASSARE Figura Theaterfestival Di, 14.6., bis So, 19.6., diverse Spielorte. Wie von selbst Jazz Jubiläums-Album «The Purge» des Peter-Schärli-Trios mit dem Star-Posaunisten Glenn Ferris. VON STEFAN KÜNZLI Der Trompeter Peter Schärli (61) ist ein sicherer Wert in der Schweizer Jazzszene. Seit über 40 Jahren liefert er Qualität auf hohem Niveau. Auch in der Zusammensetzung seiner Bands setzt er auf Konstanz und Kontinuität. Seit 35 Jahren ist der rhythmusfeste, groovende Bassist Thomas Dürst sein treuer Begleiter, seit 30 Jahren spielt er mit dem amerikanischen Weltklasse-Posaunisten Glenn Ferris, und der formidable Walliser Pianist Hans-Peter Pfammatter ist auch schon seit 10 Jahren dabei. Eine familiäre, freundschaftliche Atmosphäre. Mit diesem schlagzeuglosen Quartett hat Schärli nun das Jubiläums-Album «The Purge» aufgenommen. «Schon nach acht Stunden war alles im Kasten», sagt Schärli. Wenn man sich kennt, geht alles leicht und schneller. Wie von selbst. Es sind alles Eigenkompositionen, eine unaufgeregte, entspannte und charmante Musik, die stark in der Jazztradition verwurzelt ist und sich emotional und ästhetisch am Cool Jazz anlehnt. «Keinerlei aufgesetzte Dramatik, aber viel innere Spannung. Warme, menschenfreundliche, nirgends weichgezeichnete Musik. Viel Sein, keine Mache», schreibt der Jazz-Publizist Peter Rüedi. Dabei tönt die Musik eingängig, ist singbar melodisch, aber alles andere als einfach zu spielen. Die Harmonien sind vertrackt. Doch das Komplexe wird hier selbstverständlich und vertraut. Eröffnet Jazzfestival Willisau Immer wieder verzahnen sich die improvisierten Melodielinien von Schärli und Ferris. Es sind die Glanzlichter der CD. Eine wunderbare Polyfonie, die an das legendäre Zusammenspiel der Cool-Jazz-Helden Chet Baker und Gerry Mulligan erinnert. Eine Einheit, die nur dann entstehen kann, wenn man weiss, wie der andere reagiert. «Wenn ich rülpse, dann furzt er», erklärt Schärli das traumwandlerische Zusammenspiel. Die Erfahrung machts möglich, die Vertrautheit von 30 Jahren. Auch Arno Troxler, der Leiter des Jazzfestivals Willisau, war vom neusten Werk Schärlis begeistert. «Das will ich am Festival», sagte er, nachdem er die Scheibe gehört hatte und buchte das Quartett zur Eröffnung des Jubiläumsfestivals «50 Jahre Jazz in Willisau». Peter Schärli Trio feat. Glenn Ferris: «The Purge», enya/Musikvertrieb. Live: Jazzfestival Willisau, 31. August 2016. Peter Schärli. FRANCESCA PFEFFER KULTUR 21 NORDWESTSCHWEIZ SAMSTAG, 11. JUNI 2016 Lin-Manuel Miranda (M.) ist Librettist, Komponist und Titelrollenbesetzung in einem. THE PUBLIC THEATER, JOAN MARCUS/KEYSTONE Amerikanischer Träumer & Abräumer Musical Mit «Hamilton» schreibt Lin-Manuel Miranda an den Tony Awards Geschichte VON MARC NEUMANN, WASHINGTON DC «Hamilton» ist eine Sensation – und das bereits seit einem Jahr. Karten für das Hip-Hop-Musical am Broadway zu ergattern ist Normalsterblichen mittlerweile verwehrt. «Hamilton» ist laut Ticketmaster bis im Januar 2017 ausverkauft, in halbseidenen Internetbörsen finden Glückspilze Karten ab 650 Dollar, mit Schwarzhändlern auf der Strasse kommt man ab 2000 ins Geschäft. Für die als «Tonys» bekannten Broadway-Oscars am 12. Juni ist Hamilton 16 Mal nominiert. Der bisherige Rekord von 15 Nominierungen für «The Producers» (2001) und «Billy Elliott» (2009) ist damit obsolet. Und selbst wenn «Hamilton» wegen ein paar Doppel-Nominationen an der Bestmarke von 12 gewonnenen Tony-Awards vorbeischrammt, kann das Lin-Manuel Miranda, «Hamilton»-Librettist, -Komponist und -Titelrollenbesetzung, verschmerzen. Schliesslich gewann er für sein Werk Mitte April einen Pulitzer in der Kategorie Drama. Worum gehts in «Hamilton»? In erster Linie um eine historisch weitgehend akkurate Biografie von Alexander Ha- milton, dem vom Waisenkind aus der Karibik zum Gründervater der Vereinigten Staaten aufgestiegenen ersten Schatzmeister der USA. Das Konterfei des föderalistischen Fürsprechers einer Zentralregierung und -bank prangt noch heute auf jeder 10-Dollar-Note. Hamiltons Wirken in New York Das Musical dreht sich um Hamiltons Wirken in New York, im Kreis von George Washington, Thomas Jefferson und Aaron Burr, der ihn am 11. Juli 1804 im Duell an den Gestaden des Hudson Rivers tödlich verletzte. Aus dem Stoff für angestaubte Wälzer amerikanischer Geschichtsschreibung macht Miranda Rap-Reime: «The ten-dollar Founding Father without a father Got a lot farther by workin’ a lot harder By bein’ a lot smarter By bein’ a self-starter» Ins Gründernarrativ der USA in HipHop-Form mischt Miranda gefällige Broadway-Chöre und Melodien. Auch die Besetzung ist ein Mix: Der Sohn von aus nach New York umgezogenen Puertoricanern wählte bewusst einen ethnisch vielfältigen Cast. Unschwer erkennt man das Leitmotiv des «American Dream» heute: Gründervater Hamilton steht auch Pate für die Vita von Hip-Hop-Stars wie Tupac Shakur und allen tellerwaschenden Einwanderern, die noch viel vorhaben. Einer der griffigsten «Hamilton»-Refrains lautet: «Immigrants – we get the job done». Zu deutsch: «Einwanderer – wir leisten ganze Arbeit.» New Yorker zweiter Generation Lin-Manuel Miranda selbst ist New Yorker zweiter Generation, sein Lebenslauf verweist Getto-Fantasien ins Reich der Fantasie. Der Sohn einer Lehrerin und eines gut vernetzten Politberaters (u. a. des New Yorker Bürgermeisters Ed Koch) ging brav an die City University of New York und studierte Theater an der renommierten Wesleyan University, bevor er dank «Hamilton» einen mit einer halben Million Dollar dotierten MacArthur Genius Grant und den Pulitzerpreis einfuhr – und wohl auch am kommenden Sonntag eine rekordverdächtige Anzahl Tonys abräumen wird. Auf seinem Weg zum Superhit schadete es wenig, dass Mirandas multikulti- und diversitätsfreundlicher Geniestreich Beistand von ganz oben erhielt – aus dem Weissen Haus, vom ersten schwarzen Präsidenten. Potus und Flotus hatten 2009 zu einem Poetry-Slam in ihrer Residenz geladen, Miranda sollte eigentlich aus dem «Hamilton»-Vorgänger «In the Heights» vortragen (sein erster Broadway-Mix aus Salsa, Merengue, Rap und Musical, das im vorwiegend von Latinos bewohnten New Yorker Quartier Washington Heights spielt). Miranda dagegen schlug vor, eine unbekannte Nummer aus seinem neusten Projekt vorzutragen. «Hamilton» sei der Inbegriff des Hip-Hop, verkündete Miranda zur allgemeinen Heiterkeit im erlauchten Kreis. Am Ende dessen, was sechs Jahre später der Eröffnungssong von «Hamilton» sein würde, sagte ein beeindruckter Obama nur noch, dass Finanzminister Timothy Geithner das unbedingt sehen müsse. Obama bezeichnet seitdem «Hamilton» als «das Einzige, in dem Dick Che- ney und ich einer Meinung sind», Frau Obama gar als «das beste Kunstwerk, das sie in ihrem ganzen Leben gesehen habe». Und Miranda hat auch schon im Rosengarten des Weissen Hauses «gefreestyled»: Der Präsident hielt Schilder mit Stichworten wie «ObamaCare» und «CO2-Bilanz» in die Luft, Miranda improvisierte im Sprechgesang dazu. Ode ans unvollendete Amerika Neben der willkommenen Publicity rückt das Lob der Obamas «Hamilton» und Miranda auch in die politische Arena eines von Donald Trumps radikalen Ideen zur Ausschaffung von Illegalen und einem Einwanderungsstopp für Muslime geprägten Wahlkampfs. Auch als Aktivist fühlt sich Miranda offensichtlich wohl. So hat sich der 36-Jährige mehrfach als engagierter Fürsprecher für seine in den Schuldensog geratene Heimatinsel Puerto Rico, Teil des US-Commonwealth, hervorgetan. Als Künstler wie Bürger arbeitet Miranda am Traum eines weltoffenen Amerikas. Hamiltons letzte Worte im Musical sind auch seine Ode: «America, you great unfinished symphony!» Kühn wie eh und je dungsmitglieder denn auch im Vorfeld Freilicht-Theater Wenn vom der neuen Produktion «Sektor1». Himmel Abfall auf die Menschen herunterfällt und Musik aus Kon- Eine Erfolgsgeschichte Zumindest, wer in Zürich lebt oder aufservendosen erklingt, weiss man, gewachsen ist, weiss, was es mit Karl’s was es geschlagen hat: Die gröss- kühne Gassenschau auf sich hat. Die Artiste Freilicht-Theater-Truppe der tentruppe (sie sind die zweitgrösste Kompanie nach dem Zirkus Knie) greift seit ihSchweiz ist wieder da. VON FLAVIA BONANOMI Am 16. Juni startet das 22. Programm von Karl’s kühne Gassenschau. Seit 32 Jahren arbeiten Paul Weilenmann, Brigitt Maag, Markus Heller und Ernesto Graf zusammen, seit 1994 ist Neil Filby als musikalischer Leiter engagiert. «Never change a winning team», sagten die vier Grün- rer Gründung 1984 Themen auf, die die Schweizer Bevölkerung beschäftigen. Anfangs führte die Truppe auf den Strassen der Schweiz Variétés auf, bis 1988 stockte die Truppe Requisiten und die Themen und Geschichten rund um die Vorführungen auf. Es entwickeln sich wahre Happenings, die unzählige Leute anlocken; die Bezahlung beschränkt sich auf eine Hutkollekte. «Kreuzfahrt» (1987) und «Baustelle» (1989) sind die ersten Shows mit Sektor1 Karl’s kühne Gassenschau. 16.6. bis 15.10. immer Di bis Sa., 20.15 Uhr (Premiere 20.30 Uhr). Ausser der Vorstellung vom Samstag, 9. Juli, sind alle Vorstellungen bis Ende August ausverkauft. ganzheitlichem Konzept, die schon fast wie Theater anmuten; und mit «uniform» (1992) folgt die erste freche Politsatire. Seit da sind die Kühnen nicht mehr aufzuhalten: Die Bühnenbilder werden grösser, die Geschichten wilder, das Ganze professioneller. Themen sind Stau, Erinnerungen und neue Gesellschaftsstrukturen, die Kulissen echte Steinbrüche und alte Gerüste. Und das alles wurde ein bisschen erfolgreicher: «Silo 8» und «Fabrikk» lockten fast 600 000 Zuschauer in die (noch immer unnummerierten) Sitzreihen der Gassenschau. Der neuste Streich Und was kommt jetzt? «Sektor1» beschreibt das Eldorado der Menschheit in 40 Jahren: Der Abfall wurde in den Weltraum geschossen, damit das Leben auf Er- den wieder möglich ist. Zum Sektor1 haben nur diejenigen Zutritt, die sich im streng geregelten Alltag besonders bewähren; doch als eines Tages die Himmelsdecke rinnt und der Abfall wieder ins Bewusstsein der Menschen gerät, spielt das alles eh auch keine Rolle mehr. Gespielt wird wieder auf dem Industriegelände in Winterthur, 5 Millionen Franken wurden investiert und über 100 Musiker, Techniker, Handwerker und Schauspieler arbeiten am neusten Traum der kühnen Artisten, denen selbst etwas bange wird beim Gedanken an die neue Fantasie. Schliesslich müssen sie sich auch beweisen: Das letzte Programm, «Fabrikk», wurde 5 Jahre lang gespielt, und auch für diese Produktion rechnet man mit 1400 Zuschauern pro Abend; davon können herkömmliche Theaterhäuser nur träumen.