Redaktion Medizin: (089) 53 06-425 [email protected] Telefax: (089) 53 06-86 61 Münchner Merkur Nr. 261 | Montag, 12. November 2012 MEINE SPRECHSTUNDE Leben .................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................................. Ventile für einen freien Atem Immer mehr Menschen leiden an einer Verengung der unteren Atemwege. Diagnose: Chronisch obstruktive Bronchitis, kurz COPD. Als Folge kann sich das LungenProf. Dr. Christian Stief gewebe krankhaft veränAls Chefarzt im Münchner dern. Ein LungenemphyKlinikum Großhadern erlebe sem entsteht und raubt ich täglich, wie wichtig medizinische Aufklärung ist. Mei- den Betroffenen den ne Kollegen und ich(www.fa- Atem. Eine neue Methocebook.de/UrologieLMU) de konnte ihn Waltraud möchten den Merkur-Lesern Rickl (68) zurückgeben. daher jeden Montag ein Thema vorstellen, das für ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der heutigen Seite steht das Lungenemphysem. Experten des Beitrags sind Prof. Joachim Meyer, Leiter der Klinik für Pneumologie, Gastroenterologie, Internistische Intensiv- und Beatmungsmedizin am Klinikum Harlaching und Dr. Sebastian Gallenberger, Leiter der Klinik für Pneumologie und Pneumologische Onkologie am Klinikum Bogenhausen. Stichwort: die Lunge Die menschliche Lunge besteht aus zwei Flügeln. Der rechte ist dabei in drei sogenannte Lungenlappen unterteilt, der linke in zwei. Der linke Lungenflügel ist kleiner, weil das Herz auf dieser Seite einigen Raum einnimmt. Die Lungenlappen werden wiederum in verschiedene Lungensegmente unterteilt, die jeweils von einem Bronchialast versorgt werden. Mit Hilfe des Zwerchfells und der Muskulatur der Rippen weitet sich der Brustkorb. Die Luft wird durch diesen Unterdruck in die Lungen gesaugt. Die Luft strömt über die Luftröhre in die Bronchien, die sich wie ein Baum immer weiter verzweigen. Die feinen Verzweigungen nennt man Bronchiolen. Diese enden schließlich in den Lungenbläschen, den Alveolen. Deren Wand durchziehen feine Blutgefäße. Hier kann der Sauerstoff direkt in das Blut übertreten, indem er sich an die roten Blutkörperchen bindet. sog 17 VON SONJA GIBIS Nur wenige Monate ist es her, dass Waltraud Rickl im Rollstuhl durch die Klinikgänge geschoben werden musste. Jeder Schritt war eine zu große Anstrengung, löste Atemnot aus. Das ist Vergangenheit: Heute sitzt die 68-Jährige in ihrem Wohnzimmer, erzählt lebhaft, kocht zwischendrin Kaffee. Nur wenn sie allzu rasch aufsteht, wird ihr Atmen schwer. „Ich bin glücklich, dass ich das wieder kann“, sagt sie. Möglich machen dies Ventile in ihrer Lunge. Die Probleme begannen bereits in Waltraud Rickls Kindheit. Sie macht eine schwere Lungenkrankheit durch. Ihr Leben lang bleibt sie danach anfällig für Infekte. Eine harmlose Erkältung – bei ihr kriecht sie gleich tief in die Atemwege. Diagnose: chronische Bronchitis. Dennoch raucht sie, wenn auch nicht viel. „Ich hätte wohl überhaupt keine Zigaretten anfassen dürfen“, sagt sie heute. Doch habe sie ihre Erkrankung wohl nicht ernst genug genommen – wie viele Patienten. Denn eine COPD, eine chronisch obstruktive Bronchitis, verläuft schleichend. Rickl ist schlank, macht Sport. Doch die letzten Jahre ihres Berufslebens ist sie oft im Stress, gibt auf sich und ihre Gesundheit weniger Acht. Auch das schadet ihrer Lunge. Infekte, schwere Bronchitis, Schmerzen beim Atmen – immer wieder plagen Rickl solche Beschwerden. Doch verschwinden sie auch immer wieder. Dann, im Alter von 60 Jahren, ein erster Anfall von Test der Lungenfunktion: Prof. Joachim Meyer prüft, wie es um Waltraud Rickls Atmung steht. Atemnot. Zudem wird Rickls Mutter schwerkrank. Mit Unterstützung ihrer Geschwister pflegt sie sie bis zu ihrem Tod. Auch das kostet Kraft. Wenig später bei einem Urlaub in Cuxhaven wird es schlimmer. Schon ein paar Treppenstufen – und sie keucht. Ein Lungenexperte stellt die Diagnose: Lungenemphysem. Die chronische Bronchitis, bei der sich die Atemwege verengten, hat dazu geführt, dass das Lungengewebe geschädigt wurde. Die Lungenbläschen, die am Ende der Atemwege sitzen, sind überbläht. Die eingeatmete Luft kann nicht mehr vollständig ausgeatmet werden. Die Lunge vergrößert sich, der Brustkorb bläht sich auf, im Lungengewebe entstehen manchmal zentimetergroße Blasen. Die Patienten können nur noch einen Teil der Luft wieder aus ihrer Lunge atmen. Das führt zu Atemnot. Nicht selten gibt es eine familiäre Neigung zum Lungenemphysem. Auch Rickls Vater war daran erkrankt. Rickl gibt nicht auf, geht ins Fitnessstudio. Doch die Beschwerden nehmen zu. „Ich war machtlos“, sagt sie. Ärzte empfehlen Sauerstoff. Diesen kann sie über eine Nasenbrille erhalten. Doch Rickl will das noch nicht. Doch im Winter schafft sie es nicht mehr bis ins Fitnessstudio. In einer Fernsehsendung sieht sie „Ihren Fall“. Ein Patient mit Lungenemphysem berichtet von einer relativ neuen Therapie: Mit Hilfe von Lungenventilen wurde das Volumen seiner Lunge verringert. Sein Zustand besserte sich erheblich. Behandelt wurde er in der Heidelberger Thorax-Klinik. Rickl erkundigt sich. In Heidelberg empfiehlt man ihr das Pneumologie-Zentrum in der Städtischen Klinik in Harlaching. Dort betreut Prof. Joachim Meyer auch Patienten mit Lungenemphysem. Rasch hat Rickl einen Termin. Doch der Weg bis zum Eingriff ist lang. Denn die Behandlung ist nicht für jeden Patienten geeignet. Erforderlich sind zunächst umfangreiche Untersuchungen. „Es dürfen keine Verbindungen zwischen den Lungenlappen bestehen“, erklärt Meyer. Die Lungenventile werden am Eingang zu einem Lungenlappen eingesetzt. Luft kann zwar herausströmen, aber nicht mehr hinein – der Lungenlappen fällt zusammen. FOTO: KLAUS HAAG Dies passiert aber nur, wenn keine Verbindung zu anderen besteht. Zudem verspricht die Methode nicht bei jedem Emphysem Erfolg. „Die meisten positiven Erfahrungen liegen bei Patienten vor, bei denen das Gewebe der oberen Lungenabschnitte stärker geschädigt ist“, erklärt Meyer. Die Verteilung des Lungenemphysems zeigt die Computertomographie. Zudem verschließen die Experten probeweise die Zugänge zu den Lungenlappen. Dazu führen sie mit einem Bronchoskop einen Ballon ein, der am Lappeneingang aufgeblasen wird und diesen kurz abdichtet. Am Ende steht fest: Rickl ist eine geeignete Patientin. Die bronchoskopische Verringerung des Lungenvolumens kann die Überblähung verrin- gern und die Leistungsfähigkeit verbessern. Bei den Untersuchungen wird zudem klar: Rickl leidet an Schlafapnoe, hat nachts ständig Atemaussetzer. Auch das hat die Krankheit wohl gefördert. Jetzt trägt sie im Schlaf eine Maske, die sie regelmäßig atmen lässt. Der Eingriff selbst ist nicht groß – seine Wirkung schon. Zunächst kommt es zwar zu Problemen. Rickl hat einen Infekt. Doch als dieser auskuriert ist, geht es ihr rasch besser. Sie beantragt eine Rehabilitation. Denn die Krankheit hat sie lange Zeit an die Wohnung gefesselt. Sie muss ihre Muskeln, ihren Körper regenerieren. „Ich hatte auch Angst, etwas falsch zu machen“, sagt Rickl. Zuerst lehnt die Kasse ab. Doch Rickl erhebt Einspruch – und kann schließlich nach Bad Reichenhall. Dort nimmt sie alle Angebote dankbar an, trainiert fleißig, findet neue Kraft. Doch ist die Krankheit damit nicht besiegt. Rickl muss auch in Zukunft auf sich Acht geben, sich etwa vor erneuten Infekten schützen. Denn die bedeuten für COPD-Patienten meist eine dauerhafte Verschlechterung. „Ich hüte mich aber zu raten: Meiden Sie Ihre Umwelt“, sagt Meyer. Haben die Patienten wenig Kontakt zu anderen und vergraben sich stattdessen zu Hause, neigen sie eher zu Depressionen. Doch sollten Patienten aufmerksam sein. „Sie merken schnell, was ihnen guttut und was nicht“, sagt Meyer. So erschwert nasskaltes Wetter das Atmen. Kein Problem ist meist trockene Kälte. Auch Rickl merkt, was ihr guttut. Etwa die Luft im Gradierwerk in Bad Reichenhall, wo früher Salz gewonnen wurde. Während der Reha ging sie täglich dorthin. Auch merkt sie, welche Belastung ihr besser bekommt. Bei der Hausarbeit fehlt ihr noch manchmal die Puste. Sie musste lernen, alles langsamer anzugehen – nicht leicht für die agile Frau. „Spazieren gehen ist besser“, sagt sie. Jede Woche geht sie in die Lungensportgruppe. Das hilft sehr. Noch immer kommt sie leicht außer Atem. Aber das Leben hat sie wieder. COPD und Lungenemphysem: Besser leben mit der Krankheit Tief in der Lunge werden die Atemwege immer enger, das Luftholen fällt schwer: Die Zahl der Patienten mit solchen Beschwerden hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) steht die chronisch obstruktive Bronchitis, kurz COPD, auf der Liste der großen Killer inzwischen bereits auf Platz drei. Nur an Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs sterben demnach mehr Menschen. „Sehr viele COPD-Patienten sind Raucher oder ehemalige Raucher“, sagt Dr. Sebastian Gallenberger, Leiter der Pneumologie am Klinikum Bogenhausen. Doch nicht nur der Rauch von Zigaretten fördert die Erkrankung. So leiden auch Menschen, die häufig einem Kohle- oder Holzfeuer ausgesetzt sind, öfter darunter, vor allem in Ländern wie Indien. Der Rauch zerstört die feinen Flimmerhärchen, die für den Abtransport von Schadstoffen zuständig sind, und reizt die Oberfläche der Atemwege. Dies führt zu Entzündungen. Auch Erreger können sich leicht einnisten. Solche Infektionen fördern die COPD zusätzlich. Langsam verhärten sich die unteren Atemwege immer mehr. „Es gib aber auch eine Veranlagung zu erkranken“, sagt Gallenberger. Einigen wenigen Patienten fehlt ein bestimmtes Eiweiß, das in der Lunge als Schutzfaktor wirkt. Bei anderen zeigt sich die Veranlagung, da mehrere Familienmitglieder erkranken. Doch ist die genetische Ursache nicht so klar feststellbar. Die Folgen der verengten Atemwege: Schleim, der sich aufgrund der chronischen Entzündung bildet, kann schlechter abgehustet werden. Die Betroffenen leiden Die eingeatmete Luft bleibt quasi in der Lunge hängen an Atemnot und ständigen Hustenattacken. Schreitet die COPD voran, kann dies dazu führen, dass sich die Lungenbläschen, auch Alveolen genannt, überblähen. Diese sitzen am Ende der feinsten Bronchien. Durch ihre dünne Haut tritt der Sauerstoff aus der eingeatmeten Luft in das Blut über. Sind die Lungenbläschen überbläht, spricht man von einem Lungenemphysem. Dabei können die dünnen Wände zwischen aneinanderliegenden Alveolen zerstört werden. Aus winzigen Bläschen werden manchmal große Blasen, in denen die eingeatmete ten“, sagt Gallenberger. COPD-Patienten neigen zu einer stufenweisen Verschlechterung. Oft ist ein Infekt die Ursache. Betroffene sollten sich daher gegen Grippe und Pneumokokken impfen lassen. Nach einer Krise erholen sich die Patienten meist wieder etwas. Doch ist ihr Gesundheitszustand danach schlechter als zuvor. Experten sprechen bei diesen Dr. Sebastian Gallenberger ist Leiter der Pneumologie am Klinikum Bogenhausen. Luft gefangen bleibt. Auch die Fläche, über die der Sauerstoff ins Blut übertritt, wird geringer. Die Folgen: Die Lunge der Patienten bläht sich auf. Schon bei geringer Anstrengung geraten die Betroffenen in Atemnot. Die Sauerstoffsättigung in ihrem Blut sinkt. Patienten mit Lungenemphysem leiden zudem oft an weiteren Problemen wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Osteoporose. Diese Krankheiten haben nicht nur denselben größten Risikofaktor wie die COPD: das Rauchen. Doch ist dies nicht die einzige Ursache, warum sie oft gemeinsam auftreten. Die Entzündung bleibt nicht in der Lunge stehen. „Sie betrifft den ganzen Körper“, sagt Gallenberger. Kranke leiden zudem öfter an Depressionen und haben oft Durchblutungsstörungen in Armen und Beinen. Beschreibt ein Patient die typischen Symptome, ist für die Diagnose der COPD Ventile und Spiralen können die Lunge wieder verkleinern Verengt die COPD die Atemwege, werden of feine Lungenbläschen zerstört. Es kommt zu einem Lungenemphysem. Am Ende bilden sich im Lungengewebe große Blasen. REPRO vor allem ein Test der Lungenfunktion wichtig. Sind die Atemwege einmal verengt, lässt sich das nicht mehr rückgängig machen. Die Patienten können aber viel dafür tun, dass sich ihr Zustand nicht zu rasch verschlechtert. „Sie müssen vor allem aufhören zu rauchen“, sagt Gallenberger. Dies lohne sich zu jeder Zeit. Auch Erkrankte, die Jahrzehnte geraucht haben, profitieren von einem Rauchstopp. Bei der Behandlung kommt das ganze Register der modernen Medizin zum Einsatz. So ist in Krisen, die etwa durch einen Infekt ausgelöst werden können, oft eine intensiv-medizinische Betreuung nötig. So müssen die Patienten nicht selten beatmet werden. Auch benötigen sie in einer solchen Phase oft hohe Dosen Cortison, um die Entzündung einzudämmen. Als Dauertherapie sind Cortisontabletten bei COPDKranken meist nicht zu empfehlen, im Gegensatz zum schweren Asthma. Aber inhaliert, zum Beispiel als Spray, kann es bei der fortgeschrittenen COPD die Beschwerden verringern. Ähnlich wie bei Asthma werden allerdings auch bei COPD regelmäßig in Atemkrisen Sprays eingesetzt, die die Atemwege weiten. Überaus wichtig für die Patienten ist es zudem, die richtige Atmung zu trainieren. So hilft etwa bei Atemnot die sogenannte Lippenbremse, um wieder besser Luft zu bekommen. Dabei wird die eigeatmete Luft langsam durch die fast geschlossenen Lippen gepresst. Zudem kann regelmäßiges Training helfen, etwa in Lungensportgruppen. Hier lernen die Patienten, wie sie sich bewegen, ohne in Luftnot zu geraten. „Untersuchungen haben gezeigt, dass die Patienten von Sport genauso gut profitieren wie von Medikamen- schubweisen Verschlechterungen von Exazerbationen. Ist das Emphysem weit fortgeschritten, gibt es heute Methoden, das Lungenvolumen zu verkleinern. So kann man mit Lungenventilen, die über ein Bronchoskop eingesetzt werden, Lungenlappen verschließen. Diese fallen dann zusammen. Auch mit Spiralen, die man ebenfalls mit einem Bronchoskop einsetzt, kann das Lungenvolumen verkleinert werden. Kommt keine dieser Methoden in Frage, kann im Endstadium der Erkrankung eine Lungentransplantation helfen. Leserfragen an die Experten: wissenschaft@merkur-online.