Collegium Metaphysicum Herausgeber / Editors Thomas Buchheim (München) · Friedrich Hermanni (Tübingen) Axel Hutter (München) · Christoph Schwöbel (Tübingen) Beirat / Advisory Board Johannes Brachtendorf (Tübingen) · Jens Halfwassen (Heidelberg) Johannes Hübner (Halle) · Anton Friedrich Koch (Heidelberg) Michael Moxter (Hamburg) · Friedrike Schick (Tübingen) Rolf Schönberger (Regensburg) · Eleonore Stump (St. Louis) 6 Burkhard Nonnenmacher Hegels Philosophie des Absoluten Eine Untersuchung zu Hegels „Wissenschaft der Logik“ und reifem System Mohr Siebeck Burkhard Nonnenmacher, geboren 1976; Studium der Philosophie, Evangelischen Theologie und Psychologie; 2005 Promotion zum Dr. phil.; Akademischer Rat; wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Systematische Theologie III der Evangelisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. e-ISBN PDF 978-3-16-152295-6 ISBN 978-3-16-152185-0 ISSN 2191-6683 (Collegium Metaphysicum) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2013 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen aus der Stempel Garamond gesetzt, auf alterungs­beständiges Werkdruckpapier gedruckt und gebunden. Meinen Eltern und Maud Danksagung Die vorliegende Untersuchung ist die gekürzte und überarbeitete Version einer Arbeit, die im Sommersemester 2005 von der Fakultät für Philosophie, Wissenschaftstheorie und Religionswissenschaft der LudwigMaximilians-Universität München summa cum laude als Dissertation angenommen worden ist. Ihre Entstehung verdankt sie wesentlich den Anregungen meines Doktorvaters Herrn apl. Prof. Dr. Peter Reisinger und meines Zweit-Betreuers Herrn apl. Prof. Dr. Stefan Büttner. Ihnen beiden sei deswegen für ihre Betreuung der Arbeit und für ihre fortwährend intensive Diskussionsbereitschaft an allererster Stelle ganz herzlich gedankt. Ebenso danke ich Herrn Prof. Dr. Wolfhart Henckmann für seine Bereitschaft zur Dritt-Begutachtung der Arbeit sowie Herrn Prof. Dr. Jan Rohls für seine Bereitschaft zur Prüfung der Arbeit in ihrer Verteidigung. Ganz herzlich danke ich zudem Herrn Prof. Dr. Friedrich Hermanni und Herrn Prof. Dr. Axel Hutter, die mir entscheidende Anregungen für die Überarbeitung gaben. Allen vier Herausgebern, Herrn Prof. Dr. Thomas Buchheim, Herrn Prof. Dr. Friedrich Hermanni, Herrn Prof. Dr. Axel Hutter und Herrn Prof. Dr. Christoph Schwöbel, danke ich sehr für die freundliche Aufnahme der Arbeit in die Reihe Collegium Metaphysicum. Mein ganz besonderer Dank gilt dabei Herrn Prof. Dr. Friedrich Hermanni. Bei der Ludwig-Maximilians-Universität München und dem Evan­ gelischen Studienwerk Villigst e.V. bedanke ich mich für die Unterstützung meines Dissertationsvorhabens in Gestalt von zwei Promotions­ stipendien. Dank gebührt ferner dem Verlag und hier besonders Frau Bettina Gade, Herrn Dr. h.c. Georg Siebeck und Frau Dr. Stephanie Warnke-De Nobili für die freundliche Betreuung. Herrn Oliver Bach, Herrn Jonathan Henken, Frau Julia Meister und Frau Gerda Scheytt danke ich für ihre Hilfe bei der Vorbeitung der Drucklegung. Vor allem aber danke ich meinen Eltern und meiner lieben Maud. Tübingen, im Juni 2012 Burkhard Nonnenmacher Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1. Teil: Der Weg zum Programm einer absoluten Einheit von Ausgedrücktem und Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . 29 1.1 Ausdruck bei Leibniz und Spinoza . . . . . . . . . . . . . 29 1.2 Die von Kant ausgehende Subjektivitätsphilosophie . . . . 31 1.3 Monismus, Dualismus und All-Einheit . . . . . . . . . . . 35 2. Teil : Hegels Logik und System des Absoluten. Versuch einer Skizze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.1 Unmittelbare Einheit von Ausgedrücktem und Ausgedrücktsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 2.1.1 Ausgedrücktes und Ausdruck bei Leibniz . . . . . . 40 2.1.2 Gegebene oder sich selbst konstituierende Einheit von Ausgedrücktem und Ausdruck? . . . . . . . . . 43 2.2 Ausgedrücktes, das mit seinem Ausgedrücktwerden identisch ist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.2.1 „Es gibt kein so Einfaches und so Abstractes, wie man es sich gewöhnlich vorstellt“ . . . . . . . . 45 2.2.2 Methode und Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.3 Ausgedrücktes, das mit seinem Sichausdrücken identisch sein soll . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2.3.1 Systemische Selbstvermittlung . . . . . . . . . . . . . 49 2.3.2 Jeder Anfang ein Resultat und jedes Resultat ein Anfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.3.3 Die absolute Methode als „Substantialität der Dinge“ 51 2.3.4 System und Kreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 X Inhaltsverzeichnis 2.3.5 „Seyn, das ist, weil es ist“? . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.3.6 Die Wechselbeziehung zwischen Teil und Ganzem . 60 2.4 Reflektierte Einheit von Ausgedrücktem und Ausdruck . 64 2.4.1 Zwischen blinder Notwendigkeit und äußerer Reflexion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.4.2 „Durch einen Inhalt zum Anfang zurück“? . . . . . 67 2.4.3 „Rückwärtsgehendes Begründen des Anfangs und vorwärtsgehendes Weiterbestimmen desselben“ 70 2.5 Selbstbestimmte Einheit von Ausgedrücktem und Ausdruck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 2.5.1 Der sich entwickelnde Begriff . . . . . . . . . . . . . 75 2.5.2 Die absolute Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2.5.3 „Die Identität der Idee mit sich selbst ist eins mit dem Processe“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 2.5.4 Logik und Realphilosophie . . . . . . . . . . . . . . 87 2.5.5 Selbstbezügliche Negation und absolute Selbstbezüglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 2.5.6 Die Freiheit des Begriffs und der Übergang in die Natur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 2.5.7 Systemskizze und System . . . . . . . . . . . . . . . 95 3. Teil: Die Durchführung des Entwickelten in den wesenslogischen „Reflexionsbestimmungen“ . . . . . . . . . 97 3.1 Zum Begriff immanenter Entwicklung . . . . . . . . . . . 97 3.2 Vom Unterschied zum Grund . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.2.1 Der Begriff des Absoluten in der Wesenslogik . . . . 102 3.2.2 Wie diese Thematik als absoluter Unterschied auftritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 3.2.3 Identität und Unterschied . . . . . . . . . . . . . . . 107 3.2.4 Ausdruck und Einfachheit des Unterschieds . . . . . 109 3.2.5Verschiedenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 3.2.6 Ableitung der Verschiedenheit . . . . . . . . . . . . . 115 3.2.7 Gleichheit und Ungleichheit . . . . . . . . . . . . . . 116 3.2.8Gegensatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 3.2.9 Der Widerspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.2.9.1 Positives und Negatives . . . . . . . . . . . . 122 3.2.9.2 Gegensatz, Widerspruch und Grund . . . . . 128 3.2.9.3 Das Übersetzen in den Grund . . . . . . . . 132 Inhaltsverzeichnis XI Schluß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 Abstract . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Einleitung Gegenstand, Aufbau und Ziele Der Gegenstand: Der Gegenstand der Philosophie ist nach Hegel das Absolute und die Aufgabe der Philosophie besteht darin, begrifflich zu explizieren, was das Absolute ist.1 Anders als die „vormalige Metaphysik“2 beginnt Hegels Umsetzung dieses Programms jedoch weder mit einer in der Tradition der klassischen Gottesbeweise stehenden Klärung der Frage, ob es „das Absolute“ überhaupt gibt, noch mit einer in der Tradition des „kritischen Standpunkts“3 stehenden Verhandlung der Frage, inwieweit wir das Absolute erkennen können. Vielmehr rückt Hegels Philosophie des Absoluten die Frage ins Zentrum, inwiefern sie sich selbst in ihrem Gegenstand verorten muß, um diesen adäquat bestimmen zu können, und inwieweit damit der Begriff des Absoluten selbst zum Absoluten und dessen Wesen gehört. Keineswegs will sich Hegel damit jedoch über zuvor geäußerte metaphysikkritische Argumente einfach hinwegsetzen, sondern vielmehr möchte er im Gegenteil zeigen, daß gerade in der Auseinandersetzung mit dieser dritten Frage auch die Fragen nach dem Wesen, der Existenz und der Erkennbarkeit des Absoluten eine abermals revidierte Beantwortung erfahren können. Ziel Hegels ist es damit, die Tradition der Aufklärung fortzuführen und herauszustellen, daß ein vermeintlich mit aller Metaphysik fertiger 1 Vgl. hierzu u. a. GW 4, 16; GW 9, 53; GW 21, 34; GW 20, §§ 1, 384 Anm.; GW 14.1, 12; V 3, 63 f. Deutlich gemacht werden soll mit dieser Auswahl zunächst nur, daß sich Hegels Bestimmung des Gegenstandes und der Aufgabe der Philosophie durch sein gesamtes Schaffen durchhält. Zur Entwicklung der Umsetzung dieses Programms s. u. 2 Zum Begriff der „vormalige[n] Metaphysik“ vgl. bes. GW 20, § 27. Ein klassischer Repräsentant für den mit der Existenzfrage gemachten Anfang wäre z. B. Thomas von Aquin, STh I, q. 2, a. 3. 3 Zum Begriff des „kritischen Standpunkts“ nach Hegel vgl. bes. GW 9, 53 u. GW 20, §§ 40 ff. Zum Begriff „Zeitalter der Kritik“ bei Kant vgl. Immanuel Kant, AA 04, A XI, Anm. 2 Einleitung Standpunkt gerade nicht als letztmöglicher Standpunkt propagiert werden kann, sondern vielmehr selbst als das Produkt einer nur zur Hälfte zu Ende gedachten „Aufklärung“ konzediert werden muß, welche die „Öden“ des „Verstandes“ nur vorschnell als der Weisheit letzten Schluß behauptet, um sich dann allenfalls noch in eine Region des „warmen Gefühls“4 zu flüchten, welchem Unterfangen Hegel jedoch eine ebenso dezidierte Absage erteilt, wie einer sich selbst zum Absoluten stilisierenden Endlichkeit. Bereits hiermit wird die ungebrochene Aktualität Hegels deutlich. Denn nach wie vor sieht sich die Philosophie von der Frage bewegt, inwiefern sie ihrem traditionellen Anspruch, nach höchsten und letzten Prinzipien zu suchen, Genüge tun kann, und nach wie vor sieht sich die Theologie vor die Aufgabe gestellt, ihren eigenen Rationalitätsanspruch kritisch zu reflektieren. Die folgende Untersuchung ist in der Überzeugung verfaßt, daß Hegel auch heute noch ein interessanter und gewichtiger Gesprächspartner für diese Debatten sein kann. Unerläßlich bleibt es hierfür jedoch, Hegel selbst zu lesen und zu begreifen zu versuchen, was er wie denken will. Hierzu einen kleinen Beitrag zu leisten, ist deshalb die Absicht der vorliegenden Arbeit. Nun zur Exposition ihrer Thematik, Methoden und Ziele im Einzelnen. Wir beginnen unsere Einführung mit einer einfachen Überlegung, die ersten Aufschluß darüber geben soll, weshalb Hegel die dritte der oben genannten Fragen ins Zentrum seiner Überlegungen rückt. Sie besteht darin, daß, wenn das Dargestellte das Absolute ist, die Möglichkeit, daß die Darstellung unabhängig von ihrem Dargestellten ist, von vornherein ausscheidet,5 weil ansonsten das Absolute nicht widerspruchsfrei gedacht werden könnte. Denn wäre die Darstellung des Absoluten vom Absoluten unabhängig, dann wäre seine Darstellung durch etwas anderes bedingt. Genau das aber widerspräche seinem Begriff, 6 denn das Absolute unterläge dann einer Einschränkung, der es per definitionem nicht unterliegen kann. Daß die Philosophie das Absolute zur Darstellung bringen soll, bedeutet deshalb, daß sie es mit einem Dargestellten zu tun hat, dessen Darstellung ein Sichdarstellen des Dargestellten ist, und Vgl. hierzu u. a. V 5, 176; TWA 17, 348. Vgl. hierzu auch Wolfgang Cramer 1973. 6 Hegels entscheidendes Lehrstück hierzu findet sich bekanntlich in der Wissenschaft der Logik in der den Übergang vom Dasein ins Fürsichsein bildenden Entfaltung der sich aus der „Wechselbestimmung des Endlichen und Unendlichen“ ergebenden Dialektik. Vgl. GW 21, 126 ff. 4 5 Gegenstand, Aufbau und Ziele 3 somit ist gerade auch das, was Philosophie ist, als aus dem Absoluten selbst hervorgehend zu begreifen. Im zweiten Teil der Wissenschaft der Logik, der Lehre vom Wesen, sagt Hegel deshalb: „Es soll aber dargestellt werden, was das Absolute ist; aber diß Darstellen kann nicht [. . .] äussere Reflexion seyn, [. . .] sondern es ist die Auslegung und zwar die eigene Auslegung des Absoluten [. . .].“7 Das Absolute zu thematisieren, bedeutet also, daß das „Absolute als Verhältniß zu sich selbst“8 wirklich sein muß. Doch was heißt das? Bedeutet das nur, daß, wenn es zu einer Darstellung des Absoluten kommt, auch diese Darstellung ein Vorgang im Absoluten sein muß, da dieses nichts außer sich haben kann? Oder bedeutet das, daß das Absolute überhaupt nur als sich-darstellend begriffen werden kann und wenn ja, welche Konsequenzen hat dies für den Begriff des Absoluten? Gehört das Sichdarstellen des Absoluten zu seinem Wesen oder folgt es nur aus diesem wie ein Proprium? 9 Genau diese Frage, inwieweit das Absolute von seinen Selbstdarstellungen, Bestimmungen und Äußerungen gar nicht getrennt werden kann, sondern überhaupt nur als Verhältnis zu sich selbst wirklich ist, beschäftigt Hegel nun bereits früh unter der Überschrift „Leben“ und verfolgt ihn bis zum Schluß unter den Überschriften „Geist“, „Idee“ und „System“. Spinozas Argument, daß es außer dem Absoluten nichts geben kann und demzufolge alles als Attribut oder Modus desselben betrachtet werden muß,10 bildet dabei auch für Hegel den entscheidenden Aus GW 11, 370. Vgl. hierzu auch Wolfhart Pannenberg 1988, 12. GW 11, 369. 9 Zum Begriff des Propriums als einer nicht das Wesen bezeichnenden Bestimmung, die aber gleichwohl nicht nur Akzidenz, sondern aus dem Wesen folgende Bestimmung ist, vgl. Aristoteles, Top. I, 5, 102a sowie Top. V, 128bff. 10 Vgl. Baruch de Spinoza, Ethik, Ip14: „Außer Gott kann es weder eine Substanz geben, noch kann eine begriffen werden.“ Die hier konstatierte Einzigkeit der Substanz beweist Spinoza mit Ip5 (keine zwei Substanzen mit selbem Attribut) und Id6 (Gott ist die Substanz, die aus unendlichen Attributen besteht). Der Beweis zu Ip14 ist also, daß, wenn eine Substanz außer Gott sein soll, gemäß Id6 ein Attribut doppelt vorkommen muß. Genau das aber widerspräche Ip5. Also ist Gott die einzige Substanz und genau daraus folgt dann in Ip14c2 mit Ia1 (Alles was ist, ist entweder in sich oder in einem anderen), daß jedes ausgedehnte und jedes denkende Ding entweder Attribut oder Affektion der einzigen Substanz sein muß. Zur Entwicklung dieses Arguments in unterschiedlichen Modellen des Absoluten der klassischen deutschen Philosophie vgl. Peter Reisinger 1987. 7 8 4 Einleitung gangspunkt, und noch in der Enzyklopädie bezeichnet er deshalb die Lehre von der „Idealität des Endlichen“ als den „Hauptsatz der Philosophie“,11 denn nach Hegel muß eben jedwede Philosophie des Absoluten ihren Ausgang von der Reflexion der Unmöglichkeit einer abstrakten Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem nehmen und sich hierauf aufbauend dann fragen, wie alles Endliche im Absoluten enthalten sein kann, einschließlich aller bestimmten Ausdrücke und Darstellungen desselben. In Abgrenzung von Spinoza gibt sich Hegel jedoch gerade nicht mit dessen Antwort auf die Frage, nach dem Wie des Enthaltenseins des Endlichen im Unendlichen zufrieden. Denn während Spinozas Antwort auf diese Frage die Definition „Per Deum intelligo ens absolute infinitum, hoc est, substantiam constantem infinitis attributis, quorum unumquodque aeternam, et infinitam essentiam exprimit“12 nur voraussetzt13 , möchte es Hegel gerade nicht nur bei dieser Voraussetzung belassen, sondern im Sinne einer voraussetzungslos das Voraussetzungslose14 thematisierenden Philosophie darüber hinaus die Frage verfolgen, wie die in Spinozas Definition nur genannte, aber nicht weiter bestimmte Beziehung zwischen dem Partizip „constans“ und dem Prädikat „exprimit“ näher zu konkretisieren ist.15 Richtungsweisend für Hegels gesamte weitere Entwicklung wird das schon zu seiner Frankfurter Zeit im Systemfragment von 1800 deutlich, wenn es dort heißt, nachdem „die Lebendigen als Äußerungen des Lebens, als Darstellungen desselben“ bestimmt worden sind, „so fühlt, oder wie man es nennen will, das Natur betrachtende, denkende Leben noch diesen Widerspruch, diese einzige noch bestehende Entgegensetzung seiner selbst gegen das unendliche Leben“16 . Denn nicht nur be­ ginnt Hegel bereits hier, seine Philosophie des Absoluten an der Frage nach dem Verhältnis von Ausgedrücktem und Ausdruck zu orientieren, sondern darüber hinaus fällt ins Auge, daß auch hier bereits der Gedanke virulent ist, daß das als „unendliches Leben“ bezeichnete Absolute als Dargestelltes von seiner Darstellung gerade nicht getrennt werden kann. Vgl. GW 20, § 95 Anm. Spinoza, Ethik, Id6. 13 Zu Hegels Vorwurf der vorausgesetzten Definitionen vgl. GW 11, 376. 14 Vgl. hierzu auch Hegels Rede vom „Absolut-Absolute[n]“ auf GW 11, 372. 15 Zum Verhältnis von Substanz und Attribut bei Spinoza vgl. auch Stefan Büttner 2002, 114 f. 16 Vgl. TWA 1, 420 f. 11 12 Gegenstand, Aufbau und Ziele 5 Denn im Sinne der vom Systemfragment intendierten „Verbindung von Verbindung und Nichtverbindung“ ist es eben genau nicht ausreichend, nur das Endliche im Unendlichen enthalten und vereinigt zu denken, sondern vielmehr gilt es darüber hinaus, das unendliche Leben zugleich selbst als Entgegensetzung zu denken,17 und damit das Unendliche als das sich wesentlich in seine bestimmte Gestalt entäußernde und hierin allein wirkliche Absolute, – ohne daß das Unendliche dabei freilich selbst zu einem Endlichen werden darf, i. e. zu einem „verendlichten Unendlichen“, das in Wahrheit ein bloß „verunendlichtes Endliches“18 ist, wie Hegel dann später im ersten Teil der Wissenschaft der Logik, der Lehre vom Sein, formuliert.19 Als zentrales Problem steht deshalb also bereits im Systemfragment im Raum, daß in Folge der Tatsache, daß das Absolute nichts außer sich haben kann, weder nur alles Endliche im Absoluten aufgelöst 20 werden darf, weil damit das Absolute als alles in sich verschlingende Einheit nur noch die Nacht wäre, in der „alle Kühe schwarz sind“, 21 noch andererseits das Endliche selbst zum Unendlichen erklärt werden darf. Denn damit wäre die Differenz zwischen Endlichem und Unendlichem ebenso aufgehoben, nur mit dem Unterschied, daß hier das Absolute noch nicht einmal mehr als die bloße Nacht „erschiene“, sondern schlichtweg nicht mehr vorhanden wäre. Es bliebe dann nur ein zu einem simplen Positivismus verkommener Pantheismus, der einer Verabsolutierung des Endlichen gleichkäme. Die schwierige Aufgabe, die es für Hegel zu lösen gilt, ist deshalb, ein Modell zu entwickeln, in dem das Absolute dem Endlichen weder nur abstrakt entgegengesetzt ist noch trivial mit diesem identifiziert wird.22 Vgl. TWA 1, 422. Vgl. GW 21, 132. 19 Zur Logik des verendlichten Unendlichen vgl. auch Friedrich Hermanni 2011, 203–214. 20 Vgl. hierzu auch GW 11, 376. 21 Diese berühmte, häufig als Polemik gegen Schelling beurteilte Formulierung Hegels findet sich freilich erst in der Phänomenologie des Geistes (vgl. GW 9, 17). Der Sache nach artikuliert Hegel dasselbe Problem jedoch, wie oben gezeigt, bereits im Systemfragment. 22 Zur Argumentation, daß die abstrakte Entgegensetzung von Endlichem und Unendlichem zur Verendlichung des Unendlichen und damit zu einer Verunendli17 18