1 Heinz-Jürgen Dahme/Norbert Wohlfahrt Soziale Dienstleistungspolitik zwischen Ökonomisierung und neuer Sozialstaatlichkeit: zu einigen Besonderheiten der Politischen Ökonomie sozialer Dienste 1. Einleitung Mit Bezug auf die Theoriebildung Sozialer Dienstleistungsproduktion wird in der Regel zwischen drei Beschreibungs- und Analyseebenen unterschieden (bspw. Flösser/Rosenbauer/Witzel 2011): Der Ebene der Organisation (wobei soziale Dienste vor allem als professionelle, programmatisch arbeitende Organisationen betrachtet werden), der struktur-funktionalen Ebene (soziale Dienste als Teil des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements) und der personen- und interaktionsbezogenen Ebene, auf der vor allem die „CoProduktivität“ der personenbezogenen sozialen Arbeit thematisiert wird, wobei diesen drei Ebenen gewöhnlich ein relatives Eigenleben zuerkannt wird. Rudolph Bauer hat in seinem 2001 erschienenen Band über personenbezogene soziale Dienstleistungen vier begriffliche Dimensionen von Dienstleistungen im Sozialwesen unterschieden, die in Beziehung zueinander stehen und nicht unabhängig voneinander zu betrachten sind: - Die Personen oder Personengruppen, die einer personenbezogenen Sozialen Dienstleistung bedürfen; - Der/die Sozialarbeiter/in, der/die fachlich für Dienstleistungen zuständig ist; - Die Sozialen Dienste als Arbeitgeber und institutionelle Anbieter von Dienstleistungen; sowie - Das staatliche (Sozial-)Leistungssystem (Bauer, 2001, S. 80). Von entscheidender Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass sich die vier Dimensionen nach Bauer in einem hierarchischen Verhältnis zueinander befinden (was andere Theorien sozialer Dienste, auch wenn sie ähnliche Ebenen sozialer Dienstleistungsproduktion kennen und unterscheiden, nicht in gleicher Weise betonen): während das staatliche Sozialleistungssystem auf sämtliche der anderen Handlungsebenen einwirkt, ist die praktische Dienstleistungserbringung den meisten anderen Determinanten ausgesetzt, sie vermag – so Rudolph Bauer – „keinen Einfluss auszuüben auf die übrigen Handlungsebenen“ (ebenda, S. 83). Diese entscheidende Einsicht gilt es im Folgenden weiterzuentwickeln, vor allem, weil in der Theoriediskussion der Sozialen Arbeit nicht selten die Fachlichkeit bzw. Professionalität 2 der Dienstleistungserbringer oder die Rolle der Nutzer sozialer Dienste (Konsumenten) überbetont und damit sozialpolitisch wie wohlfahrtsstaatlich idealisiert werden. Die zentrale Rolle, die sozialstaatliche Regulierungen für die Gestaltung der sozialen Dienstleistungsproduktion darstellen, kontrastiert (oberflächlich betrachtet) mit Entwicklungen, die in den vergangenen zwei Jahrzehnten unter dem Begriff der Ökonomisierung sozialer Dienste (Buestrich/Burmester/Dahme/Wohlfahrt 2008) diskutiert worden sind und in deren Zusammenhang dem Markt oder marktähnlichen Strukturen eine prägende Funktion in der Ausgestaltung sozialer Dienste zugesprochen worden ist. Markt und Wettbewerb gelten dabei als rationalitätssichernde Koordinationsmodi, die eine optimale Allokation und Nutzung von Ressourcen ermöglichen (Otto/Schnurr 2000, S. 5). Dies wiederum hat – analog zu Bauers These einer hierarchischen Beziehung zwischen sozialstaatlicher Regulierung und personenbezogener Dienstleistungserbringung – Auswirkungen auf die Dimensionen von Organisation und Personal: wird die Steuerung von Organisationen stärker auf Mechanismen des Marktes ausgerichtet, dann tritt – so die Kritiker einer marktorientierten sozialen Dienstleistungsproduktion - die professionelle Problembearbeitung tendenziell in den Hintergrund und auf der Ebene der unmittelbaren Beziehung von Fachkraft und Klienten wird eine schrittweise Übertragung von Verantwortung für die eigene Daseinsvorsorge auf den Einzelnen durchgesetzt, die auch mit moralisch-normierenden professionellen Handlungsmustern verkoppelt werden kann (Kessl/Otto 2003). Betrachtet man sich die organisatorischen Strukturen der Leistungserbringung, so ist ebenfalls eine durchgreifende Transformation der am Konzept der Daseinsvorsorge orientierten Leistungserbringung hin zu einer Sozialwirtschaft erkennbar, in deren Rahmen sich Sozialunternehmen zunehmend renditegesteuert auf einem so definierten Sozialmarkt bewegen und die konkrete Gestalt sozialer Dienste abhängig von unternehmerischen Entscheidungen wird (Dahme/Wohlfahrt 2013). Markt oder marktähnliche Mechanismen – so die zugespitzte These – ersetzen das klassische hierarchische Verhältnis von sozialstaatlicher Regulierung des Leistungssystems und davon bestimmter organisationaler und personaler Leistungserbringung. Durch die typisierende Gegenüberstellung von Markt und Staat als zentrale Subjekte der Gestaltung sozialer Dienstleistungsproduktion wird eine grundlegende Differenz der Zwecksetzung sozialer Dienste erkennbar, die mit Marx als Gegensatz zwischen der Gebrauchswertfunktion und der Tauschwertfunktion sozialer Dienste festgemacht werden kann. Ökonomisierte soziale Dienstleistungsproduktion ließe sich damit als ein 3 Verwertungsprozess charakterisieren, in dem mittels einer vorgeschossenen Geldsumme eine Verwertung des eingesetzten Kapitals zum Zwecke der Erzielung eines Überschusses stattfindet und damit Wertschöpfung betrieben wird. Es ist bezeichnend, dass die (gemeinnützigen) Leistungserbringer des sozialen Dienstleistungssektors inzwischen mit Bezug auf ihre wirtschaftlichen Leistungen auch von Wertschöpfung sprechen1 und sich damit die Funktion eines Wirtschaftsunternehmens, d.h. Kapital akkumulierenden Sozialbetriebs zuweisen. Der Gegensatz von Tauschwert und Gebrauchswert in der Bestimmung sozialer Dienste macht sich aber noch an anderen Bestimmungen geltend, auf die Andreas Schaarschuch schon vor längerer Zeit im Versuch einer Rekonstruktion sozialer Arbeit als Dienstleistung hingewiesen hat: „Das zentrale Referenzsystem des Kunden ist der Markt, das des Nutzers der Staat. Hier im Markt herrscht das Privatrecht, dort im Staat das öffentliche Recht. Ist der Konsument mit einer Leistung unzufrieden oder will er auf die Leistungserbringung Einfluß nehmen, so hat er hier die Möglichkeit der Abwanderung ("exit"), dort nur die Möglichkeit der politischen Artikulation ("voice"). Hier ist das Geld das Steuerungsmedium, dort das Recht. Kommerziell operierende Unternehmen sind durch eine am ökonomischen Prozess ausgerichtete managerielle Organisationsstruktur gekennzeichnet, während (sozial-)staatliche Einrichtungen nach Maßgabe politischer Entscheidungen administrativ organisiert sind. Auf dem Markt geht der Ausgleich des Bedarfs des Konsumenten vom Angebot aus, dessen Basis das Produkt oder die vorgehaltene Leistung ist. Auf Seite des Staates bezieht sich der Bedarfsausgleich auf die angemeldete oder professionell unterstellte Nachfrage, deren Basis die Bedürfnisse des Nutzers sind. Hier ist die Dienstleistung eine Ware, bei der der Tauschwert dominiert, dort ist sie ein Gut, im Vordergrund steht der Gebrauchswert. Betrachten wir den Vergesellschaftungsmodus, so besteht dieser im Kontext des Marktes im Warentausch - auch der Arbeitsware - der den gesellschaftlichen Zusammenhang der bourgeois mit "unsichtbarer Hand" stiftet. Im staatlichen Kontext geschieht dies auf der Basis der Übertragung von Rechten und Pflichten als "Staatsbürger", Ziel ist der (bewußte) Bezug auf das Gemeinwesen durch den citoyen“ (Schaarschuch 1996, S. 8). Spätestens seit der mit dem Ende der Sowjetunion (Ende des Systemwettbewerbs zwischen Kapitalismus und Sozialismus) auch in Deutschland sich durchsetzenden neuen 1 So argumentieren die Sozialwirtschaftsberichte der Freien Wohlfahrtspflege mit dem ökonomischen Nutzen der Sozialwirtschaft, der sich in einer beachtlichen Wertschöpfung darstellt. Dass diese aus Steuer- oder Sozialversicherungsmittel finanziert wird und damit aus staatlicher Sicht unproduktive Kosten darstellt, kennzeichnet das interessengeleitete Hin und Her zwischen volkswirtschaftlichem Nutzen und sozialstaatlichen Belastungen der Sozialwirtschaft. 4 Dienstleistungspolitik (die Implementierung Neuer Steuerungsmodelle erfolgt in deutschen Kommunalverwaltungen seit ca. 1990) ändert sich das unter dem Stichwort Daseinsvorsorge als bedarfsbestimmte infrastrukturelle Entwicklung sozialer Dienste verfolgte Konzept. Nicht die (angemeldete oder unterstellte) Nachfrage bestimmt den Umfang der staatlichen Dienstleistungsproduktion, sondern die durch Staatshaushalte vermittelte Knappheit, die Effektivität und Effizienz in den Vordergrund stellen. Im Anschluss an die von Rudolph Bauer formulierte zentrale sozialstaatliche Funktion bei der Gestaltung sozialer Dienste ist also zu fragen, ob eine Orientierung an ökonomischen Bestimmungen der Tauschwertproduktion Wirkungen erzeugt, die von einem tatsächlichen Übergang von einer durch staatliche Rechtsetzung bestimmten Dienstleistungsproduktion zu einer marktförmigen (und damit Wert schöpfenden) Dienstleistungserstellung sprechen lassen. Hierzu soll in einem ersten Schritt rekapituliert werden, worin die als Ökonomisierung (Buestrich u.a. 2008) sozialer Dienste bezeichnete Veränderung eigentlich besteht und welches sozialstaatliche Konzept sich dahinter verbirgt. 1. Phase 1:Die Ökonomisierung sozialer Dienste als betriebswirtschaftlich definierte Effizienzsteigerung Auslöser der Ökonomisierung sozialer Dienste sind verschiedene parallele Entwicklungen, die in ihrer Gesamtheit auf eine Revision sozialstaatlich verfasster sozialer Dienstleistungserbringung herauslaufen: - Durchsetzung von Wettbewerb als Instrument einer effizienten Wohlfahrtsproduktion: Ausgehend von der zu Beginn der 90er Jahre einsetzenden Verwaltungsmodernisierung nach dem Muster des New Public Management sollen durch Wettbewerb Leistungsreserven freigesetzt und die Kosten der sozialen Dienstleistungsproduktion eingedämmt werden (KGSt 1993, S. 22). Durch Leistungs- und Kostenvergleiche soll Markttransparenz hergestellt werden und auf diese Weise das öffentlich finanzierte bzw. den Klienten zugängliche Angebot gesteuert werden (Benchmarking und Outcomesteuerung). Zentrales Steuerungsinstrument ist das so genannte Kontraktmanagement (Ziel- und Leistungsvereinbarungen), das zur Etablierung von Auftraggeber-AuftragnehmerVerhältnissen und zur Schwächung des lokalen Korporatismus führt. 5 - Wirkungsbezogene Steuerung sozialer Dienste: Hierbei handelt es sich um die Ausdehnung des strategischen Controllings auf eine evidenzbasierte Praxis sozialer Dienstleistungserstellung (Hüttemann 2006). Erweitert werden damit die Prozesse der Leistungsmessung, in deren Rahmen politisch und administrativ definierte Wirkungsziele überprüft und modifiziert werden. Durch ein dem sozialen Dienstleistungssektor bislang unbekanntes Mikromanagement sollen Standards für die Arbeit der Fachkräfte entwickelt und Interventionsformen vergleichbar gemacht werden. - Kommunalisierung und Dezentralisierung: Die Aktivierung der (lokalen) Stakeholdergesellschaft ist ein zentrales Ziel der Ökonomisierung sozialer Dienste. Dies führt zur Konzeption eines dezentralisierten Soziastaats, der mittels Sozialraumorientierung und Vernetzung eine Reorganisation sozialer Dienste auf lokaler Ebene herbeiführen soll. Das dem zugrunde liegende Governancemodell (Zimmer/Nährlich 1997) soll die Definitionsmacht und Gestaltungskraft der hochgradig organisierten Akteure im Sozialsektor schwächen und damit zur Effizienzsteigerung der Leistungserbringung beitragen. Ergänzt wird dies durch den Prozess der Kommunalisierung, in deren Folge sozialstaatliche Aufgaben auf die Kommunen übertragen werden. - Stärkung von Eigenverantwortung und Kundenorientierun: Neben dem Konzept der „Bürgergesellschaft“ (vgl. kritisch Bauer 2009), in deren Rahmen die Eigenverantwortung von Bürgern und Gesellschaft in den Vordergrund gerückt wird, steht das „investment in human capital“ (Priddat 2000) im Zentrum einer auf Selbstverantwortung abzielenden Ökonomisierung sozialer Dienste. Der Leistungsempfänger wird als Kunde gesehen, der autonome Wahlentscheidungen zu treffen hat und für die Veränderung seiner sozialen Lage verantwortlich ist (Aktivierungsstrategie). - Flexibilisierung der Beschäftigungsbeziehungen und leistungsorientierte Bezahlung: Durch Tarifreform, neue Personalführungskonzepte und eine durchgreifende Flexibilisierung der Beschäftigungsbedingungen sollen Personalkosten gesenkt, leistungsorientierte Bezahlungssysteme implementiert und eine Ausweitung prekärer Beschäftigung erfolgen. Zeitarbeit und befristete Arbeitsverträge, die Nutzung von Personenservicegesellschaften und die Pluralisierung von Haus- und Tarifverträgen sind Instrumente einer an den Bedarfen der Kostenträger sich orientierenden Gestaltung von Beschäftigungsbeziehungen im Sozialsektor. 6 In der Gesamtheit der die Ökonomisierung kennzeichnenden „Module“ geht es um die Steigerung der Effizienz sozialer Dienstleistungsproduktion nach dem Vorbild einer privatwirtschaftlich organisierten Güterherstellung, so dass die Frage der Rentabilität des sich herausbildenden Produktionsverhältnisses von zunehmender Bedeutung wird. Dies leitet über in die zweite Phase der Ökonomisierung, die durch die Öffnung von Dienstleistungsmärkten für privatwirtschaftliches Investment und die Nutzung von Anleihekapital gekennzeichnet ist. 2. Phase 2: Ökonomisierung durch privates Investment: Rentabilität als Ziel marktorientierter sozialer Dienstleistungsproduktion Das „ europäische Sozialmodell“ ist von Beginn an ein Modell zur Förderung der individuellen und nationalen Wettbewerbsfähigkeit (Dahme/Wohlfahrt (Hg.) 2012a). In der Agenda 2010 (Nachtwey 2009, Hegelich u.a. 2011) werden die von der EU propagierten Zielvorstellungen, Europa zu einem „aktiven und dynamischen Wirtschaftsraum“ zu machen, reproduziert und konkrete nationalstaatliche Modernisierungsmaßnahmen formuliert. Will man die Wettbewerbsfähigkeit der Nationalstaaten in der EU forciert fördern, um Europa bis 2010 - so die Zielsetzung der Lissabon-Erklärung des Europäischen Rates vom März 2000 – international zum führenden „wissensbasierten Wirtschaftsraum“ zu machen, dann benötigt man eine sozialstaatliche Flankierung des entfesselten Wettbewerbs und seiner armutspolitischen Folgen. Der Sozialstaat – so die EU und die deutsche Agenda 2010 - wird weiterhin benötigt, um den Wandel abzufedern. Im Grünbuch Zu Dienstleistungen von Allgemeinem Interesse der Kommission wird ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass wirtschaftliche Tätigkeiten mit Gemeinwohlbezug, aber auch soziale Dienste, einem Wandel unterworfen sind und deren nichtwirtschaftlicher Charakter deshalb nicht statisch festgeschrieben werden können. Deshalb können „Aufgaben, die per se dem Staat vorbehalten sind, Leistungen wie die Volksbildung oder die mit der Pflichtmitgliedschaft verbundenen Grundversorgungssysteme der sozialen Sicherheit und eine Reihe von Tätigkeiten, die von Organisationen ausgeübt werden, die hauptsächlich soziale Aufgaben erfüllen“ zu einem späteren Zeitpunkt auch wirtschaftlichen Charakter bekommen. In jüngster Zeit lassen sich verschiedene Instrumente und Strategien beobachten, die die Unterordnung sozialer Dienste unter die Kriterien einer rentabilitätsgesteuerten Leistungserbringung weiter beschleunigen. - Social Business-Initiative der EU: Finanzierung der Sozialwirtschaft durch private Investoren: 7 Nach den Vorstellungen der Europäischen Kommission soll die Sozialwirtschaft zukünftig durch privates Investment finanziert werden. Im „Social Business“ gewährleistet dann der Wettbewerb unterschiedlicher Anbieter ebenso kostengünstige wie bedarfsorientierte Sozialund Gesundheitsleistungen. Folgt man den Überlegungen der EU, dann werden sich aus den öffentlichen Sozial- und Gesundheitssektoren dynamische Zukunftsmärkte entwickeln. - Social Impact Bonds: anleihenfinanzierte soziale Dienstleistungsproduktion: Soziale Bonds sind Anleihen, mit denen soziale Projekte finanziert werden. Investoren geben Geld für einen wohltätigen Zweck und hoffen, dass die Investition langfristig eine Rendite abwirft. Wichtig ist eine verlässliche Datenbasis, um den Erfolg der Projektarbeit zu messen. Ein zentraler Akteur (i.d.R. staatliche Stellen) organisiert, wie und mit welcher Zielsetzung wohltätige Verbände, Regierung und Investoren zusammen wirken vgl. Horesh 2000/Dahme/Wohlfahrt 2013b). Als Vorteile der „tradebility“ von Social Policy Bonds werden genannt: Absprachen zwischen Kontraktgebern und Kontraktnehmern werden verunmöglicht; Anleihen können von einer Vielzahl von Nachfragern erworben werden (von „passive investors“, die auf Gewinn durch Weiterverkauf setzen oder von „active investors“, die die Bearbeitung des Problems organisieren); Anleihen fördern die Suche nach Kosten minimierenden Lösungen und Durchführungseffizienz; Anleihen verlagern das Risiko, das durch Kontraktbruch oder Nichterfüllung entsteht, auf den privaten Sektor. - Social Entrepreneurship (Soziales Unternehmertum): Gewinnorientierung und Gemeinwohlorientierung gehen im Sozialen Unternehmertum eine Symbiose ein und damit entkoppeln sich diese neuen Hybridorganisationen von einem Verständnis sozialer Dienste, in dem diese als ein Teil eines staatlich definierten und finanzierten Bereichs der Daseinsvorsorge angesehen werden. Generell geht es darum, Investoren stärker für das Feld der sozialen Dienste zu interessieren und eine weitere Verlagerung ursprünglich staatlich verantworteter Aufgaben der Daseinsvorsorge in - wie es so schön heißt - die Eigenverantwortung der Gesellschaft zurück zu geben. Hierzu benötigen die Unternehmen der Sozial- und Gesundheitswirtschaft einen ordnungspolitischen Rahmen, der ihnen mehr Handlungsfreiheit bei Rentabilitätsüberlegungen sichert. Gegenstand der aktuellen Forderungen sind die Möglichkeit stärkerer Rücklagenbildung, die Vereinfachung des Zugangs zu öffentlichen Projekt- und Fördermitteln, die Berücksichtigung eines Wagniszuschlags bei der Verhandlung von Leistungsentgelten u.a.m. Verstärkt investiert werden soll auch in die Wirkungsmessung, da Wirkungen bzw. Ergebnisse ein zentraler 8 Faktor für Finanzinvestoren ist, wenn entschieden werden muss, in welche soziale Unternehmung man einsteigen kann, schließlich geht es dabei um Rendite und erst sekundär um das Gemeinwohl. Dazu werden transparente und vergleichbare Informationen benötigt, die die Kosten der Kapitalbeschaffung senken und letztlich zu einer effizienteren Kapitalallokation beitragen. Voraussetzung dafür ist die Durchsetzung und Etablierung eines neuen Standards für die Berichterstattung von sozialen Unternehmen, in der vor allem Wirkung und Erfolg bilanziert werden. Daran wird gegenwärtig verstärkt gearbeitet (vgl. Achleitner u.a. 2009), auch mit Unterstützung des Think Tanks Ashoka, der Wege sucht, das Social Entrepreneurship-Konzept populär zu machen und in die Politik einzuführen, um letztlich die Privatisierung sozialer Dienste auch in Deutschland zu befördern. - Das transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA: Einen Wachstumsschub erhoffen sich die beteiligten Staaten von einer weiteren Liberalisierung der Märkte im Rahmen des Freihandelsabkommen der EU mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Dies gilt auch für den Bereich der sozialen Dienstleistungen. Von der Kommune bis hin zur Europäischen Ebene sollen künftig – von hoheitlichen Dienstleistungen wie Polizei und Justiz abgesehen – Güter, Dienstleistungen oder Dienstleistungssysteme im Wettbewerbsverfahren ausgeschrieben werden. Beschaffungsaufträge müssen „diskriminierungsfrei“ vergeben werden. Die von der EU schon seit langem verfolgte Politik einer Öffnung des Sozialbereichs für marktwirtschaftliche Investitionen und dessen Behandlung als ein Sektor kapitalistischer Akkumulation analog zu anderen privatwirtschaftlichen Sektoren gewinnt in der zweiten Phase der Ökonomisierung und unter dem verschärfenden Gesichtspunkt der europäischen Staatschuldenkrise an Fahrt (Dahme/Wohlfahrt 2013a). Auch in der EU - so die Botschaft des Social Entrepreneurship-Programms - sollen Finanzinvestoren und Sozialunternehmen zukünftig stärker in einen Bereich investieren können, der traditionell staatlich finanzierten subsidiären Trägern vorbehalten war. Hierzu müssen Maßstäbe der Erfolgsmessung entwickelt werden, Programme zur Förderung von Forschung und Entwicklung von Sozialunternehmen aufgelegt und vorhandene Wettbewerbsschranken abgebaut werden. Die Wirkungsmessung, ein fachlich heiß diskutiertes Konzept Sozialer Arbeit, bekommt hierdurch eine kaum zu unterschätzende Bedeutung, weil Evidenzbasierung in einem ganz neuen Licht erscheint: sie dient der Steuerung von Finanzinvestitionen. Die von Rudolph Bauer 9 beschriebene Vision der Bertelsmann-Stiftung nimmt damit praktische Gestalt an.2 Marktwirtschaftliche Rentabilitätsüberlegungen erhalten zunehmend Gewicht für die Steuerung sozialer Dienstleistungsproduktion und privatwirtschaftliches Investment soll zur Entlastung strapazierter staatlicher Haushalte beitragen. Welche Folgen hat dies für den Tausch- und Gebrauchswertcharakter sozialer Dienstleistungsproduktion? 3. Zu den Besonderheiten kapitalistisch organisierter Dienstleistungsproduktion Der kapitalistische Produktionsprozess ist Einheit von Arbeits- und Verwertungsprozess (Marx, MEW Bd. 23, S. 532). Das heißt, dass vom Standpunkt des investierten Kapitals nur diejenige Arbeit als produktiv gilt, die sich, ungeachtet ihrer Nützlichkeit und ihres konkreten Inhalts, gegen variables Kapital austauscht, Mehrwert erzeugt und damit zum Wachstum des vorgeschossenen Kapitals führt. Was aber ist produktive, Wert bildende Arbeit? In der gesamten Politischen Ökonomie – auch der vor Marx – ist der Begriff des Werts das Synonym für eine Geldsumme, die sich durch den Austausch eines Produkts realisiert. Der Tauschwert ist damit nicht etwa als Produkt von Arbeit bestimmt, sondern als Quelle eines Eigentums, das sich vermehren will. Wertschaffende Arbeit ist nur unter den Bedingungen des Privateigentums zu denken, dessen staatliche Garantie es einem Besitzer möglich macht, mit dem Produkt Geld zu verdienen (deshalb: politische Ökonomie). Wertschaffende Arbeit ist insofern abstrakte Arbeit, weil es auf deren konkretes Ergebnis (die Nützlichkeit eines Dings) nur als Voraussetzung ihrer Austauschbarkeit ankommt und für diese die Arbeitszeit, die zur Produktion aufgewendet wurde, das Maß aller Dinge ist. Das in Geld gemessene Eigentum hat im Quantum verausgabter Arbeit sein Maß. Es reicht aber nicht, dass Arbeit verausgabt wurde – erst wenn im Konkurrenzkampf der verschiedenen Warenanbieter eine Ware ihren Preis realisiert, wird erkennbar, dass es sich um gesellschaftlich notwendige Arbeit gehandelt hat. Nur diejenige Arbeit ist Wert schaffend, die es einem Konkurrenten ermöglicht, zahlungsfähige Nachfrage auf sein Produkt zu ziehen und damit Geld zu verdienen. Die Erzeugung des Werts – die Verausgabung von Arbeitszeit – ist ausschließlich dadurch bestimmt, das Geld, das zur Produktion aufgewendet wird, zu vermehren – Marx 2 Vgl. Bauer 2009: Versucht man, etwas Zusammenhängendes über die Motive und Zielsetzungen des Stifters und seiner Frau in Erfahrung zu bringen, lässt sich nur ein mosaikartiges Bild einer Strategie-Mixtur aus unterschiedlichen Elementen rekonstruieren. Strategisch zentral ist dabei das Element des bürgerschaftlichen Engagements rsp. das der Bürgergesellschaft. Dieses wiederum ist verknüpft mit gesellschaftlichen und politischen Reform- und Modernisierungsvorstellungen, die charakterisiert werden können durch Stichworte wie: Entstaatlichung und Privatisierung, Globalisierung und Marktliberalisierung, Ökonomisierung und Kommerzialisierung, New Public Management und Entlastung der Unternehmen bei Steuern und Sozialabgaben – Stichworte, wie sie auch für die neoliberale Strategie des „Thatcherismus“ kennzeichnend waren. 10 nennt dies die Akkumulation von Kapital. Die Arbeit ist hierfür das Mittel und dementsprechend sind die Kosten, die für die Arbeitskraft aufgewendet werden, eine Größe, die als Schranke der Geldvermehrung wahrgenommen wird. Die Steigerung der Ausbeute des Geldbesitzers ist an die Senkung der Kosten für die aufzuwendende Arbeit gekoppelt. Die Einsparung von Arbeitskosten ist eine Folge des Tatbestands, dass Privateigentümer Macht über die Arbeit besitzen und deren Effektivierung vorantreiben, um damit ihr Geld zu vermehren. All das trifft für die sog. unproduktive Arbeit nicht zu, was nicht heißt, dass unproduktive Arbeit keinen Nutzen stiftet oder keinen Gebrauchswert hat. Entscheidend ist nur, dass unproduktive Arbeit (für die selbstverständlich ein Entgelt bezahlt wird, die arbeitsmarktpolitisch von Bedeutung ist usw.) nur stattfinden kann, insofern durch produktive Arbeit Mehrwert geschaffen wird, der in Form von Vermögen, Einkommen oder Steuern dann zur Finanzierung unproduktiver Arbeit eingesetzt wird. Durch die Ökonomisierung der sozialen Dienste, insbesondere durch die in Phase 2 einsetzende Übernahme großer Teile der sozialen Dienstleistungsproduktion durch private Investoren (in der Bundesrepublik vor allem im Bereich der Krankenhäuser wie der ambulanten und stationären Pflege), scheint es so, als verwandele sich soziale Dienstleistungsproduktion zur abstrakten Tauschwertproduktion, mit der Folge, dass sich die Unterschiede zwischen einer kapitalistischen Waren- und einer kapitalistischen Dienstleistungsproduktion nivellieren. Immer wieder stößt man in diesem Zusammenhang auf irreführende Behauptungen wie, Senioren- und Gesundheitswirtschaft oder die Jugendhilfe seien Wachstumsbranchen, was meistens nicht nur arbeitsmarktpolitisch, sondern vor allem mit Blick auf die sog. Wertschöpfung behauptet wird. Das Selbstbild der Akteure der durch die Ökonomisierungstendenzen entstandenen Sozialwirtschaft ist mittlerweile von der Überzeugung bestimmt, dass die Sozialwirtschaft Teil des kapitalistischen Verwertungsprozesses bzw. Teil der Wertschöpfungskette sei, und entsprechend ist die Sozialwirtschaft vor allem durch Renditedenken und -handeln geprägt. Kapitalistisch organisierte Warenproduktion und die neue renditefixierte soziale Dienstleistungsproduktion sind – trotz aller anders lautenden Bekundungen – (weiterhin) durch grundlegende Unterschiede gekennzeichnet, die sich nur durch falsche Abstraktion nivellieren lassen. Ihr Unterschied liegt nicht nur in dem Tatbestand, dass bei Dienstleistungen die Produktion und Konsumtion ineinander fallen (Marx, MEW Bd. 26.1, S. 136) und damit die die Ausbeutung realisierende gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit gar nicht im Tausch ermittelt werden kann, sondern auch in der Immaterialität des erstellten 11 Produkts 3. Der Tatbestand der Immaterialität ist zwar seit langem fester Bestandteil der ökonomischen Dienstleistungsdiskussion, aber bislang immer falsch bestimmt worden. In der Regel ist das Produkt der geleisteten Tätigkeit deshalb auch mit noch so verfeinerten Kontroll- und Messtechniken (die bspw. von der evidenzbasierten Soziale Arbeit propagiert werden) nicht exakt zu messen und damit entzieht sich das professionelle Handeln einer technologischen Steuerung. Die hieraus resultierende relative Autonomie und Unplanbarkeit des professionellen Handelns ist für den Staat als Vermittler der professionellen Dienstleistung ein Risiko, denn was jeweils gezahlt und gekauft wird, „ist die Dienstleistung als solche, deren Resultat ihrer Natur nach von dem Dienstleistenden nicht garantiert werden kann“ (Marx, MEW Bd. 26.1, S. 381). Berufliches Handeln in sozialen Diensten – soweit es über staatliche oder sozialstaatliche Ressourcen finanziert wird – ist aus staatlicher Sicht deshalb ein Risiko, weil die relative Autonomie dazu führen kann, dass Kosten aufgewendet werden, denen kein produktives Resultat gegenüber steht. Die technologische Perspektive der Effektivierung und Rationalisierung des professionellen Handelns ist damit laufender Gegenstand der Frage, ob die staatlich verausgabten „faux frais“ auch rationell und zweckmäßig eingesetzt werden. Diese Diskussion begleitet den Ökonomisierungsdiskurs seit 20 Jahren, wobei betont wird, dass man Mittel und Wege kenne, diese „faux frais“ endlich rationell einsetzen zu können. Die Versprechungen der neuen privaten Investment- und Sozialunternehmungsstrategien sind von gleicher Natur und auch davon bestimmt, „value for money“ liefern zu können. Die prinzipielle Unvorhersehbarkeit der sozialen Leistungserstellung und das damit verbundene Risiko meint man, ganz im Vertrauen auf den betriebswirtschaftlichen Zahlenpositivismus sowie die evidenzbasierte Sozialarbeit, kalkulieren und damit ausschalten zu können. Soziale Dienstleistungserstellung ist keine produktive, Mehrwert erzeugende Tätigkeit, sondern eine sich gegen Revenue (Steuern, Staatsverschuldung) austauschende Arbeit, somit nicht Wert schaffend. Unproduktive Arbeit wird aus dem gesamtgesellschaftlich produzierten Mehrwert bezahlt und steht deshalb – im Unterschied zu investiven Entscheidungen im Wert schaffenden Bereich – immer unter dem Signum der Kostenbegrenzung. Knappheit ist konstitutiv für die Arbeit im sozialen Dienstleistungssektor, im Gegensatz zum produktiven 3 Karl Marx hat in einer Bemerkung zum Gebrauchswert personenbezogener Dienstleistungen deren spezifische Unbestimmtheit hervorgehoben: „Das erheischte Arbeitsquantum, um eine bestimmtes Resultat zu erreichen, ist ebenso konjektural wie das Resultat selbst“ (Marx, MEW Bd. 26, 1, S. 240). Geht man von diesem Begriff aus, dann handelt der Leistungserbringer in der Klientenbeziehung in Analogie zur Erschließung eines nur unvollständig überlieferten Textes: der persönliche Charakter der Dienstleistung erfordert Deutungen der Angemessenheit von Dienstleistungen, weil sich diese dem Leistungserbringer nicht vollständig erschließen. 12 Sektor kapitalistischer Warenproduktion, wo mittels der Ausdehnung der Produktion versucht wird, den Mehrwert zu steigern. Mit der Folge regelmäßiger Überproduktionskrisen, in deren Folge der zuviel produzierte Wert vernichtet wird. Hervorzuheben ist auch noch: Der Gebrauchswert sozialer Dienste wird – im Unterschied zur normalen Warenproduktion - nicht durch die Nützlichkeit bestimmt, die das Produkt für das konsumierende Subjekt hat, sondern wird staatlich (i.d.R. durch gesetzliche Regelungen) gestiftet. Diese sind Gegenstand dauerhafter Abwägungen und Einschätzungen, welche Dienstleistungen in welcher Qualität dazu verhelfen, eine von staatlichen Transfers unabhängige Reproduktion zu erzielen bzw. welche Dienstleistungen erforderlich sind, um die staatlich geforderte Sittlichkeit der bürgerlichen Verhältnisse durchzusetzen (z.B. Schutz von Kindern und Jugendlichen). Soziale Dienstleistungen – von der Schulsozialarbeit bis hin zur Gesundheitsförderung – sind damit nicht das Ergebnis einer zahlungsfähigen Nachfrage, die sich auf ein spezifisches Produkt richtet, sondern durch staatliche Nützlichkeitserwägungen geschaffene und finanzierte Investitionen4. Insofern ist ihr Gebrauchswert nicht nur staatlich vermittelt, sondern auch staatlich bestimmt. Die Nützlichkeit des Produkts ist durch die staatliche Entscheidung über seine Finanzierung hergestellt, unabhängig davon, ob sich das Produkt auch für den Adressaten als nützlich erweist. Vor diesem Hintergrund gilt es zu prüfen, welche Veränderungen mit der Ökonomisierung sozialer Dienste mit Blick auf die Wert schaffende und Gebrauchswert schaffende Dimension sozialer Dienstleistungen konkret herbeigeführt werden. 4. Wertschöpfung durch Fiskalpolitik? Die Ökonomisierung sozialer Dienste im Verhältnis von privatunternehmerischer Kapitalakkumulation und sozialstaatlicher Haushaltsökonomie Der Umbau des bundesdeutschen Sozialstaatsmodells ist Teil eines schon seit Jahrzehnten laufenden Großprojektes, des nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion von OECD und EU initiierten Programms einer konsequenten Markt- und Wettbewerbsorientierung der 4 Hier knüpft die Hoffnung von Schaarschuch an, dass durch institutionalisierte Einflussmöglichkeiten der Nutzer auf den sozialstaatlichen Erbringungskontext sozialer Dienste deren Gestaltung im Sinne des nachfragenden Subjekts ermöglicht wird (voice-Option). Allerdings muss Schaarschuch für diese Argumentation (kontrafaktisch) sowohl die prinzipielle Nützlichkeit sozialstaatlicher Dienstleistungen für das nachfragende Subjekt behaupten als auch die demokratischen Einflussmöglichkeiten auf deren Gestaltung normativ so weit nach oben zonen, dass das Ganze einen fiktiven Modellcharakter bekommt. Das ausgerechnet bei sozialen Dienstleistungen vom nachfragenden Subjekt ein „professioneller Handlungsmodus“ ausgeht, der „die Symmetrie des Machtverhältnisses von Nutzer und Professionellem“ zur Voraussetzung hat, ist nur als idealistisch konstruiertes Gegenmodell zum Kunden als Nachfrager sozialer Dienste verstehbar (vgl. Schaarschuch, 2003, S. 164). 13 nationalen Volkswirtschaften. In allen OECD-Ländern stehen seitdem Steuersenkung, Privatisierung, Deregulierung, Schaffung von Wettbewerb im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssektor ganz weit oben auf der Modernisierungsagenda, ebenso die Durchsetzung von mehr (individueller) Eigenverantwortung (vgl. Dingeldey/Rothgang 2009, Lehndorff 2012, Dahme/Wohlfahrt 2012b). In Deutschland sind seit der Reform der Pflegeversicherung Mitte der 90er Jahre die Sozialgesetze Gegenstand fortwährender Reformen. Sozialpolitik – so die explizite Begründung der Sozialstaatsreformen im Rahmen der Agenda 2010 – ist Standortpolitik und soll einen Beitrag dazu liefern, den Wirtschaftsstandort Deutschland für Investoren attraktiv zu machen, die Lohnkosten der Unternehmen zu senken und die öffentlichen Ausgaben nicht weiter ansteigen zu lassen. Die europäische Staatsschuldenkrise wirkt dabei sowohl mit Blick auf die Entlastung der Sozialhaushalte als auch mit Blick auf die Forcierung von Wachstumsimpulsen verschärfend. Der Rationalisierungsdruck, der in Folge dessen auf den sozialen Dienstleistungssektor ausgeübt wird, ist Resultat haushaltsökonomischer Abwägungen: Der Aufwand des aus staatlicher Revenue gezahlten Betrags für soziale Dienstleistungen soll verringert werden und zugleich soll privatwirtschaftliches Kapital für die Produktion sozialer Dienste mobilisiert werden. Dies ist allerdings an die Voraussetzung gekoppelt, dass das investierte Kapital sich verzinst und diese Verzinsung höher ist als die Durchschnittsrendite für Kapitalanlagen auf dem Finanzmarkt. Die Investition in eine soziale Dienstleistung wird damit zu einer spekulativen Anlage des Finanzkapitals, dessen Verwertung dann gelungen ist, wenn sich das angelegte Kapital gewinnbringend verzinst. Allerdings ist der Ausgangs- und Endpunkt der Kapitalinvestition die staatliche Entscheidung darüber, ob für das entsprechende Investment eine staatliche Nachfrage besteht, die als Sicherheit der Kapitalanlage fungiert. Der Staat spart auf diese Weise kurzfristig zu investierende Mittel, mobilisiert privates Kapital für soziale Dienstleistungen und koppelt dies mit Anforderungen an die Wirksamkeit der sozialstaatlichen Programme. Dies ist im Übrigen aber kein originäres Problem der Erbringung sozialer Dienstleistungen, sondern eines, mit dem sich auch kommerzielle Dienstleistungen auseinandersetzen müssen. Der Unterschied besteht darin, dass „Wirkung“ hier, dem rein wirtschaftlichen Zweck „Gewinn“ folgend, schlicht ökonomisch, d. h. im Sinne von „Verkaufsfähigkeit“ definiert wird. Dieser Maßstab – alles ist qualitativ „gut“, was sich verkaufen lässt, vulgo Gewinn erbringt5 – kann und soll auf staatliche Weisung hin 5 Das kann unter Gebrauchswertaspekten dann auch qualitativ Minderwertiges sein. Gerade im DiscountSegment wird viel Geld verdient, weil die Verkäufer mit ihren Angeboten auf die Massennachfrage eines Publikums treffen, das sich qualitativ Besseres nicht leisten kann. Eine Entwicklung, die sich auch in bestimmten 14 bei sozialen Dienstleistungen in dieser rudimentären Form nicht gelten. Hier kommt es, abgesehen von den zu berücksichtigenden Kosten bei der Dienstleistungserbringung, eben primär auf deren „Gebrauchswert“ an: Die jeweilige Leistung soll bzw. muss auf gesetzlicher Basis mit der dargestellten Zielrichtung am/für das Klientel verrichtet werden und dafür lässt man sich die Entwicklung entsprechender Messverfahren sowie die Durchführung von Evaluationen und Leistungsvergleichen wiederum einiges kosten. 6 Die Tatsache, dass die marktwirtschaftlichen Funktionsprinzipien offenbar regelmäßig und dauerhaft „Hilfebedürftigkeit“ auf Seiten des Klientel und d. h. entsprechenden Handlungsbedarf im Bereich sozialer Dienste und Einrichtungen generieren, sind dem Sozialstaat deshalb an und für sich Anlass genug, sich als souveräner „Dienstleister“ seinem abhängigen Klientel mit seinem „Angebot“ in einer Weise - und notfalls eben auch mit Zwang 7 - zur Verfügung zu stellen, die dessen behaupteten Kundenstatus in letzter Konsequenz praktisch negiert8. Ein Umgang, den sich kein wirklicher Kunde gefallen lassen müsste, weil er im Maße seiner Zahlungsfähigkeit die Wahl hat und damit eine echte ExitOption (Kaufzurückhaltung, Umtausch, Anbieterwechsel etc.) besitzt. Soziale Dienstleistungen entspringen ihrem Grunde und ihrer spezifischen Ausgestaltung nach einer souveränen sozialstaatlichen Zwecksetzung, die dieser den „Nachfragern“ gegenüber als seinen Anspruch geltend macht, ohne dass die Wünsche und Interessen der so „Begünstigten“, analog der Kundenorientierung im Rahmen einer regulären, rein marktlich vermittelten Dienstleistungsbeziehung, dabei inhaltlich den wirklichen Bereichen des Sozialsektors (z. B. der ambulanten Pflege) andeutet, wie etwa der in den Medien und in der Politik heftig diskutierte, (vorläufig?) gescheiterte Markteintritt des Billiganbieters „McPflege“ belegt. 6 Rudolph Bauer hat vorausschauend auf den hierin eingeschlossenen Zusammenhang von Ökonomisierung und Bürokratisierung hingewiesen: „“Weniger Staat“ im Sinne der Deregulierung bezweckt ordnungspolitisch „mehr Markt“, bedeutet aber noch keinesfalls „weniger Bürokratie“. In Verbindung mit der Deregulierungspolitik setzt die restriktive Haushaltspolitik v.a. dort an, wo der Staat bisher regulierend eingegriffen hat, um die gesellschaftlichen Folgen der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Produktionsweise zu korrigieren, also in der Sozialpolitik. Sozialleistungen werden rechtlich entsichert („dereguliert“), und ihr monetärer Umfang wird eingeschränkt. Zum Anderen verbindet sich die Deregulierungspolitik mit der Erwartung, dass neue, private Ressourcen erschlossen werden können und dass die nicht mehr oder vermindert aus staatlichen Mitteln bezuschussten Leistungen warenförmig durch oder über den Markt bereitgestellt bzw. erworben werden“ (Bauer, 2001, S. 207). 7 In der Praxis der Sozialen Arbeit ist man sich dieser Umstände – wenn auch ohne explizite Benennung ihrer Gründe – als einer Voraussetzung professionellen Handelns bewusst und geht pragmatisch mit ihnen um. So etwa, wenn die Problematik „Sozialer Arbeit in Zwangskontexten“ (Kähler 2005) thematisiert und gefragt wird, „wie unerwünschte Hilfe erfolgreich sein kann“ bzw. wie mit nicht-motivierten Klienten zu verfahren ist (Gehrmann/Müller 2007)? 8 Sozialstaatliche Interventionen sind seit einigen Jahren programmatisch darauf gerichtet, vorrangig die individuelle Funktionsfähigkeit der Arbeitskraft (Stichwort: „Beschäftigungsfähigkeit“) als i. d. R. ausschließlicher Erwerbsquelle in der arbeitsmarktlichen Konkurrenz sicher- bzw. wiederherzustellen. Dabei erscheint die Subjektivität der Klienten (ihr „Wollen“ bzw. „Nicht-Wollen“) vielfach sogar als Hindernis, das „bearbeitet“ werden muss. Man würde den Kontakt Sozialarbeiter – Klient schlicht um das sozial- bzw. ordnungspolitisch Wesentliche verkürzen, wenn man sie einfach analog dem „freien Markt“ als eine langfristig gedeihlich zu gestalteten Dienstleistungsbeziehung betrachtet, in der auf die „Wünsche des Kunden eingegangen wird“, weil man dessen Zahlungsfähigkeit abschöpfen will. 15 Ausgangspunkt oder Maßstab des Handelns abgäben. Das Angebot an sozialen Dienstleistungen entspringt auch nicht wirtschaftlichen Kalkulationen, denn über die entsprechende Zahlungsfähigkeit verfügen die Hilfebedürftigen nicht, weshalb die Nachfrage nach diesen Leistungen überwiegend oder ausschließlich staatlich gestiftet ist. Auch der sachliche Umfang sozialer Dienstleistungen folgt weder wirtschaftlichen Abwägungen noch individuellen Präferenzen der sog. Nachfrager oder Nutzer. denn Art und Umfang dieser Leistungen sind in zwölf Sozialgesetzbüchern bis ins Detail gesetzlich geregelt, also vorab festgeschrieben. Indem der Sozialstaat soziale Dienste (von der Gesundheit bis zur Pflege) im Rahmen einer von ihm finanzierten und seinen Regelungen unterworfenen Gemeinwirtschaft betreibt, wird zugleich deutlich, dass diese sich einer privatkapitalistisch bestimmten Geschäftskalkulation prinzipiell entziehen. Soziale Dienste sind – wie andere Bereiche staatlich organisierter Infrastrukturpolitik auch – Dienste des Staates an der von ihm durchgesetzten und garantierten Konkurrenzgesellschaft, die aus sich heraus die notwendigen Versorgungsleistungen nicht zustande bringen würde. Dabei verfolgt der Sozialstaat durchaus auch im Bereich der sozialen Dienstleistungen das Anliegen, die von ihm durchgesetzten Versorgungsleistungen als Geschäftssphäre zu organisieren. Das Beispiel des „Gesundheitsmarktes“ zeigt, dass die Versorgung mit Zahlungsfähigkeit nicht der privaten Nachfrage der Konsumenten überlassen bleibt, sondern das Geschäft mit der Gesundheit nur dadurch funktioniert, dass ein Teil des Lohneinkommens der erwerbstätigen Bevölkerung zwangskollektiviert wird. Die Gewinne der Pharmaindustrie, Ärztehonorare und Krankenhausbudgets sind nicht das Ergebnis einer privatkapitalistisch kalkulierten Geldanlage, sondern sozialstaatlich hergestellter Zahlungsfähigkeit. Die Ökonomisierung sozialer Dienste erweist sich damit als Ergebnis einer veränderten sozialstaatlichen Kalkulation: sie dient (bzw. soll dienen) der Entlastung der öffentlichen Haushalte von den finanziellen Aufwendungen für die soziale Infrastruktur, indem aus Steuermitteln finanzierte Dienstleistungen an private Unternehmen überführt werden, die an der Erzielung von Unternehmensgewinnen ausgerichtet sind und ihre Investitionen nicht durch „Staatsknete“, sondern aus eigenen Mitteln vornehmen. Die Nutzung privaten Anleihekapitals stellt den vorläufigen Höhepunkt dieser politökonomischen Abwägungen staatlicher sozialer Dienstleistungspolitik dar. Aus staatlicher Sicht bleibt dabei die Funktionserfüllung der in unternehmerische Souveränität überführten sozialen Dienstleistungsaufgaben ein entscheidendes Kriterium der Ökonomisierung. Dies erklärt den parallel zum „Social Entrepreneurship“ verfolgten Zweck der Wirkungsorientierung und die enge Verkoppelung 16 von Privatisierungsanstrengungen mit Systemen der Wirkungskontrolle und Evidenzbasierung.9 5. Schlussbemerkung: die ideologisch-idealisierende Rahmung sozialer Dienstleistungspolitik – Leitbilder und Leitkonzepte Ein Charakteristikum sozialer Dienstleistungspolitik ist ihre normative Rahmung durch sozialstaatlich produzierte Leitbilder und Leitkonzepte. So hat in Deutschland unter dem Stichwort der Subsidiarität „die Abwertung Sozialer Dienstleistungsprofessionalität…Geschichte und Methode“ (Bauer 2001, S. 203). Der Rückgriff auf Familie und Ehrenamt als billige Ressourcen einer durch Spardiktate gekennzeichneten Dienstleistungspolitik wird als Gegenentwurf zur „Expertokratie“ und Stärkung von Zivil- und Bürgergesellschaft gekennzeichnet und damit idealisiert (vgl. Olk 1986). Die rot-grüne Schröder Regierung hat in konsequenter Verfolgung dieser Logik ihre Politik des Sozialstaatabbaus als Stärkung von Subsidiarität und gesellschaftlicher Verantwortung gedeutet: „Den Bürgern wird in dieser Zivilgesellschaft ein Stück Subsidiarität und Selbstbestimmung zurückgegeben. Das verlangt die Bereitschaft zur Eigenverantwortung, es verlangt auch einen Staat, der sich darauf konzentriert, die Bedingungen für Gerechtigkeit zu schaffen und die Infrastruktur gesellschaftlicher Solidarität zu garantieren“ (Schröder 2000). Schröders Beispiele einer so aktivierten Zivilgesellschaft sind ehrenamtliches Engagement im Kultur- und Sozialbereich, in der unentgeltlichen Schulung im Umgang mit der Computerkommunikation, in Selbsthilfe- und Unterstützungsgruppen der Gesundheitsversorgung, aber auch in der Erhaltung und Erneuerung der Städte. „Es liegt in der Natur der Sache, dass die zivile Bürgergesellschaft sich am ehesten in der eigenen Kommune, im eigenen Stadtviertel manifestiert. Hier ist das zivilgesellschaftliche Beziehungsnetz am dichtesten und am leichtesten überschaubar. Andererseits ist die Gestaltung des gesellschaftlichen Raumes, die Schaffung und Erhaltung lebenswerter und bewohnbarer Städte eine ganz vorzügliche Aufgabe für die Zivilgesellschaft“ (Schröder 2000). Parallel zur Propagierung der sog. „zivilen 9 Die Bertelsmann Stiftung ist in der Bundesrepublik der zentrale Think Tank dieses „Entstaatlichungsprogramms“. Der gesamte Bereich öffentlich organisierter Gemeinwirtschaft wird daraufhin überprüft, inwiefern er in private Unternehmenstätigkeit überführt werden kann. Dies reicht von der Bildungspolitik bis hin zu – siehe Vorbild USA – der Kommerzialisierung des Gefängniswesens. Nur als Randbemerkung soll in diesem Zusammenhang darauf hin gewiesen werden, dass die öffentlich gezahlten Löhne und Gehälter regelmäßig als Schranken gelingender Ökonomisierung behandelt werden: sie gilt es zu differenzieren und branchengerecht neu zu gestalten. Das wird zum staatlichen Dilemma, wenn ihm immer größere Teile des in sozialen Dienstleistungen beschäftigten Personals als Sozialfälle („Aufstocker“) gegenüber treten. 17 Bürgergesellschaft“ wurde auf der Kommunalebene das Leitbild der „Bürgerkommune“ beschworen. „Man hofft, durch den stärkeren Einbezug der Bürger Politik(er)verdrossenheit abbauen, Engagement fördern und die gravierenden Haushaltsprobleme reduzieren zu können. Im Kern geht es bei der Bürgerkommune darum, aufbauend auf dem Leitbild der kundenorientierten Verwaltung, das freiwillige Engagement zu fördern und die Bürger stärker an kommunalen Planungsprozessen zu beteiligen. Damit zielt die Bürgerkommune auf eine Neugestaltung des Kräftedreiecks zwischen Bürgern, Kommunalvertretung und Verwaltung“ (Bogumil/Holtkamp/Schwarz 2003: S. 7). Der politische Wille, die Aufwendungen für soziale Dienstleistungen zu begrenzen, wird als ein Dienst an der Gesellschaft oder dem vernachlässigten Kunden vorgetragen, dem endlich die Rechte zurück gegeben werden, die ihm bislang entzogen wurden. Der polit-ökonomische Inhalt von Eigenverantwortung – die Rückverlagerung von Risiken der „Lebensbewältigung“ an die von Erwerbsarbeit abhängigen Konkurrenzbürger – verwandelt sich im Lichte normativ konstruierter Leitbilder in das, was die ideologische Grundlage aller politischen Eingriffe in die Konkurrenzgesellschaft darstellt: das Bemühen um die Schaffung von mehr Gerechtigkeit. Ausgehend von den steigenden Kosten in der Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (aber inzwischen in nahezu allen Bereichen sozialer Dienstleistungspolitik) ist das der Agenda 2010 zugrunde liegende Aktivierungskonzept in ein neues Leitkonzept sozialer Dienstleistungspolitik überführt worden, das den politischen Gerechtigkeitsanspruch radikalisiert: Inklusion. Der Sozialstaat, der Inklusion zum Leitprinzip seiner sozialstaatlichen Maßnahmen erhebt, will Wirtschaft, Gesellschaft und Leistungsträger aktivieren. Er will seine Leistungen so gestalten, dass sie ausschließlich aktivierenden Programmen zur Verfügung stehen und er will Teilhabe zur Bedingung öffentlich geförderter Maßnahmen machen. Er fordert damit von seinen Staatsbürgern, dass sie sein Prinzip „gleiche Rechte für alle“ auch anerkennen und auch dann praktizieren, wenn es ihren Eigeninteressen entgegen steht. Er mutet seinen Bürgern damit auch zu, ihre im Recht gefasste Gleichheit als Staatsbürger jenseits ihrer Partikularinteressen zur Maxime ihres Handelns zu machen, und ergänzt das Leitbild der Inklusion um das der Akzeptanz von Unterschiedlichkeit (Diversity). Inklusion verfolgt deshalb konsequent die Philosophie des Vorrangs der Regelsysteme. Kinder aus „schwierigen sozialen Verhältnissen“ sollen möglichst früh in eine Kita, Ganztagsschulen sollen helfen, dass Schülerinnen und Schüler ihre Schulaufgaben unter Betreuung erledigen können, Jugendliche mit „herausforderndem Verhalten“ sollen in den Schulen gehalten werden und Erziehungshilfen vermieden werden. Im Anschluss an die Schule soll die 18 Vermittlung in ein Ausbildungsverhältnis erfolgen, notfalls mit öffentlicher Unterstützung. Sondersysteme sollen soweit wie möglich abgebaut und durch Kooperation der Regelsysteme ersetzt werden. Kein Abschluss ohne Anschluss heißt das politisch formulierte Ideal einer Aktivierung der mit Bildung, Erziehung und Arbeitsvermittlung beauftragten Institutionen und der Sozialstaat lässt keinen Zweifel daran, dass er diese Baustellen in die gewünschte Richtung umzubauen gedenkt. Das wirkt für die so aktivierten Institutionen herausfordernd, sie machen sich aber trotz aller Bedenken das Prinzip einer funktionell bestimmten Sozialpolitik, die Teilhabe fordert und fördert, zu Eigen, wenn sie ihr Handeln unter die Überschrift stellen: „Keiner darf verloren gehen“. Der politikidealistische Charakter dieses Leitkonzepts ist offensichtlich: durch die Schaffung gleicher Rechte soll das, was der Politik als „soziale Ausgrenzung“ gegenüber tritt, korrigiert und überwunden werden. Die politische und ökonomische Gleichberechtigung soll die Folgen einer Konkurrenzgesellschaft kompensieren, in der gleichzeitig die Kluft zwischen Armut und Reichtum stetige Zuwächse zu verzeichnen hat.10 Schlussendlich führt diese normative Idealisierung sozialer Dienstleistungspolitik dazu, dass gesellschaftlicher Ausschluss („Exklusion“) gar nicht mehr als eine Folge kapitalistisch organisierter Konkurrenzverhältnisse wahrgenommen wird, sondern als Verletzung der rechtlichen Ankerkennung im Prinzip gleichberechtigter Staatsbürger. So idealisierend sie auch angelegt sind – folgenlos bleiben diese Leitbilder und Leitkonzepte nicht. In dem Maße, in dem die Sozialpolitik der Gesellschaft Eigenverantwortung auferlegt, wird auch der Blick auf die Gewinner und Verlierer der Konkurrenzgesellschaft verändert: die Verachtung der als „Harzer“ Prekarisierten korrespondiert mit einer Aufwertung privater Hilfetätigkeit, die unter dem Stichwort „charity“ so etwas wie einen Verpflichtungscharakter erfolgreich vermehrten Privateigentums annimmt. So transportieren die Leitbilder und Leitkonzepte der sozialen Dienstleistungspolitik (wie Bürgerkommune, Inklusion) einen neuen Gerechtigkeitsanspruch, an dem die im sozialen Dienstleistungssektor tätigen Organisationen und Individuen zukünftig ihr Handeln ausrichten und begründen (sollen). Und damit bewahrheitet sich ein weiteres Mal die einleitend erwähnte These von Rudolph Bauer, dass die „praktische 10 Schon Marx hat diesen Idealismus politischen Handelns gegenüber den „sozialen Gebrechen der Gesellschaft“ im Auge gehabt und kritisiert: „Der politische Verstand ist eben politischer Verstand, weil er innerhalb der Schranken der Politik denkt. Je geschärfter, je lebendiger, desto unfähiger ist er zur Auffassung sozialer Gebrechen. (…) Das Prinzip der Politik ist der Wille. Je einseitiger, das heißt also, je vollendeter der politische Verstand ist, umso mehr glaubt er an die Allmacht des Willens, umso blinder ist er gegen die natürlichen und geistigen Schranken des Willens, umso unfähiger ist er also, die Quelle sozialer Gebrechen zu entdecken“ (MEW 1, S. 401f.). 19 Dienstleistungserbringung“ durch das sozialstaatliche Leistungssystem bestimmt wird und dort seine (auch ideelle) Prägung erhält. 20 Literatur Achleitner, A.-K. u.a. 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