Volker Dittmar

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TRAUMAZENTRIERTE PSYCHOTHERAPIE
Seminar
Verhaltenstherapie ausgewählter psychiatrischer
Erkrankungen
13.01.09
Volker Dittmar
Diplom-Psychologe/Psychol. Psychotherapeut
Psychiatrische Tagesklinik
Bezirksklinikum Regensburg
Universitätsstr. 84
93042 Regensburg
Tel.: 0941/9412975
mail: [email protected]
TRAUMAZENTRIERTE PSYCHOTHERAPIE
Gewalttaten verbannt man aus dem Bewusstsein – das ist eine normale Reaktion. Bestimmte
Verletzungen des Gesellschaftsvertrages sind zu schrecklich, als dass man sie laut
aussprechen könnte: Das ist mit dem Wort „unsagbar“ gemeint. Doch Gewalttaten lassen sich
nicht einfach begraben. Dem Wunsch, etwas Schreckliches zu verleugnen, steht die
Gewissheit entgegen, das Verleugnung unmöglich ist. Viele Sagen und Märchen berichten
von Geistern, die nicht in ihren Gräbern ruhen wollen bis ihre Geschichten erzählt sind. Mord
muss ans Tageslicht. Die Erinnerung an furchtbare Ereignisse und das Aussprechen der
grässlichen Wahrheit sind Vorbedingungen für die Wiederherstellung der gesellschaftlichen
Ordnung, für die Genesung der Opfer.
„Die unter extremen emotionalen Bedingungen gemachten Erfahrungen werden anders als
andere nichttraumatische Erlebnisse im Gedächtnis abgespeichert. Da die Erfahrungen nicht
in den vorhandenen Erfahrungsschatz des Individuums integriert werden können, kommt es zu
einer Desintegration und Fragmentierung des Bewusstseins. Die Erfahrungen werden in
dissoziierter fragmentierter Form abgespeichert. Die dissoziierten fragmentierten Anteile
entziehen sich dann oft dem persönlichen Bewusstsein. Für traumatisierte Menschen ist das
traumatische Ereignis nicht „bewusst“ geworden. Bewusst werden bedeutet, das Ereignis in
Worte zu fassen, es als Begebenheit zu erzählen, die Erfahrung innerhalb der eigenen Person
zu versöhnen und dadurch die Kontinuität der eigenen Geschichte wieder herzustellen.“
Dieser Text könnte in jedem neuen Lehrbuch über Psychotraumatologie oder
posttraumatische Belastungsstörungen stehen. Er stammt jedoch aus dem Jahre 1889 von
Pierre Janet aus „L’Automatisme Psychologique“. Freud und Janet stießen mit ihren
Forschungen insgesamt am weitesten in die unbekannte Wirklichkeit vor. Mit der
Entdeckung, dass sexueller Missbrauch in der Kindheit eine Wurzel der Hysterie war,
überschritt Freud allerdings zu seiner Zeit die äußersten Grenzen gesellschaftlicher
Glaubwürdigkeit. In einem Vortrag über die Ätiologie der Hysterie gehalten 1896 und in
seinen gesammelten Werken veröffentlicht, schreibt Freud „ich stelle also die Behauptung
auf, zugrunde jedes Falles von Hysterie befinde sich – durch die analytische Arbeit
reproduzierbar trotz des Dezennien umfassenden Zeitintervalls - eine oder mehrere
Erlebnisse von vorzeitiger sexueller Erfahrung, die der frühesten Jugend angehören.“ Freud
stellte also die Hysterie als Resultat von sexuellem Kindesmissbrauch dar. Dieser Vortrag gilt
als Ursprung der Überlegungen, dass psychische Symptome das Resultat traumatischer
Erfahrungen sein können. Freuds Entdeckung konnte keine Anerkennung finden, so lange ein
politisches und gesellschaftliches Umfeld fehlte, das die Erforschung der Hysterie
unterstützte, gleichgültig zu welchen Ergebnissen man dabei kam. Ein solches Umfeld hatte
es in Wien nie gegeben und in Frankreich löste es sich rasch auf. Freuds Kollege Janet, der
seine Traumatheorie der Hysterie nie aufgab und immer zu seinen hysterischen Patientinnen
hielt, musste erleben wie seine Arbeiten vergessen und seine Ideen missachtet wurden.
Nachdem vor allem in den USA, aber auch in Japan die Forschung an Holocaust-Opfern bzw.
an den Opfern des Atombombenabwurfs ähnliche Ergebnisse über Traumatisierungen
brachte, kam es nach dem Vietnamkrieg zum endgültigen Durchbruch in der
Traumaforschung. Nachdem ca. 1 Million damals gesunder weißer Mittelklasse-Amerikaner,
die mit Tapferkeitsmedaillen ausgezeichnet waren, traumatisiert aus dem Krieg zurückgekehrt
waren und unter einer posttraumatischen Belastungsstörung litten, wurde die Existenz und die
Erforschung von Traumatisierungen endgültig gesellschaftsfähig. Zusätzlich war ab 1975
auch die Beschäftigung mit innergesellschaftlicher Gewalt gegen Frauen als Folge
zunehmender Emanzipationsbemühungen der Frauen möglich geworden. Auch die
2
Auswirkungen von Missbrauch und Vernachlässigung in der Kindheit konnten schließlich
genauer betrachtet werden, so dass 1993 erstmalig das „International Handbook of Traumatic
Stress Syndromes“ erscheinen konnte.
Nachdem also deutlich geworden war, dass die Überlebenden aus Konzentrations- und
Vernichtungslagern ganz spezifische Symptome zeigten, entdeckte man, dass auch die Opfer
von sexueller Gewalt ein vergleichbares psychisches Störungsbild aufwiesen. Diese
verschiedenen klinischen Beobachtungen führten zu der Annahme, dass es nach dem Erleben
von Extremsituationen ein gemeinsames klinisches Bild von posttraumatischen
Belastungsstörungen gibt. Im Jahr 1980 hat die American Psychiatric Association die
posttraumatische Belastungsstörung in ihr Krankheitsklassifikationssystem (DSM-III)
aufgenommen, um dem inzwischen gewonnenen klinischen Wissen Rechnung zu tragen. Seit
den frühen 90-er-Jahren ist die Diagnose auch im ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation
vertreten.
Die fünf Hauptkriterien der posttraumatischen Belastungsstörung sind:





Erlebnis eines Traumas – wird auch als Ereigniskriterium bezeichnet:
„Die Person erlebte oder beobachtete ein oder mehrere Ereignisse, in
der eine potentielle oder reale Todesbedrohung, ernsthafte Verletzung
oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit bei sich oder
anderen geschah.
Die Person reagierte mit Furcht, Hilflosigkeit oder Schrecken.“
Intrusionen (=unwillkürliche belastende Erinnerungen an das
Trauma)
Vermeidungsverhalten und allgemeiner emotionaler Taubheitszustand
anhaltendes physiologisches Hyperarousal (=Übererregung)
die Symptome dauern länger als einen Monat
Das letztgenannte Kriterium weist darauf hin, dass die zeitlich unmittelbaren psychischen
Folgen nach einem traumatischen Ereignis (nach Stunden bzw. einigen Tagen) nicht als
posttraumatische Belastungsstörungen aufgefasst werden. Sie werden hingegen als akute
Belastungsreaktion oder akute Belastungsstörung diagnostiziert.
Traumadefinition
Im ICD-10 werden als Traumen „kurz oder lang anhaltende Ereignisse oder Geschehen von
außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophalem Ausmaß, die nahezu bei Jedem
tiefgreifende Verzweiflung auslösen würden“ definiert.
Im DSM-IV heißt es: „potentielle oder reale Todesbedrohungen, ernsthafte Verletzungen
oder eine Bedrohung der körperlichen Unversehrtheit bei sich oder anderen auf die mit
intensiver Furcht, Hilflosigkeit oder Schrecken reagiert wird“.
Deistler und Vogler (2002) verstehen unter einem psychischen Trauma „das Ergebnis
psychischer Prozesse, die auf ein traumatisierendes Ereignis folgen. Traumatische
Erfahrungen sind mit Ereignissen verbunden, die außerhalb des Rahmens normaler
menschlicher Erfahrungen liegen und die für fast jeden Menschen seelisch belastend und
qualvoll sind. Wenn also eine Erfahrung so extrem und existentiell bedrohlich ist, dass unsere
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normalen psychischen Schutzmechanismen nicht mehr ausreichen, um dieses Erlebnis zu
bewältigen und zu verarbeiten, entsteht ein psychisches Trauma“.
Fischer und Riedesser (1999) sprechen in ihrem Lehrbuch der Psychotraumatologie von
einem „vitalen Diskrepanzerlebnis zwischen bedrohlichen Situationsfaktoren und
individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser
Preisgabe einher geht und so eine dauerhafte Erschütterung von Selbst- und Weltverständnis
bewirkt“.
Klassifikation von Traumen
Die vielen unterschiedlichen traumatischen Ereignisse auf die solche Definitionen zutreffen,
lassen sich nach verschiedenen Kriterien zusammenstellen bzw. einteilen. Bewährt haben sich
Einteilungen nach menschlich verursachten versus zufälligen Traumen und nach kurzversus langfristigen Traumen.

menschlich verursachte Traumen („man made disasters“)
- sexuelle und körperliche Misshandlungen in der Kindheit
- kriminelle und familiäre Gewalt
- Vergewaltigungen
- Kriegserlebnisse
- zivile Gewalterlebnisse, z. B. Geiselnahme
- Folter und politische Inhaftierung
- Massenvernichtung (KZ, Vernichtungslagerhaft)

Katastrophen, berufsbedingte und Unfalltraumen
- Naturkatastrophen
- technische Katastrophen z. B. Giftgaskatastrophen
- berufsbedingte (z. B. Militär, Polizei, Feuerwehr)
- Arbeitsunfälle, z. B. Grubenunglück
- Verkehrsunfälle
Für weitere schwere Lebensereignisse wie z. B. schwere Erkrankungen oder Suicide in der
Familie, die nicht oder nur schlecht in diese Einteilung passen, wird diskutiert, ob sie als
Traumen im Sinne der Definition des Störungskonzeptes aufgefasst werden sollten oder ob
für sie eine eigene Kategorie gefunden werden sollte. Dies gilt besonders für
lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs, Aids oder den Ausfall eines Organs oder
Körperteils, da diese Krankheiten oftmals von typischen posttraumatischen Symptomen
begleitet werden.

kurzdauernde traumatische Ereignisse (Typ-I-Traumen)
- Naturkatastrophen
- Unfälle
- technische Katastrophen
- kriminelle Gewalttaten wie Überfälle, Schusswechsel.
Die Typ-I-Traumen sind häufig durch akute Lebensgefahr, Plötzlichkeit sowie
Überraschung gekennzeichnet.
4

längerdauernde wiederholte Traumen (Typ-II-Traumen)
- Geiselhaft
- wiederholte Folter
- Kriegsgefangenschaft
- KZ-Haft
- wiederholte sexuelle oder körperliche Gewalt in Form von Kindesmissbrauch, Kindesmisshandlung sowie wiederholten Vergewaltigungen.
Die Typ-II-Traumen sind durch Serien verschiedener traumatischer Einzelereignisse und
durch geringe Vorhersagbarkeit des weiteren traumatischen Geschehens gekennzeichnet. Für
alle genannten Traumen sind die gleichen psychischen Symptome beschrieben worden wie sie
in den Hauptkriterien der posttraumatischen Belastungsstörung definiert wurden (Intrusionen,
Vermeidung, emotionale Taubheit, Hyperarousal). Allerdings hat sich heraus gestellt, dass
einerseits die willentlich durch Menschen verursachten Traumen und andererseits die zeitlich
länger andauernden Typ-II-Traumen in vielen Fällen zu stärkerer Beeinträchtigung und
chronischeren psychischen Folgen führen können als die anderen Formen. So gelten Folter,
wiederholter Missbrauch oder Vergewaltigung sowie Geiselhaft zu den Ereignissen, die mit
deutlich
überdurchschnittlicher
Wahrscheinlichkeit
zu
lang
anhaltenden
Traumafolgestörungen führen. Die drei Hauptsymptomgruppen der posttraumatischen
Belastungsstörung nämlich Intrusion, Vermeidung und Hyperarousal können jeweils in Form
sehr vieler unterschiedlicher Einzelsymptome bzw. Einzelbeschwerden auftreten.
Intrusionen sind wiederkehrende und belastende Erinnerungen an das schreckliche Erlebte.
Sie werden auch als Nachhallerinnerungen oder Flashbacks bezeichnet und können in sehr
unterschiedlicher Form auftreten.
Vermeidung bedeutet, die Betroffenen versuchen oft mit aller Macht, die sie überflutenden
Gedanken „abzuschalten“, d. h., nicht mehr an das Geschehene zu denken. Auch kann
möglicherweise extremes Bemühen oder bestimmte automatisierte Einstellungen, die
bedrängenden Erinnerungen abzuschalten, zu dissoziativen Zuständen sowie Teilamnesien
führen. Verknüpft mit den Vermeidungssymptomen ist das emotionale Betäubungsgefühl. Die
Betroffenen beklagen eine Gefühlseinschränkung, so dass die Erinnerung an ein traumatisches
Ereignis manchmal nur als kognitive Erinnerung bestehen bleibt. Unter Betäubungsgefühlen
versteht man auch das anhaltende Gefühl der Entfremdung von anderen Menschen, den
allgemeinen sozialen Rückzug, das Gefühl der eingeschränkten Zukunft.
Hyperarousal bedeutet, die Erregungsschwelle des autonomen Nervensystems senkt sich, d. h.
Belastungen wirken früher und nachhaltiger. Der Körper ist sozusagen noch dauernd im
„Alarmzustand“. Tabelle 1 , angelehnt an Maercker (2003) beschreibt diese Symptome analog
der Reihenfolge in der sie im DSM aufgelistet sind.
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Einzelsymptome der posttraumatischen Belastungsstörung
Kurzbezeichnung
Erläuterungen (an DSM-IV angelehnt)
Intrusionen/
Wiedererleben
Ungewollt wiederkehrende und belastende Erinnerungen oder
Erinnerungsbruchstücke, treten spontan auf (außer wenn durch
Schlüsselreize hervorgerufen).
Ihre
Intensität
reicht
von
Einzelerinnerungen
bis
zum
Überwältigtwerden von der Erinnerung.
Belastende Träume bzw.
Alpträume
Wiederkehrende
Träume,
die
Erinnerungen
oder
Erinnerungsbruchstücke des Traumas beinhalten. In Alpträumen
können die Erinnerungen sehr verzerrt sein. Verlaufen oft jahrelang
nach dem gleichen Muster.
Erinnerungsattacken
Engl. »flash-backs«. Erinnerungsattacken, die durch die Plötzlichkeit
und Lebendigkeit gekennzeichnet sind. Sind meist nur kurzdauernd
und gehen mit dem Gefühl einher, das traumatische Ereignis noch
einmal zu durchleben. Nähe zu Illusionen, Halluzinationen und
dissoziativen Verkennungszuständen.
Belastung durch
symbolisierte Auslöser
Schlüsselreize wie gleiche Gegenstände, Geräusche, Düfte rufen
regelmäßig belastende Erinnerungen an das Trauma wach. Zu den
Schlüsselreizen gehören auch Jahrestage und Darstellungen des
Schicksals anderer (z. B. im Film).
Physiologische
Reaktionen bei
Erinnerung
Unwillkürliche
Körperreaktion
wie
Schwitzen,
Zittern,
Atembeschwerden, Herzklopfen oder –rasen, Übelkeit, MagenDarmbeschwerden
oder
starke
Ängste
beim
plötzlichen
Konfrontiertwerden mit traumatischen Schlüsselreizen sowie
Erinnerungen bzw. Erinnerungsbruchstücke.
Gedanken- und
Gefühlsvermeidung
Bewusstes Vermeiden von Gedanken und Gefühlen, die an das
Trauma erinnern (z. B. eigene Gedankenstoppversuche bzw.
Selbstkommentare: »Ich mache mich sonst nur selbst verrückt«).
Unabhängig vom Erfolg der Vermeidungsbemühungen.
Aktivitäts- oder
Situationsvermeidung
Phobisches Vermeiden von Aktivitäten oder Situationen, die
Erinnerungen an das Trauma bewirken (z. B. Ort des Traumas
umgehen; nicht mehr aus dem Haus gehen zur Tageszeit, an dem
das Trauma passierte).
(Teil-) Amnesien
Wichtige Elemente des traumatischen Geschehens können nicht
mehr erinnert werden (z. B. von Ort x nach Ort y gekommen zu sein).
Im Extremfall kann das ganze traumatische Geschehen nicht mehr
erinnert werden; es herrschen nur unscharfe Erinnerungen oder
Erinnerungsbruchstücke vor. Die Amnesien dürfen nicht durch
einfache Vergesslichkeit oder durch organische Ursachen (z. B.
Schädelhirntrauma) erklärbar sein.
Interesseverminderung
Deutlich vermindertes Interesse an wichtigen Aktivitäten des
täglichen Lebens oder an individuell vor dem traumatischen Erlebnis
gern ausgeführten Aktivitäten (z. B. Karrierebemühungen, Hobbys).
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Erläuterungen (an DSM IV angelehnt)
Entfremdungsgefühl
Gefühl der Losgelöstheit oder Fremdheit von anderen Personen, die
nicht das gleiche traumatische Ereignis erlebt haben. Subjektiv
unüberwindlich empfundene Kluft zwischen den anderen und einem
selbst
(und
entsprechenden
Leidensgefährten).
Selbst
Familienmitgliedern gegenüber herrscht das Entfremdungsgefühl
vor.
Eingeschränkter
Affektspielraum
Empfindung, dass das Trauma das eigene Gefühlsleben zerstört hat,
z. B. die Fähigkeit jemanden zu lieben, sich zu freuen aber auch die
Fähigkeit zu Trauer oder Mitleid. Die Betroffenen fühlen sich wie
erstarrt oder wie abgestumpft.
Eingeschränkte Zukunft
Sowohl das Gefühl, dass nichts Wichtiges mehr im eigenen Leben
passieren kann, als auch das Gefühl, das Trauma bzw. seine
Verursacher haben Jahre (oder »die beste Zeit«) des Lebens zerstört
und diese können nie wieder ersetzt werden. Zukunftspläne werden
nicht mehr gemacht.
Ein- und Durchschlafschwierigkeiten
Nach dem Trauma einsetzende Schlafstörungen beider Arten,
teilweise – aber nicht notwendigerweise – im Zusammenhang mit
Intrusionen bzw. belastenden Träumen oder Alpträumen.
Erhöhte Reizbarkeit
Leichtes »auf 180« kommen, oftmals Wutausbrüche, wozu vor dem
Trauma noch keine Neigung bestand. Kann oft von den Betreffenden
schlecht selbst beurteilt werden und ist nur indirekt über die Frage
»Würden Ihre Angehörigen das so sehen« zu explorieren.
Konzentrationsschwierigkeiten
Ausgeprägte Schwierigkeiten, sich auf einfache Abläufe zu
konzentrieren (z. B. Buch lesen, Film sehen, Formular ausfüllen).
Den Betroffenen kann klar oder auch selbst unklar sein, dass sie in
solchen Momenten intrusive Erinnerungsschübe haben.
Übermäßige
Wachsamkeit
Fachwort: Hypervigilanz: ständiges Gefühl des Nicht-TrauenKönnens. Fortdauerndes und unrealistisches Gefährdungsgefühl.
Kann (nach durch Menschen verursachten Traumen) dazu führen,
dass Waffen zur möglichen Verteidigung mitgeführt werden bzw.
Überwachungseinrichtungen installiert werden.
Übermäßige
Schreckreaktion
Nach dem Trauma vorhandene, sehr leichte Erschreckbarkeit, die
schon durch leichte Geräusche und Bewegungen ausgelöst werden
kann.
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Eine traumatische Erfahrung geht also stets einher mit dem Erleben intensiver Ohnmacht und
Hilflosigkeit. Das für ein pychisches Trauma typische Erleben von absolutem Kontrollverlust
entsteht, wenn eine Situation durch drei gleichzeitig auftretende Faktoren gekennzeichnet ist,
nämlich:
1. Informationsüberflutung mit aversiven Reizen
2. keine Möglichkeit der Gegenwehr
3. keine Fluchtmöglichkeit.
Das Trauma wirkt als unterbrochene Handlung, die nicht zum Ziel führt, aber innerlich
vegetativ aufgrund einer Höchstalarmstufe Stresshormone hervor ruft, das Zeitempfinden
ausdehnt sowie zu einer chronischen Muskelanspannung führt. In bedrohlichen Situationen
sind wir, wie andere Säugetiere, biologisch gut darauf vorbereitet, uns entweder zu wehren
(„fight“) oder die Flucht zu ergreifen („flight“). Ist jedoch keine der beiden Reaktionen
erfolgversprechend, bleibt uns nur die Möglichkeit des Totstellens, der Erstarrung („freeze“)
bzw. das innere Aussteigen aus der Situation (peritraumatische Dissoziation). „Freeze“
bedeutet Einfrieren, gemeint ist eine Lähmungsreaktion. Es ist als ob das Gehirn sich sagt: Ich
bringe den Organismus nicht aus der Situation heraus und ich kann den aggressiven Reiz
nicht niederringen, also muss ich genau dies intern tun. Ich mache den aggressiven Reiz
unschädlich und erlaube dem Organismus, sich innerlich davon zu distanzieren. Eine Flut von
Endorphinen hilft diesem „geistigen Wegtreten“ und der Neutralisierung akuter Todesangst.
Oft bedeutet die Freeze-Reaktion nichts anderes als eine Entfremdung vom Geschehen.
Zusätzlich zum Freeze kommt noch das Mittel des Fragmentierens hinzu. Die Erfahrung wird
zersplittert und diese Splitter werden so weg gedrückt, dass das äußere Ereignis nicht mehr
zusammenhängend wahrgenommen oder erinnert werden kann.
8
Erscheinungsbild der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung:
Symptome und Symptomkonstellationen der komplexen posttraumatischen
Belastungsstörung (zusammengefasst und modifiziert nach Herman, 1992)
Kurzbezeichnung Erläuterungen (an DSM-IV angelehnt)
Gestörte AffektKeine Feinabstufung der Gefühlsausdrücke möglich. Leichte
und Impulsregulation Erregbarkeit in zwischenmenschlichen Situationen und
Kommunikationen. Ärger und Zorn dominiert. Eigene
selbstzerstörerische Tendenzen (z. B. erhöhte Suizidneigung).
Dissoziative
Tendenzen
Anhaltende Aufmerksamkeitsstörungen und wiederholte
psychogene Bewusstseinstrübungen. Häufige Amnesien und
zeitweises Depersonalisationserleben.
Somatisierungsstörungen und
körperliche
Erkrankungen
Häufige psychogene Beeinträchtigungen bzw. manifeste
Krankheiten,
z.
B.
Verdauungsstörungen,
chronische
Schmerzen,
kardiopulmonale
Symptome,
Konversionssymptome und gestörte Sexualität.
Beeinträchtigtes
Identitätsgefühl
Ausgeprägte Überzeugung, ein beschädigtes Leben zu führen,
das nicht mehr zu reparieren ist bzw. ausgeprägte
Überzeugungen, im Leben etwas falsch gemacht zu haben,
dafür verantwortlich zu sein. Permanente Schuld- und
Schamgefühle anderen Personen gegenüber.
Interpersonelle
Störungen
Gestörte Wahrnehmung des Täters / Angreifers bis hin zu
dessen
Idealisierung.
Exzessive
Beschäftigung
mit
Rachephantasien.
Unfähigkeit
zur
gleichberechtigten
partnerschaftlichen Interaktion. Anfälligkeit für überspannte
Ansichten.
Reviktimisierungsneigung
Exzessives
Risikoverhalten
erzeugt
häufige
Gefährdungssituationen
mit
der
gleichen
Traumatisierungsgefahr (z. B. wieder vergewaltigt zu werden;
wieder Gewaltopfer zu werden). Drang, die Plätze zu besuchen,
an denen das Trauma geschah und die immer noch gefährlich
sein können. Mögliche Tendenz, andere zu Opfern zu machen
(z. B. Vergewaltigungsopfer werden später zu Vergewaltigern).
Allgemeiner
Sinnverlust
Verlust früherer Orientierungen, Hoffnungen, Motivstrukturen
und persönlichkeitsstabilisierender Überzeugungen.
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Epidemiologie
Epidemiologische Forschungsergebnisse können nicht vom soziokulturellen Kontext sowie
den Strömungen des Zeitgeists losgelöst betrachtet werden. So muss man in den
epidemiologischen Angaben zu PTB zwischen älteren Zahlen (80-er Jahre) und neueren (90er Jahre) unterscheiden. Vor 1980 geben Untersuchungen noch eine Lebenszeitpraevalenz von
1 bis 2 Prozent für die amerikanische Allgemeinbevölkerung an. Praevalenzraten der neueren
internationalen Studien liegen deutlich höher als die früheren Untersuchungen. Eine
amerikanische Studie aus dem Jahr 1995 fand eine Lebenspraevalenz von 7,8 Prozent mit
einem starken Geschlechtsunterschied, nämlich bei Frauen 10,4 Prozent, bei Männern 5
Prozent. Besonders Vergewaltigung und sexuelle Belästigung stellen für Frauen ein
erhebliches Risiko dar, eine Traumatisierung zu erleben. In einer neueren deutschen Studie
werden 60 Prozent aller Männer und 50 Prozent der Frauen im Verlaufe ihres Lebens
mindestens einmal mit einem Trauma konfrontiert, das die Stressorkriterien der
posttraumatischen Belastungsstörung erfüllt (Kessler 1995). Daraus lässt sich folgern, dass
die posttraumatische Belastungsstörung eine der häufigsten psychischen Störungen ist. In
neueren epidemiologischen Untersuchungen wurde über Lebenszeitpraevalenzen von 8 bis 9
Prozent berichtet. Frauen tragen bei vergleichbarer lebenslanger Traumaexposition ein etwa
doppelt so hohes Risiko an einer PTSD zu erkranken. Nicht alle Menschen erkranken nach
einem traumatischen Erlebnis. Gemäß einer jüngeren Übersichtsarbeit entwickelt aber
immerhin etwa ein Viertel der Betroffenen das Vollbild einer posttraumatischen
Belastungsstörung. Je nach Art des Traumas ist das Erkrankungsrisiko allerdings sehr
unterschiedlich. Folter, Kriegsteilnahme, aber auch Vergewaltigung, Misshandlung in der
Kindheit und Vernachlässigung in der Kindheit sind die Ereignisse, die das höchste Risiko
beinhalten für die Betroffenen an einer PTB zu erkranken.
Komorbidität
Je nach Untersuchung wird angegeben, dass bei 50 bis 100 Prozent der PTB-Patienten
komorbide Störungen vorliegen. Meist haben PTB Patienten mehr als eine weitere komorbide
Störung. Auch kommen komplex traumatisierte Menschen nicht mit einer Traumadiagnose in
die Behandlung, sondern mit einem bestimmten Syndrom, das dann die einzige
Hauptdiagnose zu werden droht. Traumapatienten können daher mit den klaren Symptomen
einer depressiven Störung, mit einer Angsterkrankung, einer körperlichen
Beschwerdesymptomatik, die sich nach organischer Abklärung als Somatisierungsstörung
entpuppt sowie Suchtstörungen, Essstörungen, Borderline-Persönlichkeitsstörungen oder
sozialen Auffälligkeiten wie selbstverletzendem Verhalten in eine Behandlung kommen. Von
Bedeutung ist daher für einen dauerhaften Therapieerfolg die zugrunde liegende
Traumastörung festzustellen und in der Diagnose zu benennen. Die Ähnlichkeit einiger
Symptome mit psychotischem Erleben hatte vor einigen Jahren dazu geführt, dass nicht
wenige Vietnam-Veteranen mit PTB die Diagnose einer paranoiden Schizophrenie erhielten.
Ihre intrusiven Erinnerungsbilder wurden als Halluzinationen bewertet, die erhöhte
Wutbereitschaft der ehemaligen Soldaten auf paranoide Ideen zurückgeführt.
Erst die Aufnahme der PTB in das DSM-III-Manual hat diese Fehldiagnosen reduziert.
Komorbide Störungen bei posttraumatischen Belastungsstörungen können also sein:
-
Angststörungen
Depressionen
Suicidalität
Medikamenten-, Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Sucht
Somatisierungsstörungen
Herz-/Kreislauferkrankungen.
10
Verlauf
Fischer und Ridesser (1999) haben ein allgemeines zeitliches Verlaufsmodell der psychischen
Reaktion auf ein traumatisches Ereignis entwickelt, indem sie drei Phasen unterscheiden.
1. Die Schockphase:
Sie dauert eine Stunde bis eine Woche. Charakteristisch ist ein Gefühl der
Unwirklichkeit, später erfolgt häufig eine Verleugnung. Das Opfer kann nicht
glauben was geschehen ist. Kennzeichen der Schockphase sind z. B. die
Veränderung des Zeiterlebens oder eine veränderte Wahrnehmung.
2. Die Einwirkungsphase:
Sie beginnt einige Zeit nach dem Ereignis und kann bis zu zwei Wochen anhalten.
Die stärkste Erregung ist zwar abgeklungen, die Betroffenen sind jedoch von den
Ereignissen innerlich völlig in Anspruch genommen. Charakteristisch für diese
Phase sind z. B. Ärger, Selbstzweifel, Selbstanklagen, häufig auch Depressionen
und
Gefühle
der
Hoffnungslosigkeit,
Einschlafstörungen,
Konzentrationsstörungen, Gedächtnisstörungen und Intrusionen wie Albträume
und Flashbacks.
3. Die Erholungsphase:
Nach 14 Tagen, manchmal auch erst nach vier Wochen beginnen sich einige
Betroffene vom Trauma zu erholen. Das Interesse am normalen Leben und an
anderen Personen kehrt zurück, die Zukunftspläne werden positiver gesehen. In
der erfolgreichen Erholungsphase bildet das Trauma für viele Menschen einen
Anlass über das bisherige Leben zu reflektieren und ihre Zukunftsplanungen zu
überdenken. Fischer und Ridesser schlagen vor, in dieser Zeit Alkohol und Drogen
zu vermeiden und sich auch räumlich aus der traumatischen Situation zu entfernen.
Bleibt jedoch die dritte Phase aus, besteht die Gefahr, eine posttraumatische
Belastungsstörung zu erleiden.
Sowohl die intrusiven Wiederholungen als auch die Verleugnung und emotionale
Erstarrung können entweder gleichzeitig oder in Phasen nacheinander ablaufen.
Eine Zusammenfassung dieser Prozesse findet sich in dem bekannt gewordenen
Modell von Horowitz (1997). Der Autor beschreibt in diesem Modell sowohl
normale Reaktionsphasen auf eine Traumatisierung, als auch pathologische
Reaktionsphasen. Die normale Reaktion ist ein Wechsel zwischen intrusiven und
konstriktiven Symptomen, durch deren Durcharbeitung die Integration in die
Persönlichkeit gelingen kann. Dann ist das Trauma bewältigt und der Mensch in
der Lage, seine Biographie in angemessener und selbstbestimmter Weise
fortzusetzen. Die pathologische Reaktion beginnt mit dem Erleben von
Überwältigt- und Ausgeliefertsein, die entsprechende Erfahrung kann nicht
integriert werden. Intrusive Symptome, wie ständiges Wiedererleben und damit
erzwungene Nähe zum Trauma durch flash-backs, Albträume und Panikattacken
wechseln mit extremen Vermeidungsverhalten. Die Menschen fühlen sich
unfähig, ihr Leben zu kontrollieren, entwickeln weitere Folgestörungen wie
Somatisierungs- und Persönlichkeitsstörungen.
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Normale Reaktion
Reaktion
Pathologische
Ereignis
Aufschrei:
Angst, Trauer, Wut
Überwältigtsein
Panikgefühle oder
Erschöpfung
Abwehr:
A
Vermeidung, sich den Erinnerungen
AAA
an das Unglück zu stellen
Extreme Vermeidung
Intrusionen:
ungebetene Gedanken vom Ereignis
Überflutung
Durcharbeiten:
Realität des Geschehenen anerkennen
Psychosomatische
Reaktionen
Abschluß:
Fortsetzung des Lebenswegs
Persönlichkeitsveränderungen
Abb. 1: Das Modell normaler und pathologischer Phasen posttraumatischer Reaktionen nach Horowitz (1997. S 147).
12
Traumareaktionen
Ereignisse nach denen besonders schwere Traumareaktionen zu erwarten sind
1. Dauern sehr lange.
2. Wiederholen sich häufig.
3. Lassen das Opfer mit schwereren körperlichen Verletzungen zurück.
4. Sind vom Opfer schwerer zu verstehen.
5. Beinhalten zwischenmenschliche Gewalt.
6. Der Täter ist ein nahe stehender Mensch.
7. Das Opfer möchte (mag) den Täter.
8. Das Opfer fühlt sich mitschuldig.
9. Die Persönlichkeit ist noch nicht gefestigt oder gestört.
10.Beinhalten sexuelle Gewalt.
11.Beinhalten sadistische Folter.
12.Haben mehrere Täter das Opfer zugerichtet
13.Hatte das Opfer starke Dissoziationen
14.Hat niemand dem Opfer unmittelbar danach beigestanden
15.Hat niemand nach der Tat darüber mit dem Opfer gesprochen
(Huber 2003)
Schutzfaktoren gegen chronische Folgen von Traumatisierungen sind
- soziale Unterstützung,
- kommunikative Kompetenz,
- kohärentes Weltbild.
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Risikofaktoren
Bestimmte Risikofaktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person
nach einem Trauma eine PTSD entwickeln wird.
a) Faktoren vor dem traumatischen Ereignis:







geringe soziale Unterstützung
Schicksalsschläge
Armut der Eltern
vorherige Misshandlungen in der Kindheit
dysfunktionale Familienstrukturen
familial-genetische Geschichte psychischer Störungen
Introversion oder extrem gehemmtes Verhalten. Geschlecht:
weiblich
 schlechte körperliche Gesundheit
 vorherige psychische Störung
b) Faktoren während des Traumas:
 Länge und Ausmaß und Wiederholung der traumatischen
Einwirkung
 subjektives Bedrohungsgefühl (z. B. häufig akute Todesangst)
 andere, damit verbundene Traumata (Zeuge der Misshandlung
anderer werden, zum Täter an anderen Opfern werden)
c) Faktoren nach dem Trauma
 mangelnde soziale Unterstützung
 fortgesetzte negative Lebensereignisse
 mangelnde Anerkennung des Traumas durch andere
 sekundäre Stressfaktoren wie Schulwechsel, Umzug, Zerstörung
des Zuhauses, wiederholte Bedrohungen, Angst vor dem Täter und
finanzielle Probleme
(Huber 2003)
14
Beurteilungskriterien für das Vorliegen einer PTB
»Wiederkehrende und eindringliche Erinnerungen«
Das Symptom liegt vor, wenn sich die Erinnerungen ungewollt – und in der Regel
unkontrollierbar – immer wieder aufdrängen und vom Patienten als belastend erlebt
werden. Erinnerungen, die willentlich hervorgerufen werden, erfüllen das Kriterium nicht.
»Wiederkehrende Träume«
Wiederkehrende Träume sind diagnostisch relevant, wenn sie in Zusammenhang mit dem
traumatischen Ereignis stehen und den Patienten stark belasten. Alpträume, die in keinem
erkennbaren direkten Zusammenhang mit dem traumatischen Erlebnis stehen, erfüllen das
Kriterium nicht.
»Plötzliches Handeln oder Fühlen, als ob das Ereignis wiederkehre«
Hierzu gehören das Gefühl, das traumatische Ereignis noch einmal zu durchleben, Illusionen,
Halluzinationen und dissoziationsartige Episoden. Diese Symptome sind zu unterscheiden
von wiederkehrenden Gedanken, in denen sich der Patient der Tatsache bewusst ist, dass er
das traumatische Ereignis erinnert.
»Psychische Belastung bei Ereignissen, die das Trauma symbolisieren oder ihm ähnlich
sind, Jahrestage eingeschlossen«
Das Symptom liegt vor, wenn die psychische Belastung intensiv ist und den Patienten
zumindest kurzfristig in seiner Alltagsbewältigung beeinträchtigt.
»Bewusstes Vermeiden von Gedanken oder Gefühlen, die mit dem Trauma assoziiert
sind«
Das Symptom liegt vor, wenn der Patient bestrebt ist, mit dem traumatischen Ereignis in
Verbindung stehende Gedanken oder Gefühle zu vermeiden – unabhängig davon, ob ihm dies
tatsächlich gelingt.
»Bewusstes Vermeiden von Aktivitäten oder Situationen, die Erinnerungen an das
Trauma bewirken«
Das Vermeiden von Aktivitäten oder Situationen, die nicht in Zusammenhang mit dem
traumatischen Ereignis stehen, erfüllt das Kriterium nicht.
»Unfähigkeit, einen wichtigen Aspekt des Traumas zu erinnern«
Hauptmerkmal der psychogenen Amnesie ist, dass der Patient sich wichtiger Dinge nicht
mehr erinnern kann. Die Erinnerungslücken sind zu groß, als dass man sie mit normaler
Vergesslichkeit oder Erschöpfung erklären könnte. Organische Ursachen der Unfähigkeit zu
erinnern sind auszuschließen.
»Deutlich verringertes Interesse an wichtigen Aktivitäten«
Die Beurteilung dieses Symptoms erfordert, dass das vor dem traumatischen Ereignis
bestehende Interesse an wichtigen Aktivitäten retrospektiv erfasst wird. Das Symptom liegt
vor, wenn dass Interesse an objektiv wichtigen Aktivitäten deutlich nachgelassen hat oder
vorher subjektiv für den Patienten wichtige Aktivitäten (z. B. Hobby) nicht mehr
interessieren.
15
»Gefühl der Losgelöstheit oder Fremdheit von anderen«
Das Symptom wird als vorhanden kodiert, wenn nach dem Trauma ein Gefühl der
Entfremdung und der sozialen Isolierung erlebt wird. Für die Kodierung als vorhanden ist
nicht ausreichend, wenn der Patient meint, nur von einem ähnlichen traumatischen Erlebnis
betroffene Personen könnten seine peritraumatischen und posttraumatischen Reaktionen
verstehen.
»Eingeschränkter Affektspielraum, z. B. Unfähigkeit zu Liebesgefühlen«
Das Symptom liegt vor, wenn die Gefühle des Patienten »stumpf«, »erstarrt« sind und der
Patient die Gefühle, die er meint ausdrücken zu müssen, nicht ausdrücken kann. Dies schließt
die Unfähigkeit zu Liebesgefühlen ein, aber auch die Unfähigkeit zu Trauer oder Mitleid.
»Eindruck einer eingeschränkten Zukunft (z. B. keine Karriere, Kinder, Ehe, kein
langes Leben«
Die Zukunft traumatisierter Personen kann im Vergleich zu der vor der Traumatisierung
antizipierten Zukunft tatsächlich eingeschränkt sein, z. B. wenn schwerwiegende körperliche
Schädigungen als Folge des traumatischen Ereignisses vorliegen. Das Symptom liegt vor,
wenn die Erwartungen des Patienten unrealistisch sind. Das Symptom drückt sich häufig darin
aus, dass der Patient keine Zukunftspläne mehr schmiedet.
»Schwierigkeiten einzuschlafen oder durchzuschlafen«
Schlafstörungen sind diagnostisch relevant, wenn sie nicht bereits vor dem traumatischen
Ereignis in der beobachteten Ausprägung auftraten.
»Reizbarkeit, Wutausbrüche«
Um das Item beurteilen zu können, muss das prätraumatische Ärgerausdrucksverhalten erfasst
werden. Das Symptom liegt vor, wenn Reizbarkeit und Wutausbrüche in der Folge des
Ereignisses vermehrt auftraten.
»Konzentrationsschwierigkeiten«
Konzentrationsschwierigkeiten sind im Zusammenhang mit der vor dem traumatischen
Ereignis vorhandenen Konzentrationsfähigkeit zu beurteilen. Organische Ursachen der
Konzentrationsschwierigkeiten sind auszuschließen.
»Übermäßige Wachsamkeit«
Das Symptom liegt vor, wenn der Patient seit seiner traumatischen Erfahrung externen
Stimuli mehr Aufmerksamkeit widmet, als für deren realistische Bewertung notwendig wäre.
»Übermäßige Schreckreaktionen«
Eine übermäßige Schreckhaftigkeit wird als »vorhanden« kodiert, wenn sie in Folge des
traumatischen Ereignisses vermehrt auftritt. Schreckreaktionen können nicht selten während
der Interviewführung beobachtet werden.
»Physiologische Reaktionen (Schwitzen, Zittern etc.) bei Konfrontation mit Ereignissen,
die das Trauma symbolisieren oder an Aspekte desselben erinnern«
Physiologische Reaktionen können sich in einer Vielzahl von quälenden Symptomen
manifestieren: In Atemschwierigkeiten, Herzklopfen oder –rasen, Erstickungs- oder
Beklemmungsgefühlen; in Übelkeit oder Magen- und Darmbeschwerden; in Todesangst oder
der Angst, etwas Unkontrolliertes zu tun. Das Kriterium ist nicht erfüllt, wenn diese
körperlichen Beschwerden nicht in Zusammenhang stehen mit Erinnerungen an das Ereignis
oder bestimmte Situationen, die mit dem Ereignis in Beziehung stehen.
16
Neurophysiologische Grundlagen der Traumaverarbeitung
Für das Gehirn ist eine lebenslange neuronale Plastizität typisch. Wachstum und
Differenzierung von Neuronen und Synapsen und damit eine strukturelle Veränderung
neuronaler Netzwerke sind abhängig vom Nutzungsgrad.
Besonders prägend sind die frühen Beziehungserfahrungen. Diese erfahrungsabhängige
Veränderung der Hirnstruktur ist die Grundlage von Lernen und Gedächtnis. Lernen beginnt
bereits im Mutterleib, am prägendsten und damit später am schwersten zu verändern sind die
sehr frühen Erfahrungen. Erleben einer unsicheren Bindung an die primären Bezugspersonen
und frühe Stresserfahrungen sind Risikofaktoren, die zu psychischen Erkrankungen wie
Persönlichkeitsstörungen, aber auch Jahrzehnte später zu somatischen Krankheiten wie
koronare Herzkrankheit und chronisch obstruktive Lungenerkrankung disponieren können.
Das Stressverarbeitungssystem wird durch frühe unkontrollierbare Stress-Situationen so
geprägt, dass daraus lebenslang Einschränkungen der Aufmerksamkeit und Lernfähigkeit,
eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit und Somatisierungstendenz resultieren können.
Es gibt verschiedene Gedächtnissysteme:
Das explizit-deklarative Gedächtnis ist im medio-frontalen Temporallappen und
Hippokampus lokalisiert, umfasst alles, was bewusst gedacht oder gesprochen werden kann.
Es enthält zwei Formen:
- ein episodisches Gedächtnis, zeitlich und örtlich zugeordnet, mit Bezug zum
Selbst und
- ein autobiographisches Gedächtnis besonders im präfrontalen Kortex
Das implizit-prozedurale Gedächtnis beinhaltet unbewusstes Wissen ohne zeitlich-räumliche
Zuordnung oder Zuordnung zum Selbst, nicht verbal, sondern emotional-sensorisch; es ist
besonders in Amygdala und Kleinhirn lokalisiert.
Im Alltag verarbeiten wir alle Informationen und Sinneseindrücke, auf verschiedenen
hierarchischen Ebenen des Gehirns. Sie werden dort nach Wichtigkeit geordnet, gefiltert und
ausgewählt. Besonders beteiligt daran ist das Limbische System. Folgende Gehirnzentren sind
für die Aufnahme und das Abrufen von Informationen wesentlich:
1.
Der Thalamus
Er gilt als Schaltstelle mit Filterfunktion für alle eintreffenden sensorischen
Sinneseindrücke.
2.
Der Hippocampus (Seepferdchen)
Er ist für die faktisch-kognitive und räumliche Zuordnung und Kontextualisierung
zuständig, dies ist Voraussetzung für die Überführung in das deklarativ-explizite
Gedächtnis und die semantisch verfügbaren Erinnerungen. Die Erinnerungen werden
dann als zum Selbst gehörig und „damals“ erlebt.
3.
Die Amygdala (Mandelkern)
Sie beurteilt die emotionale Wichtigkeit oder Bedrohlichkeit einer Information und
kann in einer sehr schnellen Schaltung Angst, Flucht und Kampfbereitschaft
mobilisieren.
17
4.
Der Frontallappen der Großhirnrinde
Er sorgt für die Integration der Informationen auf höherer kortikaler und damit
bewusster Ebene, ist für die Planung zukünftiger Handlungen und die
Aufmerksamkeitsfokussierung zuständig. Besonders der sog. präfrontale Kortex ist
über die Hemmung der Amygdala entscheidend für die Stressverarbeitung,
Impulskontrolle und jedes Lernen.
In traumatischen Situationen wird die hierarchische Informationsverarbeitung unterbrochen.
Dies ist evolutionär als äußerst sinnvolle Reaktion in lebensbedrohlichen Situationen zu
verstehen: Die Priorität ist zu überleben, also schnell über die Ausschüttung von
Stresshormonen den Organismus in Kampf- oder Fluchtbereitschaft zu versetzen. Die
Bewertung der sensorischen Information durch die Amygdala geschieht in weniger als einer
halben Sekunde, lange bevor wir einen Reiz bewusst erkennen und einordnen können.
Je bedeutsamer die Information von der Amygdala eingestuft wird, desto mehr
Aufmerksamkeit bekommt die Information vom Hippokampus und desto ausgeprägter wird
die Erinnerung. So weiß jeder, wo er sich am 11.9.2001 aufhielt, aber nicht für das gleiche
Datum eines beliebigen anderen Jahres.
Bei Extrem-Stress (=Trauma) werden die informationsverarbeitenden Zentren entkoppelt, die
Amygdala (Feuerwehr) speichert emotionale und körperliche Reaktionen, fragmentiert im
ursprünglichen Zustand, ohne Verbindung zu zeitlich-räumlicher Zuordnung durch den
Hippokampus und sprachlicher Verarbeitung im Broca-Zentrum sowie autobiographischer
Einordnung im präfrontalen Kortex. Die Erinnerung bleibt im Sinne der peritraumatischen
Dissoziation stecken und kann durch banale Hinweisreize (Trigger) jederzeit im
ursprünglichen Zustand wieder aktiviert werden, als geschehe das Trauma jetzt. So ist keine
weitere Verarbeitung in den neuronalen Netzwerken möglich, das Geschehene kann nicht zu
einer nutzbaren Lernerfahrung werden.
Hirnphysiologische Untersuchungen (z.B. van der Kolk) mit PET oder fMRT zeigen, dass
Glukoseverbrauch und regionale Durchblutung bei traumatischen Erinnerungen in der
rechtshirnigen Amygdala verstärkt und parallel im Hippokampus und linkshirnigen
Frontallappen und Broca-Areal reduziert sind.
Traumatische Erfahrungen werden also über Körpererinnerungen, Gerüche und Geräusche
gespeichert und von der normalen Erfahrung losgelöst erlebt. Sie können durch beliebige
Reize wieder „getriggert“ werden. Dies läuft unbewusst ab und wird deshalb als aus
„heiterem Himmel“ und sehr beängstigend erlebt. Ein wesentliches Ziel einer traumaspezifischen Therapie muss deshalb sein, dass implizite Erinnerungen ins explizite
autobiographische Gedächtnis „umsortiert“ werden. Oder wie Reddemann und Sachsse
formulieren: „Wo Intrusionen sind, sollen Erinnerungen werden“.
Eine Traumatherapie muss die beschriebenen Besonderheiten der neurobiologischen
Stressverarbeitung berücksichtigen und sollte deshalb in drei Phasen erfolgen:
1. Stabilisierung
2. Traumakonfrontation
3. Reintegration
18
Psychotherapie der Traumaverarbeitung
Sowie die Entwicklung eines Traumas in verschiedenen Phasen verläuft, so hat sich auch in
der Behandlung traumatisierter Patienten eine phasenorientierte Behandlung bewährt.
Mehrere
amerikanische
und
europäische
Autoren
haben
phasenorientierte
Behandlungsmodelle
beschrieben
und
unter
unterschiedlichen
institutionellen
Rahmenbedingungen erfolgreich praktiziert. Das erste Phasenmodell der Traumatherapie
wurde bereits 1889 von Janet entwickelt und unterschied drei Phasen:
1. Stabilisierung
2. Traumabearbeitung
3. Reintegration.
Auch moderne Modelle gehen überwiegend und schulübergreifend von einem Drei-PhasenModell aus. Herman (1993) unterscheidet beispielsweise die Phasen Sicherheit, Erinnern und
Trauern sowie Wiederanknüpfung, die im wesentlichen Janets Modell entsprechen. Herman
nennt als Grundlage diesen Stufenmodells die Annahme, dass bei der Erfahrung des
interpersonellen Traumas die Gefühle von Hilflosigkeit, Bedeutungslosigkeit und des inneren
Getrenntseins von sich selbst und den anderen zentral sind. Der Erholungsprozess wie er sich
über die drei Phasen sich entfaltet, basiert auf der Stärkung des Opfers, der Schaffung neuer
Beziehungsstrukturen und neuer Sinnerfahrung. Die dreiphasige Grundstruktur der
Traumatherapie nach Judith Herman, wie sie aber auch von Reddemann und anderen
führenden deutschsprachigen Vertretern der Traumatherapie vertreten wird, soll nun genauer
dargestellt werden:
Die dreiphasige Grundstruktur der Traumatherapie
1.
Die Phase der Sicherheit und Stabilisierung:
 Aufbau einer stabilen Bindungserfahrung mit dem behandelnden Therapeuten /
Behandlungsteam.
 Aktives Beziehungsangebot im Sinne einer neuen Beziehungserfahrung von
Schutz und Empathie.
 Kontrolle über den eigenen Körper wiedererlangen, körperbezogene
Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen, körperliche Bewegung usw. autonom
befriedigen.
 In Abgrenzung zur Außenwelt einen sicheren Lebensraum etablieren; die
Fähigkeit zum Selbstschutz rangiert an erster Stelle.
 Erlernen von Selbstberuhigungsstrategien (therapeutische Technik mit der
Befähigung zur Selbstberuhigung, Selbstliebe und Selbstakzeptanz). Die
Strategien sind imaginative Stabilisierungsübungen wie sicherer Ort und innere
Helfer, aber auch imaginative Distanzierungstechniken wie Tresor, Leinwand
und Beobachtung.
 Erlernen von Techniken zum Flashback-Stop und Dissoziations-Stop.
 Erlernen von Affektkontrolle.
 Eigenverantwortung förderndes, antiregressiv rahmenorientiertes Vorgehen
mit Verträgen.
 Real bedrohliches Äußeres von inneren Gefahren / altem Film unterscheiden
lernen.
 Differenzierte Körperwahrnehmung und liebevollen Umgang mit dem Körper
lernen.
19
 Erlernen eines kontrollierten Umgangs mit traumatischem Material.
 Vorsichtiger Gebrauch von Entspannungstechniken sowie
Achtsamkeitsübungen.
 Kognitive Strategien, der Gebrauch von Tagebüchern, die Definition von
Hausaufgaben für das Management dieser Gefühle und die Entwicklung
konkreter Pläne, um eigenständige Sicherheit zu gewinnen. „Erwachsener“
Umgang mit verlässlichen Absprachen in Bezug auf Zeitstruktur, Stationsregeln
und Therapievereinbarungen.
 Gebrauch von Übergangsobjekten oder Erinnerungssymbolen als Angebote zur
positiven Identifikation und die Entwicklung selbststabilisierender Fähigkeiten
 Ressourcenorientierung und Stressreduktion in allen Interventionen
 Kognitive Informationen und Psychoedukation wie Wissen über Traumafolgen,
„Normalität“ der Symptome, Wissen über Täterintrojektion usw.
 Therapeutische Haltung der Inneren-Kind-Arbeit.
Ziele der ersten Phase der Sicherheit und Stabilisierung sind das
- Wiedergewinnen der Selbstkontrolle
- Stärkung des Selbstmanagements
- Reduzieren von Vermeidungsverhalten
- Nutzung des kreativen Ressourcenpotentials
- Selbstberuhigung und Selbsttröstung
- Reduktion des traumatischen Stress
- Förderung von Kontrolle und Wahlmöglichkeiten sowie Selbstregulation und
Alltagsstabilität.
2.
Die
Therapiephase
der
Traumakonfrontationsphase:
eigentlichen
Traumabearbeitung
/
 Fokus auf eine aktive und tiefergehende Erforschung der traumatischen
Erfahrungen nach Aufbau einer tragfähigen Beziehung und eigenregulatorischer
Fähigkeiten.
 Ausdrückliche Zustimmung der Patientinnen zur Traumaarbeit; Unterteilung des
aufdeckenden Prozesses in verdaubare Unterabschnitte; Stärkung der
Patientinnen, die Kontrolle für die Temporegulierung und die Intensivierung des
Prozesses soweit wie möglich zu übernehmen.
 Einsatz von gezielten Dissoziationstechniken in der Traumabegegnung z. B.
Bildschirmtechnik, Beobachtertechnik.
 Ziel der aufdeckenden Arbeit ist nicht primär die Katharsis, sondern vielmehr
eine Integration der traumatischen Erfahrungen in das Spektrum der
Gesamtpersönlichkeit.
 Nicht verarbeitetes traumatisches Material wegpacken.
 Inneren Trost anregen.
 Nach jeder Traumakonfrontation Stabilisierung anstreben.
 Schwere depressive Krisen, die sich aufgrund der sich jetzt intensivierenden
Trauerarbeit anschließen, können durch den Aufenthalt in einer peergroup
gemildert werden.
20
3.
Die Phase der Wiederherstellung der Beziehung zu anderen
Die Phase der Trauer und Reintegration:







Schon in jeder Stunde der Traumakonfrontationsphase muss Zeit für
Trauer und Trost des inneren Kindes und des erwachsenen Ichs bleiben.
Der Fokus der letzten Phase liegt auf dem Trauern um das Versäumte
und die zerstörte Kindheit, aber auch auf dem Annehmen des eigenen
Lebensschicksals.
Wiederherstellung sozialer Kontakte und Unterstützung in beruflicher
Orientierung.
Erweitern gewonnener Einsichten in den Charakter ausbeuterischer
Beziehungen und der damit verbundenen Gewalt und Hilflosigkeitserfahrung auf dem bestehenden familiären Kontext oder andere soziale
Kontakte.
Grenzsetzung gegen Beziehungen mit ausbeuterischem Charakter – nicht
ausbeuterische Beziehungen sollen gestärkt werden.
Lernen neuer Coping-Strategien für das heutige Leben.
Nach Erstarken des Ichs und Freiwerden der Energie, die früher in
Traumasymptome und deren Abwehr investiert wurde, ist jetzt auch
konflikt- und übertragungszentrierte Psychotherapie möglich.
In den Untersuchungen zur Wirksamkeit der Therapie der posttraumatischen
Belastungsstörung hat sich gezeigt, dass eine Reihe von psychotherapeutischen Verfahren
nachgewiesene Wirksamkeit für sich beanspruchen können. Als sehr gut wirksame Verfahren
gelten
-
die kognitive Verhaltenstherapie,
das EMDR,
die psychodynamisch-imaginative Traumatherapie nach Reddemann,
das hypnotherapeutische Vorgehen.
Grundprinzipen der Psychodynamisch-Imaginativen Traumatherapie
(PITT)
Der von Luise Reddemann entwickelte Ansatz umfasst die typischen 3 Phasen der
Traumatherapie, wobei der Schwerpunkt eindeutig auf der Stabilisierungsphase liegt.
Reddemann verwendet die Konzepte der Inneren Bühne und des Teile-Modells der
Persönlichkeit im Sinne des Ego-State-Konzeptes.
Vorrangig ist die Etablierung einer stabilen Arbeitsbeziehung zwischen dem erwachsenen Ich
des Patienten und der Therapeutin, die sich gemeinsam empathisch um die verletzten jüngeren
Ich-Anteile kümmern, die sich in den Symptomen und Ängsten und regressiven
Übertragungsmustern ausdrücken, in der Berechtigung dieser alten Gefühle und Ängste und
deren Bewältigungsstrategien wahrgenommen und wertgeschätzt werden müssen.
Regressive Bedürfnisse werden auf der inneren Bühne bearbeitet, die Regression soll sich
nicht in der therapeutischen Beziehung und der aktuellen Realität ausbreiten in Form einer
Ich-Regression, die das Ich schwächen und das Arbeitsbündnis gefährden würde. Die
21
therapeutische Beziehung soll möglichst frei von traumatischem Stress bleiben. Die
Bedürfnisse der jüngeren Ichs werden psychodynamisch gedeutet, dann aber auf der inneren
Bühne für Beruhigung und Befriedigung dieser Bedürfnisse gesorgt durch Ausbau der
Fähigkeiten zur Selbstberuhigung und Selbstfürsorge und der Förderung des Selbstkontaktes.
Imaginative Selbstberuhigungs- und Distanzierungstechniken sollen von den Patienten
selbständig geübt und eingesetzt werden. Hierbei wird die Fähigkeit zur Dissoziation als
Ressource genutzt. Das verletzte innere Kind beruhigen und imaginativ in die Gegenwart an
einen sicheren Ort holen zu können, oder sich imaginativ von traumaassoziierten Inhalten
distanzieren zu können, diese z.B. in einen Tresor packen zu können, sind wesentliche
Voraussetzungen dafür, sich in der späteren Traumakonfrontationsphase den traumatischen
Erinnerungen annähern und diese integrieren zu können.
Diese Phase der Traumakonfrontation ist nicht unbedingt Ziel der Therapie, auch in der
Trauma-Begegnung sollen möglichst schonende Techniken wie die imaginative
Beobachtertechnik oder die Leinwandtechnik eingesetzt werden. Die Integration der
fragmentierten Trauma-Erinnerungen scheint auch aus beobachtender Distanz, in der die
Patienten sich sicher und nicht überwältigt fühlen, zu gelingen.
In der Stabilisierungsphase kommen eine Menge kreativer imaginativer Übungen zur
Anwendung, Patienten erschaffen sich z.B. phantasiereich ihre eigenen „inneren Helfer“,
beraten sich mit ihrem „inneren Team“ oder ihrer „inneren Weisheit“.
Zentrale Berücksichtigung findet die frühe Beziehungstraumatisierung. Das vernachlässigte
oder verletzte innere Kind oder die Ego-States in verschiedenen Altersstufen werden in ihren
berechtigten Anliegen und Gefühlen gewürdigt und bekommen imaginativ, was sie damals so
sehr gebraucht hätten und noch heute brauchen, da sie wie eingefroren immer noch im
Damals feststecken. Dies entspricht der Theorie der dissoziierten neuronalen Netzwerke, die
traumatisierten Ego-States fanden keinen Anschluss an die weitere Entwicklung, werden in
ihrem ursprünglichen Leid getriggert und machen sich im Jetzt als Symptome, Ängste oder
ähnliche „Hilferufe“ bemerkbar.
Auch „Widerstände“ werden als Ressource gewürdigt. Sie sind eventuell auf Täter-Introjekte
zurückzuführen, deren ursprünglich überlebensnotwendige Schutzfunktion gewürdigt wird.
Danach wird angestrebt, sie als wertvolle Mitglieder in das innere Team zu integrieren und
auf möglichst heute angemessenere Weise ihre positive Absicht umzusetzen. Dies ist wie die
Innere-Kind-Arbeit eine Form der Ego-State-Arbeit. Bei anhaltendem „Widerstand“ ist auch
zu prüfen, ob das Arbeitsbündnis und der Auftrag stimmen.
Patienten werden jeweils als erwachsene, verantwortliche Personen wahrgenommen, deren
Einverständnis zu jedem Schritt einzuholen ist, die potentiell alle zur Heilung notwendigen
Ressourcen in sich tragen. Psychoedukative Informationen über Trauma-Verarbeitung und
Trauma-Folgen und den theoretischen Hintergrund der Arbeit bilden die Basis, um im Patient
einen gleichberechtigten Therapiepartner zu haben.
Zu achten ist stets auf äußere Sicherheit, Sicherheit in der therapeutischen Beziehung und
innere Sicherheit. Speziell bei Täter-Kontakt sind Innere-Kind-Arbeit, Täter-Introjekt-Arbeit
und Traumakonfrontation kontraindiziert. Auch negativen therapeutischen Reaktionen oder
dem Misslingen der Etablierung eines imaginativen sicheren Ortes liegt oft ein Mangel an
äußerer Sicherheit zugrunde.
Der Fokus der Arbeit liegt auf achtsamem Beobachten statt Erleben. In der
Traumabegegnungsphase werden aus dieser beobachtenden Distanz die Traumafragmente i.S.
des BASK-Modells (Verhalten, Affekt, Kognitionen, Körpersensationen) zusammengefügt
und integriert. Das Trauma kann so als ganzheitliche Gestalt erlebt und zu einer integrierten
22
Erinnerung werden. „Integrierte Erinnerungen sind Ereignisse, an die ich mich erinnern kann,
ohne von ihnen überwältigt zu werden oder Intrusionen zu bekommen“ (Sachsse).
Ein vorrangiges Prinzip ist in der PITT stets, dass der Patient die Kontrolle behält. Stress muß
vermieden werden, da Ohnmacht und Stress Trigger für traumaassoziierten Stress und damit
retraumatisierend sind.
Die Innere-Kind-Arbeit zielt auch darauf, die als unterbrochene Handlung zu verstehende
Beziehungstraumatisierung „zu einem guten Ende“ zu bringen, der empathische Kontakt zum
eigenen inneren Kind und damit zum Selbst ermöglicht, dass alter Schmerz verkraftbar und
vor allem innerer Trost möglich wird. Bezüglich des frühen Beziehungstraumas dürfte dies
essentieller und heilsamer sein als das unbedingte Ziel einer Traumakonfrontation.
Reddemann betont auch die Wichtigkeit der 3. Phase, der Phase der Integration und Trauer.
Erst nach der Phase der Traumasynthese seien Patienten im üblichen Sinne therapiefähig,
wodurch tiefere Trauerarbeit und auch konfliktzentriertes Vorgehen ermöglicht wird.
Vorgehen in der Einleitungsphase

Seien Sie freundlich und zugewandt und denken Sie daran, dass jede Therapie von
einer hilfreichen Beziehung lebt.

Fühlen Sie sich für die Beziehung verantwortlich.

Klären sie den Auftrag der Patientin / des Patienten an Sie explizit und
frühestmöglich.

Erheben Sie die Anamnese ohne Belastungen zu fokussieren oder durch Betonung
schwieriger Themen zu belasten.

Führen Sie ggf. sofort eine Distanzierungstechnik (innerer Beobachter, Bildschirm)
ein.

Fragen Sie immer auch nach Ressourcen und verstärken Sie diese.

Erklären Sie, warum Sie das tun.

Klären Sie die Lebensziele der erwachsenen Person.

Daraus ergeben sich die Therapieziele.

Stellen Sie einen Zusammenhang zwischen Auftrag / Zielen und Beschwerden
frühestmöglich her.

Regen Sie die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung an.

Regen Sie an, dass die Patientin einen „Krisenbewältigungszettel“ anlegt und
verdeutlichen Sie, dass es wichtig ist, dass sie diesen Zettel zu Rate zieht und sich
nach ihm richtet, falls sie sich unwohl fühlt.

Weisen Sie darauf hin, dass Sie nicht immer erreichbar sind, vereinbaren Sie
Telefonzeiten.

Geben Sie ressourcenorientierte Hausaufgaben (z. B. „Bitte achten Sie bis zu unserem
nächsten Termin auf alles was Ihnen gut tut und notieren sie es“).
23
Therapiestrategien aus dem Bereich kognitiver Verhaltenstherapie
Ziel der Verhaltenstherapie ist es, einen Therapieplan als eine aufeinander abgestimmte
Abfolge von kognitiven Umstrukturierungsprozessen zu entwerfen. Neben der Unterstützung
des Selbstmanagements und weiterer Bewältigungsfertigkeiten werden Verfahren des
Gegenkonditionierens eingesetzt, um Panikattacken, Ängste, aber auch Flashback-Situationen
zu meistern. Eine wesentliche Arbeit gilt der Integration des Traumaerlebens in das kognitive
Selbstkonzept mit dem Ziel, persistierendes Vermeidungsverhalten auf Dauer zu reduzieren.
Dazu
werden
verschiedene
Therapiebausteine
miteinander
kombiniert.
Die
Konfrontationstherapie besteht aus einer Reihe von Techniken, denen allen gemeinsam ist,
dass sie den Patienten helfen, sich gefürchteten Situationen stellen zu können. Bei
spezifischen phobischen Ängsten ist die Konfrontationstherapie die effektivste Intervention.
Angstbewältigungstraining und kognitive Verfahren werden sehr häufig bei chronischen
Ängsten wie der generalisierten Angststörung eingesetzt. Daher waren Konfrontationstherapie
und Angstbewältigungstherapie auch die ersten kognitiv-verhaltenstherapeutischen
Interventionen, die bei PTB Anwendung fanden. Die Konfrontationsbehandlung beinhaltet
gewöhnlich ein mehrmaliges imaginatives Wiedererleben der traumatischen Ereignisse sowie
eine wiederholte Konfrontation mit sicheren, jedoch vom Patienten vermiedenen Situationen
durch welche Erinnerungen an das Trauma ausgelöst werden. Ziel einer solchen
Konfrontation ist es, die Verarbeitung der Erinnerungen zu fördern, die bei Traumaopfern mit
chronischer PTB vermutlich beeinträchtigt ist. Die Technik der sogenannten lang
andauernden Konfrontation besteht aus ca. neun Sitzungen, die zweimal wöchentlich in
Einzeltherapie durchgeführt werden, jede Sitzung dauert 90 Minuten. In den meisten
Sitzungen erhalten die Opfer die Aufgabe, ihr traumatisches Erlebnis in der Vorstellung
erneut zu durchleben und es laut zu beschreiben „als geschehe es gerade jetzt“. Mitunter wird
die Konfrontation auch auf einer Cassette aufgenommen, damit die Patienten als Hausaufgabe
die imaginative Konfrontation üben können, indem sie sich das Band anhören. Eine weitere
Hausaufgabe besteht für die Opfer darin, sich von ihnen gefürchteten Situationen zu nähern,
die realistisch betrachtet, gefahrlos sind.
Das Angstbewältigungstraining wurde ursprünglich entwickelt, um aufkommende Angst und
innere Unruhe bei Traumaopfern bewältigen zu können. Der Schwerpunkt liegt darauf, dem
Patienten Bewältigungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen. Angstbewältigungstrainings
beinhalten verschiedene therapeutische Techniken wie Biofeedback, Entspannung und
kognitive Umstrukturierung. Von den verschiedenen Angstbewältigungstrainings hat das
Stress-Impfungstraining die größte Aufmerksamkeit gewonnen. Hauptfokus des
Stressimpfungstrainings
liegt
im
Erlernen
von
Bewältigungstechniken
wie
Tiefenentspannung, Gedankenstop, kognitive Umstrukturierung, Vorbereitung auf eine
belastende Situation, verdecktes Modelllernen und Rollenspiel. Diese Fertigkeiten werden
jeweilig erst auf ein Beispiel angewendet, das nicht mit dem Trauma in Zusammenhang steht
und erst danach auf ein mit dem Trauma zusammenhängendes Beispiel. Auch beim
Stressimpfungstraining besteht ein wichtiger Teil der Therapie im Einüben des Erlernens in
der häuslichen Umgebung. Patienten werden aufgefordert, die Bewältigungstechniken
regelmäßig Zuhause zu üben.
Die kognitive Therapie ist bei der Behandlung der PTB darauf ausgerichtet, mit dem Trauma
verbundene irrationale, unangemessene Überzeugungen, die die posttraumatischen
Reaktionen aufrecht erhalten, zu erkennen und zu modifizieren. Die kognitive
Umstrukturierung basiert z. Teil auf der kognitiven Therapie der Depression von Beck et al.
(1979). Sie konzentriert sich auf Funktionsbereiche, von denen angenommen wird, dass diese
24
durch Opfererfahrung gestört sind. Diese Bereiche umfassen Sicherheit, Vertrauen, Macht,
Achtung und Intimität.
Die Problematik der Konfrontationstherapie liegt darin, dass sich einige Patienten nur sehr
widerstrebend auf das Wiedererleben ihres Traumas einlassen wollen, auch wenn sie von der
Notwendigkeit überzeugt sind. Auch fühlen sich Therapeuten oftmals unwohl dabei, eine
Behandlungsmethode anwenden zu wollen, die bei dem Patienten intensiven emotionalen
Schmerz auslöst. Nur wenn der Therapeut davon überzeugt ist, dass kurzzeitiges Leiden
langanhaltenden Nutzen nach sich zieht und er diese Überzeugung dem Patienten glaubhaft
vermitteln kann, sollte er von dieser Technik Gebrauch machen. Ein weiterer kritischer Punkt
der kognitiven Strategien ist der geringe Zeitraum für den Aufbau von vorangehenden
Stabilisierungstechniken.
Ein gutes Anwendungsbeispiel für therapeutische Konzepte und Interventionsstrategien im
Bereich kognitiver verhaltenstherapeutischer Strategien ist das von Marsha M. Linehan
publizierte Handbuch der Therapie von Borderline-Störungen (Linehan, 1996) sowie das
Trainingsmanual zur dialektisch-behavioralen Therapie der Borderline-Störung. Linehan
versteht die umfangreichen dysfunktionalen Verhaltensmuster wie selbstschädigendes
Verhalten, Impulskontrollverluste und schwere dissoziative Phänomene als erlernte
Problembewältigungsversuche. Daher steht im Mittelpunkt ihres therapeutischen Konzeptes
fortwährend die Balance zwischen der Notwendigkeit, die Sinnhaftigkeit maladaptiver
Verhaltensmuster im intrapsychischen und interaktionellen Kontext zu akzeptieren und
gleichzeitig an deren Veränderung zu arbeiten. Die Therapiephase, in der die Bearbeitung des
posttraumatischen Stresssyndroms stattfindet, setzt zunächst eine stabile belastbare
therapeutische Beziehung voraus sowie den Rückgang suicidalen und parasuicidalen
Verhaltens, eine höhere Stressbelastbarkeit und einen Rückgang selbstschädigenden
Verhaltens (alles Ziele der ersten Therapiephase).
In der zweiten Therapiephase werden insgesamt vier verschiedene Schritte verwendet:
a) Akzeptanz der Tatsache des erlebten Traumas
b) Verminderung des Gefühls der Stigmatisierung und Selbstbeschuldigung
c) Bearbeitung bisheriger Verleugnung und der damit verbundenen Vermeidung von traumaasoziierten Situationen und
d) Behandlung des gespaltenen Denkens über die traumatische Situation, die sog.
Missbrauchsdichotomie.
Psychologische Frühintervention – Psychologisches Debriefing
Das sogenannte psychologische Debriefing hat seinen Ursprung im militärischen Bereich.
Soldaten in den beiden Weltkriegen wurden zeitnah psychologisch beraten, um ihre
Gefechtsbereitschaft zu erhalten. Gegenstand des Debriefings ist die traumatische Erfahrung.
Die Teilnehmer werden ermutigt und angeleitet über ihre persönlichen Erlebnisse und
Erfahrungen zu berichten. Das ursprünglich für Gruppen entwickelte Konzept ist auch im
Einzelsetting möglich, Debriefing ist heute eine häufig angewendete Intervention nach
kritischen und traumatischen Ereignissen. Es wird in einer Sitzung zeitnah zum Ereignis
durchgeführt, im ursprünglichen Konzept innerhalb von 24 bis 72 Stunden. Es umfasst die
Rekonstruktion der Erfahrungen auf der Fakten-, Kognitions- und Emotionsebene,
Psychoedukation über Traumafolgen und Behandlungsstrategien, die Aktivierung von
Ressourcen und Bewältigungsstrategien sowie die Sicherung der mittel- und langfristigen
Versorgung.
25
Der Debriefing-Prozess ist standardisiert und strukturiert, es werden zumeist sechs Phasen
durchlaufen:
1. Einführung, Zielsetzung und Ablauf;
2. Bericht über die Fakten: Ablauf der Ereignisse;
3. Bericht über Gedanken und Eindrücke mit Fokus auf die wichtigsten
Gedanken;
4. Bericht über Reaktionen, Gefühle und Symptome (schlimmster
Moment, peri- und posttraumatische Belastungsreaktionen);
5. Vermittlung von Informationen und Bewältigungsstrategien;
6. Abschluss der Sitzung und Möglichkeiten der Weiterversorgung.
Die am häufigsten eingesetzte Form des Debriefings ist das Critical Incident Stress Debriefing
(CISD) von Mitchell. Es wurde speziell 1983 für Einsatzkräfte der Feuerwehr und des
Rettungsdienstes entwickelt. Untersuchungsergebnisse über die Wirkung des Debriefings
fallen sehr unterschiedlich aus. Debriefings sind eine eingeführte und häufig angewandte
Frühintervention nach belastenden Ereignissen. Sie werden von verschiedenen Personen mit
unterschiedlicher psychotraumatologischer Kompetenz bei verschiedenen Notfallsituationen
und Schadenslagen zur psychologischen Erstversorgung von Traumaopfern eingesetzt.
Einzelne Komponenten des Konzepts sind unbestritten und vergleichbar mit Elementen
anderer Frühinterventionen. Das formalisierte Vorgehen mit einer zeitnahen Rekonstruktioin
der Erfahrungen und die Begrenzung auf nur eine Sitzung muss jedoch kritisch beurteilt
werden. Es besteht die Gefahr, dass bei nur einmaliger Sitzung die psychische Belastung und
vegetative Erregung eher gesteigert werden, ohne dass ausreichend Zeit für eine Löschung zur
Verfügung steht.
Determinanten psychologischer Debriefings:
 Ein Debriefing sollte nicht in der Einwirkungszeit und auch nicht
zeitnah zum Ereignis in den ersten Tagen nach dem Trauma
durchgeführt werden.
 Es ist sehr wahrscheinlich nicht geeignet für Personen mit hoher
prätraumatischer Belastung und Risikofaktoren sowie für Personen
mit dissoziativen Symptomen.
 In jedem Fall muss eine
niederschwellige weiterführende
Versorgung sichergestellt und erreichbar sein.
 Debriefings können nicht bei Typ II-Traumen eingesetzt werden.
 Wird die Indikation auf sekundär Betroffene wie z.B. Einsatzkräfte
eingeschränkt, so ist nach der Zielsetzung der Intervention zu
fragen: Wenn sie primär die Gruppenkohäsion und die
Einsatzbereitschaft fördert, ist sie nicht automatisch präventiv im
Hinblick auf posttraumatische Belastungsstörungen.
 Für die Durchführung in der Gruppe sind besondere Risiken zu
bedenken: Der Gruppendruck kann zu zusätzlichen Belastungen bei
den Teilnehmern führen, besonders stark belastete Teilnehmer
werden nicht identifiziert und/oder nicht ausreichend betreut.
Die weite Verbreitung des Debriefing beruht auf der relativ hohen Standardisierung und
macht diese Methode daher auch für Nicht-Psychologen interessant und (scheinbar) schnell
und leicht erlernbar.
26
Weitere Möglichkeiten der Traumakonfrontation und Traumabearbeitung
Die Traumabearbeitung mit EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing)
Diese manualisierte Therapie-Methode wurde Ende der 80-iger Jahre von Francine Shapiro
entwickelt und seither ausdifferenziert und in vielen Studien in ihrer Wirksamkeit belegt.
EMDR ist ein hoch wirksames therapeutisches Werkzeug, das in einen
Gesamtbehandlungsplan integriert werden muss. Der Wirkmechanismus ist noch nicht genau
geklärt, scheint aber ähnlich der Verarbeitungsfunktion des REM-Schlafes zu sein. Bilaterale
Stimulation durch Augenbewegungen, auditive oder taktile Reize könnte die blockierte
Informationsverarbeitung der als dissoziierte Traumafragmente gespeicherten impliziten
Erinnerungen wieder in Gang bringen. Mit erfolgreicher Verarbeitung wird die Erinnerung
quasi in das explizite Gedächtnis „umsortiert“, so zu einer erzählbaren und der Vergangenheit
angehörigen Erinnerung, die nicht mehr weiter belastende Symptome in der Gegenwart
auslöst. Zudem verändern sich typische posttraumatische negative Überzeugungen zum
Selbstbild („ich bin schlecht“, „ich bin selbst schuld“), diese werden im Sinne einer
kognitiven Umstrukturierung neu bewertet.
Nach Erstellen einer Trauma-Landkarte und ausgiebiger Vorbereitung analog der
Stabilisierungsphase wird ein Trauma fokussiert, indem visuelle, kognitive, emotionale
Anteile, Körpersensationen sowie die zugehörige negative Kognition geklärt und somit
getriggert werden. Durch gleichzeitige Aufmerksamkeit auf den Fokus (der ausgewählten
Traumasituation) und die bilaterale Stimulation wird der Verarbeitungsprozesse katalysiert.
EMDR scheint den Informationsverarbeitungsprozess auf hirnphysiologischer Ebene zu
beschleunigen, die unverbundenen Trauma-Netzwerke miteinander und mit RessourcenNetzwerken zu verbinden. Der Ablauf ähnelt oft psychoanalytischen Assoziationsketten.
Das sogenannte EMDR-Protokoll enthält 8 Phasen:
1.
Anamnese und Behandlungsplanung:
Erhebung der biographischen und speziell der Trauma-Anamnese
Prüfung der Eignung der Pat. für EMDR: Psychotherapiefähigkeit, Ressourcen, IchStärke, Diagnostik inkl. Tests und Gesamtbehandlungsplanung, in der EMDR nur ein
Teil darstellt.
2.
Vorbereitung der Patienten und Stabilisierungsphase:
Erklärung der Theorie von EMDR und Trauma-Verarbeitung, Ausbau von Ressourcen
mit dem Ziel der Selbststabilisierung und Distanzierung von posttraumatischen
Inhalten, Aufbau einer therapeutischen Beziehung.
3.
Bewertung des Traumas:
Hier wird der Fokus (die ausgewählte Traumatisierung) in allen Facetten erarbeitet:
Ein repräsentatives Bild der traumatischen Szene, eine noch heute gültige negative
Kognition dazu (z.B. „ich bin schuld“), die dazugehörige erwünschte positive
Zielkognition, deren Stimmigkeit auf einer Skala eingeschätzt wird, dann der Grad der
Belastung, den die traumaassoziierten Gefühle noch heute haben, und das
Körperempfinden. Mit diesen bisher getrennt gespeicherten Fragmenten ist die
Trauma-Erinnerung „getriggert“.
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4.
Desensibilisierung und Reprozessieren:
Das nun aktivierte Trauma-Netzwerk wird hier unter Einsatz bilateraler Stimulation
durchgearbeitet, bei Blockaden können unterstützende Interventionen oder Ressourcen
durch den Therapeuten „eingewebt“ werden. Die Belastung sollte auf 0 sinken, nach
komplexer Traumatisierung ist dies oft nicht erreichbar.
5.
Verankerung der positiven Kognition:
Die positive Kognition wird mit dem ursprünglichen Trauma-Netzwerk verankert und
steht in Zukunft im Vordergrund.
6.
Körpertests:
Hier werden mögliche Reste sensorischer Belastung erfasst und verarbeitet.
7.
Abschluss:
Nachbesprechung mit Erfassen der erreichten Erfolge, Hinweis auf mögliche
Nachverarbeitung in Träumen und Auftauchen neuer Erinnerungen, die „weggepackt“
werden sollen und in der nächsten Sitzung verarbeitet werden können; gegebenenfalls
kann ein Tagebuch über die auftauchenden Erinnerungen oder Gedanken geführt
werden.
8.
Nachevaluation:
In der nächsten Stunde wird der Fokus erneut überprüft, die Belastung kann weiter
abgenommen haben oder aber angestiegen sein, dann wird der Fokus weiter bearbeitet,
sonst ein neuer gewählt.
Neurolinguistisches Programmieren (NLP) in der Traumatherapie
Das neurolinguistische Programmieren entstand Anfang der 70er Jahre aus der systematischen
Beobachtung und Analyse der praktischen Arbeit herausragender Therapeuten, wie Virginia
Satir (Familientherapie), F. Perls (Gestalttherapie) und M. Erickson (Hypnotherapie). Aus
unterschiedlichen Theorien wurden grundlegende gemeinsame Strukturen und
Kommunikationsmuster entdeckt, die maßgeblich sind für effektive Kommunikation und
Veränderung und die von den Begründern Bandler und Grinder und anderen in ein lern- und
lehrbares Modell gebracht wurden. NLP als ressourcen- und zielorientiertes Modell wurde
und wird ständig weiterentwickelt und in vielfältigen Bereichen angewendet. So entstand eine
große Zahl von Techniken, die sich in empirischen Untersuchungen als effizient erwiesen
haben.
Bedeutung des NLPs für die Traumatherapie
a)
Klar strukturierte Zieldefinitionen anstelle Suche nach der Ursache sowie
Ressourcenorientierung
b) Ankern
Ankern ist eine sehr hilfreiche Möglichkeit, um den Verlauf eines Prozesses zu
unterstützen und um in erforderlichen Situationen einen ressourcevollen Zustand
herzustellen. So können z. B. die wichtigsten Imaginationsübungen zur
Vorbereitung der Traumaexposition in allen Repräsentationssystemen geankert
werden.
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c)
Repräsentationssysteme
Jeder Mensch nimmt mit Hilfe seiner Sinnesorgane äußere Gegebenheiten wahr.
Dabei bevorzugen unterschiedliche Menschen unterschiedliche Sinneskanäle und
es lässt sich zunächst herausfinden, welches Wahrnehmungssystem (visuell,
auditiv, kinästhetisch, olfaktorisch, gustatorisch) vom jeweiligen Menschen
bevorzugt wird. Bei den Imaginationsübungen kann die Benutzung der richtigen
Repräsentationssysteme für das Gelingen von großer Bedeutung sein.
d) Arbeit mit Glaubenssätzen
Glaubenssätze sind individuell herausgebildete Verallgemeinerungen über die
Beziehung zwischen Erfahrungen, die einer logischen Argumentation gegenüber
nicht offen für Veränderung sind. Sie orientieren sich an der subjektiven
individuell-selektiven Wahrnehmung von Erfahrung, ihre Bewertung und
Integration in Beziehungssysteme. Sie machen sich bemerkbar, wenn geplante
Veränderungen überraschenderweise nicht funktionieren. Dann können
einschränkende Glaubenssätze für dieses Problem verantwortlich sein. NLP bietet
verschiedene Modelle an, wie mit Glaubenssätzen erfolgreich gearbeitet werden
kann und neue Glaubenssätze entwickelt werden können.
e)
Submodalitäten
Submodalitäten bilden die Form und Qualität der Sinneswahrnehmung, so z. B.
beim visuellen Kanal die Kriterien Helligkeit, Farbe, Größe und Bewegung. Sie
nehmen Einfluss auf die gefühlsmäßige Bewertung des sinnesspezifischen
Erlebens. So verändert sich die subjektiv empfundene emotionale Qualität eines
Bildes mit der Darstellung in schwarz-weiß oder Farbe oder die eines
Musikstücks mit der Tonlage in der es gespielt wird. Auf diese Weise lassen sich
bedrohliche Bilder durch Veränderung ihrer visuellen Qualitäten in ihrer
Bedrohung deutlich abschwächen.
f)
Das Phobiemodell
Mit Hilfe eine doppelten bzw. dreifachen Dissoziation kann die Patientin sich
während einer Traumaexposition von außen betrachten, wie sie das traumatische
Ereignis mittels Traumaverarbeitungstechniken bearbeitet. Auch wird durch die
mehrfache Dissoziation während der Erinnerung an ein traumatisches Ereignis
fast immer eine genügend notwendige Distanz erreicht, um nicht von den
Affekten überflutet zu werden (siehe Screen-Technik).
g)
Time-Line Arbeit
Über die Arbeit an der persönlichen Zeitlinie lassen sich sowohl für die
Vergangenheit wie auch für die Zukunft neue Sichtweisen erarbeiten wie auch die
Bedeutung von Lebensereignissen aus einer anderen und heilsamen Perspektive
erleben.
h)
Kombination von EMDR und NLP z.B. zur Gewinnung von Ressourcen
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