AD(H)S – Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom mit und ohne Hyperaktivität 1. Grundlagen Aufmerksamkeitsdefizitstörungen zählen zu den häufigsten psychischen Auffälligkeiten des Kindes- und Jugendalters und weisen eine hohe Stabilität auf. So sind bei bis zu 30% der Betroffenen noch im Erwachsenenalter Symptome vorhanden. 2. Diagnosekriterien von AD(H)S 2. 1. Kernsymptome der Störung: Aufmerksamkeitsstörungen, d.h. vor allem vorzeitiges Abbrechen von fremdbestimmten Aufgaben, hohe Ablenkbarkeit und Nichtbeenden von Tätigkeiten Impulsivität auf kognitiver, emotionaler und motivationaler Ebene Hyperaktivität gekennzeichnet durch mangelhaft regulierte, überschießende motorische Aktivität und Ruhelosigkeit Je nach Typ stehen bestimmte Symptome im Vordergrund: Dem Diagnostischen und Statistischen Manual psychischer Störungen (DSM-IV) zufolge gibt es drei Subtypen der Störung: 1. vorwiegend hyperaktiv-impulsiv: „Zappler“ (... „Hypie“) 2. vorwiegend aufmerksamkeitsgestört: „Träumer“(...“Hypo“) 3. Mischtyp: aufmerksamkeitsgestört und hyperaktiv Alle drei Gruppen entwickeln soziale Störungen als Folge ihrer Probleme, manche Kinder zeigen zusätzlich ein oppositionelles und/oder dissoziales Verhalten. 2. 2. Beide Diagnosesysteme (ICD-10 und DSM-IV) legen übereinstimmend fest, dass die Symptome mindestens sechs Monate lang in einem mit dem Entwicklungsstand des Kindes nicht zu vereinbarenden und unangemessenen Ausmaß vorliegen, die Störungen bzw. einige beeinträchtignede Symptome bereits vor dem Alter von sieben Jahren auftreten, die Beeinträchtigung durch diese Symptome sich in zwei oder mehr Lebensbereichen (z.B. in der Schule und zu Hause) beobachtet werden können, deutliche Hinweise auf klinisch bedeutsame Beeinträchtigungen in sozialen, schulischen oder beruflichen Funktionsbereichen vorhanden sein müssen. Brigitte Hepberger AG Spezifische Lernförderung Bludenz 1 2.3. Unterscheidungskriterien, um Kinder mit einer Aufmerksamkeitsstörung von „überreizten“ oder „sozial geschädigten“ Kindern zu unterscheiden: Überreizte Kinder haben nicht: Probleme direkt nach einem Erlebnis zu erzählen Keine graphomotorischen Schwierigkeiten Keine fehlende Selbsteinschätzung 3. Neurobiologische Funktionsstörungen als Hauptursache von ADHS Als Ursache wird eine gestörte Regulationsstörung der Neurotransmitter, d.s. chemische Substanzen zur Weiterleitung von Nervenerregungen (Botenstoffe) betrachtet; diese beeinflusst die spezifische Verarbeitung äußerer und innerer Reize. In aufmerksamkeitssteuernden Zentren des Gehirns kommt es zu einem Ungleichgewicht der Botenstoffe , vor allem von Dopamin und Noradrenalin. Neurobiologische Untersuchungen lassen vermuten, dass die eingeschränkte Verfügbarkeit insbesondere des Dopamins eine neuronale „Untererregung“ verursacht, welche für die Symptomatik eine besonderer Bedeutung hat. So kann sich eine Unterstimulation des Frontalhirns (zuständig für Impulskontrolle und Exekutivfunktionen) dahingehend auswirken, dass (motorische) Handlungen unzureichend abgestimmt werden. Der gestörte Stoffwechsel der Neurotransmitter kann also verantwortlich sein für die mangelhafte Hemmung von Verhaltensimpulsen, für eine schwache Selbstkontrolle und die erschwerte Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit. 4. Mögliche Symptome von AD(H)S Betroffen sind drei zusammenhängende Bereiche der Verhaltenssteuerung: Hemmung dominanter Handlungsimpulse Gezielte Steuerung einer laufenden Handlung Fertigkeiten zur Unterdrückung interferierender Handlungstendenzen Daraus können Störungen in folgenden Bereichen resultieren: 1. 2. 3. 4. verbales und nonverbales Arbeitsgedächtnis Selbstregulation von Affekt, Motivation und Aufmerksamkeit Verinnerlichung von Sprache zur Handlungsregulation planerisches und problemlösendes Denken 4.1. Wie zeigt sich das Syndrom Aufmerksamkeitsstörung in der Schule? Allgemeine Kennzeichen: Unruhe/Hyperaktivität/Impulsivität: Kinder können schwer stillsitzen und abwarten, bis sie an der Reihe sind, rufen heraus, unterbrechen andere, machen ungezielte Bewegungen und Geräusche,... Aufmerksamkeit: Schüler sind leicht ablenkbar, hören Anweisungen nur halb, springen von einer Tätigkeit zur anderen, können Aufmerksamkeit nicht aufrecht erhalten, führen nichts zu Ende, hören nicht zu, verlieren ihre Sachen, sehen Gefahren nicht,... Brigitte Hepberger AG Spezifische Lernförderung Bludenz 2 Selbststimmulierung: Kinder nesteln herum, wippen mit dem Sessel, kratzen sich häufig, zupfen an den Haaren, bohren in der Nase, klopfen ständig, bewegen sich hektisch und unkoordiniert, fassen alles an,... Steuerungs- und Konzentrationsschwäche: sehr häufig gestörte Feinmotorik, schlechtes Schriftbild, unrhythmische Bewegungen und unkontrollierter Krafteinsatz! Störendes Sozialverhalten: Schüler handeln vorschnell und unüberlegt (bevor Anweisung vollständig gehört oder verstanden wurden), schreien dazwischen, warten nicht, bis sie an der Reihe und handeln oft unabsichtlich beleidigend oder provozierend. 5. Hilfen im Schulalltag Um AD(H)S Kindern positiv und förderlich zu begegnen, ist es nicht unbedingt notwendig, dass eine klinische Diagnose vorliegt. Für betroffene Kinder ist es von entscheidender Bedeutung, dass ihnen Verständnis entgegen gebracht wird und sie sich in der Schule angenommen fühlen. Ungünstige Rahmenbedingungen können die Symptomatik verstärken und Sekundärsymptome wie z.B. Schulangst oder Leistungsverweigerung auslösen. Es geht vor allem um zwei Ziele: 1. Die Manifestation des Störungsbildes hängt ganz wesentlich vom Umgang mit den spezifischen Problemen ab. Geduld und Humor entschärfen die Situation. 2. Das Kind soll gestützt und in seinem Lernverhalten und seinen Lernbemühungen positiv verstärkt werden. Fehlverhalten nicht persönlich nehmen! 1. Verringerung von Störungen: Klare Regeln formulieren: Eindeutige, kurze und klare Regeln festlegen, mit dem Kind besprechen und konsequent anwenden, wobei die Regeln positiv formuliert werden sollten und Konsequenzen mit der Klasse besprochen werden sollten (z.B.: nicht: Ich darf nicht herausrufen, sondern: Ich zeige auf, wenn ich etwas sagen möchte.) Zunächst Zeitfenster für das Befolgen neuer Regeln festlegen: Zeitschwerpunkte erhöhen die Konzentration für Schüler und Lehrperson auf das Lernziel (z.B.: Ich zeige in der nächsten Stunde immer auf, wenn ich was sagen will. Ich bleibe die ganze erste Stunde auf meinem Platz sitzen.) Konstante Rahmenbedingungen schaffen: Für AD(H)S Kinder ist eine frontale Sitzordnung mitunter am günstigsten, eventuell in der ersten Reihe ohne Sitznachbar. Auf der Bank sollten nur die unmittelbar nötigen Gegenstände liegen. Kein häufiges Umsetzen! Blickkontakt mit der Lehrerin ist äußerst wichtig! Platz daher so wählen, dass der Blickkontakt für nonverbale Kommunikation mit dem Kind möglich ist; evtl. Zeichen vereinbaren! Feste Rituale einführen (Morgenkreis, feste Interaktionsformen, fixe Handlungsabläufe in der Malstunde, etc.), da diese die individuelle Sicherheit fördern und vor Störungen schützen. Brigitte Hepberger AG Spezifische Lernförderung Bludenz 3 Überraschungen und freie Unterrichtsformen überfordern das AD(H)S Kind! Freiräume definieren: der gezielte Einbau von Bewegung ermöglicht dem AD(H)S Kind Entspannung (Tafel wischen, Botengänge, Hefte austeilen,...). Weiters kann mit dem Kind eine Vereinbarung darüber getroffen werden, was ggf. erlaubt ist: z.B.: Arbeiten im Stehen, ans Pult kommen, den Bleistift statt der Feder zu verwenden, evtl. ein time-out (Klasse verlassen dürfen!). Schreiben am PC erlauben bzw. fördern! Störungen einkalkulieren: Da auch im Idealfall mit Störungen gerechnet werden muss, sollte im Vorfeld überlegt werden, wie man auf welche Handlung reagiert, ohne sich zu sehr emotional zu belasten. Kleinere Störungen können ignoriert werden, um sie nicht aufzuwerten, auf größere Störungen sollte konstant und in gleichbleibender Weise reagiert werden. Wirksam sind vor allem emotionsfreie und schnelle Rückmeldungen oder vereinbarte Zeichen, da die Kinder eine eingeschränkte Selbstwahrnehmung besitzen. Maßnahmen sollten nicht herabwürdigen oder beschämen! 2. Stützende Maßnahmen: AD(H)S Kinder wollen geliebt und anerkannt werden: Es sollte versucht werden, eine positive Beziehung aufzubauen. Hier kann hilfreich sein, sich die positiven Qualitäten vor Augen zu halten und jedes kooperative Verhalten zur Kenntnis zu nehmen und zu verstärken (in dezenter Form, um die Glaubwürdigkeit zu wahren!). Im Hier und Jetzt bleiben: Nicht: „Wenn du mit den Aufgaben fertig bist, darfst du...!“ Sofortige Konsequenz sowohl im Belohnen als auch im Korrigieren von Verhalten hilft. Belohnungssysteme wie Gutpunkte möglichst häufig, idealerweise täglich „abrechnen“, da es dem aufmerksamkeitsgestörten Kind schwer fällt, auf zukünftige Ziele hin zu arbeiten. Nach Eklat Fehlverhalten nicht sofort thematisieren, sondern Erregungssenkung abwarten und zeitversetzt aufarbeiten. Am Ende des Unterrichts kann in fix vereinbarten Rückmeldezeiten ein kurzes Feedback (keine Standpauken!) zum Verhalten des Kindes gegeben werden: z.B.: „Du hast dich angestrengt, sitzen zu bleiben.“ oder „Du hast dich aktiv am Unterricht beteiligt!“ Petzen nicht zulassen! Extrembezeichnungen (immer, nie,...) und Vergleiche mit anderen Kindern vermeiden. Erfolgserlebnisse fördern: Es ist zu bedenken, dass AD(H)S Kinder meist mehr Anstrengung aufwenden müssen, um die gleichen Erfolge wie nicht betroffene Kinder zu erzielen. Hilfen zur Strukturierung und Motivation können das Lernen erleichtern: - aktive Arbeitszeiten möglichst kurz halten - komplexe Aufgaben in Einzelschritte aufgliedern, überschaubar machen und versprachlichen - Zwischenlob geben, um Versagensängste zu vermeiden - Ruhiges Arbeiten mit Bewegung kombinieren (z.B. durch Kontrollmaterial in einer Klassenecke) Brigitte Hepberger AG Spezifische Lernförderung Bludenz 4 - Brigitte Hepberger Musik kann - muss jedoch nicht - die Konzentration fördern! Strategien im Umgang mit Fehlern anbieten: z.B. mit dem Bleistift schreiben, sauberes Durchstreichen oder Überkleben zeigen usw. Signalkarten mit ausgewählten Arbeitsschritten helfen beim Arbeitsablauf bzw. bei der Hausübung. AG Spezifische Lernförderung Bludenz 5