Zusammenfassung Soziale Phobie: Definition: Übermäßige Angst oder Unbehagen vor Leistungs- oder sozialen Situationen, insbesondere davor, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen und sich peinlich oder beschämend zu verhalten Grundüberzeugungen: Negatives Selbstbild (scheu, zurückgezogen, einsam) Erwartung von Abwertung Perfektionismus Verhaltensweisen: Vermeidung Flucht Verhaltenshemmung Sicherheitsverhalten in sozialen Situationen Sozial inadäquates Verhalten (unsicher, ungeschickt) Epidemiologie: - Lebenszeitprävalenz: 13%, 1-Jahres-Prävalenz: 8% - Dritthäufigste Störung nach Depression und Alkoholabhängigkeit. - Beginn: Frühe Adoleszenz, frühes Erwachsenenalter - Geschlechtsverteilung: 60% Frauen - Verlauf: chronisch und lebenslang, im Durchschnitt 20- 25 Jahre - Folge: niedriger sozialer Status, häufig arbeitslos, ledig (man bleibt unter seinen Möglichkeiten) - Risikofaktoren: niedriges Bildungsniveau, früher Beginn, Komorbidität - Diagnostik: - Strukturierte Interviews - Verhaltenstests (Fragebogen, Physiologie, offenes Verhalten) - Erfassen von Gedanken (z.B. Gedankenlisten) F40.1 A) entweder 1 oder 2 - 1. deutliche Furcht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder sich peinlich oder erniedrigend zu verhalten - 2. deutliche Vermeidung im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen oder von Situationen, in denen Angst besteht, sich peinlich/ erniedrigend zu verhalten B) mindestens 2 Angstsymptome in der gefürchteten Situation sowie zusätzlich mindestens 1 der folgenden Symptome - Erröten oder Zittern - Angst zu erbrechen - Miktions. Oder Defäkationsdrang bzw. Angst davor C) Deutliche emotionale Belastung durch die Angstsymptome oder das Vermeidungsverhalten. Einsicht, dass die Symptome oder das Vermeidungsverhalten übertrieben oder unvernünftig sind Spezifisch versus generalisiert - 3 Wege zum Erwerb einer sozialen Phobie: - Eigene aversive Lernerfahrung (Konditionierung) - Beobachten ängstlicher Modelle (Modelllernen) - Übermittlung negativer Nachrichten/ Information (semantisches Lernen, kognitive Faktoren) Soziale Phobie: Theoretische Modelle: - Gesellschaftliche Einflüsse - Biologische Entstehungsmodelle Genetische Vulnerabilität Preparedness Theorie der Preparedness (Seligmann, 1970, 1971) Relevanz des Informationsgehalts: nicht alle (neutralen) Situationen oder Stimuli lösen phobische Ängste aus, es gibt eine Auswahl, der ein evolutionäres Prinzip zu grunde liegt. - Bereitschaft des prätechnologischen Organismus , vor biologisch relevanten Situationen sehr rasche und stabile Angst- und Vermeidungsreaktionen auszuformen, was für das Überleben der Art ausgesprochen bedeutsam ist. Psychologische Entstehungsmodelle - Verhaltenstheoretische Modelle: Klassische Konditionierungsmodelle 2-Faktoren- Modell (Mowrer): UCS → UCR CS → CR Delta S = CER (konditionierte emotionale Reaktion) R (komplexe Vermeidungsreaktion) → C minus durchgestrichen (negative Verstärkung/ Ausbleiben von erwarteter aversiver Reaktion) Entstehung durch klassische Konditionierung Aufrechterhaltung durch operante Konditionierung Lang: Angstinhalte bekommen auf Grund einer problematischen Informationsverarbeitung einen propositionalen Charakter für das Individuum. Kognitive Emotionstheorie von Lazarus: Angst entsteht, wenn die Bewertung einer Situation zur Einschätzung einer möglichen Bedrohung führt. Nicht statisch zu sehen, sondern als Interaktion, als Prozess. 1. Situations-Bewertung (primary appraisal) 2. Bewertung möglicher Reaktionen zur Bewältigung der Situation (secondary appraisal) Handlungsmöglichkeiten.. Flucht, Angriff.. 3. Neubewertung der Situation (reappraisal) Kognitives Modell nach Beck → Grundlage für DAS KOGNITIVE MODELL DER SP NACH CLARK/ WELLS (1) „Kognitive Selbstaufmerksamkeit“ (nach innen; Selbstbeobachtung und -monitoring) produziert erhöhte Selbstaufmerksamkeit/ verstärkte Wahrnehmung befürchteter Angstsymptome interferiert mit Verarbeitung der Situation und dem Verhalten anderer. (2) Interozeptive Information dient der Erstellung eines Bildes von sich selbst als soziales Objekt („processing of felt sense“) : Negative Gedanken, mentale Bilder der eigenen Person von einem Beobachterstandpunkt (3) Negativer Interpretationsbias: Angst motiviert verstärkte Suche nach Hinweisen, wie andere Menschen über sie denken. (soziale Informationen sind aber von Natur aus mehrdeutig) (4) Fehlattribution von Körperempfindungen: Kognitive Prozesse und Körperempfindungen schaukeln einander auf - Erwartung zu Schwitzen lenkt Aufmerksamkeit auf Hautfeuchtigkeit - Empfindungen verstärken bildliche Vorstellung von Schweißperlen auf Stirn - Geht mit Angst vor Blamage einher (5) Gedächtnisbias: Während der Situation sind Angstgefühle und negative Selbstwahrnehmung dominant und daher auch besonders stark enkodiert im Gedächtnis (6) Soziales Grübeln („post-event processing“): Verwegnehmende und nachfolgende Verarbeitung des sozialen Situation im Detail – dominiert von angst (7) „Sicherheitsverhalten“: idiosynkratische kognitive und Verhaltensstrategien, die darauf abzielen, die Angst in den kritischen Situationen, die nicht vermeiden werden können, zu reduzieren und negative Bewertung abzuwenden VERSUCHE… - das Auftreten befürchteter Körpersymptome zu verhindern - die befürchteten Symptome zu verstecken - negative Bewertung vorzubeugen - dass eigene Verhalten oder die eigene Wirkung auf andere zu kontrollieren (z.B. durch erhöhte Selbstaufmerksamkeit) SOZIALE SITUATION → AKTIVIERT KOGNITIVE SCHEMATA → WAHRGENOMMENE SOZIALE BEDROHUNG → VERARBEITUNG DES SELBST ALS SOZIALES OBJEKT →KÖRPERLICHE UND KOGNITIVE SYMPTOME → SICHERHEITSVERHALTEN RÜCKKOPPLUNGSPROZESSE Skill-deficit-Modell: MANGELNDE SOZIALE FÄHIGKEITEN RÜCKZUG → FERTIGKEITSDEFIZITE → NEGATIVE ERFAHRUNGEN → MISSERFOLGSERWARTUNGEN → (Teufelskreis) BEHANDLUNGSVERFAHREN: - EXPOSITION - KOGNITIVE THERAPIE - SOZIALES KOMPETENZTRAINING Spezifische Phobie Definition: Dauerhafte, unangemessene und intensive Furcht vor spezifischen Objekten oder Situationen: Tiere, Höhe, enge Räume, Flugzeuge, Blut, Verletzungen, Spritzen… Konfrontation mit Reiz bewirkt starke Angstreaktion, kann sich bis Panikanfall ausweiten Phobischer Reiz wird vermieden oder unter starker Angst ertragen Je nach Fall selten bis stark lebensbeeinträchtigend Die Person erkennt die Unangemessenheit der Angst F40.2 A 1. Deutliche Furcht vor einem bestimmten Objekt oder einer bestimmten Situation außer Agoraphobie (F 40.0) oder Sozialer Phobie (F 40.1) 2. Deutliche Vermeidung solcher Objekte und Situationen, außer Agoraphobie (F 40.0) oder Sozialer Phobie (F 40.1) C Deutlich emotionale Belastung durch die Symptome oder das Vermeidungsverhalten; Einsicht, dass diese übertrieben oder unvernünftig sind. D Die Symptome sind auf die gefürchtete Situation oder Gedanken an diese beschränkt - wenn gewünscht, können die spezifischen Phobien wie folgt unterteilt werden: B Angstsymptome in den gefürchteten Situationen mindestens einmal seit Auftreten der Störung wie in Kriterium B von F 40.0 (Agoraphobie) definiert: Tier-Typ (Insekten, Hunde) Naturgewalten-Typ (Sturm, Wasser, Feuer) Situativer Typ (Fahrstuhl, Tunnel) Andere Typen Epidemiologie: - Prävalenzrate: 6 Monate 6%; LZP: 8% - Frau : Mann >> 2.5 : 1 - Beginn: 5- 10 Jahre (schwankt sehr) ÄTIOLOGIE - 2-Faktoren-Modell von Mowrer: Kritik: Dissoziation von Furcht und Vermeidung Nur wenige Patienten erinnern sich an ein traumatisches Ereignis - 3 Wege zum Erwerb einer spezifischen Phobie: - Eigene aversive Lernerfahrung (Konditionierung) - Beobachten ängstlicher Modelle (Modelllernen) - Übermittlung neg. Nachrichten/ Information (semantisches Lernen, kognitives Lernen) - Temperamentsfaktoren Können die Dynamik von aversiven Lernerfahrungen modulieren - Neurotizismus, Introversion (Eysenck, 1967) -BEHAVIORAL INHIBITION/ VERHALTENSGEHEMMTHEIT (Kagan, 1999, Schneider 2002) vermutlich vererbte Disposition > höhere Erkrankungsrate für Angststörungen Genetik - Verwandte 1. Grades: 30% MZ: 25%, DZ: 11% Genese von Phobien: Integratives biopsychosoziales Störungsmodell (Hamm, 2004) 1. Angeborene Gefahrensignale und 2. gelernte Gefahrensignale lösen im 3. Furchtsystem 4. defensive Reaktionen aus. Im Konkreten: 1. genetische Disposition 2. kindliche Erfahrungen einer schwer zu kontrollierenden Umwelt - Aversive Lernerfahrung(en) mit dem gefürchteten Objekt (direkt oder beobachtet): Trauma oder Kindling - Positive Lernerfahrungen mit dem potentiell gefährlichen Objekt (Immunisierung bzw. Extinktion) „prallen ab“ 3. sensitiviertes subkortikales Furchtsystem 4. defensive Reaktionskaskade → Bewegungsstarre und gebannte Orientierung (dadurch Sensitivierung des Furchtsystems) → Vorbereitung zur Handlung; autonome Aktivierung; Adrenalinausschüttung → Panik und Flucht bzw. Ohnmacht Metaanalyse zur Effektivität psychologischer Therapie der spezifischen Phobie (Ruhmland & Margraf, 2001) Desensibilisierung Konfrontation Kognitive Therapie Angewandte Entspannung Kombination An-/Entspannung Angewandte Anspannung Informationsvermittlung