Innovationen – wie Organisationen neues Wissen produzieren

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Innovationen: wie Organisationen neues Wissen produzieren und etablieren
Wolfgang Scholl
In H. Hof & U. Wengenroth (Hrsg.). (2007), Innovationsforschung – Ansätze, Methoden, Grenzen und Perspektiven (S. 271-300). Münster: LIT.
Einleitung
Für die Betrachtung von Innovationsprozessen ist es entscheidend erklären zu können,
wie neues Wissen erworben werden kann. Dabei geht es nicht nur um neue technische Prinzipien und Erfindungen aus dem Bereich der Forschung und Entwicklung im Unternehmen, da
jede neue technische Lösung einen etwas anders gearteten und damit teilweise neuen Anwendungszusammenhang beinhaltet. So benötigt ein technisch neues Produkt in der Regel Veränderungen im Produktionsprozess, die nicht triviale Umstellungen sind; der Absatz des neuen
Produkts erzeugt u. U. einen veränderten Produkt-Markt-Zusammenhang, so dass Anpassungen in der Absatzorganisation notwendig werden; mit neuen Produkten sind auch häufig veränderte Zuliefer-Beziehungen verbunden, wobei Zulieferer immer häufiger auch direkt in die
Entwicklung mit eingebunden werden, so dass sich Veränderungen hin und her übertragen;
und quantitative und qualitative Personalanpassungen werden meist notwendig, sei es, weil
die Produktion verlagert wird, sei es, dass sich über die Investition in neue Maschinen eine
Rationalisierungswirkung ergibt und zugleich Weiterbildungen nötig werden; manchmal werden sogar neue Finanzierungsmodalitäten notwendig, weil der Erfolg des neuen Produkts nur
über einen massiven Finanzeinsatz zu sichern ist; das Gesamtmuster dieser Veränderungsprozesse erfordert dann auch meist organisatorische Anpassungen und Umstrukturierungen. In all
diesen Bereichen treten neue Probleme auf, für die das eingespielte Repertoire an Erkenntnissen und Erfahrungen in der Regel nicht ausreicht.
Im Verlauf eines Innovationsprozesses muss also für viele verschiedene Teilprobleme
neues Wissen erworben werden. Dabei ist dieses Wissen meist nur zum kleinen Teil völlig
neu auf der Welt, etwa wenn die Entwicklung eines neuen Produktes ein Patent einschließt
oder wenn ganz neue Maschinen entwickelt werden müssen; der größte Teil ist nicht generell
neu für die Welt und die Wirtschaft, sondern nur neu für die Organisation, aus der die Innovation kommt, und vielleicht für einige verbundene Zuliefer- und Vertriebsorganisationen; darüber hinaus wird vieles neu sein für die beteiligten Abteilungen, Gruppen und Individuen in
der Organisation. Aber auch diese Neuerungen sind zentral für das Gelingen von Innovationen, denn die Ideen, die völlig neu sind auf der Welt, haben nur dann eine Chance, sich auch
in neuen Produkten durchzusetzen und zu etablieren, wenn die anderen damit verbundenen
Prozesse der Produktion neuen Wissens erfolgreich verlaufen. Manchmal geht es auch einfach
darum, das Marktpotenzial einer Erfindung zu erkennen. Die Musikkomprimierung im MP3Standard ist ein bekanntes Beispiel: Diese ökonomisch bedeutsame Weltneuheit wurde in
Deutschland im Fraunhofer-Institut entwickelt, aber nicht von einer der vielen deutschen Firmen, die mit dem Fraunhofer-Institut zusammenarbeiten, vermarktet.
Diese Überlegungen zeigen, dass neues Wissen nicht alleine aus menschlicher Kreativität entsteht, wie man bei mancher Innovationslektüre den Eindruck hat. Eine ganze Reihe wei1
terer Prozesse, die auf verschiedenen Systemebenen ablaufen, spielen eine wichtige Rolle. So
müssen z. B. kreative Ideen mit anderen diskutiert werden; und dabei werden sie häufig nicht
nur modifiziert oder angereichert, sondern aus diesem Diskussionsprozess entstehen oft wieder neue Ideen. Des Weiteren muss eine neue Idee auch ausprobiert werden, um zu sehen,
was sie taugt; dabei passiert es oft, dass die neue Idee auch neue Probleme aufzeigt, so dass
die Idee modifiziert oder durch anderes neues Wissen abgesichert werden muss, damit es
dann auch in der Praxis funktioniert. Insgesamt machen diese Überlegungen sehr schnell deutlich, dass es eine ganze Reihe von Mechanismen neben der menschlichen Kreativität gibt, mit
denen neues Wissen produziert wird. Und aus der vorangehenden Diskussion ist auch klar,
dass für erfolgreiche Innovationen an vielen Stellen und auf vielen Ebenen neues Wissen produziert und etabliert werden muss, so dass man letztlich alle diese Ebenen der Wissensproduktion betrachten muss, um den Erfolg oder Misserfolg von Innovationen erklären zu können.
Im folgenden ersten Teil werden diese verschiedenen Mechanismen und Ebenen der
Produktion und Etablierung neuen Wissens und ihre gemeinsame evolutionäre Basis kurz
dargestellt. Im zweiten Teil wird die für alle Mechanismen geltende evolutionäre Logik weiter
vertieft. Dabei wird u. a. argumeniert, dass sich Machtausübung meist negativ auf die Wissensproduktion auswirkt, während Einflussnahme sie fördert. Da diese zwei Arten sozialer Einwirkung selten unterschieden werden, wird im dritten Teil anhand empirischer Daten belegt,
dass Machtausübung in erheblichem Maße sogenannte Informationspathologien hervorruft
und dadurch sich negativ auf den Innovationserfolg auswirkt, während Einflussnahme nicht
nur die Produktion besseren Wissens fördert, sondern – im Unterschied zu Machtausübung auch die Handlungsfähigkeit. Eine abschließende Reflexion auf den Wert des evolutionären
Mehr-Ebenen-Modells rundet den Beitrag ab.
Innovationen und die Mechanismen evolutionärer Wissensproduktion
Um also Innovationen, Neuerungsprozesse bzw. die Entstehung neuen Wissens auf diesen verschiedenen Ebenen erfassen zu können, liegt es nahe, ganz grundsätzlich zu fragen,
wie überhaupt Neues in die Welt kommt und sich dort behaupten kann. Nach Campbell
(1974) lässt sich sowohl die biologische als auch die kulturelle Evolution als eine Menge zunehmend ausdifferenzierter Mechanismen des Wissenserwerbs und der Entstehung von Neuem beschreiben. Dabei wird der Begriff des Wissenserwerbs breit gefasst, so dass jede verbesserte Anpassung eines Systems an seine Umwelt darunter fällt, weil sie entweder explizit
oder implizit Wissen über diese Umwelt beinhaltet.
„Evolution – even in its biological aspects – is a knowledge process … The naturalselection paradigm for such knowledge increments can be generalized to other epistemic
activities, such as learning, thought and science.” (Campbell, 1974, S. 413)
Jeder Wandel, der “Neues” enthält, kommt danach nicht nur durch Variation des “Alten” in die Welt, sondern auch durch Selektionsprozesse, die aus den mehr oder minder guten
Varianten das auswählen, was besser passt und besseres Wissen beinhaltet; durch Prozesse
der Retention werden diese ausgewählten Varianten dann bewahrt und ggf. weiter verbreitet.
Campbell hat eine Liste biologischer und kultureller Evolutionsmechanismen beschrieben, die
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von Scholl (2004, 2006) ergänzt wurden (vgl. Tab. 1). Ein Blick auf die Tabelle zeigt, dass
auf jeder der gesellschaftlichen Systemebenen, der individuellen, der interaktiven, der organisationalen oder betrieblichen und der gesellschaftlichen Ebene mehrere Mechanismen existieren, die Neues und damit auch neues Wissen erzeugen.
Tab. 1: Mechanismen evolutionärer Wissensproduktion
EBENE
INDIVIDUUM
MECHANISMUS
DER WISSENSPRODUKTION
LERNEN AM ERFOLG / VERSUCH
UND IRRTUM
BEOBACHTUNGSLERNEN
KREATIVES
PROBLEMLÖSEN
ABGESTIMMTES
HANDELN
INTER- REALITÄTSAKTION KONSTRUKTION
DURCH SPRACHE
LERNEN DURCH
KOMMUNIKATION
LERNEN DURCH
FÜHRUNG
ORGANISATION
ORGANISATIONALES
LERNEN
ORGANISATIONALE VERNETZUNG
KULTURELLES
LERNEN
WIRTSCHAFTLICHER
WETTBEWERB
GEPOLITISCHER
SELLSCHAFT WETTBEWERB
WISSENSCHAFTLICHER
FORTSCHRITT
GLOBALE
ENTWICKLUNG
VARIATION
SELEKTION
RETENTION
Erkundungsverhalten
Belohnung/
Bestrafung
Gewohnheit, Gewohnheitshierarchie
Gedächtnis, Notiz,
Identifikation,
Diffusion
Speicherung im
Langzeitgedächtnis,
in Notizen
Routinen,
kollektives
Know-How
Schematisierung,
Diffusion,
Reifizierung
(verteiltes) Gedächtnis, Protokoll, Veröffentlichungen
Vertrauenskredit,
Beförderung
Beobachtung
ähnlicher Anderer
Stellvertretende
Belohnung/
Bestrafung
Unübliche
Gedankliche
Assoziationen
Prüfung im
zu Problemen
Arbeitsgedächtnis
Personen handeln
Erleichterung /
nach eigenem Gut- Erschwernis
dünken
im Miteinander
Abgrenzung und
Sinn, Konsistenz,
Benennung mehrwechselseitige
deutiger Realität
Bestätigung,
Verschiedene
Beurteilung nach
Meinungen und
akzeptierten KriteBewertungen
rien und Mehrheit
Verschiedene KoVertrauen, Akzepordinations- bzw.
tanz, Bewährung,
Führungsversuche
Abhängigkeit
Verschiedene
Politische Fortüne,
Projektvorschläge
DurchsetzungsVermögen
Angebot von und
Passung, Akzeptanz,
Nachfrage nach org. Vertrauen, AbhänKernkompetenzen
gigkeit
Meinungen, Werte, Bedürfnisse, InterRechte,
essen, Bildung,
Lebensformen
Machtverteilung
Konkurrierende,
Selektive
z. T. innovative
Nachfrage, MarktAngebote
macht
Konkurrierende
Selektive AbstimIdeen / Parteien
mung, gesellschaftliche Machtbasen
Konzepte, Hypothe- Theoretische
sen, Paradigmen,
Diskussionen,
Messinstrumente
empirische Tests
Weltbilder,
Militärische & wirtGestaltungsschaftl. Macht, Kulversuche
turelle Attraktivität
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Organisatorische
Gestaltung
(Kultur / Struktur)
Org. Allianzen,
Joint Ventures,
Netzwerke
Sozialisation, Tradition, Sprache,
Schrift, Artefakte
Verbreitung
organisatorischer
Kompetenzen
Politische Struktur,
Kultur und sonstige
Tatsachen
Veröffentlichungen,
Lehre, Nachwuchsförderung, Vorträge
Globale und sektorale geschichtliche
Entwicklung
Eine ganz kurze Beschreibung der einzelnen Mechanismen mit einem Beispiel aus Innovationsprozessen soll genügen.
Das Lernen am Erfolg bzw. das Lernen durch Versuch und Irrtum ist der grundlegendste
Wissens- und Erfahrungsprozess. Beim Lernen durch Versuch und Irrtum (auch „operantes
Konditionieren“ genannt, Foppa, 1965) gibt es ein Verhalten, das von den bisher eingeübten
Verhaltensweisen abweicht. Unter diesen neuen Verhaltensweisen sind einige dabei, die keinerlei Konsequenzen haben; andere dagegen haben angenehme Konsequenzen, auch Belohnung genannt, dritte wiederum unangenehme Konsequenzen, auch Bestrafung genannt. Diese
Bewertung der Konsequenzen dient der Selektion: Was als angenehm empfunden wird, wird
wiederholt, was als unangenehm empfunden wird, wird aktiv gemieden. Auf diese Weise
werden zunehmend solche Handlungen unternommen und wiederholt, die angenehme Konsequenzen haben. Bei Innovationen sind angenehme Konsequenzen solche, die anzeigen, dass
etwas funktioniert oder dass man etwas interessantes gefunden hat. In einem von uns recherchierten Fall roch eine der vielen ausprobierten chemischen Kombinationen plötzlich verführerisch; der Entwickler hatte eine neue Möglichkeit zur Duftstoff-Synthese entdeckt, obwohl
er gar nicht danach gesucht hatte. Das mit der ausgewählten Variante verbundene „bessere
Wissen“ über die Umweltbedingungen bzw. die Anpassung an diese Umwelt wird durch bestimmte Mechanismen aufbewahrt, gespeichert und/oder weitergegeben, das ist die Retention.
Beim Lernen durch Versuch und Irrtum geschieht diese Bewahrung des Gelernten durch die
Ausbildung von Gewohnheiten, Fertigkeiten und Geschicklichkeiten. Neue Verhaltensvariationen setzen dann auf dem erreichten höheren Niveau der Belohnung an, so dass sich mit der
Zeit sehr differenzierte Anpassungen an eine komplexe Umwelt ergeben können, die viel implizites Wissen über diese Umwelt beinhalten.
Lernen durch Versuch und Irrtum ist zwar der grundlegendste Mechanismus, auf den alle höheren Mechanismen der Wissensproduktion letztlich zurückgreifen müssen, aber es ist
eben bei weitem nicht der einzige Mechanismus. Beim zweiten wichtigen individuellen Mechanismus des Wissenserwerbs, dem Beobachtungslernen, muss man die Versuche und Irrtümer nicht selber machen, sondern kann durch Beobachtung von den Versuchen und Irrtümern anderer lernen (Bandura, 1979). Das geht schneller und verringert auch das Risiko
schwerwiegender Irrtümer bzw. unangenehmer Konsequenzen deutlich. Die Selektion erfolgt
hier danach, wie die beobachteten anderen belohnt oder bestraft werden, und die Retention
geschieht durch Behalten des Beobachteten im Gedächtnis oder in Notizen; dies kann durch
Identifikation verstärkt werden, wo eine bewunderte Person oder ein besonders innovatives
Unternehmen in vielen Aspekten nachgeahmt wird. Eine besondere Rolle für den Erfolg von
Innovationen spielt die Diffusion eines neuen Produkts; hier geht es darum, dass Erstkäufer
des Produkts Nachahmer finden, so dass mehr Nutzer des Produkts als Modell zu beobachten
sind und dadurch die Diffusion am Markt sich beschleunigen kann. Aber auch in anderen Bereichen spielt die Nachahmung eine große Rolle, wie einerseits die Orientierung an „best
practices“ zeigt und andererseits das bei Innovationen immer wieder anzutreffende „not invented here (NIH)“-Syndrom, was besagt, dass „das Rad noch einmal erfunden wird“, weil
Menschen sich überschätzen und denken, sie können es besser als die anderen.
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Der dritte individuelle Mechanismus der Wissensproduktion ist das kreative Problemlösen, das im Grund zwei evolutionäre Prozesse zusammenfasst (Simonton, 1988): Kreativität
bedeutet dabei zunächst, neue, z. T. ungewöhnliche Ideen zu entwickeln. Die Variation besteht dabei in den hunderten von Assoziationen, die Menschen tagtäglich haben. Unter diesen
Assoziationen sind auch solche, die ein Aha-Erlebnis auslösen; dieses Beachten einer Assoziation ist die erste Selektion, und die Retention dieser Idee im Arbeitsgedächtnis erlaubt es
nun, mit dieser neuen Idee in ein detailliertes Problemlösen einzutreten. Manche zunächst
brauchbar erscheinende Idee wird dann wieder verworfen, d. h. die Selektion greift negativ
ein, und es müssen andere neue Assoziationen erdacht und problemlösend geprüft werden, um
irgendwann auf ein tauglich erscheinendes Ergebnis zur Lösung des Problems zu kommen.
Die selegierte Idee wird dann im Langzeitgedächtnis oder besser noch in schriftlichen Notizen
gespeichert und auf diese Weise aufbewahrt (Retention). Dass kreative Problemlöseprozesse
eine entscheidende Rolle für Innovationen spielen, dürfte eine Binsenweisheit sein. Dabei ist
es oft nicht so sehr die einzelne kreative Idee, sondern die schrittweise Entwicklung und Erprobung vieler Detailideen, aus denen herausragende Innovationen erwachsen. Dabei mag
durchaus eine Idee die entscheidende Neuerung sein, aber ohne die vielen anderen neuen
Ideen, die vielleicht auch durch Erprobung oder Beobachtung hinzukommen, müsste auch
eine noch so glänzende Idee letztlich scheitern.
Die bisher besprochenen Mechanismen der Wissensproduktion können prinzipiell von
einer Person alleine genutzt und kombiniert werden; sie sind jedoch wirkungsvoller, wenn
mehrere Personen das tun, dann zusammenarbeiten und sich über ihre Erfahrungen austauschen. Mit den nächsten drei Mechanismen werden diese Möglichkeiten der Interaktion und
Kommunikation näher betrachtet. Als erstes soll hier abgestimmtes Handeln genannt werden,
das in organisatorischen Routinen eine zentrale, aber oft übersehene Bedeutung für jegliche
Zusammenarbeit hat (Weick, 1979). Wenn Personen sich zu gemeinsamen Aktionen zusammenfinden oder eher spontan Möglichkeiten gemeinsamen Handelns entdecken, dann werden
sie zunächst weitgehend ihre bisherigen Gewohnheiten fortsetzen und nach eigenem Gutdünken handeln. Sie merken dann auch, dass manches nicht so gut passt und probieren andere
Handlungsvarianten aus. Was dann die Arbeit erleichtert im Miteinander wird behalten, was
die Arbeit erschwert, wird sukzessive aus dem Handlungsrepertoire entfernt. So entstehen
Routinen, die sich dann im kollektiven, meist impliziten Gedächtnis, das umgangssprachlich
betriebliches Know-How genannt wird, als Retention niederschlägt. Diese Zusammenarbeit
geschieht meist mit bestimmten Werkzeugen, Maschinen und Software, die in den Anpassungsprozess einbezogen werden müssten. Die so genannte „Erfahrungskurve“ in Unternehmen, die die Kostendegression durch die kumulierte Ausbringungsmenge in der Produktion
erfasst, beruht zu einem Teil auf solchen sukzessive verbesserten Abstimmungen des Handelns der Beteiligten. Bei Innovationen werden viele bisherige Prozesse geändert, neue kommen hinzu, und insofern muss abgestimmtes Handeln in vielen Bereichen neu erarbeitet werden. Fallstudien zu Innovationsprozessen zeigen immer wieder, dass chaotische Sequenzen im
Innovationsprozess relativ häufig auftreten. Nach und nach wird aber das Handeln der Beteiligten besser abgestimmt, es entstehen weniger Reibungsverluste, die Prozesse verlaufen glatter und schneller, und das ist zentral für den Innovationserfolg.
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Die bisher besprochenen Mechanismen der Wissensproduktion gibt es alle auch bei höheren Säugetieren und vor allem bei den Primaten, unseren biologisch nächsten Verwandten.
Völlig neu in der Evolutionsgeschichte und nur bei Menschen vorhanden ist dagegen die
Sprache und der damit ermöglichte Aufbau eines differenzierten Begriffssystems, das eine
sehr viel differenziertere Kommunikation als bei allen anderen Lebewesen ermöglicht. Wie
Sprache entsteht und sich nicht nur in langen historischen Perioden und unterschiedlichen
Kulturen verändert, sondern auch tagtäglich modifiziert wird, entzieht sich meist unserer bewussten Wahrnehmung. Wir lernen in der Sozialisation Sprache von anderen Menschen und
merken dabei in der Regel nicht, dass sich damit zugleich ein Prozess der Realitätskonstruktion vollzieht (Weick, 1979), weil wir denken, dass wir durch Sprache die Realität nur benennen. Tatsächlich ist die Welt von einer hochgradigen Vielfalt und Mehrdeutigkeit, so dass wir
immer nur bestimmte Realitätsaspekte überhaupt beachten und uns einen Reim darauf machen
können, und dann glauben, dass die Welt so ist, wie wir sie sprachlich konstruieren. Ab und
zu fällt uns auf, dass andere Personen Begriffe verwenden, die uns unvertraut sind, oder vertraute Begriffe anders verstehen oder bewerten. Diese Variation in der Begriffswelt ist uns
meist lästig, deshalb versuchen wir schnell, die Begriffe und Konzeptionen auszuwählen, die
für uns Sinn machen und zu unserem bisherigen Denken passen. Dieser Vorgang der Selektion wird dann abgeschlossen durch eine zunehmende Schematisierung und Reifizierung, weil
sich die Begriffe und Konzeptionen anscheinend bewährt haben. Innovationen haben sehr
häufig mit neuen Konzeptionen zu tun, die in geeignete Begriffe gepackt werden und damit
leichter Akzeptanz finden und in der jeweiligen Sprachgemeinschaft diffundieren. „Just in
time“ ist ein solches Schlagwort, das ein Kostenproblem und dessen Lösung auf den Begriff
brachte und sich daher in Windeseile verbreitete.
Sprache ermöglicht nun in sehr viel differenzierterer Weise als bei Tieren Lernen durch
Kommunikation (Scholl, 1992). Hier können die unterschiedlichen eigenen Erfahrungen aus
dem Lernen durch Versuch und Irrtum, den Beobachtungen anderer, dem kreativen Problemlösen sowie neuen Begriffen mit anderen Personen ausgetauscht und einem kollektiven Realitätstest unterzogen werden. Die Variation besteht darin, dass verschiedene Meinungen und
Bewertungen aufeinander treffen, wobei der Einzelne im Vorhinein nicht genau weiß, welche
Meinung der jeweils andere vertritt und was von der Meinung des anderen zu lernen ist. Der
Selektionsprozess kann individuell erfolgen, indem jeder für sich ein Resümee aus dem Vergleich der verschiedenen Meinungen zieht. Meist jedoch erfolgt auch die Selektion in einem
kollektiven Prozess, in dem gemeinsam akzeptierte oder erarbeitete Kriterien für die Selektion
der „richtigen“ Meinung herangezogen werden. Das Ergebnis der Selektion wird dann in
mehreren Gedächtnissen festgehalten, so dass Vergessen weniger wahrscheinlich wird. Darüber hinaus ist das Gedächtnis von Personen, die sich regelmäßig austauschen, ein verteiltes
Gedächtnis (transactive memory), d. h. man weiß auch, was die anderen wissen, so dass man
weiß, wen man fragen könnte, wenn man selbst etwas nicht so genau weiß. Nach dem grundlegendsten Wissensmechanismus, dem unverzichtbaren Lernen durch Versuch und Irrtum, ist
Lernen durch Kommunikation vermutlich der zweitwichtigste Lernmechanismus für Menschen, und es ist zugleich der expliziteste. In jedem von uns recherchierten Innovationsfall
wurde viel kommuniziert, aber doch manchmal zu wenig oder zu verzerrt, weil z. B. schlechte
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Nachrichten von unten nach oben beschönigt wurden, oder weil strategische Informationen
von oben nach unten aus Gründen des Machterhalts nicht weitergegeben wurden; oft wurden
auch Personen, die unmittelbar in ihrer Arbeit mit der Sache zu tun hatten, als „Untergebene“
nicht gehört und an Entscheidungen nicht beteiligt, was oft das Scheitern des Innovationsprozesses zur Folge hatte (mehr dazu unten). Auch aus den beobachteten Kommunikationsmängeln wird die Wichtigkeit dieses Mechanismus der Ideen – und Wissensgewinnung deutlich.
Das Gleiche gilt für die Kommunikation mit Fachleuten aus anderen Unternehmen, mit Wissenschaftlern, mit Kunden oder Lieferanten, die oft die entscheidenden ergänzenden neuen
Ideen und Erfahrungen übermitteln.
Interaktive Wissensproduktion muss nicht unbedingt in organisierter Weise erfolgen;
bei den folgenden Mechanismen geht es jedoch gerade darum, durch geeignete Organisation
die individuellen und interaktiven Wissensbemühungen zu koordinieren und auf ein gemeinsames Ziel auszurichten. Wissen, Fähigkeiten, Ideenreichtum und Erfahrung sind nicht gleich
verteilt, so dass die Wissenderen und Fähigeren die Führung, Koordination und Wegweisung
übernehmen bzw. übernehmen sollten, um den Ertrag gemeinsamer Aktivitäten zu erhöhen;
das ist Lernen durch Führung (Hollander & Julian, 1978). Dies kann von einer formalen Führungsposition aus geschehen oder auch von einer informellen, situationsbezogenen und sogar
verteilten Führung. Tatsächlich finden bei Zusammenarbeit meist von verschiedenen Seiten
Führungsversuche statt, weil mehrere Personen, die zusammenarbeiten wollen oder von jemand zusammengebracht werden, ihre Ideen für die besten halten (Variation). Sind nun Wissen und Fähigkeiten sehr ungleich verteilt, dann ist es jeweils schwer zu entscheiden, wer in
einer Situation den besten Überblick und die realistischste Vision hat, besonders von denjenigen, die selbst einen weniger guten Überblick haben. Die Akzeptanz eines Führungsversuchs,
die Selektion, kann also nicht allein von der inhaltlichen Kompetenzbeurteilung abhängen,
sondern basiert eher auf dem Vertrauen der anderen, dass es der oder die Eine am besten
weiß. Bewähren er – oder sie – sich, erwerben sie einen erhöhten Vertrauenskredit, und zukünftige Führungsversuche werden eher akzeptiert, und zwar zunehmend auch für ungewöhnliche, innovative Ideen. Ein Führer, der nicht akzeptiert wird, vermag dagegen die Koordination der Aktivitäten auf ein gemeinsames Ziel hin nicht wirkungsvoll zu bewerkstelligen,
selbst wenn er oder sie die offizielle Führungsposition einnimmt. Die Innovationsforschung
hat die große Bedeutung solche akzeptierter Führungspersonen unter dem Stichwort „Fachpromotoren“ oder „Champions“ herausgestellt. Innovationen sind vor allem dann erfolgreich,
wenn es entsprechende Fachpromotoren gibt, die ihr besonderes Wissen und ihre Fähigkeiten
konsequent einsetzen, um ein anfänglich noch wenig scharf umrissenes Ziel zu erreichen. Da
in Innovationsprojekten meist Fachleute unterschiedlicher Ausbildung und Herkunft zusammenarbeiten, gibt es immer wieder Situationen, wo nicht der Projektleiter mehr weiß als die
anderen, sondern der Fachmann oder die Fachfrau für das jeweilige Gebiet. Dementsprechend
wäre es gut, wenn sie die Führung in dieser Situation übernehmen, d. h. gerade in Innovationsprojekten ist flexibel verteilte Führung gefragt. Dementsprechend zeigte sich auch, dass es
in den gelungenen Innovationsfällen oft mehrere Fachpromotoren gab, und mit der Zahl
wuchs auch die Erfolgswahrscheinlichkeit.
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Führung ist ein altes Evolutionsprinzip, das in nicht-verbaler Form bei allen sozial lebenden Säugetierarten vorkommt. Es umfasst jedoch immer nur eine überschaubare Zahl von
Individuen, die geführt werden können. Dies gilt auch für die Führung von Menschen. Führung im größeren Maßstab wird bei Menschen zur Führung von Führern, die selbst wieder
verschiedene Einzelne führen. Im Laufe der Geschichte haben sich Organisationen evolutionär herausgebildet, mit denen Aufgaben bewältigt werden können, die die Kräfte und Möglichkeiten einer einzelnen Gruppe bei weitem übersteigen wie z. B. die Verwaltung von Städten, die Führung von Heeren oder der Bau von Pyramiden. In diesem Sinne ist Organisation
bzw. organisationales Lernen ein genuines Ergebnis kultureller Evolution, zu der es kein
Pendant im Tierreich gibt. Auch für Organisationen gilt, dass sie sich an die jeweiligen Situationen anpassen müssen. Sie stehen vor dem zentralen Problem, wie die knappen Ressourcen
am besten einzusetzen sind. Dafür gibt es in der Regel weit mehr Möglichkeiten und auch
Ideen als Mittel vorhanden sind. Dazu gehören nicht nur mehrere Innovationsprojekte, sondern auch Erneuerungs- und Erweiterungsinvestitionen, Gewinnausschüttungen, neue Auslandsniederlassungen, der Erwerb anderer Organisationen usw. Damit stehen die zentralen
Entscheider vor dem großen Problem, wie man über die Güte der verschiedenen Vorschläge
entscheiden soll, um die knappen Ressourcen auf die aussichtsreichsten Varianten zu konzentrieren. Wie sollen sie die Selektion durchführen? Die einzelnen Vorschläge kommen in der
Regel von Spezialisten und sind in Fachteams mit hohem zeitlichen Aufwand entwickelt worden; in ihnen steckt eine Menge an differenzierten Ideen und Prüfungen, die mithilfe der bisher besprochenen Mechanismen gesammelt und kombiniert wurden. Die organisationalen
Entscheider können nun unmöglich genauso viel oder noch mehr Detailwissen über all die
verschiedenen Vorschläge haben, d. h. sie können unmöglich genau beurteilen, wie wertvoll
die jeweiligen Ideen und Projektvorschläge sind, wenn sie sich an die schwierige Aufgabe der
Selektion machen. Trotzdem müssen sie entscheiden, was gefördert wird und was nicht, wofür besonders viele Ressourcen mobilisiert werden sollten und wofür weniger Ressourcen
ausreichend sind. Sie können nun einige Plausibilitätschecks durchführen und können Kriterien angeben, die für die Entscheidung gelten sollen. Allerdings werden die Verfechter der
jeweiligen Vorschläge am Ende immer behaupten, dass ihre Vorschläge den Kriterien besonders gut entsprechen. Daher werden das Auftreten der Projektverantwortlichen, ihr Ruf, ihr
Beziehungsnetz in der Organisation, die Unterstützung oder Gegnerschaft mächtiger anderer,
der Proporz, die gerade vorherrschende Managementmode oder die persönlichen Vorlieben
und Abneigungen der obersten Entscheider den Ausschlag geben. Am Ende entscheiden also
die politische Fortüne und das Durchsetzungsvermögen der Projektverantwortlichen darüber,
welches Projekt gefördert und welches eher zurückgestellt wird (Scholl, 2004). Die so getätigten Entscheidungen prägen als Retention die Organisation und beeinflussen sowohl ihre
Struktur als auch ihre Kultur; Investitionen werden getätigt, organisatorische Änderungen
vorgenommen, manche Personen gewinnen, andere verlieren an Status, und die Fairness oder
Schlitzohrigkeit des Entscheidungsprozesses prägt die Kultur. Die Erkenntnis der neueren
Organisationsforschung, dass die zentralen Entscheidungen politische Prozesse sind, die sich
nur dem Grad nach von der großen Politik im Staat unterscheiden, wird hier bestätigt. Allerdings, in beiden Bereichen der Politik gilt auch: Wenn man sich durchgesetzt hat, wird man
erst recht kritisch beäugt und muss versuchen sich zu bewähren.
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Auch wenn Organisationen große Vorteile haben, um Ressourcen für bestimmte Ziele
zusammenzufassen und zu mobilisieren, so haben sich doch gerade in den großen Organisationen die eben angesprochenen Probleme der Entscheidungsgüte immer weiter verschärft. Als
Antwort darauf beginnt sich in den letzten Jahrzehnten ein neuer Mechanismus der Wissensproduktion zu entwickeln, der interne Teilorganisationen mit externen Organisationen zu
netzwerkartigen Strukturen verbindet, die organisationale Vernetzung (Osborn & Hagedorn,
1997). Es wird nicht mehr nur gefragt, welche Teile einer Organisation für ein bestimmtes
Ziel und Vorhaben zusammenarbeiten müssen und welche Vorleistungen man von Zulieferern
bezieht, sondern es wird vielmehr gefragt, wo die besten Kompetenzen für ein Vorhaben zu
bekommen sind, weitgehend unabhängig davon, ob das in der eigenen Organisation oder in
anderen Organisationen der Fall ist. Vor allem bei der Entwicklung von Innovationen ist es
wichtig, mit besonders kompetenten Partnern zusammenzuarbeiten und gemeinsam zu entwickeln, was etwas ganz anderes ist, als eine fertige Entwicklung von einem Zulieferer zu kaufen. Zwischen Markt und Organisation entwickeln sich daher Zwischenformen wie organisatorische Allianzen, Joint Ventures und verschiedene Arten von Netzwerken. Auch innerhalb
der großen Organisationen haben sich fast überall Suborganisationen gebildet, die Sparten
oder Profit Center genannt werden und netzwerkartige Verhältnisse in einer Organisation herstellen, so dass die Unterschiede zwischen intra-organisationaler und inter-organisationaler
Vernetzung an Bedeutung verlieren. Das entscheidende Selektionskriterium ist das Vertrauen
in die Reputation der anderen organisatorischen Einheit und die Akzeptanz als passende Ergänzung zu den eigenen Kompetenzen. Sind einmal Beziehungen angebahnt und zeitigen Erfolge, dann bilden sich dauerhaftere Strukturen heraus, die die Retention beschreiben. Im Innovationsbereich ist man auf diese Tatsache besonders aufmerksam geworden durch die Vernetzung in Silicon Valley, aber dann stellte sich heraus, dass solche regionalen Netzwerke in
den verschiedensten Formen auch anderswo zu finden sind. Als Fazit ergibt sich, dass immer
mehr Innovationen in der Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Organisationen oder Organisationsteilen entstehen, weil so die besten Kompetenzen und damit das beste Wissen zusammengefügt werden kann; inzwischen wird das auch politisch gefördert.
Was eine „gute“ Innovation war, entscheidet letztendlich der ökonomische Wettbewerb.
Da er sich erst im Laufe der kulturellen Evolution ausdifferenziert hat aus dem kulturellen
Lernen, soll zunächst das kulturelle Lernen behandelt werden, das tendenziell eine ganze Gesellschaft oder zumindest entsprechende Subkulturen umfasst. Kulturelles Lernen (Giesen,
1980) besteht darin, dass nicht nur Meinungen und Werte aufeinander treffen, wie das bei der
Kommunikation der Fall ist, sondern dass es auch um Rechte, Normen und ganze Lebensformen geht. Selbst in abgeschlossenen Kulturen entwickeln sich im Laufe der Zeit Varianten zu
den bisherigen kulturellen Grundlagen, besonders wenn äußere Ereignisse wie z. B. klimatische Schwankungen die Reproduktionsbedingungen verändern. Im Laufe der Menschheitsgeschichte sind jedoch zunehmend auch Kulturen miteinander in Berührung gekommen, so dass
auch ganz unterschiedliche Meinungen, Werte und Lebensformen aufeinander gestoßen sind
und Variation erzeugt haben. Die Selektion der verschiedenen kulturellen Anschauungen erfolgt individuell vor allem nach Bedürfnissen, Interessen sowie der Offenheit der Einzelnen.
Kollektiv gesehen sind es eher die Interessen der herrschenden Elite und die Machtverteilung
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in einer Kultur, die bestimmen, was akzeptiert werden kann und was nicht. Der sichtbarste
Ausdruck dafür ist der Grundsatz der nachreformatorischen Spaltung, dass der Herrscher eines Gebietes die Religion der Einwohner bestimmt („Cuius regio eius religio“). Die Retention
der Kultur ergibt sich einerseits aus der Sozialisation der hineinwachsenden Mitglieder, aus
der Überlieferung, der spezifischen Sprache mit ihren Ausdrücken und Vorstellungen, den
schriftlichen Traditionen bis hin zu den Schulbüchern und schließlich den Artefakten wie
Münzen, Gedenkstätten oder typischen Speisen. Das kulturelle Lernen beeinflusst in vielerlei
Weise die Chancen von Innovationen: Auf Konsumentenseite sind es spezifische Vorlieben
und Bedingungen, die die Aufnahme und Diffusion von Innovationen beeinflussen. So lieben
Japaner offensichtlich elektronisches Spielzeug und kleine IT-Produkte sehr viel mehr als die
Europäer, was japanischen Herstellern einen kaufkräftigeren Heimatmarkt beschert, auf dem
dann früher eine Kostendegression und die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt erreicht
wird. Bei Arbeitnehmern sind es die mehr oder minder gute (Aus-)Bildung, aber auch die
Arbeitstugenden und die Offenheit für Neuerungen, die Innovationen fördern oder schwierig
machen können. Auf der Kapitalseite ist es die Neigung, Kapital zu erwerben und risikoreich
anzulegen; so ist privates Risikokapital in den USA viel leichter zu bekommen als in Deutschland. Auch das Rechtssystem eines Landes kann erheblichen Einfluss auf die Innovationsmöglichkeiten haben, wenn benötigte Genehmigungen schwieriger zu erreichen sind.
Aus dem kulturellen Lernen haben sich spezifische Mechanismen in wirtschaftlicher,
politischer und wissenschaftlicher Hinsicht ausdifferenziert. Für die wirtschaftliche Sphäre
hat sich aus den ersten Anfängen des Tauschhandels ein inzwischen globaler wirtschaftlicher
Wettbewerb mit einer Vielzahl von Institutionen und Praktiken entwickelt. Konkurrierende, z.
T. innovative Angebote erzeugen Variation auf den Märkten. Die selektive Nachfrage der
Konsumenten entscheidet, welche der Angebote verstärkt zum Zug kommen und welche unbeachtet bleiben oder gar zurückgewiesen werden. Individuen und vor allem Organisationen,
deren Angebote ausgewählt werden, können ihre Aktivitäten ausweiten, so dass die zugrunde
liegenden Kompetenzen weitere Angebote an den Märkten schaffen. Individuen und Organisationen mit negativer Selektion ihrer Angebote müssen entweder ihre Kompetenzen verbessern oder sie verschwinden vom Markt. Daraus folgt, dass sich vor allem diejenigen organisatorischen Kompetenzen verbreiten, die den Situationen und Bedürfnissen der Nachfrager besser angepasst sind, und in dieser besseren Anpassung steckt dann umso mehr kumuliertes
Wissen aus all den vorhergehenden Mechanismen, je schärfer der Wettbewerb ist. Daher ist
auch der ökonomische Wettbewerb als ein Mechanismus der Wissensproduktion zu begreifen,
wie es schon Schumpeter, von Hayek und andere Ökonomen (besonders Nelson & Winter,
1982) formuliert haben. Im Laufe der letzten Jahrzehnte wurde der ökonomische Wettbewerb
immer mehr ein Innovationswettbewerb, weil in immer rascherer Folge neue Produkte mit
neuen oder verbesserten Eigenschaften auf den Markt kommen, gestützt auf neue Technologien, die sich auf den gleich zu besprechenden wissenschaftlichen Fortschritt stützen.
Neben der wirtschaftlichen Sphäre hat sich auch die politische Sphäre im Laufe der kulturellen Evolution ausdifferenziert, und es wurde spezifische politische Mechanismen entwickelt, um die Probleme der entstandenen größeren Gemeinschaften besser zu lösen. Während
es im wirtschaftlichen Wettbewerb um die individuellen Bedürfnisse geht, auf die hin die
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Wettbewerbsmechanismen optimiert werden, geht es in der Politik um die einheitliche Disposition für ganze Städte, Länder und Kontinente und damit um die Nachfrage nach kollektiven
Gütern. Um einigermaßen sichere Lebensverhältnisse in bestimmten Regionen zu sichern,
haben politische Gebilde, in der Neuzeit der moderne Staat, das Gewaltmonopol beansprucht,
d. h. das Recht, bestimmte Ideen und Entscheidungen gegenüber allen notfalls mit Gewalt
durchzusetzen. Damit in die für alle verbindlichen Entscheidungen das bestmögliche Wissen
über die ganz unterschiedlichen Lebenssituationen der Betroffenen eingeht, haben sich demokratische Gebilde entwickelt, die auf politischen Wettbewerb und widerrufbare Herrschaftsübertragung setzen. Konkurrierende Ideen werden von Parteien gebündelt und sorgen für Varianten, die den wahlberechtigten Bürgern zur Abstimmung bzw. zur Selektion angeboten
werden. Das Mehrheitsvotum der Bürger führt dann dazu, dass Regierungen gebildet und von
Parteien unterstützt werden, die politische Tatsachen schaffen, die die Struktur und Kultur des
jeweiligen politischen Gebiets verändern und insofern für die Retention sorgen (Downs,
1957). Während diese Form der politisch-pluralistischen Lenkung offenbar mehr und bessere
Wissensproduktion im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereich ermöglicht
als rechte oder linke Diktaturen, funktioniert sie keineswegs so ideal, wie es sich manche Verfechter vorstellen. Ein zentraler Kritikpunkt besteht in den ungleichen sozio-ökonomischen
Chancen, die eigenen Ideen und Interessen zu organisieren und in den politischen Prozess
einzubringen (Scharpf, 1970). Allerdings wird im Laufe der Zeit, entsprechend dem evolutionären Modell, auch immer wieder mit neuen Demokratievarianten experimentiert, um bestimmte Fehlentwicklungen besser in den Griff zu bekommen. Für Innovationen ist auf jeden
Fall der politische Wettbewerb in mehrfacher Hinsicht bedeutsam. Die Politik gestaltet die
spezifischen Wettbewerbsbedingungen und das Innovationssystem eines Landes eigenständig
durch Etablierung rechtlicher und wirtschaftlicher Rahmenbedingungen, durch Bildungsinstitutionen, durch spezifische Innovationsanreize und vielerlei andere Maßnahmen.
Aus den alltäglichen Erkenntnisbemühungen, die dem kulturellen Lernen zugrunde liegen, hat sich schließlich der wissenschaftliche Fortschritt ausdifferenziert, der die Alltagsbemühungen um Erkenntnis systematisiert und schließlich in eigenen Institutionen optimiert.
Die Variation entsteht mit neuen Erkenntnisideen, die zu Konzepten und Hypothesen weiterentwickelt werden. Spezielle Messinstrumente helfen dabei, die Beobachtung der Realität zu
verbessern; auch hier gibt es meist mehrere Varianten, deren relative Eignung nicht von vornherein klar ist. Schließlich werden auch übergreifende Paradigmen in der Wissenschaft entwickelt, die den Erkenntnissen eine gewisse Kohärenz geben, die geeigneten Methode spezifizieren und von Wissenschaftlergemeinschaften akzeptiert werden. Alle diese Konzepte, Hypothesen, Messinstrumente und Paradigmen bleiben jedoch nicht singulär, sondern es entwickeln sich weitere Varianten, die unterschiedliche Beschreibungen und Erklärungen der Realität liefern. Der wissenschaftliche Klärungs- und Selektionsprozess setzt an dieser Stelle ein,
um über theoretische Diskussionen und empirische Tests möglichst zu einer Entscheidung zu
kommen, welche Erkenntnisansprüche den Realitätsbildern besser gerecht werden (Popper,
1984). Über Veröffentlichungen, Lehre, Vorträge und wissenschaftliche Gespräche werden
diese Selektionen nicht nur interpretativ abgesichert, sondern auch gespeichert und weiterverbreitet. Der wissenschaftliche Fortschritt ist für Innovationen von größter Bedeutung, denn in
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den Natur- und Ingenieurwissenschaften werden ständig neue Produkt- und Prozessverbesserungsmöglichkeiten erzeugt. In den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften wird die Praxis
durch empirische Untersuchungen evaluiert, und Verbesserungsmöglichkeiten werden nahe
gelegt. Daher ist für Innovatoren Aufmerksamkeit auf relevante wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse ebenso wichtig wie direkte Kontakte zu anderen Fachleuten im Unternehmen und zu wissenschaftlichen Einrichtungen. Wegen der großen Bedeutung wissenschaftlicher Untersuchungen findet ein beträchtlicher Teil der Forschung auch in den Unternehmen
statt, nicht nur in Universitäten und wissenschaftlichen Instituten.
Als oberster und allgemeinster Mechanismus der Wissensproduktion hat sich die globale Entwicklung etabliert, die aus all den darunter liegenden Mechanismen und Systemebenen
gespeist wird. Kulturen, Wirtschaftssysteme und politische Systeme treten mit einem Anspruch auf Allgemeingültigkeit auf der Welt mit- und gegeneinander an, unterstützt von den
jeweiligen wissenschaftlichen und weltanschaulichen Konzeptionen. Auf diese Weise entstehen nicht nur verschiedene Welt- und Menschenbilder als Varianten in der Menschheitsgeschichte, sondern auch aktive Gestaltungsversuche der jeweiligen Lebensverhältnisse. Die
Selektion dieser Weltbilder und Gestaltungsversuche ist in der Geschichte immer wieder
durch militärische Gewalt erfolgt. In neuerer Zeit spielt auch die wirtschaftliche Macht von
Systemen eine immer größere Rolle. Und schließlich haben die kulturellen Werte und Lebensformen eine unterschiedliche Attraktivität, so dass kulturelle Muster u. U. sich auch dann
durchsetzen können, wenn sie politisch-militärisch-wirtschaftlich nicht gestützt werden, wie
das z. B. bei der griechischen Kultur der Fall war, die sich trotz der Eroberung Griechenlands
durch das Römische Reich weiter verbreitete. Als Ergebnis dieser Selektionen ergibt sich die
globale geschichtliche Entwicklung in all ihren Facetten (Lenski, 1970). Natürlich ist zu fragen, ob man bei diesen globalen Entwicklungen von Lernen oder Wissensproduktion sprechen soll. Aber auch auf globaler Ebene sind Anpassungsprozesse unvermeidlich, so dass
aufgrund der begrenzten Ressourcen unseres Planeten und des Anwachsens der Menschheit
letztlich nur die Gesellschaftsentwürfe erfolgreich sein können, die diesen Gegebenheiten
Rechnung tragen. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass erstmalig in der Geschichte der
Evolution eine Art sich selbst und viele andere Lebewesen vernichtet. Andererseits sind die
sukzessive Anerkennung und allmähliche Durchsetzung der universalen Menschenrechte ein
hoffnungsvolles Zeichen für eine positive geschichtliche Entwicklung. Mit der Gründung der
Vereinen Nationen und den verschiedensten Weltkonferenzen und Weltentwicklungsberichten
wird eine sinnvolle Steuerung der globalen Entwicklung versucht (Messner & Nuscheler,
1996). In jedem Fall beeinflusst diese globale Entwicklung in immer stärkerem Maße alle
anderen Mechanismen der Wissensproduktion und damit auch die Chancen für bestimmte
Innovationen und die Barrieren für andere. So wird weiterhin die Frage sein, wie viele Ressourcen in militärische Innovationen gesteckt werden, um den globalen Wettbewerb ggf. mit
militärischen Mitteln zu führen. Andere zentrale Bereiche betreffen die Lebensmittelproduktion, die Energieversorgung, den Umweltschutz und in ganz besonderer Weise die möglichen
Transformationen kultureller, wirtschaftlicher und politischer Verhältnisse zur Sicherung erträglicher Lebensbedingungen. So ist es auch eine lohnende Aufgabe für Unternehmen, globale Probleme im Blick zu haben und sie mit lokal nutzbaren Innovationen zu beantworten.
12
Zur Logik evolutionärer Wissensproduktion
Evolutionäre Wissensproduktion ist eine Meta-Theorie; jede einzelne der in Tabelle 1
genannten und oben besprochenen Mechanismen muss in der oder den zuständigen wissenschaftlichen Disziplinen erforscht und anhand fachspezifischer Konzepte konkretisiert werden. Zu den meisten Mechanismen liegen schon solche evolutionären Entwürfe vor, siehe die
beispielhaften Literaturhinweise. Diese Metatheorie ist keine rein äußerliche Verkleidung der
einzelnen disziplinären Theorien, sondern sie hat auch spezifische prüfbare Annahmen, die
für alle einzelnen Mechanismen Geltung beanspruchen. Dies soll im Folgenden kurz dargelegt werden.
Die Prinzipien von Variation, Selektion und Retention sind nicht eine zweifelhafte
Übertragung der biologischen Evolutionslehre auf kulturelle Tatbestände; viel mehr stellen sie
eine grundsätzliche Logik für die Entstehung des Neuen dar, die auch auf die biologische
Evolution anwendbar ist, aber keineswegs nur auf diese. Variation ist aus logischen Gründen
notwendig für die Entstehung des Neuen, weil es sonst eben beim Alten bliebe. Entscheidend
ist dabei, dass die Variation nie vollkommen zielgerichtet und zielsicher sein kann, weil sich
erst im Nachhinein herausstellen kann, welche Variante sich bewährt, besser angepasst ist
bzw. besseres Wissen beinhaltet. Aus diesem Grunde werden immer mehrere Varianten gebraucht, und es bedarf spezifischer Mechanismen, um solche neuen Varianten zu erzeugen.
Wie das geschieht, ist natürlich unterschiedlich bei den einzelnen Mechanismen. Des Weiteren gehört dazu ein Prozess der Selektion unter den Varianten, der sich durch andere Mechanismen vollzieht. Mit ihm wird unter den Varianten ausgewählt und durch ihn stellt sich heraus, welche Variante überlebt, sich durchsetzt und eine bessere Anpassung an die Umwelt und
damit auch besseres Wissen aufweist. Und schließlich bedarf es auch noch des Prozesses der
Retention, wiederum durch eigene Mechanismen, die dafür sorgen, dass die selegierten Varianten aufbewahrt werden und sich weiter verbreiten können, und dies in einer Form, die
frühere evolutionäre Errungenschaften nicht zunichte macht, weil sonst deren Retention nicht
gewährleistet wäre.
Zur Logik evolutionärer Wissensproduktion gehört die Annahme einer wechselseitigen
Begrenzung von Variation und Retention (Campbell, 1974): Zu viel Variation schwächt die
Retention, weil damit auch frühere erfolgreiche Anpassungen und das darin enthaltene Wissen wieder verloren gehen würden. Andererseits schränkt zu viel Retention die Variation ein,
weil zu stark auf das Bewährte und Gewohnte gesetzt und zu wenig ausprobiert würde. Beides
führt zu suboptimalen Ergebnissen und setzt sich daher unter normalen Bedingungen, d. h.
wenn der Prozess nicht schwerwiegend gestört wird, weniger durch. Wo das jeweilige Optimum liegt und ob es bei den verschiedenen Mechanismen nicht verschieden ausgeprägt ist,
bleibt eine empirisch zu klärende Frage im Rahmen der Einzeldisziplinen. In jedem Fall sind
auch die Neuerungsmöglichkeiten bei einem einzelnen Mechanismus durch die wechselseitige
Begrenzung von Variation und Retention begrenzt und damit auch die Rate bzw. Geschwin13
digkeit der Neuerungen. Durch die Entstehung neuer, höherer Mechanismen können diese
Begrenzungen indirekt überwunden werden. Im Laufe der biologischen wie der kulturellen
Evolution sind durch Variation, Selektion und Retention übergeordnete Lern- und Anpassungsmechanismen entstanden, die selbst wieder nach den gleichen Prinzipien funktionieren.
In diesem Sinne kann die Evolution der Bewegungsmöglichkeiten, der Sinneswahrnehmung
und des kreativen Problemlösens im phylogenetischen Stammbaum ebenso rekonstruiert werden wie die Sprachentwicklung und das kommunikative Lernen beim Menschen (Campbell,
1974). Mit den letzten beiden Mechanismen wurde der Übergang zum kulturellen Lernen ermöglicht, aus dem sich dann im Laufe der Geschichte der wirtschaftliche, politische und wissenschaftliche Wettbewerb ausdifferenziert hat. Aus dem Lernen durch Führung, das prinzipiell schon bei den sozialen Tieren funktioniert, haben sich über die Stammesverbände der Jäger und Sammler hinaus in der Antike erste größere organisierte Kollektive wie Heere, Städte
usw. entwickelt, die heute in modernen Organisationen und in jüngster Zeit verstärkt in organisationalen Netzwerken eine weitere Evolution erfahren haben, die es bei Tieren nicht gibt.
Die verschiedenen kulturellen Mechanismen der Wissensproduktion, die in Tabelle 1
dargestellt sind, gehorchen einer hierarchischen Logik, die vom einzelnen Individuum, über
seine Interaktionspartner und Gruppenmitglieder, die übergeordneten Organisationen und
sozialen Netzwerke bis hin zu Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und das globale System reichen. Das jeweilige System, z. B. ein Unternehmen, das Innovationen produzieren will, ist in
seinen Entwicklungsmöglichkeiten teilweise beschränkt durch die Prinzipien, nach denen die
Teile funktionieren (upward causation); so können Organisationen nur dann funktionieren,
wenn sie der beschränkten Rationalität des Individuums Rechnung tragen, indem sie Entscheider soweit entlasten, dass diese einigermaßen sinnvolle Entscheidungen treffen können,
denn das Lern- und Wissenspotenzial jedes Individuums ist und bleibt begrenzt. Gleichzeitig
benötigt jedes soziale System institutionale Strukturen und Regeln, die sich zur Zusammenfassung und Abstimmung dieser beschränkten individuellen Erkenntnisse und Erfahrungen
eignen. Die Genehmigung durch oberste Entscheider, ein Innovationsprojekt mit genügend
Ressourcen auszustatten und zur Marktreife weiterzuentwickeln, beinhaltet eine ganze Kaskade von individuellen, interaktiven und organisationalen Erkenntnisgewinnen, die auf den
verschiedenen Ebenen bis dahin erarbeitet wurden. Andererseits sind die einzelnen Teile aber
auch in ihren Entwicklungsmöglichkeiten beschränkt durch die übergeordneten Systeme und
deren Entwicklung (downward causation), d. h. wenn in übergeordneten Systemen eine andere Richtung eingeschlagen wird, dann werden die darunter liegenden Systemebenen und die
entsprechenden Mechanismen der Wissensproduktion in spezifischer Weise eingeschränkt
oder umgelenkt. Eine Organisation, die per oberster Entscheidung einen mit viel Aufwand
von einem Innovationsteam kreativ entwickelten und sorgfältig geprüften Projektvorschlag
ablehnt, stoppt u. U. unwissentlich eine der besten Innovationen. Ob es so ist, kann man später an ähnlichen Entwicklungen der Konkurrenz ablesen oder an konspirativen Weiterentwicklungen, die dann doch zum Ziel führen (siehe Scholl, 2004, Kap. 6). Daraus folgt, dass es
für Unternehmen besonders wichtig ist, auf den untergeordneten Ebenen das Potenzial soweit
wie möglich zur Entfaltung zu bringen, damit viele gute und sehr gute Vorschläge vorgelegt
werden, so dass selbst Fehler bei der endgültigen Auswahl der Projekte keinen größeren
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Schaden anrichten, weil immer noch gute Projekte ausgewählt werden. Innovationen sind
ohne Fehlversuche, Irrtümer und unerwartete Probleme nicht denkbar; das zeigen die verschiedenen Fallstudien von Innovationsprozessen, aber es lässt sich auch aus den Grundmechanismen ableiten, denn wenn es bei allen Mechanismen auf allen Ebenen mehrere Varianten gibt, müssen fast immer welche als weniger tauglich verworfen werden; für Unternehmensinnovationen besorgt das der wirtschaftliche Wettbewerb. Angesichts des hierarchischen
Aufbaus der Mechanismen evolutionärer Wissensproduktion liegt es daher nahe, möglichst
viele individuelle und interaktive Varianten produzieren zu lassen, weil diese unter Kostengesichtspunkten noch relativ preiswert sind. Erst wenn Projekte nach einer vorläufigen Prüfung
weiterfinanziert werden sollen, wird es teuer. Noch teurer ist es aber, fertige Innovationen auf
den Markt zu bringen, die dann doch scheitern, bzw. solche Prozessinnovationen komplett
durchzuführen, die dann als Investitionsruinen abgeschrieben werden müssen. D. h. je höher
die Systemebene, umso umsichtiger sollte bei Variation und Selektion vorgegangen werden,
d. h. schrittweise Erprobungen, Pilotinstallationen, Einführungen in Teilmärkte sind anzuraten
(vgl. zur prinzipiellen Logik z. B. Popper, 1965, oder das Konzept der geplanten Evolution
von Kirsch, Esser & Gabele, 1979).
Eine weitere Eigentümlichkeit der Mechanismen evolutionärer Wissensproduktion ist
die spezifische Mischung von implizitem und explizitem Wissen bzw. von Erfahrung und Erkenntnis, die typischerweise mit den einzelnen Mechanismen verbunden ist. So ist das Lernen
durch Versuch und Irrtum im Wesentlichen implizit; es lässt sich bestenfalls nachträglich explizieren, warum etwas geklappt oder nicht. Auch das Beobachtungslernen lässt sich implizit
vollziehen; oft wird es allerdings durch kreatives Problemlösen nachbearbeitet, so dass explizite Aspekte stärker hinzukommen. Abgestimmtes Handeln ist im Wesentlichen implizit; behalten wird das, was funktioniert, Einsicht ist dazu nicht nötig und in vielen Fällen auch gar
nicht möglich. Erst durch sprachliche Benennungen ist Explizierung überhaupt möglich, die
natürlich auch die Möglichkeit des kreativen Problemlösens ganz erheblich verbessert, was
man am Vergleich von menschlichem Problemlösen mit den entsprechenden Bemühungen
von Primaten sehr gut sehen kann. Lernen durch Kommunikation ist überwiegend explizit;
dasselbe gilt für den wissenschaftlichen Fortschritt, der in gewisser Weise ein institutionalisiertes Lernen durch Kommunikation darstellt. Demgegenüber enthält das Lernen durch Führung schon wieder mehr implizite Aspekte, weil man den Leuten folgt, denen man „aus dem
Bauch heraus“ Vertrauen schenkt. Noch stärker gilt dies für organisationales Lernen, wo die
einzelnen Beteiligten nicht in der Lage sind, alle wesentlichen Argumente für und gegen die
verschiedenen Projektvorschläge zu erfassen, zu durchdenken und abzuwägen. Daher sind es
eher die organisationalen Prozesse des Bedeutungsmanagements und der Durchsetzung, die
über die Projektgenehmigung entscheiden. Auch bei der organisationalen Vernetzung ist es
die Reputation des einen und das Vertrauen des anderen, die über die Bereitschaft zur Zusammenarbeit entscheiden. Ähnlich gilt für die gesellschaftlichen Mechanismen des wirtschaftlichen und politischen Wettbewerbs sowie des kulturellen Lernens, und natürlich erst
recht für die globale Entwicklung, dass die Beteiligten nur Bruchstücke der ablaufenden Vorgänge verstehen und explizit benennen und erklären können. Insgesamt zeigt sich bei einem
15
Überblick über die Mechanismen evolutionärer Wissensproduktion, dass implizites Wissens
eine größere Rolle spielt als explizites Wissen.
Besonders interessant ist eine weitere Hypothese, die sich aus der Metatheorie herleiten
lässt und für alle aufgeführten Mechanismen Geltung beansprucht: Machtausübung (restrictive control), definiert als intendierte Einwirkung auf andere gegen deren Interessen, behindert
den Wissenszuwachs, weil die Variation dann eingeschränkt, die Selektion verzerrt und die
Retention manchmal auch noch behindert wird. Einflussnahme (promotive control), definiert
als intendierte Einwirkung auf andere im Einklang mit deren Interessen, fördert den Wissenszuwachs, weil das mehr Variation anregt, die Selektion abgewogener macht und die Retention
nicht behindert (Buschmeier, 1995; Scholl, 1992, 1999, 2004). Machtausübung erfolgt vorwiegend durch restriktivere Maßnahmen wie Zwang, Drohung, Positionsmacht oder vollendete Tatsachen; Einflussnahme findet dagegen nicht restriktiv oder sogar fördernd über Belohnung, Information, Expertise oder Charisma statt. Dass dieser Unterschied von Machtausübung und Einflussnahme sich auf alle Mechanismen anwenden lässt, muss natürlich für jeden einzelnen Mechanismus in den entsprechenden Fachdisziplinen nachgewiesen werden.
Einige kurze Beispiele sollen die These jedoch anschaulich und plausibel machen:
 Das Lernen durch Versuch und Irrtum wird u. a. behindert durch restriktive Arbeitsbedingungen oder die Verselbstständigung von Regulierungen in Bürokratien, die den Handlungsspielraum zu sehr einengen.
 Beim Beobachtungslernen spielt vor allem verbale Bestrafung, das Lächerlichmachen,
eine hinderliche Rolle: „Die Japaner machen ja alles nur nach“, hieß es in den 60er Jahren.
 Beim kreativen Problemlösen sind Offenheit und Unvoreingenommenheit zentral, wie das
beim Brainstorming als Regel gilt. Wenn jedoch neue Ideen schnell abgeschmettert oder
abgewertet werden, dann führt das zur Einschränkung des kreativen Problemlösens, was
am Ende sogar bis zur Selbstzensur reichen kann, weil es ja doch keinen Zweck hat.
 Abgestimmtes Handeln lässt sich generell bei kooperativer Einstellung der Beteiligten gut
erreichen und ist damit ein schönes Beispiel für wechselseitige Einflussnahme. Wird jedoch Konkurrenz geschürt, dann gibt es mehr Behinderung statt Entgegenkommen, was
die Handlungsabstimmung erheblich erschwert oder gar unmöglich macht.
 Machtausübung führt zur Verarmung der Sprache und des Denkens, weil man über bestimmte Dinge nicht mehr reden darf.
 Beim Lernen durch Kommunikation ist es vor allem der Konformitätsdruck, der die freie
Diskussion von Standpunkten einschränkt, sowie die Verweigerung von Partizipationsmöglichkeiten, wodurch das Ideen- und Wissenspotenzial der Beteiligten weniger oder gar
nicht genutzt wird.
 Beim Lernen durch Führung ist es ein direktiver oder gar autoritärer Führungsstil, durch
den Variation und Selektion der besten Ideen und Kenntnisse verhindert werden.
 Beim organisationalen Lernen ist es eine Dominanz von politischen Ränkespielen und
Manipulationen anstelle von offenen Diskussionen und transparent geregelten Prozessen,
die die Breite des in den Projektvorschlägen steckenden Wissens willkürlich einschränken
und die Selektion verzerren.
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





Auch in organisationalen Netzwerken gibt es z. T. deutliche Machtausübung, vor allem
wenn eine Organisation die Innovationsarchitektur kontrolliert und alle anderen zur Anpassung zwingt.
Beim wirtschaftlichen Wettbewerb sind es Monopole, Kartelle und Preisabsprachen, die
den Wettbewerb beeinträchtigen und für die Konsumenten weniger gute Varianten zur Selektion bereithalten; manchmal wird die Selektion auch direkt durch Korruption manipuliert.
Beim kulturellen Lernen sind es besonders fundamentalistische Ideologien, die sich mit
politischer Macht paaren und die freie Entwicklung unterbinden.
Beim politischen Wettbewerb sind es autoritäre und diktatorische Regime mit ihren vielfältigen Freiheitseinschränkungen, die keine oder nur wenige alternative Ideen und Parteien zulassen und die Selektion diktieren oder manipulieren zum Schaden der Bürger und
der Entwicklung des Landes.
Der wissenschaftliche Fortschritt wird beeinträchtigt durch religiöse Vorbehalte und diktatorische Eingriffe, in weniger auffälliger Form auch durch den Anpassungsdruck potenzieller Geldgeber.
Bei der globalen Entwicklung ist es chauvinistische Weltpolitik, die mit wirtschaftlichen
und militärischen Mitteln durchgeführt die Welt davon abhält, bessere Formen und damit
besseres Wissen zur Lösung der globalen Probleme zu entwickeln und auszuprobieren.
Diese Beispiele, die die Beeinträchtigung der Wissensproduktion durch Machtausübung
aufzeigen, müssten nun für jede Ebene detaillierter untersucht werden. Wir haben das in unserer Innovationsforschung für das Lernen durch Kommunikation, das Lernen durch Führung
und das organisationale Lernen aufgezeigt (Scholl, 2004). Zwei dieser Untersuchungsansätze
sollen zur Verdeutlichung im Folgenden kurz berichtet werden.
Einflussnahme und Machtausübung bei Innovationen
In Scholl (2004) werden die Ergebnisse von 42 Fallstudien zu Innovationsprozessen berichtet, von denen 20 erfolgreich und 20 Fehlschläge waren, bei zweien konnte über Erfolg
oder Misserfolg nicht abschließend entschieden werden. Wichtig für die folgenden Ausführungen ist, dass in den 16 Unternehmen jeweils ein bis zwei erfolgreiche und ein bis zwei
nicht erfolgreiche Innovationsprozesse recherchiert wurden, so dass die generelle Unternehmenskultur oder die Wettbewerbssituation oder die Branchenkonjunktur keine Rolle für den
Unterschied zwischen den gelungenen und misslungenen Innovationen spielen können, sondern die Prozesse selbst entscheidend waren. Den Bereich des kommunikativen Lernens haben wir über so genannte Informationspathologien untersucht, das sind vermeidbare Fehler
bei der Gewinnung, Verarbeitung und Anwendung entscheidungsrelevanter Informationen.
Aus den Fallstudien haben wir solche Informationspathologien qualitativ extrahiert und zunächst einmal geschaut, inwieweit bei misslungenen Innovationen mehr Informationspathologien vorgekommen sind als bei gelungenen Innovationen. Das war tatsächlich der Fall; bei
gelungenen Innovationen fanden wir im Schnitt 2,2 Informationspathologien, bei misslungenen dagegen 4,8, was ein gravierender Unterschied ist. Wenn sich dann noch verschiedene
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Informationspathologien verfestigen, vor allem weil aufkommende Konflikte nicht zur Sprache kommen oder unangemessen gehandhabt werden, dann ist ein Scheitern der entsprechenden Innovationen nahezu sicher.
Des Weiteren haben wir die Informationspathologien nach ihren erkennbaren Ursachen
kategorisiert. Neben den eher individuellen Ursachen des mangelnden Problembewusstseins,
des Wunschdenkens und unangemessener Vorstellungen von Wissen gab es zwei Bereiche, in
denen Interaktionsprobleme auftraten und zu mangelndem Lernen durch Kommunikation
führten. Das waren zum einen Verständigungsprobleme, die durch persönliche Antipathie,
Ressortegoismen, die Trennung von Informationsverarbeitung und Entscheidung oder zu lange Informationswege ausgelöst wurden. Die häufigste Ursache von Informationspathologien
waren jedoch verschiedene Formen der Machtausübung. Dazu gehören das Zurückhalten von
Informationen, die Behinderung der Informationsgewinnung, mangelnde Partizipation, die
Beschönigung schlechter Nachrichten nach oben, weil man Sanktionen der Vorgesetzten
fürchtet, die Zielverschleierung nach unten, die Manipulation von Informationen, Konformitätsdruck auf andere oder das Ignorieren ihrer Meinungen. In der folgenden Abbildung 1 sind
die verschiedenen Ursachen von Informationspathologien aufgeführt, und es ist jeweils unterschieden, wie viele bei gelungenen und bei misslungenen Innovationen vorkamen (die Details
zu den jeweiligen Informationspathologien finden sich in Scholl, 2004, Kap. 2).
Anzahl an
Informationspathologien 35
bei gelungenen
Innovationen
bei misslungenen
Innovationen
30
25
20
15
10
5
0
MP
VP
WD
M
UVW
Abb.1: Ursachen von Informationspathologien
(MP=Mangelndes Problembewusstsein, WD=Wunschdenken, VP= Verständigungsprobleme, M=Machtausübung, UVW=Unangemessene Vorstellungen von "Wissen")
Wie Entscheidungsprozesse in Unternehmen ablaufen und inwieweit damit ge- oder
misslungene Wissensproduktion in Form von Innovationen verbunden ist, haben wir ebenfalls
qualitativ und quantitativ erforscht (Scholl, 2004, Kap. 7). Die beiden Analysen lassen sich
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verbinden und in dem folgenden Ursachenmodell zusammenfassen, siehe Abbildung 2. Bei
der Untersuchung organisatorischer Entscheidungsprozesse zu Innovationen haben wir auf
Fragebogenmessungen zurückgegriffen, die im Schnitt bei vier Beteiligten des jeweiligen Innovationsprozesses erhoben wurden. Die Effektivität wurde hier nicht nur dichotom gemessen
als ge- oder misslungene Innovation, sondern quantitativ abgestuft über eine Reihe von Fragen zum wirtschaftlichen Ergebnis, zu den gesammelten Erfahrungen, der endgültigen Problemlösung und auch der Veränderung gegenüber den vorherigen Erwartungen. Für den Zuwachs an Wissen haben wir wiederum Informationspathologien gemessen, diesmal allerdings
mit abgestuften Fragen zu typischen Phänomenen, die zu einem Gesamtindex zusammengefasst wurden. Dabei ging es z. B. um Kommunikationsmängel, d. h. ob Informationen zu spät,
gar nicht, verzerrt, unvollständig oder nur über Umwege erhalten wurden; oder es wurde danach gefragt, wie schwierig es war, abweichende Meinungen zu äußern gegenüber den Kollegen, den Vorgesetzten, den Mitarbeitern oder Personen aus anderen Abteilungen. Dieser Index wurde umgepolt, so dass er positiv den Wissenszuwachs misst. Als weitere Erklärungsgröße für die Effektivität von Innovationen und als vermittelnde Variable zwischen Machtausübung bzw. Einflussnahme und der Effektivität wurde die so genannte Handlungsfähigkeit
hinzugenommen, die zum Ausdruck bringt, ob man in der Lage war, Probleme voranzutreiben, dazu Entscheidungen zu fällen und diese Entscheidungen dann auch sinngemäß umzusetzen. Machtausübung und Einflussnahme wurden gemessen als Stile der Konflikthandhabung. Die generelle Frage lautete: „Bei Meinungsverschiedenheiten war die Diskussion oder
Entscheidung geprägt von ... Machtworten der Vorgesetzten bzw. … Druck von ‚oben’“; dies
war die Messung für Machtausübung. Einflussnahme wurde mit derselben Einleitung gemessen: „Bei Meinungsverschiedenheiten war die Diskussion oder Entscheidung geprägt von …
gegenseitiger Annäherung, … Beachtung aller Meinungen, … kontroverser, intensiver Diskussion, und … Harmonisierung der Gegensätze.“ Diesen Fragen zur Einflussnahme ist es
gemeinsam, dass jeweils auch die Interessen der anderen Seite berücksichtigt werden, wie
dies für Einflussnahme definitorisch festgelegt ist.
Wie Abbildung 2 zeigt, sind Wissenszuwachs und Handlungsfähigkeit etwa gleich starke Determinanten der Effektivität bzw. des Innovationserfolges. Wissensproduktion ist notwendig, aber sie alleine genügt nicht, wie es so schön im Schlagwort „Paralyse durch Analyse“ zum Ausdruck kommt. Beide, die Produktion neuen Wissens und das Vorantreiben der
Prozesse, müssen in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Einflussnahme und Machtausübung spielen die erwartete Rolle für den Wissenszuwachs: Einflussnahme wirkt sich positiv
aus, während Machtausübung den Wissenszuwachs behindert bzw. für mehr Informationspathologien sorgt. Etwas überraschend gegenüber gängigen Annahmen sind die Auswirkungen
auf die Handlungsfähigkeit. Einflussnahme wirkt sich sehr positiv auf die Handlungsfähigkeit
aus, weil die Probleme weitgehend ausdiskutiert sind, keine Ressentiments entstehen und man
gemeinsam an einem Strang zieht. Machtausübung wirkt sich dagegen nicht positiv auf die
Handlungsfähigkeit aus, obwohl dies sehr häufig zur Rechtfertigung von Machtausübung herangezogen wird. Zusätzliche Feinanalysen haben gezeigt, dass Machtausübung nur in den
seltenen Fällen eine positive Rolle für die Handlungsfähigkeit spielt, wenn diese total gefährdet ist, wenn sozusagen gar nichts mehr vorangeht. Sobald aber eine gewisse Handlungsfä19
higkeit existiert, wird Machtausübung eher schaden, weil sie Gräben aufreißt und Reaktanz in
Form von offenem oder passivem Widerstand erzeugt. Mit Machtausübung lässt sich nach
dieser und nach anderen, früheren Analysen keine hohe Handlungsfähigkeit erzeugen, dazu ist
wechselseitige Einflussnahme nötig.
Innovationserfolg
(Effektivität)
+.31
+.34
Wissenszuwachs
+.28
Handlungsfähigkeit
+.47
-.33
Interessenberücksichtigung
Machteinsatz
-.33
Legende
Kausaleffekt mit Pfadkoeffizient
Korrelation
Abb. 2: Kausalmodell zur Erklärung des Innovationserfolgs (n = 36 Innovationsfälle)
Insgesamt hat sich also die Grundannahme aus der Metatheorie der evolutionären Wissensproduktion bestätigt, dass Machtausübung die Wissensproduktion beeinträchtigt, während
Einflussnahme sie fördert. Es wäre daher lohnenswert, auch systematische Untersuchungen
zum Thema Machtausübung und Einflussnahme bei den anderen Mechanismen der Wissensproduktion durchzuführen, und dabei insgesamt noch genauer zu bestimmen, inwieweit die
Variation durch Machtausübung eingeschränkt, die Selektion zugunsten eigener Vorstellungen verzerrt und/oder die Retention unerwünschter Ergebnisse beeinträchtigt wird.
Zusammenfassung und Ausblick
Mit dem vorgelegten Modell evolutionärer Wissensproduktion wird ein umfassender
Blick auf Innovationen möglich. In der Innovationsliteratur wird in der Regel immer nur ein
einzelner Mechanismus diskutiert und empirisch untersucht. Besonders häufig geschieht das
für den wirtschaftlichen Wettbewerb, wo Nelson & Winter (1982) ein evolutionäres Standardmodell etabliert haben, das die ökonomische Diskussion bis heute bestimmt. Das Lernen
durch Führung wird in der Literatur zu Promotoren oder „Champions“ sehr breit betrachtet,
hier allerdings nicht als evolutionäres Modell der Wissensproduktion. Schließlich ist noch
häufig das kreative Problemlösen untersucht worden, und auch hier wurde ein evolutionäres
Modell dieses Prozesses entwickelt (Staw, 1990). Vielleicht besonders erwähnenswert ist
auch noch der makro-soziologische Entwurf von Gerhard Lenski (1970), in dem ein evolutio20
näres Modell der globalen geschichtlichen Entwicklung ausführlich dargestellt und belegt
wurde. An diesen Beispielen wird deutlich, dass es sich bei dem evolutionären Modell der
Wissensproduktion bzw. der Anpassung von Systemen an ihre Umwelt keineswegs nur um
eine abstrakte Metaphorik handelt, sondern dass dieses Modell von einzelnen Fachdisziplinen
für einzelne Prozesse dieses Gesamtmodells als sehr nützlich betrachtet wird. Insofern ist der
hier vorgelegte Gesamtentwurf eines Modells evolutionärer Wissensproduktion, der von der
individuellen über die interaktive und die organisationale bis hin zur gesellschaftlichen Ebene
reicht und dabei jeweils verschiedene Mechanismen beschreibt, als ein Diskussions- und Forschungsangebot für die Beschreibung und Erklärung von Innovationsprozessen in Wirtschaft
und Gesellschaft zu sehen.
Des Weiteren sollte aufgezeigt werden, dass die Metatheorie mit allgemeinen Hypothesen verbunden ist, die sich an den einzelnen Mechanismen auf den verschiedenen Systemebenen untersuchen lassen. Ein zentraler Faktor für das Gelingen oder Misslingen von Innovationen ist dabei die Wahl der Art der Einwirkung auf andere Menschen. Wird Macht ausgeübt
unter Missachtung und Verletzung ihrer Interessen, dann schadet dies nicht nur den Betroffenen, sondern auch der Produktion von neuem Wissen. Machtausübung beschränkt in der Regel die Variation, verzerrt die Selektion und behindert die Retention, sofern die entsprechenden Ideen vom Machthaber nicht gewünscht sind. An zwei Mechanismen, dem Lernen durch
Kommunikation und dem organisationalen Lernen, wurde empirisch gezeigt, dass diese These
sich bewährt und dass Einflussnahme anstelle von Machtausübung die bessere Alternative ist.
Diese Forschungslinie soll in unserem neuen, von der VolkwagenStifung geförderten
Projekt fortgesetzt werden. Da Machtausübung vor allem dann auftritt, wenn Konflikte befürchtet werden oder schon aufgetreten sind, sollen Konflikte und die Art ihrer Handhabung
als Machtausübung oder Einflussnahme bei Innovationsprozessen näher untersucht werden.
Dabei sollen Konflikte nicht nur detaillierter untersucht werden als bisher, sondern es sollen
neben unternehmerischen Innovationen auch wissenschaftliche Neuerungen vergleichend untersucht werden und dies in zwei Ländern mit unterschiedlichen nationalen Innovationssystemen, nämlich in Deutschland und Frankreich. Wir erwarten, dass das Modell der evolutionären Wissensproduktion sowie die Unterscheidung von Machtausübung und Einflussnahme
weiterhin ein guter Wegweiser für unsere Forschungen sind.
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