Wolfgang Gebhardt Kosmische Expansion. 0. Einleitung. Die (physikalische) Kosmologie, die wir hier behandeln wollen, ist ein Teilgebiet der modernen Astrophysik. Die Astrophysik wiederum unterscheidet sich insoweit von der Physik, wie wir sie aus unserem Curriculum kennen, dass sie es mit „natürlichen Systemen“ zu tun hat, die wir nicht manipulieren können. Auch können wir nicht den „reinen Fall“ im Labor erzeugen, um den von Nebeneffekten befreiten Lehrbuch-Effekt zu demonstrieren. Stattdessen beobachten wir astronomische Objekte abhängig von ihrer Umgebung, in welche sie eingebettet sind und auch abhängig von ihrer Vorgeschichte. Die Objekte sind i. a. veränderlich, zeitabhängig d.h. sie haben eine Geschichte, ähnlich den Lebewesen in den biologischen Wissenschaften. In der Kosmologie kommt zur allgemeinen Zeitabhängigkeit kosmischer Objekte noch etwas anderes hinzu. Während Laborsysteme endlich, und begrenzt sind, gilt das nicht für den Kosmos. Der Kosmos ist so gut wie unendlich ausgedehnt. Wir erkennen allerdings nur einen Ausschnitt und glauben aus dieser Kenntnis auf den Kosmos als Ganzes schließen zu können, ein Schritt, der nur mit Hilfe von Einsteins „allgemeiner Relativitätstheorie“ widerspruchsfrei möglich ist. Es sind vor allem zwei Hauptthemen die heute den Astrophysiker in der Kosmologie interessieren. Das ist einerseits die Geschichte des frühen Kosmos, der heiße Anfang, also der sogenannte Urknall, der auch für die Teilchen- und Kernphysik von großem Interesse ist. Andererseits interessiert es, wie aus dem homogenen heißen Plasma des Beginns die vielfältigen Strukturen entstanden sind, die wir heute beobachten. 1. Zur Geschichte der Galaxienforschung. Im Anfang des 20. Jahrhunderts war die allgemeine Ansicht, dass es sich bei den so genannten „Spiralnebeln“ um Welteninseln handelte, noch heftig umstritten. Unter den Astronomen war die Partei derer, die sie für ein lokales Phänomen innerhalb der Milchstrasse hielten ebenso groß, wie die der Befürworter der extragalaktischen „Welteninseln“. Die Argumente wurden noch einmal am 26.04.1920 vor der American Academy of Science im „Smithonian Museum“ in Washington D.C. von einem Vertreter des Lick-Observatoriums, H.D. Curtis (Spiralnebel sind extragalaktisch), und einem Vertreter des Mt. WilsonObservatoriums, H. Shapley (Spiralnebel sind intragalaktisch), vorgetragen und unter den anwesenden Astronomen heftig diskutiert, ohne dass eine Einigung auf Grund der vorliegenden Beobachtungen erzielt werden konnte. Dieser Disput ist als „The Great Debate“ in die Wissenschaftsgeschichte eingegangen. Curtis vertrat dabei den modernen Standpunkt, basierend auf astrophysikalischen Argumenten, welche aber damals noch nicht ausreichend durch Beobachtungen abgesichert waren, Shapley die Gegenposition. Erst 1923 gelang es dem jungen Astronomen E. Hubble (1889 – 1953), die Randgebiete des Andromedanebels M 31 auf Platten in Sterne aufzulösen, was ihm auch bei anderen nahen Galaxien gelang. Hubble hatte als „Postdoc“ das große Glück, am 100-Zoll-Reflektor des Mt. Wilson 1 Observatoriums arbeiten zu können, dem damals größten und lichtstärksten Instrument der Welt 1). Fig. 1. a) Lichtkurve (beobachtete Helligkeit) eines Cepheiden-Veränderlichen Fig. 1. b) Die absolute Helligkeit M υ aufgetragen gegen den Logarithmus der Periode P (in Tagen) nach Sandage und Tammann, ApJ 151, 531, 1968. Wie man sieht, liegen die Cepheiden von verschiedenen Gegenden des Himmels auf verschiedenen Geraden. Heute kann man diesen Effekt, den Hubble noch nicht kannte, der chemischen Zusammensetzung der Atmosphäre der Cepheiden zuordnen. 2 Mit dieser epochalen Entdeckung Hubbles war klar: die Spiralnebel sind Welteninseln; heute würden wir „extragalaktische Systeme“ sagen. Das nächste Problem Hubbles war weniger leicht zu lösen: die Entfernungsbestimmung von Galaxien. Sie ist bis heute ein schwieriges Problem geblieben. Aber unter den hellen Sternen, die Hubble in den nahen Galaxien beobachtete, gibt es eine bestimmte Klasse von Veränderlichen, die sogenannten Cepheiden, Sterne deren Helligkeit sich periodisch ändert (s. Fig. 1). Ihre absolute Helligkeit M (d.h. die Helligkeit, welche sie in einem Norm-Abstand von 10 pc hätten) wächst mit der Dauer ihrer Periode P. Die Entfernung von 1 parsec (pc) = 3,086 ·1016 m. (Physikalisch ist M υ bis auf eine Konstante der Logarithmus der Strahlungsleistung in Watt). Der Zusammenhang M(P) wurde 1912 von Henriette Swann Leavitt (1868 – 1921) am Harvard-College-Observatory 1)2) an den Cepheiden der „Großen Magellanschen Wolke“ entdeckt. Die beobachtete Abnahme der Stern-Helligkeit mit der Entfernung kann nun zur Entfernungsbestimmung benutzt werden, wenn man die Cepheiden als Standard-Lichtquellen benutzt. Genau das tat Hubble. Hat man aber die absolute Helligkeit eines Sterns und seine gemessene scheinbare Helligkeit bestimmt, dann ergibt sich daraus auch seine Entfernung (s. dazu Anhang A1). Mit diesen Messungen zeigte Hubble, dass die „Spiralnebel eigene Welteninseln sind, die alle auch außerhalb unserer Galaxie liegen. 2. Das Hubble-Gesetz der kosmischen Expansion. Wie steht es nun mit der Dynamik? Sind die Entfernungen der Galaxien zeitlich konstant? Das ist offensichtlich nicht der Fall. Bereits Slipher hatte aus der Rotverschiebung z von Spektrallinien z= λ − λL υ = c λL mit υ c << 1 (1) geschlossen, dass Spiralnebel sich z. T. mit hohen Radialgeschwindigkeiten υ bewegen müssten. λ bedeutet hier die Wellenlänge einer Linie im Spektrum der beobachteten Galaxie, λ L die im Labor gemessene Wellenlänge der entsprechenden Spektrallinie. Hubble fand Cepheiden auf den Aufnahmen der Nachbar-Galaxien und konnte damit die von Slipher und Humason und ihm selbst gemessenen Radialgeschwindigkeiten υ mit den von ihm schon bestimmten Entfernungen r verknüpfen. Er fand aus den Beobachtungen das nach ihm benannte Gesetz υ = H 0r (2) welches er in dieser Form 1929 publizierte. 3 Fig. 2. Geschwindigkeiten von 1355 Galaxien aufgetragen gegen geschätzte Entfernungen. Die Meßpunkte erfüllen in etwa Gl. 1.2. Die Streuung wird verursacht von Unsicherheiten der Beobachtungen und von Eigenbewegungen der Galaxien, die nicht eliminiert wurden. Die Skalierung der Entfernungen wurde vorgenommen unter der Annahme von H 0 = 100 km ⋅ s −1 / Mpc 4) nach A. Liddle: An Introdurction to Modern Cosmology, J. Wiley 1998. Fig. 3. Edwin Hubble 1889 - 1953 4 Heute gilt Hubble allerdings nicht mehr als dessen alleiniger Entdecker. George Lemaitre 5), ein damals junger belgischer theoretischer Astrophysiker und Priester, hatte aus Einsteins Gleichungen unter dessen 1917 gemachten Voraussetzung von Homogenität und Isotropie des Raumes ein expandierendes Weltmodel abgeleitet, ohne die entsprechenden Arbeiten des russischen Physikers Alexander Friedmann 4) von 1923 und 1924 zu kennen. Homog. B-Feld: v B = (0,0, B z ) = konst. Elektr. Feld einer Punktladung: r 1 E = ( E r ,0,0) ∝ 2 r Kosmos Homogenität Ja Isotropie nein Nein ja Ja ja Tab. 1 : Zur Veranschaulichung von homogen und isotrop. Beides soll nach Einsteins Annahme für den Kosmos erfüllt sein. Man nennt diese Voraussetzungen heute das „kosmologische Prinzip“. Es ist für das frühe Universum außerordentlich gut erfüllt. Er zeigte, dass daraus Gl. (2) folgen müsse und versuchte diesen Schluss durch Daten aus publizierten Beobachtungen zu unterstützen. Seine Publikation erschien 1927 in Belgien in französischer Sprache. Erst eine englische Übersetzung von 1931 machten Lemaitres kosmologische Überlegungen in der Fachwelt bekannt. Mehr dazu bei Nussbaumer s. Literatur. In der klassischen Form gilt das Gesetz nur für υ << c . Ersetzt man die so genannte „Fluchtgeschwindigkeit“ korrekt durch die Rotverschiebung, υ = cz , so können wir Gl. (2) wie folgt schreiben H λ − λL =z= 0r z > 0, beliebig (3) c λL In dieser Form ist das Hubblesche Gesetz auch für Objekte z > 1 richtig. Es ist hierbei wichtig zu verstehen, dass die Rotverschiebung z nach Lemaitre keine Dopplerverschiebung ist, sondern eine kosmologische Rotverschiebung, also ein Effekt der „Allgemeinen Relativitätstheorie“, bei welcher die Wellenlänge des Lichts mit der Expansion des Raumes gedehnt wird. Lemaitre war der Erste, der diese Deutung der „kosmischen“ Rotverschiebung des Lichts propagierte und sie mit der Expansion des Raumes verknüpfte, welche die Abstände der Galaxien ebenso wie die Wellenlänge des Lichts (auf dem Weg zum irdischen Beobachter) um den Faktor (z + 1) vergrößert λ = z +1 λL (4) Hier bedeutet λ L die im Labor (d.h. im Ruhsystem) gemessene Wellenlänge einer Spektrallinie und λ die Wellenlänge der entsprechende Linie von einem kosmischen Objekt . 5 Fig. 4. George Lemaitre (1894 – 1966) und Albert Einstein (1879-1955). Die Aufnahme entstand um 1933 in Pasadena. Fig. 5. Darstellung des Hubble Gesetzes in Vektor-Schreibweise: Alle Galaxien scheinen sich von uns weg zu bewegen. Ein entsprechendes Diagramm kann für einen beliebig gewählten Punkt des Raumes gezeichnet werden (s. Vektorschreibweise Gl. 1.4). Das ist eine Konsequenz von Homogenität und Isotropie. Bei naiver Betrachtung von Fig.5, in welcher das Hubblesche Gesetz durch Geschwindigkeitsvektoren von Objekten in verschiedenen Entfernungen veranschaulich wurde, könnte man meinen, dass der irdische Beobachter eine bevorzugte Stellung einnimmt. Dafür gibt es natürlich keinen ersichtlichen Grund. Das Bild ließe sich für einen beliebigen Ort im Universum ebenso zeichnen. Diese Ortsunabhängigkeit (oder Translationsinvarianz) können wir berücksichtigen, indem wir Gl. 1.2 als Vektorgleichung schreiben 6 r r υ = H 0r , (5) Gl. (5) ist nun für jede beliebige Galaxie gültig. Ehe wir Gl. (5) interpretieren, wollen wir noch einmal zu E. Hubble und zu seiner Konstanten H0 zurückkehren. Hubble fand für H0 einen Wert von etwa 500 km ⋅ s −1 / Mpc . Der heute akzeptierte Wert liegt bei 73 km ⋅ s −1 / Mpc . Wie war eine solche Diskrepanz möglich? Ein Grund dafür ist der folgende: Hubble nutzte die Cepheiden als Entfernungsindikatoren, aber er konnte noch nicht wissen, dass die Helligkeits-Perioden-Beziehung auch von der chemischen Zusammensetzung der Sternatmosphäre abhängt. Der Gehalt an schweren Elementen in der Sternmaterie steigt mit zunehmendem Alter der betreffenden Region, in welcher der Veränderliche gefunden wird. Ein zweiter Grund: Galaxien haben eine Eigenbewegung υ i entsprechend der Massen ihrer Umgebung. Sie kann einige hundert km·s-1 betragen. Erst wenn die kosmologische „Fluchtgeschwindigkeit“ sehr viel größer ist, also υ >> υ i , lässt sich υ ausreichend genau bestimmen. Um den Wert der Hubble-Konstanten wurde auf astronomischen Tagungen Jahrzehnte lang gerungen und gestritten, was eben auch bedeutete, die systematischen Fehler zu finden, die sich in den Messungen der verschiedenen Arbeitsgruppen verbargen. In Fig. 6 zeigen wir eine Graphik von einem der Pioniere dieser Forschungen nach dem 2. Weltkrieg. s. G.A. Tammann 6). Fig. 6. Die Bestimmung der Hubble-Konstanten von 1926 – 1962. Die Namen der Autoren stehen bei den Werten, aus G.A. Tammann 6) . Der von Hubble bestimmte Wert für H0 war gegenüber dem heutigen Werten um einen Faktor 7 zu groß. Hubble hat ihn später nicht mehr korrigiert und sich auch an kosmologischen Diskussionen nicht beteiligt. Die Bedeutung seiner Arbeiten ist unbestritten. Dennoch ist es an der Zeit, seine Leistung von einer späteren Heldenverehrung in den USA zu trennen. Aus Messungen mit dem Hubble-Teleskop ergibt sich H 0 = 72 ± 8 km s −1 / Mpc 7 (5) (1 Megaparsec (Mpc) = 3,057 ⋅10 22 m oder 3,2616 ⋅10 6 Lichtjahre). Man beachte, dass 1 / H 0 = t H eine Zeit ist, Hubble-Zeit genannt, tH = 4,43·1017 s = 13,24·109 Jahre und entsprechend ist c/H0 = 12,992·1022 km = 13,24·109 Lichtjahre = 4200 Mpc die Länge der Strecke, welche das Licht in der Zeit tH zurücklegte, auch Hubble-Radius genannt. Die Zeit, die seit dem Urknall vergangen ist, nennen wir hier t0 . Sie steht für die Jetzt-Zeit t0 = 13,75·109 Jahre. Zu ihrer Berechnung benötigen wir ein Weltmodel, was wir erst im 2. Kapitel behandeln werden. Wir erwarten, dass t0 und tH von gleicher Größenordnung sind. Tatsächlich findet man t 0 ≅ t H , ein eher zufälliges Übereinstimmung im Prozentbereich, über die man gleichwohl spekulieren kann. 3. Moderne Entfernungsbestimmungen. Obwohl die Cepheiden noch immer zu Entfernungsbestimmungen verwendet werden, sind die bevorzugten Referenz-Lichtquellen für sehr große Entfernungen heute Supernovae vom Typ Ia (abgekürzt SN Ia). Sie sind sehr viel heller und reichen deshalb in große Entfernungen. Lichtstarke Teleskope mit großem Gesichtsfeld gestatten, Supernovae in größerer Anzahl und in weit entfernten Galaxien zu registrieren. Es handelt sich bei diesen außerordentlich energiereichen Ereignissen sehr wahrscheinlich um weiße Zwerge in engen Doppelsternsystemen. Durch Massentransfer vom Begleitstern nimmt die Masse des weißen Zwergs allmählich zu. Beim Überschreiten einer kritischen Masse von ca. 1,4 Sonnenmassen (MO), wird der weiße Zwerg instabil. Es beginnt eine explosive Fusion von Kohlenstoff, welche den Stern völlig zerstört. Da die kritische Masse, auch Chandrasekhar-Masse genannt, festliegt, wird bei jeder SN Ia immer etwa die gleiche Energie frei. Im Maximum erreicht eine SN Ia in absoluten bolometrischen Helligkeiten M b = −19,6 ± 0,2 (6) Dazu kommen Korrekturen, die einerseits die Absorption durch interstellaren und intergalaktischen Staub berücksichtigen, andererseits gewisse unterschiedliche Abläufe der SN-Explosion, abhängig vom Gehalt schwerer Elemente. Diese Korrekturen werden gegenwärtig ständig verfeinert 7) 8). Da Entfernungsbestimmungen für die moderne Astrophysik und Kosmologie essentiell sind, werden möglichst verschiedene unabhängige Methoden dazu herangezogen. Dazu gehören auch weiterhin die Cepheiden, die sich besonders für näher gelegene Galaxien eignen. 8 Fig. 7 Die beobachteten Helligkeiten von SN Ia sind aufgetragen gegen den Abstandsmodul m − M = 5 log10 (r / 10 pc ) , s. dazu Anhang Gl (A4). Oben: unkorrigierte Werte. Unten: korrigiert auf Grund der Abklingkurven der Supernovae. Nach P. Ruiz-Lapuente, Cosmology with Supernovae. astro-ph /0304108 8). Von anderen Methoden zur Eichung der Entfernungsskalen sei hier nur noch eine kurz erwähnt: die Entfernungsbestimmung mittels einer Nova (bitte nicht mit einer Supernova verwechseln!). Zu dieser leuchtkräftigen Erscheinung kommt es, wenn Materie, die sich auf der Oberfläche eines weißen Zwergs angesammelt hat, durch Zündung einer Kernfusion verpufft. Dabei werden die Fusionsprodukte mit hoher Ausbreitungsgeschwindigkeit weggeschleudert und bilden eine leuchtende sphärische Hülle. Wenn sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit υ h sowie die Winkelausdehnung α der Hülle, die sich im Laufe weniger Jahre Δt sichtbar um Δα vergrößert, unabhängig messen lassen, kann daraus die Entfernung r bestimmt werden. Auch aus der kosmischen Hintergrundstrahlung kann H0 abgeleitet werden. Die neuesten Werte, geliefert vom europäischen Planck-Satelliten, wurden am 21.03.2013 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Sie ergeben einen Wert der ca. 9 % niedriger liegt als der Wert, der aus Abständen und Geschwindigkeiten von Galaxien bestimmt wurde. Das ist in der Zeit der „Präzisions-Kosmologie“ eine große Diskrepanz, die noch nicht verstanden ist (s. dazu 5.). 4. Skalenfaktor und Hubble-Konstante. Mit der Ableitung des Hubble-Gesetzes hatte George Lemaitre auch gleich die Interpretation mitgeliefert. Nehmen wir einmal an, dass ungeachtet der durchaus inhomogenen Massenverteilung im Kosmos, der Raum über große Entfernungen als isotrop und homogen 9 angesehen werden kann. Dann ist zu jeder Strecke r (t ) auch ein zeitabhängiger Skalenfaktor a (t ) gegeben, der den Expansionszustand des Raumes beschreibt, so dass gilt r (t ) a (t ) = r (t 0 ) a (t 0 ) i. a. t < t 0 und a(t ) < a(t 0 ) (7) wobei wieder t0 die seit dem Urknall bis heute vergangene Zeit bedeutet. Die von uns betrachteten Zeiten t sind im allgemeinen kürzer, weisen also in die Vergangenheit, d.h. t < t0 Selbst wenn die Endpunkte der Strecke r gegenüber der Umgebung in Ruhe bleiben, ändert sich der Abstand durch den (mit der Zeit anwachsenden) Skalenfaktor a (t ) , auch Hubble-Fluß genannt. Wir lassen also den Koordinatenabstand r (t 0 ) konstant und differenzieren nur a (t ) nach der Zeit r υ = a& (t ) r r r (t 0 ) a& (t ) r (t 0 )a (t ) = a (t 0 ) a (t ) a (t 0 ) (8) Den Skalenfaktor für die Jetzt-Zeit kann man gleich eins setzen a(t 0 ) = 1 . Mit der Definition der „Hubblefunktion“ H (t ) = a& (t ) a(t ) (9) erhalten wir das Hubblesche Gesetz in einer zeitabhängigen Form r r υ = H (t )r (t ) (2a) Zur Jetzt-Zeit t 0 wird aus der Hubblefunktion H (t ) die Hubble-Konstante H0 . Aber wie homogen ist der Kosmos wirklich? Man kann für die Massenverteilung eine Hierarchisierung angeben, die Galaxien, Galaxien- Cluster und Supercluster (meist in Form von Filamentstrukturen) enthält. Erst bei Entfernungen über 100 Mpc kann man von Homogenität sprechen. Fig. 8. Wir können die kosmologische Rotverschiebung so verstehen, dass die Wellenlänge des Lichts, die uns erreicht, seit der Zeit ihrer Emission sich mit der kosmischen Expansion vergrößert hat (s. Gl. 4). 10 Wir kehren noch einmal zur kosmologischen Rotverschiebung der Spektrallinien z zurück. Im Vorgriff auf eine spätere Ableitung verhält sich die beobachtete Wellenlänge des Licht wie die entsprechenden Skalenfaktoren. λ a (t 0 ) = λ1 a(t1 ) (10) λ ist die Wellenlänge eines Lichtsignals, welches der irdische Beobachter sieht und welches zur Zeit t0 bei ihm ankommt. Als sich die Emission zur Zeit t1 < t 0 ereignete, hatte das Signal im Ruhsystem des Emitters die Wellenlänge λ1 , was der „Labor-Wellenlänge“ entspricht λ1 = λ L . Wir schreiben die Rotverschiebung z als z= λ − λ1 λ 1 = −1 = − 1, λ1 λ1 a(t1 ) (11) oder z +1 = 1 a (12) Es wurden in jüngster Zeit Galaxien oder Protogalaxien bei z = 10 beobachtet 14). Daraus lässt sich die Zeit t bestimmen, die das Licht seit seiner Emission unterwegs war. Aus t 0 − t errechnet sich mit a (t ) die Zeit, in welche wir mit diesen Galaxien zurück schauen, zu 500 Millionen Jahren, in welchen die ersten Sterne und Galaxien entstanden sind. Alle Längen waren nur 1/11 der heutigen Länge, die Volumina nur 1/1330 der heutigen Volumina. Wegen der endlichen Geschwindigkeit des Lichts ist es im Allgemeinen nicht möglich, die beiden Endpunkte einer Strecke im Kosmos „gleichzeitig“ zu messen. Deshalb begegnen wir Schwierigkeiten, eine kosmische Entfernung eindeutig zu definieren. Häufig wird aus z, wie oben, die Zeit errechnet, welche seit der Lichtemission vergangen ist („look back time“). Das ist allerdings erst dann möglich, wenn man mit a (t ) ein bestimmtes Weltmodell zugrunde legt, was wir im 2. und 3. Beitrag hören werden. 5. Offene Fragen Wir sahen oben schon: Vergleicht man den Mittelwert von H0 aus Messungen mit Hilfe der Weltraum-Teleskope (73,7 km/s.Mpc) mit den Werten aus der Hintergrundstrahlung (Planck: 67,4 km/s.Mpc) so findet man, dass die Abweichung beider Werte von einander 9% betrrägt. Das ist wesentlich Hubble Space Telescope 72 ± 8 km/s.Mpc Spitzer Space Telescope 74,3 ± 2,1 WMAP-Sonde zur Messung der Hintergrundstrahlung Planck-Sonde zur Messung der Hintergrundstrahlung 70,4 ± 2,5 67.4 ± 1,4 Mittelwert aus Ergebnissen verschiedener Methoden 9) H0 bestimmt durch Recalibration der Cepheiden im IR 10) 7-year WMAP. 11) Veröffentlichung des PlanckT4eams am 23.03.2013. 12) 11 Tabelle 2. Werte der Hubble-Konstanten aus verschiedenen Messprogrammen mehr als was statistische oder auch systematische Fehler ausmachen können. Auf der Suche nach einer physikalischen Ursache, muss man sich die beiden Bestimmungsmethoden genauer ansehen. Die Ergebnisse von Hubble und Spitzer sind gewonnen aus der Entfernungsbestimmung von Galaxien, die mehr oder weniger in unserer Nähe liegen, d.h. r < 200 Mpc . Sie hängen von der Materie- und Energiedichte der „lokalen Blase“ ab, in welcher sich auch unser Sonnensystem befindet. Andererseits wird der Wert von H0 aus der Hintergrundstrahlung bestimmt, indem man die Größe der Fluktuationen, die als Flecken in der Winkelabhängigkeit der Intensität erscheinen, als Maß der Entfernung benutzt. Die Fluktuationen geben kleine Störungen des sonst völlig homogenen und isotropen Plasmas wieder, das 380 000 Jahre nach dem Urknall den Kosmos bei einer Temperatur von ca. 3000 K ausfüllte. Das Licht war seitdem fast 14 Milliarden Jahre unterwegs und scheint daher eine Mittelung über ein wesentlich größeres Raumgebiet abzubilden. Es könnte sein, dass wir daraus auf eine etwas höhere Dichte in unserer lokalen Blase schließen dürfen als im kosmischen Mittel. 6. Zusammenfassung r Das Hubble-Gesetz verknüpft die „Fluchtgeschwindigkeit“ υ der Galaxien linear mit ihrer r Entfernung r . Der Proportionalitätsfaktor heißt Hubble-Konstante H0 und ist ein wichtiger Parameter der Kosmologie. Heute lässt sich aus Entfernungsbestimmungen H 0 = 73,7 km·s-1/Mps mit einer Genauigkeit von etwa 4% angeben. Da die Rotverschiebung kein Dopplereffekt ist, sondern durch die Expansion des Raumes zustande kommt, gibt man anstatt υ heute die Rotverschiebung der Spektrallinien z an. Zur Bestimmung von H0 bedient man sich der Supernovae Ia als Referenzlichtquellen. Die Expansion des Raumes lässt sich durch einen Skalenfaktor a (t ) in allen extragalaktischen Entfernungen berücksichtigen. Erste Sterne sind bereits 500 Millionen Jahre nach dem Urknall entstanden. 1 / H 0 = t H hat die Dimension einer Zeit, und entsprechend ist t H = 4,305 ⋅ 1017 sec c / H 0 = 12,992 ⋅ 10 22 km = 13,25 ⋅ 10 9 Lichtjahre die Länge der Strecke, welche das Licht in der Zeit t H zurücklegt hat. Die Diskrepanz zu dem Wert von H0 aus der Hintergrundstrahlung wird unter Astrophysikern noch heftig diskutiert und gilt als nicht verstanden. 7. Literatur 1) Simon Singh : Big Bang. Der Ursprung des Kosmos und die Erfindung der modernen Naturwissenschaft. DTV 2007 2) J. Silk : Die Geschichte des Kosmos. Vom Urknall bis zum Universum der Zukunft. Spektrum Akademischer Verlag 1996, 1999 als Taschenbuch 3) Ari Belenkiy: Alexander Friedmann and the origins of modern cosmology. Physics Today October 2012, page 38 12 4) A. Liddle: An Introdurction to Modern Cosmology, J. Wiley 1998. 5) Harry Nussbaumer: Achzig Jahre expandierendes Universum. Sterne u. Weltraum 6/2007 S. 37-44 6) G.A. Tammann: The Ups and Downs of the Hubble constant. Reviews of Modern Astronomy 19 (S. Röser Editor) Heidelberg 2006. s. auch http://arxiv.org/abs/astroph/0512584 7) S. Perlmutter: Supernovae, dark energy, and the accelerating universe. Physics Today April 2003, p.53 8) C P. Ruiz-Lapuente : Cosmology with Supernovae. http://arxiv.org/astro-ph /0304108 9) W.L. Freedman et al: Final Results from the Hubble Space Telescope Key Project to Measure the Hubble Constant. Astrophys.J.553:47-72,2001. s. also arXiv:astro-ph/0012376v1 10) W.L. Freedman et al.: Carnegie Hubble Program: A Mid-Infrared Calibration of the Hubble Constant. arXiv:1208.3281v1 11) D. Larson et al. Seven-year Wilkinson Microwave Anisotropy Probe: Power Spectra and WMAP-derived Parameter. Astrophys.J.Suppl.192:16,2011. s, also arXiv:1001.4635v2 12) Planck collaboration: Planck 2013 results XVI. Cosmological parameters. Astronomy and Astrophysics March 23, 2013. s. also arXiv: 1303.5076 13) E. Selentin: Kontroverse um die Hubble-Konstante. Sterne und Weltraum 10/2013, S. 30 14) R.J. Bowens: A candidate redshift z ≈ 10 galaxy and rapid changes in that population at an age of 500 Myr. Nature 469, 27. Jan. 2011, p. 504 Anhang. Größenklassen In der Astrophysuik werden häufig die Helligkeiten der Sterne in Größenklassen anstatt Intensitäten angegeben. Die Einteilung der Helligkeiten nach Größenklassen stammt aus dem Altertum und wurden ursprünglich wohl von Ptolemaeus eingeführt. Das Auge registriert Helligkeiten in einer logarithmischen Skala der Intensitäten. Mißt man zwei unterschiedliche Intensitäten I 1 > I 2 , mit der physikalischen Dimension W/m2, so sind die zugehörigen Größenklassen m1 und m2 definiert als ⎛I − 2,5 ⋅ log⎜⎜ 1 ⎝ I2 ⎞ ⎟⎟ = m1 − m2 ⎠ (A1) m wächst also mit abnehmender Helligkeit. Die Abhängigkeit von der Entfernung führen wir über die Energieerhaltung ein. Im konkreten Fall bedeutet das die Konstanz der Strahlungsleistung. Ein Stern habe die Strahlungsleistung L [Watt ] . Seine Intensität wird im Abstand r1 als I1 und im Abstand r2 als I2 gemessen mit 13 ( r1 > r2 ). Wir denken uns nun zwei Kugeln mit Radius r1 und r2 um den Stern gelegt. Durch die Kugelschalen fließt immer die gleiche Strahlungsleistung oder Leuchtkraft L (Gaußscher Satz) L = 4π r12 I 1 = 4π r22 I 2 (A2) Wir ersetzen in A1 die Intensitäten durch die Abstände und erhalten so ⎛r 5 ⋅ log⎜⎜ 1 ⎝ r2 ⎞ ⎟⎟ = m1 − m2 ⎠ (A3) Für r2 wählen wir eine Referenz-Entfernung von 10 pc und nennen m2 die „absolute Helligkeit“ M. Dann wird aus A3, wenn wir den Index 1 jetzt weglassen m − M = 5 ⋅ log r − 5 wobei r wieder in pc gemessen ist. 14 (A4)