Risikostratifizierung und ressourcenorientierte

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Risikostratifizierung und ressourcenorientierte
Zuweisungsstrategien bei Patienten mit ACS
im Notarztdienst
( P. Rupp, R. Stangl, Bern in : Der Notarzt 5, 2007 )
Kardiovaskuläre Erkrankungen stehen an erster Stelle der Todesursachenstatistik in
Deutschland.
Der Begriff „ACS“ umfasst die drei akuten Manifestationen der koronaren Herzkrankheit :
1. „ST-Hebungsinfarkt“ (STEMI)
2. „Nicht-ST-Hebungsinfarkt“ (NSTEMI)
3. „Instabile Angina Pectoris“
Die Verdachtsdiagnose ACS ist die häufigste Einsatzindikation für einen Notarzteinsatz ( ca.
25 % ). Allerdings sind sehr viele Differentialdiagnosen wie andere kardiovaskuläre
Erkrankungen (z.B. Perimyokarditis, Aortendissektion, funktionelle Herzbeschwerden etc.),
pulmonale Erkrankunge (z.B. LEB, Pleuritis etc), muskuloskeletale Erkrankungen und
gastrointestinale Erkrankungen (z.B. Boerhave-Syndrom, Ulkusperforation etc.) in Betracht
zu ziehen.
Die Behandlungsverfahren und therapeutischen Strategien beim ACS haben sich innerhalb
der letzten 10 Jahre deutlich gewandelt.
So wird das invasive Vorgehen beim akuten Myokardinfarkt mit oder ohne ST-Elevationen
mittlerweile definitiv gefordert und ist inzwischen Gegenstand der entsprechenden Leitlinien.
Allerdings hat das Wissen um den Stellenwert z.T. zu einer unkritischen Zuweisungspraxis in
kardiologische Schwerpunktzentren geführt. Dies führt immer wieder dazu, dass es zur
Erschöpfung der personellen und materiellen Ressourcen bei den Katheterlaboren kommt. Im
Zweifel stehen diese Ressourcen dann nicht mehr den Hochrisikopatienten zur Verfügung.
Um die oben beschriebenen Probleme zu mindern, ist im Rahmen der präklinischen
diagnostischen Möglichkeiten eines Notarztes durch diesen eine valide Risikostratifizierung
zu betreiben.
Diese Risikoeinschätzung umfasst im wesentlichen eine sorgfältige Anamnese, die gründliche
Analyse des aktuellen Beschwerdebildes, die klinische Untersuchung und die Auswertung des
präklinischen 12-Kanal-EKGs.
Einschätzung des Gesamtrisikos
 3 Säulen :
1. Anamnese / Klinik
2. 12-Kanal-EKG-Befund
3. Biochemische Marker
1. Anamnese
Die Anamneseerhebung dient zur Evaluation der individuellen Risikofaktoren des Patienten.
Das kardiovaskuläre Risikoprofil wird bestimmt durch :
-
Diabetes mellitus
Hyperlipoproteinämie
1
-
Arterielle Hypertonie
Nikotinabusus
Positive Familienanamnese
Lebensalter
Geschlecht
Das Vorhandensein eines Risikofaktors oder die Kombination mehrerer Faktoren bestimmt
das individuelle kardiovaskuläre Risikoprofil. Die Ausprägung des individuellen Risikoprofils
bestimmt die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines ACS in der akuten Situation.
Bei der Kombination mehrerer Risikofaktoren, insbesondere beim Vorliegen eines Diabetes
mellitus in Kombination mit einer arteriellen Hypertonie und einer Fettstoffwechselstörung ist
vom Vorliegen eines Hochrisikoprofils auszugehen. Das alleinige Vorliegen eines Diabetes
mellitus sollte jedoch schon zur Einstufung in eine Hochrisikogruppe führen.
Das vollständige Fehlen von entsprechenden Risikoparametern schließt jedoch das Vorliegen
eines ACS nicht aus.
2. Klinik
 Leitsymptom : Akuter thorakaler Schmerz
Häufig verbunden mit Ausstrahlen in Nacken, Hals, Kiefer, Arme oder Oberbauch.
Ebenso häufig verbunden mit Luftnot, Schweissausbruch, Übelkeit sowie einem
Vernichtungsgefühl.
All diese Symptome haben eine geringe Spezifität, sie helfen jedoch, die Verdachtsdiagnose
ACS zu erhärten.
 Schmerzlokalisation :
Typisch : retrosternal, oder präkordial mit Ausstrahlung in die linke Schulter/Arm;
ebenso Austrahlung in den Hals bis zum Unterkiefer möglich;
bei Hinterwandprozessen bzw. inferior häufig Schmerz im Abdomen
Möglich : Schmerzausstrahlung nach rechts oder in den Rücken, aber
 DD: rupturiertes Aortenaneurysma und LEB schwierig
 Schmerzintensität und –dauer :
Stärkste Schmerzen, Vernichtungsschmerz verbunden mit Todesangst.
Cave: beim Diabetiker können Schmerzsymptome ganz fehlen (Neuropathie)
Charakteristisch für die kardiogene Ursache des Schmerzes ist die Beschwerdebesserung auf
Nitrogabe. Der ausgedehnte transmurale Infarkt ist jedoch häufig nitrorefraktär.
► Neueren Studien zufolge ist allerdings die Reaktion auf Nitrogabe auch bei nicht
transmuralen Ischämien unspezifisch und als diagnostisches Hilfsmittel eher ungeeignet.
„De novo“ Angina pectoris oder Aggravierung einer bisher stabilen Symptomatik.
Suspekt auf das Vorliegen eines ACS sind Ruhebeschwerden von mehr als 20 Minuten Dauer
► Auch thorakaler Druck sind als Schmerzen zu werten und entsprechend zu behandeln !
( Anmerkung Niederberger )
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 Atypische Präsentationen eines ACS :
Ein Fehlen typischer Symptomkonstellationen schließt das Vorliegen eines ACS nicht aus.
Insgesamt zeigen bis zu 47 % der Patienten atypische Symptome.
► „Angina equivalent complaints“ :
- Atemnot
- Atypische Schmerzen ( Art, Ort )
- Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbruch
- Schwäche
- Verwirrtheit
- Lungenödem
- Synkope
Die Verbindung mit den entsprechenden Risikofaktoren und die Kenntnis der atypischen
Symptome hilft, den Patienten nicht falsch einzuschätzen.
3. Klinische Untersuchung
Klinische Befunde sind insgesamt eher unspezifisch, aber können möglicherweise zur
Abklärung von Differentialdiagnosen beitragen.
Bei Zeichen der peripheren Hypoperfusion oder Zeichen der kardialen Dekompensation sollte
dies zur Einstufung in eine Hochrisikoklasse führen.
4. EKG-Befund
Der Befund des 12-Kanal-EKG ist von zentraler Bedeutung. Bei längeren Versorgungszeiten
sollte eine Verlaufskontrolle durchgeführt werden.
Diagnostische Kriterien :
► ST-Hebungsinfarkt (STEMI) :
ST-Streckenhebung beim J-Punkt von 0,2mV in den Brustwandableitungen bzw. von
0,1mV in den Extremitätenableitungen.
Hebungen müssen in mindestens zwei benachbarten Ableitungen nachweisbar sein.
► ST-Strecken-Senkungen von > 0,1mV ab dem J-Punkt in > 2 Ableitungen haben beim
NSTEMI die höchste diagnostische und prognostische Relevanz
► Eine T-Wellen-Inversion in mehreren Ableitungen ist weniger spezifisch und den obigen
Kriterien an diagnostischer Wertigkeit unterlegen.
► Ein neu aufgetretener LSB entspricht in der diagnostischen Relevanz der STEMISituation. Erforderlich ist allerdings ein Vor-EKG.
► Bei vorbekanntem Schenkelblockbild sowie beim HSM-Träger ist die Beurteilbarkeit der
Endstreckenveränderungen nur eingeschränkt möglich.
Grundsätzlich schließt ein unauffälliges EKG ein ACS nicht aus.
5. Biochemische Marker
In der Klinik sind die biochemischen Marker, insbesondere das Troponin, zentraler
Bestandteil der Diagnostik.
Für die Präklinik sind immer wieder die quantitativen Troponinschnelltests in der Diskussion.
Es gibt derzeit hierfür keine Empfehlungen, da frühestens 3 – 4 Stunden nach dem
Ischämieereignis erhöhte Troponinwerte nachweisbar sind.
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6. Risikostratifizierung und Zuweisungsstrategie
Individuelle Risikoabschätzung unter Wertung der oben dargestellten Befunde führt zur
Auswahl der entsprechenden Zielklinik.
Am Anfang steht die Analyse der aktuellen Beschwerden, die Anamnese und eine
orientierende klinische Befunderhebung.
Bei V.a. ACS ist danach zur weiteren Risikoabschätzung ein 12-Kanal-EKG durchzuführen.
► Niedriges Risiko :
Es findet sich eine atypische klinische Symptomatik in Kombination mit fehlenden oder nur
isolierten kardiovaskulären Risikofaktoren und bei unauffälligem EKG.
Weitere diagnostische Evaluation sollte in der Klinik erfolgen. Es kann die nächstgelegene
Klinik mit internisticher Fachabteilung angefahren werden. Vorhandene freie
Intensivkapazitäten sind nicht erforderlich.
► Mittleres Risiko :
Es findet sich eine für das ACS typische Klinik mit einem breiten kardiovaskulären
Risikoprofil. Auch bei einem unauffälligen EKG ist die Einstufung in eine höhere
Risikogruppe sinnvoll. Weitere diagnostische Abklärung ist unter intensivmedizinischer
Überwachung erforderlich. Freie Kapazitäten auf Intensivstation sind nötig.
Anmeldung über RLS oder direkt Arzt/Arzt ist dringend erforderlich.
► Hohes Risiko :
In die Hochrisikogruppe werden Patienten zugeordnet, die neben der für das ACS typischen
Klinik und einem breiten kardiovaskulären Risikoprofil einen oder mehrere der folgenden
Risikoparameter aufweisen :
- ST-Strecken-Hebungs-Infarkt (STEMI)
- ST-Strecken-Senkung > 0,1mV in > 2 Ableitungen
- Hämodynamische Instabilität
- Refraktäre Angina pectoris
- Rhythmusinstabilität
- Diabetes mellitus
- (positiver Troponinnachweis)
Diese Patientengruppe profitiert von einer raschen invasiven Diagnostik und ggf. von einer
Koronarintervention oder konsekutiver chirurgischer Revaskularisierung, spätestens innerhalb
48 Stunden nach Symptombeginn.
Deshalb wird vom Notarzt primär ein kardiologisches Zentrum angefahren.
Spezielles Vorgehen beim STEMI :
Hier gibt es eindeutige Empfehlungen. Diese Patienten haben absoluten Vorrang innerhalb
von 90 Minuten nach Symptombeginn und sind sofort einer Koronarintervention zuzuführen.
Sollte eine Koronarintervention in dieser Zeit nicht möglich sein, ist die Indikation zur
präklinischen Lysetherapie bzw. innerklinische Lysetherapie, wenn kein Lysepräparat
präklinisch verfügbar ist, gegeben.
Gez. Niederberger 03/2008
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