ABSTRACT GÜNTER LIEBEL Biodiversität: das natürliche Kapital – vom Umgang mit der Vielfalt Günter Liebel Sektionschef im Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft Biodiversität galt lange Zeit als ein „Süd-Thema“, da sich auf der südlichen Erdhalbkugel die Ursprungsund Vielfaltszentren genetischer Ressourcen befinden. Vor allem die dortige Zerstörung der Biodiversität schrieb internationale Schlagzeilen. Verbessertes Wissen um die globalen Zusammenhänge, z. B. Klimaänderung durch großflächige Abholzungen tropischer Regenwälder, hat zur weltweiten Thematisierung der Biodiversität geführt. Die Bemühungen zur ihrer Erhaltung werden vom Ziel geleitet, bis 2010 ihre Verluste signifikant zu reduzieren (Weltgipfel über nachhaltige Entwicklung 2002, Johannesburg), auch die EU hat sich einen ähnlich strengeren Maßstab gesetzt. Daneben sind die „Millennium Development Goals“ zu nennen, insbesondere die Ziele, Hunger und extreme Armut bis zu 2015 um die Hälfte zu reduzieren sowie eine ökologische Nachhaltigkeit sicherzustellen. Was verstehen wir unter Biodiversität? Das griechische „Bio“ für Leben und das Lateinische „Diversitas“ für Vielfalt beschreiben die heutige Wortbedeutung der Lebensvielfalt. Diese umfasst die Vielfalt zwischen den Arten (Artenvielfalt), innerhalb der Arten (genetische Vielfalt) und der Lebensräume (Ökosystemvielfalt). Nicht nur wildlebende Tiere und Pflanzen sondern auch Kulturpflanzen und Nutztiere, Mikroorganismen und Gene bilden ihr weltweites Spektrum. Biodiversität: Vorkommen und Verluste Auf der Erde existieren zwischen 5 und 30 Millionen Arten, von denen bisher erst rund 1,74 Mio. wissenschaftlich beschrieben sind. Der Anteil der durch Menschen genutzten Arten beläuft sich dabei auf weniger als 0,1 %, d.h. auf ca. 5.000 bis 30. 000 Arten. Der dramatische Rückgang der biologischen Vielfalt, das Schwinden intakter Ökosysteme, das Aussterben von Tier- und Pflanzenarten hat sich in den letzten 150 Jahren besorgniserregend beschleunigt (ca. 15.600 Arten sind weltweit vom Aussterben bedroht). Warum ist Biodiversität so wichtig? Leben und Wirtschaft sind in hohem Maße abhängig von natürlichen Ressourcen und stabilen Ökosystemen. Sie versorgen mit Nahrung, Medizin, Kleidung, Rohstoffen, etc. Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen reinigen Wasser und Luft, sorgen für fruchtbare ABSTRACT GÜNTER LIEBEL Böden und stabiles Klima. Schöne, abwechslungsreiche Landschaften sind Orte der Erholung. Biodiversität in Landwirtschaft und Ernährung Mehr als 40 % der Landfläche der Erde wird für Lebensmittelproduktion verwendet. Der wichtigste direkte Wert der Biodiversität liegt in der Sicherung der Welternährung, sie bildet für viele kleinbäuerliche Strukturen die Existenzgrundlage. Bevölkerungswachstum und geändertes Konsumverhalten beschleunigten die Entwicklung der Landwirtschaft von traditionellen zu modernen, intensiven Systemen. Landwirtschaftliche Monokulturen und die Dominanz weniger Hochertragssorten sind eine der Hauptgefahren für Ernährungssicherung. Von den ursprünglich ca. 7.000 gesammelten und kultivierten Pflanzenarten bilden heute nur noch zehn (und acht Tierarten) die Basis für die gesamte Welternährung (Reis, Weizen, Mais, die mehr als die Hälfte des weltweiten Energiebedarfs decken). Mit dem Verlust der Biodiversität in Landwirtschaft und Ernährung sinkt die Absicherung gegen Missernten, Schädlings- oder Krankheitsanfälligkeit. Wirtschaften mit dem natürlichen Kapital Biodiversität als Zukunftsversicherung: Je vielfältiger die natürlichen (pflanzlichen und tierischen) Ressourcen, desto höher ihre Anpassungs- und Überlebenschancen, ergo auch jene der Menschen. Die bloße Konzentration auf die Logik des vorrangig marktorientierten ökonomischen Handelns birgt das erhebliche Risikopotential künftige Gestaltungsspielräume einzuschränken, Leistungen der Ökosysteme sich dieser ökonomischen Logik entziehen. Ähnlich wie bei der Portfolio-Strategie jedes Wertpapierverwalters gilt es daher auch im Umgang mit dem natürlichen Kapital auf Vielfältigkeit und Streuung des Risikos zu setzen. Vor diesem Hintergrund und insbesondere auch im Bewusstsein der ethischen, moralischen Verantwortung um das „Erbe der Menschheit“, wurden neue politische Strategien entwickelt, denen die Prinzipien der Vorsorge, Nachhaltigkeit sowie mehr Gerechtigkeit zugrunde liegen. Strategien zum Schutz der Biodiversität / Ziel 2010 Eines der wichtigsten internationalen Abkommen im Natur- und Umweltschutzbereich ist das Übereinkommen über die biologische Vielfalt der Vereinten Nationen (Convention on Biological Diversity: CBD). Dieses wurde bei der UN-Konferenz über Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio des Janeiro verabschiedet. Mehr als 190 Staaten sind diesem Vertragswerk beigetreten (Österreich: 1994). Es ist der Beginn einer neuen weltweiten Politik zum Erhalt der biologischen Vielfalt, die sehr breit gesehen wird und ökologische, ökonomische und soziale Aspekte umfasst. Das Übereinkommen ist neben der FAO ein zweites Forum, in dem Fragen ABSTRACT GÜNTER LIEBEL genetischer Ressourcen thematisiert werden – allerdings unter neuem Blickwinkel, der auch zur konzeptionellen Neuausrichtung in der Erhaltung der landwirtschaftlichen Biodiversität geführt hat. Für den Landwirtschaftsbereich wurde ein mehrjähriges Arbeitsprogramm festgelegt: Gestützt auf das Vorsorgeprinzip werden die Vertragsparteien aufgefordert, genetische Ressourcen für Landwirtschaft und Ernährung zu erhalten und nachhaltig zu bewirtschaften; landwirtschaftliche Praktiken, die sich negativ auf die genetische Vielfalt in Agrarökosystemen auswirken, abzubauen und positive zu fördern; und schließlich einen gerechten und angemessenen Vorteilsausgleich aus der Nutzung genetischer Ressourcen zu fördern. Zur Umsetzung der aus der CBD resultierenden Verpflichtungen hat Österreich bereits 1998 eine nationale Biodiversitätsstrategie beschlossen, die 2005 einer umfassenden Umsetzungsevaluierung sowie Aktualisierung unterzogen wurde. Als oberstes Ziel wird darin der Stopp der Verluste an biologischer Vielfalt in Österreich bis zum Jahr 2010 festgelegt. Der im Rahmen der FAO ausgehandelte und 2001 verabschiedete Internationale Vertrag für pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft stellt das erste rechtlich bindende Übereinkommen über die Erhaltung und nachhaltige Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft dar. Er wurde auf Basis der CBD entwickelt und ist seit Juni 2004 in Kraft (für Österreich seit Februar 2006). Kernpunkte sind ein multilaterales System des erleichterten Zugangs für bestimmte, gelistete Arten (z. B. Mais, Getreide, Reis; nicht aber: Sojabohne) für Zwecke der Forschung, Züchtung und Ausbildung für Ernährung und Landwirtschaft sowie ein Mechanismus der gerechten und ausgewogenen Aufteilung der daraus entstehenden Nutzungsvorteile. Natürliches Kapitel im Rahmen der Bedingungen des Welthandels Wirtschaften mit dem natürlichen Kapital „Biodiversität“ ist im Kontext des internationalen Welthandels zu sehen. Mit der Aufnahme der Agrarprodukte in die Uruguay-Runde der GATT-Verhandlungen (Abschluss 1994) wurde ein weltweiter Prozess des Abbaus von handelsverzerrenden Förderungen (ausgenommen umweltbezogene Fördermaßnahmen) eingeleitet. Im Unterschied zum Industriegüterbereich ist die Landwirtschaft an Standort, Boden und Klima gebunden und prägt gleichzeitig auch die Kulturlandschaft eines Landes (Multifunktionalität der LW). Für die weiteren WTO-Verhandlungen ist es entscheidend, ob und wie es gelingt, Marktöffnungen und Handelsliberalisierung mit dieser Multifunktionalität in Einklang zu bringen. Österreich und EU unterstreichen, dass Liberalisierungsmaßnahmen alleine noch keine nachhaltige Landwirtschaftsentwicklung garantieren. Der EU-Handlungsrahmen zu Biodiversität und Landwirtschaft ABSTRACT GÜNTER LIEBEL Die zentralen Elemente des politischen EU-Handlungsrahmens für Biodiversität und Landwirtschaft sind a) die Einbindung des Ziels der Erhaltung der biologischen Vielfalt in die landwirtschaftliche und ländliche Entwicklungspolitik, b) die Gemeinschaftsstrategie zur Erhaltung der Biodiversität sowie die damit zusammenhängenden Aktionspläne für Landwirtschaft, natürliche Ressourcen, Fischerei und Entwicklungszusammenarbeit, c) EU-Strategie für nachhaltige Entwicklung. Seit 1992 wurde die Gemeinsame EU-Agrarpolitik (GAP) stärker darauf ausgerichtet, den Erhalt der biologischen Vielfalt einzubeziehen. Die GAP-Reform 2003 trug dem Rechnung: Stärkung der 2. Säule, d. h. Förderung einer multifunktionalen Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raumes durch u. a. Agrarumweltmaßnahmen, verbesserte Unterstützung des Schutzgebietsnetzwerkes „Natura 2000“, Umwidmung eines Teils der flächenbezogenen Förderung (Modulation), sowie Verpflichtung zur Einhaltung bestimmter Anforderungen zur Gewährleistung von Umwelt-, Verbraucherund Tierschutzstandards („Cross-Compliance“). Wichtige Eckpfeiler der Gemeinschaftsstrategie zur Erhaltung der Biodiversität sind die Fauna-Flora-Habitatsowie Vogelschutzrichtline und das Natura 2000 Schutzgebietsnetzwerk. Der Schutz der Biodiversität außerhalb dieser Gebiete soll durch die Einbindung der Biodiversitätsaspekte in andere Politikfelder erreicht werden. Sektorale Ziele im Kontext Landwirtschaft beziehen sich auf den Erhalt pflanzengenetischer Ressourcen, den Schutz der Agrarökosysteme und die Berücksichtigung von Biodiversität im Agrarhandel. Der „Aktionsplan 2010“ benennt Schlüsselbereiche, in denen Handlungsbedarf besteht. Moderne Landwirtschaft und Erhalt der Biodiversität: Konkurrenz oder Symbiose? Verstärkte Thematisierung der Biodiversitätsproblematik, gesteigerte Sensibilität und erhöhtes Problembewusstsein der Gesellschaft sowie neue ordnungspolitische Rahmenbedingungen stellen die heutige Landwirtschaft ins Spannungsfeld vielfältiger Herausforderungen: - Sicherstellung der Ernährung für eine rasant zunehmende Weltbevölkerung - Erhaltung der Umwelt und der natürlichen Ressourcen - Sicherstellung des Einkommens und wirtschaftlichen Wohlstands - Erbringung von Leistungen im Interesse der Gesellschaft - Erfüllung der moralischen, ethische Verantwortung für das natürliche Erbe Der Weg, diesen Herausforderungen gerecht zu werden, ist eine vorausschauende, auf den Prinzipen der Nachhaltigkeit und Multifunktionalität gestützte Politik, die die Erhaltung einer wirtschaftlich intakten und leistungsfähigen Landwirtschaft in einer gesunden, funktionsfähigen Umwelt sicherstellen soll. Dieser ABSTRACT Ansatz soll auch in der neuen Gestaltung Entwicklung in Österreich voll zum Tragen. GÜNTER LIEBEL der Ländlichen Kernpunkte des neuen Programms für die ländliche Entwicklung bis 2013, für welches jährlich rund 1 Mrd. Euro von der EU, dem Bund und den Ländern zur Verfügung stehen werden, sind das Österreichische Programm zur Förderung einer umweltgerechten, extensiven und den natürlichen Lebensraum schützenden Landwirtschaft / ÖPUL, das Bergbauernprogramm für Österreichs Landschaften sowie die Investitionsoffensive für den ländlichen Raum. Das ÖPUL wird die zentrale Stütze der agrarpolitischen Ausrichtung bleiben und mit mehr als der Hälfte der insgesamt zur Verfügung stehenden Mittel dotiert werden. Zentrale Elemente zum Schutz der Umwelt und zur Förderung der Biodiversität sind: - Förderung der biologischen Landwirtschaft: Mit seinem hohen Anteil an Biolandbau soll Österreich auch weiterhin das „BioMusterland“ in der Europäischen Union bleiben. - Maßnahmen zur Erhaltung und Entwicklung naturschutzfachlich wertvoller und gewässerschutzfachlich bedeutsamer Flächen, zur „Alpung und Behirtung“, zur „Offenhaltung der Kulturlandschaften“, die Förderung der Erhaltung von Streuobstwiesen, der Erhalt seltener Nutztierrassen oder der Anbau und die Nutzung seltener Kulturpflanzen; Sowie Förderung der Umsetzung des Natura 2000 Schutzgebietsnetzwerkes. Unterstützt wird dieser Ansatz auch durch verschiedene Initiativen: Mit der Aktion „Genuss Region Österreich“ sollen die Zielsetzungen einer nachhaltigen, ökologisch und qualitativ hochwertigen Landwirtschaft unterstützt werden. Initiiert von Lebensministerium, AMA sowie den Bundesländern, zielt diese darauf ab, die Kooperation von Landwirtschaft, Gewerbe, Gastronomie, Tourismus und Handel anzukurbeln sowie die regionale Wertschöpfung zu steigern und somit auch die Leistungen der Bäuerinnen und Bauern sichtbar zu machen.