Antrag 1 zur LANDESKONFERENZ vom Landesvorstand des Pensionistenverbandes Vorarlberg Gesundheitsversorgung Perspektiven einer fachlich angemessenen, bedarfsund bedürfnisgerechten gesundheitlichen Versorgung für ältere Menschen. Die gesundheitlichen Versorgungssysteme müssen auf geriatrische Krankheitsbilder angepasst werden. Es darf nicht zu einer 2-Klassen-Versorgung zuungunsten – insbesondere sozial benachteiligter – Älterer kommen. Die aus gesundheitswissenschaftlicher Sicht positive Kompressionsthese – Zugewinn gesunder Jahre – trifft eher für Angehörige der oberen sozialen Schichten, die negative Expansionsthese – zunehmende Morbidität mit steigendem Lebensalter – überwiegend für Ältere der unteren sozialen Schichten zu. Ungleiche Gesundheitschancen in Kindheit, Jugend oder Erwachsenenalter beeinflussen die Gesundheit im Alter. MigrantInnen treffen bekannter weise ein höheres Krankheitsrisiko. Die wachsenden Verarmungsrisiken (z.B. working poor) werden sich hinkünftig noch stärker negativ auf die Gesundheit nachrückender Kohorten älterer Menschen auswirken. Daher sind nachstehende Forderungen stärker als bisher in die politische Agenda aufzunehmen: Gesundheitsförderung und Prävention Es ist eine eigenständige, nationale Kampagne für Gesundheitsförderung und Prävention für ältere Menschen zu implementieren. Die Gesundheitsprävention für Ältere bedarf der praktisch-politischen Umsetzung. Dabei sind objektive Lebensbedingungen (Verhältnisprävention) wie auch individuelles Gesundheitsverhalten (Verhaltensprävention) gleichberechtigt zu berücksichtigen. In der Zukunft wäre vor allem beim Szenario „Beste Gesundheit“ der WIFO-Studie die Implementierung einer wirksameren Präventionsund Rehabilitationsstrategie erforderlich. Bei den Präventionsmaßnahmen gilt es das folgende magische Dreieck: richtige (gesunde) Ernährung, körperliche Bewegung (Fitness) und geistige Flexibilität (mit seelischem Wohlbefinden) stärker als bisher in den Mittelpunkt der praktisch-politischen Arbeit zu rücken. Eine Reihe von Volkskrankheiten, wie Adipositas, Diabetes mellitus II, Erkrankungen des Stützund Bewegungsapparates, des Herz-KreislaufSystems und des Nervensystems könnten – wenn schon nicht endgültig verhindert – Jahre hinaus aufgeschoben werden. Damit würde auch die Pflegebedürftigkeit nach der Kompressionsmorbiditätsthese (= nur wenige Jahre in schlechter Gesundheit, erst wesentlich später eintreten. Pflegegeldzahlungen sowie Leistungen der mobilen oder stationären Einrichtungen könnten beachtlich vermindert werden. Bei der medizinischen Rehabilitation sollte endlich eine einheitliche Zuständigkeit 10 der Pensions-versicherungsträger nicht nur für Aktive und Invaliditätspensionisten, sondern in gleicher Weise auch für die Alterspensionsbezieher normiert werden, damit diese nicht den finanziellen Nöten der sozialen Krankenversicherungsträger, die zum Teil sehr restriktiv vorgehen, ausgesetzt wären. Im Übrigen sollte – wie bereits im Behindertenkonzept 1992 und vom Gesetzgeber 1994 beabsichtigt – endlich ein Rechtsanspruch auf die medizinische Rehabilitation eingeräumt werden, wie ihn auch bereits in den letzten Jahren der Oberste Gerichtshof zwecks Nachprüfbarkeit des Ermessens mit einigen Entscheidungen verlangt hat. Der bessere Zugang zur Altersrehabilitation könnte ebenfalls Pflegebedürftigkeit sehr oft nach hinten verschieben. Gesundheitliche Versorgung für ältere Menschen – Versorgungsziel subjektive Gesundheit und Lebensqualität und Sicherstellung eigenständiger Lebensführung. Gesundheitliche Versorgung älterer Menschen meint zukünftig weit mehr als nur die bedarfsgerechte Behandlung von Krankheiten. Vordringliche Versorgungsziele müssen der Erhalt und die Förderung von subjektiver Gesundheit und Lebensqualität und die Unterstützung des Wunsches nach Versorgung in der gewohnten häuslichen Umgebung sein. Hier ist nebst materiellen Verbesserungen auch verstärkt die soziale Inklusion in den Mittelpunkt zu stellen, Auf Altersmorbidität bezogene Leitlinien und Standards. Notwendig erachtet werden patientengerecht und verständlich formulierte evidenzbasierte, multi-professionell erarbeitete Leitlinien und Standards für geriatrische Krankheitsbilder, sowie deren verbindliche, flächendeckende Umsetzung in den Verträgen mit den verschiedenen Leistungsanbietern. Es gilt, neben Ergebnisqualität auch den Erhalt der subjektiven Gesundheit und von Lebensqualität, sowie eine autonome Lebensführung sicherzustellen. Spezielle DMPs sind für die Behandlung geriatrischer Erkrankungen zu entwickeln und verpflichtend in die Praxis einzuführen. Die verschiedenen Gesundheitsprofessionen sind im Rahmen von Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen zu schulen. Fokussierung auf chronische Erkrankungen, Multimorbidität und vorhandene Präventionsund Rehabilitationspotenziale. Grundvoraussetzung für eine bedarfs- und bedürfnisgerechte gesundheitliche Versorgung Älterer ist die Überwindung des herrschenden Medizinerverständnisses. Dessen Versorgungsphilosophie, ebenso wie die darauf aufbauenden Handlungslogiken ist weitgehend immer noch auf Kuration durch Medikation ausgerichtet. Die somatische Fixierung medizinischen Handelns – die insbesondere im Krankenhaussektor häufig organzentriert ist – muss durch Versorgungskonzepte ersetzt werden, die an irreversiblen chronischen Erkrankungen sowie an Multimorbidität 11 ausgerichtet sind und auf Erhaltung bereits beeinträchtigter Gesundheit bzw. auf die Vermeidung ihrer Verschlimmerung zielen. Das gesamte Gesundheitsversorgungssystem muss zu einem präventiven und gesundheitsfördernden Gesundheitssystem umstrukturiert werden. Altersgruppendifferenzierung und gruppenbezogene Schwerpunktsetzungen. Gesundheitspolitik und -professionen müssen sich verstärkt auf Veränderungen in der Zusammensetzung der älteren Patienten einstellen. Es wird mehr Ältere mit Zuwanderungsgeschichte und dementsprechendem kultur-sensiblem Behandlungs- und Betreuungsbedarf geben. Die gesundheitliche Versorgung demenziell Kranker muss dringend verbessert werden. Die stark wachsende Zahl sehr alter, häufig zudem noch allein lebender älterer Menschen verlangt nach Maßnahmen, die auf Erhalt von autonomer Lebensführung zielen und sie aus ihrer sozialen Isolation herausführt und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Integrierte Versorgungsstrukturen Integrierte Versorgung ist im Hinblick auf den demografischen Wandel dringend in die Regelversorgung einzuführen, wobei die Pflege mit einzubeziehen ist. Hierzu bedarf es einer ausreichenden Anschubfinanzierung. Es werden Versorgungspakete benötigt, in denen auf kommunaler Ebene neben medizinischen auch soziale und pflegerische Angebote wohnortnahe integriert sind. Pflege- stützpunkte – hier sind in erster Linie die Gemeinden gefordert – welche hinkünftig im Rahmen des Finanzausgleiches besser zu dotieren sind - müssen Information und Versorgungsorganisation übernehmen. Es sollen multiprofessionelle Teams flächendeckend etabliert werden, dazu ein transsektorales Case - Management für die individuelle Fallsteuerung in den drei Sektoren ambulant, stationär und rehabilitativ. Wichtige Voraussetzung ist die Überwindung der vielfältigen Barrieren für eine bessere Zusammenarbeit der verschiedenen Gesundheitsberufe. Aus-, Fort- und Weiterbildung der Gesundheitsprofessionen und Ausbau der gesundheitlichen Versorgungsforschung. Geriatrische und gerontologische Qualifikation soll für alle Gesundheitsprofessionen, speziell aber Hausärzte und Pflege zur Pflicht werden. Als Grundvoraussetzung ist die gesundheitliche Versorgungsforschung auszubauen. Die zwischenzeitliche Möglichkeit, dass auch Allgemeinmediziner das Additivfach Geriatrie absolvieren dürfen, ist der erste Schritt in die richtige Richtung. Erklärtes Ziel ist es jedoch, dass hinkünftig eine Ausbildung zum Facharzt für Geriatrie gesetzlich verankert wird. Bedarfsgerechtigkeit für besondere gesundheitliche Versorgungssituationen Ambulante ärztliche Versorgung Allgemeinarztpraxen sind die wichtigsten Orte der Primärversorgung älterer Menschen und daher auszubauen. Dadurch 12 lässt sich die kostenträchtige Mehrfachbehandlung durch Fachärzte begrenzen. Wegen der multiplen Versorgungserfordernisse bei Älteren sind Gruppenpraxen und eine multirofessionelle Teamunterstützung geboten. Um honorarbedingte Leistungsrationierungen zu vermeiden, sind Qualitätszuschläge für besonders schwierige Fälle zu zahlen. Stationäre Krankenhausversorgung Erforderlich sind die Verbesserung der geriatrischen Qualifikationen aller Berufsgruppen, der Übergang in geriatrisch-rehabilitative nach-stationäre Versorgungsformen und lokale Verbundysteme zur Sicherstellung der nachgehenden Versorgung. Spezifische Lösungen für an Demenz erkrankte Menschen sind zu entwickeln, die die Betroffenen, die Mitarbeiter und die Angehörigen durch soziale Dienste mit einbeziehen. Unverzichtbar ist die geriatrische Rehabilitation, schwerunktmäßig im ambulanten Bereich. Dies erfordert die Überwindung bestehender Finanzierungsprobleme. Pflegerische Versorgung Der häuslichen Pflege kommt angesichts des zu erwartenden Anstiegs von Pflegefällen eine besondere Bedeutung zu. Es gilt, die ambulante Pflege qualitativ und quantitativ weiterzuentwickeln und zu differenzieren. Dies gilt speziell für demenziell Pflegebedürftige. Das unterstützungswürdige Primat der häuslichen Pflege steht und fällt mit der Bereitschaft der Angehörigen, diese zu übernehmen. Für die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Pflege sind die bereits bestehenden und durchaus herzeigbaren Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln z.B. Tagesund Urlaubspflege. Im stationären Pflegeereich gilt es, die institutionalisierte Kooperation zwischen Heimen und niedergelassenen Ärzten zu befördern und die Versorgung in den Heimen zu verbessern. Palliativversorgung Für die ambulante und stationäre Palliativversorgung müssen die bereits vorhandenen Versorgungsstrukturen flächendeckend auf- und ausgebaut werden. Dabei sollte das Engagement der Hausärzte besser für tragfähige Versorgungskonzepte genutzt werden. Anreiz steigernd könnte u.a. eine Überarbeitung der Vergütung wirken, z.B. bei Gesprächsleistungen und Hausbesuchen. Aus- und Fortbildungsangebote sind zu schaffen, wobei auch hier die Angehörigen von Betroffenen mit einzubeziehen sind. Der Pensionistenverband Vorarlberg ersucht, den Antrag und die Anregungen für eine verbesserte medizinische Versorgung älterer Menschen in hinkünftige legistische Maßnahmen verbindlich zu implementieren. 13