Allgemeine Neurosenlehre Neurose – neurotische Störung Definition Neurose (-; -osis*) f: 1. Bez. für eine psych. Störung, die nicht auf einer Erkrankung. des Nervensystems beruht; 2. (psychoanalytische) Bezeichnung für eine psychische Störung, die inf. eines verdrängten frühkindliche (Psychoneurose) oder aktuellen (Aktualneurose) psychodynamischer Konflikts entsteht und mit psychischen bzw. somatischen Symptomen. einhergeht (bei fließenden Übergängen zw. neurot. Merkmalen Gesunder u. neurot. Störungen von Krankheits- u. Behandlungswert); Formen: Angstneurose*, Charakterneurose*, Hysterie*, Konversionsneurose*, Organneurose*, Zwangsneurose*, neurot. Depression* u. a.; Therapie: Psychotherapie, insbes. wenn die Neurose intrapsychisch nicht integrierbar ist und Leidensdruck bzw. Therapiemotivation der Betroffenen bestehen. Neurosen sind überwiegend psychogen und nur zum geringeren Teil somatisch bedingt die pathologische Abweichung von der Norm ist eher „quantitativ“ als „qualitativ“ (dazu später mehr) i.d.R. ist die soziale Einordnung erhalten die Störung steht mit gestörten Entwicklungs- und Lernprozessen der Lebensgeschichte in kausalem Zusammenhang 1980 ist das Neurosenkonzept fallen gelassen worden und durch den Begriff der neurotischen Störung ersetzt worden. (3. Auflage des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders, kurz: DSM-III) Auch die 10. Auflage der „international Classification of Deseases (ICD-10) kennt nur noch die “neurotische Störung Psychoanalytische Neurosentheorie ist die klassische medizinische Neurosenlehre (mit Ätiologie, Pathogenese, Symptom, Diagnose, Prognose und Therapie) Verhaltenstheoretisches Neurosenverständnis ist ein ganz anderes. Sie sieht das neurotische Fehlverhalten als die Krankheit bzw. Störung selbst an. (was ja in der psychoanalyt. Neurosenth. nur das Symptom wäre!) !!! Symptom weg = Störung beseitigt Tiefenpsychologische Grundbegriffe S. Freud (1856 – 1939) entwickelte die Psychoanalyse. Diese beschäftigt sich mit unbewussten Phänomenen und wird deshalb auch Tiefenpsychologie genannt. Heute unscharfer Terminus für Arbeitsweisen, die sich auf unbewusste und psychodynamische Vorgänge beziehen. Begriffklärung: Strukturelles Persönlichkeitsmodell Über-Ich Gewissen, „Ich-Ideal“ Es triebhafte Grundbedürfnisse Ich Vermittlungsfunktion zwischen Es und Über-Ich gestaltet im Wesentlichen die individuellen Unterschiede, die wir als Charakterunterschiede wahrnehmen ergänzend dazu wurden später zur Erfassung von Selbstwertkonflikten folgende Begriffe entwickelt: Selbst Regulierung des Selbstwertgefühls Selbstannahme oder -ablehnung Identität das ungebrochene Gefühl des Menschen er selbst sein zu dürfen z.B. gestört bei Persönlichkeitsstörungen Unbewusste bereits im alltäglichen Leben vorhanden je neurotischer der Mensch, desto mehr bekommt das Unbewusste Übergewicht Logik des Unbewussten Primärvorgang (Lustprinzip) Denkweise des sehr jungen Kindes, existiert jedoch auch beim Erwachsenen im Schatten des Sekundärvorgangs weiter, kann wieder hervortreten 1. beim Gesunden: z.B. in Träumen 2. beim Kranken: am typischsten in der paranoid-halluzinatorischen Psychose Verdichtung und Verschiebung von Denkinhalten Zeitlosigkeit Fortfall der wachen Logik Sekundärvorgang (Realitätsprinzip) logisch syntaktisch zeit- und realitätsbezogen Viele Patienten mit neurotischen Störungen werden stark vom Lustprinzip gesteuert und haben eine gestörte Beziehung zu den Erfordernissen der Realität. (Kulturkritisch: Spaßgesellschaft) Konzept von Konflikt und Internalisierung Konflikt Der Kern der psychoanalytischen Neurosenvorstellung ist der Begriff des Konfliktes. Die Psychoanalyse sieht in den neurotischen Störungen Kompromissbildungen, Lösungsversuche, Folgezustände von reaktivierten, unbewussten, infantilen Konflikten. Ein Konflikt wird durch mindestens zwei einander widerstrebende Tendenzen hervorgerufen. Es entsteht eine Spannung zwischen zwei unvereinbaren Wünschen / Motiven Reaktivierung infantiler Konflikte 1. es besteht ein aktueller Konflikt 2. früher (in der Kindheit) bestand ein ähnlich strukturierter Konflikt, der in Beziehung zu dem gegenwärtigen steht Ist der alte Konflikt gelöst, so kann die der aktuelle unabhängig davon gelöst werden. Sind sie aber ungelöst und somit potenziell pathogen, können sie durch Reaktivierung als neurotische Störungen klinisch manifest werden. Internalisierung (Verinnerlichung) Klinisches Beispiel: eine 30-jährige Patientin schildert während einer psychoanalytischen Sitzung, dass es ihr am Vorabend schlecht gegangen sei. Ihre Kinder hätten im Kinderzimmer getobt, sie hätte sich darüber sehr geärgert, dann sei sie in das Kinderzimmer gestürzt und habe angefangen, die Kinder anzubrüllen. Doch während sie dies tat, sei ihr ganz plötzlich das Bild ihres eigenen Vaters aufgestiegen, wie es seinerzeit in ihre Kinderzimmer stürzte und seine Kinder anschrie. Zu ihrem Entsetzen, so berichtet die Patientin weiter, sei ihr schlagartig klar geworden dass sie die damaligen Beschimpfungen durch den Vater mit den gleichen Worten, dem gleichen Tonfall und der gleichen Gestik gegenüber den eigenen Kindern reproduzierte. Zwischen diesen beiden Vorgängen lagen über 20 Jahre. Die Frau verließ das Zimmer rasch, ging auf die Toilette und übergab sich. Bei diesem Sachverhalt handelt es sich um Internalisierung. Das Bild vom anderen (oft Eltern oder Geschwister) wird aufgenommen und intrapsychisch stark verankert. I.d.R. wissen wir nichts von diesen „fremden Persönlichkeitsanteilen“, die wir in uns aufgenommen haben. Sie sind Teil unserer Identität geworden. Deshalb spricht man auch von Identifizierung. Die Internalisierung ist ein komplexer Vorgang bei dem Einstellungen, Beziehungen, Haltungen, Verhaltensmuster und vieles mehr von außen nach innen verlegt werden. Art und Qualität der Identifizierungsangebote entscheiden mit über Art und Qualität des heranreifenden Ich. Die Internalisierung geht nicht nur von den bewussten, sondern auch von den unbewussten Wünschen und Einstellungen der Eltern aus. Internalisierungen werden umso rigider und unbeweglicher, je mehr die soziale Umwelt in der sie stattfindet mit Liebesentzug arbeitet. Eine freundliche, entspannte soziale Umwelt, die Kritik und Ablehnung von Bereichen dieser Umwelt gestattet, bietet größere Freiräume zur Persönlichkeitsentwicklung. Zur Entstehung von „Ich-Stärke“ (psychischer Gesundheit) ist ein Identifizierungsangebot notwendig, das von Menschen ausgeht, die ihre Konflikte überwiegend nicht pathologisch verarbeitet haben. zurück zu Fallbeispiel: 1. Erkennung der eigenen Internalisierung als Erfolg der Psychoanalyse 2. Erbrechen als psycho-somatische Reaktion auf den jetzt als Fremdkörper erlebten Persönlichkeitsanteil. “Sich-Auskotzen“ (meist im übertragenden Sinne) Externalisierung Wo ist hier der Konflikt? Auf der einen Seite stehen immer sie Impulse des Individuums. (Hierbei handelt es sich vor allem um emotionale Grundbedürfnisse, je jünger der Mensch/das Kind ist, desto mehr um physiologische Grundbedürfnisse. Anna Freud (Tochter von Siggi) formulierte drei Kategorien von Konflikten: äußere Konflikte Konflikte mit der sozialen Umwelt innere Konflikte Konflikte zwischen endogenen Grundbedürfnissen (z.B. Liebe und Hass) weitgehend umweltunabhängig verinnerlichte Konflikte Konflikte zwischen sich widersprechenden internalisierten Tendenzen Arbeitskreis OPD 2001 (Arbeitskreis Operationalisierter Psychodynamischer Diagnostik) hat eine inhaltliche Klassifikation von pathogenen Konflikten formuliert: Abhängigkeit versus Autonomie Unterwerfung versus Kontrolle Versorgung versus Autarkie Selbstwertkonflikte (Selbst- versus Objektwert) Schuldkonflikte (egoistische versus prosoziale Tendenzen) Ödipal-sexuelle Konflikte Identitätskonflikte (Identität versus Dissonanz) Quelle: Hoffmann / Hochapfel Neurotische Störungen und psychosomatische Medizin