Ethnosoziologie ETHNOSOZIOLOGIE Ethnosoziologie befasst sich ganz allgemein mit dem Zusammenleben der Menschen, somit mit der Art und Weise, in der soziale Beziehungen konstituiert werden und der Art und Weise, wie diese Beziehungen in den verschiedenen Gesellschaften konzeptualisiert sind. Die sich ständig änderten Schwerpunktsetzungen innerhalb der Ethnologie spiegeln sich natürlich auch in den diversen Definitionen der Teildisziplin „Ethnosoziologie“ wieder. Im deutschen Sprachraum wurde die Beschäftigung mit den sozialen Aspekten der menschlichen Existenz (z.B. die Untersuchung von Verwandtschaftsbeziehungen, Organisation sozialer Gruppen, etc.) lange Zeit hindurch mit dem Label „Ethnosoziologie“ versehen und damit von anderen Teildisziplinen auch terminologisch unterschieden. „social anthropology“ (britisch) / „cultural anthropology“ (nordamerikanisch) 1) Themen der Ethnosoziologie Eine der grundlegenden Annahmen war die Prämisse, dass es in den nicht-industrialisierten Gesellschaften vor allem die Verwandtschaft ist, die soziale Beziehungen determiniert (=begründet, rechtfertigt). Eine weitere Grundannahme (v.a. der älteren ethnosoziologischen Forschung) war die Annahme, dass ein direkter Zusammenhang zwischen den verwandtschaftsterminologischen Systemen und der Sozialstruktur besteht. Daher wäre nach dieser Annahme die Analyse der jeweiligen Termini praktisch ein Schlüssel zum Verständnis des Sozialsystems. Nach damaliger Auffassung handelt es sich bei diesen Gesellschaften (Jäger und Sammler) um geschlossene Gesellschaften, im Gegensatz zu Industriegesellschaften, welche als offene Gesellschaften gesehen wurden. Durch die Globalisierung ließ sich diese Annahme aber nicht aufrecht erhalten, und man musste sich auch mit an die Gesellschaft angrenzenden sozio-politischen Einheiten befassen (Städte, Staaten, Weltwirtschaft). Migration, Nation Building und Ethnizität wurden ein Thema. Konkret: Traditionelle Themen: Verwandtschaft, Deszendenz (=Abstammung), Heirat, Verwandtschaftssysteme, Verwandtschaftstermini, Familie und Haushalt, Sozialisation des Individuums, Rechtsvorstellungen, diverse andere Formen der Sozialorganisation (wie Altersklassen, Kasten, etc.), politische Organisation (Horde, Stamm, Häuptlingstum, Big Men, Staat). Neue Schwerpunkte: Gender-Beziehungen, ethnische Beziehungen, Nation Building, Fragen der sozialen Reproduktion, Individuum und Gesellschaft, Identität der Person und der Gesellschaft, sozialer Status, Staat und Gesellschaft, etc. 2) Verwandtschaft (=Kinship) Allgemeine Anmerkungen: Die Untersuchung der Verwandtschaftsbeziehungen war in der Ethnologie lange Zeit ein großes Thema. Laut Schusky ist das Studium der Verwandtschaft auch für die moderne Anthropologie signifikant, und zwar aus folgenden Gründen: 1. Theorien des menschlichen Verhaltens können getestet werden. (z.B. Beziehung zwischen Glauben oder idealem Verhalten eines Volkes und seinem tatsächlichen Verhalten). 2. Historische Rekonstruktion 3. Kinship in vielen Gesellschaften die Basis für das Verhalten, daher unerlässlich. 4. Analyse der Bedeutung führte zu einem neuen Verständnis der Weltsicht der Leute. Begriff Verwandtschaft: Im engeren Sinn: Form der sozialen Beziehung, deren Modell die Eltern-Kind-Beziehung ist. Vorstellung der Verwandtschaft beruht also auf der Biologie der Reproduktion, aber auf einer durch die Kultur interpretierte Biologie. ( konsanguin) Im weiteren Sinn: Begriff Verwandtschaft schließt auch angeheiratete Personen ein. ( affinal) Eine dritte Möglichkeit (neben konsanguin und affinal) wären die fiktiven Verwandtschaftsbeziehungen (z.B. durch Adoption). 1 Ethnosoziologie Zusammenfassung Kinship: Konzept der Verwandtschaft eng verbunden mit kulturell definierten Vorstellungen der Etablierung von Beziehungen (durch Blutsbande, durch Teilhaben an anderen Substanzen, durch Besiedlung eines gemeinsamen Territoriums). Blutsverwandte: = konsanguin / „Bande des Blutes“ / blood relatives (engl.) Deszendenz: = Abstammung / Descent (engl.) / descendance (franz.) Affinalverwandte: = angeheiratet / Affines (engl.) / alliés (franz.) Verwandtschaftsdiagrammen und Verwendung von 3) Zeichnen von Abkürzungssystemen (Notationssystemen) Verwandtschaftsdiagramme spielen eine große Rolle in den Kinship Studies, da sie die oft recht komplizierten Beziehungen verständlicher darstellen können. Gehört zum „Handwerkszeug“ eines Ethnologen. Als Basis und Ausgangspunkt wird meistens immer die Eltern-Kind-Beziehung gesehen. (=Kernfamilie). Innerhalb dieser Kernfamilie sind zunächst 3 unterschiedliche Beziehungen gegeben: 1. Heiratsbeziehung Mann – Frau (affinal) 2. Eltern-Kind-Beziehung (konsanguin) 3. Geschwister-Beziehung (konsanguin) Auf dieser Grundlage lassen sich nun 8 grundlegenden Verwandtschaftstypen (primary kin types) herausfiltern: Vater (father) Va, Fa, F Mutter (mother) Mu, Mo, M Ehemann (husband) Ma, Hu, H Ehefrau (wife) Fr, Wi, W Bruder (brother) Br, Br, B Schwester (sister) Sw, Si, Z/S Sohn (son) So, So, S/s Tochter (daughter) To, Da, D Mit diesen 8 Grundtypen lassen sich auch komplexe Verwandtschaftsbeziehungen darstellen, wie zum Beispiel Großvater, Tochter des Onkels mütterlicherseits, etc. Die genauen genealogischen Positionen können nun dargestellt werden. Außerdem können sich Unterschiede in der sozio-ökonomischen oder politischen Relevanz bestimmter Beziehungen gegenüber anderen darstellen lassen. Was allgemein zu beachten ist: Damit alle EthnologInnen diese Diagramme verstehen und richtig interpretieren können, ist ein möglichst einheitliches System notwendig. Nur so lassen sich Daten schnell und effektiv auswerten und vergleichen. Man sollte darauf achten, bei der einmal gewählten Form zu bleiben und nicht innerhalb ein und desselben Diagramms in der Form zu wechseln (Bsp: Beim Vater 1.Grades „Va“ schreiben, und beim Vater 2.Grades dann „Fa“). Darstellung der wichtigsten Abkürzungssymbole und Notationssysteme: Es gibt eine Reihe von Möglichkeiten. Im Folgenden sind die wichtigsten Abkürzungen in deutsch und englisch dargestellt. 2 Ethnosoziologie Abkürzungen im Deutschen Vater Mutter Bruder Schwester Sohn Tochter Ehemann Ehefrau Kreuz-Vetter Kreuz-Base Parallel-Vetter Parallel-Base älter als jünger als Va Mu Br Sw So To Ma Fr KV KB PV PB ä j Kind Ki Abkürzungen im Englischen Father Mother Brother Sister Son Daughter Husband Wife male Cross-Cousin female Cross-Cousin male Parallel Cousin female Parallel Cousin elder younger male female Sibling Nephew Niece Parent Child Spouse In-law Grandfather Grandmother Grandparent Fa Mo Br Si So Da Hu Wi CC Cc PC Pc e y m f Sb Ne Ni Pa Ch Sp La Gf Gm Gp F M B Z oder S S oder s D H W C E* * E abgeleitet vom französischen Épouse. Beispiele für komplexe Darstellungen: Vater-Bruder-Tochter-Sohn VaBrToSo Mutter-Bruder-Sohn-Sohn MuBrSoSo Abweichungen: Es gibt auch einige Besonderheiten: Parents Pa Spouse Sp / E Child Ch In-Laws La Sibling Sb Darstellung des Alters: ä = älter / e = elder j = jünger / y = younger FaBrDaSo MoBrSoSo FBDS MBSS Verwendung von Groß- und Kleinschreibung: Großbuchstaben für die gleiche oder höhere Generation von Ego, Kleinschreibung für die niedrigere Generation unter Ego. Manchmal kann auch das Geschlecht einer Person oder das relative Alter Beispiele: gegenüber Anderen von Relevanz sein. Br (e) = älterer Bruder Si (y) = jüngere Schwester Geschlecht: Manchmal ist das Geschlecht dafür ausschlaggebend, wie man einen Verwandten bezeichnet. Z.B. nennt manchmal ein männlicher Ego seinen Mutter-Bruder (=Onkel) anders als ein weibliches Ego es tun würde. Um das graphisch darzustellen, schreibt man einfach vor die jeweilig betroffene Bezeichnung ein kleines „m“ (male speaker) oder ein kleines „f“ (female speaker). Bsp: mMoBr Mutterbruder aus männlicher Sicht fMoBr Mutterbruder aus weiblicher Sicht 3 Ethnosoziologie Im Französischen: Père Mère Frère Soeur Fils Fille Mari Homme Épouse Ep Cousin croisé Cousine croisée Cousin parallel CP Cousine parallèle Pe für Vater Me für Mutter Fr für Bruder Sr für Schwester Fs für Sohn Fe für Tochter Ma für Ehemann bzw. Ho für Ehemann für Ehefrau CC für Kreuz-Vetter Cc für Kreuz-Base für Parallel-Vetter Cp für Parellel-Base Zeichnen von Verwandtschaftsdiagrammen: 1 Eine männliche Person wird durch ein Dreieck bezeichnet: 2 Eine weibliche Person wird durch einen Kreis bezeichnet: 3 Eine Person, deren Geschlecht nicht spezifiziert ist, wird durch ein Quadrat bezeichnet: 4 Deszendenz (d. h. die Abstammungsbeziehung, wie z. B. von Eltern zu Kindern) wird durch eine vertikale Linie bezeichnet: 5 Kodeszendenz (d. h. gemeinsame Abstammung, wie im Falle von Geschwistern) wird durch eine horizontale Linie mit nach unten gehenden vertikalen Linien bezeichnet: 6 Eine Ehe wird entweder (a) durch eine horizontale Linie mit nach oben gehenden vertikalen Linien: Oder (b) durch ein Gleichheitszeichen bezeichnet: = Fixpunkt Ego: Wichtig, um Unklarheiten zu vermeiden. Graphisch wird Ego meist durch Ausfüllen des jeweiligen Ego-Symbols dargestellt. 4 Ethnosoziologie Regeln beim Zeichnen: Ausgehend von Ego werden die Verwandten entsprechend ihrer Beziehung zu Ego im Diagramm dargestellt. Wichtig sind hierbei der Generationsabstand zu Ego und die exakte Beziehung Egos zu den jeweiligen Verwandten (linear oder kollateral). Links von Ego sind prinzipiell immer die älteren und rechts von Ego immer die jüngeren Geschwister aufgezeichnet. Kollaterale Verwandte Egos: Cross-Cousins werden in einem Diagramm am äußersten linken bzw. rechten Rand von Ego lokalisiert. Damit wird die Gruppierung der parallel cousins mit den Geschwistern betont. Generationsunterschied: Die graphisch über Ego liegenden sind die älteren, die unter Ego liegenden die jüngeren Generationen. Man nennt die darüber liegende die „aufsteigende“ und die darunter liegende die „absteigende“ Generation. Man kann die Generationen auch numerisch bezeichnen, wobei es hier 2 Hauptformen gibt: Klassifizierung nach Schmitz: aufsteigende Generationen werden mit römischen Ziffern und die absteigenden mit arabischen Ziffern nummeriert. Klassifizierung nach Vivelo: Ego-Generation ist 0, aufsteigende mit + und absteigende mit – dargestellt. (Sprich: Kind von Ego ist die Generation „-1“.) Modifikationen beim Zeichnen: Es gibt heute noch weitere Bezeichnungen, die in einem Diagramm von Wichtigkeit sein können, wie zum Beispiel, ob jemand verstorben, verwitwet oder geschieden ist. 4) Gliederungsprinzipien für die Verwandten: 1) Nach der Art der Verwandtschaftsbeziehung: Differenzierung in Bluts- und Affinalverwandte 2) Nach dem Grad der Verwandtschaft: Gliederung in Verwandte ersten, zweiten etc. Grades 3) Nach dem Generationsabstand: Gliederung in Aszendenten (Vorfahren) und Deszendenten Gliederungsprinzipien für die Blutsverwandten: Ausgehend von der „Eltern-Kind-Beziehung“ kann zwischen linearen und kollateralen Verwandten unterschieden werden. Ausgehend von der Definition, dass lineare Verwandte jene Personen sind, von denen man in direkter Linie abstammt und jene Personen, die von einem selbst abstammen, gehören folgende Personen zu den linearen Verwandten Egos: Vater, Mutter, Vater-Vater, Mutter-Mutter, Mutter-Vater, Vater-Mutter, Sohn, Tochter, SohnSohn, Sohn-Tochter, Tochter-Sohn, Tochter-Tochter. Kollaterale Verwandte sind hingegen die Geschwister der Vorfahren von Ego und deren Nachkommen (z.B. Vater-Bruder, Vater-Schwester, Mutter-Bruder, Mutter-Schwester, Vater-Vater-Bruder, MutterMutter-Schwester, etc. etc.). „Linear“ wird auch oft als „direkt“ bezeichnet. „Kollateral“ wird manchmal auch „ablineal“ genannt. Differenzierung in Parallel- und Kreuzverwandte: = Differenzierung in gleichgeschlechtliche und andersgeschlechtliche Verwandte. Unter den kollateralen Verwandten Egos lassen sich nun sowohl Parallel-Onkeln und -Tanten sowie Parallel-Vettern und –Basen wie auch Kreuz-Onkeln, Kreuz-Tanten, Kreuz-Vettern und Kreuz-Basen unterscheiden. Die Differenzierung der kollateralen Verwandten in Parallel- und Kreuzverwandte ist eines der Hauptkriterien bei der Typologisierung der verwandtschaftsterminologischen Systeme. Diese Differenzierung ist ebenfalls wichtig bei der Klassifikation der Heiratsformen (z.B. bildet die CrossCousin-Marriage die Basis der Allianztheorie und der Theorie der „elementaren Strukturen“ von LeviStrauss. 5 Ethnosoziologie Zusammenfassend: Ego´s Parallel-Cousins sind somit die folgenden Personen: VaBrTo, VaBrSo, MuSwTo, MuSwSo Ego´s Cross-Cousins sind demnach dann die folgenden Personen: MuBrSo, MuBrTo, VaSwSo, VaSwTo Als Abkürzungsymbole werden die folgenden Kürzel verwendet (vgl. Ausführungen oben): Parallel-Base deut.: PB engl.: Pc Parallel-Vetter PV PC Kreuz-Base KB Cc Kreuz-Vetter KV CC im Französischen: Cousin croisé CC für Kreuz-Vetter Cousine croisée Cc für Kreuz-Base Cousin parallel CP für Parallel-Vetter Cousine parallèle Cp für Parellel-Base Beim Zeichnen (siehe z.B. Abb.15, oben) werden dafür die folgenden Kürzel verwendet: // für Parallel-Verwandte X für Kreuz- bzw. Cross- Verwandte Differenzierung in matri- und patrilateral: Ego ist wie vorher schon erwähnt durch seine Eltern mit einer Reihe von Personen (nämlich den Verwandten der Eltern) verwandt. Dieses Netzwerk wird als „Kindred“ bezeichnet. Bezüglich dieser Verwandten kann nun wiederum eine Differenzierung in patri-laterale und matrilaterale Verwandte vorgenommen werden. Achtung: matri-lateral und patri-lateral darf nicht mit matri-linear und patri-linear verwechselt werden. Patri-lateral: bezeichnet einen Verwandten auf der Seite des Vaters. Matri-lateral: bezeichnet einen Verwandten auf der Seite der Mutter. Patri-linear: Die Deszendenz wird nur durch die männlichen Vorfahren weitergegeben. Matri-linear: Die Deszendenz wird nur durch die weiblichen Vorfahren weitergegeben. VERWANDTSCHAFTSTERMINI UND VERWANDTSCHAFTSTERMINOLOGISCHE SYSTEME Klassifikation der Verwandtschaftstermini: Carl A. Schmitz „Grundformen der Verwandtschaft“ Unterscheidung in drei Bezugsebenen: Nach der Art des Gebrauchs (z.B. Adress- und Referenzterminologie) Nach der linguistischen Struktur Nach der genealogischen Reichweite der Anwendung 1) Nach der Art des Gebrauchs: Man unterscheidet hier weiter in 2 Arten: Referenz-Termini: werden herangezogen, wenn jemand einen Verwandten gegenüber einer dritten Person bezeichnen will, z.B. mein Vater. Adress-Termini: Ego spricht hier direkt einen Verwandten an. Bei der Aufnahme der Verwandtschaftstermini ist es wichtig, sowohl Referenz- als auch Adresstermini vollständig aufzunehmen, ebenso ist auf Alter und Geschlecht zu achten, um eine vollständige Datenerhebung zu garantieren. 6 Ethnosoziologie 2) Nach der linguistischen Struktur: Man unterscheidet hier weiter in 3 Arten: Elementare Termini: Bezeichnung ist nur ein Wort (Vater, Mutter, Bruder...) Abgeleitete Termini: adjektivistischer Zusatz (Großvater, Schwiegermutter...) Beschreibende/Deskriptive Termini: mehrere zusammengesetzte elementare Termini 3) Nach der genealogischen Reichweite der Anwendung der Termini: Man unterscheidet weiter in: Denotative Termini: Bezeichnet eine Kategorie von Verwandten, die hinsichtlich der Generation, dem Geschlecht und der genealogischen Beziehung zu Ego eine homogene Einheit bilden (Schwester, Bruder). Klassifikatorische Termini: auf Personen angewandt, die zwei oder mehr verschiedene Kategorien von Verwandten angehören und sich hinsichtlich der Generation, dem Geschlecht und der genealogischen Beziehung von Ego unterscheiden (Onkel, Schwager...). Weitere Klassifikationsmöglichkeiten der Verwandtschaftstermini: Neben den oben genannten 3 Bezugsebenen gibt es noch weitere Kriterien, die bei der Bildung von Verwandtschaftstermini wichtig sind: 1. Kriterium der Generation 2. Kriterium des Geschlechts 3. Kriterium des angeheirateten Status (Affinität) 4. Kriterium der Kollateralität Geschichte der Untersuchung der verwandtschaftsterminologischen Systeme: Beschäftigung mit Verwandtschaftsterminologie reicht bis in die Frühzeit der Ethnologie zurück. Der wahre Begründer des Studiums der „Relationship Terminologies“ ist nach allgemeinem Konsens Lewis Henry Morgan. Als Grundlage für seine Analyse der Verwandtschaftstermini, die er in dem Buch „Systems of Consanguinity and Affinity of the Human Family“ veröffentlichte, dienten ihm seine eigenen Feldforschungsdaten, die er unter nordamerikanischen Indianern, vor allem den Iroquesen gesammelt hatte, sowie Fragebögen, die er an Missionare und amerikanische Konsule in der ganzen Welt verschickte, und die dazu dienen sollten, Informationen über Verwandtschaftsterminologien zur Verfügung zu haben. Klassifikation in deskriptive und klassifikatorische Systeme nach Morgan Deskriptiv: = Terminologien, in denen die direkten (linearen) Verwandten von den kollateralen (also allen übrigen Blutsverwandten) unterschieden werden. Klassifikatorisch: es wird keine solche Unterscheidung vorgenommen. Hier wird eine große Zahl von genealogischen Positionen mit dem gleichen Terminus belegt. Zum Beispiel werden Vater und VaterBruder mit dem selben Terminus angesprochen, was man „Merging“ nennt. Kritik an Morgans Schema: Es wurde kritisiert, dass oft deskriptive und klassifikatorische Termini gleichzeitig parallel auftreten können, daher einen Gegenüberstellung nicht ganz korrekt ist. Morgan glaubte außerdem, dass man an der Art der Verwandtschaftstermini die Entwicklungsstufen einer Gesellschaft rekonstruieren kann, was ebenfalls stark kritisiert wurde. Klassifikationsschema nach Kroeber Bald wurde deutlich, dass Morgans Einteilung in direkte und kollaterale nicht ausreicht. Kroeber fand insgesamt 8 wesentliche Unterschiede: 1. different or same generation 2. lineal or collateral relation 3. relative age within same generation 4. sex of relative 5. sex of speaker 6. sex of person who is a link between 7 Ethnosoziologie 7. consanguine or affinal 8. whether a linking relative is dead or alive Besonders Kroebers Unterscheidung zwischen Kreuz- und Parallel-Verwandten erwies sich als besonders bedeutsam. Wie untersucht man Verwandtschaftstermini? Beste Möglichkeit: Erst einmal ein abgekürztes genealogisches Netzwerk zeichnen, welches aus 2 Generationen besteht, nämlich aus Egos und aus der 1. aufsteigenden Generation, also Egos Eltern und deren Geschwister. Weiters sollen alle Geschwister von Ego sowie alle Parallel- und Kreuzcousins enthalten sein. Damit erhält man 16 Verwandtschaftstypen, welche abhängig vom System nach unterschiedlichen Kriterien bezeichnet werden können. Definition von „Kinklasse“ und „Kintyp“: Kintyp = Jeder Verwandte, der sich von anderen durch irgend eins der Verwandtschaftskriterien unterscheidet. Kinklasse = fasst diejenigen Kintypen zusammen, die in einer Gesellschaft mit dem gleichen Terminus belegt werden. Unterschied zwischen den beiden: Während Kintypen etischer Natur sind, sind Kinklassen emisch. Kinklassen gibt es jeder Kultur so viele, wie es Verwandtschaftstermini gibt, Kintypen sind nicht kulturgebunden und in unbegrenzter Zahl denkbar. Klassifikationsschema nach Lowie: Verfeinerung der Taxonomie: Untersuchung von Egos Terminologie für die Geschwister der Eltern („parental siblings“). Auf Basis der beiden Unterscheidungen nach Morgan (direkt und kollateral) und den Unterscheidungen nach Kroeber (parallel und cross) konnte Lowie 4 Idealtypen erkennen, wobei er sich auf die Bezeichnungen für die Frauen der 1. aufsteigenden Generation bezog. Generational Lineal Bifurcate Merging Bifurcate Collateral Lineare Systeme: Wenn die Mutter mit einem anderen Terminus als die Mutter-Schwester oder VaterSchwester, für welche es jedoch einen gesammelten Begriff gibt. Generationale Systeme: nur Geschlecht und Generation spielen eine Rolle. Es gibt also nur einen Terminus für alle Frauen einer Generation. Bifurcate Merging: Mutter und Mutter-Schwester werden mit dem selben Begriff bezeichnet, aber die Vater-Schwester mit einem anderen. Diese Terminologien unterscheiden die maternalen und paternalen Verwandten. Differenzierung zwischen den Parallel- und den Kreuzverwandten auf der patrilateralen und der matrilateralen Seite statt. Gleichzeitig werden auf jeder Seite die Parallelverwandten mit diesen linearen Verwandten gleichgesetzt. Bifurcate Collateral: Sowohl eine Unterscheidung zwischen den patrilateralen wie den matrilateralen Verwandten als auch eine Unterscheidung zwischen den linearen und den kollateralen auf beiden Seiten. Es gibt daher separate Termini für die Mutter, die Mutter-Schwester und Vater-Schwester, sowie für den Vater, den Vater-Bruder und den Mutter-Bruder. Klassifikationsschema nach Murdock: Eine weitere Verfeinerung der Taxonomie konzentrierte sich auf die Analyse der Termini für die Cousins und Geschwister. Murdock bezog sich hierbei auf die Bezeichnungen für die Cousins und 8 Ethnosoziologie Geschwister Egos. Auf dieser Basis stellte er sodann 6 Haupttypen von Verwandtschaftssystemen auf. Hawaii, Eskimo, Iroquois, Omaha, Crow und Sudanesisch. Lineal (Eskimo Typus) Generational (Hawaii Typus) Bifurcate Collateral (Sudan Typus) Bifurcate Merging: (Iroquois, Crow, Omaha) Murdock versuchte auch, die verwandtschaftsterminologischen Systeme mit anderen Faktoren wie Heiratsform, Deszendenzordnung, Heiratswohnfolge, Erbregelung etc. in Verbindung zu bringen. TERMINOLOGIEN MURDOCKS 1) Eskimo: Geschwister werden von Cousins unterschieden, aber es gibt keine Unterscheidung zwischen Parallel- oder Kreuz-Cousins. Schusky liegt ein Hinweis vor, dass es sich bei Eskimo-Gesellschaften um bilaterale Verwandtschaftsysteme handelt. 2) Hawaii: Kommt sowohl unter hochgradig stratifizierten staatlichen Gesellschaften wie auch unter Jägern und Sammlern vor. Im Hawaii-System wird vor allem der Generationsunterschied betont. Genau wie das Eskimo-System wird das Hawaii-System oft mit Bilateralität verbunden, jedoch kommt auch Unilateralität vor. Generell sollten Gesellschaften mit Hawaii-System eher cognatische als unilineare Deszendenzgruppen haben. 3) Sudan: im Vergleich zu den anderen Systemen ziemlich selten. Hier werden die meisten Unterscheidungen vorgenommen. Jeder Vetter und jede Base erhält einen eigenen Terminus und wird von den Geschwistern separiert. Patrilaterale und matrilaterale Linien werden terminologisch genau differenziert. Oft in Zusammenhang mit segmentären LineageSystemen. 4) Vorbemerkung zu Iroquois, Crow und Omaha: alle auf dem Prinzip des bifurcate merging, das heißt es handelt sich um Systeme, wo der VaBr mit dem Va und die MuSw mit der Mu terminologisch gleichgesetzt wird. Murdock konnte hier beobachten, dass dort wo diese Gleichsetzung zwischen Egos Eltern und den Parallelverwandten stattfindet, sich diese Verwandten in der gleichen Kategorie wie Egos Eltern befinden, es dann auch logisch ist, dass ihre Kinder in die gleiche Kategorie wie Egos Geschwister fallen. 4.1. Iroquois: Es werden Parallel- und Kreuz-Cousins unterschieden, Geschwister oft mit den Parallel-Cousins gleichgesetzt. Bilaterale Systeme laut Schusky. Häufig in Verbindung mit symmetrischer Kreuz-Cousin-Heirat. 4.2. Crow: Häufig in matrilinearen Gesellschaften. Bifurcate Merging Prinzip ist Hauptcharakteristikum. Des Weiteren das Querstellen der Generationen (=Skewing) beim Benennen der Kreuz-Cousins, wobei hier nach Geschlecht des Sprechers unterschieden wird. Viele meinen, das Crow- und das Omaha-System wären Weiterbildungen des Iroquois-Systems. Wichtige Betonung der Linearität. Das Geschlecht Egos ist interessant. Das Crow-System wurde u.a. als Ergebnis der matrilinearen Deszendenzgruppe angesehen. 4.3. Omaha: Meist als beinahes Spiegelbild der Crow-Kinship-Systeme gesehen. Es folgt der gleichen Logik, außer dass die Abstammungslinien eher über die Männer als über die Frauen gehen. Kommen daher eher in patrilinearen Gesellschaften vor. Hauptcharakteristikum ist auch hier das bifurcate merging und das Querstellen der Generationen (Skewing). Auch das Geschlecht Egos spielt eine Rolle. Verbreitung der einzelnen Typen: Im Ethnographischen Atlas laut den Angaben von Harris (1971) 597 Gesellschaften. Davon: Sudan Typus Eskimo-Typus Hawaii-Typus Iroquois-Typus 9 7 71 251 166 Ethnosoziologie Crow/Omaha-Typus 102 AUFNAHME VON VERWANDTSCHAFTSTERMINI UND GENEALOGIEN Wir erhalten durch die Verwandtschaftstermini Hinweise auf die emischen Kategorisierungen sozialer Beziehungen (wer als Verwandter betrachtet wird, wer nicht...). Für den Ethnologen lassen sich viele wichtige Dinge aus der Verwandtschaft ablesen. Die einzelnen Termini müssen vollständig dokumentiert sein. Es ist sowohl die Verwendung der einzelnen Termini in der Referenz- und Adressterminologie (sowohl aus der männlichen wie auch aus der weiblichen Sicht) zu dokumentieren, wie auch die genealogische Reichweite der jeweiligen Termini zu erheben. Weiters wichtig ist die linguistische Struktur der einzelnen Termini, welche analysiert werden muss. Man geht am besten so vor, als würde man Vokabel sammeln. Man notiert die einzelnen Begriffe für Bluts- und Affinalverwandte, gibt die Generation an, notiert unter der Verwendung der oben genannten Notationssymbole die wichtigsten Beziehungen. Am besten beginnt man mit simplen Grafiken und Skizzen. Genealogie: sowohl für Ethnologen wie auch für die von ihm untersuchte Gruppe ein wichtiges Werkzeug. Die in der Genealogie postulierten Verbindungen sind die Basis für bestimmte Rechte und Pflichten, für Mitgliedschaft und Status bestimmter Personen. Strukturelle Amnesie: 2 komplementäre bzw. gleichlaufende Prozesse: Das Vergessen bestimmter Vorfahren (jung gestorben, wenig Nachkommen, geringe Partizipation am sozialen Leben, Leben war inhaltslos...) Die sich auf bestimmte Ahnen beziehende spezielle Rückerinnerung und deren konsequente Erhöhung (Erreichen eines hohen Alters, bedeutender sozialer Status, erfolgreiche Führerschaft im Krieg, rituelle Seniorität...) Beim Vergessen von Vorfahren gibt es verschiedene Varianten: 1. „telescoping“: verschiedene männliche Namen von Ahnen verschwinden aus der Genealogie. Dadurch wird die Generationszahl reduziert bzw. gleich gehalten. 2. Fusion von Namen (innerhalb einer Generation) 3. Auslöschung von Linien durch Fusion kollateraler Linien Genealogie vs. Stammbaum (Pedigree): Genealogie (laut Barnes) = genealogische Aussagen des Ethnologen als Teil seiner Feldforschung oder deren Analyse. Stammbaum = Aussage der Leute, die vom Ethnologen untersucht werden. Stammbaum Genealogische Darstellung, die mündlich, graphisch oder schriftlich durch eine handelnde Person oder einen Informanten vorgebracht wird. Zeitgenössische Darstellung, die Behauptungen über die Verbindungen zwischen Personen, von welchen die meisten bereits verstorben sind, enthält. Die Art und Weise der Bildung von Stammbäumen wird durch die kulturelle Umwelt der handelnden Personen bestimmt. Genealogie Genealogische Darstellung, die von einem Ethnographen als Bestandteil seiner Feldforschung bzw. deren Analyse gemacht wird. Der Ethnograph sucht festzustellen, wie die Verbindungen zwischen diesen Personen während ihres Lebens und wie diese jetzt gesehen werden. Die Erstellung von Genealogien wird durch wissenschaftliche Erfordernisse bestimmt. Diese Unterscheidung zwischen „Stammbaum“ als kulturgebundener Deszendenzideologie und „Genealogie“ als einem wissenschaftlich rekonstruierten System wirklicher Abstammungsbeziehungen entspricht der zwischen „emics“ und „etics“ der sogenannten Ethnoscience. Beispiel für einen Stammbaum/Pedigree und eine Genealogie: 10 Ethnosoziologie Stammbäume sind sozio-zentrisch-unilineare, von integrativen Ahnen (apical ancestors) ausgehende Genealogien und haben die Gestalt einer Pyramide. Eine vom Ethnologen angefertigte Genealogie, deren Ausgangspunkt ein Informant (Ego) ist, ist demgegenüber egozentrisch-kognatisch und nimmt daher die Form einer auf den Kopf gestellten Pyramide an. Welche Informationen kann man erhalten? Vorteil: man kann neben genealogischen Verbindungen auch die durch die Verwandtschaftsstruktur bedingten Grenzen des genealogischen Wissens (strukturelle Amnesia) erfasssen. Was eine Genealogie alles sein kann (laut Barnes): 1) einfache Transliteration (Umschreibung) eines Stammbaums 2) Erhebung der genealogischen Kenntnisse eines Informanten 3) Konstrukt eines Ethnologen 4) Aufnahme aller bekannten Verbindungen, die eine Personengruppe abgegeben hat. Welche Informationen die Genealogie beinhalten sollte (laut Barnes): Namen / Geschlecht Geburtsdatum / Jahr Zeitpunkt d. Heirat Zeitpunkt d. Scheidung Residenz Heiratsart Beschäftigung Andere persönliche Merkmale Auswertung der genealogischen Informationen: Es ist nützlich, eine Datenbank anzulegen, da man oft hunderte oder tausende Daten zu untersuchen hat. 1. Überprüfung der separaten genealogischen (freien) Berichte, und der Kompatibilität der genealogischen Berichte der einzelnen Informanten mit denen anderer Informanten. 2. Die Reichweite genealogischen Wissens und auch die durch die Verwandtschaftsstruktur bedingten Schwerpunksetzungen“ und Grenzen des genealogischen Wissens („structural amnesia“) können festgestellt werden. 3. Das Interesse (Desinteresse) der jeweiligen Informanten an Genealogien und die unterschiedlichen genealogischen Kenntnisse der Mitglieder innerhalb einer ethnischen Gruppe werden manifest. 4. Aus den verschiedenen Genealogien können verschiedenartigste demographische Informationen gewonnen werden. 5. Ferner können Genealogien zur Analyse der Migration dienen. 6. Aus dem Vergleich mehrerer Genealogien kann das durchschnittliche Heiratsverhalten mittels statistischer Prozentsätze bestimmt werden und damit fundierte Aussagen über den Charakter der Affinalbeziehungen zwischen den lineages gemacht werden. 7. Genealogien können bereits in der Feldforschung für eine handlungsorienierte „case study“ eingesetzt werden: Handelnde, die bei einem Streit bzw. einer Zeremonie, während der Arbeit oder in einer Diskussion etc. beobachtet werden, sind nicht mehr nur „Erwachsene“, Dorfgenossen“ oder „Mitstreiter“/„Gegner“ etc. sondern werden durch den Ethnographen als feststellbare und einzigartige Individuen gesehen; 8. Ein weiterer Nutzen der während der Feldforschung erhobenen Genealogien liegt in einer geplanten Selbststeuerung des Verhaltens des Ethnographen im Feld, insbesondere in einer gezielten Informantenpolitik. FORMALE ANALYSE DER VERWANDTSCHAFTSTERMINOLOGISCHEN SYSTEME Ziel: Reduktion der komplexen Muster eines gegebenen terminologischen Systems in das kleinste mögliche Set logischer Regeln. Eine exemplarische formale Analyse würde einem Fremden mit dem 11 Ethnosoziologie Minimum an notwendiger Kenntnis für die Anwendung jedes Terminus in einem System ausstatten, in einer Art und Weise, die von den Mitgliedern einer Kultur als angemessen betrachtet werden würde. Componential Analysis = eine der erfolgreichsten Versuche, formale kognitive Regeln zu liefern. Begründer: Goodenough und Lounsbury. Es geht darum, den Sinngehalt zu erhellen und die bedeutungsdifferenzierenden Faktoren herauszuarbeiten. Bedeutung der Componential Analysis: Eignet sich in idealer Weise für das Studium der relationship terminology, sowohl wegen der Präzisioon der Klassifikation auf diesem Gebiet wie auch wegen der soziologischen Bedeutung einer solchen Unterscheidung. Kritik an der Componential Analysis: Burling meinte, der Nutzen dieser Art von Analyse sei begrenzt, weil sie die kulturellen und linguistisch relevanten Dimensionen nicht umfasst. Diverse Notationsversuche: Z.B. zur Analyse der Bedeutung von „Aunt“ könnte laut SCHUSKY nun folgendermaßen vorgegangen werden. aunt = MZ MBW FZ FBW Man würde nun festgestellt haben, daß in der US amerikanischen Terminologie sowohl weibliche wie männliche Sprecher den Terminus in der gleichen Art und Weise benutzen. Diese Beziehungen könnten auch anderes als wie oben illustriert (MZ, MBW etc.) dargestellt werden. Es könnten folgende Symbole verwendet werden: „m“ für männlich „f“ für weiblich „x“ für den Fall, daß das Geschlecht kein Kriterium ist -eine einfache Linie zeigt die Konsanguinität = eine doppelte Linie die Affinität eine „relative Position“ zeigt die Generation an. Notationssystem von Romney: Kurz zusammengefaßt, sieht das System so aus: a Individuum mit unspezifischem Geschlecht m männliches Individuum f weibliches Individuum = repräsentiert Heiratsbeziehung + repräsentiert Elternbeziehung repräsentiert Kindbeziehung = repräsentiert Geschwisterbeziehung (nur zwischen Geschwistern mit gleichen Eltern) repräsentiert Beziehung zu einem älteren Geschwist repräsentiert Beziehung zu einem jüngeren Geschwist k genealogischer Zusammenhang zwischen Ego und seinen Verwandten == kann geschrieben werden als DARSTELLUNG DER BILDUNG VON GRUPPEN, INSBESONDERE VON VERWANDTSCHAFTSGRUPPEN Die 2 Begriffe Sozialstruktur und Sozialorganisation wurden in der Literatur oft synonym verwendet, jedoch gibt es feine Unterschiede zwischen den beiden. Soziale Gruppen und Gruppenbildung: 12 Ethnosoziologie Soziale Gruppen können auf verschiedene Art konstituiert werden. Auf der Grundlage bestimmter sozial relevanter Merkmale, die Personen miteinander verbindet, können Individuen konzeptuell zu Gruppen zusammengefasst werden. Mitgliedschaft in einer sozialen Kategorie ist Berechtigung für Mitgliedschaft in einer Gruppe (laut Keesing). Gliederung sozialer Gruppen: Können nach verschiedenen Gesichtspunkten konstituiert werden. Ein Mensch allein kann nie eine Gruppe bilden. Laut SCHMITZ kann man die sozialen Gruppen nach folgenden Gesichtspunkten gliedern: 1. Die personelle Zusammensetzung 2. Die Organisation innerhalb der Gruppe 3. Die Wohnordnung (Residenz) 4. Die Integration der Gruppe 5. Die Funktionen der Gruppe 6. Die Grade des Gruppenbewußtseins Kernfamilie als Modell der Kinship: Innerhalb der Kernfamilie sind zunächst 3 unterschiedliche auf der Affinalität und Blutsverwandtschaft (bzw. Deszendenz) basierende Beziehungen gegeben, nämlich: a) Heiratsbeziehung zwischen einem Mann und einer Frau b) Beziehungen zwischen Eltern und ihrem Kind/ihren Kindern c) Beziehungen zwischen Geschwistern Verwandtschaftsbeziehungen: Entsprechend dem bislang festgehaltenen können die folgenden Arten von Verwandtschaftsbeziehungen und damit Gruppen von Verwandten differenziert werden: 1) Blutsverwandte: d.h. Personen, mit denen man über die Blutsverwandtschaft (Konsanguinität) verbunden ist. Daneben können aber auch andere Faktoren, wie z.B. gemeinsam konsummierte Nahrung etc., derartige Beziehungen konstituieren. In neuerer Zeit ist der Begriff der Konsanguinität ja stark kritisiert worden (vgl. z.B. HOLY 1996: S.11). Innerhalb der „Blutsverwandten“ kann wiederum eine weitere Spezifizierung vorgenommen werden, indem aus der Fülle von Blutsverwandten (z.B. die patrilinearen Verwandten) auf der Basis bestimmter Deszendenzregeln besondere Gruppen bilden. 2) Affinalverwandte: d.h. Personen, mit denen man durch Heiratsbeziehungen (Affinalität, Verschwägerung) verbunden ist. 3) Fiktive Verwandte: d.h. Personen, mit denen man durch fiktive Verwandtschaftsbeziehungen (z.B. Adoption, Patenschaften etc.) verbunden ist. Die Gruppenbildung auf der Basis verwandtschaftlicher Beziehungen liegen somit im Wesentlichen bestimmte Vorstellungen über die Schaffung von Zugehörigkeit zugrunde, z.B. Konsanguinität und andere Formen der gemeinsamen Substanz, diverse Deszendenzregeln und Formen der Schaffung von Heiratsbeziehungen / Heiratsallianzen. Blutsverwandtschaftsbeziehungen als Faktor der Gruppenbildung: In jüngerer Zeit ist dieser Ansatz aus mehrerlei Gründen zunehmend in Frage gestellt worden: 1) Es gibt eine Reihe von Gesellschaften, wo andere Faktoren als das Blut wesentlich sind um „Gemeinsamkeit“ zu schaffen. 2) Es gibt ganz unterschiedliche Konzepte über die Zeugung von Menschen. 3) Die Eltern-Kind-Beziehungen muss nicht notwendigerweise auf der biologischen Elternschaft basieren. Kindred als eine Ego-zentrierte soziale Gruppe: 13 Ethnosoziologie Jede Kindred ist in ihrer Zusammensetzung einzigartig, bezieht sich immer auf ein ganz spezifisches Ego. Kindreds sind somit keine den Deszendenzgruppen vergleichbaren kooperativen Gruppen, sondern sie sind Gruppen, die für ein bestimmtes Ego bedeutsam sind und deren Mitglieder Ego als gemeinsamen Verwandtenhaben, der nicht zugleich ihr Ahn ist. Der ego-zentrische Charakter der Kindred hat nun mehrerlei Konsequenzen: 1) Mit Ausnahme von Vollgeschwistern haben keine anderen 2 Personen in einer Gesellschaft die gleiche Kindred, d.h. die Zusammensetzung der einzelnen Kindred, die ja auf Ego bezogen ist, variiert sehr stark. Die Kindreds der verschiedenen Individuen in derselben Gesellschaft sind also voneinander verschieden. Einzig Vollgeschwister haben dieselbe Kindred. Man kann sich die Kindreds vielleicht am einfachsten als eine Vielzahl von einander überschneidenden Kreisen denken, wobei ein Individuum (Ego) im Zentrum jedes derselben steht. 2) Auf der Basis der Kindred lassen sich keine dauerhaften sozialen Gruppen bilden. Da alle Personen zu vielen verschiedenen Kindreds gehören, können Kindreds nur bei besonderen Gelegenheiten als Gruppen kurzfristig aktiv werden, z.B. bei den Übergangsriten des Ego. Abstammung als wesentliche Kategorie der Gruppenbildung: Laut Keesing war es eine essentielle Innovation, dass nun eine neue soziale Kategorie definiert wurde, durch welche die Gruppenzughörigkeit festgelegt wurde. Diese soziale Kategorie bezog sich nun nicht mehr auf eine lebende Person (Ego) wie in der Kindred, sondern auf einen Vorfahren (Ancestor). Das Netzwerk der Kindred konnte somit besser eingegrenzt werden und klar definierte soziale Einheiten geschaffen werden. Es wurden also bestimmte Abstammungsregeln (=descent rules) entwickelt, die festlegten, wer Mitglied in einer bestimmten sozialen Kategorie ist und wer nicht. 2 Hauptarten von Deszendenz: 1. unilineare Deszendenzregeln: Es wird aus dem Spektrum von Egos Verwandten jeweils nur eine Linie für die Abstammungsberechnung als relevant angesehen (entweder über Männer oder über Frauen). 2. cognatische Deszendenzregeln (auch bilateral oder nicht-unilinear genannt): Ego nutzt sowohl die männlichen als auch die weiblichen Verbindungen, um seine Abstammung abzuleiten. Hier ist die Abstammung allerdings nicht so eindeutig, und Gruppen können sich hier häufig auch aus anderen Faktoren zusammenschließen (Heiratsallianz, Residenz, Vererbung...). Begriff Deszendenz: In seiner allgemeinsten ethnologisch relevanten Bedeutung bezeichnet Deszendenz den kulturell anerkannten genealogischen Zusammenhang zwischen einer Person und irgendeinem seiner Vorfahren, gleich welchen Geschlechts. Die Bedeutung, die der Abstammung in vielen Gesellschaften beigemessen wird, kommt u.a. dadurch zum Tragen, dass die Deszendenz oftmals als wesentliche Konstituente der Verwandtschaft angesehen wurde (wobei es auch Gesellschaften gibt, wo Abstammung keine Rolle spielt). Der Begriff selbst hat in der Ethnologie je nach theoretischer Ausrichtung eine recht unterschiedliche Bedeutung und Verwendung gefunden, wobei er auch nicht klar von anderen Begriffen abgegrenzt wurde. Es kristallisierte sich weiters eine eigene theoretische Richtung heraus, die „Deszendenztheorie“. In der britischen Sozialanthropologie wird seit den Arbeiten von Meyer Fortes eine Unterscheidung zwischen Descent und Filiation gemacht. Descent = Beziehungen, die sich über mehr als 2 Generationen erstrecken. Ein descent ist immer ein Nachfolger, also ein Verwandter in absteigender Linie. Filiation = bezieht sich auf die sozial anerkannte Beziehung zwischen Eltern und Kindern und bezieht sich auf die Beziehungen innerhalb der „häuslichen Sphäre“. Komplementäre Filiation: Begriff von Meyer Fortes eingeführt, und bezieht sich das Faktum, dass in Gesellschaften mit unilinearen Deszendenzgruppen die Leute nichtsdestotrotz Kinship Links mit Verwandten anerkennen, die nicht zu ihrer eigenen Deszendenzgruppe gehören. In Gesellschaften mit patrilinearen 14 Ethnosoziologie Deszendenzgruppen haben die Individuen auch wichtige sozial-definierte Bande mit den Mitgliedern ihrer mütterlichen Familie und umgekehrt. Unterschied zwischen Verwandtschaft und Deszendenz nach Keesing: Kinship 1.Defined with reference to an individual (ego) or pairs of individuals. 2.Universally important. 3.Normally bilateral, from the standpoint of an ego. 4.Kinship relationships are relative; you are a son or a nephew only in relation to some particular person. Descent 1.Defined with reference to an ancestor (or ancestress). 2.Culturally recognized only in some societies. 3.Connections (through relatedness to a common ancestor) only a limited class of Ego´s relatives. 4.Descent status is, in a sense, absolute. You are, or are not, a member of a particular descent group. Es gibt auch viele Gesellschaften, die keine Deszendenzregeln kennen, d.h. in keiner bestimmten Art der verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen Ahnen und ihren Nachkommen eine besondere rechtliche, rituelle, etc. Bedeutung zumessen. Vom Begriff der Verwandtschaft is t derjenige der Deszendenzgruppe wohl zu unterscheiden. Damit hat es folgendes auf sich: Oftmals werden Personen auf dem Wege kulturell definierter Abstammungsbeziehungen bestimmte Rechte, Pflichten und Privilegien bezüglich verschiedener Aspekte des sozialen Lebens zugesprochen. Solche Aspekte betreffen Name, Familienzusammensetzung, Wohnort, Rang, Eigentum und auch ggf. ethnische, bzw. nationale Identität. Allein die Tatsache der Geburt in eine solchermaßen definierte Deszendenzgruppe bedingt die Teilhabe an den genannten Aspekten. Klassifikation der Deszendenz nach Keesing: patrilineal oder agnatic descent matrilineal oder uterine descent cognatic descent Klassifikation der Deszendenz nach Bargatzky: unilineare Deszendenz kognatische Deszendenz Doppelte Deszendenz Klassifikation der Deszendenz nach Vivelo: Patrillineare/Agnatische Deszendenz Matrilineare/Uterine Deszendenz Doppelte Deszendenz Parallel Deszendenz Ambi-lineare oder optative Deszendenz Kognatische oder Bilaterale Deszendenz Unilineare Deszendenz Es wird jeweils nur eine Linie für die Berechnung von Egos Abstammung als relevant angesehen. Ego führt seine Abstammung also entweder nur über die Männer oder nur über die Frauen auf einen real existiert habenden oder einen fiktiven Ahnherrn bzw. eine Ahnfrau zurück. 2 Arten der unilinearen Deszendenz: Patrilinear: bezieht sich auf eine Linie von Verwandten, die durch Männer miteinander verwandt sind. 15 Ethnosoziologie Matrilinear: bezieht sich auf eine Linie von Verwandten, de durch Frauen miteinander verwandte sind. Allgemeine Merkmale: Obwohl in unilinearen Sytemen die Abstammung nur in einer Linie abgeleitet wird, zählen auch die Personen des jeweils anderen Geschlechts zur Abstammungsgruppe. Auf Basis der unilinearen Deszendenz lassen sich leicht eindeutig definierte Gruppen konstituieren. „Lineage“ nennt man Abstammungsgruppen, die auf der Basis der unilinearen Abstammung gebildet werden. Mitglieder führen ihre Abstammung entweder auf einen gemeinsamen Ahnherrn oder eine gemeinsame Ahnfrau zurück ( patrilineages und matrilineages). Die Abstammung liefert die ideologische Grundlage, auf der sich ein ausgeprägtes Solidaritätsgefühl entwickelt, welches bewirkt, dass sich die Gruppen als Einheit fühlen. Eine solche Gruppe hat bestimmte Rechte und Pflichten, nach denen sich ihre Mitglieder richten müssen. Unterschied zwischen Lineage und Klan: Im Falle des Klans lässt sich keine genealogische Beziehung (wie bei einer Lineage) exakt nachweisen. Solche Linien, welche die gemeinsame Abstammung von einem Ahn nicht mehr nachweisen können, aber dennoch der Überzeugung sind, einen solchen gemeinsamen Vorfahren zu haben, bezeichnet man im Allgemeinen als Klan. Totemistischer Klan: leitet sich auf bestimmte Tiere zurück (z.B. Hirschkuh). Als Gruppentypen haben Lineage und Klan allerdings viele Gemeinsamkeiten auf: unilineare Deszendenz Bildung von Lokal- od. Residentiellgruppen Können korporierte Gruppen sein Beide können exogam sein. Beide haben häufig Gruppentabus. Umfassen usprünglich Mitglieder beiderlei Geschlechts. Wenn man als Kind geboren wird, ist man also automatisch Mitglied in einer Lineage oder einem Klan. Gibt es allerdings beispielsweise die Exogamie als Regel in dieser Gruppe, dann muss ein Geschlecht die Gruppe durch Herausheirat verlassen (bei patrilinear die Frauen und umgekehrt). Stamm: Der Begriff Stamm bzw. Stammesgruppe (tribale Gruppe) hat eine Reihe von Bedeutungen, auf die hier nicht näher eingegangen werden soll. Bezüglich des Stamms ist u.a. darauf einzugehen, dass auch hier oft ein genealogischer Bezug hergestellt wird. Auch der Stamm ist seinerseits wieder in eine Reihe von Segmenten gegliedert, die oft als primäre, sekundäre, tertiäre Segmente bezeichnet werden. Die tatsächliche, alltägliche Kooperation bzw. das tatsächliche gemeinsame Agieren der Mitglieder als „corporate group“ bezieht sich oft nur auf die unteren Ebenen, z.B. die Ebene der LineageZugehörigkeit. Konföderation: Solche Stämme können sich wiederum zu Konföderationen zusammenschließen, wobei dann auch oft versucht wird, retrospektiv eine gemeinsame Genealogie der einzelnen in der Konföderation zusammengeschlossenen Stämme zu konstruieren. Solche Konföderationen können, wie z.B. die ethnographischen Beispiele aus dem Iran zeigen, aus Stämmen unterschiedlichen ethnischen oder linguistischen Background formiert werden. Die Lineages weisen wie die Klans eine deutliche Tendenz zur Segmentation auf. Die Tendenz zur ständigen Opposition der einzelnen Lineages etc. wird wiederum als einer der Hauptgründe für das Fehlen starker politischer und militärischer Führer in diesen Stammesgruppen verantwortlich gemacht und auch als eines der Hauptprobleme für die Entstehung eines starken zentralistischen Staates betrachtet. Dazu kommt, dass in vielen tribalen Gesellschaften die Beziehung der einzelnen Mitglieder auf dem Prinzip der Egalität basiert. 16 Ethnosoziologie Gliederung der Gesellschaft in Moieties: Liegt dann vor, wenn die gesamte Gesellschaft auf der Basis einer unilinearen Deszendenzregel (patrilinear oder matrilinear) in zwei Hälften (=Moieties) gegliedert ist. Im Allgemeinen sind diese Moieties exogam, d.h. ein Individuum muss seinen Partner immer aus der anderen Hälfte suchen. Z.B. ein Mitglied der Moiety A muss seinen Partner aus der Moiety B suchen und vice versa. Gesellschaften, die eine Gliederung in Moieties besitzen, wird in der Ethnologie auch der Begriff Dual-Organisation bzw. Dualsystem verwendet. Die Gliederung in Moieties kann sehr komplex sein, z.B. können sich mehrere MoietyKlassifikationen überlagern. Ein Individuum kann für verschiedene Belange unterschiedlichen Moieties angehören (Heirat, Ritual, etc.). Sektionensysteme: Sektionen-Systeme (4-Sektionen, 8-Sektionen, 16-Sektionen Systeme) können auch als „KlassenSystem“ bezeichnet werden und stellen eine Erweiterung der Moiety-Organisation dar. Kommen vor allem bei den Aborigines in Australien vor. Beispiel: 4-Sektionen-System der Kariera: Kariera sind ein kleines Sammler- und Jägervolk, welches entlang der NW-Küste Australiens lebt. Jeder Mann und jede Frau gehören zu einer von 4 benannten Klassen, die in der Literatur als Sektionen bezeichnet werden. Er oder sie ist demnach entweder Karimera, Burung, Palyeri oder Banaka. Diese 4 Sektionen sind in 2 Gruppen gegliedert. Die eine Hälfte besteht aus Karimera- und Burung-Männern (Typ1), die andere Hälfte aus Palyeri- und Banaka-Männern (Typ2).Die verschiedenen lokalen Gruppen sind jeweils schachbrettförmig über das Territorium verteilt. Ob man innerhalb einer Hälfte zur einen oder anderen Sektion gehört, entscheidet die Generation. Jede Generation ist wechselnd in der jeweils anderen als die vorherige Generation. Heiratsregel: Ein Mann muss eine Frau aus der jeweils anderen Hälfte, aber aus der gleichen Generation heiraten. Beispiel: 8-Sektionen-System der Aranda: Hier werden die Sektionen wiederum zweigeteilt, so dass insgesamt 4 Typen von „Horden“ entstehen. Auch dieses System ist wieder mit Cross-Cousin Heirat verbunden, wobei durch diese spezielle Teilung unterschieden wird in Cousins 1. Grades und Cousins weiteren Grades. Ein Mann muss immer eine Cousins weiteren Grades heiraten, niemals die 1. Grades. Heiratsformen: Die unilinearen Deszendenzsysteme sind meist auch mit ganz bestimmten Heiratsformen verbunden, meist mit der Exogamie. Im Allgemeinen besteht ein Heiratsverbot mit Mitgliedern der gleiche Lineage. Spiegelgleich existiert jedoch auch ein Prinzip der Endogamie, welches besagt, dass Mitglieder der Gruppe den Ehepartner aus der meist umfangreicheren Deszendenzgruppe wählen sollen. Deszendenzgruppe und Lokalgruppe: Vielfach besteht die Tendenz, dass Mitglieder einer Deszendenzgruppe auch in unmittelbarer Nähe zueinander leben. Warum? Zum einen gibt es in den meisten Gesellschaften eine oftmals mit der Deszendenzregel korrespondierende Residenzregel, die festlegt, wo ein Individuum nach seiner Heirat leben soll. Solche Regeln werden als post-nuptiale Regeln oder Heiratswohnfolge-Regeln bezeichnet. Nicht nur auf der Ebene der Haushalte lässt sich diese enge räumliche Nachbarschaft der über Abstammung verwandten Personen erkennen. Eine ähnliche räumliche Nähe findet sich auch auf der Ebene der Lineage. Oftmals leben in Dörfern und / oder Nomadenlagern die Mitglieder einer Lineage in unmittelbarer Nähe. Unterschied zwischen Descent Group und Descent Based Local Group: Die obigen Beispiele vermitteln vielleicht den Eindruck, als ob die einzelnen Abstammungsgruppen einen Ort oder eine Region jeweils exklusiv bevölkern würden. In der sozialen Realität sind die Lokalgruppen und die Deszendenzgruppen jedoch nicht immer ident. Z.B. leben oft Angehörige mehrerer Deszendenzgruppen in einem Dorf. Häufig deckt sich die Abstammungsgruppe nicht mit dem Residenzmuster, d.h. die Mitglieder einer Deszendenzgruppe leben oftmals nicht geschlossen an 17 Ethnosoziologie einem einzigen Ort. Durch Migration, Konflikt, exogame Heirat, etc. leben ihre Mitglieder oft nicht mit den anderen, sondern in einem Gebiet einer anderen Deszendenzgruppe. Patrilineare Deszendenz: Auch agnatische Deszendenz genannt, ist die patrilineare Deszendenz eine Form der unilinearen Deszendenz, die nur über Männer abgeleitet wird. Zu beachten ist hier, dass obwohl die Deszendenz nur über die Männer erfolgt, auch die Frauen Mitglieder der patrilinearen Deszendenzgruppe sind. Auch Egos Schwestern, Töchter, Tanten sind Mitglieder von Egos Patrilinie. Es sind aber nur die männlichen, welche die Mitgliedschaft weitergeben können. Insgesamt ist die Patrilinearität die am häufigsten vorkommende Deszendenzform. Laut Murdocks Ethnographischem Atlas kommt sie in 44% der 565 Gesellschaften vor. Für diese statistische Dominanz werden v.a. ökologische und ökonomische Gründe verantwortlich gemacht. Patrilinearität kommt laut Keesing vor allem in pastoralen Gesellschaften mit einer männlich dominierten Arbeitsteilung und beträchtlicher Mobilität sowie in zahlreichen Gartenbau und Ackerbau treibenden Gesellschaften vor. Patrilinearität ist häufig mit der Formierung ganz spezifischer korporativen Deszendenzgruppen (Patrilineages und Patriklans) verbunden, des weiteren mit einem besonderen Geschlechterverhältnis (d.h. Mann-Frau-Beziehung) sowie einer besonderen Residenzform (der Patrilokalität). Beispiel Naher Osten: Prof. Dostal korrespondiert die Abstammungsideologie des „reinen Blutes“ mit einer Reihe von spezifischen Normen und Wertvorstellungen. Folgende 7 Faktoren sind seiner Meinung nach relevant: strenge Sexualvorschriften Wahrung der Abstammungsreinheit Separierung der Mädchen und verheirateten Frauen hoher Stellenwert der Jungfräulichkeit strenge Bestrafung bei Übertretung eines der Gebote Senioritätsprinzip hohe soziale Geltung der Ahnen Die Kontrolle der Frau und ihrer Reproduktionskraft ist von ganz besonderer Bedeutung für die Sicherung der Reinheit des Blutes und der Aufrechterhaltung der männlich dominierten Gesellschaftsordnung. Innerhalb der weiblichen Domäne besteht nun ebenfalls eine deutliche Hierarchisierung der Frauen (Ehefrau in der Hierarchie eines Haushaltes ganz oben). Patriarchat: Ein weiteres Merkmal patrilinearer Gesellschaften ist die segmentäre Lineage Organisation (segmentary lineage organization), die zahlreiche derartige Gesellschaften aufweisen. Das Konzept der segmentären Lineage Organisation wurde ursprünglich von Evans-Pritchard entwickelt. Hier mobilisieren sich im Wesentlichen descentbased Gruppen in bestimmten Situationen in Opposition zu anderen, vergleichbaren, aber genealogisch entfernteren Lineages. Die Ahnen und die Genealogien sind die Quelle der politischen Identität, die potentiell genauso umfassend ist wie die Ahnen einer Person. Zahlreiche Untersuchungen haben offen gelegt, dass trotz der besonderen Betonung der patrilinearen Abstammung und der sozio-ökonomischen und politischen Relevanz derselben, auch den Beziehungen zu den Verwandten der Mutter, d.h. der mütterlichen Patrilinie, eine große Bedeutung zukommt. Diese besitzt oft eine komplementäre Bedeutung. Die Bedeutung der mütterlichen Patrilinie wird des weiteren auch deutlich bei den polygynen Heiraten. Heiratsformen in patrilinearen Gesellschaften: Es besteht hier keine einheitliche Sichtweise. Für manche wird die Vater-Bruder-Tochter-Heirat (bintamm-Heirat) als ideale Heiratsform postuliert, für andere wird v.a. die Cross-Cousin Marriage als Idealform gesehen. Weitergabe der Patrilinie: 18 Ethnosoziologie Wenn keine Söhne geboren werden, können folgende Maßnahmen getroffen werden: Adoption eines Sohnes Erhalt der Linie durch ein matrilineares Zwischenstück (über die ambil-anak Heirat Matrilineare Deszendenz: Ebenfalls Form der unilinearen Deszendenz, die nur über Frauen abgeleitet wird. Wird auch als uterine Deszendenz bezeichnet. Zu beachten ist in Zusammenhang mit der Matrilinearität, dass, obwohl die Deszendenz nur über die Frauen erfolgt, auch die Männer Mitglieder der matrilinearen Deszendenzgruppe sind. Insgesamt ist die Matrilinearität wesentlich seltener anzutreffen als die Patrilinearität oder die Bilateralität. Laut Murdocks Ethnographischem Atlas waren lediglich 15% der von ihm angeführten Gesellschaften matrilinear. Matrilinearität kommt laut Keesing primär in Ackerbau treibenden Gesellschaften vor, wo die Frauen einen Großteil der landwirtschaftlichen Aktivitäten durchführen. Mutterrecht und primitives Matriarchat: Ursprünglich wurden die matrilinearen Gesellschaften, in denen die Deszendenz ja auf weibliche Vorfahren zurückgeführt wird, als Beleg für ein anfängliches „Mutterrecht“ oder primitives Matriachat angesehen. Insbesondere die frühen Evolutionisten hatten die Meinung vertreten, dass am Beginn der Menschheitsentwicklung die menschlichen Gesellschaften mutterrechtlich organisiert gewesen seien, d.h. die Gesellschaft durch die Frauen dominiert gewesen sei, und sich das Patriarchat erst später herausgebildet hätte. In Zusammenhang mit der Untersuchung matrilinearer Gesellschaften vermerkt KEESING, dass diese lange Zeit durch einen male Chauvinismus geprägt worden seien. Besonderheiten: Zu den Besonderheiten der matrilinearen Deszendenz zählt u.a.: die gleichmäßigere Bedeutung von Frauen und Männern in der Gesellschaft die besondere Stellung des Mutter-Bruders die Autoritäts- und Rollenkonflikte der Männern in ihrer Funktion als Vater und als Mutter-Brüder, d.h. als männliche Mitglieder der auf Matrilinearität basierenden Deszendenzgruppen die größere Flexibilität der sozialen Beziehungen. besondere interne Organisation Wie eingangs schon festgestellt wurde, handelt es sich bei den matrilinearen Gesellschaften nicht um Spiegelbilder der Patrilinearität. Es kommt hier nicht, wie dies in vielen patrilinearen Gesellschaften der Fall ist, zu einer Dominanz eines Geschlechts, hier der Frauen, und einer entsprechenden Deszendenzideologie. Männer haben auch hier eine große Autorität. Ein weiterer Unterschied ist, dass ein Mann, wenn er in eine Familie hineinheiratet, trotzdem noch immer zu seiner Matrilinie, von der er herkommt, dazugehört, mehr als zur neuen Familie. Seine Stellung und die damit verbundenen Aufgaben und Regeln in seiner Matrilinie bleiben auch nach der Heirat aufrecht. Diese Konstellation in matrilinearen Gesellschaften hat nun 2 Konsequenzen: 1) Es besteht ein permanentes Spannungsverhältnis zwischen der Liebe des Vaters zu den eigenen Kindern, über die der Mann keine Autorität hat und die nicht zu seiner Deszendenzgruppe gehören, und seiner Verantwortlichkeit für die Söhne und Töchter seiner Schwester, die er oft nicht aufzieht, die er aber kontrolliert. 2) Ein weiteres Spannungsverhältnis besteht zwischen den Ehepartnern selbst. Die Beziehung einer Frau zu ihrem Ehemann ist hier immer im Wettstreit mit ihren Beziehungen zu ihrem Bruder. Damit die Korporation fortdauert und stark ist, müssen ihre Beziehungen zum Bruder stärker sein als die zum Ehemann. 19 Ethnosoziologie Daher sind die Scheidungsraten laut Keesing wohl sehr hoch. Des Weiteren existiert zwischen den beiden Deszendenzformen auch ein Unterschied bezüglich der korporativen Einheiten (z.B. den Matrilineages). Hier besteht laut Keesing insbesondere für Gesellschaften mit matrilinearer Deszendenz und exogamer Heiratsregel ein großes Problem bei der Formierung von dauerhaften Korporationen. Residenzform: Laut Murdock in matrilinearen Gesellschaften: 29 % matrilokal (uxori-lokal) 25 % avunkolokal 16 % patrilokal 30 % andere Formen Beispiele für Matrilinearität und Matrilokalität sind die Hopi-Indianer und die Irokesen. Heiratsform: Auch in den matrilinearen Gesellschaften kommen häufig bevorzugte Formen der Heirat vor. Hier ist es insbesondere die patrilaterale Kreuzkusinen-Heirat, d.h. die Heirat mit der VaSwTo. Wie in den patrilinearen Gesellschaften, so gibt es auch in den matrilinearen Gesellschaften, die Tendenz zur Aufsplitterung, d.h. zur Segmentation. Insgesamt sind die matrilinearen Gesellschaften laut Harris weniger stabil. Dies trifft seiner Meinung nach insbesondere für die Kombination Matrilinearität und Matrilokalität zu. Ein besonderes Problem ist dabei die strukturell schwierige Beziehung in der ein Mann in Bezug auf seine eigenen Kinder und die Kinder seiner Schwester befindet. Die meisten matrilinearen Gesellschaften weisen Asymmetrien auf, die interne Spannungen schaffen und Konflikte verursachen. Doppelte Deszendenz: Beim Double Descent handelt es sich um Systeme, die sowohl patri-linear wie auch matri-linear organisiert sind. Double Descent kommt insgesamt nur in sehr wenigen Gesellschaften vor (laut Murdocks Atlas nur in 5% der 565 Gesellschaften). In solchen Gesellschaften gehört eine Person sowohl zur patri-linearen Deszendenzgruppe ihres Vaters, als auch zur matri-linearen Deszendenzgruppe ihrer Mutter. Beispiele hierfür sind die Yakö, Herero und die Yapese. Parallele Deszendenz: Die parallele Deszendenz ist eine Form der unilinearen Deszendenz, bei welcher Frauen ihre Deszendenz nur durch Frauen, Männer ihre Deszendenz nur durch Männer ableiten. Kommen sehr selten vor. Beispiele sind die Apinaye-Indianer Brasiliens. Kognatische Deszendenz: Beide Linien sind hier wesentlich. Eine Person kann sowohl zur Gruppe des Vaters als auch zur Gruppe der Mutter gehören. In der Realität kann man jedoch nicht alle damit verbundenen Rechte und Pflichten wahrnehmen, daher hat ein Ego darüber zu treffen, welchen Gruppen es de-facto anzugehören wünscht. Diverse Termini, die zur Bezeichnung dieser Deszendenzsysteme verwendet werden: Zu den am häufigsten verwendeten Begriffen zählen: cognatisch non-uni-lineal bilateral bilineal nicht-differenzierte Deszendenz 20 Ethnosoziologie Andere bisweilen verwendete Termini sind: - ambilateral descent - multilinear descent - optional descent - conical clan - ramified descent groups, bzw. „Ramage“ Insbesondere bilateral und non-unilineal wird oft als Synonym für kognatisch verwendet. 2 Hauptformen nach Harris: bilateral descent ambilineal descent Bilaterale Deszendenz oder Kognatische Deszendenz: Die häufigste Form der Anwendung der kognatischen Deszendenzregel stellt die bilaterale Deszendenz dar. Berühmte Beispiele sind Kwaio und Maori. Ambilineare Deszendenz: Im Unterschied zur bilateralen Deszendenz, die, wie in der obigen Definition zum Ausdruck kommt, gleichmäßig und symmetrisch über die maternalen und paternalen Linien erfolgt, nimmt Ego bei der ambilinearen Deszendenz eine Auswahl jener Vorfahren vor, auf die er / sie sich zurückführen möchte. Hier kann ein Individuum also wählen, ob es einer patrilinearen oder matrilinearen Deszendenz angehören möchte. Zusammenfassend kann bezüglich der kognatischen Deszendenz folgendes festgestellt werden: Bei der bilateralen oder kognatischen Deszendenz sind die Genealogien meist viel kürzer und im Prinzip, gehört eine Person zu so vielen kognatischen (oder ambilinearen) Deszendenzgruppen, wie sie/er bekannte Ahnen hat. Verteilung der Deszendenzformen: Laut Murdocks Atlas sieht die Verteilung der Deszendenz wie folgt aus: Descent Type Patrilineal Matrilineal Double and bilineal* Bilateral and other Gesamt Number of Cultures 248 84 28 205 565 % 44 15 5 36 100 DARSTELLUNG DER RESIDENZFORMEN Wie aus den Darlegungen zur Deszendenz schon ersichtlich wurde, gibt es in zahlreichen Gesellschaften auch genaue Regeln, die festlegen, wo die einzelnen Individuen leben sollen. Solche Regeln werden in der Ethnosoziologie als Residenzregeln (Wohnfolgeordnung) bezeichnet. Wie die Analyse der Heiratsbeziehungen und der Deszendenzbeziehungen, so ist auch die Untersuchung der Residenzregeln und der Residenzmuster ein wesentlicher Bestandteil der ethnologischen Untersuchung von Verwandtschaftssystemen. Im Vordergrund der ethnologischen Betrachtung der Residenzregeln stehen meist die mit der Heirat. Ganz allgemein wird zur Beschreibung der Residenz das Suffix „-lokal“ verwendet, das an den jeweiligen Begriff angehängt wird, z.B. patri-lokal, neo-lokal. Die Begriffe werden in der Ethnosoziologie sowohl zur Benennung bestimmter Residenzregeln (kulturelle Normen dafür, wer wo 21 Ethnosoziologie leben sollte) wie auch zur Beschreibung bestimmter Residenzmuster (statistische Erfassung dessen, wer tatsächlich wo lebt) herangezogen. Hauptformen der Residenzordnung: Name der Regel Virilokalität Uxorilokalität Patrilokalität Matrilokalität Neolokalität Ambilokalität Avunkulokalität Wohnort des Ehepaars bei Verwandten des Ehemannes bei Verwandten der Ehefrau am Wohnort einem der beiden Väter am Wohnort einer der beiden Mütter neuer Haushalt vorwiegend bei Verwandten des Ehemannes; bzw. vorwiegend bei Verwandten der Ehefrau bei Onkel (mütterlicherseits) des Ehemanns Patrilokal: Wörtlich bedeutet patrilokal „Ort des Vaters“, gibt als solcher noch keine Information darüber, bei welchem Vater das Ehepaar wohnt. Bisweilen werden die Begriffe viri- bzw. uxori- vorangestellt, und von patriviri-lokal oder patriuxori-lokal gesprochen. Bis heute gibt es in der Ethnologie keine einheitliche Definition von patrilokal. Virilokal = Ort des Mannes. Hier zieht die Frau nach der Heirat zum Wohnsitz des Mannes. Hier gibt es wie oben schon kurz erwähnt, eine weitere Unterteilung in viri-patri-lokal und viri-avunco-lokal (Mutterbruder des Ehemanns). Matrilokal: Bedeutet wörtlich „Ort der Mutter“. Auch hier ist noch nicht klar, bei welcher Mutter das Paar dann wohnt. Zusatz: matri-viri-lokal und matri-uxori-lokal. Uxorilokal = Ort der Frau. Hier zieht der Mann nach der Heirat zum Wohnsitz der Frau. Avuncolokal: Begriff ist zweideutig, da nicht klar ist, ob es sich um den MuBr des Mannes oder der Frau handelt. Zusatz: viri- und uxori-. Neolokal: Bedeutet „Neuer Ort“. Das Paar gründet einen neuen Haushalt. Duolokal: Das Paar hat keinen gemeinsamen Wohnsitz, sondern beide bleiben nach der Heirat in ihrem vorigen Zuhause. Bilokal bedeutet, das Paar wohnt abwechselnd in zwei Haushalten, ambilokal bedeutet, das Paar kann wählen. Kommunlokal: Ehepaar gründet einen Wohnsitz, in dem auch beide Elternpaare leben. Residenzregeln und Residenzpraxis: Die postnuptiale Residenzregeln legen üblicherweise, wie oben ausgeführt wurde, fest, wo ein Paar nach seiner Heirat leben soll, dennoch weicht auch hier das Verhalten einzelner von der Norm ab und die aktuelle Residenz kann stark vom gesellschaftlichen Ideal, welches über die Residenzregeln formuliert wird, abweichen. Ein Hauptgrund für das Abweichen der tatsächlichen Residenzmuster von der Residenzregel scheinen hier ökonomische Gründe zu sein. Schließlich ist auch noch darauf hinzuweisen, dass es in einzelnen Gesellschaften auch zu groß angelegten Veränderungen der Residenzform kommen kann. 22 Ethnosoziologie DARSTELLUNG DER FAMILIENFORMEN UND „DOMESTIC GROUPS“ Begriff Familie: Familie ist einer der am häufigsten verwendeten Begriffe in den anthropologischen Schriften und Diskussionen und dennoch ist seine Bedeutung weder klar, noch gibt es einen Konsens über die Bedeutung. Familie kann sich auf die häusliche Gruppe oder den Haushalt, auf nahe Verwandte, die keine Ko-Residenten sind, wie Eltern und erwachsene Nachkommen, oder auf weitere Netzwerke oder tiefere Genealogie der Verwandtschaft beziehen. Das Konzept der Familie: Das Modell der patriarchalischen Kernfamilie wurde lange als Grundlage für die Definition der Familie schlechthin gesehen, welcher wiederum 3 Vorstellungen zugrunde liegen: 1) erstens eine „natürliche“ gendered division of labour 2) zweitens eine verbundene Assoziation der Frauen mit der häuslichen und der Männer mit der juridischen Sphäre und 3) drittens einer Verengung der weiteren Verwandtschaftsbeziehungen in Richtung der patriarchalischen Kernfamilie, die zusammentreffen mit der steigenden ökonomischen Spezialisierung. Ausgehend von der Gruppenzusammensetzung auf der Basis der gemeinsamen Residenz werden im Wesentlichen die folgenden Familientypen unterschieden: 1) Kernfamilie 2) verschiedene Formen der erweiterten bzw. der zusammengesetzten Familie 3) unvollständige, fragmentierte Familien (hier fehlt ein Ehepartner) Begriff Kernfamilie: Synonyme: Konjugalfamilie, Nuklearfamilie. Dem Konzept der Kernfamilie kommt eine große Bedeutung in der Ethnologie zu. Zahlreichen Definitionen lag das euro-amerikanische Familienmodell, in welchem insbesondere dem Aspekt der biologischen Reproduktion große Bedeutung beigemessen wurde, zugrunde und die Kernfamilie selbst wurde als universell verbreiteter Idealtypus menschlichen Zusammenlebens definiert. Diese Form der Kernfamilie ist jedoch nicht überall verbreitet. Z.B. bei den Nayar in Süd-Indien ist die Heirat eine unbedeutende Institution. Die Mutter und ihr Kind bzw. ihre Kinder haben keine besonders enge Beziehung zum Vater (Genitor) bzw. zum Ehemann (Pater) der Mutter. Es handelt sich hier vielmehr um eine matrifokale Gruppe. Diese Erkenntnis führte eine Reihe von Ethnologen dazu, sich bei ihrer Defintion der Familie primär auf die Beziehungen Mutter-Kind/ Kinder zu beziehen. Funktionen der Kernfamilie unterscheiden (Murdock): l. the sexual function (die sexuelle Funktion) 2. the reproductive function (die reproduktive Funktion): die Zeugung und Geburt von Nachkommenschaft 3. the educational function (die Erziehungsfunktion): die Verantwortung für die Sozialisation und Erziehung der Kinder. 4. the economic function (die ökonomische Funktion): die Kooperation der Familienmitglieder bei der Bestreitung der Existenz. Acht Beziehungen innerhalb Charakterisierung der Kernfamilie (Schmitz): der Kernfamilie: 1) Zusammenwohnende Gruppe * Vater/Mutter 2) Wirtschaftseinheit * Vater/Sohn 3) Primäre Sozialisationsinstitution für die Kleinkinder * Vater/Tochter 4) Primäre Einheit für kultische/religiöse Belange * Mutter/Sohn * Mutter/Tochter * Bruder/Bruder 23 * Schwester/Schwester * Bruder/Schwester Ethnosoziologie Diese primären Beziehungen innerhalb der Familie lassen sich gegebenenfalls noch um sekundäre Beziehungen, die dann gebildet werden, wenn noch zwischen älterem und jüngerem Bruder bzw. Schwester unterschieden wird, erweitern. Patrifocal: Eine Form der Familie oder der häuslichen Gruppe, die um den Vater zentriert ist. Matrifocal: Hierbei handelt es sich um eine Gruppe, die um die Mutter zentriert ist. Hier ist der Vater oft nicht vorhanden oder spielt eine sehr untergeordnete Bedeutung. Duofocal: zeigt starke Segregation der Geschlechter, Frauen im häuslichen Bereich, Männer im öffentlichen Bereich. Erweiterte Familie (extended family): Familienkonstellation, die über die Kernfamilie hinausreicht, also wenn zum Beispiel die Großeltern oder die Geschwister noch mit im Haushalt leben. Zusammengesetzte Familie (joint family): eigtl. die selbe Bedeutung wie die erweiterte Familie, im engeren Sinn meint die joint family allerdings, wenn zwei Kernfamilien zusammen leben. 1. Extensionen durch mehrfache Heiraten (polygame Familien): Gruppe, die aus zwei oder mehr als zwei Kernfamilien besteht, die durch polygame Heirat miteinander verbunden sind und daher entweder den Vater oder die Mutter gemeinsam haben. Unterscheidung in polygyn (Mann heiratet mehrere Frauen) und polyandrisch (Frau heiratet mehrere Männer). 2. Durch Verbindung mehrerer Generationen (extended families im engeren Sinn): besteht, wenn zwei oder mehr lineal verwandte Generationen von Personen mit ihren Ehegatten zusammenleben. Danach ergeben sich die folgenden Typen erweiterter Familien: * patrilokale erweiterte Familie * matrilokale erweiterte Familie * avunkolokale erweiterte Familie * utrolokale erweiterte Familie * bilokale erweiterte Familie Die patrilokal extended family: Eine patrilokal erweiterte Familiengruppe ergibt sich aus einem patriviri-lokalen Residenzmuster und besteht aus einem Mann, dessen Sohn oder Söhnen, und der Frau oder den Frauen der letzteren sowie deren Kinder, die alle zusammenleben. Anzumerken ist, dass im Fall der patrilokal erweiterten Familie die Söhne beim Vater wohnen. Die matrilokal erweiterte Familie: Eine matrilokal erweiterte Familiengruppe ergibt sich aus einem matrilokalen Residenzmuster und besteht aus einer Frau, deren Tochter oder Töchtern, und dem Mann oder den Männern der letzteren sowie deren Kindern, die alle zusammenleben. Im Fall der matrilokalen erweiterten Familie bleiben die Töchter bei der Mutter wohnen. Die avunculokal erweiterte Familie: Eine avunkulokal erweiterte Familiengruppe ergibt sich aus einem avunkulokalen Residenzmuster und besteht aus einem Mann, dessen Schwesternsohn oder -söhnen und der Frau oder den Frauen der letzteren, sowie deren Kindern, die alle zusammenleben. Im der avunculokalen erweiterten Familie zieht neugegründete 3. Fall Erweiterungen durch Beziehungen innerhalb einer Generation (jointdie family im engeren Sinn): Familie zum Mutterbruder (Avunculus). Eine zusammengesetzte Familiengruppe entsteht, wenn zwei oder mehr kollateral verwandte Personen mit ihren Ehegatten und Kindern zusammenleben. Hier kann man zwischen sororalen und fraternalen joint families unterscheiden. Der häufigste Typus ist die fraternale zusammengesetzte Familie. Sie besteht aus mindestens zwei Brüdern und deren Frauen und Kindern in Ko-Residenz. 24 Ethnosoziologie Begriff Haushalt: Haushalt, minimale Residenzeinheit, die wichtige kulturelle Funktionen wahrnimmt. In wirtschaftlicher Hinsicht ist der Haushalt stets Einheit der Konsumtion und Reproduktion, in nichtindustriellen Gesellschaften aber auch vieler Bereiche der Produktion. Die soziale Zusammensetzung des Haushalts ist abhängig von den Formen der Heirat, der Residenz, der Familie und damit des Verwandtschaftssystems. Der Haushalt nimmt im Alltag des Wirtschaftslebens eine zentrale Stellung ein, ohne deshalb autark zu sein. Er ist durch Verwandtschaft, Arbeitsteilung, Reziprozität und eventuell Abgaben mit den Strukturen, welche die Gesamtgesellschaft prägen, verbunden und von ihnen abhängig. Unterschiede zwischen Familie und Haushalt: Auf Grund der Tatsache, dass die Familie in zahlreichen Gesellschaften eine Residenz-, ProduktionsReproduktions- und Konsumptionseinheit ist und sich somit Familie und Haushalt decken, wurden die beiden Begriffe oft synonym verwendet und der Haushalt (household bzw. domestic group) mit der Familie gleichgesetzt. Das Wesentlichste der Familie ist die Verwandtschaft. Das Wesentlichste des Haushaltes sind die häuslichen Aktivitäten. Häusliche Gruppe/Domestic Group: Auch der Begriff „domestic group“ wurde in der Ethnologie vielfach verwendet. Allgemein hat die domestic group 2 Kernfunktionen: 1. Beschäftigung, Zubereitung und Konsumption von Nahrung 2. Zeugung, das Großziehen und die Sozialisation der Kinder Die domestic group hat selbst wichtige politische und ökonomische Funktionen innerhalb der größeren Gesellschaft. Viele Ethnologen haben eine konzeptuelle Opposition zwischen dem häuslichen und dem politischen oder juridischen Bereich hergestellt. Diese wurde oft noch verbunden mit der Opposition von männlichen und weiblichen Rollen. Neben der Weitergabe von Eigentum wird oft auch der Arbeitskräftebedarf als Faktor herangezogen, der die häusliche Organisation determiniert. Weitere Funktionen des Haushaltes: Produktionseinheit Residenzeinheit Einheit der Heirat Einheit der Verwandtschaftsbeziehungen Einheit um die Ahnen, Erdgeister etc. zu verehren. AFFINALVERWANDTE UND HEIRATSBEZIEHUNGEN Begriff Ehe und Heirat: Heirat involviert die sozial anerkannte Assoziation eines Mannes und einer Frau; sie involviert sowohl sexuelle Intimität wie auch ökonomische Unabhängigkeit. Zusammen mit Kindern bildet ein Ehepaar eine signifikante und dauerhafte Einheit, die Familie. Für Heirat gibt es unzählige Definitionen, Kritik war, dass Forscher oft mit einem euroamerikanischen Bias an die Sache heran gehen. Bedeutung der Heiratsbeziehungen: Heirat erfüllt eine ganze Reihe von Funktionen, laut Leach beispielsweise die Folgenden: 1. To establish the legal father of a woman’s children. 2. To establish the legal mother of a man’s children. 3. To give the husband and his extended family control over the wife’s sexual services. 4. To give the wife or her extended family control over the husband’s sexual services. 5. To give the husband or his extended family control over the wife’s labour power. 6. To give the wife or her extended family control over the husband’s labour power. 25 Ethnosoziologie 7. To give the husband or his extended family control over the wife’s property. 8. To give the wife or her extended family control over the husband’s property. 9. To establish a joint fund of property for the benefit of children. 10. To establish a socially significant relationship between the husband’s and the wife’s domestic groups. Die Funktion der Heirat besteht somit auch darin Allianzen zu formen und neue verwandtschaftliche Bande zu knüpfen oder zu festigen bzw. zu erneuern. Heiratsregeln: Genau wir bei der Abstammung gibt es auch bei der Heirat bestimmte Regeln, die bestimmen, wann und wen man unter welchen Umständen heiraten darf oder muss. Präferentielle Heiratsregeln/Heiratsordnung: Unter präferentieller Heiratsordnung versteht man eine Heiratsregelung, bei der die Regeln angeben, welche Kategorie/n von Personen ein Individuum heiraten SOLL, d.h. welchen der Vorzug gegeben wird. Bestimmte Personen werden somit als Heiratspartner hoch bewertet, ohne dass damit aber eine Heiratsverpflichtung verknüpft wäre. Die am weitesten verbreitete Form ist die Kreuzbasenheirat, welche entweder nur mit der Tochter des Bruders der Mutter oder mit der Tochter der Schwester des Vaters unter Ausschluss der anderen Basen präferentiell sein kann. Die Sanktionen bzw. Strafen, die auf Nicht-Befolgung solcher Heiratspräferenzen stehen, sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Präskriptive Heiratsregeln/Heiratsordnung: Hier bestimmen die Regeln, dass ein Individuum in eine vorgegebene Kategorie hinein heiraten MUSS. Die Heirat ist vorgeschrieben. Agamie: Liegen keine Heiratsregeln vor, die festlegen würden, wie geheiratet werden muss bzw. soll, so spricht man von Agamie. Isogamie: Heiratsbeziehung zwischen zwei Menschen, die denselben Sozialstatus haben oder derselben Schicht/Kaste in einer stratifizierten Gesellschaft angehören. In vielen Gesellschaften wird die isogame Heirat propagiert. Anisogamie: Heiratsbeziehung zwischen zwei Menschen, die unterschiedlichen sozialen Status oder Schichtzugehörigkeit haben. Anisogamie lässt sich in zwei Formen teilen: Hypergamie (Mann hat höheren Status) Hypogamie (Frau hat höheren Status) Ad) Hypergamie: „Hinaufheirat“. Frau muss hinauf heiraten, darf keinen Mann mit niedrigerem Status heiraten. Meist in patrilinearen Gesellschaften. Ad) Hypogamie: „Heirat nach unten“. Frau gehört einer höheren Schicht an, Mann muss hinauf heiraten. Kommt oft in SO-Asien vor. Exogamie: Der Begriff kann enger oder weiter gefasst sein, je nach dem, wie die Deszendenzgruppe die Grenzen zieht. Eine besondere Bedeutung kommt dem Inzesttabu hier zu. In fast allen Gesellschaften ist infolge des Inzesttabus die Heirat mit engen Blutsverwandten verboten. Endogamie: Umgekehrte Heiratsregelung der Exogamie. Es darf nur innerhalb der eigenen Gruppe geheiratet werden. Man unterscheidet 2 Formen: Cross-Cousin-Marriage: Ego heiratet seine VaSwTo oder seine MuBrTo. Parallel-Cousin-Marriage: Ego heiratet seine VaBrTo oder seine MuSwTo. Wie aus den Ausführungen zur Endogamie bzw. Exogamie deutlich wurde, sind beide Begriffe sehr allgemein. Endogamie bzw. Exogamie bezieht sich nicht nur auf bestimmte Verwandtschaftsgruppen, 26 Ethnosoziologie wie dies z.B. das Inzesttabu nahe legen würde, sondern betrifft auch die Heiratsbeziehungen mit anders definierten Gruppen (z.B. Lokalgruppe, ethnische Gruppe, Religionsgemeinschaft). Endogamie und Exogamie können beide sowohl in präskriptiver als auch in präferentieller Heiratsordnung auftreten. Heiratsformen: Primärehe und Sekundärehe: Primärehe bezeichnet die erste Heirat, die ein Individuum eingegangen ist. Jede weitere wird Sekundärehe genannt. Diese Unterscheidung ist bedeutungsvoll, da sie mit unterschiedlichen Regeln verbunden ist. Monogamie und Polygamie: Bei der Monogamie handelt es sich um eine Eheform, bei der ein Mann bzw. eine Frau jeweils nur mit einem Partner zur gleichen Zeit verheiratet sein darf. Serielle Monogamie hingegen bezeichnet die Praktik, mehrere Ehepartner hintereinander zu nehmen, obgleich eine Person stets nur einen legalen Ehepartner hat. Es handelt sich somit um eine Reihe von aufeinander folgenden monogamen Heiraten nach Scheidungen bzw. Tod des ursprünglichen Ehepartners. Polygamie: Bei der Polygamie handelt es sich um die Eheform, bei der eine Person mit zwei oder mehreren Partnern zur gleichen Zeit verheiratet sein darf. Die Gründe dafür können vielfältig sein (ökonomisch, demographisch, politisch...). Hier können weiter 2 Formen unterschieden werden, nämlich: Polygynie: Heirat eines Mannes mit mehreren Frauen Polyandrie: Heirat einer Frau mit mehreren Männern Ad) Polygynie: Hier können wieder folgende Formen differenziert werden: Sororale Polygynie: Ein Mann heiratet Schwestern. Non-Sororale Polygynie: Ein Mann heiratet mehrere Frauen, die nicht verwandt sind. Occassional Polygynie: Ein Mann heiratet mehrere Frauen in einer Gesellschaft, in der ansonsten eigentlich Monogamie herrscht. Zum Beispiel ist es erlaubt, wenn aus der Primärehe keine Kinder hervorgehen. Oder in anderen Gesellschaften bezeichnet die occasional Polygynie ein Vorrecht des Mächtigeren. Ingesamt ist die Polygynie die am weitest verbreitete Heiratsform überhaupt. Allerdings ist eine Mehrfachheirat meist sehr kostspielig, daher können sich diese Form meistens nur Reiche leisten. Die einzelnen Ehefrauen einer polygynen Verbindung werden meist als Mit- oder Ko-Frauen bezeichnet. Zwischen den einzelnen Mitfrauen und deren Kindern kommt es oft zu Eifersucht und Konflikten. Den einzelnen Kofrauen stehen zwar eigene Räumlichkeiten zur Verfügung, aber es gibt dennoch meist starke Konkurrenz zwischen den einzelnen Frauen. Ad) Polyandrie: Die Polyandrie kommt sehr selten vor. Die bekanntesten Beispiele sind hier die Toda in Indien, die Marquesas-Insulaner in Polynesien und bestimmte Gruppen in Tibet. Es können folgende Formen unterschieden werden: Fraternale oder adelphische Polyandrie: Die Koehemänner sind Brüder. Non-fraternale bzw. non-adelphische Polyandrie: Die Koehemänner sind nicht verwandt. Levirat (Frauenerbschaft): Ein Mann ist verpflichtet, die Witwe seines verstorbenen Bruders oder eines anderen nahen Verwandten zu heiraten. In der Ethnosoziologie wird das oft mit Patrilinearität gleichgesetzt. 27 Ethnosoziologie Filial Widow Inheritance: Ego darf die Frau seines Vaters heiraten, nachdem dieser verstorben ist. Nepotic Inheritance: Ego kann die Frau seines Onkels heiraten. Sororat: Heiratsform, bei der ein Witwer verpflichtet ist, die Schwester oder eine andere nahe Verwandte der verstorbenen Frau zu heiraten. Das Sororat wird oft in Zusammenhang mit der Zahlung eines Brautpreises gebracht. D.h. die Verwandtschaftsgruppe des Mannes entrichtet einen Brautpreis und erhält dafür eine Frau aus einer anderen Verwandtschaftsgruppe. Stirbt die Frau jedoch, v.a. bevor sie Kinder geboren hat, so ist die Reziprozität nicht erfüllt und die Gruppe der Frau hat eine andere Frau zu stellen. Diverse andere Heiratsformen: Ambil-anak: Familie nur mit Töchtern: Eine Tochter bekommt keinen Brautpreis, ist dafür matrilokal. Muta-Ehe: Ehe auf Zeit. Ehevertrag regelt Preis und Dauer. Kinder bleiben bei der Mutter. Besuchsehe: Eheleute treffen sich nur zur Erfüllung der ehelichen Pflichten. Schlafwandeln: Knabe (4-6) heiratet Mädchen (14-16). Anstelle des Knaben vollzieht der Vater die Ehe. Kinderheirat: zwei Kinder werden miteinander verheiratet. Ehe erst, wenn beide erwachsen sind. Frauen-Heirat: Zwei Frauen heiraten. Bsp.: Nuer. Ghost-Marriage: Heirat mit einem Toten, bzw. Witwe heiratet gedachte zweite Frau. Raubheirat: Bräutigam entreißt Braut gewaltsam ihrer Verwandtschaft. Gütertransaktionen der Heirat: Mitgift, Brideservice Gruppenheirat:bei Gruppe von Brautpreis, Männer heiratet kollektiv Gruppe von Frauen. Austausch von Frauender zwischen zwei Verwandtschaftsgruppen. Es Tauschheirat: lassen sich prinzipiell einmal 2 Hauptformen Heiratszahlungen unterscheiden: Concubinage: Beziehung ohne legale Bridewealth:erlaubte Prestationensexuelle in Naturalien oder Gütern von Seiten desHeirat. Bräutigams. Dowry: Sammlung von Dienstleistungen und Gütern seitens der Braut. Allgemeine Bedeutung des Gütertransfers bei der Heirat: Die Struktur der Heirats-Prestationen kann wichtige politische, ökonomische und rituelle Konsequenzen für die Gesellschaft als ganzes haben. Ad) Bridewealth (Brautpreis): Unter diesem Begriff wird die Gesamtheit jener Waren, Wertgegenstände oder Geldzahlungen verstanden, die vom Bräutigam oder seiner Verwandtschaftsgruppe an die Braut bzw. die Verwandtschaftsgruppe der Braut übergeben werden. Die Höhe und Zusammensetzung sind durch den Brauch festgelegt und hängt gewöhnlich vom sozialen Status der beiden vertragschließenden Parteien ab, wobei die bezahlte Summe häufig umso höher ist, je reicher der Bräutigam ist. Die Zahlung des Brautpreises ist vor allem unter Viehzüchtern sehr verbreitet. Gründe für den Brautpreis: * Einrichtung, mit der in feierlicher Weise ein Ehevertrag besiegelt werden soll. * Der Brautpreis soll die Stabilität der Verbindung garantieren. * Versicherung, dass die Frau von ihren Affinalverwandten gut behandelt wird. * Der Brautpreis stellt eine Entschädigung der Brautfamilie dar, die eine Arbeitskraft verloren hat. * Brautpreis dient der Legitimierung der Kinder der Ehe als Mitglieder der Lineage des Bräutigams. * Brautpreis ist eine Zahlung, um Transfer von Rechten über die Sexualität, die Arbeit, die Dienstleistungen einer Frau, sowie ihre Fruchtbarkeit auszugleichen. • Der Brautpreis ist eine umgekehrte Mitgift. Ad) Dowry (Mitgift): Über die Funktion der Mitgift herrscht in der Ethnologie keine einheitliche Meinung. Die meisten Ethnologen betrachten die Mitgift jedoch als eine Art vorweggenommener Erbschaft. Diese Praxis ist für den Mittelmeerraum und Teile Südasiens bekannt. 28 Ethnosoziologie Ad) Brideservice (Dienstheirat): Der Bräutigam muss hier für eine bestimmte Zeit bei der Gruppe der Braut leben, für sie arbeiten und ihr Nahrung, Gaben u.s.w. geben. Der Brauch der Dienstehe inkludiert oft eine Periode der uxorilokalen Residenz des Paares. Nach Ende der Brautdienstperiode zieht das Paar dann zum Ehemann. Die Dauer kann unterschiedlich lang sein und ist meist Gegenstand der Verhandlungen zwischen den beiden Gruppen. Der Brautdienst findet vor allem bei Jäger- und Sammler-Gruppen sowie bei Gartenbau betreibenden Gesellschaften statt. Halbheirat: Halbheirat: In einer Gesellschaft, wo die Heirat mit Zahlung eines Brautpreises üblich und die Wohnfolgeordnung patrilokal ist, nennt man „Halbheirat“ die Verbindung eines Mannes, der nur die Hälfte des vereinbarten Brautpreises zahlen kann und es als Gegenleistung auf sich nimmt, bei den Eltern seiner Frau zu leben und für sie zu arbeiten. Herrenrecht: Vor allem im Feudalsystem. Wenn ein Paar heiratet, steht es dem Feudalherren zu, die erste Nacht mit der Braut zu verbringen. Aspekte, unter denen die Heiratsbeziehungen in der ES untersucht wurden: Insbesondere drei Fragestellungen bestimmten die ethnosoziologische Beschäftigung rund um die Heirat: 1) Die Entwicklung der verschiedenen Heiratsformen 2) Das Inzesttabu 3) Die Heirat als Tauschbeziehung, die Allianzen schafft Ad 1) Die Entwicklung der verschiedenen Heiratsformen: Zu den Schwerpunkten der frühen ethnosoziologischen Beschäftigung mit dem Bereich Ehe und Heirat, die stark geprägt war vom Evolutionismus, gehörte die Analyse der verschiedenen Heiratsformen (z.B. Gruppenheirat) und die Entwicklung derselben, sowie die Inzestproblematik und verschiedene rechtliche Aspekte. Zu den bedeutendsten Autoren jener Zeit, die sich in ihren Arbeiten mit der Heirat befassten, zählten Henry Maine, Lewis Henry Morgan und McLennan. Maine: Maine (1822-1888) befasste sich mit einer Rekonstruktion der frühen Stadien der menschlichen Geschichte. Im Zentrum seiner Überlegungen, die er in dem Buch „Ancient Law“ (1861) niederlegte, stand die Rolle des Ehemannes und seiner Rechte. Maine zufolge standen die Ehefrau und die Kinder unter der totalen Autorität des Ehemannes bzw. Vaters. Maine´s Modell hatte in der Folge einen großen Einfluss auf die Konzeptualisierung der Ehe- und Familienbeziehungen in der Ethnologie. McLennan: Noch bedeutsamer und einflussreicher als Maine´s Thesen waren hingegen die Studien von McLennan (1827-1881). In seinem Werk „Primitive Marriage“ (1865) versuchte McLennan ein evolutionistisches Schema der Heiratsbeziehungen zu entwickeln. Ausgehend von einem Stadium der allgemeinen Promiskuität (Urpromiskuität) hätte sich die Gruppenexogamie herauskristallisiert. Diese exogamen Gruppen waren nach Meinung McLennan´s eng verknüpft mit der Polyandrie und dem Brautraub. Den Brautraub selbst betrachtete McLennan als Urform der Heirat. In den Augen McLennan´s bestand jedoch nicht nur ein enger Konnex zwischen dem Brautraub und der Exogamie, sondern auch eine enge Verbindung zur matrilinearen Deszendenz. In diesen matrilinearen Gesellschaften hätte es laut McLennan zunächst ein Stadium der allgemeinen Polyandrie gegeben, dass später durch die fraternale Polyandrie abgelöst wurde, die von ihm ihrerseits als notwendige Grundlage für das Entstehen patrilinearer Gesellschaften angesehen wurde. Aus den patrilinearen Gesellschaften hätten sich schließlich die monogamen Heiratsmuster herauskristallisiert. Morgan: 29 Ethnosoziologie Ein weiteres Schema der Evolution von Heirat und Familie lieferte Lewis Henry Morgan (1818-1881) in seinem Buch "Ancient Society“, wobei Morgan aufbauend auf den Überlegungen McLennan´s auch das Studium der verwandtschaftsterminologischen Systeme als Quelle für die Rekonstruktion früherer Familien- und Heiratsformen heranzog. Auch er ging von einer allgemeinen Promiskuität als 1. Stadium seines evolutionistischen Schemas aus. Demnach war das Zeitalter des Barbarismus, laut Morgan geprägt durch eine Art primitiver Promiskuität, die u.a. dadurch gekennzeichnet war, dass die Sexualpartner noch nicht durch ein dauerhaftes Verhältnis aneinander gebunden gewesen seien und es noch kein Inzesttabu gab. Später wäre es laut Morgan zum Verbot der Heirat zwischen Geschwistern gekommen. Diesen Familientypus bezeichnet er als die Punalua-Familie. Mit der Zeit hätten sich dann informelle Heiratsarrangements zwischen den Individuen ergeben (die Syndiasmische Familie) und letztendlich hätte sich im Stadium der Zivilisation die monogame Familie durchgesetzt. Wie McLennan so nahm auch Morgan einen Übergang von den matrilinearen zu den patrilinearen Deszendenzsystemen an. Ad 2) Das Inzesttabu: Anzumerken ist hier, dass alle menschlichen Gesellschaften und, wie neuere Forschungen zeigen, auch mehrere Primatengesellschaften, den Inzest verbieten, wobei jedoch die Definition dessen, was als inzestuöse Beziehung gilt, von Gesellschaft zu Gesellschaft sehr stark variieren kann. Alle haben jedoch gemein, dass sie den Geschlechtsverkehr zwischen nahen Blutsverwandten (VaterTochter, Mutter-Sohn) verbieten. Die Sanktionen bei Übertretung der Inzestregel sind verschieden. Inzesttabu und Exogamie: Häufig werden diese beiden Dinge gleichgesetzt, wobei der Inzest sehr wohl von der Exogamie zu unterscheiden ist. Exogamie bezieht sich nämlich auf ein Heiratsverbot, während sich das Inzesttabu auf eine sexuelle Beziehung bezieht. Dynastischer Inzest: Dies tritt auf, wenn in einer Gesellschaft, in der ein Inzesttabu vorherrscht, dieses in bestimmten Fällen gebrochen wird, nämlich zum Beispiel, wenn in einer aristokratischen Familie Geschwister heiraten, um die königliche Linie fortzuführen. Erklärungsansätze zum Inzest: Biologische Gründe: Inzucht kann über längeren Zeitraum zu körperlichen und geistigen Schäden der Nachkommen führen. Psychologische Gründe: Laut Freud gibt es eine universelle menschliche Tendenz zu inzestuösen Beziehungen. Das Inzesttabu resultiert aus den Schuldgefühlen eines Mannes, der seinen Vater tötet um einen sexuellen Zugang zur Mutter zu haben. Westermarck hingegen meint, es gäbe keine solche menschliche Urneigung. Soziologische Gründe: Tyler verband das Inzesttabu mit der Notwendigkeit der primitiven Gesellschaften „to marry out or be killed out“. Ad 3) Die Heirat als Tauschbeziehung, die Allianzen schafft: Allianztheoretiker postulierten, dass es vielmehr die Heiratsbeziehungen sind, durch welche die Verbindung von Personen und Gruppen etabliert wird. Levi-Strauss betrachtete z.B. nicht die gemeinsame Abstammung als fundamentales Faktum von Kinship, sondern die Allianzbeziehungen. Die Allianztheorie selbst wurde in den 60ern zu einem bedeutenden Ansatz in der Ethnologie. Bei den Heiratsallianzen kommt den Heiratsregeln eine große Bedeutung zu, da es nur durch vorgegebene Heiratsregeln zu einer dauerhaften Allianzbeziehung kommen kann. Connubium: Allgemeinste Bezeichnung der zwischen Gruppen bestehenden Systeme von Heiratsbeziehungen. Allianztheoretiker beschäftigen sich vor allem mit Austauschbeziehungen. Hauptvertreter der Allianztheorie: Claude Levi-Strauss, Louis Dumont, Edmund Leach, Rodney Needham. Grundannahmen: Annahme, dass nicht die Ideologie der gemeinsamen Abstammung die Leute miteinander verbindet, sondern dass es die Heiratsbeziehungen sind. Heirat wird hier zu einem Strukturprinzip der Verwandtschaft. Allianztheorie war stark vom Strukturalismus beeinflusst. Heiratsbeziehungen wurden als Tauschbeziehungen aufgefasst. Damit der 30 Ethnosoziologie Austausch jedoch möglich ist, müssen zunächst klar voneinander abgegrenzte Einheiten bestehen. Das Inzesttabu macht es nämlich erforderlich, den Partner außerhalb der eigenen Gruppe zu suchen. Levi-Strauss: 4 fundamentale Verwandtschaftsbeziehungen: Bruder / Schwester Ehemann / Ehefrau Vater / Sohn Mutter / Tochter 2 Hauptformen der Heiratsregel: 1. positiv (wer geheiratet werden MUSS) 2. negativ (wer nicht geheiratet werden DARF) Dadurch laut Strauss 2 Gesellschaftsformen: 1. Elementare Strukturen der Verwandtschaft 2. Komplexe Strukturen der Verwandtschaft Verwandtschaftsatom: 4 Elemente: 1. Bruder 2. Schwester 3. Vater 4. Sohn Verbunden durch 2 korrelative Gegensatzpaare. 3 Formen familiärer Beziehung: Kollateralitäts-, Allianz- und Filiationsbeziehung Cross-Cousin Marriage (Kreuzbasen-Heirat): Warum wichtig? 1.) der Austausch von Frauen über längere Zeit führt irgendwann zur CousinMarriage. 2.) das verwandtschaftsterminologische System, welches in den meisten Fällen Parallelcousins terminologisch mit den Geschwistern gleichsetzt, bewirkt, dass diese Parallelcousins infolge des Inzesttabus als Heiratspartner sowieso nicht zur Debatte stehen. Ausnahme: Bint-Amm-Heirat im Nahen Osten (Vater-Bruder-Tochter). 3 Formen der Cross-Cousin Marriage: Bilaterale cross-cousin marriage: Ehepartner sind sowohl über die mütterliche wie über die väterliche Seite verwandt. Matrilaterale cross-cousin marriage: Mann heiratet seine MuBrTo. Patrilaterale cross-cousin marriage: Mann heiratet seine VaSwTo. Gesellschaften mit elementaren Strukturen der Verwandtschaft: 2 Hauptformen von Tauschsystemen: 1. restringierte bzw. direkte Austauschsysteme: einfachstes Tauschsystem. Gesellschaft in 2 Gruppen geteilt, die untereinander Frauen austauschen. Weitere Unterteilung in unmittelbaren und verzögerten Austausch. 2. generalisierte bzw. indirekte Austauschsysteme: Frauentausch fließt nur in eine Richtung. Also darf Gruppe A, die an Gruppe B eine Frau abgibt, niemals von dieser Gruppe eine Frau zurücknehmen, sondern muss von Gruppe C, D, etc. eine Frau besorgen. Patrilaterale Parallel-Cousin-Marriage (Bint-Amm-Heirat): Ein Mann heiratet seine Vater-Bruder-Tochter. Kann sowohl in einer präskriptiven wie auch in einer präferentiellen Form vorkommen. Gründe: Eigentum wird zusammengehalten Blutreinheit der Deszendenzlinie wird garantiert Harmonisches Familienleben möglich Brautpreis entfällt oder ist minimal Band zwischen einem Mann und seinem paternalen Neffen wird gestärkt. 31 Ethnosoziologie Fiktive Kinship: Adoption, Patenschaften Wurden in der Ethnosoziologie lange Zeit als Verwandtschaftsbeziehungen betrachtet, die am Modell der Blutsverwandtschaft orientiert waren. Definition der fiktiven Verwandtschaft: Soziale Beziehungen, welche als analog zu Kinship verstanden werden, jedoch auf einer anderen Kategorie als der Blutsverwandtschaft basieren. Definition des Begriffs rituelle Verwandtschaft: Anthropologischer Terminus, der verwendet wird, um den Komplex von Ritualen und Beziehungen, die verbunden sind mit der Taufe und Patenschaft, zu beschreiben. Auch durch die rituelle Verwandtschaft wird ein Netzwerk sozialer Beziehungen geschaffen. Adoption und Fosterage: Verfahren, bei dem Personen ein bestimmter Status im Rahmen eines Verwandtschaftssystems zugewiesen wird, der dem Status „wirklicher Verwandter“ gleicht. Die Adoption hat einige Elemente gemeinsam mit der rituellen Verwandtschaft. Laut Hirschberg handelt es sich bei Adoption um die Aufnahme eines Fremden in die eigene Gruppe, insbesondere Verwandtschaftsgruppen, wobei durch einen besonderen Rechtssatz die verwandtschaftliche Zuordnung geändert wird. Sie konstituiert ein Verhältnis der Filiation. Da Adoption auch dazu gebraucht wird, ein illegitimes Abstammungsverhältnis zu legalisieren, ist die Definition, dass Adoption Nichtblutsverwandte zu fiktiven Blutsverwandten mache, problematisch. Fosterage: Bei der Fosterage handelt es sich um ein feststehendes Verfahren der Übergabe von Kindern an Pflegeeltern, wobei die Bedingungen dieser Unterbringung, die Wahl der Pflegeeltern und die Art der Beziehungen zwischen diesen und den wirklichen Eltern durch die Normen der Gesellschaft vorbestimmt sind. Fosterage führt entweder zu einer echten Adoption oder aber zu einer Rückkehr in die Orientierungsfamilie. In beiden Fällen wird jedoch der Status des Kindes verändert. Beide – Adoption und Fosterage – offenbaren wichtige kulturelle Annahmen über die Prozesse der Verbindung. Patenschaftsverhältnisse: Oft unter dem Begriff „Godparenthood“ verwendet. In einer Vielzahl von Gesellschaften gibt es auch die Institution der Patenschaft. Häufig wird dadurch eine fiktive Verwandtschaftsbeziehung zwischen Paten und Patenkind gebildet. Andere Formen der fiktiven Verwandtschaftsbeziehungen: Milchverwandtschaft und Blutsbrüderschaft. TYPOLOGISIERUNG POLITISCHER SYSTEME IN DER ETHNOLOGIE Bedeutung verwandtschaftlicher Beziehungen für die Ausgestaltung diverser politischer Systeme: Implizit oder explizit liegt den meisten Typologisierungen politischer Systeme eine evolutionistische Sichtweise zugrunde. Im Vordergrund der Klassifikationsschemata stehen dabei meist 2 Aspekte: 1. Es wird davon ausgegangen, dass mit zunehmender Entwicklung der politischen Systeme, die Bedeutung der Verwandtschaft als Strukturelement abnimmt und Verwandtschaft als Determinante des Politischen obsolet wird. 32 Ethnosoziologie 2. Es wird weiter auf den Aspekt der sozialen Gleichheit bzw. Ungleichheit Bezug genommen und davon ausgegangen, dass eine Entwicklung von egalitären sozio-politischen Beziehungen hin zur Ausformung stratifizierter sozio-politischer Strukturen stattfindet. Typologisierung von Service und Fried: Service: Band Tribe Chiefdom State Fried: Egalitarian Rank Stratified State Horde: Charakteristika: Kleine selbstgenügende Gruppe Subsistenzbasis ist eine Kombination aus Jagd, Sammeln und Fischen Ungefähre Gleichheit des Reichtums Extensive Reziprozität Informelle Führerschaft Fehlen signifikanter Eigentumsbeziehungen Relativ geringer Surplus Unmöglichkeit der Konzentration der Ressourcenkontrolle Politik und Verwandtschaftsbeziehungen in der Horde/Band: Politische Aktivitäten sind vorwiegend auf der Ebene der Familie integriert. Gesellschaftliche Differenzierung erfolgt primär auf verwandtschaftlicher Basis. Jede Person steht in einer affinalen oder Deszendenzbeziehung zu einer anderen Person. Die Arbeitsteilung erfolgt nach Geschlecht und Alter. Status des Individuums beruht auf persönlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten oder auf seiner Stellung im Verwandtschaftssystem (Vater, Sohn, etc...). Stamm: Charakteristika: Kulturelle Homogenität Größere Bevölkerungszahl Signifikanter Surplus der wirtschaftlichen Aktivitäten Größerer ökonomischer Austausch als in der Horde Fehlen spezifischer zentralisierter Institutionen Stammesmitglieder sind durch umfassende Verwandtschaftsbande miteinander verbunden Nicht-stratifizierte Bevölkerung, die in ein gemeinsames Territorium eingebunden ist. Wesentliches Merkmal ist die Deszendenzideologie. Die einzelnen Lineages, Klans, etc. werden hier durch die verwandtschaftliche Ideologie zusammengehalten. Stamm = eine homogene und in politischer und sozialer Hinsicht autonome Gruppe, welche ein ihr eigenes Territorium bewohnt. Akephale Gesellschaft: Gesellschaften, die keine zentralisierte politische Autorität haben. Oft als synonym zu staatenlos verwendet. Gemeinsamkeiten von Horde und Stamm: Beide sind akephal. Es gibt in beiden keine ständigen spezialisierten politischen und Verwaltungsinstanzen. Führerschaft ist charismatisch. Big-Man-System: 33 Ethnosoziologie Gesellschaften, in denen sich politische Führer herauskristallisieren, die gegenüber andere Personen dominieren und in denen im Keim soziale Ungleichheiten und eine gewisse soziale Stratifikation vorhanden ist, werden oft als Big-Man-Systeme bezeichnet. Diese Systeme können in der mitte stehend zwischen dem Führerschaftsmodell in der Horde und dem Führer (Chief) in den Chiefdoms. Charakteristika: Big-Man keine Position der formalen Autorität Es wird ständig versucht, die Legitimität des Big-Man zu erreichen, wird jedoch selten erlangt. Beide, Chiefdom und Big-Man, stimulieren die Produktion eines über die häusliche Subsistenz hinausgehenden Surplus. Big-Man und Chief agieren als Brennpunkt für den Austausch von Gütern zwischen lokalen Gemeinden. Aus dem Big-Man-System kann leicht ein Chiefdom werden. Häuptlingstum (Chiefdom): Charakteristika: Größere Spezialisierung in der Arbeitsteilung Ökonomisches System mit vergrößertem Surplus, das auf der Redistribution basiert. Entstehung von sozialen Unterschieden. Entstehung einer zentralisierten Autorität Expansion des Handwerks, der Agrartechniken und eine vergrößerte Agrarproduktion. Häuptlingstum weist eine redistributive Wirtschaft auf. Beim obersten Häuptling laufen regelmäßig Abgaben von Nahrung, Handwerksprodukten und Rohstoffen ein. Chiefdom beruht nicht auf einer Klassengesellschaft. Autorität in den Chiefdoms: Zentralisierte Autorität, die eine Anzahl von lokalen Gemeinden verbindet. Besitzt jedoch keinen formalen Apparat der Repräsentation oder der militärischen Macht. Bedeutung der Verwandtschaft: Spielt eine große Rolle, aber im Unterschied zum Stamm ist das Chiefdom nun um ein chiefly office zentriert. Basiert auf Rang. Unterschied der politischen Führung im Chiefdom gegenüber der Horde und dem Stamm: In Horde und Stamm eher eine vorübergehende und informelle Führerschaft, beim Chiefdom hingegen einen ständigen chief. Ein chief erlangt sein Amt außerdem häufig über Vererbung. In den Chiefdoms wird die Organisation der Autorität und der Nachfolge im Amt im Allgemeinen durch die Prinzipien der Verwandtschaft geleitet. Die einzelnen Ämter im Chiefdom sind nun erblich geworden. Staat: Definition: Staat = autonome und nach außen gerichtete souveräne politische Einheit mit zentraler Regierungsinstanz, die von ihren Mitgliedern Abgaben und Dienstleistungen einfordern kann, Gesetze schafft und diese auch durchzusetzen vermag. Durch seinen hohen Grad an Organisation und seine Tendenz zur territorialen Expansion ist der primitive Staat in seiner ethnischen Zusammensetzung meist heterogen. Charakteristika: Herrschaftsgebiet Monopolisierte Formen der Herrschaft und der politischen Gewalt Eine Instanz, welche die gesellschaftliche Zentralgewalt repräsentiert 34 Ethnosoziologie Delegierung der zentralen Gewalt und Souveränität an untergeordnete Agenturen Formale und explizite Beziehungen zwischen Herrscher und Beherrschten Vorhandensein einer übergreifenden nationalen Identität, einer Ideologie der Souveränität, einer Mystik der Macht und der Erde, eines Kults und Ritus der Herrschaft Früher Staat: Charakteristika: Anstieg der Bevölkerungszahl und der Bevölkerungsdichte, dies ist verbunden mit gestiegener landwirtschaftlicher Produktion und oft mit neuen Agrartechniken * die gestiegene Bevölkerung wird in größeren Gemeinden (Städten) zusammengefasst * zur sozio-politischen Entwicklung gehört eine deutlich definierte Arbeitsteilung mit steigender Zahl von Spezialisten * Anstieg der sozialen Stratifikation und der sozialen Klassen * Entstehung einer zentralisierten politischen Autorität Als Hauptfaktoren, die in der Ethnologie für die Staatsformation herangezogen werden, gelten u.a. die folgenden Faktoren: * demographische Faktoren * ökologische Faktoren * militärische Faktoren * technologische Faktoren (z.B. Asiatische Produktionsweise) * ökonomische Faktoren Vorbedingungen für die Staatesentstehung laut Streck: * genügend große, sozial integrierte Bevölkerung muß vorhanden sein * ein bestimmter Stand der materiellen Produktion ist nötig * eine spezifische gesellschaftliche Organisation der Produktion * eine gesellschaftliche Arbeitsteilung mit rudimentärer Spezialisierung * ein entwickelter ökonomischer und symbolischer Austausch * ein dauerhaftes Mehrprodukt, das den Unterhalt der sich herausbildenden Herrschaftsinstitutionen gewährleistet. Staat und seine Merkmale, die ihn von den 3 anderen politischen Formen unterschieden: * er ist zentralistisch organisiert, d.h. er wird von einer Klasse berufsmäßiger, administrativer Spezialisten verwaltet (z.B. Beamte, Priester, Militär, Manager) * die Stellung dieser berufsmäßigen administrativen Spezialisten beruht nicht mehr auf ihren Verwandtschaftsbeziehungen zu den ihnen unterstellten Personen, sondern hängt allein von der Autorität des Herrschers ab. Zur Aufrechterhaltung seiner Autorität ist der Herrscher laut Bargatzy auf mindestens 3 Dinge angewiesen: 1) Er muss die Kontrolle über ein stehendes Heer oder eine Miliz ausüben, die ihm ergeben ist und durch Tribute unterhalten wird. 2) Seine Handlungsfähigkeit muss größer sein als es im Rahmen der verwandtschaftlichen Bindungen und des diese Bindungen im Häuptlingstum legitimierenden religiösen TabuSystems möglich ist. Diese Handlungsfreiheit wird durch die Kontrolle über das Heer gewährleistet. 3) Er muss über Güter verfügen können (z.B. um seine Soldaten zu entlohnen), ohne dabei auf die traditionellen Kanäle der Gütersammlung und Redistribution, wie dies im Häuptlingstum der Fall ist, Rücksicht nehmen zu müssen Arbeitsteilung im Häuptlingstum und im Staat: In den Häuptlingstümern gibt e eine spezialisierte Arbeitsteilung. Es herrscht aber noch keine Vollspezialisierung wie im Staat vor. U.a. gab es im Häuptlingstum noch keine Abtrennung von Handwerkern und Nahrungsmittelproduzenten und politisch-administrativen Spezialisten, wie dies beim Staatswesen der Fall ist. Im Häuptlingstum war jeder einfache Mann zugleich Bauer und bei besonderer Begabung auch 35 Ethnosoziologie Handwerker. Im Rahmen der staatlichen Organisation haben wir es nun mit einer weit gehenden Arbeitsteilung zu tun, die bestimmten Gruppen der Bevölkerung ständig der Nahrungsmittelproduktion enthebt. Gesellschaftliche Schichtung im Staat: Mit der neuen gesellschaftlichen Arbeitsteilung im Staat, geht auch die Entstehung von sozialen Klassen einher. Insbesondere der Herrscher und seine Familie, sowie die Bürokraten und Beamten verfügen über Privilegien, die ihnen vor anderen Gruppen der Bevölkerung den Zugang zu diesen Ressourcen sichern. Z.B. wird postuliert, dass das Land dem Herrscher gehört (z.B. im osmanischen Reich). Verwandtschaftliche Bindungen des Herrschers zur Bevölkerung entfallen, sodass der König nicht mehr wie noch die Großhäuptlinge, gezwungen ist, den weitaus größten Teil der eingenommenen Abgaben bei bestimmten Anlässen wieder zu redistributieren. Wo es den Herrschern nicht gelingt sich von diesen redistributiven Verpflichtungen zu befreien, ist ihre Herrschaft in Gefahr. Idealtypische Form des „early state“ in 3 Spielarten aufgeteilt: 1) inchoate state (d.h. beginnender Staat) 2) typical state 3) transitional state 36