Einführung in die Formen sozialer Organisation

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2012/2013
Einführung in die Formen sozialer Organisation
Hier eine Zusammenfassung des Skripts, die so kurz aber genau wie möglich
gehalten ist; habe vielfach Sätze 1:1 aus dem Skript übernommen. Ergänzungen
findet ihr unter der Datei „Abbildungen“.
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ETHNOSOZIOLOGIE/SOCIAL ANTHROPOLOGY/SOZIALANTHROPOLOGIE
Social Anthropology == Ethnosoziologie =/= Sozialanthropologie (eine Richtung der
physischen Anthropologie, die sich mit sozialen Bedingungen physischer Unterschiede
beschäftigt).
Ethnosoziologie beschäftigt sich mit dem Zusammenleben der Menschen, also mit der Art
und Weise in der soziale Beziehungen konstitutiert werden und wie diese in den
verschiedenen Gesellschaften konzeptualisiert werden. Ethnosoziologie hat ihr Interesse auf
jeweils ganz spezifische Aspekte des „Sozialen“ gelegt.
Eine der grundlegenden Annahmen war die Prämisse, dass es in den nicht-industrialisierten
Gesellschaften vor allem die Verwandtschaft ist, die die sozialen Beziehungen determiniert.
Die Verwandtschaft ihrerseits wurde im Wesentlichen als durch das „Blut“ konstituiert
aufgefasst, d.h. durch die Abstammung bzw. durch Eltern-Kind-Beziehung etabliert. Diese
Eltern-Kind-Beziehung, die häufig als „Kernfamilie“ bezeichnet wurde, wiederum bildete in
den Augen der meisten damaligen Ethnosoziologen die kleinste soziale Einheit (Murdock).
Eine weitere Grundannahme der älteren ethnosoziologischen Forschung war die Annahme,
dass ein direkter Zusammenhang zwischen den verwandtschafts-terminologischen
Systemen und der Sozialstruktur besteht, dass die Analyse der jeweils verwendeten Termini
praktisch einen Schlüssel zum Verständnis des Sozialsystems schafft und bei einzelnen sehr
frühen Autoren, die insbesondere dem Evolutionismus nahestanden, die Analyse der
verwandtschafts-terminologischen Systeme auch Rückschlüsse auf die früheren Stufen der
Menschheitsentwicklung liefern könnte (z.B. Morgan).
Bis gegen Ende der 60iger Jahre lag der Schwerpunkt auf der Beschäftigung mit der
Verwandtschaft und der Analyse der Verwandtschaftstermini und
verwandtschaftsterminologischer Systeme.
Dann wurden die Untersuchungen verwandtschaftlicher Beziehungen zu einem Teilaspekt,
wo die Schwerpunkte zum Beispiel Geschlechterbeziehungen, die Person und
gesellschaftliche Machtbeziehungen waren. Der Fokus von sozialen Einheiten wechselte zu
Individuen der Gesellschaft.
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Pandoff und Parrin: Ethnosoziologie ist ein Zweig der Ethnologie, der ein vergleichendes
Studium über das soziale Leben verschiedener Gesellschaften anstrebt. Ziel ist es, allgemeine
Gesetzte für ALLE Gesellschaften aufzustellen und Handlungen der Gesellschaft zu begreifen.
Hirschberg: „Ethnosoziologie, sozialwissenschaftlich orientierte Arbeitsrichtung der
deutschen Ethnologie.“ Im Zentrum der Ethnosoziologie stand bzw. steht die Beachtung der
Zusammenhänge zwischen den einzelnen Lebensbereichen. Gesellschaften und ihre Kulturen
werden hier als ein integrierendes Ganzes betrachtet. Neben eine Betonung sozialer
Phänomene (z.B. Herrschaft, Verwandtschaft) befasst sich die Ethnosoziologie auch mit der
Untersuchung wirtschaftlicher, religiöser und rechtlicher Phänomene und ihrer sozialen
Implikationen und Voraussetzungen.
Der Begriff „Ethnosoziologie“ wurde zuerst von R. Thurnwald gebraucht. Hirschberg meinte,
dass bei Thurnwald die Zusammenhänge zwischen den einzelnen Lebensbereichen,
stationäre Feldforschung, Auffassung von Gesellschaften und deren Kulturen im
Vordergrund standen.
Hier liegen auch viele Parallelen zwischen Thurnwald und den britischen
Funktionalisten (Malinowski, Radcliffe-Brown). Die Funktionalisten betrachten
soziokulturelle Erscheinungen unter dem Gesichtspunkt ihrer Funktion, d.h. der Aufgaben
oder Leistungen, die sie im Rahmen der übergeordneten Ganzheit soziokultureller Systeme
erfüllen. Thurnwald bezog aber auch historische Überlegungen und allgemein soziologische
und psychologische Fragestellungen in seine Arbeit mit ein.
Kritik
Vorstellung, dass die Verwandtschaft primär auf den Blutsbanden basiert (hier
insbesondere durch die neuen Reproduktionstechniken), Annahme dass die „Kernfamilie“
eine universelle Verbreitung hätte und essentielle Aufgaben in der Gesellschaft „als
Keimzelle“ der Gesellschaft besitzt etc.
Viele dieser ehemals die ethnosoziologische Forschung dominierenden Themen wurden in
den letzten Jahren, insbesondere im Zusammenhang mit dem sogenannten
„Dekonstruktivismus“ für obsolet erklärt und ihnen ein „euro-amerikanischer“ und/oder ein
„male“ Bias unterstellt.
Die gegenwärtige Ethnosoziologie beschäftigt sich mit Verwandtschaft, Deszendenz, Heirat,
Verwandtschaftssysteme, Verwandtschaftstermini, Familie und Haushalt, Sozialisation des
Individuums, Rechtsvorstellungen diverse andere Formen der Sozialorganisation (z.B.
Altersklassen, Kasten etc,.), diverse Formen politischer Organisation (z.B. Horde, Stamm,
Häuptlingstum, Big Men, Staat). Als besondere neuere Schwerpunkte kommen GenderBeziehungen, ethnische Beziehungen, Nation Building, Fragen der sozialen Reproduktion,
Individuum und Gesellschaft, Identität der Person und der Gesellschaft, soziales Status, Staat
und Gesellschaft etc. dazu.
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GRUNDLEGENDE BEGRIFFE UND „HILFSMITTEL“
Bedeutung der Abkürzungssymbole und Diagramme: Verwandtschaftsdiagramme und
Notationssymbole spielen in der Social Anthropology, insbesondere in den Kinship Studies,
eine wesentliche Rolle, zumal durch sie die oft recht komplizierten Verwandtschaftsbeziehungen verständlicher und klarer dargestellt werden können.
Zeichnen von Verwandtschaftsdiagrammen und Verwendung von Abkürzungssystemen
(Notationssystemen): Damit diese Diagramme und Abkürzungssymbole von allen
Ethnologen und Ethnologinnen in unmissverständlicher Weise verwendet werden können,
ist ein möglichst einheitliches System notwendig. Nur so lassen sich Daten vergleichen und
daraus dann allgemeine Schlussfolgerungen ziehen.
Als Grundeinheit und damit Ausgangspunkt verwandtschaftlicher Beziehungen wurde von
vielen Ethnologen (z.B. George Peter Murdock) ursprünglich die Eltern-Kind/KinderBeziehung betrachtet, die häufig mit der „Kernfamilie“ (nuclear family) bestehend aus
einem Vater, einer Mutter, ein oder mehreren Kindern, gleichgesetzt wurde.
 „Kernfamilie“ siehe unter ‚Wichtige Abbildungen‘
Innerhalb der Kernfamilie gibt es die Heiratsbeziehung zwischen einem Mann und einer Frau
die Beziehungen zwischen Eltern und ihrem Kind/ihren Kindern (oft alt Filiation bezeichnet)
und die Beziehungen zwischen Geschwistern.
Daraus ergeben sich acht grundlegende Typen der Verwandtschaft: Vater (father), Mutter
(mother), Ehemann (husband), Ehefrau (wife), Bruder (brother), Schwester (sister), Sohn
(son) und Tochter (daughter), welche die grundlegenden genealogischen Beziehungen
repräsentieren. (Schusky)
Mit Hilfe dieser acht primary kin types lassen sich somit auch komplexe
Verwandtschaftsbeziehungen, d.h. über die Kernfamilie bzw. die Eltern-Kind-Beziehung
hinausreichende Verwandtschaftsbeziehungen darstellen.
Die Bezugnahme auf die primary kin types ist aus mehreren Gründen essentiell:
1) Zum einen können damit, wie oben bereits festgestellt wurde, die genauen
genealogischen Positionen bezeichnet und damit komplexere Verwandtschaftsbeziehungen
eindeutig und klar wiedergegeben werden.
2) Zum anderen können, in Gesellschaften, in den dies bedeutsam ist, Unterschiede in der
sozio-ökonomischen oder politischen Relevanz bestimmter Verwandtschaftsbeziehungen
gegenüber anderen ausgedrückt werden.
3) Schließlich liefern uns die acht primary kin terms auch eine Art Schlüssel bzw. Hilfsmittel
bei der Übersetzung der Termini, die wir in anderen terminologischen Systemen finden.
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In einzelnen Gesellschaften ist eine präzise Darstellung der Verwandtschaftsbeziehungen
und eventuell vorliegender Differenzierungen von Verwandten von erheblicher Bedeutung,
da damit unterschiedliche Rechte und Pflichten und ein unterschiedliches soziales
Verhalten verbunden sein kann. So wird in vielen Gesellschaften z.B. der Vater-Bruder als ein
grundlegend anderer Verwandter als der Mutter-Bruder betrachtet. Eine Person kann
bezüglich des Besitzes und der gesellschaftlichen Position von seinem Mutter-Bruder
abhängig sein (z.B. in matrilinearen Gesellschaften), während der Vater-Bruder für ihn keine
Rolle spielt. In unserem Verwandtschaftssystem, welches ein bilaterales
Verwandtschaftssystem ist, werden beide Männer hingegen als zu einer gleichen Kategorie
gehörend betrachtet und es wird keine terminologische Unterscheidung zwischen beiden
vorgenommen. Beide werden als „Onkeln“ bezeichnet. (Schusky)
Zusammenfassend ergibt sich daher: Um Konfusionen zu vermeiden und den jeweiligen
Differenzierungsmustern der Verwandtschafts- und Statusbeziehungen zu entsprechen und
ein umfassendes Verständnis fremder Systeme zu erlangen, ist daher eine exakte
Differenzierung der Verwandtschaftsbeziehungen notwendig.
Am besten lässt sich diese erforderliche Exaktheit dadurch darstellen, dass ausgehend von
einem Bezugspunkt Ego, dessen verwandtschaftliche Beziehungen dargelegt werden, wobei
die oben genannten primären Typen als Bezugsrahmen verwendet werden.
Gleichzeitig vermeiden wir auf diese Weise die Heranziehung unserer eigenen
Verwandtschaftstermini zur Übersetzung von Verwandtschafts-beziehungen aus anderen
Gesellschaften.
Abkürzungen im Deutschen
Vater
Va
Mutter
Mu
Bruder
Br
Schwester
Sw
Sohn
So
Tochter
To
Ehemann
Ma
Ehefrau
Fr
Kreuz-Vetter
KV
Kreuz-Base
KP
Parallel-Vetter
PV
Parallel-Base
PB
älter als
ä
jünger als
j
Abkürzungen im Englischen
Father
Fa
F
Mother
Mo
M
Brother
Br
B
Sister
Si
Z oder S
Son
So
S oder s
Daughter
Da
Husband
Hu
Wife
Wi
Male Cross-Cousin
CC
Female Cross-Cousin
Cc
Male Parallel Cousin
PC
Female Parallel Cousin
Pc
elder
e
younger
y
male
m
female
f
Sibling
Sb
Nephew
Ne
Niece
Ni
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Kind
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Parent
Child
Spouse
In-Law
Grandfather
Grandmother
Grandparent
Ki
Pa
Ch
Sp
La
Gf
Gm
Gp
C
E
Beispiele: Vater-Bruder-Tochter-Sohn: VaBrToSo; FaBrDaSo; FBDS
Mutter-Bruder-Sohn-Sohn: MuBrSoSo; MoBrSoSo; MBSS
Br (e)  Terminus für älteren Bruder
Si (y)  Terminus für jüngere Schwester
Es gibt es Fälle, wo ein männliches Ego seinen Mutter-Bruder anders benennt als dies Ego´s
Schwester tun würde. Dieses Problem der Terminologie wird dadurch gelöst, dass man vor
den Verwandtschaftsterminus ein m (= male speaker = männlicher Sprecher) bzw. f (female
speaker = weiblicher Sprecher) stellt. (Schusky)
Beispiele: mMoBr  Terminus, den ein männlicher Sprecher für seinen MuBr verwenden
würde
fMoBr  Terminus, den eine weibliche Sprecherin für ihren MuBr verwenden
würde
Weitere Beispiele:
mFBs (e): männlicher Sprecher, Vater-Bruder-Sohn, älter als Ego
fMSs (e): weiblicher Sprecher, Mutter-Schwester-Sohn, älter als Ego
mMBds (e): männlicher Sprecher Mutter-Bruder-Tochter-Sohn, älter als Ego
fMBsds (y): weiblicher Sprecher, Mutter-Bruder-Sohn-Tochter-Sohn, jünger als Ego
mFBs (y): männlicher Sprecher, Vater-Bruder-Sohn, jünger als Ego
Das Zeichnen von Verwandtschaftsdiagrammen (kinship diagramme): Durch die
Verwendung von Abkürzungssymbolen ist die Darstellung verwandtschaftlicher Beziehungen
zwar erleichtert viel besser als verbale Beschreibungen eignen sich jedoch Diagramme. Sie
ermöglichen nicht nur eine exakte Darstellung der Verwandtschaftsbeziehungen auf einen
Blick, sondern sind auch sonst ein unentbehrliche Hilfsmittel bei der Analyse (z.B. Erstellung
von Genealogien, Erhebung der Verwandtschaftstermini).
 „Diagrammsymbole“ siehe unter ‚Wichtige Abbildungen‘
Faktoren, die bei der Diagramm-Darstellung zu beachten sind: Auch bei der
diagrammhaften Darstellung verwandtschaftlicher Beziehungen (d.h. den
Verwandtschaftsdiagrammen) sind nun einige Faktoren zu beachten. Dazu gehört vor allem
die Differenzierung nach dem Geschlecht, nach der Generationszugehörigkeit und die
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Unterscheidung von Bluts- und Affinalverwandten. (Schusky)
Als Prinzip für das Zeichnen von Verwandtschafts-Diagrammen gilt, dass alle Personen, die
zu ein und derselben Generation gehören, in einer Horizontalen stehen müssen. Um dies
stets richtig durchzuführen, wählt man einen Fixpunkt aus, der im Diagramm als Ego
bezeichnet wird. (Schmitz)
Keesing: Ego= „The person from whose point of view one is looking at kinship relations“.
Graphisch wird der Bezugspunkt Ego meist durch das Ausfüllen des jeweiligen Ego-Symbols
gekennzeichnet.
Ego ist über seine/ihre Eltern und seine/ ihre Kinder mit einer Reihe anderer Personen
verbunden. Gleichermaßen bewirkt die Heirat Ego´s auch eine Ausdehnung seiner
verwandtschaftlichen Beziehungen auf die Verwandten seiner Ehefrau/ihres Ehemannes.
 „Ego’s Blut- und Affinalverwandte“ siehe unter ‚Wichtige Abbildungen‘
Darstellung der kollateralen Verwandten Ego´s: Üblicherweise werden die Cross-Cousins in
einem Diagramm am äußersten linken bzw. rechten Rand von Ego lokalisiert. Damit wird die
Gruppierung der Parallel-Cousins mit den Geschwistern betont.
Darstellung des Generationsunterschieds: Der unterschiedlichen Generationszugehörigkeit
der Verwandten Ego´s wird u.a. dadurch Rechnung getragen, dass die Generation in der sich
der Bezugspunkt Ego befindet, als Ego-Generation bezeichnet wird.
Während die über Ego liegenden Generationen (z.B. Generation der Eltern, Großeltern) als
aufsteigende Generationen und die unter Ego liegenden Generationen (z.B. Kinder,
Enkelkinder) als absteigende Generationen bezeichnet werden.
Bezüglich der Generationen wird oftmals auch eine numerische Bezeichnung
vorgenommen, wobei es hier zwei Hauptformen gibt:
Ego-Generation = 0, Ego’s-Eltern-Generation = +1, Ego’s-Kinder-Generation = -1 oder EgoGeneration als 1. Alle aufsteigenden Generationen werden mit römischen Zifferen und alle
absteigenden Generationen mit arabischen Ziffern bezeichnet.
Ego steht im Mittelpunkt eines Netzes von Verwandtschaftsbeziehungen. Will man die
Vielzahl von Verwandtschaften, die diesem Netz von Beziehungen angehören, ordnen, so
kann man drei unterschiedliche Gliederungen vornehmen:
1) Nach der Art der Verwandtschaftsbeziehung: Differenzierung in Bluts- und
Affinalverwandte
2) Nach dem Grad der Verwandtschaft: Gliederung in Verwandte ersten, zweiten etc. Grades
3) Nach dem Generationsabstand: Gliederung in Aszendenten (Vorfahren) und
Deszendenten (Nachfahren bzw. Nachkommen), z.B. erste aufsteigende, zweite
aufsteigende, erste absteigende Generation etc.
Neben den genannten Gliederungsmöglichkeiten gibt es noch eine Reihe andere (z.B.
Differenzierung in lineare/kollaterale; Parallel und Kreuzverwandte), die insbesondere bei
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der Analyse der Verwandtschaftstermini eine Rolle spielen. Davon sind v.a. die
Blutsverwandten betroffen.
1) Differenzierung in lineare und kollaterale Verwandte
 „Darstellung der linearen und kollateralen Verwandten“ siehe unter ‚Wichtige Abbildungen‘
Definition von linearen Verwandtschaftsbeziehungen: „Lineare Verwandte sind die Eltern
und deren Eltern in der Potenzkette, also die Vorfahren, und ebenso die Nachkommen.“
(Hirschberg)
Definition von kollateralen Beziehungen: „Kollaterale Verwandte sind die Geschwister der
Vorfahren und deren Abkömmlinge“. (Hirschberg)
2) Differenzierung in Parallel- und Kreuz- Verwandte
Ein weiterer Differenzierungsaspekt, der insbesondere bei den theoretischen Konzeptionen
rund um die Heiratsbeziehungen und die verwandtschafts-terminologischen Systeme eine
große Rolle spielt, ist der der Differenzierung in gleichgeschlechtliche und
andersgeschlechtliche Verwandte, d.h. in Parallel- und Kreuzverwandte.
 „Darstellung der Parallel- und Kreuzverwandten“ siehe unter ‚Wichtige Abbildungen‘
Definition von Parallel- und Kreuzverwandten:
„In kinship, a parallel relative is any relative (e.g. a parallel uncle or aunt) whose relationship
is traced through a same-sex sibling link; the contrast is with cross.“ (Barnard/Spencer)
„Any relative whose relationship is traced through an opposite-sex sibling link, e.g. a crosscousin. Contrast parallel relative.“ (Barnard/Spencer)
3) Differenzierung in matri- und patrilateral
Schließlich wird noch eine weitere Differenzierung vorgenommen. Ego ist, wie bereits
mehrfach betont wurde durch seine Eltern mit einer Reihe von Personen, den Verwandten
von Ego´s Vater ( = patrilaterale Verwandte) und von Ego´s Mutter (matrilaterale
Verwandte), verbunden.
 „Darstellung der patri-lateralen und matri-lateralen Verwandten“ und „Kindred“ siehe
unter ‚Wichtige Abbildungen‘
Dieses Netzwerk von patrilateralen und matrilateralen Verwandtschaftsbeziehungen wird in
der KSA als Kindred bezeichnet.
Definition von Kindred: „The culturally-recognized category to which an individual may trace
kin relationship. It is by definition, egocentric and bilateral. In other words, each individual
has his or her own kindred, and this kindred includes relatives on both the mother's and the
father's sides.“ (Barnard/Spencer)
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Definition von Patrilateral: bezeichnet einen Verwandten auf der Seite des Vaters
(Hirschberg) bzw. spezifischer: „On the father´s side“. Refers to those kin who are
related to Ego through Ego´s father.“ (Seymour-Smith)
Definition von Matrilateral: bezeichnet einen Verwandten auf der Seite der Mutter.
(Hirschberg) bzw. spefizischer „On the mother´s side“. Refers to those relatives who are
linked to Ego through Ego´s mother.“ (Seymour-Smith)
Definition von patri-linear: „In kinship, through the father´s line. The term implies the
recognition of a category of descent inherited by both males and females but transmitted to
offspring only by males.“ (Barnard/Spencer)
Definition von matri- linear: „In kinship, through the mother´s line. The term implies a
recognition of a category of descent inherited by both females and males but transmitted to
offspring only by females.“ (Barnard/Spencer)
 „Unterschied zwischen patri-lateral und patri-linear bzw. matri-lateral und matrilinear“ siehe unter ‚Wichtige Abbildungen‘
Unterscheidung patri-linear und patri-lateral bzw. matri-linear und matri-lateral: Beide
dürfen nicht verwechselt werden. Im Gegensatz zu matri- bzw. patrilinear bezieht sich patrilateral bzw. matrilateral lediglich auf das jeweilige verwandtschaftliche Bindeglied (Alter,
siehe oben) über das Ego mit anderen Personen verwandt ist.
Patri-laterale Verwandtschaft impliziert somit die Verbindung Ego´s über seinen/ihren
Vater zur Gruppe der Verwandten auf der väterlichen Seite.
Bei der matri-lateralen Verwandtschaft ist hingegen Ego´s Mutter das Bindeglied zwischen
Ego und der Verwandtschaftsgruppe seiner Mutter ist.
(ENDE SKRIPT TEIL 1)
FORMEN DER SOZIALEN ORGANISATION:
Die beiden Begriffe „Sozialstruktur“ und „Sozialorganisation“ wurden in der Literatur oft
als Synonym verwendet. Dennoch gibt es zwischen den beiden Begriffe feine Unterschiede
und unterschiedliche Implikationen. Je nach dem theoretischen Ansatz der einzelnen
Autoren wird jeweils entweder der Begriff Sozialstruktur oder der Begriff Sozialorganisation
bevorzugt.
Autoren, die sich mit der sozialen Aktion befassen, tendieren dazu sich auf die soziale
Organisation zu beziehen, die die Rollen definiert, die die Individuen in den Beziehungen zu
einander spielen. Autoren, die sich mehr auf die formalen Beziehungen zwischen den
Leuten konzentrieren, tendieren dazu sich auf die Sozialstruktur zu konzentrieren, die die
Statuse jener Akteure definiert, die diese Rollen spielen.
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Soziale Gruppen und Gruppenbildung
Jede Gesellschaft oder Sozialstruktur besteht laut Keesing aus einer Reihe von
Gruppierungen bzw. Arrangements von Leuten.
Soziale Gruppen können auf sehr unterschiedliche Weise konstituiert werden. Auf der
Grundlage bestimmter sozial relevanter Merkmale, die Personen miteinander verbindet (z.B.
gemeinsame Abstammung von einem Ahnen X, Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe oder
einer bestimmten Altersgruppe, Residenz an einem bestimmten Ort), können Individuen
konzeptuell zu Gruppen zusammengefasst werden.
Laut Schmitz kann man die sozialen Gruppen nach folgenden Gesichtspunkten gliedern:
1. Die personelle Zusammensetzung
Dieser Gesichtspunkt sucht nach den Ordnungsprinzipien, aufgrund derer sich der
Mitgliederbestand der Gruppe zusammensetzt. Diese Prinzipien können
verwandtschaftlicher, politischer, religiöser, beruflicher, ethnischer, linguistischer Art, etc.
sein.
2. Die Organisation innerhalb der Gruppe
Anhand der Art der Beziehungen zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern lassen sich
drei Formen unterscheiden: reziproke, gleichberechtigte und einseitige Beziehungen.
3. Die Wohnordnung (Residenz)
Unterscheidung ob die Gruppe als Ganzes zusammenwohnt (z.B. in einem Dorf), ob sie
teilweise zusammenwohnt oder ob die Mitglieder der Gruppe völlig verstreut wohnen, so
dass die Gruppenexistenz im Siedlungsschema nicht zu erkennen ist.
4. Die Integration der Gruppe
Unter Integration der Gruppe versteht man die mehr oder weniger starke Verflechtung der
einzelnen Mitglieder einer Gruppe mit anderen Gruppen.
5. Die Funktionen der Gruppe
Gruppen, die sehr viele Funktionen an sich ziehen, nennt man funktionsstark, Gruppen, die
nur wenige Funktionen erfüllen, werden als funktionsschwach bezeichnet.
Bezüglich der Gruppen ist noch folgender Unterschied zu beachten: Gruppen, die ständig
Funktionen erfüllen (z.B. die Familie); Gruppen, die nur vorübergehend Funktionen erfüllen
(z.B. Gruppen die zur Ernte, zur Jagd, für Kultfeste etc. gebildet werden) und Gruppen, die
absolut keine Funktionen zu erfüllen haben (sie können höchstens über ein gemeinsames
Gruppenbewusstsein zusammengehalten werden und meist verschwinden solche Gruppen
nach relativ kurzer Zeit).
6. Die Grade des Gruppenbewusstseins
Eine Gruppe ohne Gruppenbewusstsein ist letztlich keine Gruppe mehr. Das
Gruppenbewusstsein kann die Existenz einer Gruppe verlängern, auch wenn diese längst
aufgehört hat Funktionen im Gesellschaftsganzen zu erfüllen.
Verwandtschaftsbeziehungen als wesentlicher Aspekt der Bildung sozialer Gruppen
Die Verwandtschaftsbeziehungen (engl. Kinship ties) stellen ein wesentliches Element der
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Formierung sozialer Gruppen dar. Auf der Grundlage der Verwandtschaftsbeziehungen
lassen sich unterschiedliche Formen verwandtschaftlicher Gruppen (engl. kin groups)
bilden.
1) Gruppenbildung auf der Basis blutsverwandtschaftlicher Beziehungen
Wer als Blutsverwandter gilt, wird jeweils von der betreffenden Gesellschaft festgelegt.
Kritik:
* Es gibt eine Reihe von Gesellschaften, wo andere Faktoren als das Blut wesentlich sind
um „Gemeinsamkeit“ zu schaffen.
* Es gibt ganz unterschiedliche Konzepte über die Zeugung von Menschen.
* Die Eltern-Kind-Beziehungen muss nicht notwendigerweise auf der biologischen
Elternschaft basieren.
Kindred als eine Ego-zentrierte soziale Gruppe
Bezogen auf die „Blutsverwandten“ ist jedes Individuum (Ego) durch seine Eltern sowohl mit
den Verwandten seines/ihres Vaters (den patri-lateralen Verwandten) wie auch den
Verwandten seiner/ihrer Mutter (den matri-lateralen Verwandten) verbunden. Das heißt
jedes Individuum verfügt über bilaterale Verwandtschaftsbeziehungen (= Beziehungen zu
beiden Seiten). Ein solches Netzwerk an bilateralen Verwandtschaftsbeziehungen wird in
der Ethnologie als Kindred bezeichnet.
2) Abstammung (Deszendenz) als wesentliche Kategorie der Gruppenbildung
Diese soziale Kategorie bezieht sich nun nicht mehr auf eine lebende Person (Ego) wie in der
Kindred, sondern auf einen Vorfahren (Ancestor). Dadurch, dass nun die Abstammung
(Deszendenz) als ein wesentliches Kriterium der Gruppenzugehörigkeit eingeführt wurde,
konnte das Netzwerk der Kindred, welches keine dauerhaften korporativen Einheiten
ermöglicht und sehr umfangreich ist, besser eingegrenzt werden und klar definierte soziale
Einheiten geschaffen werden.
Auf der Basis bestimmter Abstammungsregeln (descent rules) wurde/wird festlegt, wer
Mitglied in einer bestimmten sozialen Kategorie ist und wer nicht.
Unterschied zwischen Verwandtschaft und Deszendenz
* EGO als Bezugspunkt
* Ahnherr, bzw. Ahnfrau als Bezugspunkt
* In allen Kulturen von Bedeutung
* Kommt nur in einigen Kulturen vor
* Status ist relativ
* Status ist absolut
Deszendenzregeln
Ganz allgemein und vereinfacht können zwei Hauptarten von Deszendenzregeln und damit
auch zwei Hauptarten der Bildung von Deszendenzgruppen unterschieden werden.
1. unilineare Deszendenzregeln
Bei der unilinearen Deszendenzregel wird aus dem Spektrum von Ego´s Verwandten jeweils
nur eine Linie für die Berechnung von Ego´s Abstammung als relevant angesehen.
2. cognatische (bilateral oder nicht-unilinear) Deszendenzregeln
Bei der cognatischen Deszendenzegel hingegen nutzt Ego sowohl die männlichen wie auch
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die weiblichen Verbindungen um seine Abstammung abzuleiten.
UNILINEARE DESZENDENZ
a) Patrilineare Deszendenz
Die patrilineare Deszendenz, bisweilen auch agnatische Deszendenz genannt, ist eine Form
der unilinealen Deszendenz, die nur über Männer abgeleitet wird.
Patrilinearität kommt vor allem in pastoralen Gesellschaften mit einer männlich dominierten
Arbeitsteilung und beträchtlicher Mobilität sowie in zahlreichen Gartenbau und Ackerbau
treibenden Gesellschaften vor.
Trotz der Vielfalt patrilinearer Deszendenzformen und der mit ihnen verbundenen
unterschiedlichen Auswirkungen auf die soziale Organisation lassen sich doch einige
allgemeine Grundzüge erkennen: Patrilinearität ist häufig mit der Formierung ganz
spezifischer korporativen Deszendenzgruppen (Patrilineages und Patriklans) verbunden,
desweiterem mit einem besonderen Geschlechterverhältnis (d.h. Mann-Frau-Beziehungen)
sowie einer besonderen Residenzform (der Patrilokalität).
b) Matrilineare Deszendenz
Die matrilineare Abstammung, die bisweilen auch als uterine Deszendenz bezeichnet wurde,
ist eine Form der unilinealen Deszendenz, die nur über Frauen abgeleitet wird.
Insgesamt ist die Matrilinearität wesentlich seltener anzutreffen als die Patrilinearität oder
die Bilateralität. Matrilinearität kommt primär in Ackerbau treibenden Gesellschaften vor,
wo die Frauen einen Großteil der landwirtschaftlichen Aktivitäten durchführen.
Besonderheiten, die in Gesellschaften mit matrilinearer Deszendenz anzutreffen sind:
* die gleichmäßigere Bedeutung von Frauen und Männern in der Gesellschaft
* die besondere Stellung des Mutter-Bruders
* die Autoritäts- und Rollenkonflikte der Männern in ihrer Funktion als Vater und als
Mutter-Brüder
* die größere Flexibilität der sozialen Beziehungen.
* besondere interne Organisation
c) Double Descent/Doppelte Deszendenz
Bei der Doppelten Deszendenz handelt es sich um Systeme, die sowohl patri-linear wie auch
matri-linear organisiert sind. Double Descent kommt insgesamt nur in sehr wenigen
Gesellschaften vor.
In einem Double Descent System gehört Ego sowohl zur patrilinearen Gruppe seines Vaters,
wie auch zur matrilinearen Gruppe seiner Mutter. Diese beiden Deszendenzgruppen sind
aber immer unterschiedliche Arten von Gruppen, die in verschiedenen Kontexten wichtig
sind.
d) Parallel Descent
Die parallele Deszendenz ist eine Form der unilinealen Deszendenz, bei welcher Frauen ihre
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Deszendenz nur durch Frauen, Männer ihre Deszendenz nur durch Männer ableiten.
Insgesamt kommt Parallel Descent sehr selten vor.
Lineage:
Abstammungsgruppen, die auf der Basis der unilinearen Abstammung gebildet werden,
werden als Lineages (Linien) bezeichnet. Die Mitglieder der Lineage führen ihre
Abstammung entweder auf einen gemeinsamen Ahnherren (bei patrilinearer Deszendenz)
bzw. auf eine gemeinsame Ahnfrau (bei matrilinearer Deszendenz) zurück.
Hauptunterschied zwischen Klan und Lineage ist der, dass im Fall der Lineage, „...die
einzelnen Mitglieder einer Lineage ihre Deszendenz von einem Vorfahren nachweisen
können, während die eines Klans dies nicht können. Die Klanmitglieder haben zwar eine
Vorstellung von gemeinsamer Abstammung, sind aber in Wirklichkeit nicht imstande, diese
im Einzelnen zurückzuverfolgen und nachzuweisen.“
e) Hälften- und Sektionen-Organisation
Abschließend ist noch auf eine weitere Besonderheit unilinearer Deszendenzgruppen
einzugehen. In einzelnen Gesellschaften wird auch eine Gliederung in Hälften (Moieties) und
Sektionen (sections) vorgenommen.
Gliederung der Gesellschaft in Moities: Eine Gliederung der Gesellschaft in Moieties liegt
dann vor, wenn die gesamte Gesellschaft auf der Basis einer unilinearen Deszendenzregel
(entweder patrilinearer oder matrilinearer Deszendenz) in zwei Hälften (Moieties) gegliedert
ist. Im Allgemeinen sind die Moieties exogam, d.h. ein Individuum muss seinen Partner
immer aus der anderen Hälfte suchen. Z.B. ein Mitglied der Moiety A muß seinen Partner aus
der Moiety B suchen und vice versa.
Hälftenorganisation gibt es z.B. bei einzelnen nord- und südamerikanischen Gruppen sowie
bei den australischen Aborigines.
Sektionensysteme: Die Sektionen-Systeme, z.B. Vier-Sektionen, Acht-Sektionen, SechzehnSektionen Systeme, die auch als Klassen-Systeme (z.B. Vier-Klassen-System) bezeichnet
werden, stellen im Wesentlichen eine Erweiterung der Moiety-Organisation dar. Sie
kommen vor allem bei den Aborigines in Australien vor.
Anzumerken ist, dass in der Ethnologie hier oftmals keine einheitliche Meinung darüber
herrscht, ob diese Sektionensysteme einfache unilineare Systeme sind oder als Double
Descent Systeme zu betrachten sind.
KOGNATISCHE DESZENDENZ
Im Unterschied zu den oben dargelegten unilinearen Systemen, wo jeweils nur eine Linie
bedeutsam ist, sind im Fall der cognatischen Deszendenz beide Linien wesentlich.
Im Rahmen der kognatischen Deszendenz-Ideologie kann eine Person sowohl zur Gruppe des
Vaters, als auch zur Gruppe der Mutter gehören. Andererseits gehören der Theorie nach
auch alle Nachkommen eines Ahnherrn bzw. einer Ahnfrau zur Deszendenzgruppe. In der
Praxis kann man jedoch nicht alle damit verbundenen Rechte und Pflichten wahrnehmen,
daher hat ein Ego Entscheidungen darüber zu treffen, welchen Gruppen es de-facto
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anzugehören wünscht. Dies hat unter den Anthropologen für Verwirrung gesorgt, wie die
Anzahl der Ausdrücke zeigt, mit denen man solche kognatischen Deszendenzgruppen
belegte.
In den späten 50iger und frühen 60iger, als sich die Ethnologen mit diesen cognatischen
Deszendenzsystemen zu beschäftigen begannen, entwickelte sich eine umfangreiche
Debatte über die Frage, wie diese Systeme funktionieren und wie sie klassifiziert werden
sollten.
Bilaterale Deszendenz/Cognatische Deszendenz
Laut Harris stellt die bilaterale Deszendenz die häufigste Form der Anwendung der
cognatischen Deszendenzregel dar.
Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang auch, dass auch die bilateraler Verwandtschaft
(Kindred) als ein organisatorisches Prinzip zur Schaffung von dauerhaften Gruppen dienen
kann.
Ambilinearer Deszendenz
Im Unterschied zur bilateralen Deszendenz, die gleichmäßig und symmetrisch über die
maternalen und paternalen Linien erfolgt, nimmt Ego bei der ambilinearen Deszendenz eine
Auswahl jener Vorfahren vor auf die er/sie sich zurückführen möchte.
(ENDE SKRIPT TEIL 2)
DARSTELLUNG DER RESIDENZFORMEN
Wie aus den Darlegungen zur Deszendenz schon ersichtlich wurde, gibt es in zahlreichen
Gesellschaften auch genaue Regeln, die festlegen, wo die einzelnen Individuen leben sollen.
Solche Regeln werden in der Ethnosoziologie als Residenzregeln (Wohnfolgeordnung)
bezeichnet. (Vivelo)
Die Residenzregeln (Wohnfolgeordnungen) sind somit die Normen, die festsetzen, wo
Menschen leben sollen. Sie sind jener Teil des konzeptuellen Systems einer Kultur, der mit
dem angemessenen Wohnverhalten zu tun hat: wer soll wo und mit wem leben.
Die statistische Zusammenfassung dessen, was die Leute tatsächlich tun, d. h. wo und mit
wem sie tatsächlich leben, wird als Residenzmuster bezeichnet. (Vivelo)
Anzumerken ist, dass sich die tatsächlichen Residenzmuster von den Residenzregeln
unterscheiden können, z.B. durch Migration etc. Wie die Analyse der Heiratsbeziehungen
und der Deszendenzbeziehungen, so ist auch die Untersuchung der Residenzregeln und der
Residenzmuster ein wesentlicher Bestandteil der anthropologischen Untersuchung von
Verwandtschaftssystemen. (Schusky)
In Anbetracht der großen Fülle unterschiedlicher Arten und Kombinationsmöglichkeiten der
Residenzregelung ist es in der Ethnosoziologie bislang nicht gelungen ein einheitliches
Klassifikationsschema der Residenzregeln zu erstellen.
Im Vordergrund der ethnologischen Betrachtung der Residenzregeln stehen meist die mit
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der Heirat zusammenhängenden Residenzregeln. In den meisten vorindustriellen
Gesellschaften lebt ein jung vermähltes Paar nicht isoliert, sondern verbringt zumindest die
ersten Jahre in einem größeren Familienverband (z.B. in der paternalen extended family). In
zahlreichen Gesellschaften gibt es daher genaue Regelungen, die festlegen, wo ein
Individuum nach seiner Heirat leben soll.
Definition von Wohnfolgeordnung bzw. postnuptiale Residenzregel:
„Residence Rules: Conventions for residence by a couple after marriage, defining whether
they reside with husband´s kin ,wife´s kin, or other.“ (Keesing)
Hauptformen der Residenzordnung (Bargatzky):
Name der Regel
Virilokalität
Wohnort des Ehepaars
bei Verwandten des Ehemannes
Uxorilokalität
bei Verwandten der Ehefrau
Patrilokalität
am Wohnort des Vaters (eines der beiden Ehepartner)
Matrilokalität
am Wohnort der Mutter (eines der beiden Ehepartner)
Neolokalität
Neuer Haushalt – weder bei Verwandten des Ehemanns, noch bei den Verwandten
der Ehefrau
vorwiegend bei Verwandten des Ehemannes bzw. vorwiegend bei Verwandten der
Ehefrau
Ambilokalität
Avunkulokalität
bei Onkel (mütterlicherseits) des Ehemannes
Anzumerken ist in Zusammenhang mit den in der Abbildung genannten Residenzformen,
dass einzelne der oben angeführten Begriffe zweideutig sind, z.B. patrilokal, matrilokal,
virilokal etc.
Keine einheitliche Verwendung diverser Termini: Einzelne Begriffe, wie z.B. virilokal und
uxorilokal werden von einzelnen Autoren ganz unterschiedlich verwendet.
Ein Hauptgrund für das Abweichen der tatsächlichen Residenzmuster von der Residenzregel
scheinen ökonomische Gründe zu sein. Es gibt somit in jeder Gesellschaft immer wieder
Personen bzw. Paare, die aus ökonomischen oder auch anderen Gründen, ein anderes
Residenzmuster aufweisen als es die Residenzregel implizieren würde. D.h. es gibt immer
einen gewissen Prozentsatz abweichender Residenzformen.
AFFINALVERWANDTE und HEIRATSBEZIEHUNGEN
Affinalität (Verschwägerung): Affinalität bezeichnet Beziehungen, die zwischen Personen
über irgendwelche Formen der Heirat hergestellt werden.
Affinalverwandte: „In kinship studies, an affine is a person related to Ego
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by a marriage link“. (Seymour-Smith)/„Affines, then, are people married to our
consanguines.“ (Fox)
Ehe bzw. Heirat: „Marriage: A socially recognized bond between two persons of opposite
sex, with culturally variable implications, including economic cooperation, the transfer or
sharing of property rights, sanctioned sexual intimacy, and the legitimation of children
resulting from the union.“ (Winthrop)
Obwohl der Heirat eine ganz wesentliche Bedeutung bei der Etablierung sozio-politischer
und ökonomischer Beziehung zukommt und die Analyse der Heiratsbeziehungen zu den
bedeutendsten Bereichen der ethnosoziologischen Forschung gehört, es insbesondere in
diesem Bereich sehr schwierig ist eine universell anwendbare Definition von Heirat und Ehe
zu entwickeln bzw. allgemeingültige Aussagen über die Funktion der Ehe und die
Beziehungen zwischen den Ehepartnern zu machen.
Dies hängt u.a. damit zusammen, dass es eine große Variabilität an unterschiedlichen, oft
recht außergewöhnlichen Heiratsarrangement gibt und der Ehe bzw. Heirat im cross-cultural
Vergleich sehr unterschiedliche Funktionen zukommen. (Seymour-Smith)
Dennoch hat es in der Ethnosoziologie immer wieder Versuche gegeben eine minimale
Definition der Begriffe Heirat und Ehe zu entwickeln. Ausgangspunkt dafür war und ist
die Annahme einiger universell verbreiteter Schlüsselfunktionen der Heirat, wie z.B. dass
durch die Heirat eine Kontrolle über oder ein Recht über die sexuellen Aktivitäten etabliert
wird und die Legitimation von Kindern bzw. das Recht über die Kinder konstituiert wird.
Sehr häufig wurde die Heirat auch entsprechend dem euro-amerikanischen Bias der
Ethnologen (z.B. Murdock) als recht einflussreich für die Konzeptualisierung anderer sozialer
Beziehungen angesehen.
Bedeutung der Heiratsbeziehungen: Wie aus den obigen Darlegungen rund um die
Definition des Begriffs Heirat schon ersichtlich ist, erfüllt die Heirat eine ganze Reihe von
Funktionen.
Sie dient einerseits der Legitimierung sexueller Beziehungen zwischen Mann und Frau
und der Legitimierung der Nachkommenschaft. (Gough)
Desweiteren dient die Heirat der Übertragung von Anrechten an der Sexualität,
Reproduktivkraft und Arbeitskraft der Frauen. (Goodenough)
Eine weitere wichtige Funktion der Heiratsbeziehung ist die soziale Gruppen miteinander
zu verbinden. Im Gegensatz zu den westlichen Industriestaaten, wo es sich bei der
Heiratsbeziehungen meist um eine private individuelle Beziehung zwischen den beiden
Ehepartnern handelt, sind die Relationen in den von Ethnologen untersuchten
Gesellschaften meist nicht privater Natur. Vielmehr erfüllt die Heirat hier die Funktion
Beziehungen zwischen sozialen Gruppen zu etablieren bzw. zu erneuern.
Die Funktion der Heirat besteht auch darin Allianzen zu formen und neue
verwandtschaftliche Bande zu knüpfen oder zu festigen bzw. zu erneuern
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Insbesondere im Rahmen der „Allianztheorie“ (z.B. bei Lévi-Strauss) wurde dieser
Aspekt der Verwandtschaft besonders betont und die Bedeutung der Heirat als Mittel zur
Konstituierung von Verwandtschaft in den Vordergrund gerückt.
Zusammenfassend ergibt sich, dass den Heiratsbeziehungen eine Fülle unterschiedlicher
Funktionen zukommt, wie z.B. Legitimierung der Nachkommenschaft, Recht auf Sexualität
und Reproduktivkraft der Frau, Kontrolle der weiblichen Sexualität, Schaffung von Allianzen
etc.
Heiratsformen, Heiratsregeln und Gütertrasnaktionen rund um die Verheiratung
a) Heiratregeln
Wie bei der Abstammung, so gibt es auch bezüglich der Etablierung affinaler Beziehungen
oft Regeln, die festlegen wer geheiratet werden kann und wer nicht geheiratet werden kann.
Im Allgemeinen wird in der Ethnologie zwischen präskriptiven und präferentiellen
Heiratsregeln bzw. Heiratsordnungen unterschieden. Lévi-Strauss spricht in diesem
Zusammenhang auch von positiven (legt genau fest wer geheiratet werden muss) und
negativen Regeln (legt fest, wer nicht geheiratet werden kann).
b) Präferentielle Heiratsordnung
Unter einer präferentiellen Heiratsordnung versteht man eine Heiratsregelung, bei der die
Regeln angeben, welche Kategorie oder Kategorien von Personen ein Individuum heiraten
soll, d.h. welchen der Vorzug gegeben wird.
Auch beim Levirat und Sororat, die in manchen Gesellschaften vorkommt, handelt es sich
meist nur um eine präferentielle Heiratsregelung.
c) Präskriptive Heiratsregeln
Bei einem präskriptiven Heiratssystem bestimmen die Regeln, wen ein Individuum
heiraten muss.
d) Agamie
Liegen keine Heiratsregeln vor, die festlegen würden wie geheiratet werden muss bzw. soll
(z.B. endogam oder exogam), so spricht man von Agamie.
e) Isogamie
Unter Isogamie versteht man eine Heiratsbeziehung zwischen zwei Personen, die denselben
Sozialstatus haben oder derselben Schicht oder Kaste in einer stratifizierten Gesellschaft
angehören.
f) Anisogamie
Unter Anisogamie versteht man eine Heiratsbeziehung zwischen Personen unterschiedlichen
sozialen Statuses bzw. unterschiedlicher Schichtzugehörigkeit.
Die Anisogamie kann dabei zwei verschiedene Formen annehmen:
* Hypergamie: Hier hat der Bräutigam einen höheren sozialen Status
* Hypogamie: hier hat die Braut einen höheren sozialen Status.
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g) Hypergamie
Bei der Hypergamie handelt es sich, wie oben schon erwähnt wurde, um eine Heiratsform
bei der eine Frau einen Mann höheren Statuses heiraten soll oder muss. Die Frau heiratet
hier sozusagen "hinauf."
h) Hypogamie
Im Gegensatz zur Hypergamie, wo der Ehemann einer höheren Schicht als die Ehefrau
angehört, handelt es sich bei der Hypogamie um eine Heiratsbeziehung, wo die Frau einer
höheren Schicht bzw. Statusgruppe als der Ehemann angehört. (Vivelo)
Hier heiratet die Frau sozusagen "nach unten" bzw. umgekehrt aus der Sicht eines Mannes
niedriger Statuszugehörigkeit erfolgt bei der Hypogamie nun eine Hinaufheirat des Mannes
in die statushöhere Gruppe seiner Frau.
i) Endogamie und Exogamie
Eine der wichtigsten Differenzierungen der Heiratsbeziehungen, die insbesondere auch in
der ethnosoziologischen Theoriebildung eine große Bedeutung erlangt hat, ist die zwischen
endogamen und exogamen Heiraten.
Exogamie
Die Exogamie wird bisweilen auch als "out-marriage" bezeichnet. Definition: "a requirement
for marriage outside a particular social group or range of kinship or category".
Eine besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang dem Inzesttabu zu.
In fast allen Gesellschaften ist infolge des Inzesttabus die Heirat mit engen Blutsverwandten
verboten.
Endogamie
Die Endogamie wird bisweilen auch als "in-marriage" bezeichnet. Die Endogamie ist
gleichsam die umgekehrte Heiratspraxis. Hier muss die Frau innerhalb der eigenen Gruppe,
sozialen Einheit oder Kategorie gesucht werden.
Zu den bekanntesten und umfassendsten beschriebenen Formen endogamer Heiraten
gehören die verschiedenen Formen der „Cousin Marriage“.
Man unterscheidet zwei Formen:
1) Cross- Cousin-Marriage: Kreuzkusinen-Heirat: d.h. Ego heiratet seine VaSwTo oder seine
MuBrTo; bzw. ego heiratet ihren VaSwSo bzw. MuBrSo.
2) Parallel-Cousin-Marriage: Parallelkusinen-Heirat: d.h. Ego heiratet seine VaBrTo bzw.
MuSwTo und ego heiratet ihren VaBrSo bzw. MuSwSo.
j) Heiratsformen
Eine bedeutsame Unterscheidung ist die zwischen monogamen und polygamen Heiraten
bzw. zwischen Monogamie und Polygamie.
- Monogamie (oder Einfachheirat)
Bei der Monogamie handelt es sich um eine Eheform bei der ein Mann bzw. eine Frau
jeweils nur mit einem Partner zur gleichen Zeit verheiratet sein darf. Der Ausdruck „zur
selben Zeit“ ist hier hinzugesetzt um diese Form der Heirat von der „seriellen Monogamie“
zu differenzieren.
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- Polygamie
Bei der Polygamie handelt es sich um die Eheform bei der eine Person mit zwei oder
mehreren Partnern zur selben Zeit verheiratet ist. Es liegen hier somit Mehrfachheiraten
eines Individuums vor. Die Gründe für diese Heiratsarrangements können sehr vielfältiger
Natur sein, z.B. demographisch, politisch etc.
Bei den polygamen Heiraten bzw. bei den Mehrfachheiraten können wiederum zwei
verschiedene Formen unterschieden werden.
* Polygynie: Heirat eines Mannes mit mehreren Frauen (non-sorale Polygynie, sorale
Polygynie, occasional Polygynie)
* Polyandrie: Heirat einer Frau mit mehreren Männern (non-fraternale/non-adelphische
Polyandrie, fratale/adelphische Polyandrie)
Insgesamt ist die Polygynie die verbreiteste Heiratsform überhaupt.
- Levirat und Sororat
Levirat und Sororat kommen in zahlreichen Gesellschaften als präferentielle oder
präskriptive Sekundärheiraten vor.
Levirat
Ganz allgemein kann unter Levirat jene Heiratsform verstanden werden, bei der ein Mann
verpflichtet ist oder das Recht hat die Witwe seines verstorbenen Bruders oder eines
anderen nahen Verwandten zu heiraten bzw. eine verwitwete Frau dazu verpflichtet ist, sich
vorzugsweise mit dem Bruder ihres verstorbenen Ehemanns, bisweilen auch mit einen
anderen nahen Verwandten desselben wiederzuverheiraten.
Sororat
Ganz allgemein handelt es sich beim Sororat um eine Heiratsform bei der ein Witwer
verpflichtet ist die Schwester oder eine andere nahe Verwandte der verstorbenen Frau zu
heiraten bzw. wo ein Witwer ein Anrecht auf die Schwester oder eine andere nahe
Verwandte seiner verstorbenen Frau hat. Letztere fungiert hier als Substitut für die
Verstorbene.
- Diverse andere Heiratsformen
Frauen-Heirat (Woman-Woman-Marriage)
Es gibt auch Gesellschaften, wo die Heirat zwischen Leuten des gleichen Geschlechts
vorkommt, wie z.B. bei den Nuern.
Ghost Marriage
Dabei scheint es zwei Formen zu geben: Einerseits, dass eine Frau einen "toten Mann"
heiratet, der dann zum genealogischen Pater ihrer Kinder wird. In einem anderen Fall der
„Ghost Marriage“ geht eine Witwe anstelle ihres toten Ehemann, wenn dieser keinen Erben
hat, eine Heirat ein bzw. eine Schwester für ihren verstorbenen Bruder, wenn dieser kein
Nachkommenschaft hat. Die Kinder werden dann der Lineage des Toten zugerechnet.
Raubheirat
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Bei der Raubheirat handelt es sich um eine Heirat bei welcher der Bräutigam oder seine
Verwandtschaftsgruppe die Braut gewaltsam von ihrer Familie nehmen.
Gruppenheirat
Unter Gruppenheirat versteht man jene Eheform, bei der eine Gruppe von Männern
kollektiv mit einer Gruppe von Frauen verheiratet ist.
Tauschheirat
„Tauschheirat: Eine Heiratsordnung, die durch ein zwischen zwei Männern geschlossenes
Übereinkommen gekennzeichnet ist, nach welchem diese entweder ihre Schwestern
tauschen, um diese zu ihren gegenseitigen Ehefrauen zu machen, oder ihre Töchter
austauschen, um diese ihren Söhnen, ihren Brüdern oder sich selbst als Ehefrauen
zuzuteilen.“
 „Sororale Polygynie, fraternale Polyandrie, Levirat und Sororat“ siehe unter ‚Wichtige
Abbildungen‘
Gütertransaktionen bei der Heirat: Brautpreis/Bridewealth, Mitgift, Brideservice
Heiratsbeziehungen können auf sehr unterschiedliche Weise zustande kommen. Sehr häufig
inkludiert die Etablierung von Heiratsbeziehungen eine Reihe von Gütertransaktionen
(sogenannten Marriage payments). Diese finden sich vor allem in Gesellschaften, wo kein
Austausch von Frauen (z.B. Schwestern oder Töchtern) zwischen sozialen Gruppen
stattfindet.
In der KSA sind diese Gütertransaktionen zwischen den beiden Gruppen meist unter dem
Aspekt des Tausches bzw. der Gabe und Gegengabe abgehandelt worden. D.h. Frau gegen
Frau bzw. Frau gegen Rinder oder andere Güter. Insbesondere in der Allianztheorie wird
dieser Aspekt besonders betont.
Die Heirat wird hier nicht nur als eine Gelegenheit verstanden neue soziale Bande zu
knüpfen, sondern auch als eine Institution gesehen, die eng verbunden ist mit einer Reihe
von Prestationen, größerer und kleinerer Wichtigkeit, die sowohl symbolisch wie materiell
sein können.
Der Begriff „Prestation“ wurde von Mauss in die Ethnologie eingeführt und bezieht sich auf
ein „totales soziales Phänomen“, das durch das Geben von Geschenken und die Reziprozität
(d.h. Gabe und Gegengabe) konstitutiert wird.
Diese Prestationen sind nicht nur wesentlich für das Zustandekommen der Beziehung,
sondern schaffen auch ein langandauerndes Band zwischen den beiden Gruppen, die
Parteien dieses Austausches sind.
Grundsätzlich lassen sich zwei Hauptformen der Marriage Payments, d.h. der
Heiratszahlungen, unterscheiden: Bridewealth und Dowry.
Man kann somit unterscheiden zwischen Gesellschaften, die „Bridewealth“ praktizieren
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(dieser schließt Prestationen in Naturalien oder Gütern, die die Familie des Bräutigams an
die Familie der Braut übergeben muss, ein) und solchen Gesellschaften, die „Dowry“
praktizieren (hier wird eine Sammlung von Gütern und Dienstleistungen seitens der Familie
der Braut der Familie des zukünftigen Bräutigams angeboten.
Daneben gibt es Gesellschaften, die das sogenannten „Bride-Service“ praktizieren, d.h.
Gesellschaften wo der Bräutigam seine Arbeitskraft der Gruppe der Braut zur Verfügung
stellen muss.
Allgemeine Bedeutung des Gütertransfers bei der Heirat
Die Struktur der Heirats-Prestations kann wichtige politische, ökonomische und rituelle
Konsequenzen für die Gesellschaft als Ganzes haben und es hat mehrere Versuche gegeben
einen großen Vergleich anzustellen.
Für Jack Goody rührt die Wahl zwischen bridewealth and dowry von einer allgemeineren
Opposition zwischen Gesellschaften, die unilineare Verwandtschaftsysteme haben und die
Abstammung betonen, gegenüber Gesellschaften, die bilaterale Systeme haben und die
Allianz hoch einschätzen.
Bridewealth, Brautpreis
Der Begriff „Bridewealth“ wurde geprägt um den kaufmännischen Beigeschmack des
traditionellen Ausdruckes bride price zu vermeiden.
Unter dem Begriff Brautpreis wird die Gesamtheit jener Waren, Wertgegenstände oder
Geldzahlungen verstanden, die vom Bräutigam oder seiner Verwandtschaftsgruppe an die
Braut bzw. die Verwandtschaftsgruppe der Braut übergeben werden. (vgl. Panoff/Perrin,
Barnard/Spencer sowie Keesing)
Die Höhe und Zusammensetzung des Brautpreises sind durch den Brauch festgelegt und
hängt gewöhnlich vom sozialen Status der beiden vertragschließenden Parteien ab, wobei
die bezahlte Summe häufig umso höher ist, je reicher oder mächtiger der Bräutigam ist.
Die Zahlung eines Brautpreises ist vor allem unter Viehzüchtern verbreitet.
Gründe für den Brautpreis:
Als Gründe für den Brautpreis werden in der ethnosoziologischen Literatur eine Reihe von
Aspekten angeführt.
* U.a. sei der Brautpreis als eine Einrichtung zu verstehen, mit der in feierlicher Weise ein
Ehevertrag besiegelt werden soll.
* Der Brautpreis soll die Stabilität der Verbindung garantieren.
* Der Brautpreis stellt eine Versicherung dar, dass die Frau von ihren Affinalverwandten gut
behandelt wird.
* Der Brautpreis stellt eine Entschädigung der Brautfamilie dar, die eine Arbeitskraft
verloren hat.
* Brautpreis dient der Legitimierung der Kinder dieser Ehe als Mitglieder der Lineage des
Bräutigams.
* Brautpreis ist eine Zahlung um Transfer von Rechten über die Sexualität, die Arbeit, die
Dienstleistungen einer Frau, sowie ihre Fruchtbarkeit auszugleichen.
* Der Brautpreis ist eine umgekehrte Mitgift.
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Am häufigsten wird der Brautpreis in der Ethnologie als eine Art Kompensation für den
Verlust einer Arbeitskraft und als Ausdruck der Übertragung von Rechten von einer
Gruppe (d.h. der Gruppe der Frau) auf eine andere Gruppe (d.h. die Gruppe des
Ehemannes) interpretiert.
Mitgift, Dowry
„Mitgift: die Gesamtheit der Güter, die mit einer gewissen Feierlichkeit anlässlich einer
Hochzeit von den Eltern oder der Gruppe der Frau dem Mann oder der Frau selbst
übergeben werden.“ (Panoff/Perrin)
Über die Funktion der Mitgift herrscht in der KSA ebenfalls keine einheitliche Meinung.
Einige Ethnologen setzten die Mitgift mit Besitz gleich, der von der Gruppe der Frau an die
Gruppe des Mannes gegeben wird.
Die meisten Ethnologen betrachten die Mitgift jedoch als eine Art vorweggenommener
Erbschaft (anticipated inheritance). D.h. dass die Frau anlässlich ihrer Verheiratung ihren
Anteil am elterlichen Erbe (Eigentum oder Reichtum) erhält.
Brideservice, Brautdienst und Dienstheirat
Im Deutschen gibt es eine ganze Reihe von Bezeichnungen für diese Einrichtung, z.B.
Brautdienst, Dienstheirat, Halbheirat.
Der Begriff „Brautdienst“ bzw. Dienstheirat besagt, dass hier der Bräutigam eine bestimmte
Zeit (die oft bis zur Geburt eines Kindes dauert) bei der Gruppe der Braut lebt, für sie
arbeitet, und ihr Nahrung, Gaben usw. gibt.
Der Brauch der Dienstehe inkludiert oft eine Periode der uxorilokalen Residenz des Paares.
Nach Ende der Brautdienstperiode zieht das Paar dann zum Ehemann.
Die Dauer des Brautdienstes kann unterschiedlich lang sein und ist meist Gegenstand der
Verhandlungen zwischen den beiden Gruppen. In manchen Gesellschaften kann es sich aber
auch um eine permanente Verpflichtung der Gruppe der Brautnehmer gegenüber der
Gruppe der Brautgeber handeln.
Der Brautdienst findet sich vor allem bei Jäger- und Sammler-Gruppen sowie bei Gartenbau
treibenden Gesellschaften. Es ist u.a. für verschiedene Gruppen im Amazonas-Gebiet sowie
für die Hupa- und Yurok-Indianer Kaliforniens belegt.
Anzumerken ist in Zusammenhang mit dem Brautpreis und der Mitgift, dass es auch eine
Reihe von Gesellschaften gibt, wo keine derartigen Gütertransfers stattfinden, sondern
anlässlich der Heirat lediglich Geschenke ausgetauscht werden.
Des Weiteren gibt es auch Gesellschaften, wo anstelle der Brautpreisübergabe ein
Austausch von Frauen stattfindet, z.B .von Schwestern.
Aspekte unter denen die Heiratsbeziehungen in der Ethnosoziologie untersucht wurden:
Wie eingangs schon angedeutet wurde, kam der Untersuchung der Heiratsbeziehungen und
ihrer Relevanz für das sozio-ökonomische und politische Gefüge der Gesellschaft in der
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Ethnosoziologie eine große Bedeutung zu.
Insbesondere drei Fragestellungen bestimmten die Beschäftigung rund um die Heirat:
1) Die Entwicklung der verschiedenen Heiratsformen
2) Das Inzesttabu
3) Die Heirat als Tauschbeziehung, die Allianzen schafft
1) Die Entwicklung der verschiedenen Heiratsformen
Zu den Schwerpunkten der frühen ethnosoziologischen Beschäftigung mit dem Bereich Ehe
und Heirat, die stark geprägt war vom Evolutionismus, gehörte die Analyse der
verschiedenen Heiratsformen (z.B. Gruppenheirat) und die Entwicklung derselben, sowie die
Inzestproblematik und verschiedene rechtliche Aspekte.
2) Das Inzesttabu
„Incest: Sexual relationship between prohibited categories of kin.“ (Seymour-Smith)
Anzumerken ist in Zusammenhang mit dem Inzest, dass alle menschlichen Gesellschaften
und, wie neuere Forschungen zeigen, auch mehrere Primatengesellschaften, den Inzest
verbieten, wobei jedoch die Definition dessen was als inzestuöse Beziehungen angesehen
wird, von Gesellschaft zu Gesellschaft sehr stark variieren kann.
Alle bekannten Gesellschaften verbieten den Geschlechtsverkehr zwischen Personen, die als
nahe Blutsverwandte klassifiziert sind, somit zwischen dem Vater und der Tochter sowie
zwischen der Mutter und dem Sohn und fast überall auch zwischen Bruder und Schwester
verboten.
Es besteht in jeder Gesellschaft eine Norm, die den Inzest verbietet. Die Sanktionen
gegen die Verletzung des Inzesttabus sind dabei jedoch nicht überall gleich streng. Die Heirat
zwischen nahen Verwandten ist allerdings überall immer strikt verboten.
Unterschied zwischen Inzesttabu und Exogamie:
Das Inzesttabu ist in der Ethnologie häufig in Zusammenhang mit der Exogamie abgehandelt
worden. Unter Exogamie versteht man eine Heiratsregel, die festlegt, dass außerhalb
bestimmter, jeweils unterschiedlich definierter Gruppen, geheiratet werden muss.
Die Exogamie wurde dabei entweder als Folge des Inzesttabus oder umgekehrt die
Aufstellung des Inzesttabus als Resultat der exogamen Heiratsregel bzw. als Verstärkung
derselben angesehen.
Dynastischer Inzest:
Zu verweisen ist in Zusammenhang mit dem Inzest auch darauf, dass bestimmte
Gesellschaften inzestuöse Verbindungen zwischen den Mitgliedern bestimmter sozialer
Schichten, Korporationen oder Bruderschaften tolerieren bzw. diesen sogar vorschrieben,
obschon sie den Inzest streng verbieten. Es handelt sich dabei meist um Beziehungen
innerhalb von königlichen oder aristokratischen Familien. Die bekanntesten Beispiele sind
die Heiraten zwischen Bruder und Schwester bei den Ptolemäern des alten Ägyptens, beim
früheren Adel von Hawaii und beim Königshaus der Inka, sowie das von der AzandeGesellschaft dem Adel zugestandene Recht die eigenen Töchter zu heiraten. Diese Form des
Inzest wird als dynastischer Inzest bezeichnet.
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Untersuchung von Inzest in der Ethnosoziologie:
Der Inzest und seine Vermeidung (d.h. das Inzesttabu) haben innerhalb der Ethnologie zu
umfangreiche Untersuchungen und Erklärungsansätzen geführt. Bislang konnte laut
Seymour-Smith dafür allerdings keine befriedigende Erklärung gefunden werden.
Biologische Gründe:
Vielfach wurde und wird das Inzesttabu in Zusammenhang mit den negativen Auswirkungen
des „In-Breeding“ (der Inzucht) erklärt, das in umfassender Weise über einen längeren
Zeitraum betrieben zu schweren körperlichen und geistigen Schäden der
Nachkommenschaft führen kann und damit die Überlebensmöglichkeiten einer Population
stark verringern würden.
Dieser Erklärungsansatz ist laut Eriksen jedoch unbefriedigend. Damit wird nicht erklärt, was
die Leute, die sich der möglichen negativen Auswirkungen des Inzests auf das genetische
Material meist nicht bewusst sind, dazu veranlasst, den Inzest abzulehnen.
Psychologische Gründe:
Auch eine Reihe von psychologischen Gründen wurde in Zusammenhang mit dem Inzest
bzw. mit der Vermeidung des Inzest in der Literatur abgehandelt.
In seinem Buch „Totem und Tabu“ argumentierte Sigmund Freud, dass es eine universelle
menschliche Tendenz zu inzestuösen Beziehungen gäbe. Das Inzesttabu resultiert laut Freud
aus den Schuldgefühlen des Mannes, der seinen Vater tötet um einen sexuellen Zugang zur
Mutter zu erlangen. Verallgemeinert gesagt, resultiert die Notwendigkeit den Inzest zu
verbieten aus der Tatsache, dass die Menschen von Natur aus, zum Inzest tendieren, der
jedoch um die zerstörerischen Auswirkungen desselben zu verhindern, vermieden werden
muss.
Im Gegensatz dazu wies Westermarck, darauf hin, dass dem Menschen keine Neigung zum
Inzest inhärent sei, sondern dass vielmehr eine natürliche Aversion gegen sexuelle
Beziehungen mit Personen bestünde mit denen man aufgewachsen ist bzw. mit denen man
von Kindheit an in Kontakt stand.
Anzumerken ist in Zusammenhang mit Westermarck´s These, dass er damit zwar nicht
das Inzesttabu erklären konnte, dafür aber seine Einsicht, dass es eine sozio-psychologisch
begründete Aversion gegen den Inzest gäbe, stimulierend auf die Untersuchung der
Geschlechterbeziehungen gewirkt hat.
Soziologische Gründe:
Tylor verband das Inzesttabu mit der Notwendigkeit der primitiven Gesellschaften
„to marry out or be killed out“. Er verwies in diesem Zusammenhang u.a. auf die
sozialen und ökonomischen Vorteile, die die Schaffung von Allianzen mit sich bringen
würde.
L.White argumentierte, dass die affinalen Beziehungen als Allianzen betrachtet werden
können, die der Sicherung der Existenz dienen. Die so verbundenen Gruppen verpflichten
sich zu gegenseitigem Beistand. Er leitete daraus ab, dass jene Verbindung zuerst als
inzestiös bezeichnet wird, welche der jeweiligen Gruppe die geringsten Vorteile einbringt.
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Claude Lévi-Strauss weist darauf hin, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem
Inzestverbot und der Exogamie gibt, u.a. unterstreicht er, dass das Inzestverbot gleichzeitig
ein natürliches Phänomen ist (weil es universell ist) und ein kulturelles Phänomen ist (weil es
eine „Regel“ ist und eine Vielzahl unterschiedlicher Formen aufweist).
Die Etablierung des Inzesttabus ist damit für Lévi-Strauss ein wesentliches Merkmal
des Übergangs von Natur zu Kultur und somit ein Hauptunterschiedungsmerkmal zwischen
Mensch und Tier. Erst das Verbot des Inzests schafft die Bedingungen für die menschliche
Kultur indem sich die Natur nun selbst überwindet.
Avoidance and Joking Relationship als Konsequenzen des Inzestverbots
Anzumerken ist, dass auch einige Verhaltensweisen, wie z.B. das Vermeiden des
Blickkontakts mit bestimmten Verwandten, das Verbot den Namen bestimmter Verwandter
zu nennen in Zusammenhang mit dem Inzesttabu gesehen werden können. Jedoch wäre es
unzulängliche die verschiedenen in der Literatur angeführten Formen des
Meidungsbeziehungen (Avoidance) bzw. der Scherzbeziehung (Joking Relationship)
ausschließlich vor dem Hintergrund der Inzestvermeidung zu beurteilen.
Meidungsbeziehungen (Avoidance) sind solche, die durch formale Regeln gelenkt werden
welche die Interaktion zwischen bestimmten Kategorien von Verwandten einschränken oder
sogar vollständige Meidung zwischen ihnen fordern. Zum Beispiel zeigt sich aus dem
interkulturellen Vergleich, dass eine Meidungsbeziehung zwischen einem Mann und seiner
Schwiegermutter nicht selten ist. In gewissen australischen Gesellschaften darf ein Mann z.B.
mit seiner Schwiegermutter nicht sprechen oder sogar nicht einmal ihren Namen
aussprechen.
Scherzbeziehungen sind das genaue Gegenteil davon. Sie gestatten Scherze, Necken, freien
Zugang zu persönlichen Eigentum und möglicherweise auch sexuelle Freiheiten zwischen
bestimmten Verwandtenkategorien. Eine solche Beziehung gibt es häufig zwischen der Frau
und dem jüngeren Bruder eines Mannes (vor allem in solchen Fällen, wo das Levirat
praktiziert wird).
3) Die Heirat als Tauschbeziehung, die Allianzen schafft
Ein dritter wesentlicher Ansatz, der bis heute die ethnologische Untersuchung der
Heiratsbeziehungen geprägt hat, ist die sogenannte Allianztheorie.
Im Gegensatz zur Deszendenztheorie, die insbesondere in den 30iger bis 50iger Jahren des
20.Jahrhunderts zum Schlüsselkonzept der Kinship Studies avancierte, und davon ausging,
dass die Ideologie der gemeinsamen Abstammung die Leute miteinander verbindet und die
Heiratsbeziehungen jeweils nur ein Ausdruck der jeweiligen Deszendenzideologie sind,
postulierten die Allianztheoriker, dass es nicht die Deszendenzideologie ist, welche die
Beziehungen zwischen den Individuen und den Gruppen konstituiert, sondern dass es
vielmehr die Heiratsbeziehungen sind durch welche die Verbindung zwischen Personen und
Gruppen etabliert wird.
So betrachtete z.B. Lévi-Strauss, einer der wichtigsten Allianztheoretiker, nicht die
gemeinsame Abstammung, sondern die Entwicklung der Allianzen zwischen Gruppen, die
durch den Austausch von Frauen zustande kommen.
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Der Terminus „Allianz“ so wie er in der Anthropologie verwendet wird, bezieht sich auf jene
sozialen Beziehungen, die durch die Marriage (Heirat) geschaffen werden. Das Wort ist aus
dem französischen abgeleitet, wo es verwendet werden kann um die Heirat zu beschreiben
oder die Tatsache „of being in an ,in-law‘ relation.“
Bei diesen Heiratsallianzen kommt den Heiratsregeln eine wesentliche Bedeutung zu. Nur
durch vorgegebene Heiratsregeln kann es nämlich eine dauerhafte, d.h. über mehrere
Generationen währende Allianzbeziehung zwischen Gruppen geben.
Die Allianztheoretiker interessieren sich dabei vor allem für die Austauschbeziehungen. Die
Heiratsbeziehungen selbst werden primär vom Blickpunkt der Allianz, die durch die Heirat
geschaffen wird, untersucht.
Grundannahmen der Allianztheoriker
Ausgangspunkt für die Allianztheoretiker war, wie eingangs schon angeführt wurde, die
Annahme, dass nicht die Ideologie der gemeinsamen Abstammung die Leute miteinander
verbindet, sondern dass es die Heiratsbeziehungen sind, die diese Verbindung zwischen den
Leuten konstituieren. Die Heirat wird hier zu einem Strukturprinzip der Verwandtschaft.
Die Allianztheorie selbst war stark vom Strukturalismus beeinflusst. Insbesondere zwei
Aspekte spielten in diesem eine große Rolle:
Zum einen die Betonung des Austausches und der Reziprozität, die vor allem auf
Mauss´ s Konzept der Gabe und Gegengabe zurückgeht, und andererseits das Prinzip der
binären Opposition.
Der Ansatz von Lévi-Strauss:
Claude Lévi-Strauss gehört, wie eingangs schon erwähnt wurde, zu den bedeutendsten
Vertretern der Allianztheorie. Gleichzeitig war er auch der Begründer des anthropologischen
Strukturalismus. Er beschäftigt sich mit der Analyse der Verwandtschaftsbeziehungen,
insbesondere in Gesellschaften, in denen die Verwandtschaft das gesellschaftliche
Strukturprinzip darstellte
.
Zu den Kernthesen Lévi-Strauss´s gehörte die Auffassung, dass Tausch und
Reziprozität das soziale Verhalten bestimmten und somit die soziale Interaktion im
Wesentlichen auf dem reziproken Austausch basiert.
Als eine der grundlegendsten Austauschbeziehungen betrachtete er die
Heirat, die er als Austausch von Frauen zwischen zwei Gruppen konzeptualisierte, der über
einen längeren Zeitraum und in größerem Stil betrieben Allianzen zwischen diesen
Tauschparteien erzeugt.
Gesellschaft entsteht für Lévi-Strauss dann „when a man gives his sister away to another
man, thereby creating ties of affinity.“ (Eriksen)
Daraus ergeben sich vier fundamentale Verwandtschaftsbeziehungen:
* Bruder/Schwester
* Ehemann/Ehefrau
* Vater/Sohn
* Mutter-Bruder/Schwester-Sohn
Diese vier fundamentalen Verwandtschaftsbeziehungen bezeichnet Levi-Strauss als
Verwandtschaftsatom.
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„Verwandtschaftsatom: Von Lévi-Strauss eingeführter Ausdruck, um die elementarste
Verwandtschaftsstruktur, die es nur geben und die man sich vorstellen kann, zu bezeichnen.
Sie besteht aus vier Elementen (Bruder, Schwester, Vater, Sohn), untereinander verbunden
durch zwei ,korrelative Gegensatzpaare‘. Jegliche Verwandtschaftsstruktur umfasst
notwendigerweise drei Typen familiärer Beziehungen: eine Kollateralitäts- eine Allianz- und
eine Filiations-Beziehung, d.h. eine Beziehung zwischen Geschwistern, eine Beziehung
zwischen Gatte und Gattin und eine Beziehung Elternteil- Kind.“
Innerhalb des Verwandtschaftsatoms kommt laut Lévi-Strauss dem Mutter-Bruder eine
essentielle Bedeutung zu. Er ist jener Verwandte, der die Schwester (oder eine andere Frau
aus der eigenen Gruppe) in eine andere Gruppe zur Heirat gibt.
Für Lévi-Strauss stellte das Verwandtschaftsatom die Basis aller übrigen
Verwandtschaftsbeziehungen dar und repräsentierte damit auch das kleinste Element der
Allianztheorie. (Seymour-Smith)
Ausgehend von der Bedeutung, die Lévi-Strauss den Heiratsbeziehungen als
wesentlichem Element des Verwandtschaftssystems zumaß, unterschied er zwei
Hauptformen der Heiratsregel:
* positive Heiratsregeln: Heiratsregel, die genau festgelegt, wer geheiratet werden muss
* negative Heiratsregeln: Heiratsordnung, die lediglich festschreibt, wer nicht geheiratet
werden kann
Auf der Basis dieser beiden Heiratsregeln (positive und negative) unterschied Lévi-Strauss
nun zwei Arten von Gesellschaften:
* Gesellschaften, die durch "elementare Strukturen der Verwandtschaft" geprägt sind
* Gesellschaften, die durch "komplexe Strukturen der Verwandtschaft" geprägt sind
In Gesellschaften mit elementaren Strukturen der Verwandtschaft wird eine deutliche
Differenzierung der beiden Kategorien - mögliche Heiratspartner und verbotene
Heiratspartner - vorgenommen und damit genau festgelegt welcher Personenkreis als
Heiratspartner in Frage kommt, z.B. jemand, der in die Kategorie der Cross-Cousins fällt.
Gesellschaften, in denen die Heiratsregel lediglich festlegt wer nicht geheiratet werden kann
(z.B. die eigenen Eltern oder Vollgeschwister) ohne dabei aber genau festzuschreiben, wer
als Heiratspartner auszuwählen ist, die somit negative Heiratsregeln aufweisen, bezeichnete
Lévi-Strauss als Gesellschaften mit komplexen Strukturen der Verwandtschaft.
Cross-Cousin Marriage (Kreuzbasen-Heirat)
Zum einen führt der Tausch von Frauen (z.B. von Schwestern zwischen zwei Männern) über
längere Zeit, d.h. über mehrere Generationen fortgesetzt zur Cousin Marriage.
Zum anderen bewirkt das verwandtschaftsterminologische System, welches in den meisten
Fällen die Parallelcousins terminologisch mit den Geschwistern gleichsetzt (vgl. z.B.
Iroquois-, Crow- und Omaha-System), dass diese Parallel-Cousins infolge des Inzesttabus als
Heiratspartner nicht in Frage kommen, somit lediglich die Cross-Cousins, die nicht dem
Inzesttabu unterliegen als Ehepartner möglich sind.
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Lévi-Strauss hat in Anlehnung an Radcliffe-Brown drei unterschiedliche Formen der CrossCousin Marriage unterschieden:
* die bilaterale Cross-Cousin Marriage: beide Ehegatten sind sowohl über die
mütterliche wie über die väterliche Seite miteinander verwandt
* die matrilaterale Cross-Cousin Marriage: ein Mann heiratet seine MuBrTo oder eine
andere Frau, die in die selbst Verwandtschaftskategorie wie seine MuBrTo fällt
* die patrilaterale Cross-Cousin Marriage: ein Mann heiratet seine VaSwTo oder eine
andere Frau, die in die gleiche Verwandtschaftskategorie fällt, wie die VaSwTo
Brautgeber und Brautnehmer
Zur Bezeichnung der in einem Frauenaustausch miteinander stehenden Gruppen werden in
der Literatur meist die Begriffe „Brautgeber“ (Wife-Giver) für jene Gruppe, die Frauen an
andere Gruppen abgibt bzw. „Brautnehmer“ (Wife-Taker) für jene Gruppe, die Frauen als
Ehepartnerinnen übernimmt, verwendet. (vgl. Hirschberg)
Der soziale Status der Brautgeber und Brautnehmer kann dabei ident sein bzw. die
Brautnehmer können einen höheren sozialen Status haben als die Brautgeber (z.B. in NordIndien) bzw. vice versa der Status der Brautgeber kann höher sein als jener der Brautnehmer
(z.B. Beispiel der Kachin in SO-Asien).
Typen von Gesellschaften mit elementaren Strukturen der Verwandtschaft:
Ausgehend von seiner Grundthese, dass es sich bei den Heiratssystemen um
Tauschbeziehungen handelt durch die Allianzen gestiftet werden, welche die Gesellschaften
zusammenhalten, unterscheidet Lévi-Strauss zwei Haupttypen von Gesellschaften mit
elementaren Strukturen der Verwandtschaft und somit zwei Hauptformen von
Tauschsystemen: nämlich:
Typ 1: Gesellschaften mit restringiertem bzw. direktem Frauentausch:
Der restringierte bzw. direkte restringierte Austausch ist das einfachste Tauschsystem.
Hier ist die gesamte Gesellschaft in nur zwei Gruppen gegliedert, die untereinander Frauen
austauschen. In solchen Gesellschaften besagt die positive Heiratsregel, dass die Leute der
Gruppe A Personen der Gruppe B heiraten müssen, während die Leute der Gruppe B
Personen aus der Gruppe A heiraten müssen.
Da die hier zwischen A und B ausgetauschten Cross-Cousins sowohl über die väterliche
(patrilaterale) wie über die mütterliche (matrilaterale) Seite miteinander verwandt sind, wird
diese Form der Cross-Cousin-Marriage auch als bilaterale Cross-Cousin Marriage
bezeichnet.
Da es sich beim direkten Austausch um eine permanente wechselseitige Übergabe von
Heiratspartnern zwischen zwei festgelegten Gruppen handelt, wird diese Form des
Austausches in der Literatur auch als reziproker bzw. symmetrischer Austausch bezeichnet.
Unterformen des restringierten bzw. direkten Austausches:
Der restringierte bzw. direkte Frauentausch kann nun seinerseits auf unterschiedliche Weise
vor sich gehen. Er kann entweder innerhalb derselben Generation erfolgen oder
zeitverzögert über mehrere Generationen stattfinden.
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Dementsprechend lassen sich bezüglich des restringiertem bzw. direktem Austausch
wiederum mehrerer Formen unterschieden:
* unmittelbarer Austausch: der gesamte Austausch findet innerhalb derselben Generation
statt.
* verzögerter Austausch: der Austausch von Frauen findet nicht in der gleichen Generation
statt, sondern erstreckt sich auf mehrere Generationen
Typ 2: Gesellschaften mit generalisiertem bzw. indirektem Frauentausch:
Bei diesem Typus von Heiratssystem kann eine Gruppe, die einer oder mehreren anderen
Gruppen Frauen als Ehefrauen abgibt, von derselben Gruppe bzw. denselben Gruppen
niemals Frauen zurückbekommen, sondern muss diese anderswo herholen. Eine Gruppe
kann irgendeiner anderen Einzelgruppe gegenüber nicht sowohl "Frauengeber" als auch
"Frauennehmer“ sein. (Vivelo, Barnard/Spencer)
Hier sind somit mindestens drei Gruppen notwendig, die in einer Austauschbeziehung
zueinander stehen, wobei jede dieser Gruppen immer einer bestimmten Gruppe als
Frauengeber und einer anderen Gruppe aus Frauennehmer gegenüber steht.
Der indirekte Exchange umfasst somit Fälle, wo die Leute in einem Kreis oder in einer Kette
heiraten. Es gibt aber einen großen Unterschied zwischen den beiden Fällen:
Wenn die Leute in einem Kreis heiraten, dann ist die Beziehung zwischen den Gruppen
egalitär, wenn der Kreis aber nicht geschlossen wird (=Kette), so ist die Beziehung zwischen
den Gruppen hierarchisch.
Diese Form des generalisierten Frauentausches wird auch als matrilaterale Kreuzbasenheirat
bezeichnet, weil sie, in idealer Form in einem genealogischen Diagramm dargestellt dazu
führt, dass jeder Mann seine MuBrTo heiraten muss. Theoretisch handelt es sich beim
generalisierten Tausch um eine zyklische Beziehung, die auch als zirkulierendes Connubium
bezeichnet wird.
Eine andere oftmals verwendete Bezeichnung für den generalisierten Austausch ist der
Begriff asymmetrische Allianz bzw. asymmetrisches Heiratssystem zumal hier kein
reziproker Austausch zwischen zwei Gruppen stattfindet, sondern in diesen Frauentausch
mindestens drei Gruppen involviert sind.
Zusammenfassend ergeben sich laut Lévi-Strauss drei Hauptformen der Tauschbeziehung
bzw. der Allianzsysteme in Gesellschaften mit elementaren Strukturen der Verwandtschaft,
die mit spezifischen Formen der Cross-Cousin Marriage korrespondieren:
* restringierter unmittelbarer Frauentausch mit bilateraler Cross-Cousin Marriage
(Kariera-Typus)
* restringierter verzögerter Frauentausch mit patrilateraler Cross-Cousin Marriage
(Trobriand-Typus)
* generalisierter Frauentausch mit matrilateraler Cross-Cousin Marriage
(Kachin-Typus)
 „Heiratssysteme nach Lévi-Strauss“ siehe unter ‚Wichtige Abbildungen‘
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Andere Klassifikationsform der Tauschbeziehungen in Gesellschaften mit elementaren
Strukturen der Verwandtschaft:
Die beiden ersten Tauschsysteme restringierter unmittelbarer und restringierter verzögerter
Frauentausch wären dabei symmetrische Systeme (da hier Frauen zwischen zwei Gruppen
entweder unmittelbar oder zeitverzögert ausgetauscht werden).
Der generalisierte Frauentausch wäre hingegen ein asymmetrisches System. Diese
Unterscheidung ist bei anderen Autoren wichtig, zumal sie ihre Gliederung der
verschiedenen Austauschsysteme auf der Basis symmetrische bzw. asymmetrische
Tauschbeziehung vornehmen. Und davon ausgehen, dass es lediglich zwei Formen der
Allianzbeziehungen gibt, nämlich: symmetische Allianz und asymmetrische Allianz.
Zusammenfassende Kritik an Lévi-Strauss‘ Konzept der elementaren Strukturen der
Verwandtschaft:
Seit seinem Erscheinen hat es viel Kritik an Lévi-Strauss´s Buch „die elementaren
Strukturen der Verwandtschaft“ gegeben. Zu allererst wurden die allgemeinen
evolutionistischen Implikationen des Buches entweder kritisiert oder ignoriert. Zum zweiten
argumentiere z.B. Edmund Leach in einem Buch über das Hochland von Burma,
dass die sozialen Implikationen von Heiratsregeln immer in Verbindung mit anderen
politischen und ökonomischen Aspekten betrachtet werden müssen. Drittens wurde die
Korrelation zwischen Heiratsregeln und dem Verbinden von Gruppen, wie sie im Buch
vorgeschlagen wurde, in Frage gestellt. Z.B. wies L. Dumont darauf hin, dass
obwohl die Art der Regel, die Lévi-Strauss ohne viel Zögern als Hinweis für das
Vorhandensein elementarer Strukturen verwendet hätte, in Südindien und Teilen Sri Lankas
existiert, die soziale Implikation einer solchen Regel sehr verschieden ist, von dem, was sie
z.B. unter den australischen Aborigines bedeuten würde. Für ihn führt die Affinität nicht
notwendigerweise zur „Allianz“ sozialer Einheiten. Besonders diskutiert wurde was
eigentlich unter einer „positiven Heiratsregeln“ im Sinne Lévi-Strauss gemeint war.
Die Kritik an Lévi-Strauss´ Thesen kam jedoch nicht nur von Seiten anderer
Allianztheoretiker, sondern vor allem von Seiten der konventionellen Deszendenztheoretiker
sowie von Seiten jener Anthropologen, die sich im Rahmen der kognitiven Anthropologen
mit formalen semantischen Analysen befassten, wie z.B. von Scheffler und Lounsbury.
Insbesondere in den 60iger Jahren gab es einen heftigen Disput zwischen den
Deszendenztheorikern und den Allianztheoretikern.
Trotz aller Kritik an der Allianztheorie und hier insbesondere an den Modellen, die oft auf
sehr abstrakter Ebene abgehandelt wurden, liegt die große Bedeutung Lévi-Strauss und
der anderen Allianztheoretiker darin, dass die Heiratsbeziehungen einer langen, von den
britischen Funktionalisten dominierten Debatte rund um die Abstammung, wieder in den
Blickpunkt des Interessens rückten und aufgezeigt haben, dass die Deszendenzbeziehungen
alleine nicht ausreichen um die sozialen Beziehungen zu erklären.
Heutiger Ansatz:
Seit den 80iger Jahren haben sich die Ethnologen von der programmatischen Beschäftigung
der Allianz oder des Deszendenz entfernt und anerkennen nun die Vielfalt der
Verwandtschaftsbeziehungen (sowohl Deszendenz wie Allianz).
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Patrilaterale Parallel-Cousin Marriage: („Bint-Amm-Heirat“)
Im Modell der „elementaren Strukturen der Verwandtschaft“ von Lévi-Strauss kommen die
Heiratsbeziehungen mit den Parallel-Cousins nicht vor. In den meisten Gesellschaften
werden die Parallel-Cousins mit den Geschwistern gleichgesetzt (vgl. z.B. Crow- und OmahaSystem) und unterliegen damit dem Inzestverbot und können daher nicht geheiratet
werden.
Allerdings gibt es in der Ethnologie eine Heiratsform, die VaBrTo-Heirat, d.h. die Heirat mit
der patrilateralen Parallel-Cousin, die viel Aufmerksamkeit erregt hat, auch wenn sie nur in
sehr wenigen Gesellschaften, z.B. im Nahen Osten (bei den Kurden, Arabern, Teilen der
Turkvölker) vorkommt. Insbesondere in den 50iger und 60iger ist diese Heiratsform stark
diskutiert worden.
Bei der Patrilateralen Parallel Cousin Marriage heiratet ein Mann seine Vater-Bruder-Tochter
(arab. Bint-amm). Diese Heirat kann sowohl in einer präskriptiven wie auch in einer
präferentiellen Form vorkommen. In einzelnen Gesellschaften hat der VaBrSo ein Anrecht
auf seine VaBrTo. Niemand anderer kann sie heiraten ohne ihn um seine Zustimmung zu
fragen. Bisweilen ist ihm für die Abtretung seines Rechts auf die VaBrTo auch eine
Entschädigung zu zahlen.
Für die präskriptive bzw. präferentielle Vater-Bruder-Tochter-Heirat sind in der Literatur
eine ganze Reihe von Gründen angeführt worden u.a. die folgenden:
* durch sie wird das Eigentum zusammengehalten
* durch sie wird die Blutreinheit der Deszendenzlinie garantiert
* durch sie ist ein harmonischeres Familienleben möglich, als wenn eine „fremde Frau“ ins
Haus kommt
* der Brautpreis entfällt oder ist minimal
* durch sie wird das Band zwischen einem Mann und seinem paternalen Neffen, d.h. dem
BrSo gestärkt und dadurch eine Allianzbeziehung zu ihm hergestellt, damit wird die
Solidarität innerhalb der Lineage gestärkt
PFLICHTLITERATUR
Thomay Hylland Erikson: Gender and Age (Small Places, Large Issues. Kapitel 8)
FIKTIVE KINSHIP: ADOPTION, PATENSCHAFTEN ETC.
Neben den oben ausgeführten Abstammungs- und Heiratsbeziehungen kommt auch den
sogenannten „fiktiven Verwandtschaftsbeziehungen“ eine große Bedeutung zu.
In der Kultur- und Sozialanthropologie wurden derartige Verwandtschaftsbeziehungen
früher als „unechte“ bzw. „unwirkliche“ Verwandtschaftsbeziehungen bezeichnet und den
„wirklichen“ Verwandtschaftsbeziehungen, d.h. Personen mit denen eine tatsächliche, d.h.
Blutsverwandtschaftsbeziehung besteht, gegenüber gestellt.
In Anbetracht der rezenten Debatte rund um die Bedeutung der Konsanguinität und der
biologischen Verwandtschaft ist dieser Ansatz heute in Frage gestellt und die Grenzen
zwischen „wirklichen“ und „unwirklichen“ Verwandten verschwimmen.
Fiktive Verwandtschaftsverhältnisse wurden in der Ethnosoziologie lange Zeit als
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Verwandtschaftsbeziehungen betrachtet, die am Modell der Blutsverwandtschaft orientiert
waren.
Die Beziehung zu den „fiktiven“ Verwandten wird dabei nicht durch den Geburtsakt
etabliert, sondern kommt auf andere Art und Weise zustande, z.B. durch bestimmte Rituale,
Adoption oder Pflegekindschaft (engl. Fosterage).
Der Begriff „fiktive Verwandtschaft“ ist laut Seymour-Smith jedoch von einigen
Ethnologen kritisiert worden. U.a. wurde argumentiert, dass der Begriff „fiktive Verwandte“
irreführend sein, denn solche Beziehungen verhindern die natürlichen Beziehungen nicht,
sondern werden eher mit ihnen kontrastiert und abgetrennt von den natürlichen oder
biologischen Verwandtschaft. Diese Autoren haben den Begriffen `rituelle Verwandtschaft´
bzw. spirituelle Verwandtschaft“ den Vorzug gegeben. (Seymour-Smith 1986: S.116f)
Bezüglich des Begriffs rituelle Verwandtschaft vermerkt Seymour-Smith u.a.
folgendes: Rituelle oder spirituelle Verwandtschaft ist ein anthropologischer Terminus, der
verwendet wird zur Beschreibung des Komplexes von Ritualen und Beziehungen, die
verbunden sind mit der Taufe und Patenschaft. Damit wird eine soziale Beziehung
hergestellt.
Diese wurde in der Ethnologie aus verschiedenen Perspektiven untersucht. Auch durch die
rituelle Verwandtschaft wird ein Netzwerk sozialer Beziehungen geschaffen. Diese mittels
des Rituals etablierten Beziehungen werden von den sozialen Akteuren häufig manipuliert.
(vgl. z.B. das Compadrazgo in Lateinamerika).
Adoption
Bei der Adoption handelt es sich um ein Verfahren bei dem Personen ein bestimmter Status
im Rahmen eines Verwandtschaftssystems zugewiesen wird, der dem Status „wirklicher
Verwandter“ gleicht. (vgl. Bargatzky)
Die modernen Vorstellungen über die Adoption, einschließlich der Perzeptionen der
Anthropologen über das was cross-cultural in der Praxis ausmacht, verbinden im
Allgemeinen die gesetzlichen Aspekte der römischen Institutionen mit den „...nurturing and
affective aspects of fostering and `true' parentage.“ (Barnard/Spencer 1997: S.5)
Fosterage („Pflegschaftsverhältnisse)
Ein anderer Begriff, der in der Ethnosoziologie oft in Zusammenhang mit der Adoption und
der fiktiven Verwandtschaft steht ist der Begriff Fosterage (deutsch: Pflegekindschaft).
Bei der Fosterage handelt es sich üblicherweise um ein feststehendes Verfahren der
Übergabe von Kindern an Pflegeeltern, wobei die Bedingungen dieser Unterbringung, die
Wahl der Pflegeeltern und die Art der Beziehungen zwischen diesen und den wirklichen
Eltern durch die Normen der Gesellschaft vorbestimmt sind. Die Fosterage führt entweder zu
einer echten Adoption oder aber zu einer Rückkehr in die Orientierungsfamilie. In beiden
Fällen wird jedoch der Status des Kindes durch dessen Übergabe an Pflegeeltern verändert.
Fast immer entstehen daraus fiktive Verwandtschaftsbeziehungen zu den Kindern der
jeweiligen Pflegeeltern oder eine Solidaritäts-Verpflichtung diesen gegenüber.
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Patenschaftsverhältnisse
In der ethnologischen Literatur werden die Patenschaftsverhältnisse auch oft unter den
Begriffen „Godparenthood“ bzw. auch „Compadrazgo“, einer in Lateinamerika weit
verbreiteten Patenschaftsform, abgehandelt.
In einer Vielzahl von Gesellschaften gibt es auch die Institution der Patenschaft. So z.B. im
Christentum die Tauf- und Firmpaten, im Nahen Osten das „Kirvelik“ bei der Beschneidung
(z.B. in Südost-Anatolien bei den Kurden). Häufig wird durch die Patenschaft eine fiktive
Verwandtschaft zwischen dem Patenkind und seinen Eltern und Geschwistern und den
Pateneltern und deren engerer Verwandtschaft etabliert. U.a. besteht dann ein
Heiratsverbot zwischen dem Patenkind und den Kindern seiner Pateneltern.
Eine besonders häufig in der ethnologischen Literatur beschriebene Form der Patenschaft ist
das Compadrazgo; wörtlich „Ko-Vaterschaft“ (engl. fatherhood). Compadrazgo ist ein
generischer Terminus um den gesamten Komplex dieser rituellen Bande zu bezeichnen. Der
spanische Terminus wird manchmal auch auf nichtspanisch-sprechende Länder zur
Benennung der rituellen Verwandtschaft ausgedehnt.
Theoretisch ist das Compadrazgo laut Panoff/Perrin dem Patenschaftsverhältnis
(„Gevatternschaft“) gleichzusetzen, d.h. dem Verhältnis zwischen den Eltern eines Kindes
und dessen Taufpaten und - patin; die Anspracheformen, die zwischen ihnen verwendet
werden, waren „Gevatter“ und „Gevatterin“.
Das Compadrazgo ist eine spanische Form der rituellen Verwandtschaft, die zwischen einer
Person, ihren Eltern und den Pateneltern (engl. god-parents) etabliert und aufrechterhalten
wird durch die Riten der katholischen Kirche, vor allem anlässlich der Taufe,
Erstkommunion, Firmung und Heirat. Der Hauptritus ist aber die Taufe.
Bei der Taufe, der Firmung und der Heirat erhält ein Individuum einen oder mehrere Sets
von Godpartens (padrino und madrina, die oft ein verheiratetes Paar sind und die
biologische Verwandte, meist aber Freunde oder Arbeitgeber der biologischen Eltern sind).
Ein Individuum ist „as his or her godparents´ahijado or ahijada, depending in his sex“
bekannt. Die Beziehung zwischen den biologischen Eltern und den Pateneltern (godparents),
die einander reziprok Compadre oder comadre, entsprechend dem Geschlecht bezeichnen,
ist zumindest genauso wichtig die die zwischen den Pateneltern und dem Patenkind und
dauert ein Leben lang. (Barnard/Spencer)
Normalerweise suchten die biologischen Eltern die Pateneltern für ihr Kind aus mit dem Blick
auf Vorteile für das Kind und sich selbst.
Compadrazgo etabliert häufig die Bande über die sozialen Klassen oder sogar ethnische
Gruppen (z.B. zwischen Mestizos und Indianer in Mexiko, Guatemala, Peru, Bolivien und
anderen lateinamerikanischen Ländern mit großen indigenen Bevölkerungsgruppen).
Hinter dem Compadrazgo steht in Lateinamerika somit manchmal auch die Absicht einer
wirtschaftlichen oder politischen oder sozialen Machtausübung. Dieser Brauch ist sehr
verbreitet, besonders in Gegenden, wo Indianer in Akkulturation begriffen sind.
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Dies hat oft den Effekt die Klassensolidarität oder ethnische Solidarität zu unterminieren
oder zu überschatten und paternalistische Patron-Client Beziehungen zwischen Personen
von ziemlich ungleichen Status zu etablieren, die Loyalität, Gunstbezeugungen, Geschenke,
Arbeit und Gastfreundschaft für viele Jahre austauschen.
Laut Barnard und Spencer ist das Compadrazgo auch ein wichtiger Indikator für den
sozialen Status in den Gesellschaften Lateinamerikas. Als Pateneltern zu fungieren ist hier
eine Ehre, die nicht leicht zurückgewiesen werden kann. Je sozial prominenter, politisch
einflussreicherer, moralisch aufrecht und ökonomisch zahlungsfähiger eine Person ist, desto
häufiger wird er oder sie diesbezüglich kontaktiert werden und die Zahl der
„Godparenthoods“ ist eines der besten Indizien für den sozialen Status in den hispanischen
Gesellschaften.
Viele örtliche Machthaber (sogenannte Kaziken) verdanken ihre Macht und ihr Ansehen der
großen Zahl von „Gevattern“ (bis zu mehreren Hunderten), die sie sich unter der
Bevölkerung der niederen und besitzlosen Klassen erworben haben. (Panoff/Perrin)
(ENDE SKRIPT TEIL 3)
FAMILIE, HAUSHALT, HÄUSLICHE GRUPPE
Zum Begriff Familie
Meist wurde der Begriff Familie mit der häuslichen Gruppe (domestic unit, household)
gleichgesetzt. Dem Konzept der Kernfamilie kam in der Anthropologie eine große Bedeutung
zu. Ursprünglich glaubten viele Anthropologen, dass das häusliche Leben überall um ein
verheiratetes Paar und seine Nachkommen organisiert ist.
Zudem wurde die Kernfamilie von zahlreichen Anthropologen als universell gültige Form
menschlichen Zusammenlebens betrachtet. Manche Autoren behaupten sogar, dass es sich
bei der Kernfamilie um die älteste menschliche Institution überhaupt handelt.
Nach Murdock lassen sich vier Funktionen der Kernfamilie unterscheiden:
1. the sexual function: (die sexuelle Funktion)
2. the reproductive function: (die reproduktive Funktion): d. h. die Zeugung und Geburt von
Nachkommenschaft)
3. the educational function (die Erziehungsfunktion): d. h. die Verantwortung für die
Sozialisation und Erziehung der Kinder.
4. the economic function (die ökonomische Funktion): d. h. die Kooperation der
Familienmitglieder bei der Bestreitung der Existenz.
Basierend auf den 4 genannten Funktionen kann die Kernfamilie laut Murdock als durch
die folgenden Merkmale charakterisierte Einheit dargestellt werden:
1) Die Kernfamilie ist eine zusammenwohnende Gruppe
2) Die Kernfamilie ist eine Wirtschaftseinheit
3) Die Kernfamilie ist die primäre Sozialisationsinstitution für die Kleinkinder
4) Die Kernfamilie ist die primäre Einheit für kultische/religiöse Belange
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Des Weiteren wurde von Murdock, aber auch von einzelnen anderen Autoren eine
spezifische Arbeitsteilung in der Kernfamilie postuliert, die Großteils auf den biologischen
Unterschieden zwischen Frauen und Männern basiert.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass es bislang nicht gelungen ist, eine
allgemein gültige Definition des Begriffs Familie zu formulieren. Zahlreichen
Definitionsversuche, insbesondere den „klassischen“ liegen biologistische und
funktionalistische Aspekte zugrunde, die stark geprägt waren von jenen Werten und
Annahmen, die spezifisch sind für die euro-amerikanische Gesellschaft und denen von
einzelnen Autoren universelle Gültigkeit zugeschrieben wurde.
Differenzierung der verschiedenen Familienformen
Im Allgemeinen erfolgt die Differenzierung der einzelnen Familienformen nicht so sehr auf
der Basis von Funktionen, welche die Familie erfüllt, sondern nach der Zusammensetzung
derselben, wobei die gemeinsame Residenz diverser Individuen das ausschlaggebende
Kriterium darstellt. Diese Bezugnahme auf die Residenz wird in neuerer Zeit jedoch stark
kritisiert.
Ausgehend von der Gruppenzusammensetzung auf der Basis der gemeinsamen Residenz
werden im Wesentlichen die folgenden Familientypen unterschieden:
1) Kernfamilie
2) verschiedene Formen der erweiterten bzw. der zusammengesetzten Familie
3) unvollständige, fragmentierte Familien (hier fehlt ein Ehepartner)
1) Kernfamilie
Als Synonyme werden im deutschen oft die Begriffe Konjugalfamilie bzw. Nuklearfamilie
verwendet.
Panoff/Perrin: „Kernfamilie: Eine aus zwei Ehegatten und deren Kindern zusammengesetzte
Gruppe. In den meisten menschlichen Gesellschaften sind die Kernfamilien miteinander zu
größeren und komplexeren Aggregaten verbunden, wie die polygame Familie, die erweiterte
Familie oder die joint family.“
Anzumerken ist, dass es bislang keine befriedigende Konzeptualisierung der Kernfamilie gibt
und es rund um das Konzept der Kernfamilie immer wieder heftige Debatten und
Diskussionen gab und gibt.
Orientierungsfamilie:
Der Begriff Orientierungsfamilie/family of orientation bezieht sich auf die KernfamilienGruppe in die Ego hineingeboren wurde und/oder wo er/sie aufgewachsen ist.
Fortpflanzungsfamilie:
Bei der Fortpflanzungsfamilie/family of procreation handelt es sich um jene Kernfamilie, die
von Ego durch seine Heirat und die Geburt von Ego´s Kindern gebildet wird.
Schließlich ist noch auf einige andere Begriffe hinzuweisen mit denen versucht wurde auf die
besondere Position einzelner Familienmitglieder in der Kernfamilie hinzuweisen. Es gibt
Gesellschaften, in denen die Mutter oder der Vater eine besondere Stellung haben. Diese
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Gesellschaften sind laut dann patrifocal oder matrifocal.
patrifocal: Eine Form der Familie oder der häuslichen Gruppe, die um den Vater zentriert ist.
matrifocal: Hierbei handelt es sich um eine Gruppe, die um die Mutter zentriert ist.
Hier ist der Vater oft nicht vorhanden oder spielt eine sehr untergeordnete
Bedeutung.
2) Diverse Formen erweiterter bzw. zusammengesetzter Familien
Auch bezüglich der erweiterten Familien, die implizit von zahlreichen Autoren als
Extentionen der Kernfamilie definiert werden, gibt es keine terminologische Einheitlichkeit.
Im Allgemeinen werden die beiden Begriffe „erweiterte Familie“ (extended family) und
„zusammengesetzte Familie (joint family bzw. composite family) sowohl in einem weiteren
Sinne (d.h. alle verschiedenen Formen zusammenfassend), wie auch in einem engeren und
damit spezifischeren Sinn verwendet.
Begriff „erweiterte Familie“ (extended family)
In seiner allgemeinen Bedeutung bezieht sich der Begriff erweiterte Familie, auf eine
Familienkonstellationen, die über die Kernfamilie hinausreicht und Personen einschließt, die
durch eine Ausweitung der Eltern-Kinder-Beziehung miteinander verbunden sind und einen
gemeinsamen Wohnsitz haben.
In einem engeren Sinn bezieht sich der Begriff „extended family“ auf jene Konstellation, wo
die Kernfamilien durch die Eltern-Kind-Beziehung mit einander verbunden sind und die
Erweiterung somit zwischen den Generationen stattfindet. Dieser Familientypus umfasst
somit die Großeltern-Eltern und Kinder-Generationen und stellt in vielen Gesellschaften, z.B.
im Nahen Osten, den bevorzugten Familientypus dar.
Begriff „zusammengesetzte Familie“ (joint family)
Auch der Begriff zusammengesetzte Familie „joint family“ wird in einem weiteren und
engeren Sinn verwendet. In seiner umfassenden Verwendung hat der Terminus
zusammengesetzte Familie die gleiche Bedeutung wie der Begriff extended family. In einem
engeren Sinn bezieht er sich auf einen Familientypus, der aus zwei oder mehr Kernfamilien
zusammengesetzt ist, die über Geschwister-Beziehungen miteinander verbunden sind.
Bildung erweiterter bzw. zusammengesetzter Familien
Es gibt mehrere Prinzipien nach denen diese erweiterten und zusammengesetzten Familien
konstituiert werden:
a) durch mehrfache Heiraten (polygame Familie)
b) durch Verbindung mehrerer Generationen (extended families im engeren Sinn, umfassen
mindestens drei Generationen)
c) Durch Beziehungen innerhalb einer Generation (joint families im engeren Sinn)
„Stammfamilie“ als Subtyp der erweiterten Familie
Einige Autoren halten es für gut, einen Subtypus der erweiterten Familie zu unterscheiden,
den sie eine „Stammfamilie“ nennen. Dies bezieht sich auf den Fall, dass nur ein
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verheiratetes Kind mit seinem Ehepartner oder seinen Ehepartnern bei den Eltern oder
einem Elternteil lebt.
Begriff „Großfamilie“
Die Großfamilie stellt eine Sonderform der erweiterten Familie dar. Ihrer personellen
Zusammensetzung und ihrer Wirtschaftseinheit nach ist die Großfamilie eine echte
erweiterte Familie. Eine weitere wesentliche Bedingung bezieht sich auf die
Autoritätsstruktur in diesem Familientypus. In der Großfamilie dominiert der Älteste
(Patriarch) und bestimmt den Zusammenhalt für die gesamte Dauer seines Lebens. Nach
seinem Tod zerfällt die Großfamilie. Diese Bedingung führt dazu, dass solche Großfamilien
eine Lebensdauer haben, die von der individuellen Lebensdauer des jeweiligen Ältesten
abhängig ist. Eine solche Großfamilie kann nur zwei Generationen dauern, sie kann aber
auch aus fünf Generationen bestehen.
PFLICHTLITERATUR
C.J.Grossmith: The cultural ecology of Albanian Extended Familiy Households in Yugoslav
Macedonia (Readings in Anthropology. pp.89-99)
Erweiterungen durch Beziehungen innerhalb einer Generation (joint family)
Eine zusammengesetzte Familiengruppe entsteht, wenn zwei oder mehr kolateral
verwandte Personen mit ihren Ehegatten und Kindern zusammenleben. Hier kann man
zwischen sororalen und fraternalen joint families unterscheiden.
Der häufigste Typus ist die fraternale zusammengesetzte Familie. Sie besteht aus
mindestens zwei Brüdern und deren Frauen und Kindern. Solche fraternal joint families
entstehen oftmals aus patrilokalen erweiterten Familien, wo nach dem Tod des Vaters, die
beiden Söhne zusammenbleiben und das ererbte Land gemeinsam bewirtschaften.
3) Die unvollständige bzw. fragmentierte Familie
Eine unvollständige bzw. fragmentierte Familie liegt dann vor, wenn es sich um eine
Familiekonstellation handelt, bei der einer der beiden Ehepartner in Folge von Scheidung
oder Tod fehlt. Diese Familieneinheit kann auch unverheiratete Kinder inkludieren.
Begriff „Haushalt“
Auch der Terminus Haushalt ist sehr unpräzise und wurde und wird in die Ethnologie für eine
Vielzahl unterschiedlicher Konstellationen verwendet. Wie beim Begriff Familie so gelang es
bisher auch nicht eine allgemein gültige Definition des Begriffs Haushalt zu finden.
PFLICHTLITERATUR
Thomay Hylland Erikson: Person and Society (Small Places, Large Issues. Kapitel 5)
Unterschiede zwischen Familie und Haushalt
Idealerweise sollten die Konzepte "Familie" und "Haushalt" unterschieden werden, wobei
Haushalt sich auf eine häusliche residentielle Gruppe bezieht, wohingegen Familie, in einer
transkulturell anwendbaren Minimaldefinition, sich auf eine intime Verwandtschaftseinheit
(die nicht immer eine distinkte Gruppe bilden muss) bezieht, welche aus einer Mutter und
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Kindern besteht. Der Vater der Kinder (ob nun der Genitor oder der Pater) muss nicht
unbedingt mit dieser Einheit verbunden sein, doch ist er dies in den meisten Gesellschaften.
Klassifikation der Haushaltstypen
Wie bei der Beschäftigung mit den Familien so wurde auch bei der Befassung mit den
Haushalten versucht eine Klassifikation der verschiedenen Haushaltstypen vorzunehmen.
Wie bei den Kategorisierungsversuchen rund um die verschiedenen Familienformen, so
bestehen auch eine ganze Reihe unterschiedlicher Haushaltstypologisierungen. Eine der
besten diesbezüglichen Klassifikationsversuche ist die von Hammel und Laslett vorlegte
Differenzierung in fünf hauptsächliche Haushaltstypen:
Solidarities are single-person households; subtypes consist of single, divorced, widowed or
duolocally-married persons.
Non family households have no spousal pair or parent-child members, but may be
comprised of other relatives (siblings, cousins, grandparents and grandchildren), or only of
nonrelated room-mates;
Simple family households include both spousal couples with or without children, and male
and female single-parent households; an important subtype in many societies are
mother-child-households in which the father resides elsehwere, sometimes with another
adult woman.
Extended family households are simple family cores that add other kin, but not other soucal
couples or parent-child units; they may be extended laterally (with siblings of simple family
core adults) or lineally, both up (to include perhaps a parent of a married pair) and down
(adding a co-resident grandchild).
Multiple family households contain two or more discrete simple families (e.g. a couple and
two married sons, two divorced sisters or widowed,co-wives and their children) and may be
extended with other kin as well.
Häusliche Gruppe/Domestic Group
Allgemein kann man die „domestic group“ durch zwei Kernfunktionen umschreiben:
1) jene die sich auf die Beschäftigung, Zubereitung und Konsumption von Nahrung beziehen.
2) jene die sich auf die Zeugung, das Großziehen und die Sozialisation der Kinder beziehen.
Zahlreiche Autoren, die dieses Konzept kritisch beleuchtet haben, haben darauf
hingewiesen, dass viele nicht-häusliche Institutionen sich in diese Grundfunktionen
einmischen. Außerdem hat die „domestic group“ selbst wichtige politische und ökonomische
Funktionen innerhalb der größeren Gesellschaft.
In der Praxis wird der Terminus „domestic group“ oft synonym mit „household“ verwendet,
obwohl der Haushalt, wie er konventionellerweise definiert wird, nicht in allen
Gesellschaften gefunden werden kann und die häuslichen Funktionen, die oben erwähnt
wurden, unter verschiedenen sozialen Institutionen verteilt sind.
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Andere Formen und Prinzipien der sozialen Organisation
Es existieren somit Faktoren, die Gemeinsamkeit schaffen und solche, die Differenzierung
und Ausgrenzung bewirken. Diese Faktoren legen häufig die gesellschaftliche Position des
Individuums bzw. einer bestimmten sozialen Gruppe im größeren Ganzen der Sozialstruktur
fest. Gleichzeitig sind diese Faktoren meist auch wesentliche Kriterien für die Formierung
spezifischer sozialer Gruppen und haben Einfluss auf die Selbstsicht eines Individuums bzw.
einer Gruppe und die Art und Weise, wie das Individuum bzw. bestimmte gesellschaftliche
Gruppen von der Gesellschaft als Ganzes bzw. von anderen gesellschaftlichen Gruppen
wahrgenommen werden.
Zu den wichtigsten Faktoren, die hier eine Rolle spielen gehören: Geschlecht, Alter,
Abstammung, ökonomischer Reichtum, soziales Prestige. Religiöse, ethnische und SprachZugehörigkeit etc.
Viele dieser Faktoren stehen häufig in einer Wechselwirkung zueinander. Insbesondere dem
Lebensalter und dem Geschlecht eines Individuums kommt in zahlreichen Gesellschaften
eine große Bedeutung zu.
Soziales Prestige bzw. Status und Rang sind weitere wesentliche Kriterien. Ihnen kommt
insbesondere in stratifizierten Gesellschaften (z.B. staatlichen Gesellschaften, Kastenwesen)
eine große Bedeutung als Differenzierungsmerkmal zwischen Individuen und sozialen
Gruppen zu.
Status
Der Begriff Status bezieht sich auf eine soziale Position und ist meist mit bestimmten Rollen
verbunden. Der soziale Status kann sowohl zugeschrieben wie auch erlangt werden.
Zugeschriebenen Status (ascribed status) resultiert aus der Gruppenmitgliedschaft auf der
Basis der Geburt z.B. in Abstammungsgruppen oder Kasten.
Erlangter Status (achieved status): resultiert aus individueller Aktion, wie die Akkumulation
von Reichtum, welche die Basis für die Big-Man-Führerschaft in Melanesien ist.
Prestige
Der Begriff Prestige kann sich auf zwei unterschiedliche Aspekte beziehen:
1) Prestige kann einmal mit der Fähigkeit eines Individuums zusammenhängen, die
Anerkennung anderer zu erfahren,d.h. eine Person hat Prestige, weil ihre Handlungen
von anderen als ehrenwert, gut etc. aufgefasst werden.
2) Andererseits kann Prestige mit einer bestimmten sozialen Position, einem Rang, einem
Amt etc. verbunden sein.
Macht
Auch unter dem Begriff Macht wird in der Ethnologie sehr vieles verstanden. Im Allgemeinen
lässt sich Macht laut Seymour-Smith folgendermaßen definieren: „.... as the ability of a
person or social unit to influence the conduct and decision-making of another through the
control over energetic forms in the latter´s environment (in the broadest sense of that
term).“
Macht kann aber auch im Sinne Max Weber verstanden werden als „die
Wahrscheinlichkeit, dass irgendein Akteur innerhalb einer sozialen Beziehung in der Lage ist
seinen Willen durchzusetzen ungeachtet des Widerstandes der Basis auf der diese
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Wahrscheinlichkeit basiert.“
Rang
Unter Rang bzw. Rangreihung versteht man die Ordnung von Personen und Gruppen nach
einer hierarchischen Klassifizierung in Bezug auf unterschiedliche Position, Macht oder
Prestige.
Soziale Rolle
Laut Definition des US-amerikanischen Anthropologen Ralph Linton stellt die soziale
Rolle die Gesamtheit der einem gegebenen Status (z. B. Mutter, Vorgesetzter, Priesterin etc.)
zugeschriebenen „kulturellen Modelle“ dar. Dazu gehören insbesondere vom sozialen
System abhängige Erwartungen, Werte, Handlungsmuster und Verhaltensweisen.
Status, Rang, Macht und Prestige sind wesentliche Faktoren, die soziale Ungleichheit
induzieren, die ihrerseits wiederum ein wesentliches Kriterium für die Gestaltung der
sozialen Ordnung sein kann.
Soziale Ungleichheit
Der Begriff soziale Ungleichheit wird in der Ethnologie u.a. dazu verwendet um
Klassifikationen unterschiedlicher Gesellschaftsformen vorzunehmen. So wird z.B. zwischen
egalitären, nicht-egalitären und staatlichen Gesellschaften unterschieden.
Egalitäre Gesellschaften wären demnach Gesellschaften, in denen die Arbeitsteilung und die
Verteilung von Status und die Beziehungen der sozialen Ungleichheit lediglich auf dem
Kriterium des Alters, des Geschlechts sowie auf persönlichen Merkmalen (z.B. guter Jäger)
basieren und keine permanente Rangreihung erfolgen.
In nicht-egalitären Gesellschaften besteht eine institutionalisierte Ungleichheit, die auf
einer Serie hierarchischer Statuse basiert, die verbunden sein können mit
Verwandtschaftsgruppen oder mit spezifischen Berufsrollen wie z.B. Krieger oder Priester.
In staatlichen Gesellschaften basiert die Ungleichheit auf einer ausgeprägten sozialen
Stratifikation. Hier sind alle Mitglieder der Gesellschaft nun gerangreiht, wobei die Kriterien
der Rangreihung nun nicht mehr Alter, Geschlecht oder Verwandtschaftsbeziehungen sind,
sondern andere Faktoren, wie Zugehörigkeit zu einer Klasse (z.B. Adelige, Kaste oder
ethnischen Gruppe eine Rolle spielen.
Soziale Stratifikation
Synonym zu sozialer Stratifikation wird auch der Begriff „soziale Schichtung“ verwendet.
Die soziale Stratifikation entsteht aus sozialer Ungleichheit und führt zur sozialen
Ungleichheit.
Sozial stratifizierte Gesellschaften sind u.a. durch die folgenden Elemente gekennzeichnet:
hierarchisch angeordnete Gruppen mit relativ dauerhafter Position, die je nach ihrem Rang
in der Hierarchie eine verschieden große Kontrolle der Machtmittel haben, durch kulturelle
und individuelle Unterscheidungen voneinander getrennt sind und eine über ihren sozialen
Standort hinausreichende Ideologie haben, welche die Rechtfertigung für das Gesamtsystem
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bietet. Solche Gesellschaften zeichnen sich durch einen relativen Grad an Ungleichheit der
Belohnungen und Privilegien aus.
PFLICHTLITERATUR
Thomay Hylland Erikson: Local Organisation (Small Places, Large Issues. Kapitel 4)
KASTENSYSTEME
Unter dem Begriff Kastensystem versteht man eine gesellschaftliche Ordnung, in der die
Gesamtgesellschaft in eine Anzahl hierarchisch angeordneter, genau abgegrenzter Gruppen
unterteilt ist, die eigene Funktionen im rituellen, juridischen und wirtschaftlichen Bereich
haben. Die einzelnen Kasten können ihrerseits wieder in Sub-Kasten untergliedert sein.
Die Kastenmitgliedschaft des Einzelnen wird dabei durch die Geburt zugeschrieben, man
wird sozusagen in eine Kaste „hineingeboren“. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kaste
legt nicht nur die gesellschaftliche Stellung des Einzelnen fest, sondern determiniert auch die
Art der Arbeit, die ein Individuum zu verrichteten hat, und bestimmt wer geheiratet werden
kann.
Die ausgeprägteste Form des Kastensystems findet sich unter den indischen Hindus. Analoge
Formen existieren aber auch unter den Muslimen, Christen, Sikhs und anderen religiösen
Gruppe in Südasien.
In Indien korrespondieren zwei Begriffe, nämlich „Varna“ und „Jati“ mit dem deutschen
Begriff Kaste. Der Begriff „Varna“ bezieht sich auf ein Idealmodell, einen Plan oder ein
Design der Gesellschaft, während sich der Begriff „Jati“ auf die aktuellen Gruppen, mit
denen sich die Leute selbst identifizieren und auf deren Basis sie mit einander interagieren,
bezieht.
KLASSENSYSTEME
Im Gegensatz zu den geschlossenen Kastensystemen, handelt es sich bei den
Klassensystemen um offene Gesellschaften, die zumindest theoretisch eine soziale Mobilität
zulassen, d.h. theoretisch kann eine Person in der Klassenstruktur auf- oder absteigen.
Ein Klassensystem kann laut Vivelo daher definiert werden „...als eine Einteilung oder
Anordnung der Gesellschaft in eine Serie von hierarchisch angeordneten Ebenen, die
sogenannten Klassen, deren Mitgliedschaft zwar anfangs durch die Geburt bestimmt ist,
aber durch persönliche Leistung geändert werden kann.“ Eine Person ist nicht an
irgendeinen besonderen Beruf gekettet, der ihm durch seine Geburt zugeschrieben wird,
und es besteht keine formalisierte Regelung, dass man innerhalb der eigenen Klasse heiraten
muss.
Besondere gesellschaftliche Gruppe auf der Basis sozialer Ungleichheiten
Der Aspekt soziale Ungleichheit ist nicht nur relevant in Bezug auf Kasten- und
Klassensysteme, auch andere Gruppen werden vor dem Hintergrund sozialer Ungleichheiten
als besondere Gruppen konzeptualisiert, dazu gehören u.a. Sklaven und verschiedene PariaGruppen.
Sozialverachtete (Parias)
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Sozial Verachtete (oder Paria) sind Personen, die vom normalen sozialen Umgang mit
anderen Mitgliedern der Gesellschaft ausgeschlossen sind. Sie sind "Unberührbare", unreine
und verunreinigende Personen, die aus dem System "hinausgeworfen" worden sind. Die
Pariagruppe führt oft Arbeiten aus, die für die Gesamtgesellschaft nützlich oder sogar
lebenswichtig sind, die aber niemand anderer übernehmen will, weil sie als schmutzig
angesehen werden.
Sklaven
Sklaven sind im Gegensatz zu den Parias Personen, die einen Platz in der Gesellschaft haben;
sie sind von ihr nicht ausgeschlossen. Hauptcharakteristikum der Sklaverei ist das Fehlen
von reziproken Beziehungen zwischen Sklaven und Herren sowie die Ausübung von
Eigentums- und Verfügungsrechten seitens des Herrn über die Person des Sklaven. Die
Sklaverei ist „eine Beziehung, in der der Großteil der Rechte beim Herrn und der Großteil der
Pflichten beim Sklaven liegt.“
ALTERS ALS ORGANISATORISCHES PRINZIP
Das Alter ist neben dem Geschlecht eines der wichtigsten Elemente bei der Strukturierung
der Gesellschaft. Zum einen bestimmt das Lebensalter den Status und die Rollen einer
Person in der Gesellschaft (z.B. Kinder, Erwachsene, Senioren) und ist eine der
wesentlichsten Grundlagen für die Strukturierung des sozialen Verhaltens.
Zum anderen gibt es eine Reihe von Gesellschaften, in denen das Alter nicht nur in
informeller Weise zur Ordnung der sozialen Interaktion verwendet wird, sondern das
Lebensalter die Grundlage für formelle Organisationsformen sein kann (z.B.
Alterklassensysteme etc.)
Bedeutung des Lebensalters
Das Lebensalter hat eine große Bedeutung für die Zuschreibung bestimmter sozialer Rollen
und Statuspositionen und stellt einen wesentlichen gesellschaftlichen Differenzierungsfaktor
dar.
In den meisten Gesellschaften werden die Menschen nach dem Kriterium des Lebensalters
angeordnet, d.h. die einzelnen Individuen werden danach klassifiziert, wie alt sie sind. Dabei
geht es weniger um eine exakte chronologische Zuordnung (z.B. drei-Jährige, zwanzigJährige), als vielmehr um die Zuordnung zu bestimmten Altersstufen (Age grades), denen ein
bestimmter Status und bestimmte gesellschaftliche Aufgaben, zugewiesen werden.
Solche Altersstufen können entweder informellen oder formellen Charakter haben. In
einzelnen Gesellschaften (z.B. Ost-Afrikas) werden auf der Basis dieser Altersstufen formale
Organisationen gebildet (z.B. Altersklassensysteme etc.; siehe unten), in anderen
Gesellschaften bezieht sich die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersstufe lediglich auf
den sozialen Status einer Person, der sich im Lauf der Zeit verändert. Z.B. vom Kind, zum
Jugendlichen, Erwachsenen und Senior.
Die Bedeutung, die einzelnen Altersstufen und dem damit verbundenen sozialen Status
beigemessen wird, wird in zahlreichen Gesellschaften u.a. dadurch deutlich, dass diese
Übergänge von einem Status zum nächsten deutlich markiert sind, z.B. durch
Übergangsriten, bestimmte Bekleidungs- und Anredeformen.
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Seniorität/ Dominanz der Alten (=Gerontokratie)
In zahlreichen Gesellschaften kommt insbesondere der Seniorität eine große Bedeutung zu.
Sie ist oft eine wesentliche Voraussetzung für die Erlangung bestimmter gesellschaftlicher
Positionen bzw. die Ausübung bestimmter Aufgaben, z.B. im politischen, juridischem und
rituellen Bereich. Insbesondere in Gesellschaften mit ausgeprägten formalen
Altersorganisationen (z.B. Altersklassensystemen) kommt den Senioren eine dominante
Stellung.
In Zusammenhang mit der Dominanz der Alten wird in der Literatur auch der Begriff
Altenherrschaft bzw. Gerontokratie verwendet.
Alter als wichtiger Organisationsfaktor
Das Lebensalter und die Reihenfolge der Geburt sind jedoch nicht nur wichtig in Bezug auf
Inheritance und Succession sowie Status und gesellschaftliche Rolle, sondern es stellt auch
ein wichtiges Kritierium für die Schaffung formellerer Organisationsformen dar.
In einer ganzen Reihe von Gesellschaften dient das Alter als Kriterium zur Bildung von
spezifischen Gruppierungen, denen eine wichtige Funktion als Cross-Cutting Tie zwischen
anders strukturierten Gruppen (z.B. Verwandtschaftsgruppen) zukommt. Sie verbinden
dabei die einzelnen Individuen und Gruppen auf horizontaler Ebene und schaffen damit
einen ähnlich hohen Grad an Solidarität, wie dies z.B. durch die Abstammung auf vertikaler
Ebene erfolgt.
Diese Organisationsformen auf der Basis des Alters werden in der Literatur meist
summarisch unter dem Begriff „Alterssysteme“ (englisch: age systems) bzw. unter dem
Begriff „Altersgruppen“ (engl. age groups) abgehandelt.
Es gibt zwei verschiedene Arten von Altersgruppen-Systemen:
1) Die transitory age-group besteht aus jungen Männern, manchmal auch Frauen, die sich
aber auflöst, wenn die Mitglieder älter werden.
2) Die comprehensive age-group hält ein Leben lang.
Altersklassen-Systeme:
„Altersklassen: eine Gesamtheit von Individuen ungefähr desselben Alters, männlichen oder
weiblichen Geschlechts, die in geordneter Art und Weise in einer gesellschaftlich
anerkannten Gruppe organisiert und denselben Rites de Passages unterworfen ist. Die
Mitglieder einer Altersklasse haben denselben Status im Rahmen der Gesamtgesellschaft
und üben dieselben Tätigkeiten aus.“ (Panoff/Perrin)
Diese Altersklassen kommen in der Regel ganz spezifische Aufgaben zu (z.B. Kriegerklasse,
Klasse der Entscheidungsträger, wie z.B .bei den Massai). Den einzelnen Altersklassen
werden somit ganz spezifische Rechte und Pflichten zugeschrieben. Innerhalb der einzelnen
Altersklassen gibt es einen hohen Grad der Gruppenidentität und Kooperation.
Zyklische Altersklassensysteme sind solche, in denen der für eine vergangene Altersklasse
verwendete Name wiederum für eine neue Altersklasse zu einer späteren Zeit verwendet
werden kann. Mit anderen Worten, derselbe Name taucht periodisch immer wieder auf.
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Progressive Altersklassensysteme sind solche, in denen der Name für eine Altersklasse nur
einmal verwendet wird; wenn das letzte Mitglied einer Altersklasse stirbt, wird der Name
zurückgezogen und kann nie mehr benützt werden.
Kriegerklasse: Nach ihrer Initiation wurden die männlichen Massai Jugendlichen zunächst in
der Klasse der Krieger aufgenommen, wo sie rund 15 Jahre verblieben bis sie in die
nächste Altersklasse aufstiegen.
Klasse der verheirateten Männer: Nach ihrer Heirat wurden die jungen Männer Mitglieder
der Klasse der verheirateten Männer. Sie kümmerten sich nun um die Angelegenheiten
ihrer eigenen Familien und versuchten ihren Viehbestand zu erhöhen.
Klasse der Familienväter: Im nächsten Grad, als Familienväter, erhielten sie die
Entscheidungsgewalt in den lokalen Versammlungen, die ihre Position der Autorität
unterstrich.
Klasse der „Senior Elders“: Als Senioren zogen sie sich schließlich zurück. Die Klasse galt
als hochrespektierte Inhaber der Tradition und wurde im Bedarfsfall zur Durchführung
von Ritualen gebeten.
(ENDE SKRIPT TEIL 4)
FORMEN DER SOZIO-POLITISCHEN ORGANE
Untersuchung des Politischen in der Ethnologie: Soweit man sich innerhalb der Ethnologie
mit politischen Systemen als eigenständigen Systemen zu beschäftigen begann,
konzentrierte man sich primär auf jene Gesellschaften, die keine formale Regierung
aufwiesen, d.h. Gesellschaften ohne zentralisierten Staat und formalisierte Führung.
Ganz generell wurde häufig eine Dichotomisierung politischer Systeme vorgenommen und
zwischen Gesellschaften mit staatlicher Organisation und Gesellschaften ohne Staat
unterschieden. Die Gesellschaften ohne staatliche Organisation wurde dabei oft stark
idealisiert und den autoritären und zentralstaatlich organisierten politischen Systemen
Europas gegenübergestellt.
Ein weiterer wesentlicher Ansatz war die Differenzierung der politischen Systeme nach dem
Bedeutungsumfang verwandtschaftlicher Beziehungen in denselben. U.a. wurde hier die
Meinung vertreten, dass die verwandtschaftlichen Beziehungen insbesondere in den
„staatenlosen Gesellschaft“ ein wesentliches Strukturelement der Politik darstellen.
Den verwandtschaftlichen Beziehungen selbst wird heute eine eher untergeordnete
Bedeutung beigemessen. Sie werden nun primär unter dem Gesichtspunkt ihrer Nützlichkeit
für die politische Aktion betrachtet.
Typologisierung politischer Systeme in der Ethnologie
Im Vordergrund der Klassifikationsschemata stehen dabei meist zwei Aspekte:
Einerseits wird davon ausgegangen, dass mit zunehmender Entwicklung der politischen
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Systeme, die Bedeutung der Verwandtschaft als Strukturelement abnimmt und
Verwandtschaft als Determinante des Politischen obsolet wird. Insbesondere Service bezieht
sich bei seiner Klassifikation auf diesen Aspekt. Anderseits wird auf den Aspekt der sozialen
Gleichheit bzw. Ungleichheit Bezug genommen und davon ausgegangen, dass eine
Entwicklung von egalitären sozio-politischer Beziehungen hin zur Ausformung stratifizierter
sozio-politischer Strukturen gebildet. (Fried)
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass diese evolutionistischen Typologisierungen
politischer Systeme heute stark kritisiert werden. So wird z.B. darauf verwiesen, dass es
innerhalb dieser verschiedenen Typen politischer Systeme, wie z.B. Stamm, Chiefdom etc.,
große interne Unterschiede gibt und es zudem Gesellschaften gibt, wie z.B. jene wo
sogenannte „Big Men“ als Führungsfiguren in Erscheinen treten, die in diese
evolutionistischen Schemata gar nicht hineinpassen und daher oftmals schwierig zu
klassifizieren sind. Zudem gibt es in den heutigen modernen Nationen sehr verschiedene
Verbindungen diverser sozio-politischer Typen, die durch das Heranziehen einer
evolutionistischen Typologisierung nur unzureichend dargestellt werden können.
(Seymour-Smith)
Trotz dieser berechtigten Kritik an den evolutionistischen Typologisierungen politischer
Systeme möchte ich im folgenden einen kurzen Überblick über die am meisten verwendeten
Typologisierungen geben, u.a. deshalb, weil sich auf diese Weise einige der wesentlichen
Grundelemente der jeweiligen politischen Systeme kurz darstellen lassen.
Evolutionistische Typologisierungen politischer Systeme:
Service knüpft bei seiner Klassifikation der politischen Systeme in Horde, Stamm,
Häuptlingstum und Staat u.a. auf die von Almond vertretene Ansicht an, dass die klassische
Unterscheidung zwischen Staaten und Nicht-Staaten aufgegeben werden und man
stattdessen von Gesellschaften sprechen sollte „in which the political structure is quite
differentiated and clearly visible and those in which it is less visible and intermitted. We are
dealing with a continuum and not a dichotomous destinction.“
Fried´s Typologisierung in „egalitarian, rank, stratified und state“ ist ebenfalls ein Versuch
das sukzessive Hervortreten der politischen Dimension in Begriffe zu fassen. Fried betont
hier vor allem den Übergang von sozialer Gleichheit zu sozialer Ungleichheit.
Flannery unternahm den Versuch die beiden Typologien von Service und
Fried miteinander zu verbinden. Flannery unterscheidet u.a. zwischen „egalitarian
society, chiefdom, stratified society“. Die Horden und Stämme zählt er zu den egalitären
Gesellschaften. Staaten führt es als Beispiel für stratifizierte Gesellschaften an.
Ein wesentliches Unterschiedungsmerkmal bezüglich Horde, Stamm, Häuptlingstum und
Staat ist u.a. die Relevanz, die der Verwandtschaft im politischen Bereich beigemessen
wird. Horde, Stamm und Häuptlingstum basieren letztendlich auf verwandtschaftlich
bestimmten, soziopolitischen Strukturen.
a) Horde
Das Wort Horde ist abgeleitet vom türk.-mongol. orda, ordu = Lager
Die Horde weist u.a. folgende Charakteristika auf:
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* kleine selbstgenügsame Gruppe
* Subsistenzbasis ist eine Kombination aus Jagd, Sammeln und Fischfang
* ungefähre Gleichheit des Reichtums
* extensive Reziprozität
* informelle Führerschaft
* Fehlen einer signifikanten sozialen Stratifikation
* relativ geringer Surplus
* Fehlen signifikanter Eigentumsbeziehungen
* Unmöglichkeit der Konzentration der Ressourcenkontrolle
Politik und Verwandtschaftsbeziehungen in der Horde/Band: Die politischen Aktivitäten
sind in den Hordengesellschaften vorwiegend auf der Ebene der Familie integriert. Die
gesellschaftliche Differenzierung erfolgt primär auf verwandtschaftlicher Basis. Jede Person
steht in einer affinalen oder Deszendenzbeziehungen zu einer anderen Person. Wo das Netz
der Verwandtschaftsbeziehungen endet, dort sind auch die Grenzen der Gesellschaft. Die
Arbeitsteilung existiert lediglich aufgrund von Alter und Geschlecht. Der Status des
Individuums beruht entweder seiner Stellung im Rahmen des Verwandtschaftssystems (als
Vater, Mutter, Bruder etc.) oder aufgrund persönlicher Fertigkeiten und Fähigkeiten (z.B. als
großer Jäger). Die Hordengesellschaft wird als egalitär beschrieben. In diesen Gesellschaften
gibt es keine herausgehobenen Statusposition. Hier hat potentiell jeder das Sagen. Die
einzige soziale Organisationsform sind die durch verwandtschaftliche Bande
zusammengehaltenen Haushalts- oder Residenzgruppen.
b) Stamm
deutsch: Stammes, tribale Gruppe; englisch: tribe, tribal group; franz. tribu.
Der Stamm weist u.a. folgende Charakteristika auf:
* kulturelle Homogentität
* größere Bevölkerungszahl
* signifikanter Surplus der wirtschaftlichen Aktivitäten
* größerer ökonomischer Austausch als in Hordengesellschaften
* nicht-stratifizierte Bevölkerung, die in ein gemeinsames Territorium eingebunden ist
* Fehlen spefizischer zentralisierter Institutionen, wie sie z.B. der Staat aufweist
* die Stammesmitglieder sind durch umfassende Verwandtschaftsbande miteinander
verbunden
Ein wesentliches Merkmal der Stammesorganisation ist die Deszendenzideologie. Sie
ermöglicht es eine wesentlich größere Zahl von Personen als in einer Horde
zusammenzufassen. Die einzelnen Lineages, Klans etc. werden hier durch die
verwandtschaftliche Ideologie, d.h. durch die Postulierung einer gemeinsamen Deszendenz,
nicht aber durch zentrale politische Autorität, zusammengehalten. Diese
Deszendenzstrukturen können entweder nach dem Muster segmentärer gleichrangiger
Lineages oder nach dem Prinzip der Conical Clans aufgebaut sein. (vgl. Ausführungen früher)
Conical Clan: In Gesellschaften, die in Form der „conical clans“ aufgebaut sind, sind die
einzelnen Gruppe entsprechend ihrer genealogischen Distanz zum realen oder fiktiven
Ahnherrn hierarchisch geordnet. Solche „conical clans“ liefern die Basis für
Unterscheidungen im sozialen Rang und treten daher vor allem in Häuptlingstümern in
Erscheinung.
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Ein weiteres wesentliches Kennzeichnen der Stammesorganisation ist das Fehlen einer
ausgeprägten Führerpersönlichkeit.
Gemeinsamkeiten von Horde und Stamm:
Horde und Stamm wurden in der Literatur meist als akephale Gesellschaften beschrieben,
d.h. als Gesellschaften in denen es keine ausgeprägten Führungsinstanzen gibt und der
Verwandtschaft eine wesentliche Bedeutung zukommt. Sowohl in der Horde wie im Stamm
gibt es keine ständigen spezialisierten politischen und Verwaltungsinstanzen. Die
Führerschaft ist „charismatisch“ bzw. an bestimmte Persönlichkeitscharakteristika gebunden
und wird nur für bestimmte, klar definierte Bereiche anerkannt. Die gesellschaftliche
Arbeitsteilung beruht auf Alter und Geschlecht. Die einzelnen Haushaltseinheiten sind
wirtschaftlich weitgehend autonom. Keine Gruppe ist der anderen - gemessen am sozialen
Rang - übergeordnet. Stammesgesellschaften sind wie die Hordengesellschaften, noch
egalitär. Allerdings können die Stammesgesellschaften bereits den Keim enthalten aus dem
sich soziale Ungleichheiten entwickeln (vgl. führende Lineages).
c) Big-Man-Systeme
Gesellschaften, in denen sich politische Führer herauskristallisieren, die gegenüber anderen
Personen dominieren und in denen im Keim soziale Ungleichheiten und eine gewisse soziale
Stratifikation vorhanden ist, werden in der Literatur häufig als „Big-Man“ Systeme
bezeichnet. Derartige Big Man-Systeme wurden vor allem für Melanesien und Polynesien
beschrieben.
Der Big Man ist ein Führer in einem relativ instabilen faktionalen politischen System. Seine
Position hängt stark von seiner Fähigkeit ab persönliches Prestige zu erwerben. Der Big-Man
ist mit einem ständigen Wettstreit mit anderen Big-Men konfrontiert. Er versucht seine
Parteiung (d.h. seine Anhängerschaft) auf Kosten der anderen Big-Men zu erweitern und
aufrechtzuerhalten.
Das Big-Man System soll betrachtet werden als in der Mitte stehend zwischen dem
Führerschaftsmodell in den Hordengesellschaften und dem Führer (Chief) in den Chiefdoms.
(Seymour-Smith)
Aus dem Big-Man System kann sich leicht ein Chiefdom entwickeln. Der Big-Man kann
zum Häuptling (Chief) werden, wenn es ihm gelingt, seinen erworbenen Status auf einen
Sohn oder sonstige nahen Verwandten zu übertragen.
d) Häuptlingstum (engl. chiefdom)
Um die Kluft zwischen egalitären Gesellschaften (Horde und Stamm) und den Staaten
terminologisch und typologisch zu schließen wurde eine eigene Kategorie eingeführt.
Charakteristika des Chiefdoms:
* größere Spezialisation in der Arbeitsteilung
* ökonomisches System mit vergrößertem Surplus, das auf der Redistribution basiert
* Entstehung von sozialen Unterschieden, rudimentäre Ausbildung unterschiedlicher soziale
Klassen
* Entstehung einer zentralisierten Autorität, aber ohne formalen Apparat der
Repräsentation oder der militärischen Macht.
Das Häuptlingstum weist eine redistributive Wirtschaft auf. Beim obersten Häuptling
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laufen regelmäßig über verschiedene Zwischenstufen Abgaben an Nahrungsmitteln,
Handwerksprodukten und Rohstoffen ein, die dieser an seine nächsten Verwandten verteilt.
Die Güterzirkulation im Häuptlingstum ist nicht mehr direkt und reziprok wie in der Horde
oder im Stamm, sondern sie läuft über Zwischenträger. Die Güter gingen nun von den
Produzenten zum Redistributionszentrum und von dort aus weiter zu den verschiedenen
Konsumenten. Sie wurden dabei nach Maßgabe der Bedürftigkeit verteilt (Familiengröße,
Ausgleich von Unglück etc.). Diese Redistributionen waren an regulär wiederkehrende Feste
gebunden oder an Feste zur Feier sogenannter „Lebenskrisen“ (Rites de passage) des
Häuptlings oder seiner nahen Verwandten, wie z.B. Geburt, Tod, Heirat etc.
Gegenüber egalitäten Gesellschaften besitzt ein Häuptlingstum eine Reihe von Vorteilen, z.B.
höhere Produktivität. Es ist arbeitsteiliger, unterschiedliche Berufssparten entstehen. Die
Häuptlingsschicht ist in der Regel von den Arbeiten im Bereich der Sub-sistenzökonomie
befreit und kann sich bevorzugt kriegerischem Training zuwenden. Der Häuptling kann
mittels der Abgaben kriegerische Unternehmungen unterstützten.
Im Gegensatz zu den akephalen politischen Systemen der tribalen Stufe der Evolution hat
das Chiefdom eine zentralisierte Authorität, die eine Anzahl von lokalen Gemeinden
verbindet, aber im Gegensatz zum Staat besitzt das Chiefdom keinen formalen Apparat der
Repräsentation oder der militärischen Macht
Ein Chiefdom besitzt ein ständiges „Nervenzentrum“ zur Koordination von Aktivitäten im
ökonomischen, sozialen und religiösen Bereich. Es besitzt somit eine zentralisierte
Führerschaft und ein „Regierungszentrum“. (Bargatzky)
Zur Bezeichnung der Führer in den Chiefdoms wird meist der Begriff Chief bzw. Häuptling,
bisweilen auch der Begriff Headman verwendet. Der Häuptling kann gewählt werden oder
seine Position durch die Abstammung erlangen. Letzteres ist häufiger der Fall.
e) Staat
In der Ethnologie untersuchte man primär seine Entstehung, sowie seine Strukturen und
Funktionen in der außereuropäischen Geschichte.
In der Ethnologie und ihren Nachbardisziplinen geht man heute im Allgemeinen davon aus,
dass der Staat eine historisch relativ späte Erscheinung ist, und dass er erstmals vor ca. 5.000
bis 6.000 Jahren in Südwest-Asien und Ägypten und im weiteren Verlauf selbstständig oder
in Kontakt mit primären Staatsformationen in Asien, Europa, Afrika, Amerika sowie in
Polynesien entstanden ist.
Charakteristika des Staates (Streck):
* ein Herrschaftsgebiet
* monopolisierte Formen der Herrschaft und der politischen Gewalt (z.B. Heer, Polizei)
* eine Instanz, welche die gesellschaftliche Zentralgewalt repräsentiert (z.B. in Gestalt eines
Monarchen, einer lebenden Gottheit)
* Delegierung der zentralen Gewalt u. Souveränität an untergeordnete Agenturen, z.B.
staatl. Institutionen der Macht, des Rechtswesens, der Steuereinsammlung etc.
* formelle und explizite Beziehungen zwischen Herrscher und Beherrschten
* Vorhandensein einer übergreifenden nationalen Identität, einer Ideologie der
Souveräntität, einer Mystik der Macht und der Erde, eines Kults und Ritus der Herrschaft
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Charakteristika des Staates (Bargatzky):
* er ist zentralistisch organisiert, d.h. er wird von einer Klasse berufsmäßiger, administrativer
Spezialisten verwaltet (z.B. Beamte, Priester, Militär, Manager)
* die Stellung dieser berufsmäßigen administrativen Spezialisten beruht nicht mehr auf ihren
Verwandtschaftsbeziehungen zu den ihnen unterstellten Personen, sondern hängt allein
von der Autorität des Herrschers ab.
Zur Aufrechterhaltung seiner Autorität ist der Herrscher auf min. drei Dinge angewiesen:
1) Er muss die Kontrolle über ein stehendes Heer oder eine Miliz ausüben, die ihm ergeben
ist und durch Tribute unterhalten wird.
2) Seine Handlungsfähigkeit muss größer sein als es im Rahmen der verwandtschaftlichen
Bindungen möglich ist. Diese Handlungsfreiheit wird durch die Kontrolle über das Heer
gewährleistet.
3) Er muss über Güter verfügen können (z.B. um seine Soldaten zu entlohnen), ohne dabei
auf die traditionellen Kanäle der Gütersammlung und Redistribution, wie dies im
Häuptlingstum der Fall ist, Rücksicht nehmen zu müssen.
Wesentlich für den Staat ist auch die Grundlage der Machtausübung. Im Staat sind nun die
Formen der Machtausübung kodizfiziert, d.h. der Staat konstitutiert sich legal.
Im Staat herrscht Vollspezialisierung bei der Arbeitsteilung vor. Im Rahmen der staatlichen
Organisation haben wir es nun mit einer weitgehenden Arbeitsteilung zu tun, die
bestimmten Gruppen der Bevölkerung ständig der Nahrungsmittelproduktion enthebt. Dies
wird u.a. auch in der Kunst deutlich. Der Herrscher finanziert z.B. Künstler und Handwerker,
die speziell und ausschließlich für repräsentative Belange des Hofes tätig sind.
Mit der neuen gesellschaftlichen Arbeitsteilung im Staat, geht auch die Entstehung von
sozialen Klassen einher, d.h. es entstehen nun Gruppen, die einen unterschiedlichen Zugang
zu den lebenswichtigen natürliche und/oder sozialen Ressourcen haben.
CROSS CUTTING TIES: ASSOZIATIONEN UND NETZWERKE
Neben den bereits behandelten Aspekten Verwandtschaft, Alter und soziale Egalität bzw.
Stratifikation gibt es noch andere Faktoren, die im Rahmen der Sozialstruktur bedeutsam
sind. Dazu gehören u.a. jene Mechanismen, die Individuen bzw. Gruppen miteinander auf
horizontaler Ebene verbinden. In der Ethnosoziologie werden diese Mechanismen der
Gruppenbildung und der Schaffung von Netzwerken sozialer Beziehungen meist unter dem
Begriff Cross-Cutting Ties bzw. Relationships behandelt.
Begriff Cross-Cutting Ties: Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei den Cross-Cutting
Ties bzw. Relations um „überschneidende“ Bande. Individuen bzw. Gruppen werden dabei
durch horizontale Beziehungen miteinander verbunden. (Seymour-Smith)
Association: Bei den Assoziationen handelt es sich um Gruppen von Personen, die sich
zusammenschließen bzw. zusammengeschlossen werden zu einem bestimmten Zweck, aus
einem bestimmten Interesse oder wegen einer bestimmten Aktivität. (Seymour-Smith)
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Anzumerken ist, dass anstelle des Begriffs Assoziation auch der Begriff „Sodalität“ (engl.
Sodality) verwendet wird.
In der KSA erfuhr der Begriff „Assoziation“ meist eine noch umfassendere Bedeutung. Hier
wird er meist verwendet für Gruppen, die nicht auf der Basis der Verwandtschaft oder des
Territoriums gebildet werden. (Winthrop)
Diverse Assoziationsformen: kontraktuell/nicht- kontraktuell, freiwillig/unfreiwillig,
mit/ohne Zweck, formal/nicht formal, offen/beschränkt, inkorporiert/nicht-inkorporiert etc.
Häufig vorkommende Assoziationsformen:
a) Bünde/ Bundwesen
Bünde als mehr oder weniger freiwillige Zusammenschlüsse sind ein in vielen Gesellschaften
verbreitetes Phänomen. Es wird zwischen Männerbünden und Geheimbünden
unterschieden. Männerbünde umfassen alle erwachsenen Männer einer Gemeinschaft.
Geheimbünde haben nur wenige Mitglieder. Bünde haben ebenso wie die
Verwandtschaftsgruppen verschiedenartige, politische, ökonomische und religiöse
Funktionen. Die Aufnahme ist oft besonders ausgestaltet. Sie kann individuell erfolgen oder
es werden größere Gruppen der männlichen oder weiblichen Bevölkerung in Initiationsriten
aufgenommen.
b) Stammesbruderschaften bzw. Stammesschwesterschaften
Relativ häufig kommen sogenannten Stammesbruderschaften und
Stammesschwesternschaften vor. Dies sind unfreiwillige Assoziationen auf der Grundlage
des Geschlechts; das heißt, alle erwachsenen Männer oder alle erwachsenen Frauen müssen
Mitglieder werden. Obschon die Stammesbruderschaften im interkulturellen Vergleich
statistisch häufiger zu sein scheinen, werden in manchen Gesellschaften beide Typen
vorgefunden, während Stammesschwesternschaften nur in wenigen vorkommen.
c) Militärgesellschaften oder Kriegsbünde:
Militärgesellschaften oder Kriegsbünde stellen einen anderen Assoziationstypus dar, bei dem
die Mitgliedschaft freiwillig und aus diesem Grunde exklusiv ist (d. h. es werden nur einige
Individuen Mitglieder). Viele nordamerikanischen Indianer, vor allem die Prärieindianer,
hatten starke Kriegsbünde.
d) Diverse Interessensgruppen
Auch diverse Interessengruppen stellen einen Assoziationstypus dar. Interessensgruppen
sind Gruppen, die von Personen gebildet werden, die irgendein Ziel durchzusetzen
versuchen oder die ein Sonderinteresse miteinander gemeinsam haben. Beispiele dafür
wären in unserer eigenen Gesellschaft z.B. die verschiedenen Autofahrerklubs, Greenpeace
etc. Zwei weitverbreitete Formen von Interessengruppen in anderen Gesellschaften sind
Vertragsfreundschaften und Handelspartnerschaften.
Vertragsfreundschaften:
Unter Vertragsfreundschaft versteht man eine Mehrzweck-Assoziation, die zwischen zwei
Partnern von gleichem Sozialstatus eingerichtet wird, die das gleiche Geschlecht und
ungefähr das gleiche Alter haben. Sie beinhaltet gegenseitige Verpflichtungen und Rechte,
z.B. den Austausch von Geschenken und Gastfreundschaft, rechtliche, wirtschaftliche und
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emotionelle Unterstützung usw.
Handelspartnerschaften:
Diese Handelspartnerschaften beziehen sich auf wirtschaftliche Austauschbeziehungen
zwischen Individuen bzw. Gruppen. Besonders gut dokumentierte ethnographische Beispiele
sind hier die Partnerschaften zwischen Hirtennomaden und sesshaften Bodenbauern.
e) Friendship/Freundschaft:
Schließlich ist noch auf die Freundschaften hinzuweisen. Diese wurden in der KSA jedoch
sehr wenig untersucht. Am ehesten befasste man sich noch mit den sogenannte „formalen
Freundschaften“, wo die Rechte und Pflichten jedes Partners genau festgelegt sind. Z.B.
können Handelspartner solche „formalen Freundschaften“ eingehen.
NETZWERKE und NETZWERKANALYSE
Ein weiterer wichtiger Bereich der KSA, der insbesondere in neuerer Zeit an Bedeutung
gewonnen ist, ist die Untersuchung von Netzwerken. Im Gegensatz zu den Assoziationen, wo
es um die Organisationsstruktur von Gruppen geht, steht bei der Untersuchung von
Netzwerken das Einzelindividuum, d.h. der einzelne Akteur, im Zentrum der
Betrachtung. (Winthrop)
Das Studium der sozialen Netzwerke und die Mobilisierung der Netzwerke muss in
verschiedenen Kontexten ausgeführt und auf verschiedenen Ebenen betrieben werden,
nämlich:
* innerhalb einer formalen Organisation
* innerhalb einer Gemeinde
* innerhalb eines verstreuten Sets von Personen, die durch einige gemeinsame Interessen
verbunden sind. (Seymour-Smith)
PFLICHTLITERATUR
Thomas Schweizer: Sozialstruktur als Problem der ethnologischen Forschung. (Muster
sozialer Ordnung. Netzwerkanalyse als Fundament der Sozialethnologie. Kapitel 2)
Netzwerk-Analysen entstanden nach dem 2.Weltkrieg: Ihr Ziel war es einen größeren
Realismus in die Ethnographie zu bringen, indem die relativ informellen und oft
vorübergehenden Beziehungen mit denen die Individuen in einem gegebenen sozialen
Setting agieren, zu untersuchen. (Winthrop)
Das Studium der Netzwerke befasst sich laut Seymour-Smith somit mit den interpersonalen
Beziehungen und der Art in der diese arrangiert werden um Muster zu bilden, die wir soziale
Netzwerke nennen.
Die Netzwerk-Analyse ergänzt die Untersuchung stärker formaler und relativ permanenter
sozialer Formen, wie z.B. Deszendenzgruppen oder Age-Sets.
Die Netzwerkstudien legen Betonung auf die Untersuchung des persönlichen Verhaltens,
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die Wahl und Strategien der Individuen. Sie sind daher auch eng verbunden mit der Aktion
Theorie (Action Theory).
Bei der Netzwerkanalyse nicht nur die Beziehungen Einzelner zu anderen Personen und
Gruppen thematisiert, sondern auch soziale Gruppen (z.B. ethnische Gruppen) in Interaktion
mit anderen Gruppen Gegenstand der Netzwerkanalyse sind.
Unter dem Titel „Action Theory“ können ganz allgemein Studien der Gesellschaft und
insbesondere der politischen Systeme zusammengefasst werden, die sich mit individuellen
Akteuren und ihren Strategien in einem gegebenen sozio-politischen Kontext befassen.
Themen der Action Theory: das Studium des politischen und wirtschaftlichen Wandels, das
Studium der strukturellen Prinzipien die die politischen Aktionen ordnen, vergleichende
historische Untersuchungen.
Die Action Theory betont die dynamischen Arten des politischen Verhaltens z.B.: Strategien,
Decision making, Maximierung.
Die Manchester School of Anthropology ist eine interaktionistische Richtung der britischen
Anthropologie, die von der Universität Manchester ausging. Zu ihren Hauptvertretern
zählen: Max Gluckman, J. Clyde Mitchell, Victor Turner und Bruce Kapferer.
Die Vertreter der Manchester School vertraten die Ansicht, dass das alte, von Bronisław
Malinowski mit geprägte Prinzip des britischen Funktionalismus nicht mehr aufrecht zu
erhalten sei, dass nur die Gegenwart zähle und Prozesse und historische Veränderungen als
sekundär hintenanzustellen seien.
Die „Manchester School“ ging erstmals in der Geschichte der britischen Sozialanthropologie
dazu über, auch überlokale Faktoren (nämlich jene des Kolonialismus) mit zu analysieren
seien und begannen, globale Systeme in ihrer Wechselwirkung mit den lokalen Strukturen zu
untersuchen.
DIE RITES DE PASSAGE
deutsch: Übergangsriten, bisweilen auch als Transitionsriten bezeichnet
„Übergangsriten, Rites de Passage, ein von A. van Gennep (1909) in die Völkerkunde
eingeführter Begriff für Rituale und Zeremonien, die den in der Regel krisenhaften Übergang
des Menschen von einem Lebensabschnitt zum anderen, etwa bei der Geburt, Heirat und
Tod, kennzeichnen. Sie haben die Aufgabe, den Menschen beim Verlassen des bisherigen
Zustandes vor den Anfeindungen feindlicher Mächte zu schützen. Van Gennep zufolge
weisen alle Übergangsriten die gleiche Struktur auf: Trennung, das Übergangsstadium, bei
dem das Individuum besonders gefährdet erscheint und die Inkorporation (Einfügung), bei
der das Individuum in den neuen Stand versetzt wird, der mit einer neuen sozialen Rolle
verbunden ist.“ (Hirschberg)
Diese Abschnitte im Lebenszyklus (z.B. Erwachsenwerden, Heirat etc.) einer Personen, die
einen Rollen- und Statuswechsel mit sich bringen, werden in zahlreichen Gesellschaften als
gefährliche Situationen betrachtet. In der kultur- und sozialanthropologischen Literatur
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werden diese Situationen oft unter dem Begriff „Lebenskrisen“ (engl. life crsis) abgehandelt.
(Seymour-Smith)
Aufgabe der Rites de Passage ist es nun diesen Übergang von einem Status zum nächsten
bzw. vom einer Rolle zur nächsten zu erleichtern und die mit dem Verlassen des bisherigen
Zustandes verbundenen Gefahren des Einzelnen, aber auch der Gesellschaft als Ganzes zu
neutralisieren.
Im Zentrum von van Gennep´s Analyse stand die Beschäftigung mit jenen Riten, die in
zahlreichen Gesellschaften die einzelnen Lebenskrisen (Geburt, Heirat, Tod) begleiten und
helfen sollen, dass der als gefährlich erachtete Status- und Rollenwechsel bewältigt werden
kann.
Dabei erkannte er, dass die Übergangsriten, trotz unterschiedlicher Ausgestaltung
überall eine gleiche Grundstruktur aufweisen, die aus drei unterschiedlichen rituellen
Stadien besteht:
1) Stadium der Trennung bzw. Separierung: hier erfolgt eine Trennung von der früheren
sozialen Stellung oder dem früheren Leben.
2) Stadium des Übergangs, auch „Liminalität“ genannt: Diese Phase umfasst jene Periode,
in der sich das Individuum in einem Zustand des „Zwischenzustandes“ (d.h. der
Liminalität) zwischen dem vorherigen Lebensabschnitt bzw. der vormals eingenommenen
Rolle und dem zukünftigen Lebensabschnitt und der neuen Rolle befindet. Diese Periode
wird als ein besonders gefährlicher Zustand betrachtet.
3) Stadium der Re-Inkorporaton: hier erfolgt nun die Wiederaufnahme des einzelnen
Individuums mit einem neuen sozialen Status und neuen Rollen in die Gesellschaft.
Am deutlichsten tritt das oben kurz dargestellte Schema bei den sogenannten
Initiationsriten in Erscheinung.
Initiationsriten: „Initiation: Die individuelle oder kollektive Einführung in eine Lebensphase
(Erwachsensein, heiliges oder profanes Amt) oder Menschengruppe (Bund, Orden, Zunft)
wurde erstmals von Lafiteau Initiation genannt, der die Reifefeiern der Irokesen und Kariben
mit den Weihezeremonien antiker Mysterienkulte verglich.“
Der Zeitpunkt der Initiation kann sehr verschieden sein. Er kann, muss aber nicht, mit der
psychologischen Pubertät der Initianden zusammenfallen, da vielmehr die soziale als die
geschlechtliche Reife markiert wird. Mädchen werden seltener initiiert als Knaben, deren
Reifefeiern auch meist strenger und komplexer verlaufen.
Die Initiationsriten, die meist von den Ethnologen studiert werden, sind jene, die für Knaben
oder Mädchen durchgeführt werden um ihren Statuswechsel von Kindern zu reifen
Mitgliedern der Gesellschaft zu markieren „...capable of sexual activity and/or marriage.“ In
den meisten Gesellschaften umfassen diese Rituale physische Operationen am Körper wie
z.B. Beschneidung oder andere Formen der Verstümmelung, der Markierung des Körpers.
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ETHNISCHE GRUPPE/ETHNIZITÄT
The orgins of the term “ethnic”: The term “ethnic” derives from the Greek terms “ethnos”
and “ethnikos”, referring to a group of people sharing common customs. (Winthrop und
Cahmore)
Definition der ethnischen Gruppe: „ethnic group, minority: any group of people, or minority
within a nation-state (ethnic minority), who define themselves as a group by reference to
claims of common decent, language, religion, or race.” (Barnard/Spencer)
Definition von Ethnicity: The term ethnicity refers as Seymour Smith points out to “… the
identification and labelling of any grouping or any category of people. …. to the explicit or
implicit contrasts made between the identified group and another group or category.“ Thus,
the study of ethnicity focuses precisely on the interrelation of cultural and social process in
the identification of and interaction between such groups.”
PFLICHTLITERATUR
Erwin Orywal und Katharina Hackstein: Die Konstruktion ethnischer Wirklichkeiten
(Handbuch der Ethnologie. pp.593-608)
The Study of Ethnic Groups in the Social Sciences: Systematische Studien über ethnische
Gruppen wurden in den USA schon in den 1920iger Jahren von den Soziologen der „Chicago
School“ durchgeführt. Hier ist vor allem auf die Untersuchungen W.I. Thomas und Ezra Park
zu verweisen. U.a. ging es dabei um die Prozesse der Assimilation ethnischer Gruppen (z.B.
ital. Einwanderer, afro-amerikanischer Gruppen) in die dominanten weißen Gesellschaft.
Three approaches to the understanding of ethnicity (Sergey Sokolovskii und Valery Tiskov):
They can be categorized as:
* primordialist approach
* instrumentalist approach
* constructivist approach
1) The primordialist approach: The primordialist approach is also sometimes labelled as an
“objectivist theory” which implies that it is “objective” factors, e.g. common or shared
descent, language, territory, etc. that constitute ethnicity. According to the supports of
the primordialist approach a number of real, tangible foundations of ethnic identification
exist.
2) The Instrumentalist approach: The instrumentalist approach has is intellectual roots in
sociological functionalism and therefore treats claims to ethnicity as a product of political
myths. The instrumentalists are of the opinion that elite groups in society create and
manipulate these political myths in their pursuit of advantages and power.
3) The constructivist approach: This approach, which is sometimes also labelled as
„situationalist approach“, focuses rather on “subjective” factors in defining an ethnic
group or ethnicity.
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Fredrik Barth, sein Ansatz und seine Bedeutung:
Fredrik Barth´s edited volume “Ethnic groups and Boundaries”, published in 1969, became
on of the most influential and widely cited anthropological essay on ethnicity. (Keys)
Following Barth´s study the general approach to ethnicity shifted towards a social
constructionist model of ethnic groups. (Jenkins)
Schlüsselmerkmale von BARTH´s Ansatz:
(1) First, the analysis of ethnicity starts from the definition of the situation held by social
actors.
(2) Second, the focus of attention then becomes how ethnic boundaries are maintained or
changed in the structured interactions between “us” and “them” which, takes place
across boundaries.
(3) Third, the ethnicity of actors is not necessarily fixed; it is defined situationally.
(4) Fourth, ethnic identity depends on ascription, by members of the ethnic group in
question and by outsiders with whom they interact.
(5) Fifth, ethnicity is not a matter of “real” cultural differentiations; differences are in the
eye of the beholder, the “cultural stuff” which had been hitherto believed to determine
group identification is somewhat irrelevant.
PFLICHTLITERATUR
Frederik Barth: Towards greater naturalism in conceptualizing societies (Conceptualizing
Society. pp.17-33)
(Ende Skript Teil 5)
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