Akutes Koronarsyndrom

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Akutes Koronarsyndrom
Aufriss
Unter dem Sammelbegriff des akuten Koronarsyndroms, definieren sich die akut
lebensbedrohlichen Phasen der koronaren Herzerkrankung, wie die instabile Angina pectoris
(IAP), der Non-St-Strecken-Elevations-Myokardinfarkt (NSTEMI), der St-StreckenElevations-Myokardinfarkt (STEMI) und der plötzliche Herztod. Die Einführung dieses
Oberbegriffs liegt in der Erkenntnis, dass den genannten Notfallbildern ein gemeinsamer
Pathomechanismus zugrunde liegt, der vergleichbare diagnostische und therapeutische
Strategien erfordert. Die Übergänge der Krankheitsbilder sind oft fließend, so dass es bei
dem Versuch der isolierten Betrachtung der einzelnen Notfallbilder auch mal zum falschen
Unterlassen notwendiger Therapien für den Patienten kommen könnte. Hinter dieser
Begrifflichkeit finden sich ca. 2 Millionen Notfallpatienten, die jährlich vom Rettungsdienst
versorgt und transportiert werden. Bei 300 000 dieser Notfallpatienten handelt es sich um
einen endgültigen Gefäßverschluss, dem Myokardinfarkt. Trotz verbesserter Diagnostik und
Therapie versterben heute noch fast 40 % dieser Patienten an dem Myokardinfarkt, wobei
sich > 60 % der Todesfälle innerhalb der 1 h nach Infarktereignis aufgrund von plötzlich
auftretenden Rhythmusstörungen ereignen.
Ursachen und Pathophysiologie
Der bei weitem überwiegende Teil der Koronarsyndrome entsteht auf dem Boden
atherosklerotisch veränderter Koronarien, in Form von Plaqueablagerungen. Ursächlich für
die Entstehung von Plaques werden u.a. Endothelschäden verantwortlich gemacht, die eine
Einlagerung von Lipiden (Fetten) innerhalb der Gefäßintima ermöglichen. Im weiteren
Verlauf heften sich Monozyten und T-Lymphozyten zunächst am Endothel an. Die
Monozyten wandeln sich später innerhalb der Plaque zu Makrophagen um, die sich dann
wiederum mit den Lipiden durch eine Bioakkumulation in Schaumzellen (Xanthomzellen)
umwandeln. Diese werden in der Frühphase als sog. fatty streaks in den Koronargefäßen
sichtbar. Bedingt durch diese Ablagerung, kommt es zu einer Verschlechterung der
Durchblutung mit dem Resultat einer Ischämie am Myokard. Eine instabile atherosklerotische
Plaque mit Neigung zur Ruptur, besteht meist aus einer zunehmenden Masse von Lipiden,
die durch ein Bindegewebe vom Gefäßlumen getrennt ist. Diese Ablagerungen unterliegen
hohen lokalen Scherkräften. Hier gilt, je dünner die Bindegewebsabdeckung wird, desto
höher das Risiko der Ruptur oder Plaquefissur.
Die Plaqueruptur führt zum einen zur Einblutung in die Plaque und andererseits zur
intraluminalen Thrombose. Die Thrombose wird durch die freie Kommunikation zwischen den
Lipiden, der Plaque und den Makrophagen, die reich an Prokoagulantien
(gerinnungsbegünstigenden Substanzen) sind, ausgelöst. Folge ist eine zunehmende
Einengung des Gefäßlumens, die bis zum kompletten Verschluss des Gefäßes führen kann.
Es entsteht eine Ischämie des Myokards. Bedingt durch diese Ischämie im Gewebe werden
Nährstoffe nicht mehr vollständig verbrannt, es fallen hierdurch saure
Stoffwechselendprodukte an, die bedingt durch die Verengung bzw. den Verschluss nicht
ausreichend abtransportiert werden. Die Ansäuerung des Gewebes löst dann den typischen
Angina pectoris Schmerz aus. Zusätzlich kommt es zur Funktionsstörung des
Gefäßendothels, so dass dessen eigene Vasodilatatoren, z.B. das EDRF (endothelium
derived relaxing factor), Antithrombin III fehlen. Erschwerend kommt hinzu, dass im Rahmen
der Gerinnung vasokonstriktorische Substanzen wie das Thromboxan A2 (ein Prostaglandin)
ausgeschüttet werden. Hält die Ischämie längere Zeit an, entsteht eine Gewebsnekrose, der
Myokardinfarkt. Je nach Infarktgröße resultiert eine erhebliche Einschränkung der
Leistungsfähigkeit des Herzmuskels (Insuffizienz). Die hypoxische Muskulatur verharrt
zunächst in einem dauerkontrahiertem Zustand, wodurch die Dehnbarkeit des betreffenden
Ventrikels zusätzlich eingeschränkt wird.
Symptome
Die größte Gefahr des akuten Koronarsyndroms liegt somit in der Ausbildung eines
Myokardinfarktes. Die Diagnostik beruht daher wie die Infarktdiagnostik auf den 3 Säulen
Klinik, EKG, Enzymdiagnostik (Labor).
Klinik
I.d.R finden wir unruhige Patienten vor, die meist über einen retrosternalen Druckschmerz
ggf. ausstrahlend in den linken Arm, Oberbauch klagen. Cave: bei älteren oder an Diabetes
mellitus erkrankten Menschen, könnte diese Schmerzsymptomatik aufgrund Polyneuropatien
fehlen, hier spricht man von einem sog. stummen Infarkt. Mit diesem Druck- und
Beklemmungsgefühl stellt sich in den meisten Fällen gleichzeitig ein starkes Angstgefühl ein,
das als Todesangst vom Betreffenden geschildert wird. Zusätzlich zur klebrigen,
kaltschweißigen Haut und einer auftretenden Dyspnoe klagen viele Patienten über Übelkeit
und Erbrechen.
EKG
Typische EKG-Veränderungen der St-Strecke sind oft richtungsweisend für die
Arbeitsdiagnose akutes Koronarsyndrom.
Bei > 30 % der instabilen Angina pectoris Patienten zeigen sich Senkungen (Depressionen)
des St-Segments. Infarkttypische Veränderungen zeigen im Initialstadium eine beträchtliche
T-Erhöhung (Erstickungs-T), das jedoch im Rettungseinsatz nicht mehr zu sehen ist. Danach
imponieren St-Streckenhebungen und das pathologische Q (Pardee-Q) als Zeichen einer
Nekrose. Von einem Pardee Q spricht man, wenn dieses größer als ¼ der R-Zacke und
mindestens 0,04 sek. breit ist. Hierbei liefert das komplett registrierte 12-Kanal-EKG
unverzichtbare Dienste. Dieses kann dann auch in der weiteren klinischen Diagnostik und
Versorgung heran gezogen werden. Die oft beobachtete Praxis, in der Klinik ein „eigenes“
neues EKG zu schreiben muss in diesem Zusammenhang als unnötig und zeitverzögernd
gewertet werden, da sich die Validität eines EKG´s nicht dadurch ändert, das es in einer
Klinik geschrieben wird.
Cave: wie oben beschrieben, sind auch beim Myokardinfarkt nicht immer typische EKGVeränderungen wie eine St-Streckenhebung oder ein Pardee-Q zu sehen. Hierbei spielt es
eine entscheidende Rolle, ob der Infarkt die ganze Dicke der Herzwand durchdringt
(transmuraler Infarkt) oder sich auf die Innen- bzw. die Außenschicht (nicht transmuraler
Infarkt) beschränkt. Gerade bei dem nicht transmuralen Infarkt wird z.B. kein Pardee-Q
sichtbar.
Abb. *.*: EKG-Veränderungen a. „Erstickungs-T b. St-Streckenhebung c. Pardee-Q
Enzymdiagnostik (Labor)
Zur Bestätigung myokardialer Schädigungen werden in der Klinik routinemäßig myokardiale
Enzyme oder Herzmarker bestimmt. Die besten laborchemischen Indikatoren stellen das
 CK MB – Untergruppe der Kreatininkinase die M (“muscle”) und B (“brain”), die sich
vorwiegend im Herzen findet
 Troponin T – ein Teil des kontraktilen Apparates der Muskelzelle
 Myoglobin – ein Protein, das sich in der quergestreiften Muskulatur wieder findet,
dar.
Abb. *.*: Darstellung der Enzymdiagnostik im zeitlichen Verlauf
Maßnahmen
Die Maßnahmen beim akuten Koronarsyndrom lassen sich in zwei Maßnahmenpakete
unterteilen. Gerade um den zeitlichen Faktor bei diesem Notfall nicht außer acht zu lassen,
jedoch alle Maßnahmen ruhig und konzentriert abarbeiten zu können, erscheint es auch bei
Eintreffen des Notarztes sinnvoll, dass die beiden Maßnahmen parallel zueinander
abgearbeitet werden. D.h., das RTW-Team arbeitet sein Maßnahmenpaket an der Stelle
weiter ab, wo es vor der Übergabe des Notarztes war und der NEF-Fahrer assistiert dem
Notarzt bei seinen Maßnahmen.
Maßnahmen des RTW-Teams
 Lagerung des ansprechbaren Patienten in Oberkörperhochlage 30 – 35 °. Diese Lagerung
lindert die Atemnot und bewirkt einen verminderten venösen Rückstrom zum ohnehin
schon überlasteten Herzen
 Konsequente Immobilisation und Beruhigung des Patienten
 O2-Gabe von 4-6 l/min über eine Nasenbrille
 Notarzt-Ruf, falls noch nicht parallel alarmiert
 Monitorring bestehend aus kontinuierlicher RR-Messung, EKG, Puls und SaO2
 i.v.-Zugang legen z.B. 20 G möglichst periphere um ggf. bei Fehlpunktionen bei einer
nachfolgenden Lyse gut komprimieren zu können
 Laborblutentnahme, um in der Klinik unverzüglich u.a. die oben genannten
Enzymdiagnostik zu starten oder ggf. mit einer im Krankenhaus entnommenen Probe
gleich einen Trend aufzeigen zu können.
 Nitroglyzerin 2 Hübe = 0,8 mg s.l. (z.B. Nitrolingual-Spray), wenn der RRsyst. > 100
mmHg liegt, ggf. alle 5 min wiederholen. Nitroglycerin wird wie alle Nitrate im Körper zur
eigentlichen Wirksubstanz, dem Stickstoffmonoxid (NO) umgewandelt. Dieses ist identisch
mit dem körpereigenen EDRF siehe oben, was bei einem atherosklerotisch veränderten
Gefäß nicht mehr gebildet wird. Nitroglyzerin bewirkt im Einzelnen:
 Vasodilatation v.a. der venösen Gefäße des Lungen- und Körperkreislaufs sowie der
größeren Koronararterien, gerade auch in den atherosklerotisch veränderten Gefäßen.
Hieraus resultiert eine Vorlastsenkung, was zur Abnahme der Herzarbeit und des O2Verbrauchs führt.
 Druckentlastung der Innenschichten des Herzmuskels (subendokardiales Myokard)
durch verminderte Füllungsdrücke, was zu einer Verbesserung der dortigen
Kapillardurchblutung führt.
 Hemmung der Thrombozytenaggretation und Leukozytenadhäsion
Untersuchungen haben gezeigt, dass die frühzeitige Gabe von Nitroglyzerin die Infarktgröße
und das Risiko von Kammerflimmern reduziert! (ACC/AHA Task force Report 1990 und
folgende)
 12-Kanal-EKG schreiben
Die Aufgaben des NEF-Teams liegen zum einen in der Aufrechterhaltung der schon
getroffenen Maßnahmen des RTW-Teams und zum zweiten in der weiterführenden
medikamentösen Behandlung mit dem Ziel der:
 Begrenzung der Infarktgröße
 Senkung der Herzarbeit
 Schmerzbekämpfung
 Vermeidung von Komplikationen
 Ggf. Lysetherapie
Maßnahmen des NEF-Teams
 Analgesie und ggf. Sedierung:
 Morphin 5-10 mg i.v. Die Angst und die Schmerzen bewirken eine starke Ausschüttung
von körpereigenen Katecholaminen, die u.a. für das Auftreten von Rhythmusstörungen
verantwortlich gemacht werden. Morphin bewirkt durch seine analgetische und
sedierende Wirkung eine Abnahme dieser zirkulierenden Katecholamine. Ebenfalls
bewirkt es durch seine zentralvenöse Wirkung auf die Gefäße, eine Vor- und
Nachlastsenkung.
 Midazolam 3-5 mg i.v. (z.B. Dormicum), wenn die sedierende Wirkung von Morphin
nicht ausreicht.
 Thrombozytenaggretationshemmung mit Acetylsalicylsäure 100 – 500 mg i.v. (z.B.
Aspisol). ASS verhindert die weitere Anheftung von Thrombozyten und hemmt die
Synthese des aggretationsauslösend und gefäßkonstriktorisch wirkenden Thromboxan A2
(TxA2).
Es verhindert eine Infarktausdehnung und senkt die 50-Stunden-Letalität (Isis 1988)!
 Antikoagulation: Heparin 5000 IE i.v. (z.B. Liquemin) Cave: Inkompatibilität mit einigen
Fibrinolytika beachten.
 Antiemetikum: bei bestehender Übelkeit Metoclopramid 10 mg i.v. (z.B. MCP)
-Blocker: Metoprolol 5-10 mg i.v. (z.B. Beloc) bei stabilen Kreislaufverhälnissen.
Metoprolol hemmt selektiv die Erregungsübertragung an den sympatischen 1-Rezeptoren
im Herzen. Dieses vermindert durch die Abnahme der Herzfrequenz, der Kontraktilität und
der Erregbarkeit, das Risiko auftretender Rhythmusstörungen und senkt den myokardialen
O2-Verbrauch.
 Nitroglycerin: 1-5 mg i.v. wenn RRsyst > 100 mmHg (z.B. Nitrolingual infusl.)
Ein immer wieder heftig diskutierter Therapieansatz stellt die präklinische Lyse dar.
Indikationen für die Lysetherapie sind: Infarktsymptome sowie ein eindeutiges 12-Kanal-EKG
(ST-Streckenhebungen von ≥ 0,1 mV in mindestens 2 zusammenhängenden
Extremitätenableitungen bzw. ≥ 2 mV in mindestens 2 zusammenhängenden
Brustwandableitungen), Einsetzen des Infarktschmerzes < 3 h und dem Fehlen von relativen
und absoluten Kontraindikationen (siehe unten) und einem rüstigen Alter des Patienten.
Cave: Das Risiko einer Blutung speziell der Hirnblutung unter Lyse steigt jenseits des 75.
Lebensjahr deutlich an. Je früher die Thrombolysetherapie einsetzt, umso günstiger die
Prognose. Der Zeitgewinn durch die präklinische Lyse im Vergleich zur stationären Lyse
beträgt zwischen 30 und 130 min, im Mittel 60 min. Eine Erfolg versprechende
Wiedereröffnung des thrombotisch verschlossenen Koronargefäßes, ist auch über die 3 h
Frist hinaus mittels einer Ballondilatation möglich. Die Infarktlimitierung trägt zur Erhaltung
der Pumpleistung des Herzens bei. Die Reperfusion birgt allerdings auch einige Probleme
wie z.B. ventrikuläre Rhythmusstörungen, sog. Reperfusionsarrhythmien, die sich i.d.R. gut
mit Amiodaron 150-300 mg i.v. (z.B.Cordarex®) beherrschen lassen Die Wahl der optimalen
Reperfusionsstrategie, also Lyse oder PCI , muss sich nach den lokalen Verfügbarkeiten
richten, da derzeit nur ca. 20 % aller Krankenhäuser in Deutschland die Möglichkeit zur PCI
bieten. Ist innerhalb von 90 Min nach Eintreffen des Notarztes eine PCI möglich, so ist diese
der Lyse vorzuziehen.
Welches Präparat zur Lyse sollte vorgehalten werden? Hier kann keine generelle
Empfehlung gegeben werden, sondern die Auswahl muss hier in Absprache mit dem
weiterbehandelnden Zentrum erfolgen. Als Anspruch gilt, ein Präparat zu wählen, das
möglichst unkompliziert in einem oder höchstens zwei Boli verabreicht werden kann, wie z.B.
Teneceplase (z.B. Metalyse®).
Absolute Kontraindikationen für eine Lysetherapie sind :
Schlaganfall in den letzten 6 Monaten (hämorrhagisch zeitunabhängig)
Trauma, Operation, Kopfverletzung innerhalb der letzten 3 Wochen
Neoplasma oder neurologische ZNS-Erkrankung
Gastrointestinale Blutung innerhalb der letzten 4 Wochen
Blutgerinnungsstörungen
Dissezierendes Aortendissektion

Relative Kontraindikationen für eine Lysetherapie sind:
Orale Antikoagulatien-Therapie
Nicht komprimierbare Gefäßpunktionen
Floride Endokarditis
Kardiopulmonale Reanimation mit Rippen-/ Sternumfrakturen
Aktives Ulkusleiden
Schwangerschaft
Antikoagulanzientherapie
Therapierefraktäre Hypertonie (> 180 mmHg)
Fortgeschrittene Lebererkrankung
 Die Infarktlimitierung trägt zur Erhaltung der Pumpleistung des Herzens bei. Die
Reperfusion birgt allerdings auch einige Probleme wie z.B. ventrikuläre
Rhythmusstörungen, sog. Reperfusionsarrhythmien, die sich i.d.R. gut mit Lidocain 2 %
100 mg i.v. (z.B. Xylocain®) beherrschen lassen.
 Bei einem eintretenden oder vorgefundenem Kreislaufstillstand, erfolgt die Reanimation
nach dem Advanced Cardiac Life Support (ACLS)
Fazit
Die Zeit in der bei retrosternalen Schmerzen versucht wurde, eine Differentialdiagnostik
durchzuführen, ist zu Ende. Oft ist eine genaue Abgrenzung nicht möglich, da z.B. auch der
Patient der auf Nitro-Gabe eine Erleichterung seiner Schmerzen erfahren hat, noch einen
Infarkt haben kann. Damit es nicht, wie oft in der Praxis zu beobachten ist, zu einer
willkürlichen Zuordnung kommt, gilt heute die frühzeitige Intervention analog der
Infarkttherapie.
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