JOURNAL GESUNDHEIT MEDIZIN Leises Leiden Nicht immer kündigt sich ein Herzinfarkt mit den bekannten Symptomen an: Ein Viertel aller Infarkte verläuft stumm – oft werden diese nur zufällig oder aber gar nicht erkannt. Die Folgen wären durch Vorsorgeuntersuchungen vermeidbar. Infarkt: Die Symptome E in brennender Schmerz im Brustbereich, der in Schultern, Arme, Unterkiefer und Oberbauch ausstrahlen kann. Dazu Beklemmung, Schweißausbrüche, Atemnot, Übelkeit. Auf etwa 75 Prozent aller Herzinfarkte – im Fachjargon als Myokardinfarkt bezeichnet – treffen diese Symptome zu. Die restlichen 25 Prozent aber sind ganz anders. Aufgrund der Symptome Rücken-, Nacken- oder Kieferschmerzen, einer allgemeinen Abgeschlagenheit oder Unwohlsein in der Magengegend würde wohl kein Mensch einen Infarkt in Betracht ziehen. Gerade deshalb bleiben viele „stumme Infarkte“ auch unentdeckt – was sie nicht minder gefährlich macht. Denn ohne entsprechende Behandlung kann ein stummer Infarkt, der zu lebensbedrohlichen Herzrhythmusstörungen führen kann, tödlich enden. Der Begriff Herzinfarkt beschreibt den Zelltod von Herzmuskelzellen aufgrund einer Durchblutungsstörung, verursacht durch Leitsymptom eines Herzinfarkts ist der Brustschmerz. Typisch sind plötzliche, oft in Ruhe auftretende, länger als 15 bis 20 Minuten anhaltende und u. U. rasch zunehmende Schmerzen sowie ein Engegefühl und starker Druck im Brustkorb. Die Schmerzen strahlen häufig in die Arme (meist links), die Schultergegend, in den Unterkiefer oder in den Oberbauch aus. Patienten klagen über Atemnot und Todesangst, zudem treten Schwitzen, Übelkeit und Erbrechen auf. Bei Frauen können die typischen Warnzeichen völlig anders sein, hier werden Schmerzen im Oberbauch, verbunden mit Übelkeit und Erbrechen, angegeben. Stumme Infarkte verursachen auch keine, geringe oder untypische Symptome und werden erst nachträglich diagnostiziert. Fotos: Fotolia.com (2), TILAK (1) 24 ECHO 06/2014 JOURNAL GESUNDHEIT ein Blutgerinnsel in einem durch Arteriosklerose verengten Herzkranzgefäß. „Es gibt zum einen den sogenannten ST-Hebungsinfarkt, zum anderen den Nicht-ST-Hebungsinfarkt“, erklärt Univ.-Prof. Dr. Wolfgang-Michael Franz, Direktor der Universitätsklinik für Innere Medizin III, Kardiologie und Angiologie, in Innsbruck. Der ST-Hebungsinfarkt äußerst sich diagnostisch dadurch, dass ein bestimmter Abschnitt der EKG-Kurve, die sogenannte ST-Strecke, bogenförmig angehoben ist. Dann liegt ein „transmuraler Infarkt“ vor, der den Herzmuskel von der äußeren bis zur inneren Schicht erfasst. Das Gefäß verschließt sich plötzlich, ein akuter und andauernder Schmerz setzt ein. Schwieriger ist die Diagnose, wenn diese ST-Strecke im EKG trotz typischer Schmerzen nicht angehoben ist. Bei einem derartigen Nicht-ST-Hebungsinfarkt (NSTEMI) müssen spezielle „Herzenzyme“ bei der Blutuntersuchung positiv sein, erst dann kann ein Infarkt diagnostiziert werden. Das dauert allerdings deutlich länger als die Diagnose mittels EKG. Aber nicht immer ist der Gefäßverschluss plötzlich: „Das Gefäß kann sich auch sehr langsam verengen. Hier hat der Körper die Möglichkeit, Umgehungskreisläufe in Form der sogenannten Kollateralen zu bilden, also Gefäße, die diese Engstelle umgehen.“ Die Kollateralen sind eine Art natürliches Bypass-System des Körpers: „Hierbei bilden sich Gefäßbrücken zwischen den großen Kranzarterien und führen zu dem besagten Umgehungskreislauf, der den verschlossenen Gefäßabschnitt so überbrückt, dass das betroffene Herzgebiet weiterhin mit Blut und Nährstoffen versorgt wird.“ Welches Krankheitsbild sich aus einem Infarkt entwickelt, hängt von Ort, Schwere und Dauer der Durchblutungsstörung des Herzmuskels ab. Bei ST-Hebungsinfarkten ist die Ursache in über 90 Prozent der Fälle ein durch ein Blutgerinnsel verschlossenes Herzkranzgefäß – bei NSTEMI sind hingegen lediglich bei der Hälfte aller Fälle Thromben nachweisbar. Der größte Teil der ST-Hebungsinfarkte entsteht durch die Ruptur eines Plaques – einer Arteriosklerose an der Gefäßwand: „Dabei springt ein Plaque auf. In der Folge lagern sich an dieser Stelle Blutplättchen an und innerhalb weniger Minuten kann sich das Gefäß durch das aufgesprungene Plaque komplett verschließen“, so Franz. Ist der Verschluss des Gefäßes nicht plötzlich oder ist lediglich ein kleiner Nebenast der Herzkranzgefäße betroffen, kann der Infarkt unbemerkt bleiben. Dann handelt es sich um einen „stummen Infarkt“. „Dieser ist dadurch Vorsorge: Mittels diagnostischer Möglichkeiten wie EKG, Echokardiogramm, CT oder Sonografie können Anzeichen für einen drohenden Infarkt festgestellt werden gekennzeichnet, dass er symptomarm oder symptomlos verläuft“, erklärt Franz. Dabei gibt es sehr wohl Symptome – allerdings werden diese nicht als solche interpretiert. Beschwerden wie Rücken- oder Nackenschmerzen, Kiefer- und Zahnschmerzen, Abgeschlagenheit, Schwächegfühl oder Hitzewallungen gehören – für manch einen – zu alltäglichen Problemen, die von den Betroffenen nicht als ernsthaft gesundheitsgefährdend eingestuft werden. Es aber unter Umständen sein können. ment, wenn sie Beschwerden haben. Die beste Möglichkeit bietet sich im Rahmen der jährlichen Gesundenuntersuchung: „Über EKG oder ein Echokardiogramm kann man Wandbewegungsstörungen oder Erregungsrückbildungsstörungen sehen – die lassen auf einen abgelaufenen Infarkt schließen. Aber nicht immer ist ein stummer Infarkt hier sichtbar.“ Eine weitere Vorsorgemaßnahme ist deshalb die Sonografie der Halsschlagader: „Hier sieht man, inwieweit Arteriosklerose vorhanden ist. Im Rahmen der Gesun„Der stumme Infarkt ist denuntersuchung können auch die dadurch gekennzeichnet, Herzkranzgefäße dass er symptomarm oder mittels Compusymptomlos verläuft.“ tertomografie, die nur wenige MinuUniv.-Prof. Dr.Wolfgang-Michael Franz, Direktor ten in Anspruch der Innsbrucker Univ.-Klinik für Innere Medizin III nimmt, auf Kalkablagerungen hin In dem Augenblick, in dem ein Thrombus überprüft werden: Gibt es bei Patienten über die Nährstoffversorgung des Muskels unter- 60 Jahren keinen Kalk, besteht zu 99 Prozent bricht, spürt der Betroffene oft nichts. Später kein Risiko für einen Infarkt. Junge Patienten kann er sich unwohl fühlen, leichter ermüden können jedoch nicht auf den Kalkscore verals sonst oder er verspürt nach geringen Be- trauen – sie müssen zu ihrer Sicherheit eine lastungen bereits Luftnot. Diese Beschwerden CT-Angiografie der Koronargefäße durchfühwerden häufig falsch gedeutet. Wie kann also ren lassen, da sich in diesem Lebensalter oft ein stummer Infarkt diagnostiziert werden? weiche Plaques mit thrombotischen Auflage„Zuerst muss der Patient überhaupt zur Un- rungen ohne Kalkablagerung bilden können.“ tersuchung kommen“, und das, bestätigt der Ein gewisses Maß an Sicherheit gibt auch Mediziner, tun die meisten erst in dem Mo- ein gesunder und verantwortungsbewusster ECHO 06/2014 25 JOURNAL GESUNDHEIT Die Herzversorger: Arterien obere Hohlvene rechtes Herzohr Rechter Herzvorhof rechte Herzkranzarterie Ramus coni arteriosi (Ast aus der rechten Herzkranzarterie) Arteria & Vena ventricularis dextra Ramus marginalis dexter (Ast aus der rechten Herzkranzarterie) Rechter Herzventrikel Die rechte und linke Herzkranzarterie – die Koronararterien – versorgen den Herzmuskel mit Blut. Sie entspringen aus der Aorta und sind sogenannte „funktionelle Endarterien“. Sie sind zwar mit anderen Arterien verbunden, diese Verbindungen sind allerdings zu schwach, um bei Mangelversorgung eine Durchblutung des Gewebes zu gewährleisten. Fällt eine Arterie aus, kommt es in dem von dieser Arterie versorgten Gebiet zu einem Absterben von Gewebe. Die linke Koronararterie versorgt die Herzvordersei- Lebensstil. Obwohl die genetische Veranlagung nach wie vor an erster Stelle steht, was das Risiko für einen Infarkt anbelangt, sind es doch auch die äußeren Umstände, die in erheblichem Maß dazu beitragen, ob es zu einem Infarkt kommt oder nicht. Arteriosklerose, eine Fettstoffwechselstörung (erhöhter Cholesterin- und Triglyceridspiegel), Rauchen und hoher Blutdruck sind klassische Risikofaktoren. Insbesondere Diabetes spielt auch eine entscheidende Rolle: Das Risiko von Diabetikern, einen Herzinfarkt zu erleiden, ist bis zu sechsmal höher, da die hohen Blutzucker- und Insulinspiegel die Blutgefäße schädigen. Auch höheres Alter ist ein Risikofaktor. Und geht es um den stummen Infarkt, sind Frauen stärker betroffen als Männer: Die genannten Symptome wie Übelkeit, Erbrechen, Nackenschmerzen oder Verspannungen betreffen Frauen deutlich öfter als Männer, werden also dementsprechend oft einfach an- Aorta linke Lungenarterie Herzbeutel (Perikard) Lungenstamm linkes Herzohr linke Herzkranzarterie Ramus marginalis sinister (Ast aus dem Ramus circumflexus) Ramus lateralis Septalast große Herzvene in einem durch Arteriosklerose verengten Herzkranzgefäß (siehe Illustration). Herzinfarkte können sich in unterschiedlichen Bereichen des Herzmuskels ereignen. Die Lokalität hängt davon ab, welches Gefäß betroffen ist und welcher Abschnitt des Herzmuskels von dem betroffenen Gefäß mit Blut versorgt wird. Je näher der Verschluss am Abgang der jeweiligen Arterie von der Aorta liegt, desto größer ist auch das Infarktareal. Je weiter entfernt er sich befindet, desto kleiner ist das minderversorgte Muskelgebiet. Da die Muskelmasse und damit auch das Versorgungsgebiet der linken Herzkammer größer sind als die der rechten und zu deren Durchblutung mehr Gefäße nötig sind, die erkranken können, ist die linke Koronararterie bei Herzinfarkten auch überwiegend betroffen. Linker Herzventrikel Herzspitze te, die rechte Koronararterie versorgt auch einen wichtigen Teil des Erregungssystems (Sinusknoten, Atrioventrikularknoten). Drei große Koronarvenen führen das sauerstoffarme Blut aus dem Herzmuskel ab. Die große Herzvene verläuft auf der Vorderseite, die mittlere Herzvene auf der Hinterseite und die Vena cordis parva am rechten Herzrand. Der Begriff Herzinfarkt beschreibt den Zelltod von Herzmuskelzellen aufgrund einer Durchblutungsstörung, verursacht durch ein Blutgerinnsel deren, „harmloseren“ Erkrankungen zugeordnet. Mit fatalen Folgen. „Früher verstarb jeder dritte Infarktpatient“, sagt Franz. „Entweder bevor er ein Krankenhaus erreichte oder in den folgenden zwölf Monaten an einem weiteren Infarkt bzw. der fortschreitenden Schwäche des Herzens. Heute versterben aufgrund der effizienten Rettungskette fünf bis sieben Prozent jener Patienten, die es in die Klinik schaffen.“ Die Behandlungsmöglichkeiten sind gut. „Die rasche Katheterbehandlung, bei der das Gefäß durch einen Ballon geweitet und mit einem Drahtgeflecht stabilisiert wird, steht im Vordergrund und wird durch medikamentöse Therapie unterstützt, die weitere Thrombenbildung verhindern soll“, erklärt Franz. „Manchmal gelingt es auch, alt verschlossene Gefässe wieder zu eröffnen. Dieses Verfahren wird CTO (Chronic Total Occlusion) genannt und führt idealerweise zur Verbesserung der Pumpfunktion bzw. zu einer Beseitigung der Symptome Brustenge bzw. Atemnot bei Belastung.“ Weisen hingegen mehrere Gefäße eine hochgradige Verengung, im Fachjargon Stenose, auf, wird ein Bypass gelegt, was so viel wie Umleitung bedeutet und auch genau das ist: Mittels Bypass werden verengte oder verstopfte Herzkranzgefäße durch eine Umleitung überbrückt, dadurch wird das Herz wieder ausreichend mit Blut und Nährstoffen versorgt. Bevor es zum Ernstfall kommt, gilt Vorsorge: Grundlegend für jeden muss dabei sein, das eigene Risikoprofil zu kennen. Dementsprechend kann und sollte in regelmäßigen Abständen ein Belastungs-EKG, ein Echokardiogramm, eine Sonografie oder ein CT durchgeführt werden – die diagnostischen Möglichkeiten sind gegeben. Nützen muss man sie halt. Nur auf diese Weise wird ein drohender Infarkt rechtzeitig erkannt. Und „rechtzeitig“ bedeutet in diesem Fall lebensrettend. Sonja Niederbrunner Foto: Fotolia.com 26 ECHO 06/2014