lebensqualität und subjektiver gesundheit

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1
Wie lässt sich gesundheitsbezogene Lebensqualität von chronisch
kranken Menschen erfassen?
- Zur Bedeutung von subjektiver Gesundheit für eine pädagogische
Intervention -
0 EINLEITUNG ................................................................................................... 3
1 THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND ............................ 5
1.1 Zentrale Begriffe .................................................................................................... 5
1.2 Lebensqualität ........................................................................................................ 8
1.2.1 Historischer Überblick ...................................................................................... 9
1.2.2 Lebensqualität und Gesundheit ................................................................... 11
1.3 Gesundheitsbezogene Lebensqualität .......................................................... 13
1.3.1 Konzeptuelle Grundlagen der Lebensqualitätsforschung ........................ 14
1.3.2 Konzepte zur Erfassung von Lebensqualität ............................................. 15
1.3.3 Ziele der Lebensqualitätsforschung ............................................................ 17
1.3.4 Definitionen und Modelle der gesundheitsbezogenen Lebensqualität .. 17
1.4 Zusammenfassendes Verständnis von gesundheitsbezogener
Lebensqualität ............................................................................................................ 22
1.5 Die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität ....................... 24
1.5.1 Das SF-36 Health Survey ............................................................................. 28
1.5.1.1 Indikationen .............................................................................................. 28
1.5.1.2 Darstellung des SF-36 Health Survey ................................................. 29
1.5.2 Kritik am SF-36 Health Survey ..................................................................... 31
1.6 Kritik am Geltungsbereich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
......................................................................................................................................... 31
2 KONZEPTE VON GESUNDHEIT UND KRANKHEIT ................................... 33
2.1 Definitionen und Modelle von Gesundheit und Krankheit ....................... 34
2.1.1 Laienkonzepte von Gesundheit.................................................................... 35
2.1.2 Wissenschaftliche Konzepte ......................................................................... 40
2.1.2.1 Krankheitsmodelle .................................................................................. 40
2.1.2.2 Gesundheitsmodelle ............................................................................... 42
2.2 Übereinstimmendes Verständnis von Gesundheit .................................... 45
2.3 Kritik an der WHO-Gesundheitsdefinition .................................................... 46
2
3 CHRONISCHE KRANKHEIT UND DARAUS RRESULTIERENDE .............. 47
BELASTUNGEN ............................................................................................... 47
3.1 Chronische Krankheit und krankheitsübergreifende
Belastungsfaktoren am Beispiel von Diabetes, Rheuma und HIV ................ 48
3.1.1 Diabetes mellitus ............................................................................................ 50
3.1.2 Rheumatische Erkrankungen ....................................................................... 50
3.1.3 HIV-Infektion.................................................................................................... 51
3.2 Gesundheitsbezogene Lebensqualität und psychosoziale Folgen ....... 52
4 SUBJEKTIVE GESUNDHEIT UND PÄDAGOGISCHE INTERVENTIONEN 54
4.1 Das Subjekt im gesundheitsbezogenen Alltag............................................ 55
4.2 Patientenberatung und Patientenschulung .................................................. 56
4.2.1 Ziele von Patientenberatung und Patientenschulung ............................... 59
4.2.2 Einflussfaktoren auf Patientenberatung und Patientenschulung ............ 62
5 UNTERSUCHUNGEN ZU GESUNDHEITSBEZOGENER ............................ 64
LEBENSQUALITÄT UND SUBJEKTIVER GESUNDHEIT .............................. 64
5.1 Methode und Durchführung ............................................................................. 65
5.1.1 Zielsetzung und Fragestellung ..................................................................... 66
5.1.2 Teilnehmer/innen ............................................................................................ 66
5.1.3 Auswertung...................................................................................................... 67
5.2 Interviews und kommunikative Validierung ................................................. 67
5.2.1 Fallbeispiel: Diabetes mellitus ...................................................................... 69
5.2.2 Fallbeispiel: Rheumatische Erkrankung ..................................................... 75
5.2.3 Fallbeispiel: HIV .............................................................................................. 83
5.3 Ergebnisse der Untersuchung ......................................................................... 89
5.3.1 Ergebnisse in Bezug auf subjektive Gesundheit ....................................... 90
5.3.2 Ergebnisse in Bezug auf die individuelle Bewertung ................................ 91
5.3.3 Ergebnisse in Bezug auf pädagogische Interventionsansätze ............... 92
6 SCHLUSSBETRACHTUNG .......................................................................... 94
7 LITERATURVERZEICHNIS........................................................................... 96
8 ANHANG ..................................................................................................... 105
3
0 EINLEITUNG
Chronisch kranke Menschen erfahren in ihrem Leben vielfältige
Einschränkungen, wobei zumindest phasenweise physische, psychische oder
soziale Fertigkeiten gefordert sind. Die von chronisch Kranken empfundene
Lebensqualität hängt von verschiedenen Bedingungen ab, wie zum Beispiel
den Einflüssen der Umgebung, der sozialen Unterstützung und des
körperlichen und seelischen Zustands des Patienten. Damit sind zur Bewertung
von Gesundheit und Krankheit komplexe biopsychosoziale Dimensionen
erforderlich.
Die Lebensqualität für den chronisch Kranken wird zu einem immer
wichtigeren Beurteilungskriterium für medizinische Maßnahmen und
Arzneimittelprüfungen – z.B. Nebenwirkungen antiretroviraler Therapie bei HIV , so dass in der Medizin das patientenbezogene Krankheitserleben immer
stärker berücksichtigt wird. Im Blickpunkt steht der Aspekt der
Patientenzufriedenheit. Damit wird eine Zielveränderung in der medizinischen
Versorgung eingeleitet und gleichzeitig den Bedarf an psychosozialer sowie
pädagogischer Intervention begründet.
Eine konstruktive Art des Fragens ist das Aufstellen einer Hypothese. Daher
befindet sich ein Fragezeichen im Titel, als Versuch einer solchen
Hypothesenbildung. Die vorliegende Diplomarbeit geht der Frage nach, ob
Lebensqualitätsmessungen die subjektive Gesundheit von chronisch Kranken
genügend abbilden. Deshalb ist der Ausgangspunkt dieses Beitrags die
Befürchtung, dass wichtige individuelle Einschätzungen vernachlässigt werden.
Mit dem Versuch, die sich andauernd verändernden gesundheitlichen
Phänomene zu objektivieren und messbar zu machen, gehen subjektive
Informationen verloren. Folgerichtig lautet die Hypothese, dass Personen mit
einer chronischen Erkrankung in der Bewertung ihrer subjektiven Gesundheit
von den Ergebnissen standardisierter Messinstrumente abweichen.
Um den Zusammenhang und eine Abgrenzung der Problemstellung zu
verdeutlichen, wird eine Erläuterung der zentralen Begriffe vorangestellt und
das Konzept der gesundheitsbezogenen Lebensqualität auf dem aktuellen
theoretischen Hintergrund verdeutlicht. Das Kapitel 1 ist so aufgebaut, dass die
Überleitung von der Darstellung allgemeiner Lebensqualität zum Teilaspekt der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität in einem zusammenfassendem
4
Verständnis des Konzeptes mündet. Nach der Darstellung des hier
verwendeten SF-36 Messinstruments endet das Kapitel mit der Kritik am
Geltungsbereich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität.
Da sich die meisten Definitionen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität
auf die allgemein anerkannte Definition von Gesundheit der World Health
Organisation (WHO) beziehen, erfolgt der gleiche Aufbau in Kapitel 2. Nach der
Darstellung verschiedener Gesundheitsdefinitionen und Modelle mündet das
übereinstimmende Verständnis von Gesundheit in der Kritik an der WHO Definition.
In Kapitel 3 sind die gesundheitlichen Einschränkungen thematisiert. Neben
krankheitsübergreifender Belastungsfaktoren werden am Beispiel dreier
chronischer Krankheiten - Diabetes, Rheuma und HIV - krankheitsspezifische
Beschränkungen exemplarisch verdeutlicht und auf psychosoziale Faktoren
aufmerksam gemacht.
Kapitel 4 behandelt Möglichkeiten, die gesundheitsbezogene Lebensqualität
mittels subjektiv akzentuierter Patientenschulung und Patientenberatung zu
verbessern. Diese Interventionsformen bieten chronisch Kranken die
Möglichkeit eines Krankheitsmanagements gemäss individueller Bedürfnisse
und Ziele.
Zu den eigenen Untersuchungen zu gesundheitsbezogener Lebensqualität
in Kapitel 5 ist neben der Darstellung der Methodik das SF-36-Testergebnis den
Interviews vorangestellt, so dass abschließend eine kommunikative Validierung
vorgenommen werden kann. Die Ergebnisse der Tests werden hinsichtlich
gesundheitsbezogener Lebensqualität, subjektiver Bewertung und
pädagogischer Interventionsansätze der Patientenschulung und
Patientenberatung aufeinander bezogen.
Im letzten Kapitel (Kap. 6) befinden sich schlussfolgernde Überlegungen
zum Thema der vorliegenden Arbeit.
5
1 THEORETISCHER UND EMPIRISCHER HINTERGRUND
In der Literatur wird häufig der Mangel an einer theoretischen Verankerung
der Lebensqualitätsforschung diskutiert. Es werden verschiedene Modelle und
Definitionen dargelegt, die jeweils auf unterschiedliche Dimensionen
zurückgreifen (Dirhold & Thomas, 1996; Vallerand, Breckenridge & Hodgson,
2001; Bullinger, 1998; Ludwig, 1991; King, 2001). Gesundheitsbezogene
Lebensqualität wird zusammenfassend als mehrdimensionales Konstrukt
verstanden, das zur Bestimmung der Wirksamkeit von Behandlungsformen
eingesetzt werden kann.
1.1 Zentrale Begriffe
Eingangs sollen die für diese Arbeit zentralen Begriffe wie Gesundheit,
Wohlbefinden, Lebensqualität, gesundheitsbezogene Lebensqualität und
subjektive Gesundheit erläutert werden.
Gesundheit ist ein vielschichtiger, oft normativ verwendeter Begriff, dessen
Definition grundsätzlich nicht objektiv erfolgen kann, sondern das Ergebnis sich
wandelnder Gruppeninteressen und Diskurse darstellt (Blättner, 1994, S.18 ff).
Die World Health Organisation (im Folgenden: WHO) hat 1946 den
Gesundheitsbegriff als körperliches, seelisches und soziales Wohlbefinden
definiert und nicht nur als Fehlen von Krankheit. Diese Definition der WHO
bietet drei Vorzüge: Sie stellt Gesundheit als eigenständigen positiven Zustand
dar, sie bezieht sich auf den ganzen Menschen in seinen körperlichen, geistigseelischen und sozialen Aspekten, und sie stellt das subjektive Befinden des
Einzelnen in den Mittelpunkt. Problematisch muss allerdings das Leitbild des
„umfassenden Wohlbefindens“ angesichts der anthropologischen
Unausweichlichkeit von Altern, Trennung, Verlust und Tod erscheinen. Hinter
dieser Vorstellung steht ein Fortschrittsglaube, der menschliches Leiden
letztlich für besiegbar hält; eine Ideologie, die unter dem Stichwort
„Fitnessgesellschaft“ kritisiert wird. Leiden und Lebenskrisen sind jedoch nicht
nur grundsätzlich unvermeidbar, sie bringen nicht nur eine erhöhte Anfälligkeit
6
für körperliche und psychische Erkrankungen mit sich, sondern sie stellen auch
unverzichtbare Anstöße für die persönliche Entwicklung und den Erhalt der
Gesundheit dar. Ausführlicher wird dies in Kapitel 3 dargestellt.
Der Begriff Wohlbefinden taucht an zentraler Stelle in der
Gesundheitsdefinition der WHO auf. Er hat einen primär alltagssprachlichen
Charakter und betont die subjektive Seite von Gesundheit (Mayring, 1991).
Gerade diese Subjektivität jedoch macht deutlich, dass Gesundheit und
Wohlbefinden als Leitziele für jeden Menschen etwas anderes bedeuten
können. Diese Einsicht macht es der Wissenschaft schwer, beide Begriffe
eindeutig zu definieren und zu operationalisieren. Galt es bislang in der Medizin
und Psychologie vor allem, auf Anzeichen von Missbehagen, Beschwerden und
Störungen zu achten, wird nun den ungestörten, positiven Anteilen
Aufmerksamkeit gewidmet (Frank, 1991). Wohlbefinden bezeichnet demnach
einen komplexen subjektiven Bewusstseinszustand, der grundsätzlich nicht
unmittelbar der Beobachtung von außen zugänglich ist. Durch das
Ausdrucksverhalten und Handeln eines Menschen kann zwar bisweilen indirekt
auf das Ausmaß seines angenommenen Wohlbefindens geschlossen werden,
letzte quantifizierbare Instanz sind aber sprachliche Äußerungen des jeweiligen
Individuums. Fragt man Menschen nach ihrem Wohlbefinden, so stellt sich
heraus, dass sich die Antworten auf eine Vielfalt von Aspekten beziehen
können und von Person zu Person sehr unterschiedliche Begriffe benutzt
werden. Bei Ludwig (1991) sind einige Beispielnennungen wie „Telefonat mit
Sohn“, „guter Sex“ und „wenig Sorgen“ aufgeführt.
Nach einer Übersicht von Becker (1991) wird zwischen aktuellem und
habituellem Wohlbefinden differenziert. Aktuelles Wohlbefinden setzt sich
zusammen aus positiven Gefühlen, Stimmungen und körperlichen
Empfindungen sowie dem Fehlen von Beschwerden. Habituelles Wohlbefinden
bezieht sich auf die Selbstbeurteilung des für die Person andauernden
typischen Wohlbefindens über einen längeren Zeitraum, der eine hohe Stabilität
aufweist, so dass von einer relativ konstanten Eigenschaft ausgegangen
werden kann. Weiterhin ist wichtig, dass physisches, psychisches und soziales
Wohlbefinden eng miteinander verbunden sind bzw. in Wechselwirkung stehen,
zugleich aber als unterschiedliche Aspekte des Wohlbefindens aufzufassen
sind.
7
Folgende vier Faktoren subjektiven Wohlbefindens lassen sich
zusammenfassen:
 Wohlbefinden bedeutet Freiheit von subjektiven Beschwerden.
 Freude umfasst kurzfristige situationsspezifische positive Gefühle.
 Zufriedenheit wird als kognitiver Faktor interpretiert, der als Ergebnis der
Einschätzung des eigenen Lebens, des Abwägens positiver und
negativer Aspekte, des Vergleichs der eigenen Lebensziele und sozialen
Erwartungen mit dem Erreichten aufgefasst wird.
 Glück wird als emotionale Komponente intensiven Erlebens von
Wohlbefinden interpretiert, wobei das aktuelle Glücksempfinden vom
langfristigen Lebensglück unterscheidbar ist (nach Mayring, 1991).
In vager Form steht Lebensqualität als Konzept gegen eine Orientierung, die
lediglich am quantitativen Wachstum und steigendem Lebensstandard
ausgerichtet ist. Je nach Kontext werden mehr objektiv messbare
Lebensbedingungen oder die subjektive Wahrnehmung dieser Bedingungen,
d.h. das Wohlbefinden in einem bestimmten Lebenszusammenhang
angesprochen (Glatzer & Zapf, 1984).
Haase & Braden (2001) beurteilen den Begriff der Lebensqualität als einen
niedrig entwickelten Begriff und kritisieren eine fehlende „unterscheidung
zwischen Begrifflichkeiten, die zur Lebensqualität in Beziehung stehen, und
Indikatoren, die die wesentlichen Merkmale von Lebensqualität eindeutig
definieren“ (S. 96). Es gilt, Lebensqualität von anderen Begrifflichkeiten
abzugrenzen, die mit ihr zusammenhängen, sich aber von ihr unterscheiden,
darunter Wohlbefinden, Gesundheitszustand sowie Zufriedenheit mit dem
Leben.
Das Konzept der Lebensqualität hat inzwischen Eingang in den
Medizinbereich gefunden, wobei sich der Terminus der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität eingebürgert hat (Bullinger, 1998). Im Rahmen der Evaluation
von medizinischen Interventionen mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung
wird Lebensqualität als eine wichtige Variable der Ergebnisevaluation genutzt.
Die Lebensqualitätsforschung hat sich bei chronischen Krankheiten als eigenes
Feld etabliert (vgl. dazu auch Petermann, 1996), wobei der
Patientenzufriedenheit und gesundheitsbezogener Lebensqualität eine
8
bedeutsame Rolle zukommt. Bullinger (1994) liefert eine operationale Definition:
„Unter gesundheitsbezogener Lebensqualität ist ein psychologisches Konstrukt
zu verstehen, das die körperlichen, psychischen, mentalen, sozialen und
funktionalen Aspekte des Befindens und der Funktionsfähigkeit der Patienten
aus ihrer Sicht beschreibt“ (S.18, zit. n. Bullinger, 1991, S.143).
Der Begriff der gesundheitsbezogenen Lebensqualität scheint aufgrund
seiner Nähe zum als unklar kritisierten Begriff der Lebensqualität wenig
zweckmäßig, so dass Bullinger (1996b) den Begriff der subjektiven Gesundheit
als geeigneter erachtet.
Auch die theoretische Fundierung wird als mangelhaft bewertet, so dass die
Definition von gesundheitsbezogener Lebensqualität und empirische Arbeiten
dazu, eher den Standpunkt der jeweiligen Forscher/innen ausdrückt (Vallrand,
Brechenridge & Hodgson, 2001).
Rose, Fliege, Hildebrandt, Bronner, Scholler, Danzer und Klapp (2000)
führten eine krankheitsübergreifende Untersuchung an 3900 Patienten durch
mit der Fragestellung, inwieweit der Begriff Lebensqualität als übergeordnetes
Konstrukt für die herkömmlichen gesundheitsbezogenen
Lebensqualitätsdimensionen geeignet ist. Das Ergebnis lässt den Begriff
unpräzise erscheinen. „Die Annahme, dass die Dimensionen physisches und
psychisches [sic] Wohlbefinden, Alltagsfunktionsfähigkeit und soziale [sic]
Einbindung allgemeingültig unter dem Oberbegriff ´Lebensqualität´ zu
subsumieren sind, [...] nicht gerechtfertigt“ (S. 219). Der Begriff „subjektives
Gesundheitsgefühl“ erscheint den Autoren treffender.
1.2 Lebensqualität
Der Begriff bezeichnet die Konstellation der objektiven Lebensbedingungen
und des subjektiven Wohlbefindens von Individuen oder Gruppen in einer
Gesellschaft. Lebensqualität bezieht sich vor allem auf ökologische,
ökonomische, soziale und kulturelle Aspekte und deren individuelle Bewertung.
Von der Wohlfahrtsökonomik zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt,
bezeichnet Lebensqualität als sozialwissenschaftlicher Terminus einen
mehrdimensionalen Wohlfahrtsbegriff, der vornehmlich auf den individuellen
Bereich zielt (Glatzer & Zapf, 1984).
9
Seitdem der Begriff der Lebensqualität in den Sprachgebrauch von
Wissenschaftlern und Politikern aufgenommen wurde, stieg die Anzahl von
Veröffentlichungen zu diesem Thema stetig an. Eine Literaturrecherche im
Index Medicus erbrachte 1996 zum Stichwort „quality of life“ eine Trefferquote
von 1400 Quellenangaben (Grant & Rivera, 2001). Gibt man heute, im Jahre
2002, das Stichwort „Lebensqualität“ als Suchbegriff in die
Internetsuchmaschine „Fireball“ ein, erhält man 43.830 Quellenangaben, wobei
der Begriff Lebensqualität in unterschiedlichem Kontext Verwendung findet
(http://www.fireball.de).
Lebensqualität und angrenzende Bezeichnungen wie Wohlbefinden,
Zufriedenheit und Glück sind Begriffe, deren Bedeutung nicht beobachtbar,
sondern mittels konstituierender Komponenten zu erschließen sind.
Psychologen, Mediziner, Soziologen sowie Politologen bemühen sich schon
lange um eine genauere Bestimmung der inhaltlich unscharfen Bezeichnung
Lebensqualität. Dabei werden je nach Forschungsrichtung unterschiedliche
Schwerpunkte gesetzt. In den Sozialwissenschaften wird Lebensqualität über
die Lebenszufriedenheit bestimmter Populationen erfasst. Das Konstrukt
„Zufriedenheit“ beinhaltet dabei eine kognitiv zu bewertende Komponente, z. B.
sollen die Befragten ihre Zufriedenheit mit dem eigenen Einkommen
einschätzen (Glatzer & Zapf, 1984). In der Medizin hingegen wird die
„gesundheitsbezogene Lebensqualität“ untersucht. Hier spielt weniger - aber
auch - eine Beurteilung gegebener Verhältnisse, sondern mehr die Reflexion
des eigenen Erlebens in bezug auf eine Erkrankung oder Behandlung eine
Rolle.
Lindström (1992) beschreibt in einer Übersichtsarbeit den Zugang
unterschiedlicher Forschungsrichtungen zum Begriff Lebensqualität. Historiker
würden, so Lindström, nach dem guten Leben fragen, die Soziologen nach dem
Glücklichsein, die Ökonomen interessiere die Bedingungen des Reichtums und
die Mediziner konzentrierten ihre Aufmerksamkeit auf einen normalen
Gesundheitszustand.
1.2.1 Historischer Überblick
10
Die Beschäftigung mit Aspekten menschlichen Daseins, die im weitesten
Sinne auch der Lebensqualität zugeordnet werden können, hat eine lange
Tradition. In der Antike wurde Lebensqualität weniger ausdrücklich als vielmehr
über verschiedene Begriffsvarianten diskutiert, z.B. Glück, erfülltes und
sinnvolles Leben, aber auch Wohlbefinden und angenehmen Leben.
Lebenssinn, Lebensglück und Lebenserfüllung sind grundlegende
Fragestellungen in der klassischen Ethik (Meier, 1995).
Der Begriff der Lebensqualität als „quality of life“ wurde in den USA bereits
1920 von A. C. Pigou in Zusammenhang mit der Analyse von
Arbeitsumgebungen erstmals explizit verwendet (Zapf, Breuer & Hampel,
1987). Auch in der Politik spielte der Begriff eine Rolle. In der USamerikanischen Verfassung ist mit dem `pursuit of happiness` (Spilker, 1996,
zit. n. Bullinger, 1998, S.42) den Bürgern das unverzichtbares Recht verbrieft,
ihr „Glück zu verfolgen“. Willi Brandt verwendete den Begriff der Lebensqualität
in einer seiner Reden 1967 im Hinblick auf das wesentliche Ziel eines
Sozialstaats, Solidarität gegenüber behinderten, gebrechlichen und betagten
Menschen zu zeigen (Glatzer & Zapf, 1984).
In der Wissenschaft war es vor allem die Sozial- und Wohlfahrtsforschung,
die den Lebensqualitätsbegriff in den 70er Jahren näher untersuchte. Der
deutsche Soziologe Glatzer (1992) versteht darunter eine gesellschaftliche
Zielvorstellung, die die individuelle Wohlfahrt in den Mittelpunkt rückt.
Lebensqualität konstituiert sich seinem Verständnis nach durch die
wechselseitige Abhängigkeit von objektiven Lebensbedingungen und
subjektivem Wohlbefinden (Glatzer & Zapf, 1984).
Lebensbedingungen werden dieser Begriffsbestimmung zufolge mit
beobachtbaren Sozialindikatoren wie Einkommen, Bildungsniveau, Wohn- und
Arbeitsbedingungen, sozialen Kontakten, gesundheitlichem Zustand und
politischem Engagement gleichgesetzt. Unter subjektivem Wohlbefinden
verstehen Glatzer & Zapf (1984) die jeweils individuelle Einschätzung einer
Person ihrer Lebensbedingungen, z. B. in Form von Zufriedenheitsangaben. Bei
einer Kombination von Lebensbedingungen und subjektivem Wohlbefinden
(jeweils unterteilt in gute und schlechte Bedingungen bzw. gutes und schlechtes
Befinden) ergeben sich nach den Angaben der Autoren vier sogenannte
„Wohlfahrtspositionen“ bzw. Typen der Lebensqualität: „Well - being“,
„Dissonanz“, „Adaptation“ und „Deprivation“ (siehe Tab. 1). Die Identifikation
11
solcher Muster betrachten die Autoren als wichtige Forschungsaufgabe. Von
besonderem Interesse ist, warum Personen mit guten Lebensbedingungen ein
schlechtes subjektives Befinden angeben (Dissonanz) bzw. unter schlechten
Lebensbedingungen durchaus über ein gutes subjektives Wohlbefinden
berichten (Adaptation). In der Literatur sind diese Phänomene als
Zufriedenheitsparadox und Unzufriedenheitsdilemma bezeichnet (vgl. dazu
auch Dirhold & Thomas, 1996).
Tabelle 1 gibt einen Überblick:
Objektive
Lebensbedingungen
Subjektives Wohlbefinden
gut
schlecht
gut
well-being
Dissonanz
schlecht
Adaptation
Deprivation
Tab.1 Wohlfahrtspositionen nach Glatzer und Zapf (1984)
In der Medizin wurde dem Lebensqualitätsbegriff im Vergleich zu den
Sozial- und Geisteswissenschaften deutlich später Aufmerksamkeit geschenkt.
Durch die Hinwendung zu nicht nur körperlichen, sondern auch psychischen
und sozialen Dimensionen von Gesundheit und Krankheit und deren subjektiver
Wahrnehmung hat sich der Begriff der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
etabliert (Bullinger & Ravens-Sieberer, 1996). Im Vordergrund steht die
Einbeziehung der Patientenperspektive.
1.2.2 Lebensqualität und Gesundheit
In der sozialwissenschaftlichen Forschung wird nicht nur nach materiellen
Bedingungen, sondern auch nach den subjektiven Einstellungen in Bezug auf
allgemeine Lebensqualität gefragt. Themen wie Wohnung, Erwerbstätigkeit,
Familienstand, Lebensstandard, Lebenszufriedenheit, Gesundheitsstatus und
subjektive Gesundheit gehören dazu. Gesundheit ist eine Voraussetzung, das
eigene Leben nach individuellen Vorstellungen und Wünschen zu gestalten.
Damit gilt „Gesundheit als Determinante des subjektiven Wohlbefindens“ (Lang
12
& Müller-Andrizky, 1984, S.145), wobei davon auszugehen ist, dass sich mit
dem Gesundheitszustand das allgemeine Wohlbefinden und damit die
wahrgenommene Lebensqualität verändert. Der in der Medizin verwandte
Begriff der gesundheitsbezogenen Lebensqualität ist schwer von der
allgemeinen Lebensqualität abzugrenzen (Rose, Fliege, Hildebrand, Bronner,
Scholler, Danzer & Klapp, 2000).
Die WHO definiert Gesundheit als Zustand physischen, psychischen und
sozialen Wohlbefindens, auf deren drei Kerndimensionen - körperlich, geistig,
sozial - sich die meisten Definitionen zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität
beziehen. Daraus folgt, dass gesundheitsbezogene Lebensqualität nicht
unbedingt mehr ist als eine breitere Konzeptualisierung von subjektiver
Gesundheit.
Bei der Auswertung der Literatur wird deutlich, dass eine definitorische
Grauzone zwischen den Begriffen Gesundheitsstatus, subjektive Gesundheit,
gesundheitliches Befinden und gesundheitsbezogene Lebensqualität existiert
(Bullinger, 1996b;1998; Kohlmann, 1997; Bullinger & Kirchberger, 1998).
Gelegentlich überschneiden sie sich oder sind austauschbar (Siegrist, Starke,
Laubach & Brähler, 2000). Bullinger (1996b), verwendet die Begriffe subjektive
Gesundheit und gesundheitsbezogene Lebensqualität synonym, wobei ihr der
erstgenannte Begriff aus zwei Gründen geeigneter erscheint:
Zum einen ist der Begriff ´subjektive Gesundheit` weniger belastet als
der Begriff der Lebensqualität, und zum anderen kann mit diesem
zwanglos an den Gesundheitsbegriff der Weltgesundheitsorganisation
(WHO) angeknüpft werden, der weit über eine rein medizinische
Betrachtung hinausgeht und soziale Aspekte mit einbezieht (Bullinger,
1996b, S. XVII).
In der Literatur zur Medizin und zur Gesundheit findet man eher den Begriff
der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, welcher versucht, sich von dem
globalen Begriff der Lebensqualität zu unterscheiden und abzugrenzen.
Gesundheitsbezogene Lebensqualität wird im allgemeinen als
mehrdimensionaler Begriff definiert, der die Bereiche körperliches Befinden
(Allgemeinbefinden), psychische Verfassung (kognitive und emotionale
13
Faktoren), soziale Einbindung (soziale Unterstützung und Integration),
Lebenszufriedenheit und subjektive Gesundheit umfasst.
Damit hebt gesundheitsbezogene Lebensqualität eher auf subjektive
Komponenten der Gesundheit ab, etwa auf den emotionalen Zustand, die
soziale Integration und die subjektive Wahrnehmung der Gesundheit. Dabei
stellt sich die Frage, inwiefern Lebensqualitätsmessungen tatsächlich das
subjektive Befinden einer Person darstellen können.
Die üblichen Definitionen von gesundheitsbezogener Lebensqualität
spiegeln ebenso die Dimensionen von Gesundheit wider, wie sie die
Weltgesundheitsorganisation 1946 definiert hat.
1.3 Gesundheitsbezogene Lebensqualität
Der Lebensqualitätsbegriff in der Medizin ist eng mit der
Gesundheitsdefinition der WHO verbunden, nach der Gesundheit als „Zustand
vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur
die Abwesenheit von Krankheit und Gebrechen“ (WHO, 1946, zit. n. Sohn,
1997, S. 89) zu verstehen ist. Diese Definition wird von vielen Autoren als
idealtypisch und statisch bezeichnet und deshalb kritisiert, weshalb auf die Kritik
an der WHO-Definition unter Punkt 2.3 näher eingegangen wird.
Die Begriffsbestimmung der WHO ist aber insofern wichtig, da sowohl die
psychische als auch die soziale Komponente berücksichtigt wird. Mit der
Erweiterung der Gesundheitsdefinition wurde die Notwendigkeit der Beachtung
von psychischen und sozialen Faktoren wurde unterstrichen.
Weitere Gründe für die Entstehung eines patientenzentrierten Ansatzes in
der Medizin liegen einerseits in einer steigenden Anzahl älterer Menschen in
der Bevölkerung und der damit verbundenen Verschiebung des
Krankheitsspektrums von akuten zu chronischen Erkrankungen und
andererseits in den immer stärker werdenden Zweifeln am Informationsgehalt
der klassischen medizinischen Parameter Morbidität und Mortalität (Bullinger &
Ravens-Sieberer, 1996). Als Bewertungskriterien, z.B. für die Effizienz einer
Therapie, wurden lange Zeit nur die Verlängerung des Lebens bzw. die
Veränderung der Symptomatik herangezogen, der Patient selbst wurde nicht
nach seinem Erleben von Krankheit und Therapie befragt.
Nach Bullinger (1996b), der deutschen Expertin für
Lebensqualitätsforschung, wurde als Konsequenz der aufkeimenden
14
Lebensqualitätsforschung und des damit verbundenen Perspektivenwechsels,
psychosoziale Aspekte von Krankheitsprozessen stärker betont. Das subjektive
Erleben des Krankheitszustands gewann als Bewertungskriterium von
Therapien zunehmend an Bedeutung.
1.3.1 Konzeptuelle Grundlagen der Lebensqualitätsforschung
Die Entwicklung der Lebensqualitätsforschung in der Medizin kann nach
Bullinger (1997) in drei wesentliche Phasen unterteilt werden (vgl. dazu auch
Siegrist, 1990). In den 70er Jahren bildete die Diskussion über die Messbarkeit
der Lebensqualität die erste Phase. Ähnlich der Auseinandersetzung in der
Differentiellen Psychologie zur Erfassung von Persönlichkeitszügen wurde
darüber debattiert, ob Lebensqualität über verschiedene Personen erfassbar
oder nur intraindividuell, also für jede Person einzeln, zu beschreiben ist.
Untersuchungen, bei denen verschiedene Probanden aufgefordert wurden, den
Begriff „Lebensqualität“ zu definieren, zeigten eine hohe Übereinstimmung
darin, was sie darunter verstehen (Ludwig, 1991). Weitere Untersuchungen
legen nahe, dass es interkulturelle Übereinstimmungen in den Dimensionen der
subjektiven Gesundheit gibt, wenn auch die Bedeutung der Dimensionen in den
einzelnen Kulturen unterschiedlich groß ist (Bullinger, 1996a).
In der zweiten Phase der Forschung zur subjektiven Gesundheit stand die
Entwicklung von Messinstrumenten im Vordergrund, welche in der dritten
Phase ab den 90er Jahren in verschiedenen Studien angewendet wurden.
Zur Erfassung der subjektiven Gesundheit liegen inzwischen über 1000
Messinstrumente vor (Bullinger, 1998). Es existieren sowohl
krankheitsübergreifende (generische) als auch krankheitsspezifische
Messinstrumente. Generische Verfahren lassen sich weiter in
Gesundheitsprofile und Nützlichkeitsmaße unterteilen, wobei letztere vor allem
im Rahmen gesundheitsökonomischer Analysen Verwendung finden.
Generische sowie krankheitsspezifische Messinstrumente gehen von einem
multidimensionalen Konstrukt aus und erfassen dabei die subjektive Sicht des
Patienten in Form von Selbstbeurteilung oder gewinnen Informationen durch
Fremdeinschätzung.
15
Nach Bullinger (1998) musste sich die Lebensqualitätsforschung von Beginn
an mit drei Hauptaspekten auseinandersetzen:
 Kann Lebensqualität definiert und operational erfasst werden?
 Wie ist die Qualität der zur Erfassung der Lebensqualität
konstruierten Verfahren?
 Inwieweit haben die Ereignisse der Lebensqualitätsforschung
Relevanz für individuelles, ärztliches und gesundheitspolitisches
Handeln?
Auch wenn die theoretische Rechtfertigung der Lebensqualitätsforschung
als unzureichend kritisiert wird, sind die Arbeiten zu methodischen Erfassungen
seit den 80-er Jahren weit vorangeschritten.
1.3.2 Konzepte zur Erfassung von Lebensqualität
Um Lebensqualität wissenschaftlich erfassen zu können, besteht die
erste Aufgabe darin, sie so zu operationalisieren, dass sie messbar und
damit quantifizierbar wird. Grundsätzlich kann man nach Bullinger (1998) zur
Zeit drei verschiedene konzeptionelle Ansätze der Operationalisierung
unterscheiden.
Tabelle 2 verdeutlichen diese:
Konstruktebene
Inhalt
Vorwiegendes
Einsatzgebiet
Allgemeine oder
Aussagen über die
Medizinsoziologische
globale
allgemeine
und -psychologische
Lebensqualität
Lebenssituation
Grundlagenforschung
Gesundheitsbezogene
Aussagen über den
Vergleich zwischen
Lebensqualität
allgemeinen
verschiedenen
Gesundheitszustand
Erkrankungen
Aussagen über die
Gesundheitsökonomie,
Bedeutung der
Vergleich zwischen
spezifischen Erkrankung
verschiedenen
für die allgemeine
Erkrankungen oder
Lebenssituation
Therapien
Utility Messungen
16
Tab.2 Verschiedene Ansätze zur Lebensqualitätsmessung
(www.charite.de/psychosomatik/pages/pages/forschung/groups/leb_qual/index.
html )
 Allgemeine oder globale Lebensqualität:
Der erste Ansatz geht davon aus, dass Lebensqualität ein Begriff ist, der
individualzentriert, d. h. nur durch das individuelle Erleben zu definieren
ist, etwa als Differenz zwischen angestrebten Zielen und erfahrener
Realisierung und nur in seiner Ganzheit erfasst werden kann. Verfechter
dieses Ansatzes setzen voraus, dass Lebensqualität nur intraindividuell
beschreibbar ist, weil sie von Person zu Person in ihren Dimensionen
variiert (Bullinger, 1998). Patienten sind aufgefordert, Angaben zur
aktuellen Lebensqualität -so wie sie sie verstehen - im Vergleich zu ihrer
schönsten und schlimmsten Zeit in ihrem Leben zu machen. Eine
Vergleichbarkeit über einzelne Personen hinweg ist mit diesem Ansatz
nur dann möglich, wenn man die Differenz zwischen individuell
angestrebten Zielen und deren Realisierungen mit berücksichtigt.
 Gesundheitsbezogene Lebensqualität:
Der zweite, interindividuelle Ansatz bezieht sich auf die
Gesundheitsdefinition der WHO „und geht davon aus, dass
Lebensqualität über eine endliche Zahl von für verschiedene Personen
relevanten Dimensionen beschreibbar ist“ (Bullinger, 1998, S.44). Durch
die allgemeinen, erkrankungsunspezifischen Fragen kann dieses Profil
zwischen verschiedenen Erkrankungen oder Therapien anschaulich
verglichen werden.
 Utility Messungen:
Der dritte Ansatz besagt, dass Lebensqualität weder intraindividuell noch
interindividuell erfassbar, „sondern implizit durch
PatientInnenpräferenzen zu messen ist“ (Bullinger, 1998, S.44), wie etwa
das Wiedererlangen einer vorher definierten Belastbarkeit. Hier wird
vorausgesetzt, dass Lebensqualität ein implizites Konstrukt ist, das sich
aus direktem Erfragen nicht ermitteln lässt. Vor allem unter
gesundheitsökonomischen Fragestellungen wird Lebensqualität als Teil
17
der Entscheidungsfindung zwischen alternativen Therapien oder auch im
Zusammenhang mit der Verteilung knapper werdender Ressourcen
gesehen.
Jeder dieser kurz vorgestellten konzeptuellen Ansätze hat zur Ausbildung
einer bestimmten Methodologie geführt, die sich in der Entwicklung von
Messinstrumenten niedergeschlagen hat.
1.3.3 Ziele der Lebensqualitätsforschung
Ziele der Lebensqualitätsforschung in der Medizin sind zum einen die
Beschreibung der Lebensqualität für bestimmte Populationen in der
Bevölkerung, um daraus Informationen für gesundheitspolitische Planungen
abzuleiten.
Des weiteren wird die Anwendung des Begriffs der subjektiven Gesundheit
als Parameter bei der Bewertung von Therapien, dessen Ergebnisse von
Trägern medizinischer Leistungen - z.B. Krankenkassen bzw.
Rentenversicherungen - genutzt werden.
Die Lebensqualitätsforschung kann einen Beitrag zur Identifikation von
Determinanten der Gesundheit und Evaluation liefern. Hier geht es um die
Frage, inwieweit das Ergebnis komplexer Behandlungsbemühungen
gesundheitspolitisch und ökonomisch vertretbar ist. Aktuell gewinnt die
gesundheitsbezogene Lebensqualität in der Gesundheitsökonomie als Indikator
für den Nutzen einer Maßnahme (z. B. Präventions- oder
Rehabilitationsmaßnahmen) in Relation zu den resultierenden Kosten an
Bedeutung (Bullinger, 1997; 1998). Dazu werden die Patienten stärker in
medizintherapeutische Entscheidungsprozesse eingebunden, was zu einer
„Humanisierung“ in der Gesundheitsversorgung führen soll.
1.3.4 Definitionen und Modelle der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
Für die zunehmende Etablierung des Begriffs der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität in der Medizin sind mehrere Entwicklungen im
18
gesundheitswissenschaftlichen Bereich wegbereitend. Sie werden im
Folgenden kurz zusammengefasst (Croog & Levine, 1989; Bullinger, 1998).
 Die WHO hat mit ihrer erweiterten Definition von Gesundheit, in welcher
sie diese nicht lediglich als Abwesenheit von Krankheit, sondern vielmehr
als das Vorhandensein von vollkommenem körperlichen, seelischen und
sozialen Wohlbefinden umschreibt, einen ersten konzeptuellen Rahmen
für das neue Forschungsfeld abgesteckt. Die Notwendigkeit einer
Integration von psychischen und sozialen Faktoren bei der Diskussion
von Gesundheit wurde dadurch herausgestellt.
 Die Zunahme an chronischen Erkrankungen und der gleichzeitige
Rückgang an Infektionskrankheiten in den westlichen Ländern einerseits,
sowie
 die beachtliche Entwicklung innerhalb der pharmakologischen
Interventionen und der Medizintechnik andererseits zeigten, dass
Sterblichkeits- oder Erkrankungsraten als alleiniges Maß für die
Beurteilung einer Therapie unzureichend sind. Statt dessen haben diese
größtenteils lebensverlängernden Maßnahmen gravierenden Einfluss auf
das Alltagserleben und die Zufriedenheit der Patienten und ihrer
Angehörigen.
 Kostendämmungen im Gesundheitswesen, gerade auch im
Zusammenhang mit dem Einsatz von teuren Technologien, lassen immer
häufiger die Frage nach dem Nutzen einer Therapie entstehen. Die
Lebensqualität sollte dabei als ein aussagekräftiger Faktor in die KostenNutzen-Gleichung aufgenommen werden.
 Schließlich lässt sich in den letzten Jahren in der Medizin ein
zunehmendes Interesse an einer „Humanisierung“ der
Gesundheitsversorgung feststellen. Das Erkennen des Zusammenspiels
von Verhaltens- und biologischen Faktoren (z.B.
Psychoneuroimmunologie und Verhaltensmedizin) sowie die
Erkenntnisse aus der Coping- und Complianceforschung konnten zeigen,
wie notwendig und für den Heilungsprozess förderlich es ist, die
Patienten stärker in die Entscheidungsprozesse bezüglich ihrer Therapie
einzuschließen.
19
Da es derzeit noch keine verbindliche Theorie zur Lebensqualität gibt,
existieren in der medizinischen Literatur unterschiedlich akzentuierte
Definitionen des Begriffs (Ludwig, 1991; Dirhold & Thomas, 1996; Bullinger,
1998). Ganz allgemein wird von gesundheitsbezogener Lebensqualität
gesprochen, wenn der Einfluss einer Krankheit oder deren Behandlung auf die
Lebensqualität erfasst werden soll.
Petermann & Krischke (1996) sehen Lebensqualität als ein
mehrdimensionales Konstrukt, das sowohl veränderte medizinische als auch
psychische, soziale und ökonomische Aspekte des Lebens gleichzeitig
berücksichtigt und zu einem differenzierten Beurteilungskriterium
zusammenfasst. Lebensqualität ist demnach das Ergebnis von
Beurteilungsprozessen, die im starken Maße von der Auswahl der
einbezogenen Lebensbereiche und auch dem Bezugssystem der Beurteiler
abhängt.
Bullinger (1994) bezeichnet gesundheitsbezogene Lebensqualität ebenso
als ein multidimensionales Konstrukt, das mindestens durch die vier Komponenten „psychisches Befinden“, „körperliche Verfassung“, „soziale
Beziehungen“ und „funktionale Kompetenz“ der Befragten zu operationalisieren
ist.
Abbildung 1 verdeutlicht das Konstrukt:
Gesundheitsbezogene
Lebensqualität
Körperliche
Verfassung
Soziale
Beziehungen
Psychisches
Befinden
Funktionale
Kompetenz
Abb. 1 Dimensionen der subjektiven Gesundheit nach Bullinger (1994)
Subjektive Gesundheit ist kein über die Zeit stabiles Maß und wird durch die
jeweilige Lebenssituationen einer Person beeinflusst. Wichtig ist der
Selbstbericht der Befragten.
20
Küchler und Schreiber (1989) haben für die subjektive Gesundheit ein
theoretisches Modell zur Anwendung erstellt, dessen Dimensionen sich im
wesentlichen mit der oben genannten Definition von Bullinger (1994) decken.
Beide Autoren stellen in ihrem Modell drei Komponenten der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität in einen Zusammenhang: die Erlebnis-,
Bezugs- und Zeitdimension. Ihrer Meinung nach wird Lebensqualität durch eine
„Erlebnisdimension“ bestimmt, der sie die größte Bedeutung beimessen. Die
Komponenten des Modells sind zeitlich variabel und werden im Hinblick auf den
jeweiligen kulturellen, familiären sowie gesellschaftlichen Kontext betrachtet.
Weiterhin weisen die Autoren auf die Möglichkeit der Selbst- und
Fremdeinschätzung der Lebensqualität und die individuelle Gewichtung der
Merkmale hin.
Im „Lebensqualitätswürfel“ haben die Autoren die genannten drei
Dimensionen orthogonal zueinander in Beziehung gesetzt: damit kann jede hier von ihnen vorgeschlagene - Facette der Lebensqualität einem bestimmten
Ort in diesem dreidimensionalen - Lebensqualitäts - Raum zugeordnet werden.
Das Konzept erlaubt ein systematisches Vorgehen bei der
phänomenlogischen Beschreibung prozeßhafter Abläufe. In der
Erlebensdimension fassen die Autoren individuelle Aspekte der Lebensqualität
zusammen. Sie differenzieren hier zwischen der somatischen, psychischen,
interpersonellen, sozioökonomischen sowie einer spirituellen Dimension.
Erleben des körperlichen Zustandes, im Laufe der Lebensgeschichte
erworbene psychische Eigenschaften, Struktur und Qualität relevanter
Beziehungen, sozialökonomischer Status sowie Religiösität und individuell
angenommener Lebenssinn charakterisieren die Inhalte dieser Dimensionen.
Die Beschreibung des Lebensrahmens umfasst die Bereiche Individuum,
Familie, soziale Gruppe und Kultur. Insbesondere Lebensstil sowie politische
und kulturelle Lebensbedingungen finden hier ihre Berücksichtigung (Küchler &
Schreiber, 1989). Entsprechend der Bedeutung der ver- schiedenen
Zeitabschnitte teilen die Autoren in ihrem Modell die zeitlichen Abschnitte in
„Vergangenheit“, „Gegenwart“, „nahe Zukunft“ und „ferne Zukunft“. Dass die
Zeitbereiche individuell unterschiedliche Realzeiträume meinen, entspricht dem
individuumszentrierten Ansatz dieses Lebensqualitätskonzepts.
In Abbildung 2 ist dieses Konzept dargestellt:
21
Abb. 2 Dimensionen der Lebensqualität nach Küchler und Schreiber (1989)
Vallerand, Breckenridge & Hodgson (2001) führen weitere Modelle zur
gesundheitsbezogenen Lebensqualität an.
Oleson (1990; zit. n. Vallerand, Breckenridge & Hodgson, 2001) entwickelte
ein Modell für subjektiv wahrgenommene Lebensqualität. Lebensqualität wird
hier als eine kognitive Erfahrung gesehen, die sich in Zufriedenheit eines
Individuums in bedeutsamen Lebensbereichen äußert, und als eine affektive
Erfahrung, die sich im Glücklichsein manifestiert. Die Autorin identifiziert die
Lebensbereichskategorie von Gesundheit und Funktionsfähigkeit sowie die
sozioökonomische und die seelisch-spirituelle Lebensbereichskategorie der
Familie als Ursachen von Zufriedenheit und Glücklichsein. Schließlich erkennt
sie die Entwicklung von Potenzial und Selbstaktualisierung als Folgen einer als
positiv wahrgenommenen Lebensqualität.
Das Lebensqualitätsmodell von Zhan (1992; zit. n. Vallerand, Breckenridge
& Hodgson, 2001) beruht auf der graduellen Einschätzung von
zufriedenstellenden Lebenserfahrungen eines Menschen. Sie beschreibt
22
Lebensqualität als mehrdimensionale Begrifflichkeit, „ die sich weder mittels
eines subjektiven noch durch einen objektiven Ansatz vollständig messen lässt“
(Vallerand, Breckenridge & Hodgson, 2001, S. 86).
Die Interaktion zwischen Person und ihrem Umfeld ergibt die
wahrgenommene Bedeutung von Lebensqualität. Die
Lebensqualitätsdimensionen sind: Lebenszufriedenheit, Selbstkonzept,
Gesundheit, Funktionsfähigkeit sowie sozioökonomische Faktoren. Diesem
Modell zufolge beeinflussen Umfeld, Kultur, soziale Situation, Gesundheit und
Alter die Lebensqualität der Betreffenden.
Ein Modell von Lebensqualität bei chronischer Krankheit stellen Cowan,
Young-Graham und Cochrane (1992; zit. n. Vallerand, Breckenridge &
Hodgson, 2001) vor. Sie legen die Variablen „Schweregrad der Erkrankung“,
„Aggressivität der Behandlung“ und “sozioökonomische Ebene“ als Prämissen
fest. Diese Prämissen wiederum haben Auswirkungen auf die Variablen
„symptombezogenes Leiden“, „Funktionelle Veränderungen“ und „Kognitive
Adaptation“. Die Autorinnen betrachten die Variablen „Funktionelle
Veränderung“ und symptombezogenes Leiden nicht als Definitionsmerkmal von
Lebensqualität, sondern als lebensqualitätsbeeinflussende Faktoren.
Als Outcome-Variable gilt in diesem Modell die wahrgenommene
Lebensqualität, nämlich das Ausmaß an Lebenszufriedenheit und selbst
eingeschätztes Wohlbefinden einer Person.
Für diese Modelle bedarf es noch klinischer Erprobungen, um ihre
Anwendbarkeit und ihren Nutzen festzustellen (Vallerand, Breckenridge &
Hodgson, 2001).
1.4 Zusammenfassendes Verständnis von gesundheitsbezogener
Lebensqualität
Obwohl in der Literatur verschiedene Definitionen und Modelle zum Begriff
der gesundheitsbezogenen Lebensqualität zu finden sind, hat sich aber ein
Konsens über die minimalen Bestimmungsaspekte einer operationalen
Definition herausgebildet (Bullinger, 1994; 1998). Dieser lässt sich wie folgt
zusammenfassen: „Unter gesundheitsbezogener Lebensqualität ist ein
psychologisches Konstrukt zu verstehen, das die körperlichen, psychischen,
23
mentalen, sozialen und funktionalen Aspekte des Befindens und der
Funktionsfähigkeit der Patienten aus ihrer Sicht beschreibt“ (Bullinger, 1991, S.
143, zit. n. Bullinger, 1994, S. 18).
Diese operationale Definition geht von einer interindividuellen Universalität
der Lebensqualität aus und betont, dass der Begriff Lebensqualität
multidimensional zu beschreiben ist und eine Selbstauskunft der Patienten für
bedeutsam hält. Weiterhin impliziert eine so definierte Lebensqualität eine
Wandelbarkeit, die von verschiedenen Einflussfaktoren abhängt.
Eine Beeinflussung der Lebensqualität eines Patienten ist von einer
Erkrankung und deren Behandlung abhängig. Ebenso wichtig sind individuelle
Einwirkungsfaktoren (Wahrnehmung und Verarbeitung einer Erkrankung) sowie
solche aus dem Bereich der Lebensbedingungen (sozioökonomischer Status,
Arbeitsfeld).
Bullinger (1994) stellt in Abbildung 3 dar, inwieweit potentielle
Einflussfaktoren und individuelle Einflussgrößen eine Veränderung der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität herbeiführen können.
Krankheit/
Behandlung
Personale
Charakteristika
Lebensbedingung
en
Gesundheitsbezogene
Lebensqualität
Körperlich
z.B.
Symptome
Mental
z.B.
Konzentrati
on
Emotional
z.B.
Stimmung
Sozial
z.B.
Kontakt zu
Freunden
Verhaltens
bezogen
z.B.
Hausarbeit
24
Abb.3 Einflussfaktoren auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität ( Bullinger
1994, S. 19)
Da davon auszugehen ist, dass sich die gesundheitsbezogene
Lebensqualität im Laufe der Zeit verändert, muss auch gefragt werden,
inwiefern der Begriff nur individuell, also als Einzelerfahrung von Personen
zutrifft, oder inwieweit es eine allgemeine Gültigkeit wesentlicher Bereiche des
Erlebens und Verhaltens gibt, die für alle Menschen gilt.
Untersuchungen, in denen die Befragten selbst den Begriff Lebensqualität
definieren und mit Inhalt ausfüllen konnten, haben gezeigt, dass in westlichen
industrialisierten Ländern die definitorischen Kategorien von Lebensqualität
einen hohen Grad von Allgemeingültigkeit besitzen (Ludwig, 1991). Auf der
metaphysischen Ebene sind die Lebensqualitätsdimensionen interindividuell
vergleichbar, auch wenn die Dimensionen für den einzelnen Menschen von
unterschiedlicher Bedeutung sind und verschieden gewichtet werden (Bullinger,
1994; 1998).
Von besonderem Interesse ist für Bullinger (1996a) die mögliche kulturelle
Universalität des Lebensqualitätsbegriffs. „Unabhängig von nationalen
Ursprüngen und aktuellen Lebensbedingungen könnte es für Menschen wichtig
sein, sich psychisch wohl zu fühlen, körperlich fit, sozial integriert und funktional
kompetent zu sein“ (S. 6).
Wenn auch in der jeweiligen Kultur verschiedene Gewichtungen der
Lebensqualitätsdimensionen vorgenommen werden, so bleibt das Konstrukt
Lebensqualität erhalten. Daraus folgert Bullinger (1998), „dass Lebensqualität in
antroposophischer Terminologie eine transkulturelle Universalie zu sein scheint“
(S. 46).
1.5 Die Messung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
25
Die Erhebung der subjektiven Einschätzung von Wohlbefinden,
Gesundheit und Lebensqualität ist mit grundsätzlichen Problemen belastet, weil
den subjektiven Urteilen von Person zu Person und von Gruppe zu Gruppe
unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe zugrunde liegen und weil sich nicht nur
Gesundheit, sondern auch die Beurteilungskriterien in einem dynamischen
Prozess verändern. Es muss davon ausgegangen werden, dass persönliche
interne Vergleichsmaßstäbe im Verlauf der Zeit graduell an objektive
Lebensbedingungen angepasst werden. Als gutes Beispiel dafür dient das
häufig angeführte Zufriedenheitsparadox und Unzufriedenheitsdilemma (Glatzer
& Zapf, 1984; Dirhold & Thomas, 1996; Petermann & Krischke, 1996), wobei
chronisch körperlich kranke Menschen eher zu einer Überschätzung und
Gesunde eher zu einer Unterschätzung ihrer Lebensqualität neigen können.
Damit wären aber Lebensqualitätsdaten nicht zur Beurteilung des
Gesundheitszustandes zu gebrauchen, sondern mehr dazu geeignet zu
erfassen, inwieweit sich chronisch kranke Menschen bereits an ihre neue
Situation gewöhnt haben und in welchen Lebensbereichen
sozialpsychologische oder pädagogische Interventionsansätze anzeigt wären.
Im Bereich der Erfassung gesundheitsbezogener Lebensqualität lässt sich
eine Vielfalt an Messinstrumenten finden. Bullinger (1998) zählt insgesamt mehr
als tausend Instrumente, wobei krankheitsübergreifende im Vergleich zu
krankheitsspezifische Instrumenten überwiegen. Die meisten sind in englischer
Sprache verfügbar, und nur wenige international übereinstimmende Tests die
über verschiedene Sprachen hinweg einsetzbar sind.
Im Folgenden werden einige generische - krankheitsübergreifende Fragebögen bzw. Skalen exemplarisch vorgestellt:
Legewie und Trojan (2000) haben eine tabellarische Übersicht mit
Instrumenten zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
veröffentlicht (Tabelle 3):
26
SF-36
WHOQOL
Health Survey Fragebogen
EuroQOL
Quality of
Fragebogen
Well- being
Skala
Dimensi -körperliche
onen
der
-phys.
-Mobilität
-Mobilität
Funktion
Gesundheit
-Körperpflege
-körperl.
-
-psych. Befinden
allg.
Aktivität
Lebens Rollenerfüllung -Unabhängigkeit Tätigkeiten
-soziale
qualität
körperlich und -soz.
-Schmerz
Aktivität
emotional
Beziehungen
-Ängstlichkeit
-Symptome
-soz. Funktion
-Umwelt
und Nieder-
und
-Wohlbefinden
-Spiritualität
-Schmerz
-(Gesamtscore)
geschlagenheit
100
5
27
momentan
momentan
Letzte 6 Tage
ca. 40 Minuten
2-3 Minuten
ca. 20 Minuten
Probleme
-Vitalität
-Gesundheitswahrnehmung
Itemzah 36
l
Zeitbez Letzte 4
ug
Wochen
Dauer
10 Minuten
Tab.3 SF-36 Health Survey; WHOQOL Fragebogen; EuroQOL Fragebogen;
Quality of Wellbeing Skale (Legewie & Trojan 2000, S. 26)
 Das SF-36 Health Survey ist ein 36 Items umfassender Fragebogen, der
in den 70er Jahren in den USA zur Messung der Gesundheitseffekte
einer Medical Outcome Studie entwickelt wurde und sich seitdem in
zahlreichen Studien bewährt hat. Eine internationale Arbeitsgruppe
(International Quality of Life Assessment Group) mit Mitgliedern aus
inzwischen über 20 Ländern koordiniert die Übersetzung,
psychometrische Prüfung und Normierung der Skalen. Bisher wurden
Versionen in 10 Sprachen adaptiert, unter anderem in die deutsche
Sprache (eingehender beschrieben unter 2.5.1).
27
 Der WHOQOL-Lebensqualitätsfragebogen, eine Entwicklung der
Lebensqualitäts-Arbeitsgruppe der WHO, stellt den Versuch dar,
kulturübergreifende Dimensionen gemeinsam zu definieren und in einem
kulturunabhängigen Messinstrument zu erfassen (Bullinger 1996a).
Nachdem von Experten aus 15 Ländern (unter Einschluss mehrerer
Länder der Dritten Welt) Einigkeit über wesentliche Domänen der
Lebensqualität erreicht wurde, konnte jedes der Teilnehmerländer eigene
Items zur Erfassung dieser Dimensionen formulieren. Eine Vorab Version mit 150 Items stellten die Grundlage dar und wurde an 300
Personen aus diesen Ländern getestet. Die Endform liegt als WHOQOL
100 (100 Items) und in einer Kurzfassung (WHOQOL BREV- 26 Items)
vor und wurde inzwischen auch ins Deutsche übersetzt. Die Vollversion
erlaubt die Ermittlung von 6 Domänen (siehe Abb. 6), in denen
insgesamt 24 Facetten der Lebensqualität unterscheidbar sind. Mit der
Kurzversion werden die vier Domänen physische sowie psychische
Gesundheit, soziale Beziehungen und Umwelt erfasst.
 Der EuroQOL-Fragebogen wurde von einer europäischen
Forschergruppe als einfaches Instrument für Evaluationsstudien
entwickelt. Der Fragenkatalog besteht aus nur 5 Items mit jeweils 3
Antwortkategorien. Er wurde in verschiedene Sprachen übersetzt und in
einer großen Zahl von Evaluationsstudien eingesetzt (www.ivbl.unihannover.de).
 Die Quality-of-Well-Being-Skala entstand in den 70er Jahren in den USA.
Das Instrument besteht aus einem variabel gestaltbarem
halbstrukturiertem Interview, das sich auf Befinden und Symtome der
letzten 6 Tage bezieht. Nach der Durchführung beurteilt der Untersucher
die Lebensqualität nach vier Bereichen, wobei den Symptomen und
Problemen eine besondere Bedeutung zukommt.
Der von den oben aufgeführten krankheitsübergreifenden Messinstrumenten
international meist diskutierte ist der SF-36 (Bullinger 1998), deshalb soll
nachfolgend näher darauf eingegangen werden. Aufgrund des
Bekanntheitsgrades (Bullinger 1996), wird der SF-36 in der eigenen
Untersuchung (siehe Kap. 5) verwandt.
28
1.5.1 Das SF-36 Health Survey
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität ist ein Teilaspekt der
Lebensqualität, zu dem es eine Reihe von Messinstrumenten gibt, die sinnvoll
in der Rehabilitation eingesetzt werden können. Zu den bekanntesten gehört
das SF-36 Health Survey (Bullinger, 1996b).
Das SF-36 Health Survey gehört zu den krankheitsübergreifenden
Verfahren, die subjektive Gesundheit verschiedener Populationen unabhängig
von ihrem Gesundheitszustand aus Sicht der Betroffenen erfassen. Mit dem
Verfahren können sowohl gesunde Personen im Alter von 14 Jahren bis zum
höchsten Lebensalter als auch erkrankte Populationen unterschiedlicher
Erkrankungsgruppen untersucht werden.
Der SF-36 konzentriert sich auf die grundlegenden Dimensionen der
subjektiven Gesundheit, also auf die psychischen, körperlichen und sozialen
Aspekte des Wohlbefindens sowie die Funktionsfähigkeit aus Sicht der
Patienten. Es geht bei diesem Instrument nicht so sehr um die Identifikation und
Quantifizierung von Funktionen, sondern um die subjektive Beurteilung dieser
Funktionen beziehungsweise die Befindlichkeit in verschiedenen
Lebensbereichen.
1.5.1.1 Indikationen
Die bisherigen Einsatzbereiche des SF-36 sind höchst vielfältig. Sie
erstrecken sich über Populationen aus der somatischen Medizin bis hin zu
psychischen Erkrankungen, weiter über Evaluation von Behandlungsverfahren
bis zur individuellen Behandlungsindikation. Im klinischen Kontext kann es zur
individuellen Charakterisierung der aktuellen Lebensqualität eines einzelnen
Patienten, aber auch zur Planung maßgeschneiderter Therapien dienen. Ein
weiterer Indikationsbereich sind gesundheitsökonomische Fragestellungen.
Die primäre Einschränkung der Indikation besteht in bezug auf das Alter - ab
14 Jahren - der zu untersuchenden Populationen (Bullinger, 1996b). Die weitere
Differenzierung berührt die Frage des Verwendungszwecks des Instruments.
Der SF-36 wird primär zur Evaluation von Behandlungsmaßnahmen in
29
klinischen Studien eingesetzt. Er wird aber zunehmend zur individuellen
Indikation von Behandlungen und deren Erfolgsbewertung verwendet (Bullinger,
Ravens-Sieberer & Siegrist, 2001).
Der SF-36 liegt nicht nur in Fragebogen-Form, sondern auch als Interview
sowie als Telefoninterview vor.
1.5.1.2 Darstellung des SF-36 Health Survey
Der SF-36 Health Survey Fragebogen besteht aus 36 Items, die 11
Themenbereichen zugeordnet sind. Die Patienten sind angehalten, für jedes
der Items die Antwortalternative anzukreuzen, die ihrem Erleben am nächsten
kommt. Es gibt Fragen, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, bis hin zu
sechsstufigen Antwortskalen.
Der SF-36 erfasst acht Dimensionen der subjektiven Gesundheit und ein
Item zur Veränderung des Gesundheitszustandes. Dabei wird erkennbar, dass
die soziale Dimension im Verhältnis zur körperlichen Funktionsfähigkeit eher
gering vertreten ist.
Die folgende Tabelle 4 stellt das Instrument im Überblick dar:
Körperliche
Ausmaß, in dem der Gesundheitszustand
Funktionsfähigkeit
körperliche Aktivitäten wie Selbstversorgung,
(10 Items)
Gehen, Treppensteigen, Bücken, Heben und
mittelschwere oder anstrengende Tätigkeiten
30
beeinträchtigt.
Körperliche
Ausmaß, in dem der Gesundheitszustand die
Rollenfunktion
Arbeit, z.B. weniger schaffen als gewöhnlich oder
(4 Items)
andere tägliche Aktivitäten beeinträchtigt,
Einschränkungen in der Art der Aktivitäten oder
Schwierigkeiten, bestimmte Aktivitäten auszuführen.
Körperliche Schmerzen
Ausmaß der Schmerzen und Einfluss der
(2 Items)
Schmerzen auf die normale Arbeit sowohl im als
auch außerhalb des Hauses.
Allgemeine Gesundheit
Persönliche Beurteilung der Gesundheit
(5 Items)
einschließlich aktueller Gesundheitszustand,
zukünftige Erwartungen und Widerstandsfähigkeit
gegenüber Erkrankungen und ihren Folgen.
Vitalität
Sich energiegeladen und voller Schwung fühlen
(4 Items)
versus müde und erschöpft.
Soziale Funktionsfähigkeit Ausmaß, in dem körperliche Gesundheit oder
(2 Items)
emotionale Probleme normale soziale Aktivitäten
beeinträchtigen.
Emotionale Rollenfunktion Ausmaß, in dem emotionale Probleme die Arbeit
(3 Items)
oder andere tägliche Aktivitäten beeinträchtigen;
u.a. weniger Zeit aufbringen, weniger schaffen und
nicht so sorgfältig wie üblich arbeiten.
Psychisches
Allgemeine psychische Gesundheit einschließlich
Wohlbefinden
Depression, Angst, emotionale und
(5 Items)
verhaltensbezogene Kontrolle, allgemeine positive
Gestimmtheit.
Veränderung der
Beurteilung des aktuellen Gesundheitszustandes im
Gesundheit
Vergleich zum vergangenen Jahr.
(1 Item)
Tab.4 Dimensionen, Itemanzahl und Inhalt des SF-36 Health Survey (nach
Bullinger, 1996b, XX).
Der SF-36 ist konstruiert worden, um von Patienten, unabhängig vom
aktuellen Gesundheitszustand und Alter, einen Selbstbericht der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität zu erhalten. Die durchschnittliche
Bearbeitungsdauer beträgt 10 Minuten. Bei Älteren muss mit einer längeren
31
Bearbeitungszeit gerechnet werden, so dass Bullinger (1996b) zur Erhöhung
der Verständlichkeit und Klarheit einen größeren Schrifttyp vorschlägt.
Grundlage für die Definition der subjektiven Gesundheit waren hier sowohl
aus anderen Arbeiten vorliegende theoretische Ansätze als auch in
Expertensitzungen zusammen mit Patienten identifizierte relevante Bereiche
der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Es wurden Items ausgewählt, die
die subjektive Gesundheit methodisch adäquat repräsentieren. (Bullinger,
1996b).
1.5.2 Kritik am SF-36 Health Survey
Auch wenn der SF-36 „als psychometrisch zufriedenstellendes Verfahren
zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität gelten kann“
(Bullinger, 1996b, S. XXVIII), besteht das Problem, dass die mit nur zwei Items
zu erfassende soziale Funktion möglicherweise unterrepräsentiert ist. Damit
gewinnt die Dimension der körperlichen Funktionsfähigkeit eine höhere
Gewichtung. Des weiteren berücksichtigt der Test die relative Wichtigkeit der
krankheitsbezogenen Einschränkungen der Patienten nicht (Bullinger, 1996b).
Dieser zuletzt genannte Aspekt betrifft besonders die zeitliche Veränderung
subjektiver Gesundheit. Ein und dieselbe Person nimmt im zeitlichen Verlauf
eine Neugewichtung ihrer Bewertungsmaßstäbe vor, so dass bei
entsprechender Wiederholungsmessung das Messergebnis im
genaugenommen nicht mehr vergleichbar ist (Bullinger, Ravens-Sieberer &
Siegrist, 2001).
1.6 Kritik am Geltungsbereich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
Der Einzug der Patientenperspektive in verschiedene medizinische
Disziplinen fördert eine ganzheitliche Betrachtungsweise, die das Erleben des
Patienten mit berücksichtigt. Dabei soll die Erfassung der subjektiv
empfundenen Lebensqualität Aufschluss über jene psychosozialen und
physischen Faktoren liefern, die für Krankheit und Therapie relevant sind. Will
man aber Auskunft über die Lebensqualität eines Patienten erhalten, bedarf es
Informationen über die individuelle Definition des Begriffs Lebensqualität, das
32
heißt über subjektive Konzepte zur Lebensqualität (Ludwig, 1991). Da es
derzeit keine verbindliche Theorie zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität
gibt (Ludwig, 1991), sondern nur unterschiedlich betonte Definitionen, die die
Meinung der jeweiligen Forscher widerspiegeln, was Lebensqualität
kennzeichnet. Ob sich diese Einschätzung mit der Definition des Patienten
deckt, findet Ludwig (1991) zumindest fraglich.
Der existierende Konsens, gesundheitsbezogene Lebensqualität als ein
multidimensionales Konstrukt mit Bezug auf physische, psychische und soziale
Komponenten sowie auf die Komponente der Funktionsfähigkeit im Alltagsleben
zu sehen, löst das Problem nur unzureichend. Wie diese Bestandteile eines
Ganzen zueinander in Beziehung stehen und wie sie zu gewichten sind, bleibt
Ludwig (1991) zufolge weiterhin offen. In der Konsequenz bedeutet das, dass
für unterschiedliche Patientenpopulationen in verschiedenen Situationen die
jeweils wichtigsten Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
ermittelt werden müssen, um das Ausmaß subjektiver Belastungen abschätzen
und vergleichen zu können (Rose et al., 2000). Bewertungsaspekte wie das
Ausmaß der Zufriedenheit, der Grad der Wichtigkeit, der den Komponenten
beigemessen wird, der Veränderungswunsch und der Glaube daran,
Veränderungen selbst herbeiführen zu können und die erlebten
Beeinträchtigungen durch Krankheit und Therapie innerhalb der verschiedenen
Lebensbereiche müssen Berücksichtigung finden.
Ludwig (1991) stellt ihre Untersuchung zur „Lebensqualität auf der Basis
subjektiver Theoriebildung“ vor, in der sie der Frage nachgeht, ob
Lebensqualität von jeder Person anders definiert wird oder ob sich ein
verallgemeinerbares Konzept finden lässt.
Eine offene Befragung von 143 gesunden Menschen zur subjektiven und
allgemeinen Lebensqualität sowie die Erstellung einer Rangordnung nach
Wichtigkeit der gestellten Fragen ergibt ein Kategoriesystem von 14
verschiedenen Aspekten der Lebensqualität, die den Dimensionen Sozialleben,
Psyche, Physis und Alltagsleben zugeordnet werden können.
Die offenen Fragen, weiteren Personengruppen vorgelegt (331 Gesunden,
43 kardiovaskulären Patienten und 165 onkologischen Patienten), ergaben,
dass Lebensqualität von den verschiedenen Gruppen vergleichbar definiert
wurde. Diesen Befund wertet Ludwig (1991) als gültig für
krankheitsübergreifende Konzeptualisierung zur Erfassung von
33
gesundheitsbezogener Lebensqualität und hält ein spezifisch für jede Krankheit
neu zu entwickelndes Verfahren für unnötig: „Auch der Patient bleibt primär
`chronisch Mensch` und behält die Kriterien zur Beurteilung seiner
Lebensqualität bei“ (Ludwig, 1991, S. 32).
Die Untersuchung hat gezeigt, dass zumindest in den westlichen
industrialisierten Ländern die Befragten den Begriff der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität übereinstimmend definieren und mit den gleichen Inhalten füllen.
Damit ist die Konzeptualisierung valide, die subjektiven Bewertungsprozesse
aber sind nicht erfasst.
Bullinger (1998) zufolge scheint Gesundheitsgezogene Lebensqualität eine
interindividuelle Gültigkeit zu besitzen, so dass es für Menschen unabhängig
von sozialdemographischen Unterschieden wichtig ist, sich körperlich fit und
psychisch beständig zu fühlen, alltagsfunktionsfähig und sozial integriert zu
sein.
Kritisch ist daran zu bewerten, dass - auch wenn sich verschiedene
Gruppen auf die gleichen Lebensbereiche beziehen - sich die individuellen
Beurteilungen dieser Bereiche unterscheiden je nachdem, wie das Ausmaß der
Zufriedenheit oder Wichtigkeit des jeweiligen Bereiches erlebt wird. Das
Problem besteht damit in der Repräsentation individueller Lebensqualität durch
standardisierte Instrumente (Bullinger, 1998).
Aufgrund des dicht an dem Gesundheitsbegriff der WHO orientierten
Ansatzes, soll im folgenden Kapitel näher auf Gesundheits- und
Krankheitskonzepte eingegangen werden.
2 KONZEPTE VON GESUNDHEIT UND KRANKHEIT
Auf den ersten Blick scheinen die Begriffe Gesundheit und Krankheit
eindeutig erklärt. Gesundheit lässt sich mit Wohlbefinden und Abwesenheit von
Beschwerden und Symptomen formulieren. Krankheit hingegen verbindet man
mit Beschwerden, Schmerzen und Einschränkungen. Bei genauerer
Betrachtung jedoch zeigt sich, dass die Begriffe sehr unterschiedlich definiert
sein können. Für manche Menschen ist Gesundheit gleichbedeutend mit
Wohlbefinden und Glück, andere verstehen darunter das Freisein von
34
körperlichen Beschwerden oder die Fähigkeit des Menschen, mit Belastungen
fertig zu werden.
2.1 Definitionen und Modelle von Gesundheit und Krankheit
Eine ganz auf die körperliche Gesundheit gerichtete Aufmerksamkeit und
die ganz auf Krankheit als Kriterium gerichtete Definition von Gesundheit kann
bereits seit ca. fünfzig Jahren als veraltet gelten, auch wenn sie im Alltag
weiterhin gebräuchlich scheint und immer wieder anzutreffen ist.
Waller (1996) liefert für seine Aussage, dass es keine allgemeingültige,
anerkannte wissenschaftliche Definition von Gesundheit gibt, mehrere
Definitionsbeispiele und die Möglichkeiten, den Begriff „Gesundheit als
Wertaussage, Abgrenzungskonzept und Funktionsaussage“ (S. 9) zu
kategorisieren.
Eine Begriffsbestimmung ist bei der Sichtung der Literatur immer erwähnt:
die Gesundheitsdefinition der WHO. Dieser umfassende Gesundheitsbegriff
betont im Gegensatz zum vorherrschenden medizinischen Ansatz die
Verankerung von Wohlbefinden in allen Dimensionen des täglichen Lebens.
Neben Anzeichen von Missbehagen, Beschwerden und Störungen gilt es den
ungestörten, positiven Anteilen von Gesundheit Aufmerksamkeit zu widmen.
Frank (1991) versteht körperliches sowie psychisches Wohlbefinden als ein
subjektives Phänomen, wobei auch körperlich Kranke sich partiell wohlfühlen
können. Sohn (1997) weist in diesem Zusammenhang auf „Diskrepanzen
zwischen subjektivem und objektivem Gesundheitszustand“ (S. 92) hin.
Hurrelmann (1994) definiert Gesundheit als einen „Zustand des objektiven
und subjektiven Befindens einer Person, der gegeben ist, wenn diese Person
sich in den physischen, psychischen und sozialen Bereichen ihrer Entwicklung
in Einklang mit den Möglichkeiten und Zielvorstellungen und den jeweils
gegebenen äußeren Lebensbedingungen befindet“ (S.16).
Der Soziologe Parsons (1967) erklärt Gesundheit wie folgt: „Gesundheit
kann definiert werden als Zustand optimaler Leistungsfähigkeit eines
Individuums für die wirksame Erfüllung der Rollen und Aufgaben, für die es
sozialisiert worden ist“ (zit. n. Franke & Broda, 1993, S. 22).
35
Innerhalb des heutigen medizinischen Systems sind die Definitionen von
Gesundheit weiterhin in der Regel Negativbestimmungen. Beim Vorhandensein
von Beschwerden wird die Person als krank eingestuft. Dieses
Begriffsverständnis von Ärzten und Therapeuten stimmt oft nicht mit den
Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit sogenannter Laien überein. Eine
rein biomedizinische Sicht vernachlässigt bedeutsame Dimensionen des
Befindens.
Gesundheit ist also kein eindeutig definierbares Konstrukt. Die
unterschiedlichen Versuche, Gesundheit zu definieren und zu charakterisieren,
haben nach Waller (1996) in verschiedene Konzepte und Modellvorstellungen
von Gesundheit Eingang gefunden. Er unterteilt sie in Laienkonzepte und
wissenschaftliche Konzepte.
2.1.1 Laienkonzepte von Gesundheit
In einer Untersuchung zu statistischen Zusammenhängen selbst berichteter
Gesundheitsindikatoren von Abel, Duetz und Niemann (2000), wird davon
ausgegangen, dass „die selbst eingeschätzte Gesundheit ein Konglomerat des
Wissens um und der Beurteilung von unterschiedlichen Teilbereichen des
Gesundheitszustandes darstellt“ (S.323). Das Verständnis von Gesundheit
verändert sich über die verschiedenen Lebensphasen und wird anhand des
Gesundheitszustandes von Alters- und Geschlechtsgenossen verglichen.
Die Beschäftigung mit subjektiven Vorstellungen über Krankheit und
Gesundheit gibt Aufschluss darüber, welche Ursachen die betroffene Person
ihrer Krankheit oder Gesundheit zuschreibt und ob sie selbst eine
Mitverantwortung trägt. Daraus lässt sich ersehen, inwiefern Personen
Maßnahmen zur Gesunderhaltung ergreifen können oder wollen.
Subjektive Vorstellungen entscheiden mit darüber, ob der Betreffende der
von Experten vorgeschlagenen Therapie oder Prävention gegenüber
aufgeschlossen ist oder nicht - mit erheblicher Auswirkung auf die
Therapiemitarbeit, der Compliance -. Die französische Medizinsoziologin
Claudine Herzlich untersuchte 1973 die subjektiven Vorstellungen von
Gesundheit und Krankheit bei Angehörigen der Pariser Mittelschicht. Als
36
Ergebnis lassen sich die Laienvorstellungen drei Kategorien zuordnen (siehe
Tabelle 5).
Tabelle 5 vermittelt einen Überblick subjektiver Vorstellungen zu Gesundheit
und Krankheit:
Inhalt
Beziehung
zur
Person
Beziehung
zu
anderen
Formen
Beziehung
zur
Krankheit
Gesundheit als
Vakuum
Sein
Reservoir an
Gesundheit
Haben
Gesundheit als
Gleichgewicht
Tun
ein positiv
bestimmter
Inhalt fehlt
Robustheit und
Stärke
Widerstandspotential
gegenüber äußeren
Einflüssen
unpersönliche
Tatsache
alles oder nichts
persönliches
Merkmal
messbar, stabil,
veränderbar
sekundär bewusst
Grundlage von
Gesundheit als
Gleichgewicht
körperliches
Wohlbefinden,
gute Stimmung,
Aktivität,
gute Beziehungen
zu anderen
persönliche Norm
alles oder nichts
unmittelbar bewusst
wird durch
Krankheit zerstört
Widerstand gegen
Krankheit
basiert auf
Reservoir an
Gesundheit
Störungen werden
assimiliert
Tab.5 Laienvorstellungen von Gesundheit – drei Dimensionen (Übersetzung
von Faltermaier; 1998, S. 79; nach Herzlich, 1973, S. 63).
Die Untersuchung von Herzlich hat ergeben, dass Gesundheit in erster Linie
mit endogenen Faktoren wie Konstitution, Temperament und Erbanlagen in
Verbindung gebracht wird, Krankheit dagegen mit exogenen Einflüssen wie
städtische Umwelt, Unfälle, Bakterien usw. (Waller, 1996).
Nach einem Überblick von Faltermaier (1998) sind Gesundheitskonzepte
von Erwachsenen verschiedener Altersgruppen sehr differenziert, wobei sich in
Untersuchungen zur subjektiven Vorstellung von Gesundheit in Großbritannien,
Frankreich und Deutschland immer wieder vier Dimensionen finden lassen:
37
 Gesundheit als `Abwesenheit von Krankheit` (geschätzte Verbreitung
aufgrund verschiedener Erhebungen ca. 13 %): Hier wird Gesundheit
nicht als eigene Qualität erlebt. Erst das Auftreten von Beschwerden
oder Krankheit schafft ein Bewusstsein für den vorher für
selbstverständlich angenommenen Gesundheitszustand.
 Gesundheit als `Energiereserve` (Verbreitung ca. 28 %): Die
gesundheitliche Energie oder Widerstandskraft wird als angeborenes
oder erworbenes Potential angesehen, das im Laufe das Lebens zuoder abnehmen kann.
 Gesundheit als `funktionale Leistungsfähigkeit` (Verbreitung ca. 30 %):
Hier ist vor allem die Arbeitsfähigkeit gemeint, aber auch die Erfüllung
alltäglicher Rollenverpflichtungen.
 Gesundheit als `Gleichgewicht` oder `Wohlbefinden` aufzufassen als
innere Ruhe und Zufriedenheit (Verbreitung ca. 40 %): Körperliches und
seelisches Wohlbefinden gehören ebenso wie Ausgeglichenheit und
Lebensfreude zu dieser Form des Verständnisses von Gesundheit (S.
80).
Diese Gesundheitskonzepte schließen einander nicht aus, d.h. eine Person
kann gleichzeitig mehrere Gesundheitskonzepte für sich als zutreffend
angeben. Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit und als funktionale
Leistungsfähigkeit finden sich tendenziell häufiger in den unteren sozialen
Schichten, Gesundheit als Gleichgewicht oder Wohlbefinden wird eher von
Frauen und von Menschen mittleren Alters angegeben, während Männer aber
auch alte Menschen bevorzugt Gesundheit als Leistungsfähigkeit angeben.
Besonders sozialdemographische Unterschiede (Alter, Geschlecht, soziale
Schicht und Berufszugehörigkeit) führen zu der Annahme, dass subjektive
Gesundheitskonzepte in der Auseinandersetzung mit unterschiedlichen
Lebensbedingungen und Lebenserfahrungen gebildet werden.
Laienkonzepte von Gesundheit lassen also, bezogen auf das Alter, eine
zeitlich-biographische Bedeutungsebene erkennen und implizieren damit eine
dynamische Seite, die Faltermaier (1998) anhand einer Energiemethapher
verdeutlicht. Gesundheit lässt sich je nach Zeit-Konzept als „Batterie“,
„Akkumulator“ oder „Generator“ (S. 81) beschreiben.
38
Unter diesem Gesundheitsaspekt lässt sich die Frage nach Ähnlichkeiten
zwischen chronischen Erkrankungen (Kap. 3) und dem Prozess des Alterns
stellen, denn beide sind „behandlungsresistent“ (Fries, 1989, S.21) und
erfordern ein Verhalten, das Baltes und Baltes (1989) in Bezug auf das
erfolgreiche Altern mit dem Modell der selektiven Optimierung und
Kompensation erklären.
Unter subjektiven Vorstellungen zu Gesundheit werden die individuellen
Auffassungen und Definitionen von Personen verstanden. Von subjektiven
Theorien spricht man, wenn auch die individuellen Sichtweisen über Ursachen
und Kontextbedingungen - Selbst- und Weltsicht - erfasst werden. Der
Gegenstandsbereich subjektiver Theorien ist das menschliche zweckrationale
Handeln in Bezug auf Gesundheit oder Krankheit, das auf die Basis jeweiliger
Erfahrungen und Wissen zurückzuführen ist (Filipp & Aymanns, 1997; Flick,
1998; Frank, Belz-Merk, Bengel & Schrittmatter, 1998; Verres, 1989; Bengel &
Belz-Merk, 1990). Die aus Handlungsalternativen getroffene Entscheidung führt
zu Erwartungen über Handlungsergebnisse, so dass subjektive Theorien „das
Insgesamt aller Wissens- und Vorstellungsinhalte abbilden, die mit der jeweils
betrachteten Erkrankung assoziiert wird“ (Filipp, 1990, S. 248). Damit wird das
Subjekt zum Experten für einen bestimmten Lebensbereich, wobei für die
Verarbeitung körperlicher Erkrankungen laienhaftes Wissen, Einstellungen und
Überzeugungen von großer Bedeutung sind (Hasenbring, 1990).
Um über subjektive Vorstellungen - als Teil - hinaus die subjektiven
Theorien von Gesundheit zu erfassen, findet Faltermaier (1994; 1998) mittels
Interview von gesunden Frauen und Männern im mittleren Erwachsenenalter
zehn verschiedene Typen von subjektiven Gesundheitstheorien. An ihnen lässt
sich erkennen, in welchen Lebensbereichen welche Risiken für die eigene
Gesundheit wahrgenommen werden, welche Erfahrungen damit verknüpft
werden, um durch mögliches Handeln eine Kontrolle über diese Risiken zu
erhalten. Eine zentrale Frage ist dabei, wie seitens des Individuums Einfluss auf
die Gesundheit genommen werden kann.
Welche Faktoren und Prozesse haben Einfluss auf die Wechselwirkungen
zwischen körperlichen und psychischen Belastungen? Wo liegen
Handlungsmöglichkeiten und Handlungsgrenzen? Wie lässt sich ein Ausgleich
zwischen beruflicher Belastung und familiären Regenerationsressourcen
schaffen?
39
Das Gesundheitshandeln beruht stark auf persönlichen Einstellungen und
Erfahrungen, wobei die individuell entwickelten subjektiven Theorien eine Basis
für sinnvolles Agieren ergeben, aber nichts darüber aussagen, ob tatsächlich
danach gehandelt wird.
Um das gesundheitsbezogene Handeln im Alltag erklären zu wollen,
müssen subjektive Konzepte und Theorien um den Kontext eines
biographischen Lebenskonzepts und sozial vorstrukturierte
Handlungsanforderungen erweitert werden.
Faltermaier (1998) stellt ein subjektives Gesundheitskonzept und
Gesundheitshandeln schematisch dar. Zur Veranschaulichung siehe Abbildung
4:
Lebenskonzept
Subjektives
Gesundheitskonzept
Bedeutung von
Arbeit/Beruf
Subjektive Theorie
von Gesundheit
 Positive Einflüsse
 Negative Einflüsse
 Einflussprozesse
Risikowahrnehmung
Kontrollüberzeugungen
Gesundheitshandeln




Umgang mit Risiken
Bewältigung von Belastungen
Risikoverhalten als Bewältigungsversuch
Ausgleich von Risiken/Belastungen
Abb.4 Subjektives Gesundheitskonzept und Gesundheitshandeln (S. 84).
Zur Planung von gesundheitsfördernden Strategien erweist es sich für
Faltermaier (1998) als sinnvoll, an den subjektiven Vorstellungen von
40
Gesundheit und an den im Laiensystem bereits existierenden
Selbsthilfeaktivitäten anzusetzen (vlg. dazu auch Waller, 1996).
Diese praktizierten Selbsthilfeaktivitäten als Gesundheitsvorstellungen von
Individuen und die jeweilige Organisierung des Laiengesundheitssystems bilden
Grundlage und Ausgangspunkt für eine pädagogische Intervention (Petermann,
1997; Schmid & Dlugosch, 1997; Faltermaier, 1998; Bengel & Belz-Merck,
1990).
2.1.2 Wissenschaftliche Konzepte
Das System unserer Gesundheitsversorgung ist durch eine pathogenetische
Betrachtungsweise gekennzeichnet und richtet die Behandlung nach möglichst
schneller Beseitigung der Symptome und Beschwerden aus. Trotz großer
Erfolge in Diagnostik und Therapie wurde die Vernachlässigung der Person in
ihrer Ganzheitlichkeit beklagt. Die Kritik an dem medizinischen
Versorgungssystem geht mit einer Diskussion um den Gesundheits- und
Krankheitsbegriff einher, die wiederum zu neuen Ansätzen und Modellen führt
(King & Hinds, 2001). Hierzu zählen Theorien und Entwürfe zur `seelischen`
oder `psychischen Gesundheit` die sich auf Selbstverwirklichungskonzeptionen
und Persönlichkeitstheorien beziehen (Paulus, 1994; Becker, 1995). Neben
dem organischen Befund soll den psychosozialen Aspekten, die für die
Krankheitsbewältigung und Heilung von Bedeutung sind, besondere
Aufmerksamkeit gewidmet werden Eine ausführliche Beschreibung der
Gesundheits- und Krankheitsmodelle ist bei Becker (1992; und Waller, 1996) zu
finden.
Um den Wandel zur Subjektorientierung in den Gesundheitswissenschaften
zu verdeutlichen, werden im folgenden einige gängige Modelle vorgestellt.
2.1.2.1 Krankheitsmodelle
 Biomedizinisches Störungsmodell:
Das bis heute in Arztpraxen und Krankenhäusern anzutreffende
biomedizinische Störungsmodell fasst Krankheit als Folge gestörter
somatischer Prozesse auf. Die reduzierte Sicht auf charakteristische
Symptome, Ursache und Verlauf, lassen Krankheit und Gesundheit als
41
Gegensätze erscheinen. Entweder ist ein Mensch krank oder gesund.
Die Reparatur des Körpers als Maschinenmodell obliegt dem
behandelnden Arzt. Dieses Modell sieht sich zunehmend der Kritik
ausgesetzt.
 Psychosoziale Modelle:
Diese Modelle sind als bewusste Gegenposition zum biomedizinischen
Modell konzipiert worden und beruhen auf unterschiedliche Theorien
über Störungen. Ihre Gemeinsamkeit bei der Definition, Identifikation,
Entstehung und Behandlung psychischer Störungen liegt in der
Betonung psychischer einschließlich sozialer Bedingungen . Sie gehen
von einer Kontinuität zwischen normalem und gestörtem Verhalten aus
sowie der Bedeutung des psychosozialen Kontextes für Entstehung von
Störungen und setzen eine Multikausalität von mitbestimmenden
Ursachen voraus. Die primäre Ausrichtung auf psychische Störungen
unter Ausklammerung biologischer Faktoren ist bei diesen Modellen
kritisch zu bewerten.
 Diathese - Stress - Modelle:
Gemeinsam ist diesen Modellen die psychosomatische Sicht auf
Krankheit. Sie gehen von der Annahme aus, dass Krankheiten aus dem
Zusammenspiel belastender Bedingungen (Stressoren) und individueller
Krankheitsdisposition erfolgen. Krankheit wird als psychische
Überforderung einer Person gewertet. Dieses Modell verbindet
biomedizinische und psychosoziale Ansätze, wobei Einflüsse kritischer
Lebensereignisse mitwirken. Von einer Kontinuität zwischen Krankheit
und Gesundheit wird ausgegangen. Kritik finden diese Modelle unter
anderem darin, dass nicht nur Überforderungen oder kritische
Lebensereignisse zu psychischen Krankheiten führen können, sondern
auch Unterforderungen oder Sinnkrisen.
 Biopsychosoziale Modelle:
Biopsychosoziale Modelle fordern als umfassende Alternative zum
biomedizinischen Ansatz die systematische Rücksichtnahme auf
biologische, psychologische und soziale Faktoren von Krankheit. Die
42
Grenzen zwischen Gesundheit und Krankheit und zwischen
Lebensproblemen und Krankheit sind fließend. Bei der Behandlung und
ebenso der Prävention sind in vielen Fällen auch Lebensprobleme mit
einzubeziehen. Kritisch ist zu diesen Modellen anzumerken, dass sie
zwar Krankheit, jedoch keine Gesundheit erklären können.
2.1.2.2 Gesundheitsmodelle
 Pathogenetisches Modell:
Hierbei handelt es sich um das gesundheitsbezogene Gegenstück zum
biomedizinischem Störungsmodell. Gesundheit wird mit körperlicher
Funktionstüchtigkeit gleichgesetzt. Krankheit ist der Gegenspieler von
Gesundheit, und daher ist die Kritik an biomedizinischen
Störungsmodellen übertragbar: das Modell klammert die seelische
Gesundheit und psychosoziale Komponenten aus.
 Salutogenetisches Modell von Antonovsky:
Eine deutliche Abkehr von Pathogenese – Krankheitsentstehung - stellt
das salutogenetische Modell des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky
dar. Er wich von der üblichen krankheitsverursachenden Fragestellung
ab und interessierte sich für die Gründe, weshalb Menschen trotz einer
Fülle von Gesundheitsrisiken gesund bleiben und nicht erkranken.
Antonovsky vertritt die Anschauung eines „Kontinuums mit den Polen
Gesundheit; körperliches Wohlbefinden und Krankheit; körperliches
Missempfinden“ (Bengel, Schrittmatter & Willmann, 1998, S.32). Damit
zieht er keine klare Grenze, sondern geht vielmehr von einem Kontinuum
mit den beiden Endpunkten Gesundheit und Krankheit aus. Das
Ergebnis eines interaktiven Prozesses zwischen belastenden Faktoren
(Stressoren) und schützenden Faktoren (Widerstandsressourcen) im
Kontext der Lebenserfahrung markiert den Platz einer Person auf diesem
Kontinuum. Aus Antonowskys Sicht sind Stressoren etwas Alltägliches
und nicht wie im pathogenetischen Modell ein krankmachender
43
Ausnahmezustand. Als zentrale Widerstandsressource entwirft
Antonowsky das Konzept des „Kohärenzsinns“ (Dlugosch, 1994; Waller,
1996), was einer Grundhaltung gleichkommt, die Welt als sinnvoll zu
erleben. Kohärenzsinn beinhaltet die Überzeugung der Verstehbarkeit,
Handhabbarkeit und Bedeutsamkeit der persönlichen Lebenssituation
(Bengel, Schrittmatter & Willmann, 1998).
Zur Verdeutlichung des salutogenetischen Modells erfolgt mit Tabelle 6 eine
Gegenüberstellung zum pathogenetischen Modell.
Pathogenetisches
Salutogenetisches
Modell
Modell
Klassifikation des
Dichotom:
Kontinuierliche
Gesundheitsstatus
Gesund versus krank
Klassifikation
Untersuchungs- und
Spezifische Krankheit
Allgemeiner
Behandlungsgegenstand
Gesundheits-/Krankheitsstatus
Ätiologie (Ursachen)
Einbeziehung von
Erhebung einer
Risikofaktoren
ganzheitlichen
Lebensgeschichte und
gesundheitsförderlicher
Ressourcen
Stressoren
Ungewöhnliches und
Etwas Alltägliches und
pathogenes Element
in seiner Konsequenz
unbestimmbar
Behandlung
Medikamente
Stärkung von
Bewältigungsressourcen
Tab.6 Vergleich zwischen pathogenetischem und salutogenetischem Modell
(nach Noack 1997, S. 95).
 Integratives Anforderungs-Ressourcen-Modell von Becker:
Becker stellt ein integratives Anforderungs-Ressourcen-Modell der
44
Gesundheit vor. Gesundheit oder Krankheit wird hier als der Versuch
einer Person dargestellt, eine positive oder negative Bilanz zwischen
„externen oder internen Anforderungen der letzten Zeit mit Hilfe externer
und interner Ressourcen“(Becker, 1992, S. 99) zu ziehen.
Der Kerngedanke des Modells besagt, dass der aktuelle
Gesundheitszustand davon abhängt, inwieweit es einer Person mit Hilfe
der ihr zur Verfügung stehenden Ressourcen innerhalb der letzten Zeit
gelungen ist bzw. aktuell gelingt, bestimmte Anforderungen zu
bewältigen. Fällt die Erfolgsbilanz der letzten Zeit positiv aus, ist eher
von Wohlbefinden und Gesundheit auszugehen. Sollte die Bilanz negativ
ausfallen, ist mit Missbefinden und Krankheit zu rechnen
(Becker, 1992). Als zentrale Kategorie zur Bewältigung externer und
interner Anforderungen sieht Becker (1995) die seelische Gesundheit.
In seiner Theorie ist die seelische Gesundheit neben der
Verhaltenskontrolle eine Persönlichkeitseigenschaft, die sich aus
mehreren Faktoren (z.B. Sinnerfülltheit, Expansivität, Autonomie,
Selbstwertgefühl) konstituiert.
 Sozialisationstheoretisches Gesundheitsmodell von Hurrelmann:
Hurrelmann (1994) versteht Gesundheit als Teil der biographischen
Entwicklung eines Individuums. Damit ist Gesundheit ein lebenslanger
Prozess der Bewältigung von inneren und äußeren Anforderungen,
Kontinuität des Selbsterlebens und Selbstentwicklung. Dieser
Balancezustand zwischen physischen, psychischen und sozialen
Anteilen muss zu jedem lebensgeschichtlichen Zeitpunkt immer wieder
hergestellt werden. Gesundheit ist kein passiv erlebter Zustand des
Wohlbefindens, „sondern ein aktuelles Ergebnis der jeweils aktiv
betriebenen Herstellung und Erhaltung der sozialen, psychischen und
körperlichen Aktionsfähigkeit eines Menschen. Soziale, ökonomische,
ökologische und kulturelle Lebensbedingungen bilden dabei einen
Rahmen für die Entwicklungsmöglichkeiten von Gesundheit“ (S.17).
 Mandala-Modell der Gesundheit von Hancock:
Waller (1996) stellt ein dynamisch interaktives Gesundheitsmodell von
Hancock (1990 zit. n. Waller 1996) vor. Das kreisförmige Mandala-
45
Symbol soll die Einheit von Universum und Person repräsentieren.
Ebenen der Humanbiologie, der Lebensweisen, des persönlichen
Verhaltens, der psycho-sozio-ökonomischen Umwelt und der physischen
Umwelt werden miteinander verknüpft, beeinflussen einander, können
einander „verstärken oder aufheben“ (S.22 ff.).
Die angeführten Modelle veranschaulichen das wissenschaftliche
Bestreben, den Menschen in seiner Ganzheit zu erfassen und lassen den
positiven Aspekt von Gesundheit erkennen.
2.2 Übereinstimmendes Verständnis von Gesundheit
Je nach Berufsgruppe und akademischer Fachrichtung ist das jeweilige
Gesundheitsverständnis
von
deren
temporären
Paradigmen
bestimmt.
Zusammenfassend lässt sich ein:
prozessorientierter,
lebensgeschichtlicher
und
subjektiver
Gesundheitsbegriff beschreiben, der zwischen Krankheit und Gesundheit
fließende Übergänge sieht, Ergebnis einer umfassenden und aktiven
Auseinandersetzung der Person mit ihrer natürlichen und sozialen Mitwelt ist
und hindernde und fördernde Bedingungen - insbesondere grundlegende
Lebensbedingungen - vorfinden kann (Blättner, 1994, S.27).
Übereinstimmend findet sich in der Literatur eine positive Definition von
Gesundheit, so dass Gesundheit nicht nur als Abwesenheit von Krankheit
verstanden wird. Weiter wird von einer Multidimensionalität von Gesundheit
ausgegangen, mit körperlichen, psychischen und sozialen Aspekten, auch
wenn
die
Gewichtung
je
nach
Berufsgruppe
unterschiedlich
ausfällt.
„Gesundheit kann danach als ein komplexes reziprokes Zusammenspiel
betrachtet werden, in dem neben situativen [...] Faktoren kognitive, aktionale
und physiologische aufeinander einwirken“ (Paulus, 1994, S.22). Allerdings
herrscht keine Einigkeit über die Anzahl der Dimensionen - wie die Modelle
erkennen lassen -, auch wenn die WHO noch eine „ökologische“ und eine
„spirituelle Dimension“ (WHO, 1988a, b, zit. n. Kickbusch, 1992, S. 24)
hinzugefügt hat.
46
2.3 Kritik an der WHO-Gesundheitsdefinition
Mit der WHO-Definition von Gesundheit ist der Versuch unternommen
worden, Gesundheit aus dem Kernbereich medizinischer Tätigkeit
herauszurücken. Die Aufmerksamkeit wird auf Bereiche gelenkt, die stärker zur
gesellschaftlichen und persönlichen Verantwortung gehören. Gesundheit ist
damit nicht nur eine Frage eines funktionierenden medizinischen Systems und
seiner Fortentwicklungen, sondern umfasst ebenso außermedizinische
Versorgungsbereiche. Kritische Stimmen sehen in dieser Definition einen
überzogenen Anspruch, da die Handlungsfelder von psychischer, sozialer,
geistiger, ökologischer und spiritueller Dimensionen konsequenterweise auf die
gesamte Gesellschaft und Politik ausgeweitet werden müsste (Kickbusch,
1992). Der utopische Charakter wird auch durch die Betonung des individuellen
Wohlbefindens kritisiert, besonders auf dem Hintergrund einer Vielzahl von
Menschen z.B. in der Dritten Welt, die tagtäglich ums nackte Überleben
kämpfen müssen. Damit wird Gesundheit als ferner Idealzustand entworfen der kaum zu erlangen ist -, der einen Endzustand - vollkommenes
Wohlbefinden - impliziert und den Verlauf als Kontinuum zwischen Krankheit
und Gesundheit aus dem Blick verliert. Die Konsequenz daraus hieße, dass die
Mehrzahl der Menschen als krank und damit als therapiebedürftig anzusehen
wären.
Subjektives Wohlbefinden ist nur einer von mehreren Indikatoren für
Gesundheit oder Krankheit, das nicht nur unzuverlässig, sondern auch
medizinisch nicht behandelbar ist. Außerdem besteht durch den Einbezug von
psychischem und sozialem Wohlbefinden - zusätzlich zum körperlichen - die
Gefahr einer „Medikalisierung“ (Becker, 1992, S.96) psychischer und sozialer
Lebensprobleme. Des weiteren geht durch den zu erreichenden statischen
Zustands des Wohlbefindens die Dynamik eines interaktiven salutogenetischen
Prozesses verloren. Weitere kritische Stimmen zur Gesundheitsdefinition hat
Paulus (1994) herausgearbeitet.
Näheres zur Kritik an dem Gesundheitsbegriff der WHO ist auch bei Blättner
(1994) zu finden, die auf einen Übersetzungsfehler hinweist. „Milz (1994)
korrigiert das Absolute der Definition insofern, als er den englischen Begriff
`complete` nicht mit `vollständig`, sondern mit `umfassend` übersetzt, im Sinne
47
von `ganzheitlich` (Milz 1994, S. 20, zitiert nach Blättner, 1994, S. 20 ff.), womit
die utopische Definition einen politischen Charakter bekommt.
Bei aller Kritik jedoch sollte nicht übersehen werden, dass mit dieser
Gesundheitsdefinition der WHO der subjektive Aspekt und damit die
Patientenorientierung in die medizinische Forschung - in Form von
Lebensqualitätsmessungen - und den medizinischen Alltag - in Form von
Compliance durch die Hinwendung zu chronischen Erkrankungen - Einzug
gefunden hat. Mit ihr wird der „mechanistisch-reduktionistische
Gesundheitsbegriff [...] zumindest programmatisch überwunden“ (Paulus, 1994,
S. 22).
3 CHRONISCHE KRANKHEIT UND DARAUS RRESULTIERENDE
BELASTUNGEN
Grundsätzlich handelt es sich bei chronischen Erkrankungen nicht um ein
einmaliges Ereignis, sondern um ein weitgehend irreversibles Geschehen.
Charakteristisch für eine chronische Erkrankung ist, dass durch die Krankheit
bedingte Beschwerden meist nur gelindert, nicht aber behoben werden können.
Der Verlauf ist oft nicht vorhersehbar, Phasen der Verschlimmerung können
sich mit weitgehend beschwerdefreien Zeiten abwechseln. Bezeichnend für
chronische Krankheiten ist nicht nur die Unheilbarkeit, sondern auch die
zunehmende Verschlimmerung, die nicht zu verhindern ist (Sohn, 1997).
Die zentralen Merkmale einer chronischen Krankheit sind „universell,
progressiv, haben eine lange vorsymptomatische Phase“ und sind „relativ
behandlungsresistent“ (Fries, 1989, S.21).
Im folgenden Abschnitt werden die hier thematisierten Krankheitsbilder
Diabetes mellitus, rheumatische Erkrankungen und HIV (Humanes
Immunschwäche Virus, im Folgenden HIV) skizziert und Belastungen, die durch
eine chronische Krankheit entstehen können, aufgezeigt. Die Auswahl der drei
chronischen Erkrankungen ist willkürlich ausgewählt und entsprechen den
persönlichen Interessen des Verfassers.
48
3.1 Chronische Krankheit und krankheitsübergreifende
Belastungsfaktoren am Beispiel von Diabetes, Rheuma und HIV
Trotz der Verschiedenartigkeit chronischer Erkrankungen lassen sich
krankheitsübergreifende Belastungsfaktoren beschreiben. Beutel (1990) fasst
sie in einer Übersichtsarbeit zusammen. Neben einer allgemein reduzierten
körperlichen - und psychischen - Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit wird die
körperliche Integrität des Betroffenen durch den Krankheitsprozess und die
Behandlungsmaßnahmen (z.B. Nebenwirkungen von Medikamenten) bedroht.
Seiner Ansicht nach spielen Lebensgefährdung und Todesangst, Einbuße von
Gesundheit und Wohlbefinden, Selbstkonzept und der Zukunftspläne,
emotionales Gleichgewicht, Bedrohung in der Erfüllung vertrauter Rollen und
Aktivitäten des täglichen Lebens sowie die Bedrohung resultierend aus der
Erfordernis, sich an neue physische oder soziale Umgebungen anzupassen,
eine bedeutende Rolle im Leben chronisch kranker Menschen.
Beutel (1990) unterscheidet im wesentlichen sieben
Belastungsdimensionen, die trotz unterschiedlicher Krankheitsgruppen allen
chronischen Erkrankungen gemein sind:
 Vorübergehende oder anhaltende Befindlichkeitsstörungen (z.B. Ängste,
Depressionen, emotionale Labilität, und Reizbarkeit);
 veränderte Einstellung zur eigenen Person (z.B. vermindertes
Selbstvertrauen und Selbstwertgefühl);
 Belastungen für Partnerschaft und Familie;
 deutliche Verminderung sexueller Aktivität und gehäufte Störungen
sexueller Funktionen;
 unbefriedigende Compliance [Therapiemitarbeit] beim Einhalten
medizinischer Maßnahmen und Empfehlungen;
 häufige Aufgabe von Berufstätigkeit mit Folgen wie Statusverlust,
Einkommenseinbußen und veränderten sozialen Rollen;
 Verminderung von Sozialkontakten und Freizeitaktivitäten (S. 42).
Die angeführten krankheitsübergreifenden Belastungsfaktoren spielen auch
für die Erkrankten der nachfolgend aufgeführten Krankheitsbilder eine
bedeutende Rolle.
49
Eine große Belastung für Personen, die an Diabetes mellitus erkrankt sind,
bildet das häufige Auftreten von Spätfolgen. Bekannte Komplikationen sind
hierbei Niereninsuffizienz, Impotenz, Schlaganfall, Herzinfarkt, Amputationen
und Erblindung. Insgesamt ist die Lebenserwartung von an Diabetes mellitus
Erkrankten reduziert. Zur Vermeidung der Spätfolgen ist eine genaue Kontrolle
des Blutzuckerspiegels erforderlich. Der Betroffene sollte eine aktive Rolle in
der eigenen Behandlung übernehmen (z. B. mehrmaliges Kontrollieren des
Blutzuckerspiegels, sportliche Aktivität und ausgewogene Ernährung).
Patienten mit rheumatischen Erkrankungen sind vor allem durch Schmerzen
in ihren Bewegungsmöglichkeiten eingeschränkt, ängstlich in bezug auf das
Fortschreiten der Erkrankung, und sie fühlen sich von der Außenwelt nicht
verstanden. Nach Beutel (1990) kann aufgrund der rheumatischen Erkrankung
leicht ein Teufelskreis aus Schmerz, Schonhaltung, weniger Aktivitäten und
dem Wegfall von sozialer Bestätigung entstehen, aus dem der oder die
Betroffene nur schwer entkommen kann. Die Leidtragenden können oftmals
ihre alltäglichen Verrichtungen nicht ausüben. Als Folge der empfundenen
Abhängigkeit von anderen Personen und der Schmerzen können depressive
Verstimmungen auftreten.
Durch die in den letzten Jahren deutlich verbesserte Therapierbarkeit von
HIV schwindet die Krankheit immer weiter aus dem öffentlichen Bewusstsein in
den persönlichen und hausäztlichen Bereich. Mit dem Verschwinden der akuten
Lebensbedrohung und dem damit einhergehenden geringer werdenden
gesellschaftspolitischem Interesse, bekommt die HIV-Infektion zunehmend den
Status einer chronischen Krankheit.
HIV-Infizierte haben sich zusätzlich zu der - durch die Therapie
verschobenen, aber bestehenden - Lebensbedrohung mit einem erheblichen
Ausmaß an Ausgrenzung und Diskriminierung auseinanderzusetzen. Die
Diagnose „Positiv“ führt zu einschneidenden Veränderungen in allen
Lebensbereichen - vor allem der Zukunftsperspektive - und zieht meist
depressive Reaktionen nach sich. Wichtig ist die lebenslange und hohe
Therapiemitarbeit, denn unregelmäßige Einnahme des „MedikamentenCocktails“ führt unweigerlich zu Resistenzen und damit zu einer geringeren
Lebenserwartung.
Außerdem sind die Nebenwirkungen der antiretoviralen Therapie so massiv,
dass es erhebliche Disziplin erfordert, die Medikamente trotzdem einzunehmen.
50
Die sexuelle Aktivität ist oft durch die medikamentöse Behandlung
eingeschränkt und ein angstfreier, vertrauensvoller Austausch hinsichtlich
Sexualität, Liebe, Freundschaft und Beziehungen zumindest erschwert (Dunde,
1991).
Nachfolgend wird auf die einzelnen chronischen Erkrankungen Diabetes,
Rheuma und HIV eingegangen werden.
3.1.1 Diabetes mellitus
Diabetes mellitus ist eine chronische Stoffwechselerkrankung, bei der sich
relativer oder absoluter Insulinmangel in einer Störung der lebensnotwendigen
Blutzuckerregulation zeigt. Es können im wesentlichen zwei Hauptformen
unterschieden werden, der Typ-I-Diabetes mellitus („Insulin Dependent
Diabetes Mellitus“, IDDM) und der Typ-II-Diabetes mellitus („Non-Insulin
Dependent Diabetes Mellitus“, NIDDM). Der Typ-I-Diabetes mellitus manifestiert
sich meist in der Kindheit und Jugend und ist gekennzeichnet durch fehlendes
körpereigenes Insulin, während der Typ-II-Diabetes mellitus überwiegend nach
dem 40. Lebensjahr auftritt (Hirsch, 1996).
Bei dem Typ-II-Diabetes mellitus ist die Insulinwirkung durch eine erhöhte
Insulinresistenz gestört. Der erhöhte Blutzuckerspiegel verursacht kaum
subjektive Beschwerden, auch fehlen sichtbare Krankheitssymptome (Broda &
Muthny, 1990). Diabetiker sind nicht nur durch akute Stoffwechselentgleisungen
bedroht, sondern auch durch Spätkomplikationen nach langjährigem
Krankheitsverlauf und Multimorbidität. Gefürchtetste Folgen sind die
fortschreitende Schädigung der Blutgefäße (Herzinfarkt, Schlaganfall,
Amputationen), Niereninsuffizienz und Erblindung. Um das Risiko derartiger
Krankheitsfolgen zu vermindern, ist eine lebenslange Überwachung und
Einstellung des Blutzuckerspiegels notwendig.
Diabetes macht eine ständige Abstimmung von Nahrungsaufnahme,
körperlicher Betätigung und - gegebenenfalls - Insulinzufuhr erforderlich.
3.1.2 Rheumatische Erkrankungen
51
Unter dem Oberbegriff “rheumatische Erkrankung“ ist eine Vielzahl
verschiedener Erkrankungen zusammengefasst, deren gemeinsames Merkmal
Manifestationen am Stütz- und Bindegewebe des Bewegungsapparates
(Gelenke, Sehnen, Muskeln, Wirbelsäule, Knochen) und häufige systemische
Beteiligung des Bindegewebes innerer Organe (Herz, Gefäße, Lunge, Leber)
sind. Nach häufig schleichendem Beginn verlaufen rheumatische Erkrankungen
unvorhersagbar in entzündlichen Schüben, die zu zunehmender Einschränkung
der Mobilität führen und von Schmerzen begleitet werden.
Der Rheumafaktor ist bei ca. 5% der gesunden Personen in der
Bevölkerung unter 50 Jahren nachzuweisen, mit zunehmendem Lebensalter
steigt der Prozentsatz auf ca. 10-15%. Die Gruppe der rheumatischen
Erkrankungen ist heterogen, dazu zählen u. a. die chronische Polyarthritis,
Morbus Bechterew und Arthrose, die schubweise verlaufen und durch eine
Abnutzung des Gelenkknorpels und der Binde- und Stützgewebe
gekennzeichnet sind. Zu den Hauptsymptomen gehören Schmerz, Steifigkeit,
Deformierung und Funktionsbehinderung der Erkrankten (Pschyrembel, 1990;
Beutel, 1990).
3.1.3 HIV-Infektion
Mit AIDS (Acquired Immune Deficiency Syndrome) wird eine schwere
Schwächung des körpereigenen Abwehrsystems benannt. Bei einem
erworbenen Immundefekt ist die körpereigene Abwehrfähigkeit gegenüber
Krankheitserregern stark vermindert. Das Krankheitsbild AIDS ist
gekennzeichnet durch verschiedene Infektionen und Symptome, die sich infolge
des Immundefektes entwickeln können. Die Immunschwäche wird durch das
Retrovirus HIV verursacht, das die Zellen des Abwehrystems befällt, sich in
ihnen vermehrt und schließlich die infizierten Zellen zerstört.
Das typische Merkmal an einer HIV-Infektion ist, dass die körpereigenen
Abwehrsysteme das Virus langfristig nicht bekämpfen können, obwohl schon
kurz nach der Infektion Antikörper gebildet werden. Eine Ansteckung mit dem
Virus ist nicht mit der Erkrankung an AIDS gleichzusetzen. Es muss
unterschieden werden zwischen der Zeit der Infektion ohne
Krankheitserscheinungen, den Vorstadien und schließlich dem Ausbruch der
52
Krankheit AIDS. HIV-infizierte Menschen sind nicht aidskrank, sie tragen
lediglich den Erreger in sich, der zu AIDS-manifestierenden Krankheiten führen
kann. Von der Umwelt werden HIV-infizierte Menschen jedoch oft als krank
behandelt und aus Angst vor Ansteckung oder moralischen Gründen
ausgegrenzt.
Die Krankheit bricht in den meisten Fällen erst Jahre oder Jahrzehnte nach
der Infektion aus, so dass durch die in den Industrieländern erhältliche
medikamentöse Therapie und die damit steigende Lebenserwartung immer
häufiger von einer chronischen Krankheit gesprochen wird.
Obwohl die Therapiefortschritte für HIV-Infizierte Anlass zur Hoffnung sind,
dürfen diese nicht als Möglichkeit einer Heilung von AIDS missverstanden
wenden. Von der lebenslang notwendigen Therapie kann nach heutigem
Kenntnisstand bestenfalls eine deutliche Lebensverlängerung, jedoch keine
Heilung erwartet werden. Die Entwicklung eines Impfstoffs gegen HIV ist
kurzfristig nicht zu erwarten (Arastèh & Weiß, 1997).
Die lebenslange gesundheitliche Beeinträchtigung durch eine chronische
Erkrankung wirkt sich in erheblichen Maße auf psychosoziales Wohlbefinden
aus und wird nachfolgend thematisiert.
3.2 Gesundheitsbezogene Lebensqualität und psychosoziale Folgen
Die Darstellung der unterschiedlichen Belastungen aufgrund einer
chronischen Erkrankung legen eine eingeschränkte subjektive Gesundheit von
Menschen mit Diabetes mellitus, Rheuma-Betroffenen und HIV-Infizierten nahe.
Diese Annahme wird von Ergebnissen epidemiologischer Studien unterstützt.
In der Normierungsstichprobe des SF-36 Health Survey zeigte sich ein
abweichendes Lebensqualitätsprofil sowohl für die Gruppe „Diabetes mellitus“
als auch für die Gruppe „Arthritis, Gelenkrheumatismus und Arthrose“ mit
deutlichen Einbußen in der subjektiven Gesundheit (Bullinger & Kirchberger,
1998). In einer Untersuchung von Hanninen, Takala und KeinanenKiukaanniemi (1998) zeigten Diabetes mellitus-Patienten eine starke
Beeinträchtigung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität im Vergleich zur
gesunden Kontrollgruppe. Insulinbehandlung, ein beeinträchtigtes
53
Sehvermögen, Übergewicht wirkten sich ebenso wie die Dauer der Erkrankung
negativ auf die subjektive Gesundheit aus.
Kohlmann, Herlyn, & Siegrist (1994) befragten 122 an den
Bewegungsorganen erkrankte Personen. Auch diese Patientengruppe
berichtete von einer eingeschränkten gesundheitsbezogenen Lebensqualität.
Starke Beeinträchtigungen waren vor allem in den Dimensionen Schmerz,
Mobilität, Energieverlust und Schlaf festzustellen.
In diesem Zusammenhang ist von Interesse, welche psychosozialen
Faktoren einen Einfluss auf die subjektive Gesundheit von chronisch kranken
Menschen ausüben. Rose, Burkert, Scholler, Schirop, Danzer & Klapp (1998)
untersuchten potentielle Determinanten der subjektiven Gesundheit bei 116
Diabetikern und stellten dabei fest, dass die Variablen „Krankheitsbewältigung“
(Coping) und Persönlichkeitsvariablen einen Einfluss auf die
gesundheitsbezogene Lebensqualität ausübten. Die positive Wirkung von
sozialer Unterstützung auf das Wohlbefinden wurde in zahlreichen
Untersuchungen belegt (vgl. dazu auch Stokes, 1983; Schwarzer & Leppin,
1989; Lucchetti, 1998).
Soziale Unterstützung kann sich dabei auf unterschiedlichen Ebenen äußern
und zwar auf der Personenebene - Wie viele Kontaktpersonen sind
vorhanden?, - der Gefühlsebene - Wird die Unterstützung auch als solche
wahrgenommen? - oder auf der Handlungsebene - Wie wird Beruf und Freizeit
gestaltet? -.
Sozial gut eingebettet zu sein, ist eine hilfreiche Stütze bei der Bewältigung
von chronischen Erkrankungen. In diesem Zusammenhang wird sozialer
Unterstützung eine Pufferfunktion zugesprochen (Sohn, 1997). In einer
österreichischen Studie zur Bedeutung sozialer Netzwerke und Unterstützung
für die Gesundheit wurde auf die Daten von insgesamt 8108 Personen
zurückgegriffen (Statistische Mitteilungen zur Gesundheit in Wien, 1998). Ein
eher negatives Ergebnis der Untersuchung ist, dass chronisch und akut
erkrankte Personen im Vergleich zu gesunden Personen über ein deutlich
kleineres soziales Netzwerk verfügen. Dagegen zeigte sich ein positiver
Zusammenhang zwischen einer höheren Anzahl von Bezugspersonen und
geringeren gesundheitlichen Beschwerden. Die Darstellung von aktuellen
Befunden zeigt, dass soziale Unterstützung die Belastung durch eine
chronische Erkrankung mildern kann.
54
Sohn (1997) hält verschiedene Grundmuster im Umgang mit chronischer
Krankheit fest:
 Verleugnung der Krankheit, medizinisch indizierte
Verhaltensempfehlungen werden außer acht gelassen.
 Schicksalhafte und duldende Hinnahme der Nichtheilbarkeit der
chronischen Erkrankung.
 Ängstliche Anspruchshaltung und Rollenverteilung mit Hilfsfunktionen
durch Familienmitglieder.
 Aktive Auseinandersetzung mit der Diagnose und arztunabhängige
Informationsbeschaffung (z.B. Selbsthilfegruppe).
 Pseudoaktivität. Durch Arztwechsel und immer neue
Therapiekonzepte vermeidet der chronisch Kranke eine
gesundheitsfördernde Lebensstiländerung.
Die beste Voraussetzung um sich gesund zu fühlen, ist neben psychischen
Abwehrkräften, körperlicher Fitness auch ein enggeknüpftes soziales Netz nötig
(Sohn, 1997).
Damit rückt das Gebiet der individuellen und sozialen Gesundheitsselbsthilfe
als Ansatz für psychosoziale und pädagogische Interventionen in das Zentrum
der Aufmerksamkeit professioneller Hilfe.
4 SUBJEKTIVE GESUNDHEIT UND PÄDAGOGISCHE INTERVENTIONEN
Ob eine chronische Krankheit und medizinisch notwendige Behandlung von
Patienten akzeptiert wird, hängt vom subjektiven Krankheitskonzept ab.
Subjektive Theorien von Krankheit und Gesundheit beeinflussen maßgeblich
die Einschätzung von Bewältigungsoptionen und damit die Motivation von
Patienten, den Krankheitsprozess aktiv mitzugestalten. Somit befinden sich
Patientenberatung und Patientenschulung mit ihrer pädagogischen Absicht im
Spannungsfeld zwischen „Empowerment [als] Stärkung von Selbsthilfe- und
Durchsetzungsfähigkeit“ (Stark, 1998 S.39) und medizinischem Management
(Schmidt & Dlugosch, 1997). Um chronisch kranke „Patienten“ in ihrem
Lebenskontext und ihrer Gesamtperson zu Experten ihrer eigenen Gesundheit
zu bestärken, bedarf es in der medizinischen Praxis einer Orientierung an den
55
Zielen der Gesundheitsförderung wie dem „Empowerment“ (Paulus & Deter,
1998; Faltermaier, 1998). Dazu bedarf es das Interesse auf den informellen
Sektor der Gesundheitsselbsthilfe im Alltag zu lenken.
4.1 Das Subjekt im gesundheitsbezogenen Alltag
Anforderungen des Alltagslebens in Übereinstimmung mit den eigenen
Bedürfnissen der entsprechenden Lebenssituation zu bringen, wirkt sich
maßgeblich auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität aus.
Jeder Mensch geht tagtäglich mit seinem Körper um, bemerkt
Beeinträchtigungen, reagiert darauf und bemüht sich auf diese Weise, seine
Gesundheit zu erhalten. Erst nach vergeblicher Auseinandersetzung mit
gesundheitlichen Beeinträchtigungen und nach möglicherweise vergeblicher
Hilfesuche im sozialen Netzwerk, wenden sich Betroffene an Experten des
professionellen Gesundheitswesens. Bei der Entscheidung, einen Arzt
aufzusuchen, spielen Faltermaier (1998; vgl. dazu auch Lang, Rieckmann &
Schwarzer, 2000) zufolge psychische und soziale Faktoren eine entscheidende
Rolle. „Die Wahrnehmung körperlicher Veränderungen, ihre Einschätzung als
Krankheitssymptome und deren Bedrohlichkeit, Gespräche mit
Bezugspersonen über diese Beschwerden und ihre Ratschläge, Überlegungen
über die Ursache einer möglichen Krankheit und die Einstellungen über die
Wirksamkeit medizinischer Hilfen“ (Faltermaier, 1998, S. 72), also der Bereich
der individuellen und sozialen Gesundheitsselbsthilfe, bilden die Basis für
gesundheitsfördernde Interventionen.
Jedoch ist das Gesundheitsverhalten im Alltag in der Regel außerhalb der
Reichweite des professionellen Systems. Das Laiengesundheitssystem, wobei
der Begriff des Laien lediglich zur Abgrenzung vom Professionellen verstanden
wird, findet in der Gesundheitsforschung zunehmend Interesse.
Im Zentrum des Laiengesundheitssystems stehen das betroffene
Individuum, das familiäre System sowie soziale Netzwerke, Selbsthilfegruppen
und öffentliche Gesundheitsinstanzen. Die oben angeführten Handlungsebenen
umschreiben zentrale Leistungen und Funktionen des
Laiengesundheitssystems, die das Individuum zur Selbsthilfe nutzt bzw. nutzen
kann, um eine Krankheit zu verhindern oder zu lindern. Der Umfang der
56
Gesundheitsselbsthilfe ist breit gefächert und zieht sich von
Alltagserkrankungen bis hin zu chronischen Erkrankungen (Waller, 1996).
Faltermaier (1998) verweist auf eine repräsentative Studie von Grunow et al.
(1983; zit. n. Faltermaier, S.74), die zeigt, dass insgesamt 92 Prozent der
Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland individuelle oder soziale
Selbsthilfemaßnahmen bei gesundheitlichen Problemen ergreifen. Zur
Gesundung griffen 77 Prozent der Befragten häufig oder gelegentlich zu
Selbsthilfemaßnahmen. 63 Prozent holten gesundheitsbezogene Informationen
von Familienmitgliedern ein, und 50 Prozent ließen sich von diesen auch
praktisch unterstützen.
Diese bereits praktizierten Selbsthilfeaktivitäten, die
Gesundheitsvorstellungen von Individuen und die jeweilige Organisierung des
Laiengesundheitssystems bilden neben subjektiven Vorstellungen, Grundlage
und Ansatzspunkt für ein pädagogische Interventionen wie Patientenberatung
und -schulung (Petermann, 1996; Schmidt & Dlugosch, 1997; Faltermaier,
1998).
4.2 Patientenberatung und Patientenschulung
Als Begriffsbestimmung versteht Petermann (1997) die Bezeichnung der
Patientenschulung als abgeschwächte Version der Patientenberatung. Beide
„setzen an den Bedürfnissen, der krankheitsbedingten Problemlage und den
Fertigkeiten von chronisch Kranken an“ (S.5). Bei der Patientenberatung steht
die Begleitung, Aufklärung und Motivation des Patienten zu
gesundheitsförderndem Verhalten im Vordergrund. Sie wird in Form von
persönlichen Gesprächen - meist durch den Arzt - durchgeführt. Unter
Patientenschulung werden Maßnahmen verstanden, die den Patienten
befähigen sollen, mit seiner Erkrankung ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Das vermittelte Wissen soll dem Patienten neues Bewältigungsverhalten
(Coping) ermöglichen und zu mehr Eigenverantwortung führen.
Begriffe wie pädagogische Interventionen oder Schulung, die auf einen
erzieherischen Charakter hinweisen, haben oft einen Beigeschmack des
Zwanges. Der Patient, und allein schon in diesem Wort macht sich die
57
Hierarchie zwischen Experten und Laien bemerkbar, erscheint im Rahmen
einer Schulung möglicherweise unfrei und unmündig. Solange die
Patientenschulung nicht primär auf das Erlernen notwendiger therapeutischer
Maßnahmen (Diabetiker: Insulingabe; HIV-Infizierte: Tabletteneinnahme;
Rheumatiker: Diät und Bewegung) abzielt, sollte soviel Selbstbestimmung wie
möglich angestrebt und der generelle Begriff „Beratung“ (Schmidt & Dlugosch,
1997 S.24) zugrundegelegt werden.
Das begrenzte Zeitbudget und die krankheitsbezogene Objektivierung
gehen einher mit einer relativ geringen Berücksichtigung von individuellen
Motiven und Bedürfnissen. Doch „das Medizinsystem tut sich mit einer
differenzierten, individualisierten Beratung von Patienten eher schwer“ (S. 24;
vgl. dazu auch Faltermaier, 1994). Eine Patientenberatung sollte keine
einseitige Erteilung von Ratschlägen oder Vorschriften durch einen Experten an
einen Patienten intendieren, sondern ein längerfristiger Prozess sein, der
Motive, Kenntnisstand, Ziele und subjektive Gesundheitsvorstellungen des
Hilfesuchenden mit einbeziehen und sich so weit wie möglich davon leiten
lassen. Patientenberatungen finden in verschiedenen Settings statt, die sich
beträchtlich in Struktur und Grundorientierung - kurativ oder eher präventiv voneinander unterscheiden können (Schmidt & Dlugosch, 1997). Neben
Arztpraxen, Zahnarztpraxen, Ambulanzen und Polikliniken sind hier auch
Krankenhäuser sowie Rehabilitations- und Kurkliniken zu nennen. Im
Krankenhaus werden Maßnahmen der Beratung und Schulung vornehmlich
dann durchgeführt werden, wenn chronische Erkrankungen neu diagnostiziert
werden. Aus zeitlichen sowie organisatorischen Gründen werden
entsprechende Schulungs- und Beratungsangebote dann jedoch in
Rehabilitationseinrichtungen oder im ambulanten Bereich weitergeführt und
ergänzt.
Die Erkenntnis, dass eine Vielzahl moderner Zivilisationskrankheiten
chronisch-degenerativ sind, hat dazu geführt, vermehrt Gewicht auf Fragen der
Prävention zu legen. Durch die sich ständig verbessernden medizinischen
Behandlungsmöglichkeiten haben sich auch die Überlebenschancen vieler
chronisch Kranker erhöht. Neben der medizinischen Behandlung und Therapie
im engeren Sinne rücken zunehmend Prozesse des patientenbezogenen
Krankheitserlebens und Fragen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität in
den Fokus der Betrachtung (Petermann, 1996; Bullinger, 1998).
58
Im Rahmen der Patientenschulung sieht Petermann (1997) Aspekte der
Primär-, Sekundär- und Tertiärprävention überlagert (vgl. dazu auch Schmidt &
Dlugosch, 1997), wobei er sechs zentrale Komponenten von
Patientenschulungsprogrammen ausmacht:
 Aufklärung:
Es
soll
Behandlungswissen
spezifisches
vermittelt
und
Krankheitsein
und
angemessenes
Krankheitsmodell erläutert werden.
 Aufbau einer angemessenen Einstellung zur Erkrankung und
ihrer Bewältigung: vermehrte Krankheits- und Behandlungseinsicht,
Erhöhung der Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortlichkeit im
Umgang mit der Krankheit, Verbesserung der Therapiemotivation und
-mitarbeit (Compliance).
 Sensibilisierung der Körperwahrnehmung: frühzeitiges Erkennen
von
Warnsignalen,
Vorboten,
Überlastungsanzeichen
und
der
Verschlimmerung des Krankheitszustandes.
 Vermittlung von Selbstmanagement-Kompetenzen: Fertigkeiten
bezüglich
der
Medikation
(Entscheidungskompetenz
bei
der
Applikation und Dosierung von Medikamenten, Verbesserung der
Einnahmetechnik von Arzneimitteln und der Anwendung von
Hilfsmitteln
...),
spezielle
Atemtechniken,
Sitzhaltungen
und
Entspannungsübungen.
 Maßnahmen zur Anfallsprophylaxe und Sekundärprävention:
Aufbau einer gesundheitsförderlichen Lebensweise (Nikotinabstinenz,
mäßige sportliche Aktivität, gesunde Ernährung), Vermeidung von
Stress und spezifischen Auslösern sowie Erfahrungen im Rahmen
einer Notfallprophylaxe (Verhalten in Krisensituationen).
 Erwerb
sozialer
Kompetenzen
und
Mobilisierung
Unterstützungsressuorcen:
Kommunikationsfähigkeit
Erkrankung
Auswirkungen,
und
ihre
sozialer
über
Artikulation
die
von
behandlungsbezogenen Befürchtungen und Bedürfnissen gegenüber
dem Arzt oder Apotheker, Einbeziehung der Angehörigen und
Bezugspersonen. (Petermann, 1997, S.3-4).
59
Der Erfolg oder Misserfolg von pädagogischen Bemühungen hängt in
entscheidendem Maße davon ab, inwiefern subjektive Vorstellungen
ausreichend berücksichtigt werden. Deshalb müssen Ziele von Beratung und
Schulung an subjektiven Ressourcen und Kompetenzen ausgerichtet sein.
4.2.1 Ziele von Patientenberatung und Patientenschulung
Verfahren der Patientenschulung haben das Ziel, durch eine Verbesserung
der Krankheits- und Behandlungseinsicht die Eigenverantwortung des Patienten
zu fördern. Die Bemühungen gelten somit der „Hilfe zur Selbsthilfe“
(Hurrelmann, 1994, S. 183) bzw. dem Selbst- und Krankheitsmanagement,
damit der betroffene Patient die chronische Erkrankung und die damit
verbundenen Belastungen erfolgreich bewältigen kann (Petermann, 1997;
Bullinger, 1994). Eigentlich geht es bei der Patientenschulung immer auch um
eine Verbesserung der Therapiemotivation (Schmidt & Dlugosch, 1997) und
Therapiemitarbeit zur Lebensqualitätsverbesserung der Patienten und um
Kostenreduzierung im Gesundheitswesen (Petermann, 1997).
Abbildung 5 soll die Ziele verdeutlichen:
Differenziertes Wissen:
Krankheit und Bewältigungswissen
Neues Bewältigungsverfahren:
aktives und eigenverantwortliches Mitwirken
bei der Krankheitsbewältigung
(= Krankheitsmanagement)
60
Verbesserte
Compliance
Erhöhte
Lebensqualität
Reduzierte Kosten
im Gesundheitswesen
Abb.5 Globale Ziele der Patientenschulung (nach Petermann 1997, S. 6)
Patientenschulung wird als ein Breitbandansatz verstanden, der neben einer
spezifischen krankheitsbezogenen Schulung und Wissensvermittlung auch
Gesundheitsberatung sowie Familien- und Angehörigeneinbeziehung enthält.
Schmidt & Dlugosch (1997) plädieren dafür, dass bei der Beratung die
Aufmerksamkeit nicht auf den Patienten - als Kategorie - oder auf deren
Krankheiten als solche gelenkt werden sollte, sondern vielmehr auf Individuen
und deren Gesundheit, auch wenn diese Individuen für gewisse Zeit Patienten
sein können. Letztlich geht es darum, die Patientenschulung und -beratung zu
einer umfassenden Gesundheitsberatung weiterzuentwickeln.
Ein Problem chronisch Kranker sieht Petermann (1997) in deren
mangelhaftem Krankheits- und Behandlungswissen, so dass medizinisch
sinnvolle Maßnahmen nicht akzeptiert und umgesetzt werden (vgl. dazu auch
Schmidt & Dlugosch, 1997). Für die fehlende Compliance sind maßgeblich fünf
Aspekte verantwortlich:
 Eine komplizierte und missverständliche Beziehung zwischen Arzt
und
Patient.
 Eine im Umfang und Ausmaß komplexe Verordnung nebst unklarer
Nebenwirkungen.
 Eine negative Auswirkung durch häufigen Arztwechsel oder Wechsel
von Behandlungszentren.
 Unzureichende Behandlungseinsicht seitens des Patienten und
Missverstehen von Verordnungen.
 Negative psychosoziale Folgen der Erkrankung wie Verlust von
Bezugspersonen und Fähigkeiten.(S. 7).
Die Behandlung chronisch Kranker verlangt nach einer umfassenden
Schulung und Beratung, die die subjektiven Gesundheits- bzw.
61
Krankheitskonzepte des Patienten zum Inhalt hat, damit medizinisch
notwendige Behandlungen akzeptiert werden.
Die Vermittlung von Wissensinhalten, Sensibilisierung der
Körperwahrnehmung und Selbstkontrolle im Rahmen des
Krankheitsmanagements sind darauf ausgerichtet, das Krankheitskonzept zu
verändern. Jeder Patient kann anhand von Behandlungserfolgen die positive
Auswirkung auf die gesundheitsbezogene Lebensqualität erkennen, so dass auf
diese Weise eine Verbesserung der Compliance zu erreichen ist.
Ein weiteres Ziel von Patientenschulungen ist, chronisch Kranken „konkrete
Hilfen zur Bewältigung von Alltagsbelastungen anzubieten“ (Petermann, 1997,
S.12). Chronisch Kranke müssen angemessene Gegenmaßnahmen
kennenlernen und neue Fertigkeiten entwickeln, um den Alltag erfolgreich
bewältigen zu können. Fünf Fertigkeiten sind Petermann (1997) zufolge zentral:
 Präventive Medikationsfertigkeiten
(z.B. Medikamentenplan, regelmäßige Einnahme)
 Fertigkeiten zur Auslösevermeidung
(z.B. bei Unter- oder Überzuckerung)
 Fertigkeiten in Notfällen
(z.B. bei Schock, Schmerzen)
 Kommunikationsfertigkeiten
(z.B. genaue Beschreibung von Beschwerden gegenüber dem Arzt,
Angehörige oder Kollegen aufklären, Vorurteilen begegnen)
 Gesundheitsfördernde Fertigkeiten
(z.B. Sport treiben, Urlaubsorte entsprechend den individuellen
Bedürfnissen auswählen, evtl. Beruf wechseln) (S. 12).
Die Ziele der Eigenverantwortungsförderung und
Lebensqualitätsverbesserung von chronisch Kranken fordern unter dem Aspekt
der Patientenperspektive die Berücksichtigung subjektiver Einflussfaktoren, die
nachfolgend thematisiert werden.
62
4.2.2 Einflussfaktoren auf Patientenberatung und Patientenschulung
Die Unterstützung zur Entwicklung von Persönlichkeit, sozialer
Kompetenzen und lebenspraktischer Verantwortlichkeiten durch Information will
den Menschen dazu befähigen, mehr Einfluss auf ihre Gesundheit und ihre
Lebenswelt auszuüben. Es geht dabei um die Befähigung zu „lebenslangem
Lernen“ (Waller, 1996, S. 185), um mit chronischen Erkrankungen und
Behinderungen umgehen zu können. „Ein zentrales Ziel der Patientenberatung
ist es, neue Verhaltensweisen aufzubauen und [...] bestehende zu modifizieren
oder zu beenden“ (Schmidt & Dlugosch, 1997, S. 32).
Patientenberatung und -schulung sind daher von vielen Einflussfaktoren
abhängig, die sich nicht nur im Interaktionsprozess zwischen Experten und
Patienten bemerkbar machen. Die Kommunikation und die Arzt-PatientBeziehung sind allein durch das medizinische Setting mit meist viel zu kurzen
Interaktionszeiten deutlich beeinträchtigt. Doch abgesehen von den
Rahmenbedingungen, bilden Patientenressourcen wie z.B. Selbstvertrauen,
Selbstaufmerksamkeit und internale Kontrollüberzeugungen (Schmidt &
Dlugosch, 1997; Waller, 1996), sowie die Methoden der
Interventionsmaßnahmen eine entscheidende Rolle für eine erfolgreiche
Gesundheitsberatung. Die subjektive Überzeugung, wichtige Ereignisse im
Leben selbst beeinflussen zu können (internale Kontrollüberzeugung),
Kohärenzsinn (Punkt 2.1.2.2) und soziale Integration (Punkt 3.2) bilden die
Basis für eine individuelle Einschätzung gesundheitsbezogener Lebensqualität
(Sohn, 1997). Neben sozialdemografischen Merkmalen wie Alter, Geschlecht
und sozialer Status sind kognitive, motivationale und affektive Komponenten
grundlegend, die zwischen gelungener und misslungener Bedürfnisbefriedigung
und der „wahrgenommenen Diskrepanz zwischen Ziel- und
Wunschvorstellungen“ (Dirhold & Thomas, 1996, S.77) bewerten. Schmidt und
Dlugosch (1997) gehen davon aus, dass sich Motivationen und
gesundheitsbezogene Verhaltensweisen über die Lebensspanne deutlich
verändern und damit das Ziel der Beratung beeinflusst.
Als Beratungsstrategie ist davon auszugehen, dass der Patient ein mündiger
Bürger ist, um in einer flexiblen Beratung eine aufgeklärte Übereinstimmung
herstellen zu können. Eine mögliche Non-Compliance sollte erfasst und
akzeptiert werden. Gemeinsam getroffene Entscheidungen müssen der
63
Persönlichkeitsstruktur, dem aktuellen Befinden und der Funktionstüchtigkeit
des Patienten Rechnung tragen (Schmidt & Dlugosch, 1997).
Dieser patientenorientierte Ansatz von Beratung und Schulung setzt an den
Bedürfnissen und Zielen der Patienten an, was dazu führen soll, chronisch
Kranken mehr Verantwortung beim Krankheitsmanagement zu übertragen.
Zur Verdeutlichung zwischen traditionellem Vorgehen und
patientenorientiertem Ansatz erfolgt eine Gegenüberstellung in Tabelle 7:
Tabelle 7 Gegenüberstellung von experten- und patientenorientiertem
Vorgehen:
Expertenorientiertes Vorgehen
Patientenorientiertes Vorgehen
Medizinische Diagnostik
Medizinische Diagnostik (mit
ausführlicher Anamnese und
Erfassung der Lebensqualität)
Verbesserung des
Verbesserung des
Gesundheitszustandes aufgrund der
Gesundheitszustandes aufgrund der
medizinischen Befundlage
medizinischen Befundlage, der
Lebenssituation/Bedürfnisse des
Patienten
64
Lebensqualitätsverbesserung als
Lebensqualitätsverbesserung als ein
Nebenkriterium
zentrales Kriterium
Aufklärung und Expertenhilfe
Aufklärung, persönliche Beratung und
Expertenhilfe
Kontrolle der ärztlichen Verordnungen
Besprechung der Patientenprotokolle
Anforderung an den Patienten:
Anforderung an den Patienten:
Konsequente Umsetzung der
Ressourcenbezogene Umsetzung der
ärztlichen Vorgaben
ärztlichen Vorgaben
Compliance: Aktive
Compliance: Umfassende
Patientenmitwirkung ohne explizite
Patientenkooperation mit expliziten
Entscheidungsmöglichkeiten
Entscheidungsmöglichkeiten
Tab.7 Mögliche Unterscheidungsmerkmale zwischen einem experten- und
patientenorientierten Vorgehen im Gesundheitswesen (Petermann, 1997, S.18).
Anhand der Gegenüberstellung von Experten- und Patientenorientiertem
Vorgehen ist zu erkennen, dass der vorherrschende Praxisalltag im
medizinischem System dem subjektiven Krankheitserleben zu wenig
Aufmerksamkeit schenkt. Mit der in der Medizin Aufgekommenen
Patientenorientierung im Sinne gesundheitsbezogener
Lebensqualitätsverbesserung findet neben einer Abkehr von somatischen
Betrachtungsweisen ein zunehmendes Verständnis für soziale und seelische
Faktoren von Krankheit statt. Inwiefern Lebensqualitätsmessungen die
individuelle Darstellung der subjektiven Gesundheit und Ansätze für
pädagogische Interventionsmöglichkeiten aufzeigen, wird im folgenden Kapitel
anhand eigener Untersuchungen betrachtet.
5 UNTERSUCHUNGEN ZU GESUNDHEITSBEZOGENER
LEBENSQUALITÄT UND SUBJEKTIVER GESUNDHEIT
Zur Frage der Messbarkeit der gesundheitsbezogenen Lebensqualität über
den Selbstbericht der PatientInnen soll anhand dreier Beispiele mit je einer
chronischen Krankheit - Diabetes, Rheuma und HIV - nachgegangen werden.
Die Begriffe gesundheitsbezogene Lebensqualität und subjektive Gesundheit
werden wie bei Bullinger (1996b; 1998), hier in der eigenen Untersuchung auch
synonym verwandt.
65
Fragebogeninstrumente zur Erfassung der gesundheitsbezogenen
Lebensqualität gehören in der klinischen Evaluationsforschung und
Epidemiologie inzwischen zum unverzichtbaren methodischen Rüstzeug. Die
bekanntesten Instrumente weisen hohe bis sehr hohe testtheoretische
Gütekriterien auf (Reliabilität, Validität und als zusätzliches wichtiges
Gütekriterium Sensibilität für Veränderungen), sind international erprobt und
unter sorgfältigen Äquivalenzprüfungen in verschiedene Sprachen übersetzt.
(Zum Stand der internationalen Lebensqualitätsforschung siehe Bullinger
1996a). Neben den unter Punkt 1.5 aufgeführten methodischen Alternativen,
erscheint das SF-36 Health Survey durch unkomplizierte und deutliche Fragen
der am besten geeignete Test um die nun folgende eigene Untersuchung
durchzuführen.
5.1 Methode und Durchführung
Das SF-36-Health Survey ist ein krankheitsübergreifendes Messverfahren,
das die gesundheitsbezogene Lebensqualität unterschiedlicher Personen
unabhängig von ihrem Gesundheitszustand durch Selbstbericht misst. Die
Begründung der Methodenauswahl ergibt sich aus dem Umstand, dass der SF36 im deutschsprachigen Raum der am meisten verwendete ist (Rose et al.,
2000) und wegen der Einfachheit und Klarheit der Konzeption des
Fragebogens.
Die Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität wurde mit der
einfachen Papier-Bleistift-Fragebogenform durch den SF-36 durchgeführt. Nach
vorheriger Information über den Verwendungszweck und Instruktionen zu den
Ausfüllmodalitäten gab es für die Teilnehmer/innen keine Beschränkung der
Bearbeitungsdauer. Nach der Auswertung des Fragebogens fand ein erneuter
Termin statt, zur Vorstellung der Testergebnisse und bei dem ein strukturiertes
Interview erfolgte, in dem die elf einzelnen Fragen des Tests erneut
angesprochen wurden. Zusätzlich zu den elf des Fragen wurde eine zwölfte
Frage gestellt: Ob die Befragten ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität
genauso einschätzen wie das Testresultat und ob ihnen zur Bestimmung ihrer
subjektiven Gesundheit noch Fragestellungen fehlen. Die InterviewAufzeichnung wurde durch Notizen festgehalten, wobei die Transkription der
66
durch die Befragung erhaltenen Daten mit einem Höchstmaß an inhaltlich
erzielbarer Genauigkeit erfolgte. Die inhaltliche Zustimmung der Teilnehmer
nach der Transkription entstand durch kommunikative Validierung (Kvale, 1991;
Ludwig-Mayerhofer, 1999).
5.1.1 Zielsetzung und Fragestellung
Die vorliegende Arbeit möchte einen Beitrag zur Darstellung der
gesundheitsbezogenen Lebensqualität von chronisch kranken Menschen am
Beispiel von Diabetes, Rheuma und HIV leisten. Diese Untersuchung ist nicht
repräsentativ und erhebt keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und stellt
auch die grundsätzliche Validität des Tests nicht in Frage. Sie soll exemplarisch
zeigen, ob die Ergebnisse einer generischen Lebensqualitätsmessung sich mit
der subjektiv empfundenen Gesundheit der Befragten deckt oder davon
differiert. Dieser heuristischen Absicht - im Sinne eines Suchens und Findens (Kleining, 1995) liegt die Idee zugrunde, informative Unterschiede zu finden. Die
gewonnenen Erkenntnisse sollen dazu beitragen, Ideen für die Optimierung der
subjektiven Gesundheit chronisch Kranker zu sammeln. Im Rahmen dieser
Untersuchung wird folgender Fragestellung nachgegangen:
Bilden generische Lebensqualitätsmessungen die subjektive Gesundheit
genügend ab?
Hypothese: Personen mit einer chronischen Erkrankung (Diabetes, Rheuma,
HIV) weichen in der Bewertung ihrer subjektiven Gesundheit von den
Ergebnissen standardisierter Messinstrumente ab.
5.1.2 Teilnehmer/innen
Folgende Kriterien müssen für die Teilnahme erfüllt sein:
 Art der chronischen Erkrankung (Diabetes, Rheuma, HIV)
 Alter über 14 Jahre
 deutsche Sprachkenntnisse
67
Insgesamt waren an der Untersuchung drei Teilnehmer/innen mit je einer
chronischen Krankheit Diabetes, Rheuma und HIV einbezogen. Die Auswahl
der Personen ergaben sich durch die beruflichen, familiären und
freundschaftlichen Kontakte des Verfassers.
5.1.3 Auswertung
Die Auswertung errechnet sich über Addition der angekreuzten
Itembeantwortungen pro Skala zuzüglich deren Gewichtung. Die Formeln für
die Zusammenfassung der Items und die Umwandlung in Skalenwerte sind im
Handbuch für die deutschsprachige Fragebogenversion veröffentlicht (Bullinger
& Kirchberger, 1998).
Für die vorliegende Untersuchung erfolgte die Auswertung mittels eines im
Internet zugänglichen Computerauswertungsprogramms von Swoboda &
Weichmeier (1997) unter (www.med.uni-muenchen.de/mfv/sf36 .html), in
englischer Sprache (Ware,1997) unter
(www.qualitymetric.com/innohome/insf36.shtml) und beinhaltet neben der
Tabelle der erreichten Punktzahl von einzelnen Items eine grafische Darstellung
über die jeweiligen gesundheitsbezogenen Lebensqualitätsdimensionen sowie
eine zusammenfassende Graphik der körperlichen und psychischen
Summenskalen.
5.2 Interviews und kommunikative Validierung
Zusätzlich zu dem schriftlich auszufüllenden SF-36 Fragebogen wurde mit
den einzelnen Teilnehmern/innen ein strukturiertes Interview geführt, das die
gleichen Fragen des Tests beinhaltet. Hier liegt die Überlegung zugrunde, dass
die Wiederholung der Fragen bei mündlicher und schriftlicher Form zu
unterschiedlichen Ergebnissen führen kann. Durch die Befragung ist es den
Teilnehmern möglich, von der vorgefertigten Antwort abzuweichen, so dass
durch die mündliche Antwort Zusatzinformationen im Hinblick auf die Bewertung
und pädagogische Interventionsmöglichkeiten zu erwarten sind.
68
Die zusätzliche und letzte Frage erkundigt sich nach der subjektiven
Einschätzung in Bezug auf die Richtigkeit des Testergebnisses und nach der
subjektiven Vollständigkeit lebensqualitätsbezogener Dimensionen. Damit
erfolgt eine kommunikative Validierung, in der die Teilnehmer/innen die
Ergebnisse zur Diskussion gestellt werden (Ludwig-Mayerhofer, 1999).
Bei den nachfolgenden Fallbeispielen werden die Dimensionen in den
Tabellen- und Diagrammangaben wie folgt abgekürzt:
KÖFU
> körperliche Funktionsfähigkeit,
KÖRO
> körperliche Rollenfunktion,
SCHM
> körperliche Schmerzen,
AGES
> allgemeine Gesundheit,
VITA
> Vitalität,
SOFU
> soziale Funktionsfähigkeit,
EMRO
> emotionale Rollenfunktion,
PSYC
> psychisches Wohlbefinden,
PSW
> psychischer Summenwert
KSW
> körperlicher Summenwert
Die Tabellen weisen mit der erreichten Punktzahl die normierten Werte der
einzelnen Dimensionen aus. Die dazugehörigen Konfidenzintervalle bezeichnen
einen Wertebereich innerhalb derer sich die Wahrscheinlichkeit der errechneten
Daten bewegt. Sie gibt damit die Präzision der Schätzung an (LudwigMayerhofer, 1999).
Beispiel: Bei einer errechneten Punktzahl von 57.03 für körperliche
Funktionsfähigkeit, liegt die Wahrscheinlichkeit der Sicherheit für diesen Wert
bei plus/minus 5.02. Der Wert wird als vertikaler Strich im oberen Bereich der
Dimensionenwerte grafisch dargestellt.
In den Diagrammangaben werden Mittelwert und Standardabweichung wie folgt
abgekürzt:
MW
> Mittelwert: kennzeichnet die Summe der Einzelwerte
(Ludwig-Mayhofer, 1999).
SA
> Standardabweichung: dient dazu verschiedene normierte
69
Messwerte vergleichbar zu machen und zeigt an, ob ein
errechneter Mittelwert typisch ist. Standardisierte Werte haben
einen Mittelwert von 0 und eine Standardabweichung von 1
(Ludwig-Mayhofer, 1999).
5.2.1 Fallbeispiel: Diabetes mellitus
Zur Person:
Herr A. ist Mitte 40, im Polizeidienst voll berufstätig, sehr sportlich und
gesundheitsbewusst. Vor 7 Monaten ist im Rahmen einer
Vorsorgeuntersuchung Diabetes mellitus diagnostiziert worden. Seither bemüht
sich Herr A. intensiv, seine Krankheit und die Auswirkungen auf den Körper zu
verstehen, und „in den Griff zu bekommen“ (Hr. A., persönl. Mitteilung,
16.09.01). Neben seiner Familie wissen nur wenige ausgesuchte Freunde,
Bekannte und Kollegen von seiner Krankheit, da er berufliche Nachteile
befürchtet.
Die Auswertung des SF-36 zeigt Tabelle 8:
KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA
SOFU EMRO PSYC
PSW
KSW
Punktzahl
57.03 56.85 62.12 35.3
52.09 45.94 55.88 41.56 56.39 44.44
Konfidenz-
5.02
7.74
4.48
7.74
8.24
6.92
5.3
7.74
4.48
intervall
Tab.8 Dimensionenwerte, Konfidenzintervalle; psychische und körperliche
Summenwerte für Diabetes mellitus.
5.3
70
Dimensionenwerte Diabetes
80
+3SA
70
+2SA
60
+1SA
50
MW
40
-1SA
30
-2SA
20
-3SA
10
0
KÖFU
KÖRO
SCHM
AGES
VITA
SOFU
EMRO
PSYC
Diagramm 1 Grafische Darstellung der Dimensionenwerte für Diabetes Mellitus.
Summenwerte Diabetes
80
+3SA
70
+2SA
60
+1SA
50
MW
40
-1SA
30
-2SA
20
-1SA
10
0
PSW
KSW
Diagramm 2 Grafische Darstellung der psychischen und körperlichen
Summenwerte für Diabetes mellitus.
71
Interview mit Herrn A. am 16.09.01
Zu 1. Wie würden Sie ihren Gesundheitszustand im Allgemeinen beschreiben?
Ausgezeichnet, sehr gut, gut, weniger gut, schlecht.
Schlicht und ergreifend „weniger gut“. Ganz subjektiv kann ich nicht einfach
sagen, dass ich gesund bin oder mich gesund fühle, ich habe nun mal
Diabetes! Aber durch den Diabetes lebe ich jetzt für meinen Körper
gesünder.
Zu 2. Im Vergleich zum vergangenen Jahr, wie würden Sie ihren derzeitigen
Gesundheitszustand beschreiben? Viel besser als vor einem Jahr, besser
als vor einem Jahr, gleich wie vor einem Jahr, schlechter als vor einem Jahr,
viel schlechter als vor einem Jahr.
Im Vergleich zum vergangenen Jahr geht es mir sehr viel schlechter, weil
ich vor einem Jahr noch nichts von meinem Diabetes wusste oder hatte.
Zu 3. Sind Sie durch ihren jetzigen Gesundheitszustand bei folgenden
Tätigkeiten eingeschränkt? a. Anstrengende Tätigkeiten, b. Mittelschwere
Tätigkeiten, c. Einkauftaschen heben oder tragen, d. mehrere Stockwerke
steigen, e. ein Stockwerk steigen, f. sich beugen, knien, bücken, g. mehr als
einen Kilometer zu Fuß gehen, h. mehrere Straßenkreuzungen gehen, i.
eine Straßenkreuzung gehen, j. sich baden
oder anziehen.
Nein, ich bin in keiner der aufgeführten Tätigkeiten in irgend einer Weise
eingeschränkt, selbst die „anstrengenden Tätigkeiten“, unter a) aufgeführt,
machen mir keine Schwierigkeiten. Ich halte mich mit 7-Kilometer-Läufen
körperlich fit, so dass mir „schnell laufen, schwere Gegenstände heben und
anstrengender Sport“ nichts ausmachen. Aber: Wettkämpfe kann ich nicht
mehr bestreiten, weil ich nicht abschätzen kann, wie es mit meinem Zucker
bei langer, fremdgesteuerter Anstrengung aussieht.
Zu 4. Hatten Sie in den vergangenen 4 Wochen aufgrund Ihrer körperlichen
72
Gesundheit irgendwelche Schwierigkeiten bei der Arbeit oder anderen
alltäglichen Tätigkeiten im Beruf bzw. Zuhause? A. Ich konnte nicht so lange
wie üblich tätig sein, b. ich habe weniger geschafft als ich wollte, c. ich
konnte nur bestimmte Dinge tun, d. ich hatte Schwierigkeiten bei der Arbeit
oder bei der Durchführung anderer Tätigkeiten.
Objektiv gesehen habe ich keine Schwierigkeiten oder Belastungen im Beruf
und alltäglichen Tätigkeiten, aber ich muss viel bewusster planen und
handeln. Ich kann nicht mehr so spontan sein in meinem Alltag. Mein
Bewusstsein hat sich gewandelt. Als Beispiel fällt mir ein, dass ich neulich,
bevor ich in den Keller ging, um an etwas zu arbeiten, 2 ZwischenBroteinheiten für die kommende Arbeit gegessen hatte. Plötzlich steht
meine Frau in der Haustür, sie ist früher als geplant nach Hause gekommen.
Sie schlug vor, erst mal einen Kaffee zu trinken, aber ich konnte nicht, ich
hatte ja gerade erst 2 Broteinheiten zu mir genommen! Um meine Werte
nicht durcheinander zu bringen, haben wir also zu diesem Zeitpunkt keinen
Kaffee gemeinsam getrunken, sondern wie normalerweise erst später. Und
da liegt das Problem: die Spontaneität ist hin, ich bilde feste Rituale von
Essen und Injektionen, dann muss ich mir keine Gedanken machen.
Zu 5. Hatten Sie in den vergangenen 4 Wochen aufgrund seelischer Probleme
irgendwelche Schwierigkeiten bei der Arbeit oder anderen alltäglichen
Tätigkeiten (z.B., weil Sie sich niedergeschlagen oder ängstlich fühlten)? A.
Ich konnte nicht so lange wie üblich tätig sein, b. ich habe weniger geschafft
als ich wollte, c. ich konnte nicht so sorgfältig wie üblich arbeiten.
Nein, nicht in den letzten 4 Wochen, aber ich denke dauernd an meine
Krankheit, der Diabetes-Film läuft dauernd im Hintergrund mit. Ängstlich und
niedergeschlagen war ich vor 7 Monaten, als ich die Diagnose bekam.
Zu 6. Wie sehr haben Ihre körperliche Gesundheit oder seelischen Probleme in
den vergangenen 4 Wochen Ihre normalen Kontakte zu
Familienangehörigen, Freunden, Nachbarn oder zum Bekanntenkreis
beeinträchtigt? Überhaupt nicht, etwas, mäßig, ziemlich, sehr.
73
Überhaupt nicht. Aber mir ist aufgefallen, dass das Verhältnis zu einigen ein
anderes geworden ist, ich meine eine gewisse Distanziertheit zu spüren,
vermutlich weil sie damit nicht umgehen können. Jedenfalls wird teilweise
nicht über mein Diabetes gesprochen.
Zu 7. Wie stark waren Ihre Schmerzen in den vergangenen 4 Wochen? Ich
hatte keine Schmerzen, sehr leicht, leicht, mäßig, stark, sehr stark.
Schmerzen hatte ich keine.
Zu 8. Inwieweit haben Schmerzen Sie in den vergangenen 4 Wochen beider
Ausübung ihrer Alltagstätigkeiten zu Hause und im Beruf behindert?
Überhaupt nicht, etwas, mäßig, ziemlich, sehr.
Da ich keine Schmerzen hatte: überhaupt nicht.
Zu 9. In diesen Fragen geht es darum, wie Sie sich fühlen und wie es Ihnen in
den vergangenen 4 Wochen gegangen ist. Wie oft waren Sie in den
vergangenen 4 Wochen ... a. voller Schwung, b. sehr nervös, c. so
niedergeschlagen, dass sie nichts aufheitern konnte, d. ruhig und gelassen,
e. voller Erfolg, f. entmutigt und traurig, g. erschöpft, h. glücklich, i. müde?
„Voller Schwung“ kann ich nicht mehr sein, mein Diabetes lässt sich nicht
abschütteln. Nervös bin ich nie und niedergeschlagen manchmal, wenn
meine Blutzucker-Werte nicht meinem Gefühl, Vorstellungen und
Erwartungen entsprechen. Meist bin ich aber gelassen durch die Routine
und wenn die Werte „gut“ sind und ich mich nicht verschätzt habe. Entmutigt
bin ich zum Beispiel, wenn ein Wert oder mehrere nicht meiner Erwartung
entspricht und ich mir überhaupt nicht erklären kann, wie er zustande
kommen konnte. Wenn ich soundso viel esse, muss ich soundso viel
spritzen und bekomme erfahrungsgemäß soundso einen Wert. Wenn das
nicht “hinhaut“, obwohl ich alles richtig gemacht habe, bin ich ratlos und
entmutigt. Ich verstehe es einfach nicht! Erschöpft bin ich manchmal, aber
das hat nichts mit dem Diabetes zu tun, genauso wie die Müdigkeit. Und
74
Glücklichsein ist für mich ein Hochgefühl, und in Bezug auf den Diabetes
gibt es das für mich nicht.
Zu 10. Wie häufig haben ihre körperliche Gesundheit oder seelischen Probleme
in den vergangenen 4 Wochen ihre Kontakte zu anderen Menschen
(Besuche bei Freunden, Verwandten usw.) beeinträchtigt? Immer, meistens,
manchmal, selten, nie.
Wenn wir eine Einladung zum Essen bekommen von jemandem, der nicht
weiß dass ich Diabetes habe, dann werde ich unsicher und verliere das
Interesse. Ich weiß dann nicht, wie viel ich wovon essen kann, weil ich nicht
weiß, was drin ist oder wie es zubereitet ist. Ich müsste dann später auf die
Toilette und messen... . Das macht mir Stress und keine Freude. Also
versuche ich, Situationen, die ich nicht einschätzen, kann zu vermeiden.
Zu 11. Inwieweit trifft jede der folgenden Aussagen auf Sie zu? A. Ich scheine
etwas leichter als andere krank zu werden, b. ich bin genauso gesund wie
alle anderen die ich kenne, c. ich erwarte, dass sich meine Gesundheit
verschlechtert, d. ich erfreue mich ausgezeichneter Gesundheit.
Ich habe nicht den Eindruck, leichter als andere krank zu werden und bin
deshalb auch genauso gesund wie alle anderen. Allerdings erwarte ich,
dass sich meine Gesundheit verschlechtert, denn selbst wenn ich den
„Anfängen wehre“, indem ich sehr genau auf meine Werte achte, so weiß
ich doch um die Wahrscheinlichkeit der Verschlechterung und die
Spätfolgen, die der Diabetes nach sich ziehen kann. Punkt d) „ich erfreue
mich ausgezeichneter Gesundheit“ trifft auf mich überhaupt nicht zu: ich
habe Diabetes, das kann nicht gesund sein!
 Der vorliegende Bogen ist ein Instrument zur Messung der
krankheitsübergreifenden gesundheitsbezogenen Lebensqualität.
Gibt es Fragen, die Ihnen fehlen, und würden Sie Ihre Lebensqualität
genauso beurteilen, wie es das Ergebnis des Tests es tut?
75
Erstmal bin ich enttäuscht über die geringe Anzahl von Fragen, ich hätte das
fünffache an Fragen erwartet. Aber mir fällt jetzt auch nichts ein, was mir
fehlen würde, was alles noch hätte gefragt werden sollen. Was mir fehlt, ist
eine differenziertere Fragestellung, so dass man genauer antworten könnte.
Außerdem schränkt mich die zeitliche Begrenzung auf 4 Wochen in der
Beantwortung der Fragen ein. Aber das ist in meinem Wunsch nach einer
größeren Differenzierung enthalten.
Das Ergebnis des Tests überrascht mich nicht, ich weiß ja, dass ich
körperlich fit bin, weil ich ja auch gesundheitsbewusst lebe.
Psychisches Wohlbefinden, soziale Funktion und allgemeine
Gesundheitswahrnehmung sind die Bereiche, die bei mir unter dem
Durchschnitt liegen. Und das zeigt ja nur, dass mir die Krankheit mental zu
schaffen macht wenn ich das Gefühl habe, dass ich sie nicht“ im Griff“ habe.
Meine allgemeine Gesundheitswahrnehmung hat deshalb den niedrigsten
Wert, weil ich ja weiß, dass ich nicht gesund bin, auch wenn es mir
allgemein gut geht.
Die soziale Komponente der Lebensqualität ist mir persönlich nicht so
wichtig, ich habe genug mit mir selbst zu tun. Ich ärgere mich über einige
Leute in der Selbsthilfegruppe, die auf meine Fragen so tun, dass das alles
nicht so wichtig ist, weil sie es selber schon hinter sich haben.
Was mir fehlt, ist, dass wir gar nicht über Lebensqualität gesprochen haben.
Fragen wie: wie beurteilen Sie ihre Lebensqualität, oder wie hat die
Krankheit Ihre Lebensqualität beeinflusst? Meine Lebensqualität ist
gesunken, weil mir bewusst ist, dass ich Diabetes habe.
5.2.2 Fallbeispiel: Rheumatische Erkrankung
Zur Person:
Frau B. ist 70 Jahre alt, lebte bis Mai 2001 allein zu Hause und wurde von ihrer
Tochter sowie durch eine ambulante Versorgung 3x täglich betreut. Nach einer
erfolgreichen Operation im Halswirbel-Bereich verbringt sie im Rahmen einer
Krankenhausliegezeitverkürzung ihre Rekonvaleszenz in einer vollstationären
Pflegeeinrichtung. Frau B. leidet seit mehr als 10 Jahren an einer
rheumathoiden Polyarthritis und in der Folge an einer Knochendegeneration
76
beider Hände und Finger sowie einer Degeneration beider Knie. Hinzu kommen
eine hochgradige Osteoporose und zunehmende ischiämische Schmerzen. Die
Interviewteilnehmerin sitzt im Rollstuhl, kann nur mit speziell geformtem
Besteck und anderen Hilfsmitteln kleingeschnittene Nahrung aufnehmen,
vermag nicht aus eigener Kraft zu stehen, so dass Kleidungswechsel,
Grundpflege, Toilettengänge nur mit zwei Pflegepersonen möglich sind, um bei
der bestehenden Osteoporose Knochenbrüche und dem Rheuma
Bewegungschmerzen zu vermeiden.
Die Beweglichkeit von Frau A. ist soweit eingeschränkt, dass sie für das
Aufsetzen auf die Bettkante, das Drehen im Bett, den Transfer in bzw. aus dem
Rollstuhl, das Aufsuchen der Toilette oder der Körperpflege Hilfe benötigt. Frau
B. ist in Bezug auf Zeit, Ort und Person voll orientiert, die Kommunikation ist
ungestört, sie ist kontaktfreudig und ihre Hobbys sind Lesen und Fernsehen.
Die Auswertung des SF-36 zeigt Tabelle 9:
KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA
SOFU EMRO PSYC
PSW
KSW
Punktzahl
14.94 17.67 24.93 35.3
36.48 24.13 9.23
27.48 24.76 25.95
Konfidenz-
5.02
7.74
7.74
4.48
7.74
8.24
6.92
5.3
4.48
intervall
Tab.9 Dimensionenwerte, Konfidenzintervalle; psychische und körperliche
Summenwerte für rheumatische Erkrankung.
Dimensionenwerte Rheuma
80
+3SA
70
+2SA
60
+1SA
50
MW
40
-1SA
30
-2SA
20
-1SA
10
0
KÖFU
KÖRO
SCHM
AGES
VITA
SOFU
EMRO
PSYC
5.3
77
Diagramm 3 Grafische Darstellung der Dimensionenwerte für rheumatische
Erkrankung
Summenwerte Rheuma
80
+3SA
70
+2SA
60
+1SA
50
MW
40
-1SA
30
-2SA
20
-3SA
10
0
PSW
KSW
Diagramm 4 Grafische Darstellung der psychischen und körperlichen
Summenwerte für rheumatische Erkrankung.
Interview mit Frau B. am 17.12.01
Zu 1. Wie würden Sie ihren Gesundheitszustand im Allgemeinen beschreiben?
Ausgezeichnet, sehr gut, gut, weniger gut, schlecht.
Wissen Sie, ich habe hier die Antwort „weniger gut“ angekreuzt, weil ich ja
trotz KG [Krankengymnastik] immer noch nicht Stehen kann. Seit der HWSOP [Halswirbeloperation] ist alles schlimmer geworden, da habe ich
wochenlang nur im Bett gelegen, konnte nicht einmal aufstehen, wissen Sie.
Hier geht es mir schon viel besser, ich sitze draußen bei den Anderen, im
Speisesaal, bei gutem Wetter fährt mich meine Tochter spazieren bis zu
dem Zeitpunkt, als ich mir beim Umsetzen vom Bett in den Rollstuhl eine
Rippe brach. Sie wissen ja, ich habe Osteoporose. Da ging es mir dann
wieder schlechter, ich habe ja immer Schmerzen, mal mehr, mal weniger,
aber da konnte ich nur auf einer Seite liegen, bis mir die ganze Seite wehtat,
es war zum Verrücktwerden. Aber jetzt geht es mir wieder besser, deshalb
78
habe ich „weniger gut“ angekreuzt und nicht „schlecht“. Ich finde, es geht mir
sogar ganz gut, wenn nicht immer diese Schmerzen wären.
Zu 2. Im Vergleich zum vergangenen Jahr, wie würden sie ihren derzeitigen
Gesundheitszustand beschreiben? Viel besser als vor einem Jahr, besser
als vor einem Jahr, gleich wie vor einem Jahr, schlechter als vor einem Jahr,
viel schlechter als vor einem Jahr.
Da geht es mir eindeutig schlechter als vor einem Jahr. Bevor ich ins
Krankenhaus kam und nun hier in stationärer Pflege bin, wohnte ich
Zuhause. Meine Wohnung ist nach meinen Bedürfnissen umgebaut worden,
Sie wissen schon, Rampen für den Rollstuhl, Handläufe in Schlafzimmer,
Bad und Küche, das Essen bekam ich geliefert, und dreimal am Tag kam
mein “Zivi“ um mir beim Ausziehen, Einkaufen usw. zu helfen. Meine
Tochter kam auch vorbei, um nach mir zu sehen. Aber da konnte ich noch
stehen, wissen Sie? Seit dem ewigen „Herumgeliege“ im Krankenhaus habe
ich keine Kraft mehr in den Beinen.
Zu 3. Sind Sie durch ihren jetzigen Gesundheitszustand bei folgenden
Tätigkeiten eingeschränkt? a. Anstrengende Tätigkeiten, b. mittelschwere
Tätigkeiten, c. Einkaufstaschen heben oder tragen, d. mehrere Stockwerke
steigen, e. ein Stockwerk steigen, f. sich beugen, knien, bücken, g. mehr als
einen Kilometer zu Fuß gehen, h. mehrere Straßenkreuzungen weit zu Fuß
gehen, i. eine Straßenkreuzung weit zu Fuß gehen, j. sich baden oder
anziehen.
Alle Tätigkeiten, die da erwähnt sind, kann ich nicht ausführen. Aber ich
habe meinen Alltag ganz gut organisiert. Seit mein Mann tot ist, helfen mir
meine Tochter und ihr Mann. Der „Zivi“ kommt ja auch drei mal täglich, und
damit habe ich alle Hilfe, die ich brauche.
Zu 4. Hatten Sie in den vergangenen vier Wochen aufgrund ihrer körperlichen
Gesundheit irgendwelche Schwierigkeiten bei der Arbeit oder anderen
alltäglichen Tätigkeiten im Beruf bzw. Zuhause? A. Ich konnte nicht so lange
wie üblich tätig sein, b. ich habe weniger geschafft als ich wollte, c. ich
79
konnte nur bestimmte Dinge tun, d. ich hatte Schwierigkeiten bei der Arbeit
oder bei der Durchführung anderer Tätigkeiten.
Wissen Sie, in meinem Alter muss ich nicht mehr arbeiten. Im Alltag sieht
das anders aus: meine körperliche Gesundheit schwankt täglich. Ich merke
es immer erst in dem Moment, in dem ich etwas tun will, aber merke, dass
ich es nicht so schaffe, wie ich es mir vorgenommen hatte oder gestern
noch geschafft hatte. An manchen Tagen kann ich eben mehr, weil ich
weniger Schmerzen habe. Und sei es einfach nur, dass ich nachts gut
geschlafen habe, dann kann ich am nächsten Tag viel besser mithelfen.
Zu 5. Hatten sie in den vergangenen 4 Wochen aufgrund seelischer Probleme
irgendwelche Schwierigkeiten bei der Arbeit oder anderen alltäglichen
Tätigkeiten (z.B. weil Sie sich niedergeschlagen oder ängstlich fühlten)? a.
Ich konnte nicht so lange wie üblich tätig sein, b. ich habe weniger geschafft
als ich wollte, c. ich konnte nicht so sorgfältig wie üblich arbeiten.
Auch hier ist es das gleiche, auch meine Niedergeschlagenheit oder Freude
schwankt täglich. Natürlich war ich in den letzten 4 Wochen
niedergeschlagen. Ich kann immer noch nicht stehen, und das nun seit 3
Monaten. Trotz Krankengymnastik sacken mir meine Beine weg, und meine
Knie schmerzen. Manchmal habe ich große Angst, dass ich nie mehr nach
Hause komme. Mein Schwiegersohn hat schon gefragt, ob ich etwas
dagegen hätte, wenn er sich schon mal ein paar Heime anschaut. Das hat
mich schrecklich demoralisiert. Aber ich habe mir gedacht, lass ihn mal
gucken, ins Heim gehe ich sowieso nicht. Wenn ich doch bald wieder stehen
könnte, dann wäre ich auch diesen schrecklichen Dauerkatheter los. Aber
der Arzt sagt, er wäre nur zu meinem Besten, denn je häufiger ich vom
Rollstuhl auf die Toilette gesetzt würde, umso schmerzhafter wäre es für
mich, außerdem würde damit das Risiko von Knochenbrüchen geringer.
Aber wissen Sie, nur um das Ding loszuwerden, würde ich dieses Risiko
eingehen. Na ja, es wird schon wieder werden.
Zu 6. Wie sehr haben Ihre körperliche Gesundheit oder seelischen Probleme in
80
den vergangenen 4 Wochen Ihre normalen Kontakte zu
Familienangehörigen, Freunden, Nachbarn oder zum Bekanntenkreis
beeinträchtigt? Überhaupt nicht, etwas, mäßig, ziemlich, sehr.
Also, meine Tochter kommt mich regelmäßig besuchen, aber das hat sie
Zuhause auch getan. Meine Freundin ist auch schon hierher gekommen und
hat mich besucht, außerdem telefonieren wir miteinander, so wie vorher
auch. Allerdings bin ich die letzten Monate nicht einmal bei ihr gewesen.
Wissen Sie, sie hat einen wunderschönen Garten. Aber dadurch, dass ich
nicht mehr stehen kann, kann ich mich auch in kein Auto mehr setzen, ich
bräuchte so einen Behindertentransport, wo man mich samt Rollstuhl auf die
Ladefläche schiebt, das will ich nicht. Meine Nachbarn Zuhause sehe ich gar
nicht mehr. Die habe ich meist nur getroffen, wenn ich mit meinem „Zivi“
spazieren gefahren bin.
Dafür habe ich hier mit einer Dame Bekanntschaft geschlossen, wir sitzen
im Essraum zusammen an einem Tisch, und auch im Garten sitzen wir
meistens zusammen und unterhalten uns. Ihre Familie ist furchtbar nett, und
meine Tochter mag sie auch.
Zu 7. Wie stark waren Ihre Schmerzen in den vergangenen 4 Wochen? Ich
hatte keine Schmerzen, sehr leicht, leicht, mäßig, stark, sehr stark.
Die Schmerzen werden immer schlimmer, habe ich den Eindruck. Manchmal
kann ich nachts nicht schlafen, ich weiß gar nicht, wie ich liegen soll, mein
Ischias bringt mich noch um. Ich muss dann klingeln und die Nachtwache
bitten, mich auf der anderen Seite oder auf dem Rücken zu lagern. Oft
mehrmals in der Nacht. Manchmal aber überhaupt nicht. In den letzten 4
Wochen ist es aber schlimmer geworden, ich muss mal mit dem Arzt
sprechen, was man da machen kann.
Zu 8. Inwieweit haben die Schmerzen Sie in den vergangenen 4 Wochen bei
der Ausübung Ihrer Alltagstätigkeiten zu Hause und im Beruf behindert?
Überhaupt nicht, etwas, mäßig, ziemlich, sehr.
81
Weder im Beruf noch Zuhause. Aber manchmal sind die Schmerzen so
stark, dass ich mich im Rollstuhl vornüber beugen muss, um meinen Rücken
zu entlasten, oder ich muss die Schwestern bitten, mich zwischendurch aufs
Bett zu legen, weil ich vor Schmerz einfach nicht mehr sitzen kann. Sitzen
Sie mal stundenlang im Rollstuhl!
Zu 9. In diesen Fragen geht es darum, wie Sie sich fühlen und wie es Ihnen in
den vergangenen 4 Wochen gegangen ist. Wie oft waren Sie in den
vergangenen Wochen ... a. voller Schwung, b. sehr nervös, c. so
niedergeschlagen, dass nichts Sie aufheitern konnte, d. ruhig und gelassen,
e. voller Erfolg, f. entmutigt und traurig, g. erschöpft, h. glücklich, i. müde?
Am besten gehe ich die Fragen einzeln durch: „voller Schwung“ bin ich in
letzter Zeit gewesen, wenn die Übungen mit der Krankengymnastin einen
Fortschritt gemacht haben, das heißt, wenn die Schmerzen mir
Bewegungen erlauben, die ich sonst ohne Schmerzen nicht machen konnte,
die Knie durchdrücken zum Beispiel oder Fahrradfahren auf diesem
Heimtrainer. Dann fühle ich, dass es bergauf geht, dann fühle ich mich gut.
Allerdings ist das Gefühl sehr tagesabhängig, je nach Schmerzen oder
Rheuma-Schub. Nervös bin ich häufig, weil ich mir Gedanken mache, wie es
weitergehen soll. Dann bin ich auch sehr niedergeschlagen. Dann mache
ich mir Sorgen, dass ich vielleicht ins Heim muss und das wenige, das ich
bisher alleine entscheiden konnte, auch noch verloren geht. Andererseits
denke ich, es kommt, wie es kommen muss, da werde ich auch mit fertig,
bin ich bisher ja auch! So ist es auch mit dem Erfolg: schaffe ich mehr als
erwartet, bin ich ganz zuversichtlich, schaffe ich weniger, dann bin ich
traurig. Müde und erschöpft bin ich nach langem Sitzen im Rollstuhl, nach
der Krankengymnastik oder wenn ich Schmerzen habe, die ich nicht
aushalten kann. Glücklich bin ich, wenn meine Tochter zu Besuch kommt
oder eine Freundin und wir draußen spazieren fahren. Aber auch wenn ich
mit der Dame hier aus dem Haus und deren Familie in größerer Runde
beisammensitze, dann ist die Stimmung meist fröhlich und ausgelassen.
Zu 10. Wie häufig haben Ihre körperliche Gesundheit oder seelischen Probleme
82
in den vergangenen 4 Wochen Ihre Kontakte zu anderen Menschen
(Besuche bei Freunden, Verwandten usw.) beeinträchtigt? Immer, meistens,
manchmal, selten, nie.
Na ja, Besuche konnte ich seit meinem Krankenhausaufenthalt und
eigentlich auch vorher nicht mehr machen. Wie gesagt, seit ich nicht mehr
stehen kann, kann ich in kein Auto mehr einsteigen. Die letzten Jahre war es
sowieso so, dass meine Verwandten und Freunde mich besuchen kamen.
So ist es hier auch, nur dass sie eben hierher kommen.
Zu 11. Inwieweit trifft jede der folgenden Aussagen auf Sie zu? a. Ich scheine
etwas leichter als andere krank zu werden, b. ich bin genauso gesund wie
alle anderen, die ich kenne, c. ich erwarte, dass sich meine Gesundheit
verschlechtert, d. ich erfreue mich ausgezeichneter Gesundheit.
Dass ich leichter als andere krank werde, ist Unsinn. Einigen Bekannten
geht es gesundheitlich besser, anderen schlechter, andere sind schon tot,
und ich habe eben Rheuma. Und dass ich genauso gesund bin wie alle
anderen, die ich kenne, kann ich auch nicht behaupten, die haben eben
andere Krankheiten. Also mein Mann hatte Lungenkrebs, der Mann einer
Freundin einen Schlaganfall , also tauschen möchte ich mit dem nicht, ich
bin wenigstens geistig völlig gesund. Allerdings erwarte ich, dass sich mein
Gesundheitszustand verschlechtert. Der Verlauf der letzten Jahre zeigt es
deutlich; ich saß ja nicht immer im Rollstuhl, und die Schmerzen sind auch
schlimmer geworden. Ich will darüber aber gar nicht nachdenken, ich will
erst mal wieder stehen können und wieder nach Hause kommen. Wird
schon werden.
 Der vorliegende Bogen ist ein Instrument zur Erfassung der
krankheitsübergreifenden gesundheitsbezogenen Lebensqualität.
Gibt es Fragen, die Ihnen fehlen, und würden Sie ihre Lebensqualität
genauso einschätzen, wie es das Ergebnis des Tests es tut?
Ehrlich gesagt, bin ich über das Ergebnis ziemlich erschrocken. Ich weiß ja,
dass ich für so ziemlich alles fremde Hilfe brauche, aber es ist schon bitter,
83
wenn man mit eigenen Augen schwarz auf weiß sieht, dass man nichts
mehr kann. Ich liege insgesamt ja im unteren Drittel, einiges ist unter der
Nachweisgrenze. Dabei finde ich gar nicht, dass meine Lebensqualität so
schlecht ist. Sicher geht es mir schlecht, das weiß ich ja auch, aber sooo
schlecht?
5.2.3 Fallbeispiel: HIV
Zur Person:
Herr C. ist 38 Jahre alt, voll berufstätig im Öffentlichen Dienst und hat im
Rahmen einer neuen homosexuellen Partnerschaft vor 4 ½ Jahren einen HIVTest machen lassen, mit positivem Ergebnis. Sein Partner ist HIV-negativ.
Die Auswertung des SF-36 zeigt Tabelle 10:
KÖFU KÖRO SCHM AGES VITA
SOFU EMRO PSYC
PSW
KSW
Punktzahl
54.93 56.85 62.12 50.55 52.09 56.85 55.88 55.64 56.12 54.46
Konfidenz-
5.02
4.48
7.74
8.24
7.74
6.92
5.3
7.74
4.48
5.3
intervall
Tab.10 Dimensionenwerte, Konfidenzintervalle; psychische und körperliche
Summenwerte für HIV.
84
Dimensionenwerte HIV
80
+3SA
70
+2SA
60
+1SA
50
MW
40
-1SA
30
-2SA
20
-3SA
10
0
KÖFU
KÖRO
SCHM
AGES
VITA
SOFU
EMRO
PSYC
Diagramm 5 Grafische Darstellung der Dimensionenwerte für HIV.
Summenwerte HIV
80
+3SA
70
+2SA
60
+1SA
50
MW
40
-1SA
30
-2SA
20
-1SA
10
0
PSW
KSW
Diagramm 6 Grafische Darstellung der psychischen und körperlichen
Summenwerte für HIV.
Interview mit Herrn C. am17.10.01
85
Zu 1. Wie würden Sie ihren Gesundheitszustand im Allgemeinen beschreiben?
Ausgezeichnet, sehr gut, gut, weniger gut, schlecht.
Trotz HIV „sehr gut“, ich fühle mich körperlich nicht beeinträchtigt. Ich treibe
keinen Sport, nehme meine Medikamente, verspüre keine Nebenwirkungen
und fühle mich deshalb sehr gut.
Zu 2. Im Vergleich zum vergangenen Jahr, wie würden Sie ihren derzeitigen
Gesundheitszustand beschreiben? Viel besser als vor einem Jahr, besser
als vor einem Jahr, gleich wie vor einem Jahr, schlechter als vor einem Jahr,
viel schlechter als vor einem Jahr.
Im Vergleich zum Vorjahr hat sich nichts verändert. Zwischenzeitlich, vor
zwei Monaten, war meine Viruslast erhöht, aber durch eine Neukombination
meiner Medikamente ist alles wieder ok.
Zu 3. Sind sie durch ihren jetzigen Gesundheitszustand bei folgenden
Tätigkeiten eingeschränkt? a. Anstrengende Tätigkeiten, b. mittelschwere
Tätigkeiten, c. Einkaufstaschen heben oder tragen, d. mehrere Stockwerke
steigen, e. ein Stockwerk steigen, f. sich beugen, knien, bücken, g. mehr als
einen Kilometer zu Fuß gehen, h. mehrere Straßenkreuzungen weit zu Fuß
gehen, i. eine Straßenkreuzung weit zu Fuß gehen, j. sich baden oder
anziehen.
Bei sämtlichen Tätigkeiten, von „mittelschweren Tätigkeiten“ abwärts, bin ich
überhaupt nicht eingeschränkt, ich bin ja kein Opa. Bei „anstrengenden
Tätigkeiten“ ist es etwas anderes, da bin ich etwas eingeschränkt, weil ich
das aber noch nie konnte. Anstrengende Tätigkeiten habe ich mein Leben
lang versucht zu vermeiden.
Zu 4. Hatten Sie in den vergangenen 4 Wochen aufgrund Ihrer körperlichen
Gesundheit irgendwelche Schwierigkeiten bei der Arbeit oder anderen
alltäglichen Tätigkeiten im Beruf bzw. zu Hause? A. Ich konnte nicht so
lange wie üblich tätig sein, b. ich habe weniger geschafft als ich wollte, c. ich
konnte nur bestimmte Dinge tun, d. ich hatte Schwierigkeiten bei der Arbeit
oder bei der Durchführung anderer Tätigkeiten.
86
Wie gesagt, ich fühle mich sehr gut. Also: nein.
Zu 5. Hatten Sie in den vergangenen 4 Wochen aufgrund seelischer Probleme
irgendwelche Schwierigkeiten bei der Arbeit oder anderen alltäglichen
Tätigkeiten (z.B. weil Sie sich niedergeschlagen oder ängstlich fühlten)? a.
Ich konnte nicht so lange wie üblich tätig sein, b. ich habe weniger geschafft
als ich wollte, c. ich konnte nicht so sorgfältig wie üblich arbeiten.
Nein, aber immer alle 6 Wochen, vor und nach der großen
Blutuntersuchung. Die Unsicherheit macht mich nervös. Vor zwei Monaten
hatte ich eine erhöhte Viruslast, was mir große Sorge bereitet hat.
Niedergeschlagen war ich wegen des fehlenden Vertrauens in meinen
Körper.
Blendend ging es mir dann bei ausgewechselter Kombinations-Therapie. Ich
bin wohl ein psychosomatischer Typ, es geht mir schlagartig wieder gut,
wenn ich mental weiß, dass die Virenanzahl sinkt. Offensichtlich arbeitet
mein Verdrängungsmechanismus gut, aber der geht nicht so weit, dass ich
die Tabletten zwei mal täglich vergesse. HIV ist immer präsent, aber nicht
vordergründig im Alltag, es schränkt mich nicht ein.
Zu 6. Wie sehr haben Ihre körperliche Gesundheit oder seelische Probleme in
den vergangenen 4 Wochen Ihre normalen Kontakte zu
Familienangehörigen, Freunden, Nachbarn oder zum Bekanntenkreis
beeinträchtigt? Überhaupt nicht, etwas, mäßig, ziemlich, sehr.
Überhaupt nicht.
Zu 7. Wie stark waren Ihre Schmerzen in den vergangenen 4 Wochen? Ich
hatte keine Schmerzen, sehr leicht, leicht, mäßig, stark, sehr stark.
Ich habe keine Schmerzen, auch keine Nebenwirkungen durch die
Medikamente.
Zu 8. Inwieweit haben Schmerzen Sie in den vergangenen 4 Wochen beider
87
Ausübung Ihrer Alltagstätigkeiten zu Hause und im Beruf behindert?
Überhaupt nicht, etwas, mäßig, ziemlich, sehr.
Wie gesagt, gar nicht.
Zu 9. In diesen Fragen geht es darum, wie sie sich fühlen und wie es ihnen in
den vergangenen 4 Wochen gegangen ist. Wie oft waren Sie in den
vergangenen 4 Wochen ... a. voller Schwung, b. sehr nervös, c. so
niedergeschlagen, dass nichts Sie aufheitern konnte, d. ruhig und gelassen,
e. voller Erfolg, f. entmutigt und traurig, g. erschöpft, h. glücklich, i. müde?
„Voller Schwung“ bin ich meistens, weil es keinen Grund gibt, keinen
Schwung zu haben. Ich halte mich eben in Schwung. Nur vor und nach der
Blutuntersuchung bin ich nervös, deshalb also „selten“. Und so
„niedergeschlagen dass nichts mich aufheitern könnte“ bin ich nie. Ich bin
eben ein Optimist, deshalb bin ich auch meistens gelassen. „Voller Erfolg“
bin ich manchmal, wenn ich etwas geschafft habe, was ich mir
vorgenommen hatte, aber das hat nichts mit HIV zu tun. Als Erfolg werte ich
zum Beispiel, meine Beziehung zu meistern. „Entmutigt und traurig“ bin ich
nie, wie gesagt, ich bin Optimist. Ich bin auch selten „erschöpft“, immer nur
dann, wenn es mir psychisch nicht gut geht.
Was ist „Glück“? Wenn ich frisch verliebt bin? Da halte ich es mit Hildegard
Knef: das Glück kennt nur Minuten, der Rest ist Warteraum. Ich bin ganz
allgemein glücklich, weil ich zufrieden bin und es auch sein kann.
„Müde“ bin ich manchmal, ich bin halt keine 20 mehr.
Zu 10. Wie häufig haben ihre körperliche Gesundheit oder seelischen Probleme
in den vergangenen 4 Wochen Ihre Kontakte zu anderen Menschen
(Besuche bei Freunden, Verwandten usw.) beeinträchtigt? Immer, meistens,
manchmal, selten, nie.
Nie. Wenn es mir schlecht gehen würde, würde ich den Kontakt eher
suchen. Mein Bekannten- und Freundeskreis ist der gleiche wie vor 4
Jahren, da wissen alle, dass ich HIV-pos. bin. Neuen Bekannten oder
88
Arbeitskollegen erzähle ich nichts von der Infektion, da befürchte ich
Repressalien.
Zu 11. Inwieweit trifft jede der folgenden Aussagen auf Sie zu? a. Ich scheine
etwas leichter als andere krank zu werden, b. ich bin genauso gesund wie
alle anderen, die ich kenne, c. ich erwarte, dass sich meine Gesundheit
verschlechtert, d. ich erfreue mich ausgezeichneter Gesundheit.
Ob ich „leichter als andere krank werde“, weiß ich nicht, kann ich auch gar
nicht beurteilen, aber ich fühle mich genauso gesund wie alle anderen, die
ich kenne. Es geht mir gut.
Gäbe es nicht den medizinischen Fortschritt, würde ich erwarten, dass sich
meine Gesundheit verschlechtert. Ich hoffe, dass es mir weiterhin so gut
geht, wie es mir jetzt geht, und hoffe auf den Fortschritt.
Ich „erfreue mich ausgezeichneter Gesundheit“ in bezug auf die Infektion.
Bis auf die üblichen Wehwehchen, die alle haben.
 Der vorliegende Bogen ist ein Instrument zur Messung der
krankheitsübergreifenden gesundheitsbezogenen Lebensqualität.
Gibt es Fragen, die Ihnen fehlen und würden Sie Ihre Lebensqualität
genauso beurteilen wie es das Ergebnis des Tests es tut?
Viele Fragen beschränken mich auf 4 Wochen, aber chronisch Kranke
leiden doch wohl länger als 4 Wochen an ihrer Krankheit. Vor allem
schwankt der körperliche und besonders der mentale Zustand jedes
Einzelnen. Selbst ein Jahr ist schon zu kurz, weil man ja die psychischen
und körperlichen „Tiefs“ in Erinnerung behält und mit sich rumschleppt, auch
wenn es mir heute gut geht.
Aber die Fragen als auch das Ergebnis decken sich so ziemlich mit
meiner eigenen Definition von Lebensqualität. Allerdings fehlt mir so etwas
wie die Frage nach der sozialen Akzeptanz der Krankheit. HIV impliziert
doch eine „Selbst-Schuld“, deshalb ist es auch schwerer zu verarbeiten. Erst
mal die persönliche Seite, ob man es hätte verhindern können und dann die
Anderen, weil man durch diese Selbstschuld weitgehend sozial isoliert wird.
89
Man bekommt diese soziale Anteilnahme nicht, dieses Mitfühlen, wie bei
Leuten, die Krebs oder andere schreckliche Krankheiten haben. Die haben
nämlich nicht selbst „Schuld“.
Eine weitere Frage, die mir fehlt, bezieht sich auf das Verreisen. Da fühle
ich mich ziemlich eingeschränkt. Nicht nur, dass ich überlegen muss, ob
mich bestimmte Länder mit einer HIV-Infektion einreisen lassen ohne
vorherigen Test, sondern ich muss auch genau bedenken, wie es mit der
medizinischen Versorgung in bezug auf HIV aussieht. Gibt es da überhaupt
Kliniken oder Ärzte, die sich mit HIV auskennen? Sind die unter Umständen
nicht auf dem neuesten Stand? Usw. usw. ...
Meine Medikamente muss ich in ausreichender Menge natürlich
mitnehmen und hoffen, dass wir nicht beklaut werden. Gibt es in diesem
Land meine Medikamente zu kaufen? Es ist schon ziemlich nervig, muss ich
sagen.
Über Partnerschaft gibt es auch keine Frage, denn ohne Partner ist es
viel schwieriger, mit HIV umzugehen. Ich habe das große Glück, einen
Partner zu haben, das erleichtert unheimlich viel im Leben. Ich bin nicht
allein, auch wenn ich die eine oder andere Niedergeschlagenheit mit mir
selbst abmachen muss. Ich bin froh, nicht allein zu sein und auf
Partnersuche sein zu müssen. Mit HIV ist das schwierig, ich höre von
meinem Arzt von Leuten, die mutterseelenallein sind. Bei der Partnersuche
kommt immer die Frage nach Verhütung auf, aber in meiner Beziehung
schränkt mich das nicht ein, das ist zur Normalität geworden.
Es gibt noch etwas, das mich einschränkt, und das sind meine ärztlichen
Besuche alle 6 Wochen. Das erfordert eine ziemliche Organisation mit dem
Job, besonders weil niemand wissen soll, wieso ich da dauernd hin muss.
5.3 Ergebnisse der Untersuchung
Für Herr A. ist sein derzeitiger Gesundheitszustand „sehr viel schlechter“
(persönl. Mitteilung, 16.09.01), weil er vor einem Jahr „noch nichts von“ seinem
„Diabetes wusste“ (16.09.01). Auch wenn er körperlich funktionsfähig, seine
körperlichen Rollen erfüllen kann und schmerzfrei ist, wertet er seine
allgemeine Gesundheit im Vergleich zu den anderen Dimensionen am
90
niedrigsten. Vitalität und emotionale Rollenfunktion liegen auch über der Norm,
während soziale Funktionsfähigkeit und psychisches Wohlbefinden
vergleichsweise eingeschränkt wahrgenommen werden. Er fühlt sich manchmal
niedergeschlagen, „ratlos und entmutigt“ (16.09.01), weil sich die Gedanken um
den Diabetes „nicht abschütteln“ (16.09.01) lassen. „Und Glücklichsein ist für
mich ein Hochgefühl, und in Bezug auf den Diabetes gibt es das für mich nicht“
(16.09.01).
Bei Frau B. liegt die Punktzahl für körperliche Funktionsfähigkeit,
körperlicher Rollenfunktion und emotionale Rollenfunktion unterhalb der Werte
der dritten Standardabweichung. Die Dimensionen Schmerz, soziale
Funktionsfähigkeit und psychisches Wohlbefinden sind im unteren Drittel
angesiedelt, während die Bereiche der persönlich beurteilten allgemeinen
Gesundheit und Vitalität im Verhältnis am höchsten ausgeprägt sind.
Herr C. beurteilt seine gesundheitsbezogene Lebensqualität ausnahmslos
überdurchschnittlich gut. Die Dimension mit der geringsten Punktzahl ist die
Einschätzung der allgemeinen Gesundheit, die zwar auch über der Norm liegt,
aber darauf hindeutet, dass „HIV immer präsent“ (Hr. C., persönl. Mitteilung,
17.10.01) ist und sich negativ auf die subjektive Gesundheit auswirkt.
5.3.1 Ergebnisse in Bezug auf subjektive Gesundheit
Hinsichtlich der Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität
scheinen alle drei Teilnehmer/innen keine weiteren definitorischen Anteile
subjektiver Gesundheit zu vermissen.
Auch wenn Herr A. enttäuscht über die geringe Anzahl der Fragen ist, die
seiner Meinung nach differenzierter hätten sein dürfen, um ein genaueres Bild
seiner subjektiven Gesundheit abzubilden, geht er scheinbar von einem
globaleren Verständnis von gesundheitsbezogener Lebensqualität aus.
Seinerseits zusätzlich erwartete Fragen betreffen eher die allgemeine
Lebensqualität. „Die gewisse Distanziertheit“ (Hr. A., persönl. Mitteilung,
16.09.01) die Herr A. hinsichtlich der Kontakte zu Familienangehörigen,
Freunden, Nachbarn und zum Bekanntenkreis spürt, beeinträchtigt ihn
überhaupt nicht. Allerdings ist seine soziale Funktion manchmal beeinträchtigt,
und zwar dann, wenn er Kontakte zu anderen Menschen hat, die nichts von
91
seinem Diabetes wissen. Situationen, die er nicht einschätzen kann,
verursachen ihm „Stress und keine Freude“ (16.09.01).
Frau B. beurteilt ihren allgemeinen Gesundheitszustand auf einer Skala von
5 Möglichkeiten zwischen ausgezeichnet und schlecht mit „weniger gut“.
Objektiv gesehen, kann Frau B. aufgrund des Rheumas nicht einmal mehr
stehen und sitzt im Rollstuhl. Ihr Vergleichskriterium ist ein vorangegangener
Krankenhausaufenthalt, in dem sie „wochenlang nur im Bett gelegen“ (Fr. B.,
persönl. Mitteilung, 17.12.01) hat. Ihr geht es „sogar ganz gut, wenn nicht
immer diese Schmerzen wären“ (17.12.01). Auch wenn Frau B. weiß, dass ihre
ausgewiesene gesundheitsbezogene Lebensqualität gering ist, ist ihre
subjektive Einschätzung im Interview insgesamt positiver.
Herr C. kritisiert die zeitliche Begrenzung auf 4 Wochen, weil damit die
lebenslang anhaltende chronische Krankheit nicht repräsentiert wird. Des
weiteren bringt die soziale Akzeptanz von HIV zur Sprache. Die Furcht vor
„Repressalien“ (Hr. C., persönl. Mitteilung, 17.10.01) veranlasst ihn dazu seine
Infektion zu verschweigen, obwohl es seinem psychischen und sozialen
Wohlbefinden zuträglicher wäre, keine gesellschaftliche Diskriminierungen
befürchten zu müssen.
5.3.2 Ergebnisse in Bezug auf die individuelle Bewertung
Die Befragten bewerten die einzelnen Fragen und auch das Ergebnis der
Lebensqualitätsmessung individuell unterschiedlich.
Herr A. findet sich im Ergebnis wieder, weiß, dass er körperlich fit ist, leidet
aber an der Unberechenbarkeit seiner Erkrankung. Sein psychisches
Wohlbefinden ist damit massiv beeinflusst, mehr als es das Testergebnis
ausweist. Ohne sich krank zu fühlen, beeinträchtigt sein Wissen um die
Krankheit die gesundheitsbezogene Lebensqualität. Soziale Kontakte, die ihn
manchmal beeinträchtigen, wenn diese über seinen Diabetes nicht informiert
sind, bewertet er persönlich als „nicht so wichtig“ (16.09.01). Daraus ist zu
schließen, dass die subjektive Einschätzung der sozialen Kontakte positiver
ausfällt als es das Testergebnis ausweist.
Frau B. weiß, dass ihre Lebensqualität stark beeinträchtigt ist, bewertet sie
aber insgesamt höher als das Testergebnis. Sie findet nicht, dass ihre
92
gesundheitsbezogene Lebensqualität „so schlecht ist“ (Fr. B., persönl.
Mitteilung, 17.12.01). Daraus folgt, dass Frau B. ihre durch den Test
objektivierte Einschätzung ihrer subjektiven Gesundheit in der kommunikativen
Validierung anders bewertet. Als Erklärung dafür können innerpsychische
Anpassungs- und Regulationsprozesse bezüglich des Anspruchniveaus und
Relevanz von Bedürfnissen dienen, die die wahrgenommene Lebensqualität
entscheidend mit beeinflussen (Dirhold & Thomas, 1996).
Auch wenn Herr C. sozial sehr gut eingebunden ist, beeinträchtigt die
fehlende gesellschaftliche Akzeptanz der HIV-Infektion sein psychisches und
soziales Wohlbefinden. Durch den Umstand einer möglichen sexuellen
Übertragung impliziert die HIV-Infektion eine Selbstschuld, weshalb die
Krankheit „auch schwerer zu verarbeiten“ (Hr. C., persönl. Mitteilung, 17. 10.
01) ist.
Herr A. liegt mit seinen Werten im körperlichen Bereich über der Norm,
genauso wie Herr C.. Der Unterschied liegt im Beurteilungsmaßstab: Herr A.
hält sich mit 7-Kilometer-Langläufen fit, während Herr C. sein Leben lang
anstrengende Tätigkeiten „versucht“ hat „zu vermeiden“ (Hr. C., persönl.
Mitteilung, 20.11.01), was die Vergleichbarkeit der Tests erschwert.
Wenn die individuelle Gewichtung der einzelnen Fragen und Ergebnisse der
gesundheitsbezogenen Lebensqualitätsmessung ungleich ausfällt, so wie es
die Befragung der drei Teilnehmer erkennen lässt, ist ein interpersoneller
Vergleich nur zu Lasten der Genauigkeit möglich.
5.3.3 Ergebnisse in Bezug auf pädagogische Interventionsansätze
Herr A.: Hier zeigen die Ergebnisse der Untersuchung, dass mit einer
offeneren gesundheitsbezogenen Informationsversorgung im Bekanntenkreis
z.B. im Hinblick auf „eine Einladung zum Essen“ (Hr. A., persönl. Mitteilung,
16.09.01) eine bessere sozialen Einbindung und damit eine höhere soziale
Zufriedenheit zu erzielen wäre. Unter Umständen sind auch Bemühungen um
einen neuen Bekanntenkreis hilfreich, so dass von vornherein ein
selbstverständlicher Umgang mit dem Diabetes möglich ist. Ein weiterer Ansatz
zur Intervention bietet das subjektive Gesundheits- bzw. Krankheitskonzept.
Das Gefühl, den Diabetes „nicht im Griff“ (16.09.01) zu haben und die daraus
93
entstehende Entmutigung lassen auf eine Vorstellung schließen, Gesundheit
als Abwesenheit von Krankheit zu betrachten. Hier wäre in einer Beratung unter
dem Gesichtspunkt internaler Kontrollüberzeugungen hilfreich und auf eine
Schulung zur angemessenen Körperwahrnehmung (Petermann 1997)
hinzuweisen, die von pathologisch-mechanistischer Gesundheitsvorstellung auf
eine ganzheitliche Betrachtung im Sinne körperlichen, sozialen und
psychischen Wohlbefindens zielt.
Frau. B.: Die Weigerung von Frau B., in ein Pflegeheim überzusiedeln,
könnte als eine psychische Verdrängung unangenehmer Ereignisse interpretiert
werden oder in positiver Deutung als `erfolgreichem Altern` (Lehr 1989) im
Sinne des Modells der selektiven Optimierung mit Kompensation (Baltes &
Baltes 1989). Denn ähnlich wie eine chronische Krankheit ist „das Altern
universell, progressiv, hat eine lange vorsymptomatische Phase und ist relativ
behandlungsresistent“ (Fries 1989 S. 21), so dass Frau B. eine doppelte
Bewältigungsleistung erbringen muss. Als beratende Intervention böten sich
hier das Aufzeigen von Alternativen und die Stärkung ihrer vorhandenen
positiven Potenziale an, um die aktive Mitgestaltung einer Zukunftsplanung zu
ermöglichen. Denn dass der Schwiegersohn schon mal nach Heimen Ausschau
hält, hat Frau B. „schrecklich demoralisiert“ (Fr. B., pers. Mitteilung, 17.12.01).
Herr C.: Herr C. scheint die HIV für sich akzeptiert zu haben. Er lebt in einer
glücklichen Partnerschaft und ist in seinem Freundeskreis gut eingebettet, so
dass er bei Problemen „den Kontakt eher suchen“ (Hr. C., persönl. Mitteilung,
17.10.01) würde als sich zurückzuziehen. Für eine Beratung könnte auf einer
psychosozialen Ebene die Schuld-Frage thematisiert werden (Lucchetti, 1998).
In Bezug auf gesellschaftliche Diskriminierung ist eine Gestaltung der sozialen
Umwelt im Sinne einer Erweiterung des Bekanntenkreises möglich, in dem ein
offener Umgang mit dem Thema HIV vollständig akzeptiert ist.
Die Testergebnisse weisen in bezug auf die drei Teilnehmer/innen einen
hohen Gültigkeitsgrad für ihre gesundheitsbezogene Lebensqualität auf. Die
individuelle Beurteilung des Gesamtergebnisses und die eingeschätzte relative
Wichtigkeit der einzelnen Dimensionen fallen jedoch unterschiedlich aus. Herr
A. fühlt sich subjektiv nicht so gesund wie das Testergebnis es ausweist, stellt
das Ergebnis aber auch nicht in Frage. Frau B. schätzt ihre
gesundheitsbezogene Lebensqualität insgesamt höher ein, und Herr C. findet
seine subjektive Gesundheit angemessen ermittelt. Aber erst die hier mündlich
94
durchgeführte Befragung fördert die Möglichkeit zu pädagogischen
Interventionen zutage.
Damit ist die Bedeutung von subjektiver Gesundheit unter Berücksichtigung
der individuellen Bewertung für eine pädagogische Intervention nicht von der
Hand zu weisen.
6 Schlussbetrachtung
In dieser Diplomarbeit konnte anhand der vorliegenden Literatur zur
gesundheitsbezogenen Lebensqualität aufgezeigt werden, dass der
existierende Konsens, gesundheitsbezogene Lebensqualität als ein
multidimensionales Konstrukt, basierend auf physischer, psychischer und
sozialer Komponenten sowie der Komponente der Funktionsfähigkeit im
Alltagsleben, Gültigkeit hat.
Der konzeptionelle Bezug zur WHO- Gesundheitsdefinition wurde von
Ludwig (1991) in einer offenen Befragung empirisch belegt, wenn auch die
definitorische Übereinstimmung auf „einer mittleren bis hohen
Abstraktionsebene“ (ebd. S.33) liegt. Die Abstraktion oder operationale
Erfassung von gesundheitsbezogener Lebensqualität geht aber immer auch zu
Lasten subjektiver und damit individueller Einschätzung von Gesundheit.
Die Hypothesenbildung - Personen mit einer chronischen Erkrankung
(Diabetes, Rheuma, HIV) weichen in der Bewertung ihrer subjektiven
Gesundheit von den Ergebnissen standardisierter Messinstrumente ab - lenkt
die Bearbeitung des Themas auf die Frage der genügenden bzw.
ungenügenden Abbildung subjektiver Gesundheit, wobei das Ergebnis der
Literaturexpertise (Kapitel 1 bis 4) unterschiedlich ausfällt. Es wird deutlich,
dass die Einbeziehung des Begriffs Lebensqualität in medizinische
Evaluationen und Therapieziele für den Anspruch eines geänderten Krankheitsund Gesundheitsverständnisses steht. Die in dem Terminus enthaltenen
Dimensionen bedeuten nichts anderes als das Anerkennen der Ganzheitlichkeit
eines Menschen in seinem Kranksein. Wenn die Dimensionen Vitalität, soziale
Funktionsfähigkeit, emotionale Rollenfunktion und psychisches Wohlbefinden
neben der körperlichen Symptomatik abgefragt werden, heißt das, dass ein biopsycho-soziales Krankheitsverstehen zugrundeliegt.
95
Der in der Medizin verwandte Begriff Lebensqualität bezieht sich auf
Gesundheit, allerdings gibt es keine einheitliche - sondern nur eine allgemein
anerkannte - Definition von gesundheitsbezogener Lebensqualität, so dass mit
dem gleichen Wort durchaus Verschiedenes gemeint sein kann. Damit ist der
vielfältige Gebrauch des Begriffs eher verwirrend. Die synonyme Verwendung
weiterer Termini wie „Gesundheitsstatus“, „subjektive Gesundheit“, „subjektives
Gesundheitsgefühl“, „gesundheitliches Befinden“ und weitere, tragen
entschieden dazu bei.
Der Einsatz von über 1000 Messinstrumenten (Bullinger 1998) macht einen
Zahlenvergleich zwischen unterschiedlichen klinischen Studien unübersichtlich
und erst dann möglich, wenn das zugrundegelegte Konzept und die
Messmethode bekannt ist. Die Vielfalt macht den Einsatz eines
Messinstruments unklar und fragwürdig, so dass den damit nicht Vertrauten die
gesundheitsbezogene Lebensqualität eher wie ein Schlagwort vorkommt und
nicht als patientenorientiertes Therapieziel.
Das für die vorliegende Arbeit angewandte SF-36 Health Survey wurde
primär zur Evaluation von Behandlungsverfahren in Kohortenstudien und
randomisierten klinischen Studien konzipiert, wird aber zunehmend im Bereich
der Indikation von Behandlungen bzw. der Evaluation von rehabilitativen
Behandlungsmaßnahmen verwandt (Bullinger 1996b). Beim Einsatz zur
Planung maßgeschneiderter Therapien und bei der individuellen
Patientenversorgung im klinischen Zusammenhang sind konzeptionelle
Schwachpunkte zu beachten: die generelle Unterrepräsentation der sozialen
Funktion und die daraus folgende Überbewertung der physischen Funktionen.
Weiter ist keine Bewertung der einzelnen Dimensionen möglich, so dass die
relative Wichtigkeit einer Lebensqualitätsbeschränkung nicht erfasst wird.
Damit wird die in der Überschrift gestellte Frage berührt, wie sich
gesundheitsbezogene Lebensqualität von chronisch kranken Menschen
erfassen lässt. Der SF-36 kann „als ein psychometrisch zufriedenstellendes
Verfahren zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität gelten“
(Bullinger, 1996b, S. XXVI), was sich auch in den Ergebnissen der drei
Fallbeispiele widerspiegelt. Auch wenn die Teilnehmer/innen im empirischen
Teil dieser Arbeit (Kapitel 5) ein übereinstimmendes Verständnis von
gesundheitsbezogener Lebensqualität aufweisen, so unterscheiden sie sich
hinsichtlich ihrer subjektiven Wertmaßstäbe. Deutlich wird das an der nicht so
96
wichtig erachteten sozialen Funktion von Hr. A. und der geringeren Bewertung
körperlicher Funktionen von Hr. C. Eine Ausnahme bildet Fr. B., die das
ausgewiesene Lebensqualitätsergebnis insgesamt positiver beurteilt.
Die Fragestellung, ob krankheitsübergreifende Lebensqualitätsmessung hier exemplarisch am SF-36 - subjektive Gesundheit genügend abbildet, ist
schlussfolgernd zu bejahen. Aber auch die Hypothese hinsichtlich der
Abweichung in der Bewertung subjektiver Gesundheit und den Ergebnissen
standardisierter Messinstrumente konnte bestätigt werden. Ein Messinstrument
kann nur so subjektiv sein, wie es der Abstraktionsgrad der Konzeption es
zulässt. Wenn man gesundheitsbezogene Lebensqualität auf den Aspekt der
Selbstauskunft reduziert ohne individuelle Bewertungskriterien zu erfassen,
gehen wertvolle Informationen über subjektive Gesundheit für eine
pädagogische Intervention im Sinne von Patientenberatung und
Patientenschulung verloren. Das bedeutet: soll sich subjektive Gesundheit für
eine pädagogische Intervention fruchtbar erweisen, muss entweder eine
Gewichtung von Lebensqualitätsindikatoren von standardisierten Messungen
erfolgen, oder eine Befragung hinzukommen, die die individuelle relative
Wichtigkeit der Dimensionen berücksichtigt.
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8 ANHANG
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