Zitadelle 1F, 55131 Mainz fon 06131/6279071 fax 6279182 mobil 01782324902 [email protected] www.armut-gesundheit.de Informationen zu 100 Tagen „Medizinische Ambulanz ohne Grenzen“ Beginn: 7. Mai 2013 Patientengruppen: Folgende Personengruppen suchten unsere Medizinische Ambulanz ohne Grenzen auf: wohnungslose Menschen Strafentlassene (keine direkte medizinische Versicherung bei Entlassung) legal sich in Deutschland aufhaltende ausländische Mitbürger ohne Krankenversicherungsschutz (speziell aus Polen, Rumänien, Bulgarien) papierlose Menschen Leiharbeiter - Firmen, deren ausländisches Personal (besonders aus Osteuropa) Privat versicherte Menschen, die sich die Krankenkassengebühren nicht mehr leisten können (Basistarif in Höhe von ca. 650 €) Fakten und Daten der ersten 100 Tage Ambulanz: Insgesamt wurden 95 verschiedene PatientInnen behandelt. Es fanden 223 Behandlungskontakte statt. 23 Behandlungskontakte zu unserem Psychiater / Neurologen. 28 zahnärztliche Behandlungen (Zahnarztangebot erst seit 4 Wochen). Die Patienten kamen aus 15 verschiedenen Nationen: - Europa: Deutschland, Bulgarien, Polen, Italien, Kroatien, Serbien, Rumänien, Russland, Schweden, Türkei, - Asien: Iran, Irak, Afghanistan - Afrika: Nigeria, Kamerun, Erkrankungsspektrum: Unterschiedlichste Erkrankungen konnten diagnostiziert werden bzw. waren bekannt und erforderten eine dringende therapeutische Intervention. U.a. mehrere Krebserkrankungen, HIVpositv, Lungenerkrankungen, psychiatrische Erkrankungen, viele dermatologische Erkrankungen, zahlreiche OP-Indikationen (u.a. Hernien – Leisten- und Nabelbrüche), Erkrankungen des HerzKreislaufsystems (Hypertonie, Koronare Herzerkrankung), Erkrankungen der Verdauungsorgane (Magengeschwüre, Bauchspeichendrüsenentzündung (Pankreatitis), Hepatitis), Stoffwechselerkrankungen (Diabetes mellitus) usw. 1 Unser Team: 2 Krankenschwestern 1 Krankenpfleger 1 Sozialpädagoge 15 Ärztinnen und Ärzte (Fachärzte für Allgemeinmedizin, Innere Medizin, Psychiatrie, Neurologie, Gynäkologie, Pädiatrie, Zahnmedizin, Chirurgie) Besondere Kooperationspartner u.a.: - Gesundheitsamt Mainz (Labor, Röntgen) St. Vincenz-Krankenhaus Universitätsklinik (insbesondere HIV-Sprechstunde, Leber-Sprechstunde) Zahlreiche niedergelassene Kolleginnen und Kollegen Landesärztekammer RLP Medinetz U.a.m. Einige Fallbeispiele: A. Privatpatient Patient W: 57 Jahre, 20 – jährige Tätigkeit als Angestellter, 2004 Erwerbsminderung aufgrund einer chronischen Erkrankung; wollte trotzdem weiterarbeiten, bekam aber vom Arbeitsgeber keine Anstellungsverlängerung. Erwerbsminderungsrente in Höhe von 1200 €, private Krankenversicherung; Beitragszahlungen in Höhe von ca. 700 € bis November 2011, dann wirtschaftlich nicht mehr in der Lage die Beiträge zu zahlen. Versuch einen geringeren Beitrag zu zahlen, Basistarif: 650 € immer noch zu hoch. Versuch in die gesetzliche Krankenversicherung zu kommen, abgelehnt. Jetzt akute Erkrankung ( mit Blutungen und starken Schmerzen einhergehend), zu einem ihm bekannten Arzt, sofortige Einweisung ins St. Josefs-Hospital in Wiesbaden; Untersuchung: V.a auf Krebserkrankung, dringend notwendige operative Intervention bescheinigt; Patient weggeschickt da nicht krankenversichert solle sich ans Sozialamt wenden. Patient kommt in unsere Medizinische Ambulanz ohne Grenzen (-im Internet unser medizinisches Angebot entdeckt-). Einweisung St. Vincenz-KH, sofortige stationäre Aufnahme, u.a. Schmerztherapie und Stillung der Blutungen. Ärztliche Bestätigung, dass eine akute Lebensgefahr bestehen würde bei Nichtbehandlung. Weitere Diagnostik, dringender Verdacht auf Karzinomerkrankung. Krebsdiagnose bestätigt. Chemotherapie und Bestrahlungstherapie notwendig. Bisher keine Metastasierung, sofortiger Beginn der Therapie dringend notwendig. Parallel sozialrechtliche und krankenversicherungsrechtliche Beratung durch uns. Sowohl die private Krankenkasse als auch die Sozialbehörde agieren abweisend oder mit einer Fülle von administrativen Hürden. U.a. verlangt die private Krankenversicherung das Ausfüllen von ca. 20 Formularen! Nach fast 2 Monaten wird der Patient in der privaten Krankenkasse wieder aufgenommen. Unmöglichkeit die hohen Beiträge zu zahlen bleibt. B. Patienten aus dem Strafvollzug entlassen: Patient A.: 34 Jahre, vor zwei Tagen aus der Strafjustizanstalt entlassen. Der Patient wird ohne gültige Krankenversicherung entlassen. Keine Informationen was er sofort krankenversicherungsrechtlich tun muss. Der Patient hat eine bekannte AIDS – Erkrankung. Kommt in unsere Ambulanz da er dringend eine antivirale Therapie aufgrund seiner AIDS – Erkrankung benötigt. Patient wird von uns in die HIV-Sprechstunde der Universitätsklinik in Mainz vermittelt. Behandlung trotz nicht geklärtem Versichertenstatus. 2 C. Patienten aus dem europäischen Ausland mit legalem Aufenthaltsstatus: Patient P.: 32 Jahre, Bulgare, Schwarzarbeit auf einer Baustelle. Dort kollabiert. Diagnose perforiertes Duodenalulcus, Peritonitis . Intensivmedizinische Behandlung in der Uni-Klinik Mainz. Operation. Patient ist legal in Deutschland hat aber keinerlei Sozial- bzw. Krankenversicherung. Nach 4wöchiger intensiver Behandlung in der Uni-Klinik Entlassung mit der Auflage einer intensiven medikamentösen ambulanten Nachbehandlung. Patient ist wohnungslos. Versuch der Unterbringung in einer Unterkunft für wohnungslose Menschen. Beim zuständigen Sozialamt (Mainz) wird die Übernahme der Übernachtungskosten (pro Tag ca. 25 €) beantragt. Es wird von uns ein ärztliches Attest ausgestellt, dass aufgrund des Erkrankungszustandes eine Unterbringung unbedingt notwendig ist, da sonst Lebensgefahr bestünde. Sozialamt lehnt trotz Attest und trotz nochmaliger telefonischer und schriftlicher Intervention unsererseits die Kostenübernahme ab! Vermittelt eine finanzielle Unterstützung über eine Stiftung. Es bleibt aber bei der prinzipiellen Ablehnung! Aufgrund unserer Erfahrungen haben wir 3 zentrale Forderungen an das Land RheinlandPfalz und die Kommune Mainz: 1. Implementierung einer Clearing-Stelle in Rheinland-Pfalz zu den speziellen Fragen der Krankenversicherungsproblematik. Erreichbarkeit per Telefon, per Emailnachfrage und persönlichem Beratungstermin. 2. Einführung von regelmäßig tagenden Fallkonferenzen, so genannten Task Forces für nichtaufschiebbare „Fälle“ eines unzureichenden oder nicht vorhandenen Krankenversicherungsschutzes. 3. Einrichtung eines Gesundheitshilfefonds. In diesen Fond sollen unterschiedliche Akteure einzahlen: Gesetzliche wie private Krankenkassen, aber auch Wirtschaftsunternehmen (Übernahme von sozialer Verantwortung). Dies alles erscheint dringend notwendig da sich viele ärztliche KollegInnen aber auch Krankenhäuser zunehmend im Stich gelassen fühlen, wenn sie nach humanitären Gesichtspunkten Hilfe leisten und dann die Kosten selbst hierfür tragen müssen, da es keine Verfahrens- und Unterstützungsrichtlinien bzw. Aspekte gibt. Prof. Dr. med. Dipl. Sozialpädagoge Gerhard Trabert Vorsitzender des Vereins „Armut und Gesundheit in Deutschland“ [email protected] 3