Die Schweizerische Gesellschaft für Konsiliarund Liaison-Psychiatrie Autor und Korrespondenzadresse: Dr. med. Franz Caduff, FMH Psychiatrie/Psychotherapie, Präsident der SGKLP; Stv. Chefarzt der Psychiatrischen Dienste, Krankenhausstrasse 12, 3600 Thun E-Mail: [email protected] 2 1. Einleitung Am 18.5.2001 wurde in Aarau die Schweizerische Gesellschaft für Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie (SGKLP) gegründet. Hervorgegangen ist sie aus der seit 1990 bestehenden Schweizerischen Arbeitsgruppe der Konsiliar- und Liaisonpsychiater/-innen. Die SGKLP strebt den Status einer Tochtergesellschaft der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie an. Zweck der Gesellschaft ist die Förderung der Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie in der Schweiz, mittels Aus-, Weiter- und Fortbildung, Forschung, Qualitätszirkel, sowie durch nationale und internationale Zusammenarbeit. Da die Konsiliarund Liaisonpsychiatrie in der Schweiz nicht nur innerhalb der Gesamt-Medizin, sondern auch innerhalb der Psychiatrie ein Schattendasein führt (1), ergreifen wir die Gelegenheit, mit der Gründung der SGKLP die Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie als interessantes und herausforderndes Teilgebiet der Psychiatrie einer breiteren Oeffentlichkeit näher zu bringen. 2. Wie definiert sich die Konsiliarpsychiatrie? Unter Konsiliarpsychiatrie versteht man das Arbeitsgebiet eines Psychiaters* im Allgemeinspital. Diverse Studien aus verschiedenen Ländern belegen, dass durchschnittlich über 30% aller Patienten*, die auf somatischen Abteilungen behandelt werden, hauptsächlich oder zusätzlich zur somatischen Diagnose an psychischen oder psychiatrischen Störungen von Krankheitswert leiden (2). Häufig sind es die Pflegenden, die ein psychiatrisches Konsilium anregen. Nach der Anmeldung des Konsils durch die somatischen tätigen Kollegen kommt der psychiatrische Konsiliarius auf die Abteilung, erhebt – soweit möglich - eine auf das jetzige Leiden fokussierte Anamnese sowie die psychopathologischen Befunde und stellt eine möglichst konzise Diagnose, an die sich die Vorschläge zum Procedere anschliessen. Unterschiede zur Tätigkeit anderer konsiliarisch tätiger Fachärzte liegen darin, dass insbesondere der Kontakt zum Pflegeteam, wie auch der Kontakt zu den Angehörigen des Patienten gepflegt werden muss, und zwar sowohl aus diagnostischen, wie auch aus therapeutischen Gründen (3). 3. Was versteht man unter Liaisonpsychiatrie? Unter dem Begriff der "Liaison" versteht man gemeinhin eine Beziehung oder einen Brückenschlag. Im Bereiche der K+L Psychiatrie ist der Begriff nur vage definiert und wird seit jeher kontrovers diskutiert. Es gibt Autoren (4), die dafür plädieren, auf den Begriff überhaupt zu verzichten, während andere (5) die Liaisonpsychiatrie als eine zwar aufwendige, aber sekundär- und tertiärpräventiv wirksame Aufwertung der reinen Konsiliartätigkeit betrachten. * Zwecks besserer Lesbarkeit wird im Text ausschliesslich die männliche Form verwendet. 3 Heute wird der Begriff meist dann verwendet, wenn sich ständige und formelle (Teilnahme an Rapporten, Visiten, Spezialsprechstunden), wie auch informelle Kontakte zwischen dem K+L Psychiater und den Somatikern ergeben, wodurch psychiatrisch-relevante Probleme bei somatischen Patienten schneller erkannt und effektiver behandelt werden können. Die frühere Ausweitung des Begriffs auf ein Teaching der Somatiker über psycho-soziale Aspekte einer Erkrankung wurde zunehmend aufgegeben, da dieses Teaching häufig in den Ruf der "Besserwisserei" geraten ist (3). 4. Was ist das Spezifische an der K+L Tätigkeit? Spezifische Faktoren der K+L Tätigkeit ergeben sich aus dem Arbeitsort, dem Konsiliarauftrag, den häufigsten Problemstellungen, sowie aus dem diagnostischtherapeutischen Setting. Der Arbeitsort des K+L Psychiaters ist das somatische Spital; die fachlichen Ansprechspersonen sind somatisch tätige Aerzte, Paramediziner und Pflegende. Psychiatrisches Denken und Handeln hat in diesem Umfeld häufig den Charakter des Exotischen. Von daher ist es äusserst wichtig, dass sich der K+L Psychiater den üblichen Gepflogenheiten im Allgemeinspital anpasst. Dazu gehört - nebst der entsprechenden Arbeitskleidung (weisser Kittel) - die gute telephonische Erreichbarkeit, eine im Notfall rasche Verfügbarkeit, sowie das Beherrschen einer "klinischen Sprache" in Wort und Schrift (2), die bezüglich Procedere klare Handlungsanweisungen umfasst. Der Konsiliarauftrag ist oft recht diffus abgefasst, die Fragestellungen unspezifisch. Zwischen oder innerhalb der Zeilen ist häufig die Erwartung herauszulesen, von einem "schwierigen Patienten befreit zu werden" oder die Verantwortung für unberechenbares menschliches Verhalten einem Fachmann abzugeben, beispielsweise zur Frage der Selbstgefährdung (6). Nicht allzu selten steht auch eine reine Betreuungsabsicht (zwecks Entlastung von Aerzten und Pflegenden) oder der Einsatz des K+L Psychiaters als Sozialarbeiter (zwecks Pflegeheimplazierung) hinter einem Konsilium. Eine wesentliche Fähigkeit des K+L Psychiaters liegt deshalb darin, Konsilien zwar niederschwellig anzunehmen und sich umgehend ein Bild zu verschaffen, nicht spezifisch konsiliarärztliche Aufträge aber zu delegieren oder an den Auftraggeber zurückzugeben. Die Problemstellungen, für welche der K+L Psychiater am häufigsten gerufen wird, betreffen die kognitive und Verhaltens-Diagnostik von neuropsychiatrischen Erkrankungen, insbesondere von Demenzen und Delirien, die abklärende Beratung und Entzugsbegleitung von Alkoholabhängigen und anderen Toxikomanen, die 4 Abklärung von suizidalem oder parasuizidalem Verhalten, sowie die Erfassung von psychiatrischen Auswirkungen einer somatischen Erkrankung (z.B. im Rahmen der Psycho-Onkologie), beziehungsweise von somatischer Präsentation einer psychiatrischen Erkrankung (z.B. im Rahmen von Ess-Störungen oder von Panikattacken). Diese Problemstellungen setzen ein breites Wissen über psychiatrische, aber auch internistische und neurologische Erkrankungen voraus. Weiter gehören testpsychologische, insbesondere neuropsychologische Kenntnisse dazu, wie auch Kenntnisse über erwünschte und unerwünschte Wirkungen diverser Arzneimittel, insbesondere der Psychopharmaka (7). Die forensischen Fragestellungen (Urteilsfähigkeit, fürsorgerischer Freiheitsentzug) bedingen nicht zuletzt auch ein solides juristisches Wissen. Das Setting des Arzt-Patientenkontaktes im K+L Bereich unterscheidet sich grundlegend von demjenigen in einer psychiatrischen Klinik oder in einer Praxis. Das Gespräch findet zumeist im Patientenzimmer, somit auf "fremdem Terrain" statt. Der Patient hat den Psychiater zumeist nicht verlangt und sieht dessen Besuch mit gemischten Gefühlen entgegen. Das Abteilungsteam wünscht sich eine rasche und konkrete Entlastung von schwierigen Betreuungsaufgaben, während der überlastete somatisch tätige Stationsarzt klare Handlungsanweisungen erwartet. Der K+L Psychiater sollte all diesen Wünschen und Aengsten Rechnung tragen, wobei er instinktiv weiss, dass er es nie allen Recht machen kann und dass die eigenen Ressourcen, wie auch die normalerweise kurze Hospitalisationszeit häufig nur eine Diagnosenstellung, die Einleitung einer ambulant weiterzuführenden Behandlung, sowie allenfalls Kriseninterventionen erlauben. Als Fachmann für "unlösbare Probleme" sieht er sich häufig einem Gemisch von Erwartung und Entwertung gegenüber und erlebt die Sonderstellung der Psychiatrie am eigenen Leib. Wichtig ist deshalb seine Verankerung innerhalb einer Poliklinik, eines Ambulatoriums oder zumindest in einer Intervisionsgruppe oder in einem Qualitätszirkel von Berufskollegen. 5. Welche Zukunftsperspektiven bestehen für die K+L Psychiatrie? In einem aktuellen Positionspapier über Ist und Soll der psychiatrischen Versorgung in der Schweiz, das die Fachvertreter der Universitären Psychiatrischen Institutionen kürzlich herausgegeben haben, wird die Entwicklung der Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie in allen somatischen Kliniken der Schweiz als ausdrückliches Ziel genannt (8). In Deutschland gibt es ähnliche Bestrebungen, die K+L Psychiatrie zu einem psychiatrischen Schwerpunkt zu machen (9). Andere Länder wie die USA, Grossbritannien oder die Niederlande sind seit langem soweit (10, 11). 5 Wieso dieses plötzliche Interesse an einer seit langem bekannten Subdisziplin? Es stehen mehrere Gründe zur Diskussion. Einerseits entspricht die K+L Psychiatrie dem Trend, psychische Störungen mehr und mehr ausserhalb der traditionellen, vor allem stationären Psychiatrie zu behandeln, nicht zuletzt aus Gründen der Entstigmatisierung. Die demographische Entwicklung mit dem Anstieg von alten, polymorbiden und an neuropsychiatrischen oder komplexen Krankheitsbildern leidenden Menschen, die meist in somatischen Krankenhäusern behandelt werden müssen, spricht ebenfalls für eine Aufwertung der K+L Psychiatrie. Weiter führt der medizinische Fortschritt auf allen Ebenen dazu, dass immer mehr Krankheiten zwar somatisch überlebt, aber psychisch schlecht verarbeitet werden, wie beispielsweise AIDS, Carcinome, Verbrennungen, Poly-Blessés, Schädel-Hirntraumen, Transplantationen, neurodegenerative Erkrankungen. Und nicht zuletzt haben die Kostensteigerungen im Gesundheitswesen, die zumindest teilweise den Allgemeinspitälern angelastet werden, den Druck auf die Verkürzung der Hospitalisationsdauer merklich erhöht. Nachgewiesenermassen sind es meistens psychische und psychosoziale Probleme, welche die Hospitalisationsdauer von primär somatisch Kranken massgeblich bestimmen (12). Die K+L Psychiatrie als klassische Disziplin für Triage und Krisenintervention kann – sinnvoll eingesetzt – die betroffenen Patienten schneller einer zielgerichteten Behandlung zuführen und dadurch für das Allgemeinspital und das Gesundheitswesen kostensparend sein (13, 14). Es ist unser Bestreben, mit der neuen Gesellschaft für Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie diese Subdisziplin aufzuwerten und sie im klinischen Alltag der Allgemeinspitäler besser zu verankern. 6. Referenzen 1 Georgescu D, Caduff F. Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie in der Schweiz: Aktueller Stand und Perspektiven. Schweizer Archiv für Neurologie und Psychiatrie (in press 1/2002) 2 Herzog T, Hartmann A. Psychiatrische, psychosomatische und medizinpsychologische Konsiliar- und Liaisontätigkeit in der Bundesrepublik Deutschland. Ergebnis einer Umfrage. Nervenarzt 1990;61:281-93. 3 Lipowski Z. Konsiliar- und Liaisonpsychiatrie in Nordamerika in den 80er Jahren. Psychother med Psychol 1989;39:337-41. 4 Hackett T. Liaison Psychiatry: Fixture or Fantasy. Invited lecture presented at the annual meeting of the Academy of Psychosomatic Medicine, November 3, 1982. 6 5 Strain J. Liaison Psychiatry. In: Rundell J, Wise M, Hrsg. Textbook of Consultation- and Liaisonpsychiatry. 1st Ed. Washington DC: American Psychiatric Press; 1997, S. 39-51. 6 Zumbrunnen R. Psychiatrie de liaison. Paris: Masson; 1992. 7 Ford Ch. Introduction. In: Rundell J, Wise M, Hrsg. Textbook of Consultation- and Liaisonpsychiatry. 1st Ed. Washington DC: American Psychiatric Press; 1997. S. XIX-XXI. 8 Brenner HD, Ferrero F (Hrsg). Aktuelle Lage und zukünftige Entwicklung der Psychiatrie und Psychotherapie in der Schweiz. Positionspapier der Fachvertreter universitärer Einrichtungen der Erwachsenenpsychiatrie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie und der Psychosozialen Medizin. Juni 2000. S. D 31. 9 Sass H. Psychiatrie und Psychotherapie im Wandel. Nervenarzt 2000; 71:1021-2. 10 Mayou R, Huyse F. Consultation-Liaison Psychiatry in Western Europe. Gen Hosp Psychiatry 1991;13:188-208. 11 Huyse FJ, Herzog T, Malt UF. International Perspectives on Consultation and Liaisonpsychiatry. In: Rundell J, Wise M, (eds). Textbook of Consultation- and Liaisonpsychiatry. 1st Ed. Washington DC: American Psychiatric Press; 1997. S. 228-55. 12 Summergard P. Medical Psychiatry and its Future. In: Cassem NH, Stern ThA, Rosenbaum JF, Jellinek MS (eds). Handbook of General Hospital Psychiatry. Saint Louis: Mosby; 1997. S. 637-48. 13 Goldberg RJ, Stoudemire A. The Future of Consultation-Liaison Psychiatry and MedicalPsychiatric Units in the Era of Managed Care. Gen Hosp Psychiatry 1995;17:268-77. 14 Fulop G, Strain JJ, Vita J, Lyons JS, Hammer JS. Impact of Psychiatric Comorbidity on Length of Hospital Stay of Medical-Surgical Inpatients: a preliminary report. Am J Psychiatry 1987;144:878-82. Register-Stichworte: Konsiliar- und Liaison-Psychiatrie, K+L, Schweizerische Gesellschaft für K+L Psychiatrie