EinBlick ins Gehirn Eine andere Einführung in die Psychiatrie Dieter F. Braus 63 Abbildungen 16 Tabellen Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York IV Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. 1. Auflage 2004 Prof. Dr. Dieter F. Braus HSK – Dr. Horst Schmidt Kliniken GmbH Ludwig-Erhard-Straße 100 65199 Wiesbaden © 2011 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart Deutschland Telefon: + 49/(0)711/8931-0 Unsere Homepage: http://www.thieme.de Printed in Germany Text- und Bildredaktion: Editorial Service Harald Rass, Dr. Doris Kliem Zeichnungen: Christiane und Dr. Michael von Solodkoff, Neckargemünd; Andrea Schnitzler, Innsbruck Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Umschlaggrafik: Martina Berge, Erbach Satz: Ziegler + Müller, Kirchentellinsfurt gesetzt mit APP/3B2, V. 9 (Unicode) Druck: Grafisches Centrum Cuno, Calbe ISBN 978-3-13-133352-0 1 2 3 4 5 6 Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. V Vorwort Nach dem unerwartet großen Erfolg von „EinBlick ins Gehirn: Moderne Bildgebung in der Psychiatrie“ habe ich auf Anregung des Georg Thieme Verlags und mit tatkräftiger Unterstützung beim Transskript von Herrn Harald Rass sowie inspiriert durch Gespräche mit Mitarbeitern meiner Klinik in Wiesbaden dieses zweite Buch verfasst. Die Thematik bewegt sich wieder im Theoriegebäude der Hirnfunktion(-en). Dieses Theoriegebäude wird gespeist von den Neurowissenschaften, den Naturwissenschaften sowie den sog. Lebens- und Kognitionswissenschaften. Es ist jedoch abzugrenzen vom Theoriegebäude der Geist-Seele-Funktion(-en) bzw. demjenigen der Geisteswissenschaften. Das Buch soll Interesse an der Psychiatrie des 21. Jahrhunderts wecken oder erhalten, zumal die „Biologie der geistigen Prozesse“ für Psychiater und Psychotherapeuten in Klinik und Praxis im Alltag z. B. für Psychoedukation und Entstigmatisierung eine immer größere Rolle spielen und auch auf die neuen Klassifikationssysteme (DSM-V und ICD-11) Einfluss nehmen wird (Miller u. Holden 2010) [16]. Im Kurrikulum der Psychiatrie und Psychotherapie ist der Anteil neurowissenschaftlicher Inhalte im Laufe der letzten 5 Jahre ständig gestiegen. In den kommenden Jahren werden diese Inhalte im Rahmen der psychiatrischen Ausbildung weiter an Bedeutung gewinnen. In diesem Buch werden einige „Highlights“ der neurowissenschaftlichen Forschungsergebnisse der letzten 5–10 Jahre präsentiert, wobei die Auswahl natürlich subjektiv aus der Sicht des Autors erfolgte. Gleichzeitig wird versucht, den Praxisbezug der neuen Erkenntnisse herzustellen, wobei es nicht nur um den Patienten, seine Erkrankung und deren Behandlung geht, sondern auch um einen „EinBlick“ in das Verständnis der Welt, in der Patienten, Angehörige und Behandelnde gleichermaßen leben. Ein Beispiel ist die ausführliche Beschäftigung mit dem „Social Brain“, das sowohl Beziehungen zur menschlichen Evolution und zu (aktuellen) politisch-ökonomischen Vorgängen als auch zum Empfinden und Verhalten des psychiatrischen Patienten hat. Vertragen sich Neurowissenschaften überhaupt mit den gängigen Klassifikationssystemen psychiatrischer Erkrankungen? Vieles spricht dafür, dass neurowissenschaftliche Ergebnisse aus der Genetik, aus der Bildgebung und aus Tiermodellen dazu führen werden, dass der bisherige kategoriale Ansatz zugunsten eines dimensionalen verlassen werden wird. Das wird ein Umdenken im klinischen Alltag erfordern, was wahrscheinlich von langwierigen „Grabenkriegen“ zwischen den Protagonisten der alten Einteilung und des eher hypothesengeleiteten, neuen dimensionalen Denkens begleitet sein wird. Einen kleinen Beitrag dazu, dieses Umdenken vorzubereiten und zu erleichtern, will dieses Buch leisten. Und zum Schluss: Vergessen Sie bei aller Ernsthaftigkeit der Thematik nicht das Lachen, auch über sich selbst. Möglicherweise ist einmal zu lachen nicht ganz so gesund wie 10 min joggen, aber das Lachen hat eine wichtige Funktion für unser Belohnungssystem und damit für unsere psychische Gesundheit als soziales Wesen. Ein positiver emotionaler Stil, also z. B. auch mehr als einmal am Tag zu lachen, hat günstige Effekte auf das Immunsystem, das mit dem Nervensystem eng verknüpft ist, und stärkt damit u. a. die Widerstandskraft gegen Viruserkrankungen und manche andere Unbill. Es kommt aber noch besser: Optimismus trotz kollektiver Trübsinnsorgien reduziert die kardiovaskuläre Mortalität, und echte Freundschaft unter Menschen ist ein gesundheitsfördernder Faktor. All diese guten Nachrichten beruhen auf ernsthafter Forschung, die zudem noch herausgefunden hat, dass Unzufriedene und Unzuverlässige früher sterben und sich in ihrer kürzeren Lebensfrist auch noch mit unzufriedenen Zeitgenossen umgeben, während glückliche und zuverlässige Menschen, ebenso wie diejenigen, die positiv über das Älterwerden denken, nicht nur länger leben, sondern in ihrem längeren Leben auch noch eher glückliche Menschen um sich scharen. Viel Spaß beim Lesen! Wiesbaden, im Herbst 2010 Dieter F. Braus VI Abkürzungen A ABCB ADHS AMPA F ATP-binding Cassette Sub-family B Member Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung α-Amino-3-Hydroxy-5-Methyl-4Isoxazol-Propionsäure fMRT funktionelle Magnetresonanztomografie G GABA γ-Aminobuttersäure M B BDNF BMI BMP BOLD Brain derived neurotrophic Factor Body Mass Index Bone morphogenetic Protein Blood Oxygen Level Dependency C cAMP COMT CREB CT zyklisches Adenosinmonophosphat Katechol-O-Methyltransferase cAMP Response Element-binding Protein Computertomografie D DAT-10R DAT1-440 DNA DRD4-3R DTI DWI Magnetresonanzangiografie Magnetresonanzspektroskopie Magnetresonanztomografie N NINCDS-ADRDA National Institute of Neurological and Communicative Disorders and Stroke – Alzheimer’s Disease and Related Disorders Association NMDA N-methyl-D-aspartat-Glutamat P PET Positronenemissionstomografie R 10-Repeat- (10R-)Variante des Dopamintransportergens 440er-Risikovariante des Dopamintransportergens Desoxyribonukleinsäure 3er-Repeat-Variante des Dopaminrezeptorgenotyps 4 Diffusions-Tensor-Imaging diffusionsgewichtete Bildgebung E EPI MRA MRS MRT Echo-Planar-Imaging-Technik REM Rapid Eye Movement S SPECT SWS Single-Photon-Emissionscomputertomografie Slow Wave Sleep W WHO World Health Organisation VII Inhaltsverzeichnis 1 Psychiatrie im Kontext der Neurowissenschaften . . . . . . . . 1 3 Plastizität – biologische Grundlage der Veränderung . . . . . 44 1.1 1.2 Der Mensch, eine besondere Spezies . . Vom Wurm zum „Social Brain“: assoziatives Lernen, Vorurteil, Weltbild Reiz, Assoziation, Reaktion . . . . . . . . . . . Assoziatives Lernen und Vorurteile . . . . . Weltbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Psychiatrie und ihre gesellschaftliche Relevanz . . . . . . . . . . Pathophysiologisches Modell für psychische Störungen . . . . . . . . . . . Bildgebung: wichtiger Wegbereiter der Psychiatrie des 21. Jahrhunderts . Geschichte der Bildgebung in der Psychiatrie . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erkenntnistheoretische Überlegungen 3.1 Wie arbeitet das menschliche Gehirn? Einteilung der Nervenzellen . . . . . . . . . Einteilung der neuronalen Verbindungen Zusammenspiel zwischen lokalen Spezialisten und global integrierenden Arealen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Neuroplastizität . . . . . . . . . . . . . . . . . Gliazellen – weit mehr als nur Stützgewebe für Neuronen . . . . . . . . Grundmodule neuronaler Plastizität . . Aktionspotenzial und Neurotransmission Neurotransmitter und Neuromodulatoren Endocannabinoidsystem: „neuronale Notbremse“ . . . . . . . . . . . . Long-Term Potentiation (LTP) und Long-Term Depression (LTD) . . . . . Biologie des Lernens – dopaminerge Stimulation . . . . . . . . . . . Synaptische Reorganisation – Verankerung auf der DNA‑Ebene . . . . . . Funktionen von Synapsen . . . . . . . . . . . Mutation in der Promotorregion des BDNF‑Gens stört Neuroplastizität . Genregulation und psychiatrische Erkrankungen . . . . . . . Tiermodelle für Plastizität und Lernen Kalifornische Nacktschnecke . . . . . . . . . Languste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Maus/Ratte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Affe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stress, Immunsystem und Neuroplastizität . . . . . . . . . . . . . 1.3 1.4 1.5 1.6 2 2.1 2.2 1 2 4 4 5 3.2 7 3.3 3.4 9 3.5 10 10 11 12 Hirnentwicklung und Neuroanatomie . . . . . . . . . . . . 14 Entwicklungspsychobiologie . . . . . . Hirnentwicklung intrauterin . . . . . . . . Hirnentwicklung nach der Geburt . . . . Frühe Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . . „Frühjahrsputz“ in der Pubertät . . . . . Genotyp und die Folgen früher Erfahrungen . . . . . . . . . . . . . . Hirnentwicklung und Alterung . . . . . . Funktionelle Neuroanatomie . . . . . . Frontallappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Temporallappen . . . . . . . . . . . . . . . . Okzipitallappen . . . . . . . . . . . . . . . . . Parietallappen . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der „emotionale Apparat“ . . . . . . . . . Inselregion: „Wie fühle ich mich?“ . . . . Thalamus: „Tor zum Bewusstsein“ . . . . Basalganglien: Motorik und Belohnung Hirnstamm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kleinhirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 14 16 17 19 . . . . . . . . . . . . . 20 21 23 23 28 30 31 31 37 39 39 41 42 3.6 3.7 3.8 3.9 44 44 44 46 46 47 48 48 49 50 51 52 53 53 54 55 55 55 56 56 56 57