Asolo-Schema

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T H E M E N
Der Begriff Seele „sollte aus der Psychiatrie verschwinden“. Seele stehe außerhalb; sie sei ein „Weltkulturerbe“.
Der Suizidforscher Dr. med. Bernd
Ahrens, Klinik für Psychiatrie, Medizinische Universität zu Lübeck, widerlegte die Ansicht, dass sein Fachgebiet wenig zur Seelenforschung beitragen könne: Gerade die Suizidalität gehe an die
Wurzel der Selbstkonstruktion. Das belegte auch Prof. Dr. med. Werner Felber,
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie,
Universitätsklinikum Dresden, der den
Selbstmord der frühromantischen Dichterin Karoline von Günderode (1780
bis 1806) untersuchte. Die junge Frau
lebte seit ihrem 18. Lebensjahr mit dem
„Todesgedanken“, bis sie sich acht Jahre
später mit einem Messerstich ins Herz
tötete. „Sie wollte wie ein Mann sein.“
(Abbildung) Heute würde die Diagnose
lauten: Depressionen mit narzisstischer
Persönlichkeitsstörung, chronische Suizidalität, sexuelle Identitätsstörung.
Nach Felbers Ansicht hätte ihre Seele
mit den heutigen Behandlungsmethoden eine Chance gehabt.
Janusköpfige Seele
Ein Bild der janusköpfigen Seele manisch-depressiver Patienten zeichnete
Prof. Dr. med. Andreas Marneros, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Universität Halle-Wittenberg. Besonders
häufig litten Künstler und Schriftsteller
an manisch-depressiven Erkrankungen. Der Beginn der manischen Phase
wird häufig als kreative Phase erlebt.
Marneros stellte fest, dass die Patienten
unter ihrer Erkrankung zwar litten, sie
aber dennoch „behalten wollten, um
kreativ zu bleiben“. Die Behandlung
mit Lithium, die die manischen Phasen
abflacht und die depressiven Phasen
aufhellt, sei nicht immer erwünscht.
Aus biologischer Sicht gebe es keine
Seele, betonte Prof. Dr. med. Franz
Müller-Spahn, Psychiatrische Universitätsklinik, Basel. Der Philosoph Descartes (1596 bis 1650) trennte Geist und
Körper und lokalisierte die Seele in der
Zirbeldrüse. Psychische Funktionen erkläre die Forschung heute neurobiologisch. Die Seele dagegen könne die
Neurobiologie nicht erklären; sie sei
eine „anima immortalis“.
D E R
Z E I T
Die Existenz der Seele – in der
Freudschen Bedeutung von Psyche –
verteidigte Prof. Dr. med. Walter Müller, Pharmakologisches Institut für Naturwissenschaftler, Universität Frankfurt. Wie sonst sei zu erklären, dass Erkrankungen der Psyche zu organischen
Schäden führen? Oder dass Placebos im
Zentralen Nervensystem die gleiche
Wirkung hervorrufen können wie Psychopharmaka? Belegt sei, dass psycho-
Asolo-Schema
Das Asolo-Schema beurteilt die
Wirkung der gängigen Antidepressiva auf die unterschiedliche Symptomatik depressiver Erkrankungen. Die Bewertung beruht auf Erfahrungen und Meinungen von
Nervenärzten und Experten. Das
neuro-immunologische Mechanismen
Psyche und Körper miteinander verbinden. Diese Mechanismen müssten in
der Forschung noch mehr berücksichtigt werden.
Prof. Dr. med. Dr. phil. Fritz Henn,
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim, stellte eine These auf:
Im Gehirn geschieht das Gleiche, unabhängig davon, ob es pharmakologisch
oder psychotherapeutisch eingestellt
wird. Studien an Menschen und an Tieren hätten gezeigt, dass eine gute Verhaltenstherapie die gleiche Wirkung
haben kann wie psychopharmakologische Behandlung.
Seele ist wissenschaftlich
nicht fassbar
Das „Gesamtkonstrukt Seele“, als Ganzes wissenschaftlich nicht fassbar, bestehe aus einzelnen Modulen, meint Prof.
Dr. med. Peter Falkei, Zentrum für Nervenheilkunde, Universität Bonn. Ein
Modul sei die wissenschaftlich fassbare
„Ich-Perspektive“: Wahn- und Schizophreniekranke können sich nicht in die
Gefühlswelt einer anderen Person versetzen, das heißt, sie sind nicht in der
Lage, einen Perspektivenwechsel zu vollziehen. Kernspintomographische Auf-
Deutsches Ärzteblatt½ Jg. 97 ½ Heft 50½ 15. Dezember 2000
nahmen des Gehirns zeigten, dass bei
Wechsel in eine andere Perspektive –
wie sie Gesunde vollziehen – Aktivität in
der vorderen Hirnhälfte erkennbar ist.
Die Psychologin Prof. Dr. Monika
Bullinger, Institut für Medizinische Psychologie, Universität Hamburg, definierte Seele als „das Subjektive sich in
der Welt fühlen“. Dies sei abhängig von
der Lebensqualität. Lebensqualität erscheine als ein „universelles menschli-
Schema soll dem Arzt als Entscheidungshilfe dienen, welches Antidepressivum für welche Störung
das Beste ist. (Literatur: Rüther E
et al.: Das Asolo-Schema zur therapierelevanten multidimensionalen Klassifizierung der Antidepressiva. Psychopharmakatherapie, Heft 4, 1995)
ches Konzept“, denn bedeutsam seien
individuelle Verhaltensweisen, gesellschaftliche Bedingungen und kulturelle
Wertvorstellungen.
Die Lebensqualität SchizophrenieKranker werde entschieden durch die
Einnahme atypischer Neuroleptika verbessert, erklärte Prof. Dr. med. Dieter
Naber, Psychiatrische Universitätsklinik, Hamburg. Diese vermeiden weitgehend die typischen Nebenwirkungen
von Neuroleptika der ersten Generation wie stigmatisierende Motorik und
Mimik. Studien zur Lebensqualität belegten, dass Patienten die neuen – deutlich teureren – Neuroleptika bevorzugen. Grund: Der mimische Ausdruck ist
von großer sozialer Bedeutung. Positive Reaktionen der Umwelt tragen zur
Gesundung bei und verbessern die
Compliance.
Seelsorge sei für Patienten in einer
psychiatrischen Klinik wichtig, betonte
Prof. Dr. med. Reinhard Steinberg, Pfalzklinikum für Psychiatrie und Neurologie,
Landeck-Klingenmünster. Er ließ 1995
im Pfalzklinikum eine Umfrage durchführen: Danach wünschten 50 Prozent
der Befragten den Kontakt zu einem
Seelsorger. Besonders hoch war der Anteil weiblicher gerontopsychiatrischer
Patienten. Knapp der Hälfte war der
Kontakt zum Seelsorger ebenso wichtig
wie der zum Therapeuten. Petra Bühring
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