Kapitel 20: Eine darwinistische Sicht des Lebens (englische Version: Kap. 22) Die westliche Kultur widersetzte sich evolutionären Sichtweisen des Lebens Die darwinistische Evolutionstheorie und das Werk Darwins Die Entstehung der Arten stellen einen radikalen Umbruch der damaligen Weltansicht, die auf religiöse Vorstellungen beruhte, wie z. B. die Erde sei nur wenige tausend Jahre alt und von unveränderlichen Lebensformen bevölkert, die während der einen Woche erschaffen wurden, in der Gott das gesamte Universum entstehen liess. Die Stufenleiter des Lebens und die natürliche Theologie Weltanschauungen griechischer Philosophen, welche die westliche Kultur am meisten beeinflussten: Platon: Er vertrat die Philosophie des Essentialismus, die besagt, dass die Welt aus zwei Welten besteht. Die eine ist vollkommen und unsichtbar (Ideenwelt) und die andere unvollkommen aber von unseren täuschenden Sinnen wahrnehmbar (Sinnenwelt). Für ihn waren die Variationen, die wir in Pflanzen- und Tierpopulationen beobachten unvollkommene Abbilder idealer Formen. Diese Philosophie schloss eine Evolution aus, da diese nicht viel Sinn macht in einer Welt, in der alle Lebewesen bereits perfekt an ihre Umwelt angepasst sind. Aristoteles (Schüler Platons): Auch er schloss eine Evolution aus. Er war der Meinung, der Meinung, dass alle Lebensformen auf einer Skala zunehmender Komplexität angeordnet werden konnten, welche die Römer später scala naturae (Stufenleiter der Natur) nannten. Dabei blieb jede Art unveränderlich. Die Evolutionstheorie geriet in der jüdisch-christlichen Kultur zunehmend in Verruf, weil diese nicht im Einklang mit den biblischen Schriften des Alten Testaments stand (Kreationismus). Das kreationistisch-essentialistische Dogma, die Arten seien individuell geschaffen und für die Ewigkeit, grub sich fest in das westliche Denken ein. Die Biologie war auch von der natürlichen Theologie beherrscht, einer Philosophie, die sich der Aufdeckung des göttlichen Schöpfungsplanes durch das Studium der Natur widmete. Ein Hauptziel der Naturtheologen war, jede Art einer Stufe der göttlichen scala naturae zuzuordnen. Im 18. Jhd. begründete Carl von Linné (1707-1778) die Systematik oder Taxonomie. Seien Art der Einteilung ist noch heute gebräuchlich. Als Vertreter der natürlichen Theologie entwickelte er seine 1 Klassifizierung der Lebewesen, um Gottes Plan zu offenbaren nach dem Motto: Gott erschafft, Linné ordnet. Cuvier, Fossilien und die Katastrophentheorie Die meisten Fossilien findet man in Sedimentgesteinen, Gesteinen, die sich aus dem Sand und Schlamm bilden, die sich am Grund von Meeren, Seen und Sümpfen abgelagern. Durch den Druck, den die oberen Schichten auf die darunterliegenden ausüben, wandeln sich diese in Gestein um. Durch Erosion werden dann ältere Schichten freigelegt. Die Paläonthologie, die Erforschung der Fossilien, wurde v. a.durch den französischen Anatomen George Cuvier (1769-1832) begründet. Er stellte fest, dass jede Sedimentschicht durch eine einzigartige Flora und Fauna charakterisiert ist und je tiefer man gräbt, desto weniger ähneln die Fossilfunde heutigen Lebewesen. Obwohl es ihm durch seine Beobachtungen klar wurde, dass das Aussterben und Erscheinen von neuen Arten ein häufiges Ereignis war, war er ein Gegner der Evolutionsforscher. Er begründete diesen Widerspruch, indem er die Katastrophentheorie aufstellte. Diese Theorie besagt, dass die Grenzen zwischen Fossilschichten auf Naturkatastrophen zurückzuführen sind, welche die Ausrottung zahlreicher Spezies bewirkten. Er erklärte sich also das Auftreten neuer Arten durch die Neubesiedlung eines Gebiets mit Fremdarten, die aus den Angrenzenden Gebieten zuwanderten, nachdem die lokale Flora und Fauna durch eine Naturkatastrophe ausgerottet worden waren. Das Konzept des geologischen Gradualismus ebnete der Abstammungslehre den Weg Im Jahre 1795 stellte der schottische Geologe James Hutton die Theorie des Gradualismus auf, demzufolge tiefgreifende Veränderungen das Gesamtprodukt langsamer, aber kontinuierlicher Prozesse sind, wie z. B. die Bildung von Sedimentgesteinen durch die Ablagerung von erodierten Landpartikeln, die in den Flüssen ins Meer transportiert wurden. Charles Lyell (1797- 1875) integrierte die Theorie des Gradualismus in die von ihm begründete Theorie des Uniformitarianismus, die auch als Aktualismus bekannt ist. Diese Theorie besagt, dass geologische Kräfte immer gleicher Art und Intensität sind. 2 Lamarck brachte die Fossilien in einen evolutionären Zusammenhang Im Gegensatz zu Aristoteles, der eine einzelne starre Stufenleiter des Lebens definiert hatte, war Baptiste Lamarck (1744-1829) der Meinung, dass gegenwärtige Spezies das Produkt stufenloser Abfolgen von Lebewesen waren. Diese Abfolgen begannen bei mikroskopisch kleinen Organismen, die nach Lamarck ständig spontan aus unbelebter Materie entstanden. Im Laufe der Evolution wurden die Organismen immer komplexer und somit besser an ihre Umwelt angepasst. B. Lamarck erklärte die Entwicklung spezieller Anpassungen durch die folgenden zwei Ideen: 1. Idee: Körperteile, die intensiv gebraucht werden, werden grösser und stärker, während Körperteile, die nicht gebraucht werden verkümmern. 2. Idee: Die während des Lebens erworbenen Merkmale können vererbt werden. Die zweite Idee ist inkorrekt, da erworbene Merkmale, die Gene nicht verändern. Diese Vorstellung wurde damals jedoch weitgehend akzeptiert. Die meisten verwiesen aber die Evolutionstheorie, denn sie glaubten an den Essentialismus und die Schöpfungsgeschichte, welche die Arten festlegten. Feldforschungen brachten Darwin darauf, seine Sicht des Lebens zu entwickeln: Wie Forschung funktioniert Die Reise der Beagle Mit 22 Jahren reiste Darwin auf dem Forschungsschiff Beagle um die Welt. Die Hauptmission dieser Reise war die Kartierung kaum bekannter Abschnitte der südamerikanischen Küstenlinie. Während die Crew des Schiffes die Küste erforschte, verbrachte Darwin die meiste Zeit am Strand und beobachtete und sammelte Tausende Exemplare exotischer südamerikanischer Tiere und Pflanzen. Gleichzeitig konnte er bei der Umrundung des Kontinents die verschiedenen Anpassungen der Tiere und Pflanzen an die unterschiedlichen Gegenden beobachten. Dabei stellte er fest, dass die südamerikanischen Arten sich deutlich von den europäischen unterschieden und dass Arten aus den gemässigten Zonen Südamerikas mehr Gemeinsamkeiten mit Arten aus den tropischen Regionen Südamerikas als mit denjenigen in den gemässigten Zonen Europas. Auch die Fossilien Südamerikas ähnelten die den lebenden Pflanzen und Tieren dieses Kontinents. Ein besonders verwirrender Fall geographischer Verbreitung war die Fauna der Galapagos-Inseln. Die meisten Tierarten der Galapagos kommen nirgends sonst auf der Welt vor, gleichen aber gewissen Arten auf dem südamerikanischen Festland. Anscheinend gelangten Arten aus dem Festland in diese Inseln, wo sie sich auseinanderentwickelten. Auf den Galapagos-Inseln sammelte 3 Darwin u. a. 13 Finkenarten, die sich sehr ähnlich waren. Er fand heraus, dass es sich um 13 verschiedene Arten handelte. Zum Zeitpunkt, als die Beagle von den Galapagos-Inseln wegsegelte, hatte Darwin Lyells Principles of Geology gelesen. Lyells Ideen und seine Entdeckungen auf den Galapagos-Inseln liessen Darwin am Standpunkt der Kirche zweifeln, die Erde sei statisch und erst vor 6000 Jahren erschaffen worden. Er kam zum Schluss, dass die Erde sehr alt sein musste und sich ständig veränderte. Darwin konzentriert sich auf die Anpassung Allmählich erkannte Darwin, dass neue Arten aus altertümlichen durch graduelle Anpassung entstehen. Eine Form der graduellen Anpassung kann durch geographische Barrieren zustande kommen. Dadurch kann eine Population in mehrere Teilpopulationen aufgeteilt werden. Nach mehreren Generationen können sich die Teilpopulationen aufgrund der Anpassung auf die herrschenden Bedingungen der jeweiligen Regionen zu verschiedenen Arten auseinanderentwickeln. Das war der Fall mit den Galapagos-Finken, was sich u. a. in der Form des Schnabels manifestierte. Im Jahre 1844 schrieb Darwin eine lange Abhandlung über die Entstehung der Arten und die natürliche Zuchtwahl. Obwohl zu dieser Zeit immer mehr Leute von der Evolutionstheorie überzeugt waren, zögerte Darwin mit der Publizierung seiner Theorie. Sie war zu revolutionär. Am 1. Juli 1858 legten Lyell und ein Kollege Auszüge von Darwins unveröffentlichter Abhandlung der Linnaean Society of London vor. Darwin stellte rasch Die Entstehung der Arten fertig und veröffentlichte sie im folgenden Jahr. Innerhalb eines Jahrzehnts hatten Darwins Buch und seine Verfechter die Mehrzahl der Biologen davon überzeugt, dass die biologische Vielfalt das Produkt der Evolution ist.. Es gelang ihm das hauptsächlich, weil er seine Leser mit der makellosen Schlüssigkeit seines Konzepts und mit einer Flut von Befunden, welche die Evolutionstheorie stützten, überzeugte. Darwins Werk Die Entstehung der Arten behandelt zweierlei: Die Evolution als historisches Ereignis und die natürliche Selektion als ihr Mechanismus Gemeinsame Abstammung mit fortwährender Modifikation In der ersten Ausgabe von Die Entstehung der Arten verwendete Darwin den Ausdruck „gemeinsame Abstammung mit fortwährender Modifikation“. Darwin leitete alle Lebensformen von einem 4 unbekannten gemeinsamen Prototyp her. Durch die Ausbreitung dieses Urlebewesens im Laufe der Jahrmillionen kam es zu einer Anhäufung von Modifikationen infolge der Anpassung an die verschiedenen Lebensräume. Aus Darwinscher Sicht ähnelt die Evolution einem Baum, dessen Stamm zahlreiche Äste bildet, die sich immer weiter verzweigen bis hin zu den frischen Trieben, welche die gegenwärtige Mannigfaltigkeit an Lebewesen symbolisieren. An jeder Gabelung des evolutionären Stammbaumes steht ein Vorfahre, der allen Abstammungslinien, die von hier abzweigen, gemeinsam ist. Für Darwin spiegelte die natürliche Hierarchie des Systems von Linné den verzweigten Stammbaum des Lebens wieder. Natürliche Auslese und Anpassung Der Evolutionsbiologe Ernst Mayr gliederte Darwins Theorie der natürlichen Selektion in drei logische Schlüsse, die aus fünf Beobachtungen folgten: Beobachtung 1: Alle Arten weisen ein derart hohes Fortpflanzungspotential auf, dass ihre Populationsgrösse exponentiell zunehmen würde, wenn alle Individuen, die geboren werden, sich erfolgreich fortpflanzten. Beobachtung 2: Die meisten Populationen sind normalerweise mit Ausnahme saisonaler Schwankungen in ihrer Grösse stabil. Beobachtung 3: Die natürlichen Ressourcen sind begrenzt. Folgerung 1: Die Produktion von mehr Nachkommen, als die Umwelt tragen kann, führt unter den Individuen einer Population zu einem Kampf ums Überleben, wobei in jeder Generation nur ein Bruchteil des Nachwuchses überlebt. Beobachtung 4: Die Individuen einer Population variieren enorm in ihren Merkmalen; keine zwei Individuen sind exakt gleich. Beobachtung 5: Ein Grossteil dieser Variabilität ist erblich. Folgerung 2: Das Überleben im Existenzkampf beruht nicht auf Zufall, sondern hängt unter anderem von den Erbanlagen der überlebenden Individuen ab. Die durch ihre ererbten Merkmale am besten an die Umwelt angepassten Individuen hinterlassen wahrscheinlich mehr Nachkommen als weniger gut angepasste. Folgerung 3: Die ungleichen Überlebens- und Fortpflanzungsfähigkeiten von Individuen würden zu einem graduellen Wandel in einer Population führen, wobei sich vorteilhafte Merkmale im Laufe der Generationen anhäufen. Die natürliche Selektion ist dieser unterschiedlicher Fortpflanzungserfolg, und ihr Produkt ist die Anpassung der Lebewesen an ihre Umwelt. Selbst wenn die Vorteile einiger Varianten gegenüber den anderen nur geringfügig sind, werden sich die vorteilhafteren Varianten in einer Population durchsetzen, weil sie durch die natürliche Auslese über viele Generationen hinweg in überdurchschnittlichem Ausmass erhalten bleiben. 5 Somit erfolgt die natürliche Selektion durch eine Wechselwirkung zwischen der Umwelt und der in einer Population vorhandenen Variabilität. In jeder Generation stellen Umweltfaktoren erbliche Varianten auf die Probe und begünstigen einige gegenüber anderen. Der unterschiedliche Fortpflanzungserfolg führt dazu, dass die begünstigten Merkmale in der folgenden Generation überdurchschnittlich repräsentiert sind. Solche Variationen entstehen durch die zufälligen Mechanismen der Mutation und genetischen Rekombination. Darwin fand Hinweise auf wesentliche Veränderungen in einer Population durch Selektion bei der künstlichen Selektion, der Züchtung domestizierter Pflanzen und Tiere. Über viele Generationen veränderte der Mensch andere Arten durch Auswahl von Individuen mit erwünschten Merkmalen als Zuchtgrundlage. Die Pflanzen und Tiere, die wir als Nahrungsmittel anbauen bzw. halten, ähneln ihren wilden Vorfahren kaum noch. Wenn sich durch künstliche Selektion in einem relativ kurzen Zeitraum so viele Veränderungen erreichen lassen, so folgerte Darwin, dann sollte auch die natürliche Auslese imstande sein, über Hunderte oder Tausende von Generationen hinweg beträchtliche Veränderungen herbeizuführen. Nach Darwins Vorstellung evolvierten die unterschiedlichen Lebewesen durch eine allmähliche Anhäufung geringfügiger Abänderungen (Gradualismus). Einige Feinheiten der natürlichen Selektion Eine Population ist die kleinste Einheit, die evolvieren kann. Die natürliche Selektion setzt zwar bei den Wechselbeziehungen zwischen einzelnen Lebewesen und ihrer Umwelt an, aber Individuen evolvieren nicht. Messen lässt sich Evolution nur, indem in einer Population über eine Reihe von Generationen hinweg Veränderungen im prozentualen Anteil einer Variante erfasst. Es muss auch betont werden, dass die natürliche Selektion regionale und zeitliche Besonderheiten aufweist; Umweltfaktoren schwanken von Ort zu Ort und von Periode zu Periode. Natürliche Selektion in Aktion: Zwei Beispiele Daphne Major, eine winzige Insel der Galapagos-Inseln, ist der Lebensraum der Mittelgrundfinken. Diese Finkenart verändert die Höhe ihrer Schnäbel je nach Nahrungsangebot. Während der Feuchtenperiode ist diese kleiner, da in diesem Zeitraum kleine Samen in Hülle und Fülle vorhanden sind, was denjenigen, die einen schlankeren Schnabel haben, einen Vorteil verschafft. Hingegen ist die Schnabelhöhe grösser während der Trockenzeit, da die Mittelgrundfinken auch grosse, schwerer zu knackende Samen fressen müssen, da es Samenknappheit herrscht. Da sind Vögel mit einem stärkeren Schnabel bevorteilt. Man muss sich im klaren sein, dass die Schnabelevolution dieser Inselvögel nicht aus der Vererbung erworbener Merkmale herrührt. Nicht die Umwelt schuf je nach Niederschlagsmenge unterschiedlich grosse Schnäbel, sondern deren Einwirkung auf bereits vorhandene Variationen, die das Überleben und den Fortpflanzungserfolg unter solchen Bedingungen optimieren. 6 Bei einem anderen Forschungsprojekt wurde in einer Wiese im US-Bundesstaat Nevada die rasche evolutionäre Anpassung des Scheckenfalters Editha editha dokumentiert. Die Schmetterlingsfalter legen ihre Eier an die Nahrungspflanze der Raupen. Bis vor kurzem legten sie ihre Eier hauptsächlich an Collinsia torreyi; sie identifizierten diese Pflanze mit Hilfe von Geschmackssinneszellen an ihren Füssen. 1983 legten die Scheckenfalter beispielsweise rund 80 Prozent ihrer Eier auf Collinsia. In den folgenden zehn Jahren wanderte Spitzwegerich (Plantago lanceolata) in die Wiese ein. Im Jahre 1993 – nach nur einem Jahrzehnt – legten die Falter 70 Prozent ihrer Eier auf die zugewanderte Pflanze. Die Umstellung der Präferenz auf eine andere Pflanze ist genetisch bedingt. Dieses Beispiel beweist, dass natürliche Selektion auch sehr schnell einwirken kann. Indizien aus vielen Bereichen der Biologie bestätigen die evolutionäre Sicht des Lebens Die biologische Evolution hinterliess Spuren in Form von Fossilien und in historischen Merkmalen, die sich in rezenten Lebensformen zeigen. Biogeographie Biogeographie: geographische Verbreitung von Arten Auf Inseln leben sehr viele endemische (d. h. dort und nirgendwo sonst heimische) Tier- und Pflanzenarten, die aber nahe verwandt sind mit Arten des nächstgelegenen Festlandes oder einer benachbarten Insel. Nach der Darwinschen Interpretation findet man moderne Arten dort, wo sie leben, weil sie sich aus Vorfahren entwickelten, die diese Region einst besiedelten. Die Fossilbelege Die Abfolge fossiler Lebensformen steht in Einklang mit dem, was durch andere Indizien über die Hauptäste am Baum des Lebens bekannt ist. Z. B. identifizieren Hinweise aus der Biochemie, Molekularbiologie und Zellbiologie frühe Prokaryoten als Vorfahren allen heutigen Lebens, und folglich sollten im Fossilnachweis Bakterien sämtlichem eukaryotischen Leben vorausgehen. Tatsächlich handelt es sich bei den ältesten bekannten Fossilien um Prokaryoten. 7 Vergleichende Anatomie Die gemeinsame Abstammung mit fortwährenden Modifikationen zeigt sich auch in anatomischen Ähnlichkeiten zwischen Arten, die derselben taxonomischen Gruppe angehören. Beispielsweise bestehen die Vordergliedmassen von Menschen, Katzen, Walen, Fledermäusen und allen anderen Säugetieren aus den gleichen Skelettelementen, auch wenn die betreffenden Extremitäten sehr unterschiedliche Funktionen erfüllen. Die grundlegende Ähnlichkeit dieser Vordergliedmassen ergibt sich aus der Abstammung aller Säugetiere von einem gemeinsamen Vorfahren. Die Vorderbeine, Flügel, Flossen und Arme verschiedener Säugetiere sind Variationen eines gemeinsamen anatomischen Konzepts, das für unterschiedliche Funktionen modifiziert wurde. Ähnlichkeiten in Merkmalen infolge gemeinsamer Abstammung bezeichnet man als Homologien und solche anatomischen Zeichen der Evolution homologe Strukturen. Die merkwürdigsten homologen Strukturen sind rudimentäre Organe, Rückbildungen von geringfügigem oder überhaupt keinem erkennbaren Nutzen für das Lebewesen. Rudimentäre Organe sind historische Überbleibsel von Körperteilen, die bei Vorfahren wichtige Funktionen erfüllen, nun aber nicht mehr notwendig sind. Vergleichende Embryologie Nahe verwandte Lebewesen durchlaufen in ihrer Embryonalentwicklung ähnliche Stadien. In der Tat sind in diesem Stadium der Entwicklung Ähnlichkeiten zwischen Fischen, Fröschen, Schlangen, Vögeln, Menschen und allen anderen Wirbeltieren sehr viel offensichtlicher als Unterschiede. Wenn die Entwicklung voranschreitet, differenzieren sich die verschiedenen Wirbeltiere immer mehr auseinander und nehmen die charakteristischen Merkmale ihrer Klasse an. Weil embryonale Vorgänge letztendlich auch das Funktionieren des erwachsenen Organismus beeinflussen, sind sie ebenfalls der natürlichen Selektion unterworfen. In der Tat hat jede Art zahlreiche spezifische embryonale Merkmale. Dennoch liefert die Ontogenie (die Entwicklung des Individuums) Hinweise auf die Phylogenie (die Entwicklungsgeschichte der Art). Molekularbiologie Die evolutionären Beziehungen zwischen Arten spiegeln sich in deren Genen und Proteinen wider. Wenn zwei Organismenarten Gen- oder Proteinsequenzen aufweisen, die deutlich miteinander übereinstimmen, dann müssen diese Sequenzen auf einen gemeinsamen Vorfahren zurückgehen. 8 Darwins Spekulation – dass alle Lebensformen durch verzweigende Abstammung von den frühesten Organismen in gewissem Masse miteinander verwandt sind – wurde ebenfalls durch die Molekularbiologie erhärtet. Selbst taxonomisch weit voneinander entfernte Lebewesen wie Bakterien und Menschen haben einige Proteine gemeinsam. Ein Beispiel dafür ist Cytochrom c, ein Atmungskettenprotein, das man in allen aeroben Organismen findet. An manchen Stellen in der Sequenz wurden während des langen Verlaufs der Evolution durch Mutationen Aminosäuren ausgetauscht, aber dennoch ähneln sich die Cytochrom-c –Moleküle aller Arten sehr stark in ihrer Struktur und Funktion. Ein gemeinsamer genetischer Code stellt einen weiteren Hinweis darauf dar, dass alles Leben miteinander verwandt ist. Offensichtlich wurde die Sprache des genetischen Codes seit ihrer Erfindung durch eine frühe Lebensform in allen Ästen der Evolution beibehalten. Somit liefert die Molekularbiologie die neusten Belege, die bestätigen, dass die Evolution die Grundlage für die Gemeinsamkeiten und die Vielfalt des Lebens ist. 9 10