Economic Newsletter Extra Target 2: Nur eine

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Economics
17.12.2012
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Economic Newsletter Extra
Target 2: Nur eine Clearingstelle oder doch mehr?
In den letzten, an neuen ökonomischen und geldpolitischen Begriffen und Abkürzungen
reichen Monaten wurde auch ein an sich rein technischer Begriff aus dem Umfeld der
Europäischen Währungsunion von den Medien aufgegriffen: Target 2. Der Zusatz „2“
verstärkte noch das Rätselhafte, denn wer hatte zuvor schon von Target 1 gehört?
TARGET steht für „Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express
Transfer System“ und ist eigentlich nichts anderes als das Verrechnungssystem der EuroStaaten untereinander – sozusagen ein europaweites Clearingsystem. Dieses
Verrechnungssystem war Voraussetzung für die Gründung der Europäischen Währungsunion
(EWU) und stellt eine einheitliche Infrastruktur zur Abwicklung von nationalen und
grenzüberschreitenden Großbetragszahlungen in sicherem Zentralbankgeld zwischen den
Banken und Finanzinstitutionen der Eurozone dar.
Mit der EWU wurde also auch Target (1) ins Leben gerufen. Dieses System der ersten
Generation war noch dezentral organisiert, d.h. die einzelnen Zahlungsströme innerhalb der
Eurozone wurden bei den jeweiligen nationalen Zentralbanken erfasst und nicht bei der EZB
zentral gebündelt. Angesichts dessen, dass pro Tag durchschnittlich 350.000 Zahlungen mit
einem Gesamtvolumen von mehr als 2.500.000.000.000 EUR in der Eurozone getätigt werden
(entspricht in etwa dem jährlichen BIP Deutschlands), stieß diese multiple Parallelstruktur
sehr schnell an seine Grenzen und wurde 2008 durch Target 2, das Zahlungssystem der
zweiten Generation, ersetzt.
Target 2 wird nun auf einer einzigen, einheitlichen technischen Plattform betrieben (Single
Shared Platform, SSP), die von den Zentralbanken der drei größten Euro-Staaten
Deutschland, Frankreich und Italien betreut wird. Die rechtlichen Bedingungen der einzelnen
nationalstaatlichen Zahlungssysteme wurden harmonisiert. Alle Eurostaaten müssen Target 2
beitreten, andere EU-Mitgliedsländer können.1
Mit dem Europäischen System der Zentralbanken (ESZB) hat die EZB in jedem EuroMitgliedsland mit der jeweiligen Zentralbank eine einzige Partnerin, welche die
Zahlungsströme von und zu den inländischen Geschäftsbanken bündelt. Sind diese
grenzüberschreitend, laufen die Zahlungen über die EZB, formal zuständig für diese
Geschäftsabwicklungen bleiben allerdings weiterhin die einzelnen Zentralbanken.
1
Die Umstellung erfolgte in mehreren Schritten: Deutschland, Luxemburg, Österreich, Slowenien, Malta,
Zypern, Litauen und Lettland sind im November 2007 migriert. Im Februar 2008 starteten Belgien, Finnland,
Frankreich, die Niederlande, Portugal, Irland und Spanien, gefolgt von Dänemark, Estland, Griechenland,
Italien und Polen sowie der EZB selbst im Mai 2008. Während im Jänner 2009 und Februar 2010 schließlich
die Slowakei sowie Bulgarien nachfolgten, entschied sich Großbritannien gegen eine Teilnahme an Target 2.
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Insgesamt laufen über die EZB bzw. Target 2 pro Jahr 90 Millionen grenzüberschreitende
Zahlungen mit einem Volumen von rund 600.000 Mrd EUR. Die Zahlungen bestehen aus
Euro-Transaktionen, vor allem zwischen den zugelassenen 4.500 Kredit- und
Finanzinstituten, sowie aus Zahlungen, die aus Geschäften mit dem Eurosystem resultieren.
Diese Zahlungen können aufgrund von Warenlieferungen, dem Kauf oder Verkauf von
Wertpapieren, der Gewährung oder Rückzahlung von Darlehen, Geldanlagen bei Banken und
ähnlichem mehr erfolgen.
Zum besseren Verständnis der Rolle von Target 2 bei diesen grenzüberschreitenden
Buchungs- und Zahlungsströmen hilft ein Blick auf die Zahlungsbilanz-Identität:
Leistungsbilanz + Kapitalbilanz + „Ausgleichsposten“ ≡ 0
In einem System fester Wechselkurse sind mit dem Terminus „Ausgleichsposten“ die Anund Verkäufe von Währungsreserven gemeint, um die Wechselkursfixierung der eigenen
Währung aufrechtzuerhalten. Dies ist in der VR China der Fall, die den chinesischen Yuan an
den US-Dollar gebunden hat. In einem ähnlichen Fall betreibt derzeit die Schweizerische
Nationalbank Stützungskäufe für den CHF/EUR-Wechselkurs.
In Europa entstand mit der Einführung der EWU ebenfalls ein System fester Wechselkurse,
allerdings mit derselben Währung. Die Rolle des Ausgleichspostens übernehmen in der
Eurozone daher die Target 2-Salden bei der EZB.
Diese Target 2-Salden im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Buchungs- und
Zahlungsströmen kann man mithilfe von T-Konten darstellen:
Ein Unternehmen im Land A der Eurozone kauft eine Maschine von einem Unternehmen in
Land B der Eurozone. Der Käufer veranlasst die Zahlung von beispielsweise 100 EUR an den
Verkäufer.
Land A
Land B
Bank A
Bank B
Kontoüberweisung
Aktiva
Passiva
Aktiva
Passiva
Reserven bei
Zentralbank A
Konto
Unternehmen A
Reserven bei
Zentralbank A
Konto
Unternehmen A
-100
-100
+100
+100
Da es sich um eine grenzüberschreitende Interbanktransaktion handelt, sind bei der
Abwicklung dieses Kaufes allerdings noch zwei Zentralbanken involviert. Damit diese zwei
Zentralbanken ihre Forderung bzw. Verpflichtung gegeneinander verrechnen können, ist
darüber hinaus auch die EZB – via Target 2 – zwischengeschaltet.
Die Guthaben der Geschäftsbank des Käufers (Bank A) bei ihrer Zentralbank A sinken,
während umgekehrt die Guthaben der Geschäftsbank B bei ihrer Zentralbank B steigen. In der
Bilanz der EZB schuldet die Zentralbank A auf Käuferseite nun 100 EUR mehr (Target-
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Defizit), während andererseits die Zentralbank B einen Target-Überschuss von 100 EUR bei
der EZB aufweist.
Land A
Land B
Bank A
Bank B
Kontoüberweisung
Aktiva
Passiva
Aktiva
Passiva
Reserven bei
Zentralbank A
Konto
Unternehmen A
Reserven bei
Zentralbank A
Konto
Unternehmen A
-100
-100
+100
+100
Zentralbank A
Aktiva
EZB
Zentralbank B
Passiva
Aktiva
Passiva
Aktiva
Passiva
Verpflichtung
an EZB
Forderung an
Zentralbank A
Verpflichtung an
Zentralbank B
Forderung an
EZB
Bank B
Reserven
+100
+100
+100
+100
+100
Bank A
Reserven
-100
Target 2-Salden vor und nach Ausbruch der Staatsschuldenkrise
Von Geschäftsbank A fließen also Einlagen ab. Um diesen Abfluss wieder auszugleichen,
stehen der Bank einige Möglichkeiten zur Verfügung:
•
zusätzlich Einlagen gewinnen,
•
Kredite auf dem Interbankenmarkt aufnehmen,
•
eigene Vermögenswerte verkaufen, oder
•
Kredite bei der Zentralbank aufnehmen.
Bis zum Ausbruch der Staatsschuldenkrise nahmen Banken tatsächlich hauptsächlich Kredite
auf dem Interbankenmarkt auf. Um bei obigem Beispiel zu bleiben: wenn Bank A ihren
Kapitalabfluss von 100 EUR der Einfachheit halber durch einen Kredit von der, im Ausland
ansässigen, Bank B in Höhe von 100 EUR ausgleicht, handelt es sich um einen simplen
Kapitalbilanztransfer. Da dadurch die Reservepositionen beider Geschäftsbanken bei ihrer
jeweiligen Zentralbank unverändert bleiben, sind die Bilanzen der Zentralbanken und der
EZB zwar involviert, werden aber ohne ihr Zutun neutralisiert. Die Target 2-Salden waren bis
zur Finanzkrise also vernachlässigbar und unbedeutend, da sie für die meisten Zentralbanken
ausgeglichen waren. Es galt:
Leistungsbilanz + Kapitalbilanz = 0
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Land A
Land B
Bank A
Bank B
Kontoüberweisung
Aktiva
Passiva
Aktiva
Passiva
Reserven bei
Zentralbank A
Konto
Unternehmen A
Reserven bei
Zentralbank A
Konto
Unternehmen A
unverändert
-100
unverändert
+100
Kredit
Kredit von
Bank B
Kredit an
Bank A
+100
+100
Zentralbank A
Aktiva
EZB
Zentralbank B
Passiva
Aktiva
Passiva
Aktiva
Passiva
Verpflichtung
an EZB
Forderung an
Zentralbank A
Verpflichtung an
Zentralbank B
Forderung an
EZB
Bank B
Reserven
+100
+100
+100
+100
+100
Bank A
Reserven
-100
Erst mit Ausbruch der Staatsschuldenkrise begannen die Target 2-Salden, in die eine oder
andere Richtung auszuschlagen, weil eine Finanzierung auf dem Interbankenmarkt immer
schwieriger wurde. Auf der einen (Defizit-)Seite waren insbesondere die Krisenländer der
europäischen Peripherie davon betroffen, auf der anderen Seite Deutschland, das einen
zunehmenden Target 2-Überschuss aufzuweisen begann.
Die Target 2-Salden zeigen auch eindeutig, dass deutsche Banken im grenzüberschreitenden
Zahlungsverkehr mit ihren europäischen Geschäftspartnern wesentlich mehr
Zahlungseingänge verbuchten als sie selbst Zahlungen veranlassten – auf den ersten Blick
scheint es, dass sich der große Rest der Eurozone mehr und mehr bei Deutschland
verschuldete. Beunruhigend war hierbei das Tempo des Forderungsanstiegs Deutschlands:
Anfang 2007 betrug der Target 2-Saldo für Deutschland gerade einmal 13 Mrd EUR, stieg
aber bis zum Höhepunkt im Sommer 2012 auf rund 750 Mrd EUR an. Andererseits weitete
sich das Target 2-Defizit Spaniens im selben Zeitraum auf -380 Mrd EUR aus (ausgehend von
einem Plus mit 22 Mrd EUR). Zusammen mit Italien (August 2012: -267 Mrd EUR) und
Griechenland (-108 Mrd EUR) ergibt das ungefähr die Gegenposition zu Deutschlands
Anstieg.
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Netto-Salden im Eurosystem (Target 2), kumuliert
Mrd EUR
* aktuellste Daten für Österreich von Juni 2012
800
600
400
200
0
-200
-400
-600
Deutschland
Irland
Italien
-800
Spanien
Portugal
Griechenland
Österreich *
Okt.12
Jul.12
Apr.12
Jän.12
Okt.11
Jul.11
Apr.11
Jän.11
Okt.10
Jul.10
Apr.10
Jän.10
Okt.09
Jul.09
Apr.09
Jän.09
Okt.08
Jul.08
Apr.08
Jän.08
-1.000
Quelle: Universität Osnabrück (Macrobond)
In Erinnerung an die Zahlungsbilanz-Identität zeigt sich daher folgendes Bild:
Leistungsbilanz + Kapitalbilanz + Änderung von Target 2 ≡ 0
Die Position „Änderung von Target 2“ übernimmt damit die Rolle des „Ausgleichspostens“.
Da sich der Zahlungsbilanzsaldo identitätskonform immer auf null beläuft, also ausgeglichen
sein muss, wurden Interpretationen angestellt, welche der beiden anderen Positionen
(Leistungsbilanz oder Kapitalbilanz) ursächlich für den starken Anstieg der Target 2-Salden
verantwortlich war:
•
Eine Gruppe sieht den Grund in einer Finanzierung von Leistungsbilanzdefiziten der
Krisenländer der Peripherie durch die Länder Kerneuropas, insbesondere
Deutschlands.
•
Die andere Gruppe interpretiert den Anstieg der Target 2-Defizite der Peripherieländer
als „Kapitalbilanz-Rückfluss“ (capital account reversal). Ihrer Meinung nach bildet
Target 2 die Gegenfinanzierung von grenzüberschreitenden Kapitalverpflichtungen ab.
Mit Ausbruch der Finanz- und Staatsschuldenkrise verringerte sich die Liquidität im
Interbankenmarkt dramatisch. Geschäftsbanken der Eurozone mussten, um
grenzüberschreitende Zahlungen auszugleichen, auf die drei anderen Optionen2 der
Gegenfinanzierung zurückgreifen, wobei sich die meisten Banken um Kredite bei den
Zentralbanken (und damit beim ESZB) bemühten.
Grenzüberschreitende, Target 2 relevante Zahlungen von Banken können vielfältige
Geschäfte als Ursache haben, so etwa der Import von Waren und Dienstleistungen. Um in der
Diktion unseres Beispiels zu bleiben, importiert ein Unternehmen des Landes A eine
Maschine aus dem Land B. Dafür muss Unternehmen A natürlich den angenommenen Preis
2
Erhöhung der Einlagen, Verkauf von eigenen Vermögenswerten, Kreditaufnahme bei Zentralbanken.
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von 100 EUR bezahlen. Dies erfolgt analog zum vorigen Beispiel. Da sich Geschäftsbank A
aufgrund der Liquiditätskrise jedoch nicht mehr am Interbankenmarkt refinanzieren kann, um
seine Reserveposition bei der Zentralbank A auszugleichen, nimmt sie (gegen Hinterlegung
von Sicherheiten) einen Kredit bei der Zentralbank A auf. Dieser Refinanzierungskredit für
die Geschäftsbank A verändert die Bilanzen der teilnehmenden Zentralbanken und auch die
Bilanz der EZB. Die Target 2-Salden übernehmen damit jene Rolle, die im Beispiel zuvor der
Kapitalfluss des Interbankengeschäfts innehatte, und gleichen die Bilanz der Geschäftsbank A
aus.
Land A
Land B
Bank A
Bank B
Kontoüberweisung
Aktiva
Passiva
Aktiva
Passiva
Reserven bei
Zentralbank A
Konto
Unternehmen A
Reserven bei
Zentralbank A
Konto
Unternehmen A
unverändert
-100
+100
+100
(Belastete
Sicherheiten)
Kredit von
Zentralbank A
(+100)
+100
Zentralbank A
EZB
Zentralbank B
Aktiva
Passiva
Aktiva
Passiva
Aktiva
Passiva
RefinanzierungsKredit an Bank A
Verpflichtung
an EZB
Forderung an
Zentralbank A
Verpflichtung an
Zentralbank B
Forderung an
EZB
Bank B
Reserven
+100
+100
+100
+100
+100
+100
Bank A
Reserven
unverändert
Im Falle eines Landes mit souveräner Währung, das einer Zahlungsbilanzkrise ausgesetzt ist,
sind die maximalen Kapitalabflüsse (aufgrund mangelndem Investorvertrauen und/oder
spekulativer Attacken auf die Währung) durch die Höhe ihrer Fremdwährungsreserven
limitiert. Das Land kann seine Währung nur solange verteidigen, solange es genügend
Fremdwährungsreserven hat. Sobald die Reserven aufgebracht sind, muss das Land den
Wechselkurs seiner Währung anpassen.
In der Eurozone übernimmt Target 2 eine ähnliche Rolle wie die Fremdwährungsreserven.
Allerdings stellt hier die Verfügbarkeit an Sicherheiten, welche die Geschäftsbanken im
Austausch für die Refinanzierungsoperationen der EZB hinterlegen müssen, das Limit dar.
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Target 2 als Gegenposition zu einem Leistungsbilanzungleichgewicht
Wie erwähnt, sieht eine Ökonomengruppe den Grund für die steigenden Target 2-Salden in
einer fortgesetzten Finanzierung der Leistungsbilanzdefizite der Krisenländer durch die
restlichen Euro-Mitgliedsstaaten. Wenn dem so wäre, müssten die Veränderung der Target 2Salden der Krisenländer und die Veränderung ihrer Leistungsbilanzsalden übereinstimmen.
Dazu das Beispiel Griechenland:
Das Land importierte in den Jahren 2008 bis 2010 um 84 Mrd EUR mehr Güter und
Dienstleistungen als es exportierte. In der gleichen Zeit floss über Target 2 in etwa der gleiche
Betrag aus dem Land ab. Zufall? Offensichtlich, denn für Irland und Portugal stimmen die
Zahlen ihres Leistungsbilanzdefizits im selben Zeitraum nicht mit ihren Target 2-Salden
überein.
Ein Blick in die Detailpositionen der griechischen Zahlungsbilanz zeigt aber auch, dass
Griechenland bereits zuvor negative Leistungsbilanzsalden aufwies. Das Mehr an Importen
von Gütern und Dienstleistungen wurde bis 2009 aber teilweise durch Ankäufe von
griechischen Wertpapieren durch ausländische Investoren abgedeckt (sprich
Portfolioinvestitionen). Im Jahr 2010 drehte dieser positive Wertpapiersaldo allerdings ins
Minus, d.h. Griechen mussten mehr Wertpapiere tilgen, als sie neu an das Ausland verkaufen
konnten. Gleichzeitig begannen griechische Haushalte ebenfalls vermehrt ihre Bankeinlagen
ins Ausland zu transferieren. Diese Abflüsse wurden über den Aufbau von Verbindlichkeiten
der griechischen Zentralbank gegenüber dem Eurosystem finanziert.3 Der starke Anstieg der
griechischen Target 2-Verbindlichkeiten im Eurosystem war also hauptsächlich eine Folge
von Kapitalflucht. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIS) bestätigt diese
Schlussfolgerung in einer neu veröffentlichten Studie auch für die restlichen Krisenländer der
europäischen Peripherie.4
Target 2 als Gegenposition zu einem Kapitalbilanzungleichgewicht
Bei einer Kapitalflucht ziehen private Geldgeber – von Geschäftsbanken bis hin zu Haltern
von Sparbüchern – ihre Finanzanlagen aus Krisenländern ab.
Stand am Anfang der Staatsschuldenkrise der Abzug von Kapital durch ausländische
Geschäftsbanken (insbesondere Deutschlands) aus den Krisenländern im Vordergrund, folgte
bald darauf die Verlagerung von Vermögenswerten privater Haushalte und inländischer
Geschäftsbanken ins Ausland.
Die Höhe der Forderungen deutscher Banken an die PIIGS-Staaten Portugal, Irland, Italien,
Griechenland und Spanien hat sich seit dem Höhepunkt kurz vor der Lehman-Pleite von rund
600 Mrd EUR auf rund 300 Mrd EUR halbiert. Der Kapitalabzug bedingte steigende Target
2-Defizite der Krisenländer, während Deutschland als Empfängerstaat dieser Kapitalflucht
einen Anstieg seiner Target 2-Überschüsse sah.
3
4
Hinzu kam auch noch der Banknotenumlaufausgleich – dazu weiter unten mehr.
http://www.bis.org/publ/work393.pdf
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Außenstände deutscher Banken in den Peripheriestaaten der Eurozone
Veränderung zwischen 1Q08 und 2Q12, in Mrd EUR
Spanien
-92,25
Deutschland
+281,61
Irland
-82,54
Gesamtabbau der
Exposures deutscher
Geschäftsbanken in den
Peripherieländern
Italien
-71,04
Quelle: BIS
Griechenland
-23,46
Portugal
-12,32
Angesichts der weiter anhaltenden Unsicherheit in den Krisenländern begannen auch
Geschäftsbanken dieser Staaten, ihre Vermögenswerte ins „sichere“ Ausland zu verlagern
(siehe Box 1 auf Seite 9). Selbst viele private Haushalte lösten ihre Sparbücher und andere
Veranlagungen auf, um ihre Gelder nach Deutschland und andere Staaten zu transferieren.
Ein anderer bedeutender Faktor für die Kapitalflucht ist das sogenannte
Redenominierungsrisiko (redomination risk), auf welches EZB-Präsident Draghi wiederholt
als „trigger“ für die Verwerfungen im Interbankenmarkt des Euroraumes hingewiesen hat.
Mit Redenominierungsrisiko werden die Befürchtungen bezeichnet, dass einzelne Staaten aus
der Eurozone ausscheiden (bzw. die Eurozone als Ganzes zerbricht). Dieses Risiko bildet sich
in der Preissetzung ab und inkludiert die Wahrscheinlichkeit des Austritts aus der Eurozone,
den Umfang der darauf folgenden Abwertung der neuen nationalen Währung des betreffenden
Landes und die Kurse seiner Staatsanleihen sowie seiner neuen Währung.
Um sich vor diesem Redenominierungsrisiko zu schützen, begannen internationale
Geschäftsbanken, ihre Vermögenswerte und Verbindlichkeiten innerhalb der Eurozone
umzuschichten. Unter der Annahme, dass Bank A und Bank B der vorangegangenen
Beispiele zu ein und derselben Bankengruppe gehören, kann man den Prozess leicht
darstellen:
Bis zur Staatsschuldenkrise hätten die Mitglieder dieser Bankengruppe sich gegenseitig
Kredite gegeben – etwa die deutsche Mutter an die spanische Tochterbank. Mit Ausbruch der
Krise war alles anders: die deutsche Mutter begann, lieber Überschüsse an Reserveeinlagen
bei der Deutschen Bundesbank zu halten als Kredite an Banken der Krisenländer zu vergeben,
während die spanische Tochter Refinanzierungsoperationen der EZB (wie die LTRO) in
Anspruch nehmen musste. Und dies betraf nicht nur Bankengruppen, die einen Eigentümer
aus einem Mitgliedsland der Eurozone hatten: auch z.B. britische Banken bauten ihr
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Engagement in der
Peripherie ab, um das
Redenominierungsrisiko zu
verringern, und bauten
Nettovermögenswerte in
Deutschland auf.
Ein großer Teil des Anstiegs
der deutschen Target 2Überschüsse ist also das
Resultat der
Bilanzumschichtungen
internationaler Banken.
Der Fall Österreich: Target 2
und der
Banknotenumlaufausgleich
Box 1: Wie der Abbau von Risiken durch spanische Banken den
spanischen Target 2-Saldo beeinflusst
Eine spanische Geschäftsbank hält spanische Staatsanleihen und möchte
angesichts der kritischen wirtschaftlichen Lage Spaniens diese Anleihen
in „Sicherheit“ bringen. Dies passiert nicht, indem ein Angestellter dieser
Bank die Anleihen in einen Rucksack steckt, in ein Flugzeug z.B. nach
Deutschland steigt und die Anleihen im Safe einer deutschen Bank
deponiert. Es wären weiterhin die gleichen spanischen Anleihen – mit
dem gleichen Ausfallsrisiko. Aufgrund dieses Risikos kann das
Finanzinstitut diese Anleihen aber auch nicht in „sichere“ deutsche
Staatsanleihen tauschen, ohne einen immensen Verlust in Kauf zu
nehmen.
Alternativ könnte die Bank ihre Staatsanleihen der spanischen
Zentralbank als Sicherheit geben und sich dafür mit „frischen“ Euro
refinanzieren. Dadurch kann sie einerseits ihre spanischen Anleihen
loswerden, andererseits mit den „frischen“ Euro, zum Beispiel, deutsche
Bunds kaufen. Abgesehen davon, dass sich dadurch die Kapitalbilanz
Spaniens verschlechtert (Kapital fließt ab) und sich vice versa die
Kapitalbilanz Deutschlands verbessert (Kapital fließt zu) und sich das
naturgemäß in den Target 2-Salden niederschlägt, geht die Banca de
España aufgrund des „Gelddruckens“ auch Verbindlichkeiten gegenüber
dem Eurosystem ein, was die spanischen Target 2-Verbindlichkeiten
ebenfalls steigen lässt. Der Target 2-Saldo Deutschlands andererseits
steigt, es entstehen Forderungen der deutschen Bundesbank bei der EZB.
Wie komplex das Target 2System und die damit
verbundene Bilanzierung
ist, wird am Beispiel
Österreich augenscheinlich.
Österreich weist einen
negativen Target 2-Saldo
mit einem Defizit von
durchschnittlich 20 bis 40
Mrd EUR auf. Ist dies also auch Ausdruck einer Kapitalflucht ins Ausland? Nein, denn der
Target 2-Saldo ist nur eine Position in den Intra-Eurosystem Salden.5 Eine andere nimmt der
Bargeldnotenumlaufausgleich ein.
So wie der Zahlungsverkehr sind auch die geldpolitischen Geschäfte im Europäischen System
der Zentralbanken (ESZB) dezentral organisiert. Zur Veranschaulichung muss man sich den
Unterschied zwischen den Bilanzen einer Zentralbank und den Bilanzen eines dezentralen
Systems von Zentralbanken (wie es das ESZB ist) ansehen:
5
•
Eine Zentralbank begibt Geld in Form von Banknoten und Gutschriften auf den
Girokonten der Geschäftsbanken bei der Zentralbank. Um das Geld in Umlauf zu
bringen, erwirbt die Zentralbank Vermögenswerte oder vergibt Kredite gegen
Sicherheiten an Geschäftsbanken. In ihrer Bilanz stehen diese Vermögenswerte oder
Kredite (Forderungen) der Zentralbankgeldmenge (Verbindlichkeiten) gegenüber.
•
Im ESZB liegt das alleinige Recht, Zentralbankgeld in Umlauf zu bringen, zwar bei
der EZB, dies geschieht jedoch nicht von ihr direkt, sondern erfolgt weiterhin durch
die nationalen Zentralbanken. Das Bargeld, welches von den einzelnen Zentralbanken
ausgegeben wird, findet sich nicht mehr mit dem tatsächlichen Wert in der Bilanz der
Siehe dazu auch: Jobst, Handig, Holzfeind: Target verstehen – Das Zahlungsverkehrssystem Target 2 aus
volkswirtschaftlicher und bilanzieller Sicht; aus OeNB Geldpolitik & Wirtschaft, Ausgabe Q1/12.
http://www.oenb.at/de/img/gewi_2012_q1_schwerpunkt6_tcm14-246484.pdf
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Zentralbank wieder, sondern wird nach einem Schlüssel auf alle Zentralbanken und
die EZB aufgeteilt (Anteil Österreichs: 2,775 %).
Das Euro-Bargeld ist jedoch
grenzüberschreitenden
Box 2: Zusammenhang zwischen physischem Bargeldtransport
und dem unbaren Transfer von Zentralbankgeld über Target 2
Strömen unterworfen, die
durch verschiedene
Ein deutscher Tourist urlaubt in Österreich. Zur Finanzierung seines
Faktoren bestimmt werden,
Urlaubs behebt er Bargeld bei seiner (deutschen) Hausbank und gibt es in
wie etwa wirtschaftliche
Österreich aus. Dieses Bargeld fließt z.B. über den Einzelhandel oder die
Verflechtungen,
Gastronomie an eine österreichische Geschäftsbank und damit weiter zur
OeNB – der österreichischen Geschäftsbank wird der Bargeldbetrag bei
Pendlerbewegungen,
der OeNB gutgeschrieben und sie erhält damit ein größeres Guthaben, als
Arbeitskräftemigration oder
für die Erfüllung ihrer Mindestreserven notwendig wäre.
Tourismus. Da EuroNun könnte die Geschäftsbank diesen Überschuss ihrer Reserveeinlagen
Banknoten aber bei jeder
abbauen, indem sie ihre ausstehenden Kredite bei der OeNB zurückzahlt.
Zentralbank des ESZB
Wie das Ergebnis einer empirischen Studie der OeNB (Jobst 2012)
zurückgeführt werden
jedoch zeigt, findet dieser Ausgleich meist durch Interbanktransaktionen
können, unabhängig davon,
statt – sprich, statt dass österreichische Banken Verbindlichkeiten bei der
ob sie von dieser
OeNB abbauen, verwenden sie diese Guthaben zur Kreditvergabe an
ausgegeben wurden oder
andere ausländische Banken.
nicht, muss die dadurch
Diese Zahlungen erfolgen über Target 2 und werden im Target 2-Saldo
entstehende Differenz
erfasst. Während die Kreditvergabe der OeNB an die österreichische
zwischen logistischem
Geschäftsbank gleich bleibt (und damit die Verbindlichkeit gegenüber der
Bargeldumlauf (Differenz
EZB), baut sich als Gegenposition zu den Forderungen der OeNB aus
zwischen den physisch von
dem Banknotenumlaufausgleich eine Verbindlichkeit der OeNB aus
der Zentralbank
Target 2 auf.
ausgegebenen abzüglich der
eingezogenen Banknoten)
und dem zugewiesenen Euro-Banknotenverteilungsschlüssel ausgeglichen werden. Dies
geschieht durch den sogenannten Banknotenumlaufausgleich.
Überwiegt der logistische Banknotenumlauf, baut die jeweilige Zentralbank eine
entsprechende Netto-Verbindlichkeit gegenüber dem Eurosystem auf; überwiegt hingegen der
nach dem Banknotenverteilungsschlüssel ermittelte Wert, ergibt sich eine Netto-Forderung im
Banknotenumlaufausgleich. In Österreich ist der logistische Banknotenumlauf seit Mitte 2004
niedriger als der ihr laut Verteilungsschlüssel zustehen würde. Damit nicht genug, drehte der
logistische Banknotenumlauf 2010 ins Minus. D.h. es fließen mehr Banknoten an die OeNB
zurück als von ihr ausgegeben werden. Gründe dafür sind vor allem die geografische Lage
Österreichs, der Tourismus, die internationalen Bankenverflechtungen und das OsteuropaEngagement der österreichischen Banken. Damit ergibt sich für Österreich eine Forderung im
Banknotenumlaufausgleich und damit im Intra-Eurosystem. Die Höhe dieser Forderungen
betrug zuletzt6 rund 30 Mrd EUR.
6
Letzte verfügbare Daten von Juni 2012.
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Quelle: OeNB
Auf der anderen Bilanzseite stehen – wie gesagt – Verbindlichkeiten aus dem Target 2-Saldo
(siehe dazu Box 2 auf Seite 10). Seit Start des Verrechnungssystems weist Österreich einen
negativen Target 2-Saldo in Höhe von rund 20 bis 40 Mrd EUR auf. Dieser Saldo entspricht
in etwa den Forderungen Österreichs im Banknotenumlaufausgleich. Dazu die OeNB: „Zieht
man also die Intrabank-Eurosystemsalden als Systemausgleich ein, sind Aktiva und Passiva
bei jeder einzelnen Zentralbank im Eurosystem wieder gleich groß.“ Bei einer kleinen offenen
Volkswirtschaft mit großem Tourismussektor wie Österreich stimmt es also wirklich: „Cash
matters!“
Schlussfolgerungen
Die Ungleichheiten in den Target 2-Salden können vielfältige Ursachen haben, in erster Linie
sind sie derzeit aber Ausdruck der Kreditaufnahme von Geschäftsbanken beim ESZB.
Dadurch, dass das ESZB für den ausgetrockneten Interbankenmarkt in die Bresche springen
musste, kam es zu einer Umschichtung von Forderungen des privaten Sektors zum
öffentlichen Sektor. Dieser Prozess und der dadurch bedingte Anstieg der (staatlichen) Target
2-Forderungen haben vor allem in Deutschland Ängste geschürt, dass ein Großteil dieser
Forderungen an die Schuldnerländer der Peripherie uneinbringbar ist, sollte das Eurosystem
auseinander brechen.
Auf diese Problemstellung machten – wenig überraschend – Ökonomen aus Deutschland
aufmerksam und (deutsche) Medien griffen dies gerne auf. Die Befürchtung lautete: Würde
die EWU auseinander brechen, gäbe es kein ESZB mehr und die allein gelassenen
Zentralbanken blieben auf ihren Forderungen sitzen. Die Argumentation in den Medien ist,
dass letzten Endes der deutsche Steuerzahler einen etwaigen Ausfall der Target 2Überschüsse der Deutschen Bundesbank bezahlen müsste. Das ist natürlich Unsinn und nichts
anderes als Panikmache.
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Zuerst einmal sollte man sich die Dimension ansehen, in der sich die Target 2-Salden
bewegen: Von den vier Euro-Staaten, die Forderungen aus Target 2 haben (neben
Deutschland sind das die Niederlande, Finnland und Luxemburg), belaufen sich die deutschen
Target 2-Forderungen in Relation zum BIP auf ca. 25 %. Das ist in etwa die gleiche
Größenordnung wie für die Niederlande und Finnland; Luxemburgs Target 2-Forderungen
summieren sich aber auf beinahe 300 % des BIP! Für die luxemburgischen Medien scheint
das allerdings kein Thema zu sein.
Das dürfte daran liegen, dass sich durch die erfolgte Umschichtung von Forderungen bzw.
Verpflichtungen des privaten Sektors eines Landes zum öffentlichen Sektor desselben Landes
nichts an den Netto-Forderungen dieses Landes verändert hat – sondern nur die
Zusammensetzung der (gleichen) Forderungen und Verbindlichkeiten.7
Wenn der spanische Privatsektor Vermögenswerte nach Deutschland transferiert, entsteht –
wie wir gesehen haben – ein Forderungsanstieg der Deutschen Bundesbank gegenüber der
EZB und eine Verpflichtung der Banco de España. Allerdings entsteht parallel dazu auch eine
Verpflichtung der deutschen Geschäftsbank gegenüber dem spanischen Privatsektor (z.B. eine
Einlage). Die höheren Target 2-Forderungen der Deutschen Bundesbank stellen so betrachtet
also eine höhere Verpflichtung der deutschen Geschäftsbank gegenüber einem spanischen
Kunden dar.
Der Anstieg der Target 2-Forderungen Deutschlands sollte daher nicht als Anstieg der
Auslandsforderungen Deutschlands missinterpretiert werden sondern lediglich als eine
Verschiebung der Forderungen vom privaten Sektor zum öffentlichen Sektor. Die
Untergangsszenarien rund um Target 2 sind also nicht viel mehr als viel Lärm um nichts.
7
Siehe: De Grauwe and Ji: What Germany should fear most is its own fear – An analysis of Target 2 and current account
imbalances; CEPS Working Document No. 368, September 2012
http://www.econ.kuleuven.be/ew/academic/intecon/Degrauwe/PDGpapers/Discussion_papers/Causes%20and%20consequences%20Target2%20Imbalances-0910.pdf
Economics
17.12.2012
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