China aktuell - Ruhr

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(China aktuell, Februar 2002 (02/02): 151-164)
Entwicklung und Ethik: die biomedizinische Spitzenforschung in China will
den Kontakt zur Gesellschaft halten, die Medizinethik sucht nach
passenden Regeln
Von Ole Döring
Gliederung
1 Einleitung: Der Riese ist erwacht
2 Chinas Biotechnik zwischen Kommerz, Medizin und Ethik
2.1 Eine bioethische Perspektive
2.2 Eine ökonomische Perspektive
2.3 Zum Beispiel Stammzellen und Klonen
3 Chinas politisch-strategische Interessen in der Biotechnologie
4 Zur Regelung eines anarchischen Sektors
4.1 Forschung und humanbiogene Ressourcen
4.2 Zur Regelung des menschlichen Klonens
4.3 Zur Regelung der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen
5 Zur Diskussion: Chinesische Stammzellen für Deutschland?
1 Einleitung: Der Riese ist erwacht
Die Entwicklung der biomedizinischen Technologie schreitet in China rasant voran.
Mittlerweile unternehmen Wissenschaftler und Medien verstärkt Anstrengungen, diesen
Boom durch eine gesellschaftliche Debatte zu begleiten. Der Schwerpunkt liegt dabei neben
der Aufklärung über Risiken und Nutzen der neuen Technologien in der Entwicklung eines
informierten Meinungsprofils in dem weltanschaulich desorientierten „Reich der Mitte“. Im
August vergangenen Jahres erreichte die internationale Präsenz Chinas in der Biotechnologie
einen vorläufigen Höhepunkt. Eine Delegation von Vertretern des Humangenomkonsortiums
(HGK), unter anderem aus England, Dänemark, Deutschland, Frankreich und den USA
besuchte China. Zur besten Sendezeit traten Francis Collins und Eric Lander vom
Massachussetts
Institute
of
Technology
(MIT),
der
führenden
Einrichtung
im
Humangenomprojekt (HGP), im chinesischen Fernsehen neben Präsident Jiang Zemin auf und
feierten die erfolgreiche Zusammenarbeit. Anschließend reiste man nach Hangzhou weiter,
um die zehnte und letzte Strategiekonferenz des HGK durchzuführen.
Dort stellten die Wissenschaftler die Weichen für den nächsten historischen Schritt in der
Genomforschung. Der Übergang ins Zeitalter der Proteomik wurde eingeläutet. Aufbauend
auf den Vorarbeiten des HGP geht es nun an die von den Genen erzeugten Eiweißstoffe. Die
für den menschlichen Stoffwechsel zuständigen Proteinmoleküle sollen kartiert und erklärt
werden. Ist die dreidimensionale Struktur von Proteinen bekannt, kann die medizinische
Forschung gezielt nach „kleinen Wirkstoffen“ suchen, die wie ein Schlüssel ins Schloß
bestimmter Funktionen passen. Solche Wirkstoffe lassen sich einsetzen, um Proteine zu
blockieren, die für Krebs, Arteriosklerose oder Immunkrankheiten verantwortlich sind.
Bislang sind nur rund 18.000 der insgesamt vielen hunderttausend Proteine bekannt. Was das
HGP und die Firma Celera mit der Entzifferung des Humangenoms vollbracht haben, soll nun
auch für Proteine realisiert werden: die Vereinigung von Biologie, Robotik und industriellen
Massenverfahren. Damit kommen die „Lebenswissenschaften“ der medizinischen Praxis und
pharmazeutischen Verwertung einen großen Schritt näher. China wird hier nicht nur dem
eigenen Anspruch nach eine bedeutende Rolle spielen. Am 4. September 2001 verkündete die
Nachrichtenagentur Xinhua die Geburt einer neuen wissenschaftlichen Disziplin: In
Hangzhou nahm die erste Gruppe junger Forscher das Studium der „Bio-Formatik“ auf. Im
Unterschied zur Bio-Informatik geht es dabei nicht nur um die Auswertung und Verarbeitung
von Daten und Modellen sondern um die Grundlagen des planvollen Auf- und Umbaus von
Lebensformen, das heißt um Ingenieurswesen auf dem Sektor der Biologie. Zum
Ehrenpräsidenten des Instituts wurde - der Biologieprofessor Eric Lander gekürt. China geht
konsequent auf dem Weg voran, der die beiden wichtigsten Markenzeichen des 21sten
Jahrhunderts mit einander vereint: Biotechnologie und Information. Diese gilt es mit dem
allgemeinen Umbau der Gesellschaft in Einklang zu bringen. In der Technologie gilt Amerika
als Maß der Dinge, in der Ethik hofft man auf Alternativen aus Europa.
2 Chinas Biotechnik zwischen Kommerz, Medizin und Ethik
Die Größen des MIT würdigten an diesem historischen Moment in Hangzhou den
chinesischen Beitrag. Die Zusammenarbeit habe sich ohne Einschränkung bewährt. Besonders
wurde die Leistung des Beijinger Genomzentrums unter Yang Huanming hervorgehoben.
Dieses Lob war weniger die Schuldigkeit des Gastes als strategisches Kalkül. In zwei
öffentlichen Vorträgen brachten die Botschafter aus Amerika einem wißbegierigen
chinesischen Publikum die gute Nachricht vom Fortschritt durch Biotechnologie und warben
um Zusammenarbeit. An die überwiegend junge Zuhörerschaft gerichtet wiederholte Lander
eindringlich: „Ihr seid die Zukunft! Amerika erwartet Euch mit offenen Armen“. Ohne den
chinesischen Beitrag, vor allem ohne die grundsätzliche forschungspolitische Entscheidung
Chinas, das öffentliche, nicht kommerzielle HGP zu unterstützen und nicht den private
Konkurrenten Celera, hätte der Erfolg des HGP infrage gestanden. In letzter Minute, nämlich
erst Ende 1999, war China als zweites asiatisches Land offiziell in das weltumspannende
HGP aufgenommen worden. Dieses internationale Großprojekt lief seit 1990. Sein erstes
großes Ziel, die vollständige Sequenzierung und Kartierung des menschlichen Genoms,
wurde im Frühjahr 2001 der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Auf Arbeitsebene hatten
chinesische Genlabors faktisch schon länger zum HGP beigetragen, insbesondere über die
Erschließung der Genpools in China und in der Datenverarbeitung als Assoziierte japanischer
und französischer Institute1. Daß China biowissenschaftlich auf der Höhe der Zeit ist, drückt
sich weniger in dem einen Prozent aus, das chinesische Genetiker zur Sequenzierung des
HGP beigesteuert haben. Viel wichtiger für die erfolgreiche Zusammenarbeit im
internationalen HGK ist das Vertrauen und die logistische und institutionelle Infrastruktur, die
im Verlauf dieser Kooperation entstanden ist.
Die Wertschätzung chinesischer Biotechnologie wird auch von den Nachbarn geteilt. Chinas
strategischer Vorteil gegenüber anderen Biotechnologie-Ländern besteht in seinem Vorsprung
beim Aufbau einer Forschung auf niedrigem Kostenniveau. Gerade weil es seine eigene
Wissenschaft auf die Erfordernisse eines Schwellenlandes zuschneiden muß, entwickelt China
Instrumente, die ausländische Forscher und Investitionen anlocken. Dazu zählen neben den
niedrigeren Lohnkosten Steuervergünstigungen, politische Protektion und eine zunehmend
exzellenter werdende Infrastruktur in den Hochburgen. Japan, Singapur und Südkorea werden
sich zunehmend dieser Situation bewußt. Taiwan unterhält längst routinemäßige
1
Vgl. Ole Döring, Technischer Fortschritt und kulturelle Werte in China: Humangenetik und Ethik in Taiwan,
Hongkong und der Volksrepublik China, Mitteilungen des Instituts für Asienkunde 280, Hamburg 1997 und ders.,
„DNS Peking, DNS Schanghai. Planziel: China will Asiens größte Macht in der Biotechnologie und Genforschung
werden“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.5.2000.
Kooperationen auf allen Ebenen der Genetik und Biotechnologie. Das wissen auch
europäische Insider. „China ist äußerst wettbewerbsorientiert und kann diese Arbeiten viel
günstiger anbieten als irgendjemand anderes. Sie haben hier alle Voraussetzungen, um zur
internationalen Spitze aufzuschließen“, so der Genetiker Lars Bolund, einer der langjährigen
Förderer und Partner Yang's aus dem dänischen Arhus.
2.1 Eine bioethische Perspektive
Die Kultur für eine eigenständige Medizinethik entwickelt sich in der VR China im Rahmen
der verwirrenden gesellschaftlichen Transformation. China bietet ein zwiespältiges Bild. Es
ist ein bitterarmes Entwicklungsland. Es ist auch eine Wirtschafts- und Technologiemacht, die
sich an der Weltspitze mißt. Chinesische Ethik und Kultur haben zu den edelsten
Schöpfungen der Menschheit beigetragen. Lange stand China am Pranger wegen
Menschenrechtsverletzungen und Kulturterror. In China lebt gut ein Fünftel der
Weltbevölkerung. Diese Zahl umfaßt allein 56 offiziell anerkannte Ethnien. Diese Vielfalt
bietet der medizinischen Genetik ein unvergleichlich reiches „Material“, sozusagen aus einer
Hand.
Widersprüche auf allen Ebenen sind nicht nur Chinakennern geläufig. Gleichwohl gibt es
Bereiche, in denen selbst die wenigsten Chinesen das Ausmaß der Spannung zwischen
Anspruch und Wirklichkeit kennen dürften. Hierzu gehört fraglos die Biotechnologie,
besonders die Humangenetik. Es war mehr als ein Symbol, daß die Internationale Genetikföderation ihren 18ten Weltkongress im Jahre 1998 in Beijing abhielt und daß ein Pionier
dieser Disziplin, James Crow von der Universität Wisconsin, dort dem „Aufschwung und sehr
schnellen Fortschritt“ seiner chinesischen Kollegen Lob zollte. Was Crow nicht erwähnte:
Der dünnen Eliteforschung mit Zugang zur Hochtechnologie stand seinerzeit ein Heer dürftig
ausgebildeter Handarbeiter gegenüber. Diejenigen chinesischen Biowissenschaftler, die weder
selbst
im
Ausland
ausgebildet
worden
waren
noch
an
einer
der
modernen
Forschungseinrichtungen der Nach-Wendegeneration lernen konnten, prägen den Alltag in
einem parallelen Forschungssystem, dessen älterer Bereich noch unter dem Vorzeichen der
sowjetischen Biologie und Genetik entstanden ist und offenbar ein Auslaufmodell darstellt.
Die „Altlasten“ wurden zunächst nicht einfach abgewickelt, um die Modernisierung nicht zu
behindern. Aus dem System heraus wurden qualifizierten Wissenschaftlern die Türen zu den
Elite-Einrichtungen geöffnet. Einige der älteren Wissenschaftler sind seit den 1980ern zur
Medizinethik gestoßen. Sie bilden aufgrund ihrer wissenschaftlich-politischen Biographie
Guanxi-Allianzen mit den (in der Regel konservativen) Vertretern der ersten und zweiten
politischen Reihe. Besonders fungieren sie als Herausgeber und Ratgeber bei der curricularen
Gestaltung der ethischen bzw. moralischen Bildung von Medizinstudenten. Ihre Rolle als
Moderatoren des Übergangs dürfte nicht mehr lange gefragt sein. China setzt heute ganz auf
Nachwuchs, Eigeninitiative und Innovation. Anders als noch vor wenigen Jahren ist es keine
Ausnahme mehr, wenn hoch qualifizierte Wissenschaftler und Wissenschaftsunternehmer vor
ihrem 40sten Geburtstag in ihr Vaterland zurückkehren. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen
haben sich drastisch verbessert. Nun sollen die Heimkehrer ihrerseits die nächste Generation
innerhalb Chinas ausbilden. Das Beijinger Genomzentrum trägt auch auf diesem Feld in
besonderem Maße zu einer mittelfristigen Trendwende bei: Während bislang das Gros des
wissenschaftlichen Nachwuchses im Ausland ausgebildet wird, wird dies spätestens in der
übernächsten Generation nicht mehr notwendig sein.
Auf hausgroßen Werbetafeln an der Flughafenautobahn nach Beijing prangt ein Werbeslogan
für Handys: „Was steckt hinter den raffiniertesten Produkten der Welt? Digitale DNA von
Motorola“. In dieser Logik schlägt sich der Wunsch, ein möglichst perfektes Kind zu haben,
in der Einrichtung von Samenbanken nieder, die mit vorgeblich besonders hochwertigem
Erbgut handeln2. In Shanghai werden „intelligente und gesunde“ Studenten gegen ein
Taschengeld zur Spende ihres hochwertigen Samens aufgefordert - in dessen Genuß
Kundinnen von Fertilisationskliniken kommen sollen. Private Laboratorien versprechen, die
„Qualität“ des elterlichen Erbgutes zu messen - als sei die Präimplantationsdiagnostik bereits
ein gesichertes Routineverfahren. Auf Nachfrage wird den potentiellen Kunden mitgeteilt,
man sei lizensiert und arbeite mit dem staatlichen Humangenomzentrum zusammen, wodurch
die „Wissenschaftlichkeit“ der Befunde gewährleistet sei. In einem konkreten Fall aus Beijing
ließ erst eine Verwechslung die erschlichenen Kompetenzen auffliegen. Über derartige
Vorkommnisse regen sich seriöse Wissenschaftler in aller Öffentlichkeit auf - ohne der Praxis
nachhaltig entgegenwirken zu können. „Selbst wenn Bürokraten und Dummheit hier die
Hauptschuld tragen, wir müssen ganz einfach weiter aufklären und die Gesellschaft bilden!“,
2
Xinhua News Agency, Meldung vom 25.6.1999: "China's 1st Notables' Sperm Bank Opens"; vgl.: Dikötter,
Imperfect Conceptions, London (Hurst) 1998: 132.
schwankt Yang Huanming zwischen Frustration und Idealismus. Der Staat kommt dem
Regelungsbedarf nur schleppend nach. Unter der Überschrift „‘Test-tube-baby’ Technology
Control Tightened” berichtet Xinhua erst im Dezember 2001 von der Lizensieruzng der ersten
fünf Institute auf dem Sektor der Reproduktionstechnologie. In derselben Meldung heißt es,
offiziell seien in China bis zu 500 Einrichtungen zur künstlichen Reproduktion bekannt,
darunter 144 Samenbanken. Die Regelungslücke ist ein erhebliches medizinethisches Problem
in China.
In den landläufigen Ansichten zur Biotechnologie zeigt sich etwas Angst aber einige Naivität
- man nimmt diese Fragen nicht immer ganz ernst, weil sie an der gesundheitlichen Realität
und den Bedürfnissen der Chinesen in aller Regel völlig vorbeigehen3. Sie sind einstweilen
Bestandteil einer Welt des Science Fiction, populärer Film- und Computerspektakel und der
fernen Welt des „Westens“. Mit einem gesundheitlichen Alltag, der großflächig durch
Unkenntnis grundlegender Techniken des Blutdruckmessens4 oder mangelhafte Hygiene beim
Gebrauch von Spritzen geprägt
ist, läßt
sich so
etwas
schwerlich verbinden.
Mangelernährung, unzulängliche Geburtshilfe, miserable Berufssicherheitsbedingungen und
in manchen Regionen das Fehlen elementarer Grundversorgung tragen vielfach zum
Auftreten von schweren Folgeerkrankungen, Behinderungen und Arbeitsausfällen bei 5.
Stammzellenforschung und somatische Keimbahntherapie werden in einem solchen
gesellschaftlichen
Umfeld
weniger
diskutiert
als
hierzulande.
Leichter
fällt
die
Sensibilisierung der Öffentlichkeit dort, wo die persönliche Sicherheit erkennbar bedroht
wird. Mittlerweile haben sich einige Bedenken in diesem Sinne auf dem Sektor der Ernährung
herumgesprochen. So sieht der Agrargenetiker Chen Zhangliang die Sicherheitsbedenken der
Verbraucher heute auch in China gelten. „Früher hätten wir gesagt: Vergesst Europa!“, räumt
er angesichts des früheren chinesischen Desinteresses an internationalen Standards und Kritik
3
Dazu Ole Döring, "Wenn das Weiterleben zu teuer wird"; Frankfurter Rundschau, 17. Juni 2001: 25.
Herz-Kreislauferkrankungen und insbesondere Bluthochdruck zählen zu den bedenklichsten allgemeinen
Krankheits- bzw. Risikobildern. Anders als in Japan, wo jeder Haushalt mit Geräten zum Messen des Blutdrucks
ausgestattet ist und schon Schulkinder ihre Werte hersagen können, beschränkt sich China bislang weitgehend auf
sporadische „Aufklärungskampagnen“ auf den Straßen und in Kliniken.
5
Vgl. folgende Artikel von Elizabeth Rosenthal, "Blinded by Poverty: The Dark Side of Capitalism", Shunyi Journal,
November 21, 2000; "Gynecology Lessons for Rural China", The New York Times, March 14, 2001; "Without
'Barefoot Doctors,' China's Rural Families Suffer", The New York Times, March 14, 2001; die Artikel von Therese
Hesketh und Zhu Weixing, "Health in China: The healthcare market", BMJ 1997;314:1616 (31 May); "Health in
China: The one child family policy: the good, the bad, and the ugly", BMJ 1997;314:1685 (7 June); "Health in China:
4
an den laxen Zuständen in China ein. „Aber genau das geht nicht mehr. Forschung und
Entwicklung sind heute nur noch im globalen Rahmen durchführbar und nie gegen die
Vorgaben von Konsumenten und Unternehmen. Dem wollen wir uns fügen.“ 6 Ein
vergleichbares Bewußtsein ist im Bereich der biomedizinischen Technologie nur in relativ
wenigen Fällen dokumentiert7.
2.2 Eine ökonomische Perspektive
Das Humangenom-Fortschungszentrum in Beijing liegt ganz im allgemeinen Trend. Es ist aus
staatseigenen Akademien und Instituten hervorgegangen. Zur Zeit werden derartige
Einrichtungen mischfinanziert: einen Teil übernimmt die Regierung, der Rest wird für
spezifische Projekte aus der Privatwirtschaft akquiriert. Vorangetrieben wird die Entwicklung
vom Lockruf der Patente auf Entdeckungen und Erfindungen. China verfolgt eine allgemeine
Strategie der Schwerpunktförderung von Exzellenz-Zentren, der inhaltlichen Spezialisierung
und
dem
„freundschaftlichen
Vermarktungsstrukturen.
Wettstreit“
Insbesondere
sind
zwischen
Organisations-,
Kooperationen
mit
Finanz-
und
internationalen
Forschungseinrichtungen und Pharmakonzernen erwünscht. Die rechtliche Grenze hierfür hat
Beijing klar vorgegeben: Jeder Zugriff auf „chinesische Ressourcen“ bedarf einer formellen
Genehmigung. Ihre Ausfuhr und Nutzung unterliegt auf dem Papier ordnungspolitischen,
urheber- und patentrechtlichen Regelungen.
Der Umsatz der chinesischen Biotech-Branche betrug im Jahr 2000 bereits 2,42 Milliarden
US$, zehnmal so viel wie 1986. Ein Beispiel für ein erfolgreiches Biotech-Unternehmen ist
die Shaanxi Chaoqun Technology. Im März 2001 bekam das Unternehmen vom
Gesundheitsministerium (MOH) die Zulassung für einen DNA-Chip, der Hepatitis B und C
sowie den Aids-Virus (HIV) zuverlässig und schnell erkennen kann. Ein derartiges Instrument
der Früherkennung kann aus ethischer Sicht kaum kritisiert werden; es bildet allenfalls ein
technisches Einfallstor und Versuchsfeld für umstrittene Verwendungen. In einer späteren
Phase des Projektes sollen weitere Chips für die Diagnose von Erbkrankheiten entwickelt
Maternal and child health in China", BMJ 1997;314:1898 (28 June); und Sing Lee, "In China, suicide in young
women is a problem too", BMJ 9 September 2000;321:636.
6
Georg Blume, "'Wir sind bald Weltklasse'. Gentechnik und Informatik beflügeln auch in China die Wissenschaft",
in DIE ZEIT, 23/2000 (Internetausgabe).
7
Vgl. Ole Döring und Chen Renbiao (Hrsg.), Advances in Chinese Medical Ethics. Chinese and International
Perspectives, Hamburg (Mitteilungen des Instituts für Asienkunde) 2002 (im Druck)
werden. „Der DNA-Chip soll werdenden Eltern durch einen einfachen Bluttest zeigen, wie
hoch das Risiko der Geburt eines geistig behinderten oder taubstummen Kindes ist,“ sagt die
Forscherin Ru Xiaorong. Als „Risiko“ gilt offenbar jede Eigenschaft, die einen Menschen
möglicherweise daran hindert, zu einem voll funktionsfähigen Glied der arbeitenden
Bevölkerung zu werden und das Sozialprodukt zu mehren. In diesem Sinne werden aller
Voraussicht
nach
weitere
diagnostische
Verfahren
folgen,
entsprechend
dem
wissenschaftlich-technologischen Fortschritt. In Zusammenarbeit mit der staatlichen
Kommission für Familienplanung will das Unternehmen innerhalb von drei Jahren landesweit
zehn Untersuchungszentren dieser Art aufbauen. In der Projektbeschreibung heißt es: „Auf
dem einheimischen Markt warten zehn Millionen Paare auf die voreheliche Untersuchung, 9,8
Millionen Föten erwarten die pränatale Untersuchung.“ Hier trifft es sich gut, daß seit 1995
„voreheliche Gesundheitstests“ für die Erteilung einer Heirats- und Gebärerlaubnis landesweit
obligatorisch sind. Ganz in der Diktion des reinen Marktes treten hier selbst Föten als
Zielgruppe mit einem zu befriedigenden Untersuchungs-„Bedarf“ auf. Das Unternehmen
bietet synergetische Vorteile durch das strategische Zusammengehen biotechnischer
Wirtschaftsstrukturen mit staatlichen Stellen. Die Gesamtinvestitionen sollen für dieses
Projekt 10,5 Millionen Euro betragen. In drei Jahren will man schwarze Zahlen schreiben.
Ausländische Investoren sind willkommen. Die Regierung in Beijing möchte auch
internationales Kapital und Know-how anlocken, großzügige Steuervergünstigungen werden
versprochen. Die Regierung fördert die Biotech-Branche direkt durch massive staatliche
Investitionen. Im zehnten Fünfjahresplan für die Zeit von 2001 bis 2005 ist eine Summe von
über 600 Millionen US$ vorgesehen. Qiang Boqin, einer der wichtigsten WissenschaftsAdministratoren, Professor am Staatlichen Humangenomzentrum zu Beijing, nennt die
Prioritäten der Wissenschaftsförderung Chinas bis zum Jahr 2005: „Wissenschaft und
Entwicklung
werden
besonders in
biotechnologischen
Projekten
der funktionalen
Genforschung, der Proteinforschung, der Struktur des Genoms und der Biopharmazeutik
gefördert“.
Das Beijinger Genzentrum ist eines der großen staatlich geförderten Genomzentren in der
Volksrepublik. Sie sind alle mit modernster Technik ausgestattet. Die Leistung der in China
hergestellten Superrechner der Marke „Dawning“ erreichen 1014 Operationen pro Sekunde.
Sie werden in Beijing und Hangzhou benutzt. An allen Standorten können sämtliche gängige
technische Systeme miteinander kombiniert werden, von Apple-Macintosh über Windows
und Legend usw.. Mit seinen beiden Tochterinstituten in Hangzhou und Xi'an hält das Institut
Ausstattung auf höchstem technischen Stand vor. Ein wachsender Stab qualifizierter
Fachkräfte sieht sich selbst symbolisch als einen Bienenschwarm, ein Slogan prangt: „Wir
schwirren fleißig umher für die Zukunft!“. Die Eingangsbereiche zu den Laboratorien sind
mit Exponaten aus der Imkerbranche dekoriert. Die Institute bieten flexible Dienstleistungen
für wissenschaftliche Einrichtungen ebenso wie für Start-Up Unternehmen. Das erlaubt
wissenschaftliche Kontinuität und kurzfristigen Aufträge für die praktische Verwertung. Yang
nennt den kommerziellen Bereich das Standbein seines Institutes, der ihm die
Grundlagenforschung „zum Nutzen aller“ ermögliche. Die Ergebnisse der Forschung gehen
hinaus in die Welt. Die Exporte der chinesischen Pharmaindustrie betrugen im Jahr 2000 über
3,5 Milliarden US$, und stiegen im ersten Quartal des Folgejahres um 17 Prozent. Es wird
erwartet, daß die genetischen Erkenntnisse einen neuen, noch nachhaltigeren Boom sowohl in
der Pharmakogenetik als auch in der Nahrungsmittelproduktion bewirken. Seit dem März
2001 arbeitet das Beijinger Institut mit seinen Töchtern in einem Joint-venture Unternehmen
mit dänischen Partnern (u.a. Universität zu Kopenhagen, NovoNordisk, Verband Dänischer
Schweineproduzenten) an der Sequenzierung des Schweinegenoms. Diese wird hauptsächlich
in China durchgeführt. Hier zeigt sich ein Musterbeispiel internationaler Kooperation nach
chinesischen Vorstellungen. Die eigenen Standortvorteile werden mit den Kompetenzen eines
ausländischen Partners kombiniert - hier trifft ein günstiges Lohn-Qualifikationsverhältnis auf
eine hochentwickelte Industrie. Dänemark exportiert jährlich Schweineprodukte im Wert von
weit über 3 Milliarden Euro; China bietet neueste Sequenzierungstechnologie, hoch
qualifizierte Fachkräfte sowie ein freundliches gesellschaftliches Umfeld. Die Dänen erhoffen
sich gesündere und „wohltemperierte“ Schweine für ihre Mastfabriken. Darüber hinaus
wollen die Chinesen sich die biologischen Ähnlichkeiten zwischen Mensch und Schwein
zunutze machen. Durch vergleichende Genomforschung sollen Modelle für medizinische
Probleme des Menschen entwickelt werden, besonders für degenerative Krankheiten.
Hierdurch will man diese Krankheiten schneller verstehen und ethisch unzulässige
Forschungen am Menschen vermeiden. Das Volumen dieses Projektes liegt bei 20 Millionen
US Dollar.8
8
David Murphy, "China Uncorks The Gene in a Bottle", Far Eastern Economic Review, March 22, 2001.
China beschränkt sich allerdings nicht auf nachholende Modernisierung. Li Zhuang, Mitglied
der Chinesischen Akademie der Wissenschaften aus Changchun berichtet, daß China gerade
ein Netzwerk aus zehn Forschungszentren für Nanotechnologie aufbaut. Die Universität von
Changsha in Hunan ist bereits seit den 1970er Jahren führend in der chinesischen chemischen
und biologischen Transduktorentechnologie. Sie hat im August 2001 ein Nano-Biologisches
Forschungszentrum vom Rang eines nationalen Schlüsselinstitutes gegründet. Hier soll
zunächst Grundlagenforschung betrieben werden, mit dem Ziel, die biotechnologischen
Möglichkeiten weiter zu optimieren. Hiervon versprechen sich Li's Kollegen verbesserte
technische
Effizienz,
optimierte
Nutzung
knapper
Ressourcen
und
größere
Umweltverträglichkeit. Li Zhuang selbst hat bereits einige Patente angemeldet. Er betrachtet
die Anerkennung der Urheberrechte an geistigem Eigentum als unverzichtbar. „Darüber, ob
man daraus Profite zieht, sollte jeder Forscher selbst entscheiden. Ich selbst habe kein
Interesse an der wirtschaftlichen Verwertung. Unsere Erkenntnisse sollten allen Menschen
zugute kommen.“ Dem bevorstehenden WTO-Beitritt Chinas sieht Li mit vielen seiner
Kollegen gelassen entgegen. All dies sei Teil der allgemeinen Entwicklung Chinas zu einem
„ganz normalen Land“. Die Verknüpfung von wissenschaftlichem Fortschritt mit
wirtschaftlichem Wachstum und sozialer Konsolidierung zeigt sich als gemeinsamer Nenner
auf vielen Ebenen dieses Prozesses. Von den Fortschritten in der Bio- und Nanotechnologie
erhoffen sich die Wissenschaftler jedoch mehr. In einigen Schlüsselbereichen hofft man eine
(oder mehrere) Generationen der technischen Entwicklung zu überspringen. „Wir müssen uns
zum Glück nicht gegen verkalkte Strukturen behaupten. Daß all dies neu entsteht ist ein
großer Vorteil, denn der Staat läßt uns sehr große Freiräume.“, wendet Jiang Chao, Präsident
der Medizinischen Universität zu Dalian, den Entwicklungsbedarf selbstbewußt ins Positive.
2.3 Zum Beispiel Stammzellen und Klonen
Als Zeitpunkt für den Durchbruch der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen
in China gilt die Veröffentlichung eines Artikel von einer kantonesischen Forschergruppe um
Xu Ling im Zhongshan Medical School Journal im Jahre 1999. Neuerdings werden neben
embryonalen und aus Nabelschnurblut gewonnenen Stammzellen auch solche aus dem
Zentralnervensystem, der Leber oder der Prostata erforscht. China setzt also auf eine Strategie
Diversifikation. Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen hat bereits die
Herstellung menschlicher Körperteile ermöglicht. Dazu zählen Knochen und Haut, die
außerhalb des Körpers wachsen. Nun stehen kompliziertere Systeme auf der Liste:
Blutgefäße, Speiseröhre und Blase. Sie sollen eines Tages als Ersatzteile für defekte Originale
implantiert werden. Nach Erfolgen bei der Herstellung von Haut- und Knorpelgewebe wendet
man sich jetzt komplexeren Geweben und Organen zu. An der Beijing Universität richtet sich
das Augenmerk auf den speziellen medizinischen Nutzen von Stammzellen. Gu Jun vom
dortigen Kolleg für Lebenswissenschaften will neuro-degenerative Krankheiten und Tumoren
bekämpfen sowie totes Zellgewebe ersetzen. Kürzlich wurde im Huashan Krankenhaus, das
der Shanghaier Fudan Universität angeschlossen ist, die erste Operation mit autologen
Nerven-Stammzellen durchgeführt. Geschädigtes Hirngewebe wurde erfolgreich ersetzt9.
Unmittelbar danach wurde aus der Provinz Henan gemeldet, daß eine 43-jährige Frau in
Zhengzhou nach der Einpflanzung von Nerven-Stammzellgewebe weitgehend von
Muskelschwund geheilt worden sein soll. Solche Berichte ermutigen Forscher, die auf sich
selbst reproduzierende Nerven-Stammzellen als Alternative zu embryonalen Linien setzen.
Gu äußert sich vorsichtig optimistisch, daß er kostengünstige und hochspezifisch wirksame
Mittel gegen eine Vielzahl bösartiger und „gutartiger“ Krankheiten entwickeln kann. Er sieht
eine industrielle Nutzung der Stammzelltechnologie in der klinischen Therapie auf China
zukommen.
Es
besteht
Stammzellentechnologie
ein
zur
großer
potentieller
Geweberegeneration
Markt
nach
für
den
Einsatz
Herzinfarkten,
bei
von
der
Parkinson'schen Krankheit bis zu Hautverbrennungen.
Im Januar vergangenen Jahres wurde an der Beijing Universität ein eigenes StammzellForschungszentrum eröffnet. Han Qide, Vizepräsident der Universität und Mitglied der
chinesischen Akademie der Wissenschaften, bezeichnete das Projekt als „einen weiteren
Versuch chinesischer Wissenschaftler, Forschung mit dem Markt zu verbinden“. Neben der
Regierung der Stadt Beijing und dem Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MST)
wurde das Investitionskapital in Höhe von 130 Millionen RMB (ca. 18 Mio. Euro) von der
Firma Beijing Stemcell Medengineering Co Ltd (BSM) aufgebracht. Yang Tao,
Geschäftsführer der Gesellschaft, rechnet mit saftigen Gewinnen. Er schätzt, daß bei einem
Anteil von nur 5 Prozent seiner erhofften Stammzell- gestützten Behandlung am chinesischen
„Diabetismarkt“ der Gewinn der BSM bei 30 Milliarden RMB liegen könnte. Ähnlich hoch
sei die Gewinnerwartung bei Hepatitis. Nach einer Meldung der Zeitung China Daily hat die
9
So Renminribao am 21. Juni 2001.
Zentralregierung in Beijing ihm und seinen Kollegen zudem finanzielle Vergünstigungen in
Aussicht gestellt. Diese werden womöglich gar nicht gebraucht. Huang Xiaohua, der
Vorstandschef von BSM, geht von vornherein von einer langfristigen Investition aus. Deshalb
plant man den Gang auf den Aktienmarkt.
Das MST teilt mit, daß China längst menschliches Gewebe und Körperteile zu
therapeutischen Zwecken klont. Lediglich die Herstellung vollständiger menschlicher Klone
stellt ein Tabu dar. Die Technologie des Klonens solle kategorial von der Klonierung von
Menschen unterschieden werden. Man will zum Beispiel die Erzeugung menschlicher Nieren
für Diabetes-Patienten möglich machten. Pei Xuetao, Medizinprofessor an der Chinesischen
Akademie für Militärische Medizinische Wissenschaften bezeichnet den Weg zum Erfolg als
lang. Damit meint er einen Zeitraum von etwa drei bis fünf Jahren. Der Direktor des
Staatlichen Genforschungszentrums, Hong Guofan, betont wie sämtliche Forscher in der
Öffentlichkeit: Das Klonieren von Menschen ist in China nicht erlaubt. Die öffentliche
Meinung scheint einem Verbot des Klonens zuzuneigen10.
Auf der Agenda der Biowissenschaftler stehen neben der Grundlagenforschung aber auch
Eingriffe in das Genom. Der wissenschaftliche Leiter und Vize-Vorstand von BMS, Li
Lingsong, stellt klar: „Selbstverständlich muß man Gentherapie betreiben, damit Stammzellen
medizinisch Sinn machen“. „Wir wollen den gesamten Mechanismus hinter der Entwicklung
der Stammzellen vollständig verstehen. Noch haben wir den Prozeß nicht ganz unter
Kontrolle“, gibt Li zu. Außerdem will er sämtliche adulten Stammzelltypen systematisch
erfassen, um sowohl die Entwicklung von der embryonalen zur adulten als auch von der
adulten Stammzelle zur spezialisierten Zelle zu erforschen. Dafür benötigt das BMS eine
eigene „Stammzell-Bibliothek“, viel qualifiziertes Personal und „Geld, richtig großes Geld“.
Li hat keine Probleme damit, in der Planung wissenschaftlicher Projekte auf die Interessen der
Wirtschaft Rücksicht zu nehmen. „Die oberste Priorität einer Firma ist es, Geld zu verdienen;
das ist in der Wissenschaft nicht immer der Fall“. Allerdings schläft die Konkurrenz nicht. Im
Oktober 2000 hat die Chinesische Akademie der Medizin gemeinsam mit der Huayin
10
Vgl. eine erste und begrenzte Auswertung von Zeitungskommentaren durch Rance Lee, " Ethical, Legal, and
Social Implications of Human Genetics. Views of Chinese Intellectuals on Human Genetic Engineering", in Chinese
Scientists and Responsibility, Ole Döring (ed.) Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Nr. 314, Hamburg, 1999:
66-81.
Investment Gesellschaft in Tianjin ein Programm zur Forschung und Entwicklung von
Stammzellen aus Blut gestartet. Tianjin will innerhalb dreier Jahre die größte chinesische
„Stammzell-Bibliothek“ aufbauen. Sie alle setzen auf Geldsegen durch Patente. Parallel
werden im Lande sechs staatliche und eine privatwirtschaftliche Nabelschnur-Blutbank
aufgebaut11.
Dahinter
Nabelschnurblut
stehen
verringern
durchaus
die
pragmatische
Belastung
der
Frau
Gründe:
Stammzellen
aus
und
rationalisieren
die
Produktionsabläufe.
Am Institut für Reproduktion und Genetik in Chongqing wird ebenfalls an menschlichen
Stammzellen geforscht. So wie an Instituten in Wuhan, Xi'an, Guangzhou und Shanghai. Die
Stammzellforschung in China ist freilich keine konzertierte Aktion. Im Gegenteil, Huang
Guoning aus Chongqing beklagt stellvertretend für viele, deren Interesse primär der
Wissenschaft gilt, „Die Kommunikation und Zusammenarbeit mit meinen Kollegen findet zu
selten statt“. Was die Goldgräber der Biotechnologie vereint, ist neben der großen Hoffnung
auf die Begeisterung der chinesischen Aktien- und Kapitalmärkte eine gemeinsame
Vergangenheit als smarte Nachwuchsforscher an den Spitzenuniversitäten der Vereinigten
Staaten von Amerika. Von dort haben sie das neueste Wissen mitgebracht, das sie zu
technischen Großtaten inspiriert. Wenn Huang unterstreicht, „Wir haben sehr sorgfältig
sämtliche Risiken und das Potential des Projektes durchdacht“, dann sind damit zuallererst die
Gewinnchancen des Investitionskapitals gemeint. Sozialen und ethischen Rücksichten wird
durch den pauschalen Hinweis auf einen erwarteten medizinischen Nutzen Genüge getan.
3 Chinas politisch-strategische Interessen in der Biotechnologie
Drei führende Politiker der Volksrepublik haben sich in den vergangenen Jahren in der
Wissenschaftszeitschrift Science zur Bedeutung der Biotechnologie für die Transformation
Chinas geäußert. Sie formulieren nicht nur die Sicht des Regimes sondern geben auch
Einblicke in die Strategie der Entwicklung. Der damalige Premierminister und heutige
Parlamentspräsident Chinas, Li Peng, hielt im April 1996 im Rahmen eines internationalen
Wissenschaftsforums einen Vortrag, der in Teilen abgedruckt wurde12. Darin erläutert er die
vom Volkskongress gebilligte Strategieplanung zum Aufbau der Wirtschaft des Landes für
11
Vgl. „Chinesische Eltern lagern Stammzellen aus Nabelschnurblut für ihre Kinder ein”, Renminribao, 15.11.2001.
die kommenden 15 Jahre. Er beschreibt das Vorhaben als Übergang von der Plan- zur
Marktwirtschaft und zum Wachstum durch gesteigerte wirtschaftliche Effizienz. Dabei sei
China auf das Erreichen zweier Ziele besonders angewiesen: auf den Fortschritt durch
Wissenschaft und die Nachhaltigkeit seiner Entwicklung. Li betont die Abhängigkeit Chinas
von der Zusammenarbeit mit dem Ausland und von einer verbesserten Allgemeinbildung der
Menschen im Lande.
Auf der anderen Seite weist Li auf den natürlichen Reichtum Chinas hin. Mit einem höheren
Bildungs- und Technisierungsgrad ließen sich erhebliche Steigerungen der Erträge im
Rohstoffabbau erzielen. Gleiches gelte für die Landwirtschaft. Um auf 7% der weltweiten
Ackerfläche 22% der Weltbevölkerung zu ernähren, ohne die Wasserknappheit weiter zu
vergrößern, komme es zudem unter anderem auf weitere Durchbrüche in der Biotechnologie
an. Die Reisernte habe zuletzt um ein Drittel zugenommen, der Ungezieferbefall der
Baumwolle sei massiv zurückgedrängt worden - dank der Biotechnik. Bedeutende Fortschritte
verlangten freilich aufwendige Grundlagenforschung, die sich China trotz großer
Investitionen in vielen Bereichen nicht leisten könne. Noch wichtiger sind strukturelle
Probleme: „Unser System beruht auf dem alten sowjetischen Modell“, so „der letzte Stalinist“
Li Peng13. Es unterwerfe die Forschung engen politischen Vorgaben. „Die Chinesische
Akademie der Wissenschaften hat Pionierarbeit geleistet, indem sie zuließ, daß
Forschungseinrichtungen marktfähige Unternehmen gründen“. Gleichwohl bedürfe es
weiterer Jahrzehnte der Entwicklung und vieler internationaler Kooperationen in
Wissenschaft und Technologie.
Die Chinesische Ministerin für Wissenschaft und Technologie Zhu Lilan unterstreicht drei
Jahre nach dieser Rede, daß die Infrastruktur für Grundlagenforschung noch immer einen
weiten Weg zu gehen habe, ehe sie an den Stand der entwickelten Welt heranreiche 14. Eine
eigene staatliche Stiftung für die Naturwissenschaften sei zu diesem Zweck errichtet worden.
An diese gebunden arbeiten etwa 156 staatliche Schlüssel-Laboratorien und zahlreiche
Forschungseinrichtungen.
12
Science 1996 July 5; 273: 13-20. Der vollständige Wortlaut des Vortrags steht im Internet unter http://csmac.aaas.org/international/lipeng.htm.
13
Vgl. den Artikel von Georg Blume "Der Herbst des letzten Stalinisten", in DIE ZEIT 10/2001.
14
Science 1999 January 29; 283: 637 (editorial).
Zhu stellt Vergleiche zwischen chinesischen Wissenschaftlern und ihren internationalen
Kollegen an. Gemessen an der Rangfolge der Häufigkeit des Zitierens chinesischer
Forscherarbeiten in wissenschaftlichen Werken (Science Citation Index, SCI) stieg China
innerhalb eines Jahres vom vierzehnten Platz im Jahre 1996 auf den zwölften Platz. Als
international wettbewerbsfähig könne China jedoch nur auf 5% der Gebiete der
Grundlagenforschung gelten, in der Kategorie „relativ hohes Leistungsniveau“ immerhin auf
jedem fünften dieser Gebiete. Besondere Mängel seien die ineffiziente Steuerung der
Personalfluktuation sowie das Fehlen jüngerer Wissenschaftler in der Grundlagenforschung.
Um hier ein Umfeld für Innovationsschübe zu fördern, habe China ein staatliches
Grundlagenforschungsprogramm aufgelegt, dessen erste Phase bis 2010 terminiert ist. Ein
Schwerpunkt liegt auf der Erleichterung der internationalen Zusammenarbeit. Insgesamt geht
es laut Zhu Lilan darum, „die Nation mit Hilfe von Wissenschaft und Ausbildung neu zu
beleben“. China will bis in zur Mitte unseres Jahrhunderts den Stand der entwickelten Welt
erreicht haben.
Der Präsident der Volksrepublik China, Jiang Zemin, unterstreicht ein Jahr darauf erneut die
Vordringlichkeit der ungehemmten Entwicklung von Wissenschaft und Technologie 15. Jiang
legt Gewicht auf eine besonders zuvorkommende Behandlung der Wissenschaftler. Um ihren
Beitrag zur „Verjüngung“ Chinas leisten zu können, müsse man „die einzigartige
Wahrnehmungsfähigkeit und Vernünftigkeit der Wissenschaftler anerkennen. Wir sehen ein,
daß wissenschaftliche Kreativität die Quelle und Lebensader der wissensbasierten Wirtschaft
ist“. Auch Jiang betont ein Primat der Grundlagenforschung. Noch sei China ein
Entwicklungsland. Besonders diejenigen Disziplinen müßten gefördert werden, in denen
innovative Forschung mit den Bedürfnissen des Staates zusammenfällt. Hier ist an
biomedizinische und biotechnologische Forschung zu denken, besonders wenn sie aus der
(ausländischen) Privatwirtschaft mit finanziert wird.
Jiang verspricht der Welt Chinas Beitrag zur zukünftigen Mehrung des materiellen und
geistigen Wohlstands. „Chinas wissenschaftlicher Fortschritt ist nicht nur wesentlich für den
chinesischen Wohlstand sondern für den der ganzen Welt“. Die magische Formel des
Staatspräsidenten
lautet:
„Wir
müssen
ein
günstiges
Umfeld
schaffen,
in
dem
wissenschaftliche Kreativität zusammen mit innovativer kommerzieller Verwertung gedeiht“.
Auch er nennt Wissenschaft und Ausbildung sowie die Reform der Verwaltung ein „Muß“. In
der internationalen Zusammenarbeit sieht
Jiang China jedoch nicht als bloßen
Hilfeempfänger. Alle Seiten würden profitieren, besonders von den engen chinesischamerikanischen Projekten. Jiang sagt die weitergehende Öffnung des Landes zu. China werde
in zunehmenden Maße seine internationale Verantwortung wahrnehmen. Es werde seine
wissenschaftlichen Erträge zum Nutzen aller Menschen verfügbar machen. In diesem Zuge
werden ethische, kulturelle und soziale Fragen immer wichtiger. Kulturelle Unterschiede
seien auf der Grundlage gemeinsamer Interessen zu relativieren.
Die Prioritäten Chinas liegen auf der Hand. Sie werden bei jeder Gelegenheit bekräftigt, wenn
Forschungsprojekte legitimiert werden sollen, seien sie staatlich finanziert oder privat. Der
medizinische Nutzen für eine größtmögliche Zahl von Chinesen, vorrangig der jungen und
arbeitsfähigen Teile der Bevölkerung. Kaum etwas anderes verbirgt sich heute hinter dem
Leitinteresse des - mit „Eugenik“ nur halbwegs zutreffend übersetzten programmatischen
Auftrages des Yousheng, der „Verbesserung der Gesundheit“. Das negative Echo auf die
mehrdeutige Verwendung dieses Konzeptes beeindruckt in China so lange nicht, wie Eugenik
eines der gängigen Motive in der internationalen Biomedizin ist16. Weit mehr Beachtung als
derartige Probleme findet der innere Frieden.
Die Botschaft der politischen Vorgaben ist unmißverständlich. Biowissenschaften sind ein
Schlüssel zu Chinas Zukunft. Sie leisten einen Beitrag zum Aufbau der chinesischen
Gesellschaft. Sie sollen die Grundlagen für Wohlstand, Bildung, Gesundheit und Macht
schaffen. Da sie an der Schnittstelle von technologischer Forschung, wirtschaftlicher
Verwertung und gesellschaftlicher Nachfrage liegt, ergibt sich daraus für die Biomedizin eine
besonders herausragende Bedeutung. Trotz der von Jiang Zemin im Namen der Kreativität
versprochenen „langen Leine“ für Biowissenschaftler ist es wahrscheinlich, daß die schwere
Hand der Partei weiterhin auf der Selbstbestimmung der Biowissenschaften als
Wissenschaften lastet - sei es auch nur in Gestalt eines prinzipiellen Pragmatismus. Der
15
Science 2000 June 30; 288: 2317 (editorial).
Fortschritt besteht darin, daß China im Unterschied zu früheren Zeiten (z.B. unter der
Ideologie des Lysenkoismus) nunmehr zumindest in den sogenannten Lebenswissenschaften
die Wahrheit in den Fakten sucht. Die zentralistische Planungsmentalität schimmert aber
immer wieder durch. Im Jahresrechenschaftsbericht, den Premierminister Zhu Rongji am 5.
März 2001 zur Eröffnung des Nationalen Volkskongresses in Beijing vorgelegt hat, ist
deutlich die Rede von „einem staatlichen System, das Innovationen stimuliert“ und staatliche
Schlüssel-Laboratorien aufbaut, auch wenn die Vergrößerung privaten Engagements betont
wird. Ebenso wie die größeren bürgerlichen Freiheiten stehen die Freiheiten der Wissenschaft
unter einem politischen Generalvorbehalt. Sie gelten genau so lange und in dem Maße, wie
sie aus der Sicht der Regierenden opportun erscheinen.
Die politischen Maßregeln beschränken die wirtschaftliche und wissenschaftliche
Handlungsfreiheit aber nicht nur durch Pragmatismus und Opportunismus sondern - viel
grundsätzlicher - auch durch einen szientistisch verengten Wissenschaftsbegriff. Wissenschaft
wird deckungsgleich mit der Erforschung des technisch Nutzbringenden. Kritische Sozialund Geisteswissenschaften genießen bei weitem kein vergleichbares Ansehen. In dieser
Momentaufnahme gibt es gleichwohl Ansätze, die implizit über Technokratie hinaus weisen.
Insbesondere die Bewahrung des sozialen Friedens unter Bedingungen einer modernen
Gesellschaft ist ein politisches Oberziel, das eine eigene Dynamik zugunsten ethischer und
sozialer Forschungsthemen nach sich ziehen kann. In diesem Sinne ist das ethische
Engagement des Beijinger Geninstitut zu würdigen. Es ist die einzige vergleichbare
Einrichtung in China mit erkennbarem Problembewußtsein für die ethischen Dimensionen
dieser Zunft. Sein Direktor, Yang Huanming, hat sich auf nationalen und internationalen
Foren17 konsequent für die Verknüpfung von wissenschaftlich-technischem Fortschritt und
16
Vgl. Ole Döring, „‘Eugenik‘ und Verantwortung: Hintergründe und Auswirkungen des ‚Gesetzes über die
Gesundheitsfürsorge für Mütter und Kinder‘“ in China aktuell August 1998 (08/98): 826-835.
17
Yang ist der aktivste chinesische Vertreter im International Bioethics Committee (IBC) der UNESCO. Er ist unter
anderem eines von sieben Mitgliedern in der Arbeitsgruppe des IBC zur internationalen Zusammenarbeit und
Solidarität und eines von 17 Mitgliedern der Arbeitsgruppe über ethische Aspekte der human- embryonalen
Stammzellforschung. Vgl. UNESCO (ed.), „The Use of Embryonic Stem Cells in Therapeutic Research. Report of
the IBC on the Ethical Aspects of Human Embryonic Stem Cell Research“, (BIO-7/00/GT-1/2), Paris, 6 April 2001
und UNESCO (ed.), „Report of the IBC on Solidarity and International Co-operation between Developed and
Developing Countries concerning the Human Genome“, (BIO-7/00/GT-2/3), Paris, 6 April 2001.
Verantwortung eingesetzt18. Das Beharren auf ethischen Prinzipien bedeutet gerade im
frühkapitalistischen China eine Gratwanderung, deren Kühnheit nicht viele von Yangs
Kollegen verstehen oder gar schätzen. An seine internationalen Kollegen apelliert er, China
durch kluge ethische Vorleistungen unter Zugzwang zu setzen. „Unsere ethische Arbeit hat
immerhin eine gewisse rhetorische Anerkennung gefunden. Das ist ein Anfang. Unsere Leute
wollen unbedingt ihr Gesicht wahren“. China wird am ehesten geneigt sein, ethische und
rechtliche
Standards
durchzusetzen,
wenn
diese
als
unverzichtbar
für
sein
Modernisierungsprojekt gelten.
4 Zur Regelung eines anarchischen Sektors
Die chinesische Regierung bemüht sich, dem wachsenden Regelungsbedarf in der
Biotechnologie gerecht zu werden. Die Gesetzgebung erhält Antrieb von der Seite der jungen
Garde der Biotechniker. Sie erscheinen in der Mehrzahl zwar ethisch uninteressiert, zeigen
jedoch ein ausgeprägtes Bewußtsein für die Wichtigkeit von technischen Standards und
Rechtssicherheit, die zum Teil in den Bereich der Ethik fallen. BMS-Gründer Li Lingsong
fordert eine landesweite Initiative zur Bündelung und Regulierung der StammzellenAktivitäten und rechtliche Überwachung, um die Zusammenarbeit zu erleichtern. „Wir
müssen uns so früh wie möglich darauf einstellen, daß die Stammzellen-Forschung einen
ähnlichen Organisationsaufwand benötigt wie das Humangenomprojekt und einen ähnlichen
Bedarf an Forschung nach sich zieht, die über die Wissenschaft hinaus reicht.“, so Li's
Voraussage. In diesem Rahmen erscheinen ethische Regulierungen auch für Biologen
passabel. Allerdings darf man sich nicht darüber täuschen, daß es hier eher um Formalitäten
geht als um Substanz.
4.1 Forschung und humanbiogene Ressourcen
Nach der Einführung des ersten landesweiten Gesetzes zur Blutspende (1997) setzte im Juni
1998 der Staatsrat einen von den Ministerien für Gesundheit und Wissenschaft und
Technologie vorgelegten, 26 Artikel umfassenden Katalog „Provisorische Maßnahmen zur
Administration humangenetischer Ressourcen“ in Kraft. Darin wird der Versuch einer
lückenlosen Regelung der Forschung mit humangenetischem Material unternommen.
18
Siehe Yang Huanming, ,“ The Social Responsibility of a Human Geneticist in China -- Personal Points of View“,
in Chinese Scientists and Responsibility, Ole Döring (ed.) Mitteilungen des Instituts für Asienkunde Nr. 314,
Hauptziel sei der „effektive Schutz und die vernünftige Nutzung humangenetischer
Ressourcen“ wie Blut, Gewebe und Produkte daraus. Hinter den zu schützenden Ressourcen
stehen allerdings Menschen, denen die Proben entnommen werden. Deren Interessen bzw. der
Schutz der Spender vor ungewollten Eingriffen und Irreführung soll durch eine formalisierte
„informierte Zustimmung“ gesichert werden. Ein gewaltiger Bluthandelskandal hat jüngst die
Behörden alarmiert. In der Provinz Henan wurde im Sommer 2001 bekannt, daß die Praktiken
kommerzieller Blutmakler, sogenannter „Blutköpfe“, über mehrere Jahre zu einer
dramatischen Ausbreitung von Krankheiten wie HIV, Hepatitis und anderen venerischen
Krankheiten beigetragen haben. Das Verfahren bestand, vereinfacht gesagt, darin,
gespendetes Blut in Bottichen zusammenzuschütten, das Plasma zu entziehen und den
verbliebenen Rest anschließend wieder den Spendern zurückgegeben19. Die Rückempfänger
sahen darin offenbar einen Akt der Fairneß, hielt sich doch ihr Blutverlust in engen Grenzen.
Für die Blutmakler ist dies offenbar lukrativ. Die Nachfrage nach Blut steigt mit dem
Organisationsgrad des Gesundheitswesens, Arbeitskräfte sind billig weil ungelernt. Die
Bevölkerung ist zu ungebildet um sich der medizinischen Probleme bewußt zu sein und zu
notleidend, um den Verlockungen von ein paar Dollar, einer Mahlzeit oder dem Versprechen
auf kostenlose medizinische Versorgung zu widerstehen. Der Schaden, den die
Blutpanscherei und Skandale der medizinischen Forschung materiell und an der Gesundheit
der Betroffenen, Spender sowie Empfänger, angerichtet haben, läßt sich nicht beziffern.
Bereits eine verunreinigte Einheit Spenderblut genügt, um den gesamten Inhalt des
Sammelbottichs zu kontaminieren. Inzwischen ist sogar in chinesischen Zeitungen von mehr
als 600.000 HIV-Infizierten die Rede20. Die Seuche macht chinesischen Gesundheitspolitikern
neben Hepatitis und venerischen Krankheiten die größten Sorgen, nachdem in den 1950ern
und 1960ern weit verbreitete Krankheiten wie Bilharziose, Lepra, und die Pest effektiv
zurückgedrängt werden konnten21. Die Kombination aus mangelhafter Hygiene und dem
kommerziellen Charakter des Bluthandels begünstigt sträfliches und strafbares konspiratives
Hamburg, 1999: 56-65.
19
Vgl. den Bericht "China sees AIDS", in der New York Times vom 7. September 2001.
20
Siehe den Bericht "Beijing Must Face Up to an Explosion of AIDS" von Bates Gill aud Sarah Palmer in der
International Herald Tribune vom 18.7.2001. Xinhua nennt in seiner Meldung "Sino-British STD, AIDS Control
Program Invites Bids" vom 19.3.2001 die Zahl von 500.000 HIV-Infizierten in China am Ende des Jahres 2000.
China Daily berichtet am 15.3.2001 unter der Überschrift "Legislators Calls for AIDS-Prevention Law" von Rufen
nach besseren Gestzen angesichts von 600.000 HIV-Infizierten.
Verhalten auf Kosten der Gesundheit der einfachen Bevölkerung. In diese Rubrik fallen auch
dokumentierte
Fälle
internationaler
Forschungs-„Piraterie“,
in
denen
ausländische
Pharmakonzerne unter Umgehung von Exportbeschränkungen und ethischen Bestimmungen
in entlegenen Armutsregionen an Blutmaterial für die Gewinnung von Medikamenten, unter
anderem gegen Asthma und Fettsucht, gekommen sind22.
Wie groß der Bedarf an ethischer Aufklärung und Diskussion in China tatsächlich ist, wird
allenthalben deutlich. Das Verstehen der Auswirkungen und Grenzen der Biotechnologie hält
nicht einmal ansatzweise Schritt mit den neu aufgeworfenen Fragen. Zuweilen wird allzu
unbefangen auf Technik gesetzt wird, etwa wenn viele Ärzte die ihren schwangeren
Patientinnen nach positiver Diagnose eines genetischen Defektes des Fetus eher zu einer
Abtreibung raten als diäthetische Auswege (z.B. eine Folsäure-Diät) aufzuzeigen.
Andererseits ist es verständlich, wenn Wege zur Verringerung des Vorkommens schwerer
Erbrankheiten begrüßt werden, die preiswert und effektiv zu sein scheinen. Das gilt auch für
höher entwickelte Regionen. Während in Deutschland schon die Erfassung der genetischen
Daten von Sexualstraftätern umstritten ist, denkt der Gerichtsmediziner Zhang Lin aus
Chengdu im Westen Chinas bereits konkret an den Aufbau einer alle Neugeborenen
umfassenden Datenbank. Sein Vorzeigeprojekt ist ein Säugling namens Longwei. Er ist der
weltweit erste Besitzer eines genetischen Personalausweises. Darin stehen neben den üblichen
Angaben 10 Kennziffern, die über das Erbgut des Trägers Aufschluss geben. Die Herstellung
eines Ausweises kostet etwa 30 Euro. Nicht viel für ein effektives Mittel zur Erfassung und
gegebenenfalls auch zur Kontrolle der Bevölkerung. Hier bieten sich zunächst Möglichkeiten
für den innerchinesischen Markt.
4.2 Zur Regelung des menschlichen Klonens
Offensichtlich besteht in China eine Unterregulierung des Klonens am Menschen.
Chinesische Gentechniker haben spätestens im Jahre 2001 das Erbgut eines Menschen in die
21
Siehe Therese Hesketh und Wei Xing Zhu, "Health in China: From Mao to market reform", BMJ 1997; 314: 1543
(24 May). Vgl. „The China Human Development Report“, United Nations Development Programme, China (Ed.)
New York / Oxford (Oxford University Press), 1999: 30f..
22
Siehe dazu Mark Boeschen und Ole Döring, „Piraterie im Genpool“, Financial Times Deutschland, 16.7.01: 25.
Vgl. auch Alice Dembner, „Harvard-affiliated gene studies in China face federal inquiry“, The Boston Globe, August
3, 2000; sowie John Pomfret and Deborah Nelson, „In rural China, a genetic mother lode“, Washington Post,
December 20, 2000.
Eizelle eines Kaninchens eingepflanzt. Für das Experiment setzten die Forscher um Chen
Xigu von der Zhongshan Medizinischen Universität den Kern der menschlichen Hautzelle
eines siebenjährigen Jungen in die entkernte Eizelle eines Kaninchens ein. Allein in diesem
Jahr sei das Verfahren mehr als 100 Mal erfolgreich angewandt worden23. Einige Zellen
hätten sich erfolgreich ins so genannte Morula-Stadium weiterentwickelt, wozu mindestens 16
Zellteilungen nötig sind. Die Übereinstimmung mit den Erbanlagen des Jungen beträgt
weniger als 100 Prozent. Ähnliche Versuche sind in den USA und Australien mit Eizellen von
Schweinen und Rindern unternommen worden24. In Deutschland ist umstritten, ob es ein
eindeutiges rechtliches Verbot solcher Praktiken gibt25. Kollegen Chens verurteilen die
Versuche. Ba Denian von der Akademie der Wissenschaften nennt sie „schockierend“, weil
sie die „Grenze zwischen Mensch und Tier“ durchbrechen könnten. Der Beijinger
Medizinethiker Qiu Renzong bestätigt, daß die Berichte zutreffen. Der unbotmäßige Forscher
wurde von seinen Kollegen und der Regierung kritisiert und hat diese Versuche, die
ursprünglich mit einem „offenen Ende“ ablaufen sollten, inzwischen eingestellt26.
Andererseits zeigt sich, wie stark der Nachholbedarf in Sachen Ethik unterhalb der dünnen
Schicht der Eliteforschung und bis in diese hinein ist. Professor Zhao Nanyuan von der
Qinghua Universität (Beijing) hat im Gespräch mit der deutschen Presse die Probleme
heruntergespielt. Natürlich gebe es Risiken, „aber wir sind auch in Gefahr, wenn wir mit dem
Flugzeug fliegen.“ Gentechnik und Klonen sei notwendig, um neue Heilmittel zu finden. Zu
ethischen Bedenken bei der genetischen Vermischung von Mensch und Tier erklärte Zhao:
„Der eine hat diese Ethik, der andere eine andere. Bei Ethik gibt es keine gemeinsamen
Werte.“27 Ethische Aufklärung ist offenbar auch in China ein mühsames Unterfangen.
Keinem der beteiligten Menschenkloner scheint die eigene Rechtslage bekannt gewesen zu
sein. Schon im März 1998 hatte der chinesische Gesundheitsminister Chen Mingzhang fünf
23
Harald Maass, „Chinesische Gentechniker kreuzen Mensch und Tier“, Frankfurter Rundschau, 18.09.2001. Vgl.
auch den Artikel „Menschen-Erbgut in Kaninchen-Eizelle gepflanzt“, Süddeutsche Zeitung, 19.9.2001.
24
Ein südkoreanisches Forscherteam hat angeblich drei Jahre eher einen menschlichen Embryo geklont, das
Experiment dann aber abgebrochen und auf weitere Versuche verzichtet, bis ein sozialer, rechtlicher und moralischer
Konsens gefunden wäre; vgl. Korea Herald vom 17. 12. 1998 und New York Times vom 17. 12. 1998. Ergebnisse
einer öffentlichen Untersuchung sind im „Citizen Panel Report“ festgehalten, vgl. www.unesco.or.kr/cc/eng.html.
25
Anne Brüning, „Zellgewinnung aus Mischwesen wäre legal“, Berliner Zeitung, Mittwoch, 19. September 2001
26
Vgl. Ole Döring, „Ein Kind, eineinhalb Abtreibungen. Regelmäßige Unregelmäßigkeiten: Dubiose Quellen der
Stammzellen in China“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.1.2002, Nr.22: 45.
27
Nach Harald Maass, „China finanziert Kreuzung menschlicher Zellen mit denen von Tier“, Frankfurter
Rundschau, 20.9.2001.
politische Leitlinien pauschal für jedes menschliche Klonen erlassen. In „Chinas Prinzipien
und Standpunkte zum Klonen“ heißt es:
1 Die Technologie des Klonens ist ein wichtiger Fortschritt von bahnbrechender Bedeutung.
Die Bemühungen von Wissenschaftlern zur Erforschung und Vertiefung wichtiger Themen
auf dem Gebiet der Medizin sollen gefördert und geschützt werden.
2 Aufgrund der Tatsache, daß die Technologie zum Klonen von Säugetieren noch sehr
unausgereift ist, kann ihre blinde Anwendung möglicherweise zu unvorhersehbaren
Ergebnissen führen. Selbst wenn die Technologien ausgereift sind, müssen die
entsprechenden rechtlichen und ethischen Probleme noch gelöst werden.
3 Die chinesische Regierung verbietet jegliches Experiment zum Klonen von Menschen auf
dem Territorium Chinas. Jegliche Forschung zum Klonen von Menschen, gleich durch wen
und in welcher Weise, wird weder erlaubt noch gefördert.
4 Ab sofort muß die Anwendung von technologischen Durchbrüchen, die für die
Wissenschaft der Humanmedizin relevant sind, streng evaluiert werden, um unvorhersehbare
negative Nebeneffekte zu vermeiden.
5 Wissenschaftler sollten ihr Wissen über das Klonen allgemein veröffentlichen und die
Öffentlichkeit zu einem zutreffenden Verständnis des Klonens anleiten. Dies wird der
gesunden Entwicklung von Wissenschaft und Technologie zugute kommen.
Wenn auch einige Formulierungen klarer sein könnten, die generelle Intention der
Staatsregierung wird hier unmißverständlich. Sie ergibt sich aus Absatz 3. Man muß
unterstellen, daß noch 1998 sowohl therapeutisches als auch reproduktives Klonen unter das
allgemeine Verbot der Klonierung eines Menschen gefallen ist. Nur nicht- menschliche
Lebewesen durften geklont werden.
Diese Situation hat sich seit dem vergangenen Herbst verändert. Die Veröffentlichung eines
fehlgeschlagenen Menschenklon-Experimentes der amerikanischen Firma Advanced Cell
Technology (ACT)28 hatte einen für diesen Bereich einzigartigen öffentlichen Schulterschluß
28
Dazu sieh z.B. Dietmar Ostermann und Corinna Emundts, „Das Tabu in der Petrischale. Klon-Experimente an
menschlichen Eizellen in den USA zeigen, dass der Politik die Zeit davonläuft“, Frankfurter Rundschau, 27.11.2001
und Joachim Müller-Jung, „Endstation Klonfabrik - eine Stippvisite. Wo die Dämme brechen: Ein Besuch in der
amerikanischen Klonschmiede ACT“, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.11.2001: 45.
chinesischer Politiker und Wissenschaftler zur Folge. Der chinesische Vizeminister für
Wissenschaft und Technologie Cheng Jinpei „verdammte“ am Runden Tisch der
Wissenschaftsminister auf einer Bioethik- Konferenz der UNESCO in Paris am 22. Oktober
„jedes Klonen von Menschen“29. Die Regierung zitierte zustimmend den Kommentar einer
(nicht näher genannten) „deutschen Ärztevereinigung“, die Klonexperimente offenbarten
einen erschreckenden Mangel an Respekt für das menschliche Leben30. Ausdrücklich heißt es
dort: „Unser Land widersetzt sich jeglichem menschlichen Klonen und wird keine
Experimente des reproduktiven Klonens fördern. Wenn Menschen nach Gutdünken
erschaffen werden können, wird menschliches Leben nicht mehr respektiert und geachtet
sondern kann beliebig zerstört werden.“ In die Rhetorik dieses vermeintlich totalen Verbotes
haben die Autoren einen Türöffner installiert. Die Nennung des reproduktiven Klonens deutet
mitnichten eine Ambivalenz an. Vielmehr schränkt sie das Verbot ein. Das wird bereits einen
Tag nach dieser Meldung deutlich, als die Regierung einen Bereich möglicher Ausnahmen
ausweist. Hier spricht nicht mehr ein Forschungsminister sondern das MOH. Man werde
Forschung an Stammzellen aus menschlichen Embryonen zum Zwecke der Behandlung und
Vorbeugung von Krankheiten „unter strenger Kontrolle“ erlauben. Unmittelbar nachdem noch
einmal bekräftigt worden ist, daß China „keinerlei Experimente menschlichen Klonens
gutheißt, unterstützt, erlaubt oder akzeptiert und daß diese Stellungnahmen definitiv ist“,
erläutert der leitende Wissenschaftsbürokrat Kang Le vom Büro für Lebenswissenschaften
und Biotechnologie an der Akademie der Wissenschaften: „Wir müssen die Technologie des
Klonens voran bringen. Dabei müssen wir aber sehr vorsichtig sein und dafür sorgen, daß das
wissenschaftliche Vorgehen unter strengen experimentellen Bedingungen und Gesetzen
geschieht“31. Li Lingsong fordert die staatliche Unterstützung der Forschung an embryonalen
Stammzellen. „Vorbedingung dafür ist, daß wir bestimmten international anerkannten Regeln
folgen und daß die Forschung der Gesellschaft zugute kommt“. Die von Li und seinen
Kollegen beschworene Verdammung des Klonens bezieht sich offenbar nur auf dessen
reproduktive Variante32. Damit bestimmt der (vermeintlich) gute medizinische Zweck die
Zulässigkeit, nicht aber die Frage, ob die Handlung selbst erlaubt ist, denn wissenschaftlich
29
Renminribao vom 26.10.2001.
Meldung „Embryo Cloning Crosses Moral Line“, Xinhua, 29.11.2001.
31
„Chinese Government, Scientists Oppose Human Cloning“, Renminribao am 30.11.2001.
32
Siehe Katie Mantell “China gives green light to 'therapeutic' cloning”, SciDev.Net 2001.
30
besteht nur ein Unterschied zwischen den Prozeduren: beim therapeutischen Klonen werden
Embryonen daran gehindert, sich zu Feten zu entwickeln.
Die Strategie hinter dieser widersprüchlichen Politik ist leicht zu sehen. Durch eine enge
Anlehnung
an
liberale
Regelwerke
(namentlich
Englands33)
der
internationalen
Biotechnologie wird es Chinas Spitzenforschung möglich, ihre Internationalität und damit
Verläßlichkeit und Berechenbarkeit zu dokumentieren. Diese Überlegungen schlagen sich in
den derzeit vorliegenden Entwürfen zu einem Gesetz nieder (siehe dazu unten die Abschnitte
4.3 und 5). Damit dürfte sich China von seinem östlichen Nachbarn unterscheiden. In Japan
ist das menschliche Klonen noch verboten, bei Androhung von bis zu zehn Jahren Gefängnis.
Für die Stammzellenforschung sind ebenfalls hohe Hürden geplant. Moralisch wird in Japan
wie in China ein Verbot der Instrumentalisierung des Menschen hoch gehalten; das Dasein
und die Würde jedes Menschen sei an sich wertvoll. Der bisherige Status einer
„Zwischenposition“ des Embryos zwischen „Mensch“ und „Ding“ werde möglicherweise
auch in Japan die Verwendung von verwaisten IVF-Embryonen erlauben, über das Verbot der
Herstellung von Embryonen zu Forschungszwecken besteht zwischen Deutschen und
Japanern Einigkeit34.
Die oberste Maxime des chinesischen Engagements in der Biotechnologie ist pragmatisch.
Das Verbot der Herstellung humaner Klone erscheint auch in seiner aufgeweichten Version
noch plausibel, weil die derzeit absehbaren technischen Möglichkeiten keinen baldigen
medizinischen Nutzen versprechen. Reproduktives Klonen ist auch aufgrund der geringen
Reproduktionsfreiheit in China kaum zu erwarten. Der grundsätzlich große Ehrgeiz
chinesischer Forscher zu innovativen Durchbrüchen wird in diesem Bereich nicht von
politischer oder gesellschaftlicher Seite angestachelt. Im Gegenteil, die Forscher drängen von
sich aus nach klaren Vorgaben des Gesetzgebers. Im Unterschied zur Teilnahme am HGP und
33
In einem in China sogleich zitierten Kommentar von Anne McLaren vom Wellcome CRC Institute in Cambridge,
die der englischen Behörde Human Fertilisation and Embryology Authority angehört, wird Chinas neue
Unterstützung des therapeutischen Klonens als „ausgezeichnete Neuigkeit“ bezeichnet und als eine „überaus
vernünftige Entscheidung, die China in eine ähnliche Situation bringt wie das Vereinigte Königreich und manche
Länder Europas“. Siehe Katie Mantell “China gives green light to 'therapeutic' cloning”, SciDev.Net 2001.
34
Zur Situation in Japan vgl. Ole Döring, “Das Gelbe vom Gen. Global umdenken: Bioethik, deutsch-japanisch in
Berlin”, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.12.2001, Nr. 297: 46. Die buddhistische Perspektive auf den Anfang der
Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens untersucht Jens Schlieter in „Kann ein Klon Buddha werden? Gentechnik
aus einer anderen Sicht“, Neue Zürcher Zeitung, 7. Januar 2002: 11.
zur Nahrungsmittelproduktion ist das Klonen jedoch kein Prestigeprojekt. Daß solche
Vorhaben wie die Klonierung von Haustieren unterstützt werden ist in China auf absehbare
Zeit nicht zu erwarten35; dazu ist der Markt einstweilen zu klein.
4.3 Zur Regelung der Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen
Die führenden Gremien für medizinethische Politikberatung in China haben im Oktober 2001
in Zusammenarbeit mit den Ministerien für Wissenschaft und Technologie sowie Gesundheit
erstmals einen Richtlinienkatalog zur Forschung an Stammzellen (HES) vorgelegt. Diese
„Ethischen Prinzipien und Vorschläge zur Organisation der Forschung an menschlichen
embryonalen Stammzellen“ sind ein fortgeschrittener der Entwurf, der derzeit der Regierung
zur Beratung und Beschlußfassung vorliegt. Er ist hier erstmals im vollen Wortlaut ins
Deutsche übersetzt.
Ethische Prinzipien und Vorschläge zur Organisation der Forschung an menschlichen
embryonalen Stammzellen
Präambel
Die Forschung an embryonalen Stammzellen des Menschen (HES) birgt ein großes Potential
für den Menschen, da sie eine wirksame Hilfe bei der Heilung vieler Krankheiten und der
Förderung
der
Gesundheit
im
allgemeinen
leisten
kann.
Die
Regierung
sollte
Nichtregierungsinstituten bei der Unterstützung der HES behilflich sein und sie fördern. Weil
die HES viele soziale, ethische und rechtliche Probleme verursachen kann, ist es erforderlich,
daß im Zuge der Durchführung dieser Forschung bestimmte Regeln und Anordnungen
eingehalten werden. Die Regierung muß das Klonen menschlicher Wesen zu reproduktiven
Zwecken streng zu verbieten.
1 Prinzipien
1.1 Prinzip des Respekts: Der Embryo ist eine biologische Lebensform mit einem gewissen
Wert und verdient unseren Respekt. Niemand darf ihn ohne ernsten Grund manipulieren oder
35
Vgl. dagegen die Situation im "entwickelten Welt". So gibt es an der Texanischen A&M University mit dem
Unternehmen Genetic Savings and Clone ein lukratives Projekt zur Klonierung von alten, kranken, verstorbenen
oder anderweitig "kopierbedürftigen" Haustieren. Siehe "Hunde für die Ewigkeit", DER SPIEGEL 27/2001: 203.
zerstören Die HES-Forschung kann mögliche Vorteile für Menschen nach sich ziehen. Daher
kann die Beteiligung an einer solchen Art der Forschung gerechtfertigt werden.
1.2 Prinzip der Informierten Zustimmung: Es ist wichtig, daß die potentiellen Spender
embryonalen Gewebes aus früher Abtreibung, von „überzähligen“ IVF-Embryonen, Gameten
oder Körperzellen über die Charakteristika der HES informiert werden und daß man ihnen
völlige Freiheit läßt, ihre Zustimmung zu geben. Wenn die Zustimmung des Spenders
gegeben ist, muß Vertrauensschutz gewährleistet werden. In diesem Sinne muß auch
bezüglich des Objekts eines Experimentes und seiner/ihrer Familie verfahren werden, wenn
die HES-Forschung bis zum Stadium des klinischen Einsatzes gereift ist.
1.3 Prinzip der Sicherheit und Wirksamkeit: Es ist wichtig, daß eine Schädigung der Patienten
vermieden wird. Zunächst müssen Experimente an Tieren durchgeführt werden. Erst wenn die
Sicherheit und Wirksamkeit anhand von Tieren nachgewiesen worden ist, kann an
Krankheiten des Menschen geforscht werden. Klinische Versuche müssen in strenger
Übereinstimmung mit den „Regularien für Neue Medizinisch- Klinische Experimente und
Gentherapie“ erfolgen, die von der Behörde zur Medizinadministration erlassen worden sind.
1.4 Prinzip der Nichtkommerzialisierung: Das Spenden von Gewebe und Zellen zur HESForschung soll unterstützt und jede Art des gewerblichen Handels mit Gameten, Embryonen
oder Embryonalgewebe verboten werden.
2 Vorschläge zur Organisation
2.1 Qualifikation: Alle Einrichtungen, die sich in der HES-Forschung engagieren wollen,
müssen bestimmte Anforderungen an das Personal, die Ausstattung sowie organisatorische
und ethische Auflagen erfüllen und zuerst eine Zulassung durch das Ministerium für
Wissenschaft
und
Technologie
oder
durch
das
Gesundheitsministerium
erhalten.
Grundsätzlich soll keiner Einrichtung unterhalb der Ebene der Provinz das Recht zuerkannt
werden, HES-Forschung zu betreiben.
2.2 Quellen der HES: Die HES sollen hauptsächlich aus folgenden Quellen stammen: (1)
Embryonales Gewebe nach einer Abtreibung; (2) „überzählige“ Embryonen oder Gameten,
unter strikter Kontrolle und mit voll anerkannter Begründung; (3) Embryonen aus
gespendeten Gameten (die Informierte Zustimmung des Spenders ist erforderlich) aus IVFVerfahren, unter strikter Kontrolle und mit voll anerkannter Begründung; sowie (4) aus
somatischen Zellkernen und Eizellen (die Informierte Zustimmung des Spenders ist
erforderlich) und Verfahren der Manipulation an somatischen Zellkernen. Spender von
Eizellen unterziehen sich schmerzhaften Operationen und können unter mancherlei negativen
Nebenwirkungen leiden. Vor diesem Hintergrund wird dafür plädiert, daß die Bürger ihre
Eizellen nach dem Tode spenden. Sobald eine Stammzellinie etabliert worden ist, ist zu
betonen, daß die HES nicht mehr zu (3) und (4) gehören.
2.3 HES-Forschung muß die Prinzipien der Informierten Zustimmung und des
Vertrauensschutzes beinhalten: Die betroffenen Mediziner sollen die allgemeinen
Informationen zu ihrer Forschung und mögliche Ergebnisse veröffentlichen; die Spender von
Embryonen oder Gameten darüber informieren, daß ihre Spende keinen unmittelbaren
medizinischen Nutzen garantiert; erklären, daß weder Zustimmung noch Verweigerung der
Spende von Embryonen oder Gameten mit der zukünftigen medizinischen Behandlung oder
Versorgung in Zusammenhang gebracht wird; erklären, daß der gespendete Embryo nicht in
einen anderen menschlichen oder tierischen Uterus eingepflanzt werden wird; erklären, daß
die Forschung die Zerstörung des Embryos beinhaltet; (die Spenderin) darüber informieren,
daß ihre persönlichen Daten nicht in den Forschungsunterlagen erscheinen werden und daß
ihr Name verschlüsselt wird.
2.4 Folgendes ist streng zu verbieten:
- Die Einpflanzung eines in der Forschung benutzten Embryos in einen menschlichen oder
tierischen Uterus.
- Die Kombination menschlicher und tierischer Gameten; die Forschung an der Verbindung
von Zellkernen des menschlichen Körpers mit tierischer DNA muß streng überwacht werden;
die Ergebnisse solcher Verbindungen dürfen nicht in den menschlichen Körper gebracht
werden.
- (Forschung an einem) Embryo, der älter als 14 Tage ist.
- Gene aus anderen Quellen dem Embryo hinzu zu fügen oder den Zellkern eines Embryos
durch einen anderen menschlichen oder tierischen Zellkern zu ersetzen.
- Andere zu einer Schwangerschaft mit geplanter Abtreibung zu zwingen oder zu überreden
oder die Zeit oder Methode der Abtreibung zu manipulieren.
- Jegliche Art des Handels mit Gameten, Embryonen und Feten, einschließlich der
Kompensation von Spendern.
2.5 Prüfung und Aufsicht:
- Institute, die sich um HES-Forschungsprogramme bewerben, müssen sich zuerst durch die
Ethikkommission begutachten lassen und anschließend die Zulassung beim Ministerium für
Wissenschaft und Technologie und Gesundheitsministerium beantragen.
- Die Teilnehmer an diesem Programm müssen sich einer Ethikausbildung unterziehen.
- Alle Institute der HES-Forschung müssen jährlich an die „gemeinsame Organisation“
Bericht erstatten.
- Alle Institute der HES-Forschung müssen zu jeder Zeit auf die Prüfung und Aufsicht durch
diese Organisationen vorbereitet sein.
2.6 Vorschlag für die Bezeichnung der „gemeinsamen Organisation“, deren Aufgabe in der
Überwachung der HES-Fosrchung besteht: „Büro zur Verwaltung der Humangenetischen
Ressourcen“.
2.7 Auf der Grundlage der obigen Ausführungen sollen innerhalb eines Jahres „Provisorische
Richtlinien zur HES-Forschung“ entworfen werden. Um mit der Entwicklung in der HESForschung Schritt zu halten, sollen die „Provisorischen Richtlinien“ nach 3 Jahren
überarbeitet werden. Sobald HES-Forschung zu einem Stadium der klinischen Anwendbarkeit
gereift ist, sollen „Provisorische Richtlinien zu Klinischen Versuchen mit HES“ entworfen
werden.
Beijing, Oktober 2001
(Unterzeichnende Institutionen:)
Zentrum für Angewandte Ethik, Chinesische Akademie der Sozialwissenschaften
Chinesische Akademie der Medizinischen Wissenschaften / Zentrum für Bioethik, Beijing
Union Medical Universität
Kommitee für Wissenschaftsphilosophie
ELSI Komitee des Chinesischen Humangenomprojektes
Eine erschöpfende und kritische Analyse dieses Regelwerkes soll an dieser Stelle nicht
erfolgen. Es enthält jedoch in seiner Konstruktion, im Problemzugang und in der
Argumentationslogik eine Fülle interessanter Besonderheiten. Darunter bedürfen manche
offensichtlich der Revision, sollen sie für die chinesischen Praxis taugen (zum Beispiel die
Gewährleistung der Informierten Zustimmung, s. 2.3) und für den internationalen Verkehr
wirksam sein können (zum Beispiel der Verzicht auf den international fundamentalen und von
China anerkannten Terminus „Würde“, s. 1.1). Diesem Dokument kommt jedenfalls großes
Gewicht zu, weil es erstens bereits inhaltlich den Trend der aktuellen politischen
Meinungsbildung aufgenommen hat und zweitens weil die unterzeichnenden Institutionen
eine hochrangige Monopolstellung einnehmen. Ihre wichtigsten Mitglieder sitzen zugleich in
den Gremien der Ethikberatung der beiden Ministerien. Aussichtsreiche Alternativentwürfe
sind deshalb auf absehbare Zeit nicht zu erwarten.
5 Zur Diskussion: Chinesische Stammzellen für Deutschland?
Deutschland hat jüngst beschlossen, den Import von Stammzellinien aus dem Ausland zu
ermöglichen. Dabei sind die Umstände in den Ländern wie China oder Indien, aus denen sie
womöglich bezogen werden, bislang kaum bekannt. In China zeigt sich, wie wenig wir über
die globalen Aktivitäten der Lebenswissenschaften wissen können, sobald der Blick von
amtlichen Kundgaben auf die Lebenswirklichkeit schwenkt. Was von dem Gesagten ist wahr,
und was geschieht, ohne daß es bekannt wird? Ein Forscher namens Xu Rongxiang, der sich
mit der Integration chinesischer und westlicher Medizin befaßt, hat am 18. November 2001
behauptet, embryonale Maus-Stammzellen zur Selbstheilung von Magengeschwüren
veranlaßt zu haben und internationale Patente auf das Verfahren anmelden zu wollen. Auf die
Publikation der Ergebnisse wird man nach Ansicht von Qiu Renzong, dem führenden
chinesische Bioethiker, lange warten können: „Das ganze ist komplett erfunden“. Gleiches
gilt für einen Großteil der über das Internet verbreiteten Meldungen, denn China hat das
„Netz“ nicht im Griff, Stammzellen sind aber in Mode. Gleichwohl hat sich das Justizwesen
noch nicht mit diesen Fragen beschäftigt. Qiu sieht dringenden Klärungsbedarf und kündigt
eine Konferenz zur Klärung dieser Fragen an36.
Andererseits arbeitet an der medizinischen Abteilung der Beijing Universität unter Li
Lingsong ein ganzes „Zentrum für Embryonale Stammzellforschung“, mit voller
Unterstützung durch die Regierung. Prominent sind ferner die Forschungen von Shen
Huizheng am Zentrum für Lebenswissenschaften der Fudan Universität in Shanghai und Lu
Guangxiu an der Xiangya Medizinischen Hochschule (ehemals Hunan Medizinische
Universität). Damit befassen sich auch Institute an der Qinghua Universität und Zhongshan
Universität. Außerdem findet derartige Forschung an Instituten statt, die der Chinesischen
Akademie der Wissenschaften und der Chinesischen Akademie der Medizinischen
36
Die in diesem Abschnitt zitierten Angaben beziehen sich auf Interviews, die ich im Laufe des Winters 2001/2002
mit Qiu und den anderen genannten Experten geführt habe.
Wissenschaften angeschlossen sind37. Manche Institute in China haben Stammzellforschung
versucht, ohne das von den Ministerien vorgeschriebene Zertifikat zu besitzen. Die neuen
Regeln sollen hier insbesondere dem Wildwuchs von kleineren Forschungsinstituten
unterhalb der Provinzebene Einhalt gebieten. Zwei Ministerien sind direkt mit HES befaßt,
das MOH und das Ministerium für Wissenschaft und Technologie (MST). Das MST hat das
reproduktive Klonen von Menschen und die Erzeugung von Chimären verboten. Die
vorherrschende Meinung unter Lebenswissenschaftlern und Bioethikern läuft darauf hinaus,
den Embryo „noch nicht“ als richtigen Menschen anzusehen. Das Klonen eines „richtigen
Menschen“ gilt als völlig unakzeptabel. Es gilt wie in England eine „deadline“ der 14-tägigen
Entwicklung. Ethisch entscheidend soll die glaubhafte gute medizinische Absicht sein.
Im verfahrenstechnischen Zentrum der ethischen Regeln steht die Informierte Zustimmung
der betroffenen „Spender“. Diese Vorgabe ist nach Wang Yanguang, Medizinethikerin an der
Akademie der Sozialwissenschaften in Beijing, „absolut notwendig“. Alle legalen Aktivitäten
verlangen die Prüfung jedes Einzelfalles durch die zuständige Ethikkommission. Ihre
Kollegin von der medizinischen Abteilung der Fudan Universität, die Philosophin Zhu Wei,
sieht die Praxis eher skeptisch. „Die Informierte Zustimmung ist in der klinischen Forschung
in China noch immer ein großes Problem“. Das gilt besonders, weil die Forscher selbst für
beides zuständig sind, den Patientenschutz und die Gewinnung des Materials, vor allem aus
IVF-Kliniken. An embryonalem und fetalem Gewebe herrscht jedoch auch sonst kein Mangel.
Aufgrund der Ein-Kind-Politik läßt jede Frau durchschnittlich eine bis zwei Abtreibungen
durchführen. Es gibt, so Zhu und ihre Kollegen, keine klaren Beweise dafür, welches die
wahre Quelle des biologischen Forschungsmaterials ist. Bekannt ist längst, daß Kliniken nach
der Geburt die Plazenta zu medizinischen Zwecken verkaufen. Sobald Material, einschließlich
Embryonen, auf dem Markt ist, läßt sich nicht mehr nachvollziehen, ob es aus einer frühen
Abtreibung, aus IVF-Kliniken oder aus der Spende einer Frau stammt. Chinesische
37
Am 6. März 2002 berichtet der Nachrichtendienst des NewScientist, an der Zweiten Medizinischen Universität zu
Shanghai seien "Dutzende" menschlicher Embryonen geklont und so weit ausgebrütet worden, daß man Stammzellen
"ernten" könne. Forscher fürchten nun eine Benachteiligung "westlicher" Wissenschaftler, die nicht auf die Fülle
embryonalen "Materials" zurückgreifen können wie ihre chinesischen Kollegen. In diesem Zusammenhang wird
auch erwähnt, daß bisher die Publikation der Ergebnisse in anerkannten internationalen Zeitschriften ausgebliebenen
seien. Bekanntlich verlangt man dort den Nachweis ethisch unbedenklicher Prozeduren und namentlich die Garantie
der Informierten Zustimmung der "Spender". In China ist das jedoch schwer zu verifizieren. Vgl. Rick Weiss, "Stem
Cells In Human Blood Are Reported Potential Help In Tissue Repair, Regeneration Cited", Washington Post, 7.
Beobachter sind sich einig, daß die Zustimmung der Frauen kaum nachweisbar ist und auch
kaum jemanden interessiert. Li Lingsong ist sich zwar sicher, daß HES-Forschung
hauptsächlich die Technik des Nukleartransfers benutzt, bleibt bei der Nennung der Quellen
aber vage. Auch Yang Huanming bestätigt die unübersichtliche Herkunft des Rohstoffes, aus
dem menschliche Stammzellen gewonnen werden. „Soweit ich weiß werden alle drei Quellen
benutzt. In der Hauptsache aber kommen die menschlichen embryonalen Stammzellen von
abgetriebenen Feten“. Falls in China ein geregelter Prozeß der Beratung und Information der
Betroffenen eines Tages verwirklicht werden sollte, ist nach Angaben von Yang offen,
welchen Verlauf die Entscheidungsprozesse nehmen würden. Yang schätzt, daß derzeit etwa
die Hälfte der Paare ihre Embryonen „spenden“ würden. Die anderen würden sich vermutlich
für die Freigabe zur Adoption oder für eine Bestattung entscheiden. Die neuen Regeln
verbieten aus gegebenem Anlaß ausdrücklich, Frauen zu einer Schwangerschaft mit
kalkulierter früher Abtreibung zu verleiten (s. 2.4.5). Wann sich dieses Verbot in der Praxis
durchsetzen wird weiß niemand.
Eine finanzielle „Entschädigung“ der Spender ist nach Yang nicht vorgesehen, um künstliche
Anreize zu vermeiden. Auch hier ist die Praxis kompliziert: „In China gibt es jedenfalls keine
hohe Entschädigung. Unsere Regeln verbieten die Kommerzialisierung des Materials. Ich
hätte es aber lieber gesehen, wenn die Gewinnung des Materials unabhängig von den
Forschern organisiert worden wäre“. Die Verantwortung liegt bei den Forschenden. Die neuen
Regeln stiften in diesem Punkt eher Verwirrung, weil sie die etablierten Stammzellinien
ausdrücklich von den Embryonen, Gameten und Fetalgewebe unterscheiden, auf die sich das
Verbot der Vermarktung bezieht.
Die Aussichten eines internationalen Handels mit Stammzellen bewertet Qiu Renzong
zurückhaltend. Bislang sei niemand in China daran interessiert, Stammzellen ins Ausland zu
exportieren. „Zunächst hat jedenfalls noch niemand damit Erfolg gehabt“. Es gibt keine
Richtlinien, die den Verkauf von Stammzellen erlauben. Yang Huanming, seinerseits
ausgewiesener Humangenetiker mit gut etablierten internationalen Großprojekten, räumt
freilich ein: „die Forscher haben ein Interesse daran, Stammzellen ins Ausland zu verkaufen“.
März: 8 und "Stem Cells in Adults' Bloodstreams May Be Able to Grow New Tissue", Wallstreet Journal, 7. März
2002.
Li Lingsong pflichtet ihm bei. „Stammzellforschung ist eine interdisziplinäre Arbeit. Wenn
wir eine Forschungskooperation zwischen Europa und China aufbauen könnten, würden
davon sowohl Wissenschaftler als auch viele Patienten profitieren.“
Die tatsächlichen Vorgänge sind in China selbst für Eingeweihte nicht lückenlos
nachvollziehbar und es besteht ein eklatantes Problem der Durchsetzung geltenden Rechtes.
Angesichts einer Vielzahl von bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten und Verstößen muß
davon ausgegangen werden, daß auch hier „Gelegenheit Diebe macht“. Viele Chinesen fühlen
sich
vom
Druck
wirtschaftlicher
Verwertungsinteressen
durch
die
internationale
Pharmaforschung von den eigentlichen Aufgaben des Gesundheitswesens abgelenkt. Zhu
Wei, die den Globalisierungsprozeß lange beobachtet, sieht in der aktuellen Entwicklung
bekannte Triebkräfte am Werk, nämlich „westliche Mitspieler, die bereits von den
bestehenden Kooperationen einseitig profitieren“. Über derzeit geplante Projekte mit
deutschen Partnern erhält man freilich nur vage Auskunft. Selbst in Wuhan, das mit seiner
Medizinischen Tongji-Universität traditionell ausgezeichnete Beziehungen zu Deutschland
pflegt, gibt es keine konkreten Angaben über eine Zusammenarbeit mit menschlichen
embryonalen Stammzellen.
Yang Huanming ist soeben von einer Englandreise irritiert nach Beijing zurück gekommen.
Er sieht „mit Sorge die jüngere Entwicklung in Europa. Allgemein gesagt befürchte ich, daß
die im Raum stehenden doppelten Standards viel Ärger machen werden. Das Ansehen und die
Aufrichtigkeit der ethischen Diskussion wird in Frage gestellt.“ Diese Sorge wird durch den
Verdacht ergänzt, daß es weniger um Moral als um Patente geht. China könnte durch das
Kartell der Selbstversorgung des Westens beim Wettlauf um Ansprüche und Profite in
Rückstand geraten.
Schließlich wendet sich der führende chinesische Humangenetiker an die deutsche Debatte.
„Ich meine nicht, daß Deutschland ein Beispiel setzen sollte, indem es sagt: ‚es ist illegal
Embryonen zu benutzen, aber die Benutzung der von anderen gemachten Zellinien ist legal‘.
Das hört sich an wie: ‚Es ist illegal deutsches Schweinefleich zu essen oder ein deutsches
Schwein zu töten, aber importiertes Schwein zu essen ist legal, weil wir Schweinefleisch
brauchen‘. Das wäre überaus destruktiv für die ethische Diskussion.“
In Deutschland soll der Import von Stammzellen zunächst auf drei Jahre befristet werden.
Nach diesem Moratorium wird endgültig darüber entschieden, ob die HES-Forschung
akzeptabel ist. Deutschland will somit eine Praxis ausdrücklich zulassen, weil man nicht weiß,
ob man sie für akzeptabel hält, obwohl man wissen kann, daß mögliche Importe aus Ländern
wie China ethisch heikel sind und obwohl man nicht wissen kann, wie ethisch bedenkliche
von unbedenklichen Stammzellinien zu unterscheiden sind. Deutschland könnt aber auch zum
beiderseitigen Nutzen China als potentiellen Partner mit einzubeziehen, ehe eine solche
Regelung Gesetz wird. Aus ethischer Sicht muß in die Beurteilung des eigenen Handelns
ohnehin die Perspektive der Menschheit eingehen. Ethisch aufgeklärte Chinesen erwarten
gerade von Deutschland, daß es zur medizinethischen Debatte mehr beiträgt als Kalkulationen
von Nutzen. Den Handel mag man technisch begrenzen können, die ethische Signalwirkung
nicht. Öffnet Deutschland der Logik des Bioprofitstrebens Tür und Tor, dann nicht nur
innerhalb unserer Grenzen. Es macht die ethisch-moralischen Grundlagen unserer Kultur
weltweit unglaubwürdig. China ist ein unbequeme Erinnerungshilfe an die Verantwortung der
Wissenschaft.
Der Autor dankt der Dr. Helmut Storz Stiftung, ohne deren langjähriges Vertrauen und
finanzielles Engagement das dieser Arbeit zugrundeliegende Forschungsprogramm nicht hätte
entstehen können.
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