„psychischen Geburt“ des Menschen etwa - Supervision

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Die psychische Geburt des Menschen
Es gehört heute schon fast zur Allgemeinbildung die drei von Freud formulierten
psychischen Instanzen zu kennen: „ES – ICH – ÜBERICH. Während das ES die
angeborenen Triebe enthält, stellt das ÜBERICH die Regeln und Normen der
Außenwelt dar.
Das ES ist angeboren. Der Geist des neugeborenen Kindes besteht ausschließlich
aus diesen angeborenen Trieben im ES. Nach der Geburt trifft also das „reine
Triebwesen“ auf die äußere Welt. Weil die Außenwelt aber nicht immer die Triebe
des Kindes unmittelbar befriedigt und sogar manchmal Gegensätzliches will,
bekommt das Kleinkind zunehmend Probleme und Konflikte. Aus diesen Problemen
und Konflikten, die der Säugling zwangsläufig mit den Menschen die ihn umgeben
bekommt, entstehen Spannungen. Durch diese Spannungen und Konflikte gewinnt
das Kleinkind nach und nach die Erkenntnis, dass es sich irgendwie mit der
Außenwelt einigen muss. Dies ist ein schmerzhafter Prozess für das Kind, der aber
durchlebt werden muss. Die Außenwelt mit ihren Regeln, Normen, Anforderungen
und Gesetzen drängt sich dem kleinen kind auf und bildet nun so etwas wie das
Gewissen. Das nennt die Psychoanalyse das „ÜBERICH“. Dieses Überich gerät nun
mit den Trieben, also dem „ES“ in Auseinandersetzungen, weil der Mensch ja auch
seine angeborenen Triebe verwirklichen will, das Gewissen (Überich) das aber
verbietet. Es und Überich müssen sich also einigen. Aus diesen Einigungsversuchen
mit seinen Kompromissen bildet sich nun Schritt für Schritt das „ICH“ als
Persönlichkeitskern, weil das kleine Kind die Erfahrung gemacht hat, dass es sich
irgendwie mit der Realität einigen muss. Es kann nicht erwarten, dass die Umwelt
seine Triebe und Bedürfnisse bedingungslos befriedigt und es unterwirft sich auch
nicht bedingungslos den Anforderungen aus der Umwelt. Man kann also sagen, dass
der Streit zwischen dem Gewissen und den angeborenen Trieben dazu führt, dass das
Individuum sein „ICH“ als Kern seines Charakters entwickelt.
Einige Wissenschaftler vertreten in neuerer Zeit die Auffassung, daß der Prozess
der Ich-Entwicklung gleich nach der Geburt beginnt. Die sogenannte Ich-Findung,
also die Herausbildung eines Ich-Bewußtseins, ist dann mit dem zweiten Lebensjahr
weitgehend abgeschlossen. Die klassische Theorie datiert den Beginn der
„psychischen Geburt“ des Menschen etwa zwischen den fünften und zehnten
Lebensmonat. Heute geht man davon aus, das die Ich-Entwicklung nie ganz
abgeschlossen ist, daß aber die wesentlichen Grundlagen des Persönlichkeitskerns bis
zur Einschulung gelegt sind.
Ein ganz wesentlicher Faktor bei der Ich-Entwicklung ist die Herausbildung der
Ich-Stärke. Damit ist die Fähigkeit gemeint, Belastungen und Konflikte ohne tiefer
gehende seelische Beeinträchtigungen aushalten zu können. Und genau an diesem
Punkte setzt nun die neueste psychoanalytische Suchtforschung an, die die Frage
stellt: In welcher Weise ist die Ich-Stärke eines Menschen geschädigt, die diesen
eventuell in eine Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Drogen führt?
Das Kleinkind erwirbt sich diese Ich-Stärke in einem allmählichen
Ablösungsprozeß von seiner frühen Bezugsperson. Von der Bezugsperson (meistens
die Mutter) ist es nach dieser Entwicklung, die etwa mit der Einschulung endet, nicht
mehr auf Gedeih und Verderb abhängig. Es kann sich dann schon mal selbst
beruhigen, wenn es etwas Unangenehmes erlebt hat, kann verschiedene
Gefühlszustände unterscheiden und weiß, daß die Eltern da sind, obwohl es gerade
keinen unmittelbaren Kontakt zu ihnen hat. Diese Fähigkeiten zeigen, daß das Kind
ein eigenes „Ich“ herausgebildet hat, welches es unabhängig macht von der ständigen
und direkten seelischen Unterstützung durch die frühen Bezugspersonen.
Edith Jacobsen und Magret Mahler waren befreundete Forscherinnen, die
Untersuchungen unternommen haben an schwer gestörten und normalen Kindern im
Umgang mit deren Müttern. Dabei entdeckte Magret Mahler, daß die kleinen Kinder
sich ab ca. dem fünften Lebensmonat aus der körperlichen Einheit mit der Mutter zu
lösen beginnen. Das Kleinkind entdeckt dann begeistert seine wachsenden
Fähigkeiten und eine immer größer werdende Welt. Aber erst vom etwa fünfzehnten
Lebensmonat an entwickelt der junge Mensch eine wirklich getrennte Vorstellung
von sich und seiner Umwelt. Damit verliert er aber nun sein „Paradies der AllEinheit“ und gewinnt seine eigene Ich-Identität. Die psychische Geburt des
Menschen stellt somit so etwas dar, wie die Vertreibung aus dem Paradies, sie
verläuft beinahe so, wie die biblische Schöpfungsgeschichte.
Während der Ich-Entwicklungsprozeß abläuft, reift und verändert sich auch das
Triebleben. Zuerst ist es für das Kind unerträglich in seiner guten, nährenden und
schützenden Mutter gleichzeitig auch jemanden zu sehen, der auch böse sein kann.
Denn der gute Teil der Mutter befriedigt ja seine Triebe und der böse Teil muss die
unbequemen Forderungen der Außenwelt gegen seine Wünsche durchsetzen. Dass
Angenehmes und Unangenehmes von ein und der selben Mutter ausgehen kann,
versteht der Säugling noch nicht. Das kleine Kind hilft sich folglich zunächst
dadurch, indem es den guten Teil der Mutter von dem bösen Teil trennt. Die Mutter
wird sozusagen in zwei Personen (Teilobjekte) aufgespalten.
Im weiteren Prozeß muß das Kind nun die schmerzhafte Erkenntnis verarbeiten,
dass die Mutter manchmal gut und manchmal böse sein kann und dennoch die selben
Mutter bleibt. Die gleiche Erfahrung macht es auch mit sich selbst. Es kann
angenehme und unangenehme Empfindungen mit dem eigenen Körper haben. Auch
diese „guten und bösen“ Empfindungen kommen aus ein und der selben Quelle,
nämlich dem eigenen Körper. Auch dies muss das Kind erkennen und lernen, dass
sowohl die Menschen aus seiner Umwelt gleichzeitig gute und schlechte Gefühle
erzeugen können, wie auch der eigene Körper. Die Psychoanalyse sagt dazu, das das
Kind lernt, Libidonöses und Aggressives zu integrieren und dadurch Objektkonstanz
und eigene Identität gewinnt.
Durch die Feststellung, daß eine andere Person und es selbst gleichzeitig gute und
böse Teile hat, gelingt es dem Kind, sowohl ein einheitliches Bild von der Mutter als
auch von sich selbst im Gedächtnis zu bewahren. Wenn dieser Prozeß erfolgreich
abgeschlossen wird, benötigt der Mensch nun nicht mehr unbedingt die körperliche
Anwesenheit der Bezugsperson, allein die Erinnerung reicht aus, um Konflikte und
Krisen bewältigen zu können. Wenn aber diese (unbewußte) Erinnerung zu blaß
bleibt ist der Mensch auf ein Hilfsmittel angewiesen, welches den Kontakt zum
schützenden Gefühl durch die frühe Bezugsperson wieder herstellt. Solange dieser
Prozeß noch nicht sicher verarbeitet ist benötigen viele kleine Kinder ein sogenanntes
Übergangsobjekt. Diese Funktion erfüllt dann oft der Teddy oder die Schmusedecke.
Nachdem diese Entwicklung durchlaufen worden ist bildet der junge Mensch seine
Identität als männliches oder weibliches Wesen heraus. Diese Zeit wird von der
Psychoanalyse als „ödipale Phase“ bezeichnet, sie beginnt etwa im 3. Bis 4.
Lebensjahr und ist meist im Alter von 5 bis 6 Jahren abgeschlossen.
Die hier beschriebene Entwicklung kann auch mißlingen. Sei es, weil das Kind
von Geburt an zu schwächlich ist oder eine zu dürftige Ausstattung mit bringt, oder
weil es in eine zu dürftige, verletzende oder überfürsorgende Umwelt hineingeboren
wurde. Wird ein Kind in der ganz frühen Phase, quasi noch vor der „psychischen
Geburt“, stark verletzt oder vernachlässigt so führt das später zu einer Psychose, also
einer psychiatrischen Erkrankung wie z.B. die Schizophrenie. Fehlentwicklungen in
der Phase der Loslösung und Individuation, führen zu Suchterkrankungen und
sogenannten Borderlinestörungen. Späteres Mißlingen in der ödipalen Phase führt
dann nur noch zu Neurosen.
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