Umweltbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und FöJ

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Veranstaltung „ 15 Jahre FÖJ Brandenburg“ 1.9.08, Potsdam, Brandenburgsaal, Staatskanzlei
Prof.em.Dr.Norbert Jung, FH Eberswalde/ Berlin
Umweltbildung, Bildung für nachhaltige Entwicklung und FÖJ –
Was wollen wir? Was können wir?
15 Jahre FÖJ – das ist ein Grund zum Feiern, denn diese Einrichtung des „Freiwilligen ökologischen
Jahres“ für Jugendliche ist einer der gelungensten Würfe in der Umweltbildung der letzten Jahrzehnte.
An unserer FH in Eberswalde, der wohl einzigen „grünen“ Hochschule in Deutschland landen eine ganze
Reihe Bewerber, die vorher ein FöJ gemacht haben. In den Auswahlgesprächen sind es meistens
diejenigen, die sich hervorragend für die nachhaltigen, ökologischen und naturschutzbezogenen
Studiengänge eignen: denn sie sind motiviert ! Diese Tatsache ist ein großes Kompliment für diesen
ökologischen Freiwilligendienst.
Die von Jahr zu Jahr steigende Zahl von Interessenten für das FöJ zeigt auch etwas anderes deutlich:
Das Unbehagen junger Menschen gegenüber einer umweltzerstörerischen Wirtschaft und Politik wächst,
und immer mehr wollen dagegen etwas tun, z.B. durch solche ein Bildungsjahr wie im FöJ.
Die einen tun dies, indem sie sich Kenntnisse und Fähigkeiten in der praktischen Naturschutzarbeit,
Erfahrungen und Kenntnisse über die heimische Natur und die Wechselwirkung zwischen Natur und
Gesellschaft aneignen, die anderen, indem sie per Umweltbildung den Gedanken eines dauerhaften
Lebens mit der Natur vor allem Kindern zu vermitteln helfen. Unsere Absolventinnen Margret Bühler und
Susanne Müller, beide ehemalige „Ökis“, untersuchten in ihrer Diplomarbeit das FöJ in zwei
Bundesländern. Von den erreichten 40 Einsatzstellen machten 26 Umweltbildung.
Egal in welcher Einsatzstelle, Sie sitzen alle in einem Boot, in dem Menschen die Verantwortung für die
Zukunft ernst nehmen und sich verantwortlich fühlen.
Ich möchte Sie ermuntern: Lassen Sie sich von diesem Weg durch nichts abbringen, nicht durch
scheinbar unwiderlegbare Logik aus der Wirtschaft, nicht von politischer Korrektheit und nicht von
politischen Winkelzügen. Denn Sie stehen mit Ihrem Umweltengagement auf der Seite des Lebens,
was man von naturzerstörerischen Wirtschaftsentscheidungen nicht sagen kann.
Nachhaltigkeit – Theorie und Praxis
Das Schlagwort für umweltgerechte Entwicklung heute ist „Nachhaltigkeit“, ein Wort, das trocken klingt,
blutleer und gar nicht lebensnah. Das englische Wort „sustainability“ sagt da schon mehr: es bezeichnet
die Fähigkeit und das Vermögen, etwas zu erhalten und dauerhaft zu gestalten. Das Leben nämlich.
„Nachhaltigkeit“ ist ein Begriff aus der Forstwirtschaft, die ja schon immer eine etwas sperrigen Sprache
hatte.
Es geht dabei, wie die Brundtland-Kommission 1987 definierte, um
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„eine Entwicklung, die die Lebensqualität der gegenwärtigen Generation sichert und gleichzeitig
zukünftigen Generationen die Wahlmöglichkeiten zur Gestaltung ihres Lebens erhält.“
Gegenwärtige Generation heißt: alle, die Harz IV –Empfänger und die Hungernden in den
Entwicklungsländern wie die Reichen. Damit ist ökologische Entwicklung untrennbar mit sozialer
Gerechtigkeit verbunden.
Nun könnte man meinen, dass man das erreicht, indem man den Wohlstand möglichst schnell erhöht
und den technischen Fortschritt zu Höchstleistungen treibt.
Wenn da nicht der Haken wäre, der sich mit der Klimaverschlechterung, der zunehmend schnelleren
Ressourcenverknappung und dem schwindelerregenden Tempo des Arten- und Biotopschwundes
schon zu einer so bedrohlichen Gefahr auswächst. Diese Bedrohung hat Ausmaße angenommen, dass
sich dem heute auch eine Politik stellen muß, die die Warnungen von Fachleuten und
Umweltengagierten fast drei Jahrzehnte in den Wind geschlagen hat, nämlich mindestens seit dem
Meadows-Report (Club of Rome) „Grenzen des Wachstums“ 1972 (und eigentlich schon seit 1962, seit
Rachel Carsons „Der Stumme Frühling“), drei Jahrzehnte wurden die Warnungen beharrlich als
Katastrophengewäsch und Fortschrittsverhinderung bezeichnet und ignoriert.
Nur ist eben heute viel weniger zu retten, als es vor drei Jahrzehnten der Fall war, wie Maedows
feststellte. Die Masse von Tier- und Pflanzenarten, die wir ausgerottet haben, kehren nie auf diesen
Planeten zurück. Ein Grund zu tiefer Trauer, für die es selten irgendwo Raum gibt. Auch unsere Gefühle
von Trauer, Ohnmacht, Verzweiflung und vielleicht auch Wut angesichts der anhaltenden
Umweltverschlechterung brauchen einen Ort, eine Gemeinschaft, in der man sie äußern kann, um den
Kopf wieder frei zu bekommen.
Nun ein aktuelles Beispiel zum Thema „Nachhaltigkeitspolitik“:
Bundesumweltminister Gabriel legte jüngst ein Konzept für die Minderung der Umweltschäden vor.
FHE – Landschaftsnutzung u. Naturschutz
Umweltbildung
Prof.em.Dr.Norbert Jung
WISSEN ÜBER NACHHALTIGKEIT
Landwirtschaft und Ernährung : Was müsste sich ändern?
Berliner Zeitung v. 26.8.08 zum Konzeptpapier von Umweltminister Gabriel
Konzeptpunkte:
- Landwirtschaft: Mehr Vorteile für Biobauern
-
Dienstwagen: Spritsparer fördern
-
Atomwirtschaft zahlt Abgaben für alternative Energie
- Flugbenzin : Subvention nur nach Umweltcheck
- Steuersatz: Ermäßigung für Klimaschoner.
Reaktionen: Bundesregierung und Industrie auf Distanz – Umweltverbände, Grüne
und Linke begrüßen den Ansatz
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Es scheint alles vernünftig, und es ist wissenschaftlich richtig und begrüßenswert – nur : Sowohl von
Politikern auch der Bundesregierung als auch aus der Industrie kam sofort Protest.
Die Tatsachen der Zusammenhänge sind wirklich nicht neu. 1991 schrieben kanadische Wissenschaftler
im Earth Island Journal, was man konsequenterweise persönlich tun könnte, um, wie sie sagten, „die
Erde zu retten“.
„Konsequente ökologische Forderungen“
Earth Island Journal 1991: „Fifty Difficult Things You Can Do to Save the Earth“ (in: Roszak 1994: Ökopsychologie)
Demontieren Sie Ihr Auto
Werden Sie Vegetarier
Bauen Sie Ihr eigenes Gemüse an
Lassen Sie den Strom abstellen
Verzichten Sie auf Kinder
Einiges erscheint uns extrem, dennoch stimmen die Aussagen wissenschaftlich, sie würden, massenhaft
angewandt, tatsächlich unsere Umweltbeschädigungen verringern, und einige sind denen von Gabriel
ähnlich. Ob der Verzicht auf Kinder auf sozial nachhaltig ist, darf allerdings bezweifelt werden.
Das erinnert mich an eine Diskussion mit einem der damaligen „Umweltweisen“ (Umweltberater der
Bundesregierung), dem Philosoph Michael Meyer-Abich 1990. Er sagte: Was getan werden müsste
und könnte, ist längst bekannt. Aber es wird nicht getan. Solches Nichttun als „Realpolitik“ zu verkaufen,
rückt in die Nähe von Verantwortungslosigkeit gegenüber der Zukunft.
Und noch ein ebenfalls aktuelles Beispiel:
Der BUND alarmierte jüngst in einer Kampagne, wie auch mit scheinbar umweltschonenden Ressourcen,
nämlich erneuerbaren Energien aus nachwachsenden Rohstoffen eine neue Umweltkatastrophe
heranwächst:
FHE – Landschaftsnutzung u. Naturschutz
Umweltbildung
Prof.em.Dr.Norbert Jung
WISSEN ÜBER NACHHALTIGKEIT
Regenerative Energien: Ist Biosprit die Lösung?
Aus einem Aufklärungsblatt des BUND August 2008: „Palmölplantagen für Agrosprit – der Regenwald-Killer Nr.1. Immer öfter brennen tropische
Regenwälder, um Platz für Palmöl-Plantagen zu schaffen. Dadurch wird mehr klimaschädliches CO 2 freigesetzt, als durch den Agrosprit eingespart
werden kann. Und viele vom Aussterben bedrohte Tiere wie der Orang-Utan verlieren ihre letzten Lebensräume. Allein in Indonesien sollen in den
kommenden Jahren Palmöl-Plantagen von der dreifachen Größe Niedersachsens entstehen – eine Katastrophe für unser Klima!“
Der Text: „Der Mais für
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die Tankfüllung eines einzigen Geländewagens ernährt einen Menschen ein ganzes Jahr lang“
Und: „Palmölplantagen für Agrosprit – der Regenwald-Killer Nr. 1. Immer öfter brennen tropische
Regenwälder, um Platz für Palmöl-Plantagen zu schaffen. Dadurch wird mehr klimaschädliches CO2
freigesetzt, als durch den Agrosprit eingespart werden kann. Und viele vom Aussterben bedrohte Tiere
wie der Orang-Utan verlieren ihre Lebensräume...“
Das ist etwas marktschreierisch aufgemacht, aber es führt uns doch drastisch vor Augen, wie die
Gesetze der Wirtschaft und damit leider oft auch die Entscheidungen der Politik ökologisch vorwärts
weisende Entwicklungen ins Gegenteil verkehren, indem sie sofort in rücksichtslose, profitorientierte
Gigantomanie verfällt, um „wirtschaftlich“ arbeiten zu können, wie sie sagen.
Die einzig umweltverträglichere Alternative wäre doch: nicht Auto fahren, Spritverbrauch drastisch
reduzieren!
Die bisherigen politischen Antworten auch auf den Weltklimabericht insgesamt waren in dieser
Hinsicht enttäuschend: Man sucht nach Sprit sparenden Autos, nach energiesparenden
Haushaltsgeräten, nach nachwachsenden Energieträgern. Nur eine Ursache spricht kaum jemand an,
die Hauptursache nämlich, wohl, weil man ja schließlich wieder gewählt werden will: Den
Überflusswohlstand als Quelle des Übels, der durch eine kaum gebremste Maximierungsproduktion
stets neue Nahrung erhält. Mit diesem Reichtum der wohlhabenden Minderheit unseres Planeten wird es
keine Nachhaltigkeit geben. Es geht, welch böses Wort, um Verzicht, oder doch um Einschränkung auf
ein gutes, aber eben nicht luxuriöses Leben, das sich aus der Überflussproduktion nährt.
Einer der Umweltweisen, der schon mit seiner Warnung vor den „Grenzen des Wachstums“ von 1972
recht behalten hat, Denis Meadows, hat vor ein paar Jahren klar prognostiziert: Der westliche
Überflusswohlstand ist nicht zu halten, wenn uns die Umweltkatastrophen nicht eines Tages in ein
anderes Leben zwingen oder gar dies beenden werden.
Ganzheitliche Umweltbildung und nachhaltige Entwicklung
Was hat das alles mit Umweltbildung, mit Bildung für nachhaltige Entwicklung, mit FÖJ zu tun? Wir feiern
doch heute eine ausgesprochen erfolgreiche Entwicklung mit diesem ökologischen Bildungsengagement
– warum also diese zwar realistischen, aber doch eher deprimierenden Tatsachen und
Zusammenhänge?
Meine Antwort: Egal, ob in der praktischen Naturschutzarbeit oder in der Umweltbildung: Wir können
uns nicht in eine Idylle zurückziehen vor den Prozessen in der Gesellschaft, in der wir leben.
Und diese Gesellschaft hat zwei Seiten: Das eine sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen,
die die Marktwirtschaft und die Politik uns setzen, mit dem Ergebnis, dass sich unsere ökologischen
Existenzgrundlagen auf der Erde nach wie vor fast ungebremst verschlechtern, dass die Schere
zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft, dass Kriege nicht nur um Öl, sondern auch um
Wasser drohen. Das ist die eine Seite.
Das andere ist unsere eigene Entscheidung im Alltag: Was wir kaufen, worauf wir reinfallen, wie wir
leben, was uns wichtig ist und wofür wir uns engagieren.
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Und hier sitzen Menschen vor mir, denen noch andere Werte als nur das Geld wichtig sind, weil sie
wissen oder fühlen, dass Gemeinschaft nur durch Verantwortung, Solidarität und manchmal auch
Zurückstecken eigener Interessen gelingt. Das fällt schwer, wenn man fast täglich die
Selbstbedienungsmentalität der Chefetagen von Konzernen vor Augen geführt bekommt.
Haben wir hier also schon einen Ansatzpunkt zu dem „Was können wir tun?“
Zuvor noch ein paar Worte zu dem: Was wollen wir eigentlich, wenn wir uns für Natur, Umwelt und
Nachhaltigkeit engagieren?
Ich glaube, gerade junge Menschen wie Sie wollen, dass es besser wird, aber nicht in dem Sinne des
bisherigen Überfluß-Wohlstandes, sondern dass es anders wird, verträglicher sowohl mit der Natur als
auch im menschlichen Miteinander.
Lassen Sie mich etwas aus meiner Entwicklung erzählen. Ich begann, mich seit meinem 14.Lebensjahr
für Naturschutz zu engagieren, beginnend 1957 in der Naturwacht in Neustrelitz/Mecklenburg (Ja, so
was hat es damals schon gegeben!).
Mein damaliger Lehrer in Sachen Naturschutz, der NS-Beauftragte Walter Gotsmann, prägte bereits
damals den Satz: Wir schützen die Natur nicht vor dem Menschen, sondern für den Menschen.
Naturschutz ist Menschenschutz, hieß es. Wie modern! Es war bereits auf Nachhaltigkeit ausgelegt.
Wir wollten uns genauso engagieren wie Sie, machten aufklärende Ausstellungen über bedrohte Tier –
und Pflanzenarten, schufen Arbeitsgemeinschaften für Schüler in den „Stationen junger Naturforscher“,
die es überall gab, bauten Nisthilfen für Fischadler, schrieben kleine Artikel für die Zeitung.
Sie sehen, es hat eine Umweltbildung gegeben, bevor es diesen Begriff gab.
Sehen wir uns nun an, was diese in der BRD geschaffene Umweltbildung in den gut 35 Jahren ihrer
Existenz erreicht hat, so blieben die Erfolge, da sind sich die Experten einig, im Vergleich zu den
gestellten Zielen ausgesprochen bescheiden.
Ziel war, vor allem ab den 80er/90er Jahren, einen Bürger zu erziehen, der als verantwortungsbewusster
Käufer letztlich die Industrie zu umweltfreundlicherer Produktion zwingen soll. Nachhaltigkeit, so wird es
auch heute noch formuliert, kann nur von unten wachsen. Das ist eine schöne Idee, aber leider eine
unrealistische. Ich sehe bisher keinen Trend, dass Menschen nicht nur weniger umweltschädliche Autos
kaufen, sondern ganz und gar freiwillig darauf verzichten! Dennoch kann jeder etwas tun für eine
Minderung der Schäden, aber es wird eben nicht zu der beabsichtigten Revolution der Nachhaltigkeit
führen.
Denn die Menschen in Deutschland wissen ziemlich gut was sie tun sollten, und die zweijährlich
erfolgenden Umfragen des Umweltbundesamtes zum Umweltbewusstsein in Deutschland zeigen m.E.
das schlechte Gewissen der Bürger in den Antworten. Es ist stets eine repräsentative Umfrage, das
heißt, mit der üblichen sozialwissenschaftlichen Methodik durchgeführt.
Hier Beispiele aus der Umfrage 2006:
-
Aussage 1 (Frage): „Ich kaufe Lebensmittel, die mit dem Bio-Siegel oder anderen Zeichen des
ökologischen Anbaus gekennzeichnet sind.“
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Die Antworten: „immer“ sagten 8% , „häufig“ sagten ein Drittel. Das hieße doch im Klartext:
Wenn 41 % der Bevölkerung tatsächlich immer oder häufig ökologische Produkte kauften, müsste
wohl das Angebot von Supermärkten für diese Produkte mindestens 30 % ausmachen. Das kann
ich nirgendwo entdecken.
-
Aussage 2: „Ich kaufe gezielt Obst und Gemüse aus der Region“.
„Immer“ sagten 27%, also fast ein Drittel, „häufig“ 45 %, insgesamt 72% !. Wäre das realistisch ,
dann würden die Firmen der Fernlasttransporte wohl ziemlich am Hungertuch nagen. Das scheint,
wenn ich die mit Lastwagen gefüllten rechten Spuren der Autobahn sehe, nicht der Fall zu sein.
-
Oder, ganz aktuell(s.o.Grbaiel-Vorschlag), Aussage 3: „ Es ist nur recht und billig, wenn
diejenigen, die die Umwelt in geringerem Maße belasten und etwas für den Umweltschutz tun,
weniger Steuern bezahlen.“
Antworten: 78 % stimmten diesem Satz völlig oder weitgehend zu.
Ja, dann wundert es einen doch, dass der entsprechende Vorstoß von Umweltminister Gabriel bei
Politikern auf erheblichen Widerstand stößt, obwohl doch nach dieser Umfrage die Mehrheit des
Volkes das so will. Oder?
Offenbar denkt der Bürger über sich wesentlich besser, als er wirklich ist. In der Sozialforschung nennen
wir das Antworten „sozialer Erwünschtheit“. Man weiß, wie man sein sollte und dreht (unbewusst!) die
Antwort so, dass man nicht so schlecht als Schuldiger da steht. Wie es Brecht in der Dreigroschenoper
so schön formulierte: „Ein guter Mensch, wer wär’s nicht gern, doch die Verhältnisse, die sind nicht so.“
Und hier sind es nicht nur die äußeren Verhältnisse der Verführungen einer Konsumwelt, die der
Maximierungswirtschaft entspringt, sondern auch die inneren Verhältnisse der Menschen, die eben nicht
durchgängig gut, stets einsichtsvoll und vernünftig, verantwortungsbewusst, solidarisch usw. sind, wie es
sich eine idealistische Pädagogik stets neu erträumt.
Dieses pädagogische Konzept des verantwortungsbewussten, mündigen Konsumenten, also der
Durchsetzung von Nachhaltigkeit nur von unten erweist sich als idealistisch und blauäugig und ist es
auch unter dem Namen „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ geblieben. Wenn man sich den
Normalbürger ansieht, so grenzt es an Überforderung, wenn er sich in der Umweltverträglichkeit der
gesamten Warenpalette und Handlungen seines Alltagslebens auskennen soll.
Die Wirtschaft hat natürlich diesen moralischen Trend, dass man als guter Mensch gilt, wenn man
umweltbewusst handelt, erkannt und nutzt ihn schamlos aus. So reagiert Campina mit gezielter
Desinformation und „grünen“ Floskeln, um die höheren Preise der „Landliebe“ –Produkte zu erklären.
Alles heiße Luft, wie die Foodwatch-Kampagne aufgedeckt hat
(http://www.abgespeist.de/landliebe/index_ger.html#e6244; http://www.foodwatch.de/ ). Die Wirtschaft
benutzt auch schon den Nachhaltigkeitsbegriff für sich und verdreht damit seinen Inhalt.
RWE titelt 2007 in einer Werbebeilage : „Nachhaltig ist, was Arbeit schafft.“ Das hieße doch: neue
Autobahnen zu bauen oder ein neues Automobilwerk ist nachhaltig, weil es Arbeitsplätze schafft. Ich
weiß nicht, ob man es Verdummung nennen soll oder noch schlimmer. Der Nachhaltigkeitsforscher
Hellwig fand auch schon die Bezeichnungen „nachhaltige Absatzzuwächse in der Automobilindustrie“
und „nachhaltige Erholung der Binnennachfrage“ – da wird also schamlos der positive Wortsinn von
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„Nachhaltigkeit“ benutzt, um nichts anderes als bisher zu betreiben. Wenn wir Umweltbildung machen,
sollten wir sensibel dafür werden, wie gesprochen wird und auch wie wir reden.
Was wollen wir?
Eigentlich ist es egal , in Welcher Einsatzstelle Sie sind: Ob
Sie sich der Landschaftspflege widmen, mit Solartechnik beschäftigen in beim Naju mit Kindern arbeiten:
Immer sind diese Erfahrungen und natürlich auch die Seminare für Sie Umweltbildung im weitesten
Sinne und immer tun Sie etwas für die Entwicklung von Nachhaltigkeit.
Schauen wir nun einmal, was „Nachhaltigkeit“ eigentlich meint.
FHE – Landschaftsnutzung u. Naturschutz
Umweltbildung
Prof.em.Dr.Norbert Jung
WISSEN ÜBER NACHHALTIGKEIT
Dimensionen und Strategien der nachhaltigen Entwicklung
Stoff- und Energie-
Kreislaufwirtschaft
verbrauch maximal
statt
senken,
Abfallwirtschaft, An-
größtmögliche
passung an die
Sparsamkeit
Kreisläufe der Natur
„Ausreichend gut leben“
statt „viel haben“
(Luxuswohlstand), Mäßigung der
Quelle: Leicht verändert nach Siebenhüner,B. 2001:
Homo sustinens. Auf dem Weg zu einem Menschenbild der Nachhaltigkeit. Marburg:Metropolis.
eigenen Ansprüche
Manche Forscher setzen noch hinzu: Mit der Konstistenz, also einer naturähnlichen Kreislaufwirtschaft
wird auch eine Permanenz, Dauerhaftigkeit erreicht.
Was hinzuzusetzen ist: Ein unverzichtbarer Weg dahin ist Vielfalt von Tieren, Pflanzen und
menschlichen Kulturen, die es zu erhalten gilt. Dies ist, und sas mögen viele Menschen nicht ohne
weiteres verstehen, für die dauerhafte Existenz der Menschheit lebensnotwendig. Naturschutz ist
Lebensschutz. Und das heißt eben nicht nur, dass Tiere und Pflanzen vor dem Menschen geschützt
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werden, sondern dass die Existenz des Menschen und die der Lebewesen gesichert wird. Gerade hier
steckt eine große und schwierige Herausforderung für die Umweltbildung und damit auch für’s FöJ.
Was können wir tun?
Derzeit wird vielfach die These ausgegeben, und Sie haben das vielleicht auch schon in FöJEinsatzstellen gehört: Die bisherige „klassische Umweltbildung“ reiche nicht mehr aus, wir müssten
eine „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (BNE) machen. Abgesehen davon , dass sich viele
Praktiker unter Umweltbildung gut etwas vorstellen können, unter BNE aber nur sehr unklar, wird hier
unterschlagen, dass diese Unterscheidung sachlich wissenschaftlich so nicht haltbar ist.
Umwelterziehung und Friedenserziehung, verbunden mit der Eine-Welt-Bewegung waren schon in den
80er Jahren eine Einheit. Um soziale Gerechtigkeit ging es den Umweltbewegten neben der Ökologie
schon immer und mitgestalten wollten sie auch, sonst hätten es die Grünen nicht zur Partei und in die
Politik geschafft. Und dass der Regenwald durch unsere Lebensweise Schaden leidet, war auch schon
früher in der Umweltbildung bekannt. Nur, die Welt von heute ist enger geworden, die globalen
Verflechtungen dichter. Und: Wer tiefes und emotional verankertes Verständnis von Natur hat, lokal und
global, für den war Nachhaltigkeit schon immer der einzige zukunftsfähige Weg, vor 50 Jahren wie heute.
Denn die Natur ist nachhaltig, von ihr können wir viel lernen, wie das geht.
Was sich aber im Rahmen der BNE heute geändert hat, wovor eine pädagogisch orientierte
Umweltbildung früher zurück schreckte, ist die Einsicht, dass es ohne politische Einmischung nicht
geht, egal ob mit Mitteln von Greenpeace oder Attac oder , indem man sich sehr genau ansieht, wen
man wählt oder indem man sich in Verbänden oder den Kommunen engagiert. Natur- und
Umweltschutz sind zu einer politischen Größe geworden, man kann nicht mehr unpolitisch Naturschutz
betreiben.
Eine Ursache dafür, dass Umweltbildung so stark kritisiert wurde liegt darin, dass sie häufig viel zu
wenig ganzheitlich betrieben wurde, was sich darin zeigt, dass solche ganzheitlichen Konzepte wie das
der „Earth Education“ von Steve van Matre oder auch die Tiefenökologie in vielen Einrichtungen gar
nicht bekannt sind, wie die Ergebnisse von Diplomarbeiten unserer Studenten gezeigt haben.
Worum geht es in ganzheitlicher Umweltbildung?
Wie wollen wir in unserem FöJ unser Anliegen also anderen Menschen nahe bringen? Zuerst einmal ist
zu klären: „Alle menschlichen Tätigkeiten beruhen auf natürlichen Grundlagen.“ Es geht letzten
Endes immer um Natur, selbst wenn wir uns mit der Computerwelt oder einem Wirtschaftmanagement
beschäftigen.
Daher sollten wir wissen, wie die Natur tickt, einschließlich unserer eigenen Natur, die wir als Mensch
sind.
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Van Matre
Der schon erwähnte Steve van Matre ging von einer einfachen Formel aus:
”Umweltbildung, die Leuten nur etwas über die
Umwelt beibringt, ohne sie aufzufordern,
Veränderungen in ihrem Leben vorzunehmen, ist
keine Umweltbildung, sondern Naturwissenschaft.”
Steve van Matre1998 (1990): Earth Education.
Ein Neuanfang. Lüneburg: IEE. S.21
Es geht also immer, egal ob bei Umweltbildung oder BNE, um die Erfahrung von Natur. Einer der Väter
WinkelGanz.
der Umweltbildung, der Hannoveraner Pädagoge Gerhard Winkel hat das „Wie“ kurz
gefasst:
Ganzheitlichkeit in der Umweltbildung (G.WINKEL)
1.
Jeder Mensch ist mit seinem Denken, Fühlen und Wollen in jedem
Augenblick eine unaufhebbare Ganzheit
2.
Die Umwelt tritt jedem Menschen zunächst als Ganzheit gegenüber.
Jede Analyse von Teilaspekten muß ... in die Ganzheit zurückführen
3.
Jede Situation ist eine einmalige Ganzheit.
In ihr treffen verschiedene Vergangenheiten zusammen und bewirken eine offene Zukunft
Quelle: Winkel, G. 1995: Umwelt und Bildung. Seelze: Kallmeyer. S.15
FHE-Landschaftsnutzung u.Naturschutz, Professu r Umweltbildung, Prof. Dr. rer. nat. Norbert Jung
Was heißt das, wenn Sie mit Menschen arbeiten? Die Menschen haben Wahrnehmungen, Eindrücke,
Kenntnisse, Gefühle, Vorstellungen, Bedürfnisse, Interessen, unterschiedliche Erfahrungen, Fähigkeiten,
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Möglichkeiten, spirituelle Vorstellungen; genau so, wie Sie jetzt. Die Teilnehmer sind also nicht nur
gelehrige Schüler in einem Volkshochschulkurs, die einfach mehr wissen wollen.
Das heißt: Wenn wir Umweltbildung machen, geht es nicht um Biologieunterricht oder nur
Gesellschaftskunde. „Wenn wir durch die Landschaft wandern, begegnen wir nicht der Biologie, sondern
der Natur.“ sagt ein Pädagoge. Wir wollen keine kleinen Wissenschaftler ausbilden, sondern
Menschen erfahren lassen, wie die Natur funktioniert, damit sie die gesellschaftlichen Umweltprobleme
ihres Alltags für sich einordnen und sich danach verhalten können. Da ist es wichtig, Sie geben Kindern
nur einmal eine halbe oder eine Stunde in einem Wald oder an einem Seeufer die Aufgabe, zu
beobachten, und zu entdecken, wie die Tiere und Pflanzen ihre Umwelt nutzen: Manche Pflanzen
drehen die Blätter zum Licht, manch wachsen im Schatten, manche im Licht. Die Libellen fliegen an den
Schilfrändern oder am Gebüsch lang, um Insekten zu erbeuten, die Meisen suchen das Blattwerk nach
Raupen ab, um dann damit in ihrer Bruthöhle zu verschwinden; ein gestürzter Baum hat einen
Baumstubben hinterlassen, der schon vermodert ist, aber in dem viele Käfer, Asseln und andere Tier
leben, in dessen Mulm neue Pflanzen keimen usw. Diese Beobachten, für das man Zeit haben muß ist
wichtiger, als wenn man schnell mal 8 Vogelarten lernt, aber nicht weiß, was sie im großen Ganzen des
Ökosystems bedeuten, welche Rolle sie haben, wie sie in ihrem Biotop leben. Die Zusammenhänge in
der Natur entdecken (und nicht nur wissen), das gibt ein Bild von dem großen „Lebensnetz“, wie es
Fridjof Capra nannte, das lässt einen fühlen, wie die Natur tickt, und lässt sie einen besser verstehen.
2 Allg.Ziele Umbi
Daher hat van Matre drei große Fragestellungen an den Anfang jeder Umweltbildung gestellt.
FHE Landschaftsnutzung u. Naturschutz
Umweltbildung
Prof.Dr.N.lJung
Zwei allgemeine
allgemeineZiele
Zielefür
fürdie
dieUmweltbildung
Umweltbildung
Zwei
1. Entwicklung und Förderung einer vertrauten Beziehung zur
Natur
2. Erziehung und Bildung zu dauerhaft umwelt- und sozial
gerechtem Verhalten
ImBildungsinhalt
Bildungsinhaltsoll
sollUmweltbildung
UmweltbildungAntwort
Antwortgeben
gebenauf
aufdie
dieFragen:
Fragen:
Im
1. Wie funktionieren Ökosysteme ?
Kenntnis und Vertrautheit von und mit Natur erleben und erfahren
2. Wie sind wir persönlich in diese Systeme eingebunden?
 Emotional - erfahrungsbezogen: Beziehung, Verbundenheit
 wissens- und gesellschaftsbezogen: Alltagsverhalten
3. Wie können wir Veränderungen bewirken (individuell und kollektiv), um
unsere Auswirkungen auf diese Systeme zu verringern?
Nach St. Van Matre (1998): Earth Education. Ein Neuanfang. Greenville/Lüneburg: IEE
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Diese Ziele haben auch die schon erwähnten zwei Absolventinnen der FH Eberswalde an den Beginn
einer „Handreichung Umweltbildung für FÖJler“ gestellt, die demnächst im Ökom-Verlag herauskommen
soll (und ganz erschwinglich 9,90 € kosten soll.).
Ich möchte betonen: Es geht also nicht in erster Linie um rationales, wissenschaftliches Wissen.
Denn warum schlägt Ihr Herz für die Natur? Nicht wegen des Wissens oder gar des Schulwissens,
sondern weil Sie die Natur lieben, sich darüber freuen und mitleiden, wenn etwas kaputt geht. Das ist
eine gute Beziehung. Daher kommt der Spruch: Nur was man liebt, das schützt man. Und nicht: das, was
man weiß, schützt man. Und das gilt für Kinder wie für Erwachsene. Daß man sich dabei unendlich viel
Wissen aneignet, wisse Sie selbst ebenso, wie ein Urwaldindianer in Brasilien.
Und so möchte ich zum Schluß kommen: Wenn es bei aller Globalisierung, und aller wirtschaftlicher,
sozialer und politischer Verwirrung letztendlich um die Beziehung zwischen den Menschen und der
Natur geht, müssen wir erst einmal vielfältige Erfahrungen mit der Natur machen – denn sie ist, davon
zeugen viele große Philosophien und Weltvorstellungen aller möglicher Kulturen, ein großer und
unersetzlicher Lehrmeister. Wir nennen diese Kompetenz, die von einer Reihe von Pädagogen der
Nachhaltigkeit gerne unterschlagen wird „Naturvertrautheit“.
Zieledreieck
So ergibt sich ein Zusammenhang, der auf einer Reihe Forschungsergebnisse der letzten Jahre fußt und
den Sie vielleicht gut und gerne in der Umweltbildung im FöJ umsetzen helfen können:
Zusammenhänge von Zielen in ganzheitlicher Umweltbildung
Zusammenhänge von Zielen in ganzheitlicher Umweltbildung
Politisches
Engage ment
Nachhaltigkeitseinstellung
Wissenschaftliches Wissen
Wertvorstellungen
Naturverständnis
Naturerfahrung - Naturbeziehung
FHE-Landschaftsnutzung u.Naturschutz, Professu r Umweltbildung, Prof. Dr. rer. nat. Norbert Jung
Ohne Naturerfahrung und erfahrene Wertschätzung und Liebe der Natur hat ein Engagement für
Nachhaltigkeit keinen emotionalen und motivationalen Grund unter den Füßen und wird sich leicht wegargumentieren lassen.
Auch wenn es nicht nahe zu liegen scheint: Ein modernes Leben nachhaltiger Entwicklung braucht eine
feste emotionale Verwurzelung jedes Menschen in seiner Existenzgrundlage – der Natur, zu der er
auch gehört. Das ist nicht rückwärtsgewandte Romantik, das ist Zukunft.
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So wünsche ich Ihnen, dass Sie die Zeit des FÖJ nutzen, um möglichst viel vom Lehrmeister Natur zu
lernen, dass Sie sich Ihrer emotionale Bindungen an diesen Reichtum bewusst zu werden, dass Sie
die Verbindung der gemachten Erfahrungen zu Ihrem alltäglichen Handeln finden und dies alles
weitergeben zu können. Wenn Ihnen das gelingt, werden Sie Zufriedenheit erfahren.
Und vielleicht treffen wir uns, wenn Sie sich als Student in Eberswalde bewerben...
Weitere Informationen:
www.fh-eberswalde.de/lanu;
www.fh-eberswalde.de/umweltbildung;
www.fh-eberswalde.de/jung;
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