1 TEXTLINGUISTIK - DEFINITIONEN "[...] die sich mit der Analyse satzübergreifender sprachlicher Regularitäten beschäftigt und das Ziel hat, die konstitutiven Merkmale der sprachlichen Einheit Text zu bestimmen und damit eine Texttheorie zu begründen." (Bußmann 1990 S. 779) "Linguistische Disziplin, die sich mit der strukturellen und prozessualen Konstitution der sprachlichen Einheit Text befasst. Gegenstand der T. sind einerseits die satzübergreifenden grammatischen, semantischen und pragmatischen Eigenschaften des materiellen Gebildes → Text (Text als Produkt, → Textualität), andererseits die entsrechenden kognitiven Aspekte bzw. Tätigkeiten der Textherstellung und des Textverstehens (Text als Prozess; → Textproduktion, → Textverarbeitung)." (Bußmann 32002 S. 688) - entstand in den 1960er Jahren - Erweiterung der Satzgrammatik zu einer → Textgrammatik - relativ junge Teildisziplin der Linguistik, - nicht gleichbedeutend mit einer einfachen Beschäftigung mit Texten - vorwissenschaftliches Verständnis, andere, nicht-lingustischenDisziplinen: Mathematik, Rechtswissenschaft, Theologie Anthropologie, Ethnologie, und nicht zuletzt die Literaturwissenschaft (Textedition, Textkritik, Textinterpretation, Hermeneutik, Philologie, Rezeptionsforschung u.a.). 'Pragmatische Wende' - Übergang von der systemorientierten zur kommunikations- und funktionsorientierten Sprachbetrachtung. Sprachgebrauch und situative Einbettung. 2 Objektbereich der Textlinguistik: Was ist die Spezifik der Textlinguistik? Was grenz sie von der Rhetorik und Stilistik ab? Welchen Stellenwert nimmt sie im Kanon anderer linguistischer Teildisziplinen ein? Was sind ihre Ziele und Aufgaben? Mit welchen Methoden arbeitet sie? Worin liegt ihre Originalität, ihr Selbstverständnis? Abgrenzung von der und Einbindung in die linguistische Tradition: Welche Probleme sind ihr mit anderen Forschungsrichtungen gemeinsam, woran knüpft sie an, wo überschneidet sie sich mit anderen Ansätzen? Wie ist sie organisiert, wie funktioniert sie - Umfang, Ebenen / Ranghöhen, / Hierarchien, Gliederungen, Textsorten u.a.). Abgelehnt wird der Satz als oberste, komplexeste und letzt linguistische d.h. metaprachliche Einheit für die Analyse der "Sprachlichkeit der Sprache" (Hartmann 1970:36). Bloomfield (1926:158, 27. Def.): "A maximum construction in any utterance is a sentence. [...] Thus, a sentence is a construction which, in a given utterance, is not part of any larger construction." 3 (Peter Hartmann 1968c/1978:96.): "[...] die bisherige Arbeit richtete sich fast ausschließlich auf eine Erfassung sogenannter Strukturen des Sprachsystems, also eines Inventars von Elementen und Elementverbindungsregeln (systemorientierte Sprachwissenschaft), wogegen viele der neuen Fragen eine Behandlung und Analyse der Verwendung von Sprachsystemen fordern werden (verwendungsorientierte Sprachwissenschaft)." Objektadäquate Linguistik: um sie zu konzipieren, muß man vom linguistischen Objekt reden. Bisher galt als solches das jeweilige, aus den Sprachmanifestationen zu erkennende, zu eruierende Sprachsystem: ein Ensemble von Elementen [...], die man in Sprachdarstellungen (Lexikon und Grammatik) zusammenstellte und in verschiedener Weise beschrieb, z. B. in Form von zu befolgenden Regeln bei der Satzbildung. Derart gefundene Systeme waren stets eine Abstraktion aus der Sprachrealität, und sie mußten es sein." (ebd.: 99) Dem gegenüber steht nun die Forderung, dass allmählich eine Phänomenologie der Sprache, also ihres Objekts für die Linguistik wichtig zu werden hat, Und zwar wäre dies - abgesehen davon, daß alle Sprache in der Realität verwendete Sprache ist - der eigentliche Ausgangsgegenstand als das eigentliche, d. h. originäre Zeichen. Dies aber ist in aller Regel ein Text, genauer ein bestimmter Text [...]" (ebd.: 100) Die Forderung nach einer Textorientierten Linguistik leitet sich hier also zunächst her aus einer Kritik am systemlinguistischen Ansatz, wie er seit F. de Saussure die sprachwissenschaftliche Forschung prägte. verwendungsorientiert = heute: pragmatisch; Sprechakttheorie Hartmann hat auch an die kommunikative Funktion von Texten gedacht, also an das, was eigentlich zur 2. Phase der Textlinguistik gehört: "Es ist vielleicht durchaus möglich, Texte mit innertextlichen Mitteln zu beschreiben, daß man aber zur Definition von texten umsteigen muß auf texttranszendente Kriterien, also etwa auf die Funktion von Texten". (1968b:216) Text als hierarchische, dem Einzelzeichen und dem Satz übergeordnete Ebene: "Sprachzeichen können nur textuell gebunden vorkommen, können so auch nur als gebundene Sinn und Erfolg haben." "Es wird, wenn überhaupt gesprochen wird, nur in Texten gesprochen." "Sämtliche Sprecher, Dichter usw., als Träger, Benutzer und participants von Sprachen sind Produzenten natürlicher Sprache; sie sprechen nur in Texten, nicht in Worten, auch nicht in Sätzen, sonder höchstens mit Sätzen aus Worten in Texten." (Hartmann:211f.) "Die Textlinguistik ist die Weiterentwicklung der strukturellen Sprachwissenschaft." (Weinrich 41978:8f.) Auch früher gab es Bemühungen, die sich nicht ausschließlich am Satz orientierten, allerdings lange Zeit nicht als eigenständige Wissenschaftsdisziplin: Rhetorik, Stilistik, Kontextualismus. Satzübergreifende Phänomene wurden auch früher in den Gegenstandsbereich der Stilistik verwiesen - sie wurden also sehr wohl behandelt, nur eben nicht als grammatische Phänomene. 4 Rhetorik als Vorläufer der T. Ars bene dicendi -Theorie und Praxis umfassende Lehre von wirkungsvoller Kommunikation. Zwei wichtige Gattungen der antiken Rhetorik waren: a. die politische Rede, und b. die Rede vor Gericht; sie betreffen Gegenstände, über die entschieden werden muss, man muss die Entscheidungsträger durch Argumente überzeugen. Ist Sokrates ein Verführer der Jugend und soll er deswegen zum Tode verurteilt werden, oder nicht? Der Redner ist immer parteiisch, es kann über alles mit pro und contra argumentiert werden - relativistische Position. Die Rhetorik sieht den Menschen nicht nur als rationales Wesen (im Ggs. zur Philosophie), sondern auch als emotionales. Der Mensch trifft seine Entscheidungen nicht nur anhand von sachlichen Argumenten (dieses Überzeugungsmittel wird als logos bezeichnet), sondern auch aufgrund von "Leidenschaften" (Gefühlen), die der Redner berücksichtigen und wirksam beeinflussen muss (Überzeugungsmittel: pathos). Der dritte Faktor für die Überzeugungskraft kommt auch noch die Persönlichkeit des Redners hinzu, nämlich seine Glaubwürdigkeit (ethos) - und natürlich seinen rhetorischen Fähigkeiten. Argument vs. Manipulation. (Platon nennt dies Schmeichelei). Die antiken Rhetoriker entwickelten das Ideal des perfectus orator (Cicero) bzw. vir bonus (Quintilian), Kunstfertigkeit vereint. der moralische Integrität, Sachkenntnis und rhetorische 5 Rhetorik als praktische Redelehre: Modell, das die Aufgaben des Redners als fünf sukzessive zu durhlaufende Stadien beim Aufbau einer Rede unterscheidet: 1. inventio - Gedanken, Ideen, Material, die sich aus einem Thema bzw. einer Fragestellung entwickeln lassen 2. dispositio - Anordnung des Stoffes (1. und 2. gehören zur Argumentationslehre) 3. elocutio - Ausdruck der Gedanken (Stillehre, Figurenlehre; aptum - Grundprinzip der Angemessenheit ist der Ausgestaltung übergeordnet) 4. memoria - Auswendiglernen/Einprägem 5. pronuntiatio oder actio, d .h. Einüben eines ausdrucksvollen Vortrags, wofür die stimmlichen Eigenschaften, aber auch Mimik, Getik, Körperhaltung usw. wichtig sind. In der antiken Rhetorik (Redelehre) werden also alle wesentlichen Faktoren für kommunikativ erfolgreiches Handeln angesprochen: Sachbezug, Sprecher und Hörer (Redner und Publikum), Kommunikationssituation, Einbettung in einen umfangreicheren Prozess (jeder Redner brücksichtigt die Gegenredner, Intertextualität), Gesamtaufbau des Textes (Makrostruktur), sprachliche Ausgestaltung (Mikrostruktur), konkrete Akturalisierung eines im Geist entworfenen Textes. Heute haben sich für viele dieser Bereiche Spezialdisziplinen entwickelt: Stilistik, Sprecherziehung etc. Heute ist Rhetorik auch auf schriftliche Texte anwendbar. Sie befasst sich nicht nur ausschließlich mit persuasiven Texten und die Figurenlehre bezieht sich nicht mehr ausschließlich auf literarische Texte, sonder auf Texte jeglicher Art (Gebrauchstexte, Pressetexte etc.). 6 Heute geht man, rückblickend, von 3 Hauptphasen in ihrer Entwicklung aus: 1. Transphrastischer Ansatz - dieser ist ganz auf die sprachlichen Mittel konzentriert, mit Hilfe derer Sätze zu kohärenten Folgen verbunden werden; - Texte sind Folgen von Sätzen, - Texte können mit denselben linguistischen Kategorien beschrieben werden wie Sätze, Pronominalisierung - (Harweg 1968) - Wiederaufnahme durch Wiederholung oder andere Ausdrücke mit derselben Referenz; Pronominalisierungsketten, die Zusammenhang stiften, textkonstituierend. Thema-Rhema-Progression (auch: thematische Progression) (Daneš 1976) Gegebenes (Thema) und Neues (Rhema), auch in Sätzen. Im deutschen Sazu meist: GEGEBENES - VERB - NEUES. Mein Bruder heißt Peter. Er war gestern im Kino. Es gibt verschiedene Typen der thematischen Progression. Temporalität - Tempusverwendung - Präteritum ist typisch für erzählende Texte; Präsens und Perfekt für darstellende / informative Texte wie z. B. Bericht oder Kommentar 2. Semantische Phase - löste die transphrastische Phase ab, ging aber auch aus ihr hervor. Im Vordergrund stehen die semantischen Beziehungen im Text. Wiederaufnahme - nicht nur syntaktisch, sondern auch semantisch. Isotopiekonzept von Greimas (1971). Kohäsion, Isotopieketten und -netze. Späater ging mann auch von gemeinsamer Referenz als Beding für Isotopie aus (Viehweger). 3. Mikro- und Makrostrukturen (van Dijk 1980). Beziehung zwischen Sätzen Propositionen, Satzbedeutungen. Wie wird auf lokaler bzw. globaler Ebene ein thematisch einheitlicher text hergestellt? Tiefenstruktur. 4. Kommunikativ-pragmatischer Ansatz - der Text ist nicht so sehr eine aus kleineren Spracheinheiten aufgebaute Satzfolge, sondern wird als Ganzheit betrachtet, der eine 7 bestimmte kommunikative Funktion zukommt; Text als Handeln - Texte als Elemente von Kommunikationsakten - PRODUZENT; REZIPIENT; THEMA; KODE; INTENTION - Der Text ist ausgerichtet auf die Erfüllung bestimmter Funktionen. Textstrukturen, Textthema, Textfunktionen. Sprechakttheorie (Austin John L./Searle John R.) wird auf die Beschreibung von Texten übertragen. Wortfolgen sind Werkzeuge der Sprache, sie haben an sich keine Bedeutung, sondern bekommen diese erst im Zusammenhang der Handlung, in der sie gebraucht werden. Im Laufe einer Äußerung werden immer mehrere Akte gleichzeitig vollzogen. Die Handlungen und die verwendeten Mittel sind konventionell geregelt. Schema von SEARLE propositionaler - es wird auf Außersprachliches Bezug genommen (Referenz) und dem Referenzgegenstand wird eine Eigeschaft zugesprochen (Prädikation), Das Konzert ist beendet. Konzert = Referenz; beendet sein = Prädikation Der Produzent verfolgt eine bestimmte Intention. Er vollzieht einen illokutiven Akt, um zu zeigen, wie das Gesagt gemeint ist. Konzert und beendet sein können mit der Intention des FESTSTELLENS oder ERSTAUNENS geäußert werden, Lokutiver Akt - grammatische Struktur, Bedeutung und perlokutiver Akt - es wird eine Reaktion auf die Äußerung angestrebt. Texte werden mindestens durch einen Handlungstyp bestimmt (Illokution), der die Funktion der gesamten Äußerungsfolge bestimmt. Motsch: FESTSTELLEN/INFORMIEREN; AUFFORDERN; VERSPRECHEN; BEWERTEN 5. kognitivistischer Ansatz - im Vordergrund befinden sich die Prozesse der Produktion und Rezeption von Texten.