Kritiken zu "wir schlafen nicht" von Kathrin Röggla, inszeniert von

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Kritiken zu "wir schlafen nicht" von Kathrin Röggla, inszeniert von
Burckhardt C. Kosminski, gesehen am Düsseldorfer
Schauspielhaus (SS 2004)
Weniger ist manchmal mehr
Kathrin Rögglas Stück „wir schlafen nicht“ am Düsseldorfer
Schauspielhaus uraufgeführt (Nadine Dostler)
Fernöstliche Mode-Entspannungsgymnastik statt Wochenende, schneller
Kompensationssex und ein anzügliches „man habe ja überall freunde
sitzen, man kennt sich ja in der branche“, statt Privatleben und das
Komplettpaket aus Erfolgs-, Zeit-, und Leistungsdruck statt
Selbstverwirklichung und Sicherheit. So lässt sich die Lebensphilosophie,
oder passender ausgedrückt das Lebensprogramm der sechs
„adrenalinjunkies“ aus dem Broker-Milieu in Kathrin Rögglas Stück „wir
schlafen nicht“ zusammenfassen, das Burkhard C. Kosminski am 7. April
im Düsseldorfer Schauspielhaus uraufführte.
Key, Online, It, Senior, Partner und Praktikantin stellen sich im ort- und
zeitleeren Raum der „Messe“ einem Wettkampf, bei dem schnell klar wird,
dass es keinen Gewinner gibt: “man könne nicht vorschlafen (…),
genetischer defekt sozusagen von anfang an.“ Es kommt zu einer
rasanten Entmenschlichung der Figuren; durch eine Wurzel als
überdimensionale Requisite optisch unterstützt, auf und unter der die
Darsteller knurren, klettern und seltsame, affenartige Tänze zu einer
Urwaldgeräuschkulisse vollführen. Währenddessen versucht der
Zuschauer, seine durch die zu alledem schnell wechselnden Bilder der
Projektionsleinwand ausgelöste Reizüberflutung in den Griff zu
bekommen. Er hat Schwierigkeiten sich auf die - gekonnt rasant, in
indirekter Rede vorgetragenen - Dialoge zu konzentrieren und in dem
Wirrwarr der Sinneseindrücke nicht den Überblick zu verlieren. Schade,
dass ihm so unterschwellige, besonders betonte, oder mit eindeutiger
Gestik versehene Textpassagen entgehen.
Auffälligste Figur in der Dekonstruktion der von zunehmender
Schlaflosigkeit geplagten Figuren, stellt die Praktikantin (gespielt von
Catherine Janke) dar, der es - verhöhnt, ausgenutzt und erfolglos gelingt, die Gruppe, zu der sie noch am Anfang des Stückes aufsieht,
hinter sich zu lassen. Sie wird selber Unternehmensberaterin, steigt rasant
auf und beginnt Menschen „frei zu setzten“ – also: zu enlassen. „all das
short-sleeping, quick-eating (…), das business-class-gefliege, das firstclass-gewohne. irgendwann könne man das alles nicht mehr sehen.”
Die Inszenierung bietet kaum zu übertreffende Brisanz, Schnelligkeit und
intendierte Aktualität, ist aber zugleich arm an direkter Kritik,
Vielschichtigkeit und Verbesserungsvorschlägen. Die Frage, ob die fünf
Figuren ihr Leben ändern werden, wieder erwacht aus dem Schlaf, in den
sie am Ende doch fallen, bleibt genauso unbeantwortet, wie die nach der
Funktion des grell-pinken, unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit auf sich
ziehenden, BH der Online.
Wachbleiben bis der Wahnsinn kommt
Burkhard C. Kosminski inszeniert Kathrin Rögglas „Wir schlafen nicht“.
(Annette Graefe)
Viele verschiedene Verkaufsstände, hier ein belegtes Brötchen, dort ein
Gläschen Sekt, adrett gekleidete Damen und Herren, die ihre Produkte
vorstellen und Geschäfte abschließen. So stellt man sich eine Messe vor.
Ganz anders am Düsseldorfer Schauspielhaus. Da turnen die BusinessMenschen wie Erdmännchen in Anzug und High- – Heels auf einer großen,
braunen Wurzel, klettern auf Leitern und sitzen auf Sprungbrettern. Sie
pfeifen, zischen, klopfen, rennen und verstecken sich. Nur eins tun sie
nicht: Schlafen!
Wozu Schlafentzug und Arbeitswut noch alles führen, zeigt Kathrin Röggla
in ihrem neuen Stück „Wir schlafen nicht“, das am 7. April am
Düsseldorfer Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Die Autorin – bekannt
durch Romane wie „Irres Wetter“ oder Theaterstücke wie „fake reports“ –
stellt schonungslos die Welt der Unternehmensberatungen und deren
Abgründe dar. Drei Frauen und drei Männer, von der Praktikantin bis zum
Partner: Alle sind sie mit glücks- und reichtumsverheißenden Jobs wie Key
Account Managerin oder IT- – Supporter ausgestattet, und was steckt
dahinter? Kein Privatleben, 146- Stunden- Tag, ständig an einem anderen
Ort. Da bleibt keine Zeit für Individualität, da wird man zum Beruf. Und
der Beruf wird zur Religion. Wie in einer Sekte lassen Regisseur Burkhard
C. Kosminski und Dramaturg Ingoh Brux die Figuren mit Atemübungen
und Motivationsformeln ihren schleichenden Identitätsverlust bekämpfen.
Aber auch, wenn sie gemeinsam das „Om“ sprechen und das „Chi“
suchen, bleiben sie alleine. Helfen lassen, können sie sich nicht.
Einschlafen auch nicht. Das wäre ja ein Eingeständnis von Schwäche.
Dann lieber wach bleiben, bis der Wahnsinn kommt.
Für ihr Stück hat die Autorin lange recherchiert und zahlreiche Interviews
mit Unternehmensberatern geführt, aus denen der Text für das Stück
entstanden ist. Diese Technik mag in anderen Arbeiten Rögglas
funktionieren, hier plätschern die Aussagen im Konjunktiv leicht dahin,
wirken seltsam aneinandergereiht und eintönig. Kosminskis Inszenierung
versucht die Eintönigkeit zu durchbrechen, aber das gelingt nicht immer.
Zwar zeigen die Schauspieler wie Klaus Rodewald als „senior“ und Claudia
Kaske als „online“ wunderbar die Grenzen zwischen erfolgsverwöhnter,
selbstverliebter Business- – Fassade und menschlicher, wahnsinniger
Triebnatur. Doch die Figuren könnten noch überspitzter sein, noch
schonungsloser ihre Verzweiflung und ihre Ängste, vor allem viel
provokativer der Aktualitätsbezug aber könnte viel provokativer sein.
Bitterböse oder auch mitleidserregend hätte man Rögglas Text inszenieren
können, die Aufführung am Düsseldorfer Schauspielhaus bezieht
stattdessen leider keine Position.
Nicht mehr viel übrig vom Leben
Wo der Raum für Menschlichkeit fehlt, zeigt uns Katrin Röggla in ihrem
Stück „wir schlafen nicht“. (Stephanie Hartmann)
Die Uhr tickt. Zeit begegnet dir als Feind. Sie rennt dir davon und du hast
Mühe, ihrem Tempo standzuhalten. Kein Platz für Verschnaufpausen,
keine Möglichkeit, durchzuatmen und zu reflektieren. Wer hier mithalten
will, muss alles geben und noch mehr.
Diesen und anderen Grundsätzen der heutigen Arbeitswelt sehen sich die
sechs Akteure des Stückes „wir schlafen nicht“ von Kathrin Röggla , das
unter der Regie von Burkhard C. Kosminski Anfang April im Düsseldorfer
Schauspielhaus Premiere feierte, ausgesetzt. Vor den Augen der
Zuschauer entsteht eine durchaus überspitzte Vorstellung des Drucks,
unter dem sich Mitarbeiter der Beraterbranche heute wiederfinden. Der
Zuschauer wird Zeuge eines ausweglosen Kreislaufs, aus dem es
scheinbar kein Entrinnen gibt. Die Flucht in Drogen und die Betäubung mit
Alkohol gehören genauso zum Alltag wie die Frage nach einer
zeitsparenden Art zu schlafen. Selbst die Praktikantin, die einfach nicht die
richtigen Eltern hat, weder„Steuerberatereltern“ noch „Zahnarzteltern“,
um in die Branche „reinzurutschen“, sieht sich in einem Mechanismus des
sich ständigen Bewerbens und auf Jobsucheseins gefangen.
Manchmal ist es aufgrund der zahlreichen von Kosminski eingesetzten
Stilmittel schwierig, den vielen Eindrücken, die oft gleichzeitig mit Hilfe
von Musik, Leinwandprojektionen, Bühnenbild und nicht zuletzt dem
Handeln und Sprechen der Schauspieler erzeugt werden sollen, zu folgen.
Dennoch gelingt es den Schauspielern, die auf dem Boden kriechend oder
auf Baumwurzeln kletternd oft schon mehr Tieren gleichen als Menschen,
durch ihre hervorragend vorgetragene schnelle Sprechweise und eine
starke Mimik und Gestik, eben dieses Gefühl von Hektik und Druck zu
vermitteln. Besonders überzeugend in seiner Rolle erscheint Klaus
Rodewald, der als „partner“ schon fast eine Art „Roboterhaftigkeit“ und
Apathie an den Tag legt und so die Wichtigkeit des Funktionierens in der
Branche rüberbringt.
Im Verlauf des Stücks wird deutlich, wie nervenzehrend so ein „14-16
Stundenjob“ ist und der Zuschauer erlebt das klägliche Scheitern und das
Wahnsinnigwerden der Akteure. Sie alle brechen irgendwann aufgrund des
Defekts in ihrer Maschinerie, der sich Menschlichkeit nennt, unter dem
Leistungsdruck zusammen und bleiben kraftlos am Boden liegen.
New Economy im Tropenhaus
In Kathrin Rögglas neuem Stück berichten schlaflose Consulter aus Ihrem
Arbeitsalltag. (Matthias Hofmann)
Schon vor dem eigentlichen Beginn des Stückes, herrscht eine
befremdliche Stimmung im Kleinen Haus des Düsseldorfer Schauspiels.
Man hört es rascheln und quaken, pfeifen und klopfen: Geräusche wie im
Tropenhaus. Und während man sich noch fragt, woher die Laute
stammen, entdeckt man im Halbdunkel der Bühne bereits einige Darsteller
, die wie Tiere auf dem Boden kauern und sich noch ein letztes Mal
auszuruhen scheinen, bevor ihr langer schlafloser Kampf ums Überleben
beginnt.
„Wir schlafen nicht“ lautet der passende Titel von Kathrin Rögglas neuem
Stück, das am 7. April seine Uraufführung feierte. Die Autorin, schrieb die
Bühnenfassung ihres aktuellen gleichnamigen Romans, der einen Blick in
die harte Lebens- oder vielmehr Arbeitswelt der Consulterbranche
gewähren soll, als Auftragsarbeit speziell für das Düsseldorfer
Schauspielhaus. Das Besondere und Auffälligste am Text ist die fast
durchgängig verwendete indirekte Rede, in der die Figuren über sich
selbst sprechen. Auch der Regisseur Burkhard C. Kosminski hält sich in
seiner Inszenierung an diese ungewöhnliche und für das Publikum nicht
einfach zu konsumierende Vorgabe. Obwohl Kathrin Röggla ihre Figuren
aus den Stimmen „echter“ Consulter, die Sie zuvor in ca. 30
mehrstündigen Interviews befragt hatte, komponierte , wird die
Identifikation mit den Figuren, durch die sprachliche Hürde der indirekten
Rede, enorm erschwert. Alles wirkt wie Information aus dritter Hand, die
nur über Umwege zum Zuschauer gelangt. Man wird quasi gezwungen, die
Charaktere, die nach Berufsbezeichnungen aus der Branche benannt sind,
wie den IT (sehr gut: Tim Egloff), die Online(-Redakteurin), den Partner
oder die Praktikantin, stets mit einer großen Distanz zu betrachten.
Trotz dieser Schwierigkeiten ist es Kosminski gelungen, den statischen
Text auf der Bühne für den Zuschauer interessant zu präsentieren. Er
durchbricht Rögglas Vorlage, verändert teilweise die Reihenfolge und lässt
die 6 SchaupielerInnen in einer lebhaften, teils gehetzten, bilderreichen
und nie langweiligen Inszenierung auf beeindruckende Weise die brisanten
Inhalte des Stückes vermitteln. Auch durch das durchdachte und
mehrdimensionale Bühnenbild und teilweise leicht sarkastische
„Showeinlagen“ gewinnt das Stück zusätzlich an Abwechslung, so wenn
z.B. die Akteure in einer rhythmischen Performance über Aufputschmittel
singen.
Am Ende des Abends bleibt die Verwunderung über die hektischen
Bewohner des Tropenhauses. Es war zwar interessant, die fremdartigen
Wesen einmal aus der Nähe zu sehen, aber die exotische Andersartigkeit
der Schlaflosen kann einen schon beängstigen.
„ein bisschen von gehirnwäsche hat das schon...“
„wir schlafen nicht“ von Kathrin Röggla im Schauspielhaus Düsseldorf
(Michael Kempmann)
Verirrt in der sprachlichen Vieldeutigkeit nicht von Menschen, sondern von
Funktionsträgern. Verirrt in der Zeitlosigkeit. Verirrt auf dem Weg
zwischen kick-off-meetings, Messeständen und Karriereleiter. Burkhard C.
Kosminski inszeniert „wir schlafen nicht“ der österreichischen Autorin
Kathrin Röggla. Die sammelte Formulierungen mit journalistischer Akribie
in etwa 30 Interviews in der Unternehmensberaterbranche. Das Stück, ein
Auftragswerk für das Düsseldorfer Schauspielhaus, uraufgeführt am 7.
April, ist die dramatische Version des gleichnamigen Romans. „wir
schlafen nicht“ zeigt die Arbeitsrealität dreier Frauen und Männer, mehr
austauschbare Typen als Individuen, im Consulting-Business.
„sie habe gedacht, die merkten ihre unprofessionalität, dabei bemerkten
die ihre unprofessionaliät überhaupt nicht, weil sie mit ihrer eigenen
unprofessionalität beschäftigt sind“.
Alle schweben in Raum und Zeit der Schlaflosigkeit eines 16-StundenTages. Selbst nach Feierabend den Blicken der anderen ausgesetzt.
Ständig damit beschäftigt, nicht die eigene Individualität zu zeigen,
sondern den Erwartungen zu entsprechen. Gebannt auf die Karriereleiter
starrend oder sie gar mittel- bis ostasiatisch anbetend. Die Praktikantin,
die in die „Verwandtschaftsbeziehungen“ der Branche eindringen will, irrt
zwischen einem Stell-dich-ein am Fuße der Karriereleiter, dem entgültigen
Verzehren durch die Vorgesetzen (metaphorisch mit Essstäbchen) und
dem Ausstieg, weil sie das System erkannt hat, hin und her. - Der
Inszenierung Kosminskis gelingt zu klären, was bei der Lektüre des Textes
verwirrt. Die genau koordinierte Reaktion von Mimik und Gestik auf
Äußerungen macht deutlich, wann man worauf referiert, manchmal
vielfach mit einem Satz. Ist es ein Schauspiel über ein Schauspiel?
Deutlicher als der Text zeigt die Inszenierung den schmalen Grad, auf
dem sich die Protagonisten zwischen Zivilisation und animalischer
Vergangenheit bewegen. Ob das Düsseldorfer Publikum versteht, was auf
der Bühne als subtiles Spiegelbild erscheinen soll? Löst die Inszenierung
viele sprachliche Verwirrungen durch schauspielerische Mittel oder bleibt
die große Idee, die alles zusammenhält, das, was eigentlich das Thema
des Stückes definiert, amorph? Letzteres scheint in der Natur (oder der
Zivilisiertheit?) der Sache liegen.
Der nachdenklich verhaltene Applaus würdigt nicht angemessen die
ausgezeichneten, schauspielerischen Leistungen aller Protagonisten. Wer
das Stück aber wirklich verstanden hat, wer durch die Irrungen und
Wirrungen Klarheit sieht, wird auch schwerlich frenetisch applaudieren
können.
Ein Gespräch unter Zuschauern. Sie: ob er’s verstanden habe. Er:
akustisch schon. Sie: an das gespräch mit bianca müsste sie denken,
heute mittag, als sie von ihrer arbeit berichtet hätte.
Frustrationstoleranz – Angstverhältnis – Emotionale Stabilität
Kathrin Rögglas „Wir schlafen nicht“ uraufgeführt am 07. April im
Düsseldorfer Schauspielhaus (Daniela Piecha)
Tierisches Balzverhalten, Dschungelgeräusche, Lichtblitze, ein Raumschiff.
Menschen, die sich aus Unsicherheit in Tiere verwandeln, sich zum Schutz
unter einer großen Wurzel verstecken um im nächsten Moment mit ihren
anderen Artgenossen in einer Art Raumkapsel Champagner zu trinken.
Was hat das alles mit Managern auf einer Messe gemein?
Zu sehen sind Menschen mit ihrer Angst in der harten Arbeitswelt zu
versagen. Überspielt wird sie durch überdrehte Gespräche, die scheinbar
keinen Sinn ergeben. Man redet nur um zu reden. Dahinter versteckt sich
allerdings die Unsicherheit des Einzelnen. „Dabei bemerkten die ihre
Unprofessionalität überhaupt nicht, weil sie mit ihrer eigenen
Unprofessionalität beschäftigt sind.“
Von Unprofessionalität kann überhaupt keine Rede sein. Kathrin Röggla,
geboren in Salzburg, dramatisierte ihre Romanvorlage im Auftrag von
Dramaturg Ingoh Brux. Damit ihre Personen authentisch wirken, führte
Kathrin Röggla 30 Interviews mit Managern und Consultens. So kommen
die skurrilen Gestalten auf die Bühne, die Fach-jargon reden und
versuchen ihre Müdigkeit dahinter zu verstecken. Entspannungsübungen
sollen helfen den Stress abzubauen. Dem Regisseur Burkhard C.
Kosminiski gelingt es in seiner Inszenierung den schmalen Grad zwischen
höchster Konzentration und Wahnsinn darzustellen, aus Spitzenleuten
werden ausgebrannte Wracks, die sich am Ende nur noch schlafen legen
können. Einzig die Praktikantin, gespielt von Catherine Janke, schafft den
Aufstieg auf der Karriereleiter. Das Bühnenbild von Gerhard Benz
unterstützt das Gespielte durch den Kon-trast zwischen Wurzel und
Raumkapsel. Die Wurzel unterstreicht die animalische Seite der Menschen,
die Kapsel die geschäftliche Welt. Auf der einen Seite benehmen sich die
Figuren wie Tiere, indem sie auf der Wurzel rumklettern wie auf einem
Affenfelsen. Auf der anderen Seite sind sie ganz geschäftig und
professionell. Geräusche und Lichtblitze unterstreichen die verschiedenen
Stimmungen.
Eine runde Aufführung, die zunächst vor allem durch die fast
durchgehende Verwendung der indirekten Rede etwas irritie-rend wirkt.
Doch das vergisst man schnell. Die Überzeugungskraft der Darsteller und
der optischen und akustischen Eindrücke ziehen den Zuschauer in den
Bann.
Wer schläft schon in Düsseldorf!?
Das Düsseldorfer Schauspielhaus präsentiert Rögglas „Wir schlafen nicht“.
(Julien Renard)
„Power-power-power“ heißt die Devise, die alles am Laufen hält. Druck
scheint die einzige Möglichkeit zu sein, um in der Welt der McKinseys zu
überleben, denn „gegen Verkaufszahlen lasse sich eben nicht
anargumentieren“. Die hart umkämpfte Branche der New Economy lässt
kein „umgekehrtes Koks“ zu und fordert nie schlafende Opfer. Kathrin
Röggla hätte sich keine bessere Stadt als Düsseldorf aussuchen können,
um ihren aus 30 Interviews zusammengestrickten Roman „Wir schlafen
nicht“ am 7.April als Bühnenstück zu präsentieren. Unter der Leitung von
Burkhard C. Kosminski führte ein 6-köpfiges Ensemble dem Zuschauer
vor, wie mit seiner Stadt abgerechnet wird.
Die Messe wird zum Irrenhaus mit eigenem Zoo. Auf dem Boden
kriechende, an Affen erinnernde Unternehmensberater, die als souverän
und erfolgreich im Geschäft gelten, zeigen ihr wahres Gesicht. Zwischen
Sushi und Sekt, asiatischer Meditation und Kokain erfahren wir wie es
wirklich um die „Online“, den „IT“, den „Senior Associate“ und die anderen
steht. Selbstreflektierend offenbaren sie ihr Leid: Der cholerische „Senior“
gespielt von Steffen Schröder gibt zu, dass „er wisse er brauche die
Challenge“ wenn er sich, um von der Job-Pause abzulenken, mit drei
Liebesbeziehungen gleichzeitig belaste. Auch der zu Anfang kühl und
rücksichtslos wirkende „Partner“ (Klaus Rodewald) zeigt Nerven, wenn er
an die letzte Aufsichtsratsitzung zurückdenkt. Alle träumen denselben
Traum, den Alb-Traum vom Versagen und erschaffen sich so ihren
eigenen Kollaps.
Kosminski hat es geschafft einen durchaus zähen Text unterhaltsam zu
präsentieren ohne diesen wesentlich zu kürzen. Der Zuschauer wird
verwirrt, da die Figuren fast ausschliesslich im Konjunktiv und nur von
sich sprechen, obwohl sie einander dabei ansehen und dadurch das Gefühl
einer normalen Interaktion vermitteln. Sie versuchen den direkten Bezug
zu ihrem Leben zu vermeiden und gewährleisten dadurch ihre
Austauschbarkeit. Keiner der Darsteller, bis auf eine Ausnahme, sticht
durch besonders gutes Spiel heraus, was aber dem Gesamtbild gut zu
Gesicht steht. Lediglich Klaus Rodewald wird seiner Rolle als zunächst
unberührbarer und später beinahe zerstörter Partner gerecht. Wogegen
der aus Film und Fernsehen bekannte und oft hoch gelobte Tim Egloff als
„nicht IT-Supporter“ wahrlich enttäuscht.
Als Kritik an der Welt, in der nur das Gesetz „fressen oder gefressen
werden“ gilt, ist das Stück zu verstehen und spricht aus, was viele
Düsseldorfer denken, aber nie gewagt haben auszusprechen.
Wen die Auszeit fast umbringt...
Das Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt mit „wir schlafen nicht“ von Kathrin
Röggla eine kritische Analyse der Welt der Unternehmensberater und
Manager. (Jennifer Ressel)
Unheimlich mutet es an, wenn man einen Blick auf das düstere
Wurzelwerk im grünlichen Licht wirft, wenn Menschen wie Reptilien
zischen, wenn Leitern und Sprungbretter ins Unbewusste führen, wenn
man den Figuren in dem Stück „wir schlafen nicht“ von Kathrin Röggla
(32) zusieht „wie das Gespenst in [ihnen] immer mehr zunimmt“. Das
Stück feierte vor knapp einem Monat, am 7. April, im Düsseldorfer
Schauspielhaus seine bravouröse Uraufführung, mit der Regisseur
Burkhard C. Kosminski („Tod eines Handlungsreisenden“, „39.90“) und
Dramaturg Ingoh Brux den Stein, den die österreichische Autorin ins
Rollen brachte, noch weiter beschleunigen.
Sieben Menschen begegnen einander auf einer Messe. Die von der
eigenen Karriere aufgesogenen Figuren sprechen über die Fähigkeit Schlaf
zu speichern oder auch von „hochausgebildeten Idioten mit Dauer-Diplom
bei McKinsey“. Indessen wünscht sich die Praktikantin „zumindest eine
Medienvergangenheit“, während sie Kaffee serviert. Wortschöpfungen wie
„Killerschlaf im Flugzeug“, „quick eating“ und „short sleeping“ bestimmen
die eiskalte Atmosphäre des Stücks, die Figuren sprechen von sich selbst
in der dritten Person. 30 Interviews führte die in Berlin lebende Autorin
mit Menschen aus der Consulter-Branche und entwickelte auf der
Grundlage dieser Quellen eine sprachkritische Kollage aus Brutalitäten der
Arbeitsphilosophien der Business Welt. Diese stark journalistisch und
dokumentarische Technik begründet Röggla mit einer Benutzung der
Oberfläche, „[...] um Risse und Lücken darin zu zeigen - nicht, um sie
affirmativ zu schließen“, so in einem Interview mit Theater heute.
Risse und Lücken werden auf der Bühne zu Möglichkeiten, räumlich als
kreativer Spiel-Platz (Bühnenbild: Gerhard Benz), sowie musikalisch in
Szene gesetzt durch die Musik von Simon Stockhausen. „[...] ordentliche
kaliber wie dieses argument >tod oder leben<. [...] das sei immer das
beste argument: also, wenn man gewisse maßnahmen nicht machte, dann
müssten eben alle gehen.“ - so die existenzialistische Moral von
Kosminskis Inszenierung. Ein gelungener, nicht aalglatter Abend, der ein
schaurig interessantes Licht auf die Medienstadt Düsseldorf wirft. Da
musste der eine oder andere beim Verlassen des Theaters zugeben:
„Unsere Firma kommt da aber schlecht weg!“
„Yuppie-high-flyer-Leben“ in Mövenpickpastell
Burkhard C. Kosminski inszeniert Kathrin Rögglas „wir schlafen nicht“ am
Kleinen Haus in Düsseldorf. (Diane Sellenmerten)
Das Rezept könnte aufgehen. Man nehme ein brandaktuelles Thema,
nämlich die Ethik der Consulter-Branche, den sprachlich anspruchsvollen
Text einer Jungautorin (Gütesiegel „Uraufführung“) mit frechen
Wortschöpfungen, wie „Mövenpickpastelldickicht“, oder „Yuppie-high-flyerLeben“, die obligatorische Videoleinwand, eine Hand voll Schauspieler, ein
originelles Bühnenbild und ein wenig Provokation des lokalen Standortes „Wie die sich schon wieder mit ihrer Düsseldorfigkeit umgibt!“ - und schon
hat man ein dauerausverkauftes Haus. Schade ist nur, dass auch dem
Zuschauer diese Ambitioniertheit auffällt.
Erzählt wird die Geschichte eines Berater-Teams: „online“, „senior“,
„praktikantin“ erleben auf einer Messe schlaflose Tage. Man bewegt sich
im Niemandsland der Zeit-, Ort- und Handlungslosigkeit. “Momos“
Zeitdiebe werden ins Gedächtnis gerufen, die uniformierten Bilder
Magrittes. Dazu gesellen sich dann mal das nervtötende Ticken einer Uhr,
mal hektischer Sprechgesang, wahlweise rhythmisches Klopfen,
kollektives Koksschnupfen oder der schon sprichwörtliche Lauf gegen die
Zeit. Der „partner“ - mit der nötigen Zerrissenheit: Klaus Rodewald rennt mit dem Uhrzeigersinn, von der Zeit gejagt, um sein Leben und das
seiner Mitarbeiter. Auch der Versuch gegen diese Rasanz mit
Entspannungsübungen anzugehen, hilft den „Adrenalinjunkies“ nicht
„runterzukommen“, bleibt lediglich sportliche Einlage.
Diese Art von Symbolik zieht sich quer durch Kosminskis Inszenierung und
hält sie doch nicht zusammen. Die Bilder werden zu Klischees. Vereinzelt
und unmotiviert treten sie hervor. Ihre Deutung wird uns aufgedrängt.
Dadurch bleibt der Zuschauer auf Distanz - vielleicht durchaus im Sinne
der Autorin, deren Text als Auftragsarbeit für Düsseldorf am 7. April zur
Uraufführung kam. Sie lässt ihre Figuren in der dritten Person von sich
selbst sprechen, sich selbst entfremdet durch die Überpräsenz ihrer
eigenen Funktion: maschinenhafte Untote. So auch auf der Bühne: Es wird
zwar geweint, gelacht und gelitten und das darstellerisch durchaus auf
hohem Niveau, aber die Gespensterhaftigkeit, die Grau-Zeit der Szenerie
kann nicht durchbrochen werden. Die Figuren lassen uns kalt. Der sehr
kritische Blick auf die Berater-Branche und deren „up or out“- Mentalität
kann nicht fesseln.
Der ausgleichende Gegensatz, der im Bühnenbild Gerhard Benzes
versprochen wird - eine funktionale Seite, bestehend aus einem
raumschiffartigen Apparat, der mal als Höhle, mal als Sprungbrett, mal als
Chill-out-room dient und eine organische Seite in Form einer übergroßen
Baumwurzel - erfüllt sich nicht. Das Gerät beweglich, die Wurzel statisch.
Leben lässt sich nur schwer (er-) finden.
Gespenster, Drinks, McKinsey-Kings
Kathrin Rögglas „Wir schlafen nicht“. Eine Reise in die Glitzerwelt der
Wirtschaftsbosse und Spitzenmanager im Düsseldorfer Schauspielhaus.
(Dominic Sickelmann)
„er erinnere sich auch nicht mehr daran, wann dann die panikattacken
aufgetreten seien, ja, wann er zum ersten mal wirklich stress mit sich
bekommen habe, aber plötzlich seien sie dagewesen, , die panikattacken,
also wenn man das noch nicht erlebt habe, dann wisse man nicht, wie das
sei.“
Kathrin Rögglas Roman „wir schlafen nicht“ basiert auf etwa 30
Interviews, welche die 32-jährige Autorin mit führenden Kräften der neuen
Wirtschaftszweige geführt hat. Geschickt verwebt sie ihr
Recherchematerial mit persönlichen Beobachtungen und Einschätzungen
der Branche. Im Auftrag des Düsseldorfer Schauspielhauses hat sie nun
ihre Prosa dramatisiert.
Am 4. Mai wurde zum wiederholten Male, vor ausverkauften Reihen, die
Inszenierung von Regisseur Burkhard C. Kosminski (39.90) aufgeführt.
Kosminski entführt den Zuschauer in eine sterile, absurde Welt der ItSupporter, Key Account Manager und Senior Associates.
Panikattacken und Selbstdarstellung bis zur vollkommenen Auflösung
zeigen: Es ist nicht alles Gold, was glänzt, im Leben der Erfolgreichen.
Die Bühnengestaltung von Gerhard Benz erinnert an ein Freigehege im
Zoo, gepaart mit einem kühlen Hauch ungemütlicher Moderne, man fühlt
sich nicht wohl in diesem Szenario, man fühlt Unbehagen. Unterstützt wird
dieses Empfinden durch die hervorragende Musik von Simon Stockhausen,
Tiergeräusche vermengen sich mit dem ewig hämmernden Rhythmus des
Fortschritts, der den Zuschauer in einen Zustand der Unruhe versetzt.
„ja, runterkommen, das sagen sie alle andauernd. andauernd werde
einem gesagt, dass man runterkommen soll. er komme aber gar nicht
runter, er denke gar nicht daran.“
Andrea Bürgin, Tim Egloff, Catherine Janke, Claudia Kaske, Klaus
Rodewald und Steffen Schröder schaffen es zweifelsfrei, den Betrachter
glauben zu machen, sie seien gefangen in einem Teufelskreis aus
ausgebrannter Müdigkeit und überdrehter Angespanntheit. Die abstrakte
Distanz, die die einzelnen Figuren untereinander – aber auch zu sich
selbst – aufgebaut haben, wird von Rögglas Sprache getragen. Sie ist es,
die das Stück zu etwas Besonderem macht. Doch ihre Idee, die indirekte
Rede durchgehend als stilistisches Mittel zu verwenden, macht das Stück
etwas schwer zugänglich. Der Applaus fiel denn auch leider bescheiden
aus.
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