Frühe mathematische Bildung Kleine Kinder zeigen früh ein ausgeprägtes Interesse für Zahlen und für Formen. Dieses Interesse aufzugreifen und in eine gezielte Förderung der individuellen Fähigkeiten und Begabungen eines Kindes umzusetzen, ist eine Herausforderung an die Eltern wie auch an die Erziehungs- und Bildungseinrichtungen. Ein Konzept für die frühe mathematische Bildung sollte nicht isoliert nur zum Zwecke mathematischer Ziele betrachtet, sondern immer als Teil einer breit angelegten Förderung individueller Fähigkeiten begriffen werden. Kinder begegnen von Anfang an vielen mathematischen Phänomenen und sie bringen einige Grundkompetenzen mit, um mehr über sie zu lernen. Bereiche der frühen mathematischen Bildung sind: Sortieren und Klassifizieren Muster und Reihenfolgen Zeit Raum und Form Mengen, Zahlen, Ziffern In der mathematischen Bildung sollte es darum gehen, mit den Kindern die Mathematik in ihrer Welt zu entdecken. Sie sollen dabei Mathematik aktiv, kreativ und kooperativ betreiben und gemeinsam mit Erwachsenen in sinnvollen Kontexten mathematisches Verständnis konstruieren. Im Mittelpunkt sollte dabei die Stärkung der Kompetenzen und nicht die Korrektur vermeintlicher „Fehler" und die vorschnelle Vermittlung von mathematischen Normierungen und Regeln sein. Mathematische Bildung ist in diesem Sinne bereichsübergreifend angelegt. Ihr Ziel ist die Stärkung grundlegender Kompetenzen, einer positiven Haltung und des Selbstvertrauens in Bezug zu Mathematik. Die Welt steckt voller Mathematik. Kinder begegnen in ihrer Welt vielfältigen Formen und Figuren, deren Eigenschaften, Gemeinsamkeiten und Unterschiede sie gemeinsam erkunden und sich erschließen können. Solche Erfahrungen und Fragen, die für Kinder interessant sind, bieten zum einen viele Gelegenheiten, um ihnen Mathematik zur Lösung von alltäglichen Problemen anzuwenden. Aber auch die Auseinandersetzung mit abstrakten mathematischen Ideen und die Anwendung formaler mathematischer Lösungswege nehmen ihren Ausgangspunkt an Erfahrungen des Kindes. Im Laufe seiner mathematischen Bildungsgeschichte bewegt sich das Kind dabei eher informell, auf konkrete Fragen bezogenen Lösungen hin zu allgemeinen Strategien und zu Einsichten in zugrundeliegende Prinzipien und Gesetzmäßigkeiten. Sinnvolle Förderung der jüngeren Kinder ist eine wesentliche Aufgabe. Der entscheidende Punkt bleibt aber auch hier der der Beziehung: Man muss selbst eine positive Einstellung der elementaren Mathematik gegenüber entwickeln (deswegen muss man weder die Schulmathematik geliebt haben noch einen Mathekurs belegen) und sich mit den Kindern gemeinsam auf die Suche nach „mathematischen Mustern" in unserem Alltag begeben. 1 Amerikanische und israelische Wissenschaftler haben in einer Testreihe mit 24 Kindern im Alter von 6 bis 9 Monaten herausgefunden, dass Menschen bereits ab dem ersten Lebensjahr mathematische Fehler oder Ungereimtheiten erkennen können. In einer Versuchsreihe wurden den Kindern Stofftiere, Tiere und auch andere Objekte vorgelegt. Beispielsweise zeigte man den Kleinen 2 Stofftiere, die von den Wissenschaftlern danach mit einem Sichtschutz verdeckt wurden. Anschließend wurde der Sichtschutz wieder aufgehoben, wobei in manchen Fällen nur ein Stofftier zu sehen war, in anderen dagegen durch einen Trick wieder ein zweites hinzu gegeben wurde. Anhand der Gestik und der Messung von Hirnströmen (EEG) konnten die Forscher zeigen, dass die Kinder logische Ungereimtheit erkannten und die Aktivitätsmuster des Gehirns aus der selben Region kamen wie bei Erwachsenen, die sich mit einer mathematischen Aufgabe konfrontiert sehen. Das Ergebnis des Versuchs belegt die These, dass schon Babys Mengen und mathematische Ungereimtheiten erfassen können. Das eigene Potenzial entfaltet sich am besten im positiven Erleben. Deshalb ist es so wichtig, dass Kinder früh die Welt der Zahlen und Formen mit Erfolg und guten Gefühlen verbinden. Piaget (60er Jahre) Zahlverständnis (Zahlbegriff) entwickelt sich auf der Grundlage von logisch-formalen Operationen wie – Seriation (Reihe, Folge, zusammenhängende Gruppe gleichartiger Dinge – Klassifikation (Einteilungen von Objekten anhand bestimmter Merkmale) – Eins-zu-Eins-Zuordnung – Invarianz (Unveränderlichkeit von Größen) Komplexe logisch-formale Operationen sind erst im Entwicklungsstadium des konkret-logischen Denkens möglich (mit der Einschulung) Zählen leistet keinen Beitrag zur Entwicklung des Zahlverständnisses Gelman & Gallistel (Ende 70er Jahre) Bedeutung des Zählens für die Entwicklung des Zahlverständnisses Fuson (Ende 80er Jahre) Forschungen zur Entwicklung der Zählfähigkeit Säuglingsforschung (90er Jahre): Mensch besitzt eine angeborene Fähigkeit zur unmittelbaren Erfassung kleiner Mengen von Objekten Fähigkeit von Säuglingen – Erkennen von Mengenunterschieden (Starkey, Spelke, Gelman 1990): Babys erkennen den Unterschied zwischen den Anzahlen 2 und 3 – Erkennen von Mengenveränderungen (Wynn 1992): Babys im Alter von 6 Monaten sind sensibel für Mengenveränderungen Subtizing bedeutet die Fähigkeit, sehr rasch und auf einen Blick eine kleine Menge von Objekten quantitativ erfassen zu können. 2 Ideen für die mathematische Frühförderung Mathematische Frühbildung kann für die Kinder im Kindergarten sehr spannend in spielerischer Form aufbereitet werden. Der Mathematik begegnen wir in unserem Alltag sehr oft - auch im Kindergarten. Mit einfachen Gegenständen und Aktivitäten kann den Kindern Spaß und Freude im Umgang mit der Mathematik von Anfang an vermittelt werden. • Gegenstände mit bestimmten Eigenschaften sammeln (runde, gelbe, hölzerne,...) und Eigenschaften beschreiben • Gegenstände nach unterschiedlichen Eigenschaften sortieren: Farbe, Form, Größe, Funktion, Gewicht, ... ein- und mehrfach (z. B. erst Form, dann Größe); wo ist es möglich, eine sinnvolle Ordnung herzustellen (z. B. Gewicht), wo nicht (z. B. Funktion)? • Kinder teilen sich nach bestimmten Kriterien in Gruppen auf bzw. „ordnen" sich an • Sprachliche Sensibilisierung: „für jedes Kind ein...", „genau so viele", „zwei zu wenig", „sieht so ähnlich aus wie...", „ist das Gleiche wie..." • Gegenstände liegen im Kreis. Die Kinder schließen die Augen. Ein Gegenstand kommt dazu oder verschwindet. Was hat sich verändert? • Abzählen von Gegenständen auf unterschiedliche Arten (mit Bewegen der Gegenstände, ohne Bewegen, mit Fingern, ohne Finger, nur mit den Augen, beginnen bei unterschiedlichen Gegenständen) • Nachbauen von Materialarrangements (Mustern), eigene Muster bilden • Eine bestimmte Zahl von Gegenständen auf möglichst vielfältige Art miteinander kombinieren (Beispiel: Ein Auto, eine Puppe, ein Holzklotz und ein Ball: nebeneinander (wie?), hintereinander (wie?), übereinander (wie?) und Kombinationen davon...) • Zeichnen eines einfachen Materialarrangements aus verschiedenen Perspektiven • Einfache Würfelspiele, Dominos, Lotto, Memospiele, Puzzles usw. • Rhythmusspiele, Takt klatschen, Bewegungsspiele mit wiederkehrenden Bewegungen http://www.ideenkiste.at/fruehbildung/mathematik/24 http://www.kindaktuell.at/lernen/fruehe-mathematik.html-http://www.ideenkiste.at/fruehbildung/mathematik/25 3 Didaktische Prinzipien Als Beispiele bewährter didaktischer Prinzipien seien hier aufgeführt: Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit Wir alle wissen, dass man Tennis oder Fußball nicht allein durch Zuschauen lernen kann. Man muss selbst spielen. Selbsttätigkeit ist gerade für kleine Kinder unerlässlich. Ständige Hilfestellungen führen zu kurzfristigen Leistungssteigerungen. Ein langfristiger Lernerfolg stellt sich jedoch nur dann ein, wenn unser Gehirn immer wieder Gelegenheit findet, Fehler selbst zu erkennen und sie auch selbst zu korrigieren. In den "Entdeckungen im Zahlenland" wird daher dem Kind die notwendige Zeit eingeräumt, eine Situation erst selbst auszuprobieren und eigene Lösungen zu finden, die seinem Entwicklungsstand angemessen sind. Die Erzieherin sollte immer deutlich zeigen, dass sie den Fähigkeiten des Kindes vertraut und sollte nur helfen, wenn ein Kind ohne Hilfe nicht zurechtkommt oder Hilfe wünscht. So kann das Kind Vertrauen in seine eigenen Kräfte gewinnen und die Erfahrung machen, dass es schön ist, sich eigene Ziele zu setzen und diese zu erreichen. Ein gelassener und bewusster Umgang mit Fehlern wird in den "Entdeckungen im Zahlenland" insbesondere durch Auftritte des "Fehlerteufels" geübt. Der Fehlerteufel erscheint in regelmäßigen Abständen und verursacht "Fehler". Die Kinder können so immer wieder erproben, wie man Fehler durch Hinschauen und Innehalten erkennt, behebt und am Schluss die Richtigkeit kontrolliert. Variation der Darstellungsform Es werden drei Formen der Darstellung von Wissen unterschieden: die enaktive, die ikonische und die symbolische Form. Alle drei Formen der Wissensdarstellung sollten gemäß ihres Charakters gezielt eingesetzt werden: Die enaktive Form vollzieht sich durch eine Handlung und sollte die wichtigste Form in einem Projekt für die frühe mathematische Bildung darstellen. Die ikonische Form verwendet Bilder und kann in vielerlei Gestalt als Hilfsmittel für die Darstellung von Wissen eingesetzt werden. Die symbolische Form benutzt Zeichen und entspricht der mathematischen Sprache. Sie sollte in einem Projekt für Vorschulkinder nur sehr zurückhaltend verwendet werden. Lernen in Zusammenhängen Das Gehirn verknüpft Elemente, wenn sie wiederholt räumlich oder zeitlich in der Nähe auftreten. In den "Entdeckungen im Zahlenland" wird dieser Zusammenhang insbesondere im Zahlenhaus und auf dem Zahlenweg gepflegt. Zudem benötigt Lernen in Zusammenhängen fest bleibende und gut erkennbare "Markierungen". Diese Verlässlichkeit wird durch die gut erkennbare Struktur des Projekts und seine gleich bleibenden Elemente gegeben. Auch Gefühle stiften Zusammenhänge. Daher sind Gefühle in diesem Projekt zur frühen mathematischen Bildung kein störender, sondern ein wichtiger und erwünschter Faktor. Das Spiralprinzip 4 Nach dem Spiralprinzip wird das gleiche Thema mehrmals behandelt, immer jedoch der Entwicklungsstufe und dem Wissensstand des Kindes angepasst. Die ständige Wiederholung auf ansteigenden Stufen schafft neue Zusammenhänge und fördert Selbstständigkeit und Selbsttätigkeit. Ganzheitlichkeit Das Konzept der "Entdeckungen im Zahlenland" soll das Kind als "ganze" Person fördern und dazu beitragen, seine individuelle Begabung durch Lernen zu entwickeln und Kompetenz für sein Leben aufzubauen. Zudem sollte das Kind die Mathematik als "Ganzes" in überschaubaren Einheiten erleben, deren Teile es nach und nach immer genauer kennen lernt. Im Zahlenhaus, auf dem Zahlenweg und in den Zahlenländer n begegnet das Kind der "Mathematik" mit seiner "ganzen" Person: mit Sehen, Hören und Anfassen, mit Sprechen und Bewegen, mit Denken und Phantasie, mit Freude und Neugier. Die frühe mathematische Bildung in der Praxis Die "Entdeckungen im Zahlenland", die hier kurz vorgestellt wurden, sind für den Gruppenunterricht mit Kindern ab vier Jahren konzipiert. Je nach dem individuellen Entwicklungsstand eines Kindes kann das Projekt auch für Kinder im Alter zwischen drei und vier Jahren sinnvoll sein. Gute Erfahrungen wurden mit altersgemischten Gruppen von 12 bis 15 Kindern gemacht, in denen etwa gleich viele Mädchen und Jungen waren. Gliederung in Lerneinheiten mit Unterteilung in Zahlenland 1 und Zahlenland 2 Der Projektverlauf ist in Lerneinheiten gegliedert, die sich in zwei Folgen unterteilen lassen: zunächst steht mit 10 Lerneinheiten der Zahlenraum von 1 bis 5 im Vordergrund, danach mit 12 Lerneinheiten der Zahlenraum von 1 bis 10. In der ersten Hälfte des Projekts – hier "Zahlenland 1" genannt – soll das Kind mit den Zahlen 1 bis 5 vertraut werden und auf dem Zahlenweg erste Erfahrungen mit dem Zahlenraum von 1 bis 10 aufbauen. In der zweiten Hälfte des Projekts – hier "Zahlenland 2" genannt- überträgt das Kind sein Wissen von den Zahlen 1 bis 5 d urch Aktivitäten im Zahlenhaus und in den Zahlenländer n auf die Zahlen 6 bis 10. Auf dem Zahlenweg lernt es zudem den Zahlenraum von 1 bis 20 kennen. Eine Lerneinheit ist je nach Situation (Alter der Kinder, Größe der Gruppe, Zeitplanung usw.) für einen oder auch für mehrere Termine geeignet. Bewährt hat sich ein Termin pro Woche mit einer Dauer von etwa einer Stunde. Die Zeitdauer sollte jedoch flexibel gehandhabt werden. Es darf weder Langeweile noch Hektik aufkommen. Lernmaterialien Spezielle Materialien, wie sie auf den beigefügten Bildern zu sehen sind, begleiten die drei Hauptlinien der "Entdeckungen im Zahlenland", das Zahlenhaus, den Zahlenweg und die Zahlenländer : Gymnastikreifen für die Wohnungen der Zahlen 1 bis 10 im Zahlenhaus, Stirnbänder für die "Zahlenkinder", passende "Möbel": Ständer mit Punktebild und Ziffernfähnchen, Bälle, Steine, Kastanien, Nüsse, Gewichtswürfel, Würfeltürme, Zahlengärtchen mit "Blumen", Blätter von Pflanzen, Trommel Teppichfliesen mit den Ziffern von 1 bis 20 für den Zahlenweg, Verkleidung für den Fehlerteufel 5 Schilder und Tore für die Zahlenländer, Bilder von Pflanzen und Tieren, Stäbe mit Gummischlauchverbindungen für ebene und räumliche Figuren (z.B. für Fünfeck und Fünferzelt) usw. Nicht weniger wichtig als diese "harten" Medien sind die "weichen": Geschichten, Lieder, Spiele, Reime, Bilder usw. Solche Materialien sind für den Erfolg des Projekts unverzichtbar. Sie öffnen die Mathematik den Sinnen und dem aktiven Entdecken. Erst so wird die Welt der Zahlen und Formen für Kinder zugänglich und verstehbar. Qualifizierung von Erzieherinnen und Erziehern Eine mathematische Bildung im Kindergarten stellt Erzieherinnen und Erzieher vor neue Aufgaben, für die sie nicht speziell ausgebildet wurden. Da zudem die "Entdeckungen im Zahlenland" in Inhalt und Methode neu sind, hängt der Erfolg wesentlich von einer intensiven Einführung in das Konzept und in die wichtigsten Elemente der praktischen Durchführung ab. Eine solche Einführung kann nicht allein schriftlich oder mit Hilfe von Medien erfolgen. Deshalb biete ich in Zusammenarbeit mit Mitarbeiterinnen, die mit dem theoretischen Konzept und mit der Praxis vertraut sind, Seminare an. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer erhalten umfangreiches schriftliches Material. Bildung von Anfang an Das Konzept "Entdeckungen im Zahlenland" wird von der Überzeugung getragen, dass eine frühe mathematische Bildung sowohl für das Leben des Einzelnen als auch für die wirtschaftliche Zukunft des Landes, in dem wir leben, von großer Bedeutung ist. Es versteht sich als theoretisch fundierter und praktisch erprobter Beitrag zur Verpflichtung der Gesellschaft, ihren Kindern eine "Bildung von Anfang an" zu ermöglichen. Es bietet für schon vorhandene und praktizierte Angebote einen ganzheitlichen Rahmen, der Platz für eigene Ideen und andere Materialien lässt. Die praktischen Erprobungen haben gezeigt, dass auch Sprach- und Sozialkompetenz auf natürliche Art gefördert werden. Meine bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass meine bereits hohen Erwartungen an die Lernbereitschaft und an das Lernvermögen der Kinder immer wieder übertroffen wurden. Es ist spannend und unterhaltsam, gemeinsam mit den Kindern das Zahlenland zu erkunden. Materialien zum Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan im Internet Auf der Homepage des Staatsinstituts für Frühpädagogik wurden mehrere Rubriken eingerichtet, in denen Erzieher/innen, Kinderpfleger/innen, Eltern, Träger und andere Interessierte Fachartikel und andere Informationen zum Bayerischen Bildungs- und Erziehungsplan vorfinden. Sie können die Website mit www.ifp-bayern.de aufrufen. 6 verantwortlich 7