Projekteingabe Titel: zeitgewoben Studiengang: Master in Composition and Theory, Théâtre Musical Projektverfasserin: Bettina Danielle Berger Präsentatorin: Bettina Danielle Berger Projektbetreuer: Prof. Pierre Sublet Projektbeschreibung zeitgewoben ist ein szenisches Konzert, das am 9. März 2012 in der Dampfzentrale Bern im Rahmen des Morton Feldman-Festivals Premiere feierte. Idee, Konzeption, Dramaturgie und szenische Umsetzung stammen von mir. Ebenso leitete ich den Ablauf der gesamten Produktion: Kommunikation mit allen Beteiligten (Veranstalter, Künstler, Bühnentechnik), Kalkulation/Budget, Probepläne, Logistik, PR-Material, u.a.m. Die Interpreten der Uraufführung waren der 23-jährige Berner Schauspieler Thibault Schiemann und das junge ensemble interface aus Frankfurt, bei dem ich selbst als Flötistin mitwirke. zeitgewoben verbindet den Hörspiel-Klassiker Words and Music von Samuel Beckett und Morton Feldman mit neuen Werken des jungen chilenischen Komponisten Pedro Álvarez sowie des Berliner Komponisten Helmut Oehring. Alle Werke reflektieren auf ihre Art die spannungsreiche Beziehung zwischen Wort und Ton und setzen sich mit existentiellen Fragestellungen auseinander: Der Diskurs über Liebe, Alter und Tod im Hörspiel löst sich auf in einer nihilistischen Klangmeditation bei Pedro Álvarez. Zum Schluss erhält die Aufführung eine kämpferische Wendung mit der Komposition von Helmut Oehring nach Gedichten des Romantikers Heinrich Heine. Gesucht war eine visuelle Form, die den Kern der drei Werke klar zu transportieren und in starke Bilder zu übertragen vermag. Meine szenische Gestaltung schafft einen subtilen Raum für diese drei Begegnungen von Musik und Text und beleuchtet deren unterschiedlichen Umgang mit Zeit und Vergänglichkeit. Zudem erleichtert der Einbezug der visuellen Dimension dem Publikum den Zugang zu den ungewohnten Klängen der Neuen Musik. Innovation Ich habe Methoden gewählt, das komplexe Material auf schlichteste Weise umzusetzen, um größte Dichte und Höraufmerksamkeit bei den Musikern und dem Publikum zu erzielen. Kein Bedarf an ‘Theater‘, keine überflüssige Bebilderung: Die Konzentration liegt auf der Ausstrahlung der Musiker und auf ihrem präzisen Zusammenspiel. In meiner szenischen Gestaltung entziehe ich einer Person ihren menschlichen Körper und lasse sie als virtuelle Figur aus vielen im Saal verteilten Lautsprechern agieren/erklingen: Sie ist omnipräsent, aber weder ‘ortbar‘ noch fassbar. Dadurch kommt die Elektroakustik zum Einsatz, und sie erhält mit ihrem ‘technischen Körper‘ – den Kabeln und Lautsprechern - ein Eigenleben, eine Eigendynamik. Ich habe die bestehenden drei Musikwerke zu einem dramaturgischen Ganzen für die Bühne weiterentwickelt und dabei gezielte künstlerische Eingriffen vorgenommen. So habe ich zum Beispiel im Dialog mit dem Komponisten Helmut Oehring sein Werk um Chorpassagen und Sequenzen mit Gebärdensprache erweitert. In diesem dritten Werk erscheinen alle Spieler wieder mit ihren Körpern. Clou Die Inszenierung besticht durch ihre wirkungsvolle, eindrückliche Schlichtheit und die radikale Reduktion aller theatralischen Mittel. Ich habe die archaische Kraft und asketische Ästhetik der Werke verstärkt, indem ich ausschließlich mit den ohnehin schon gegebenen Kabeln und Lautsprechern gearbeitet habe. Diese wechseln im Verlauf des Abends ihre primäre Funktion und erhalten ungeahnte Bedeutungen: Die Kabel transportieren Strom, tragen die Noten der Musiker, bilden Grenzen und Strukturen im Raum, werden zu imaginierten Blutadern, zum Hochseil, zur Endlosschlaufe, zu verletztem Gewebe, zur Fessel. Von Anfang an ist alles im Raum vorhanden, alle Spieler, Instrumente und das ganze Material. Es gibt weder Auf- noch Abtritte während der gesamten Aufführung. Keine Farben, nur schwarz und weiß. Aus dem ‘spannungslosen‘ Zustand ganz zu Beginn entwickeln sich alle Bilder und Stationen. zeitgewoben: Das inhaltliche Motiv wird mit der szenischen Struktur verknüpft, 'Weben' wird zum Leitfaden für die ganze Inszenierung. Kreativität Mir geht es darum, mit reduzierten Mitteln Bilder für meine Interpretation der Werke zu vermitteln und gleichzeitig die Wahrnehmung des Publikums zu sensibilisieren und ihm Raum zu geben, um eigene Assoziationen und Geschichten zu entwickeln. Mit einfachen Handlungen wie dem Verlegen, Zerschneiden und Aufrollen von Kabeln werden anregende und mehrdeutige Szenen geschaffen. Anfänglich hat mich die Funktionalität und Kälte meiner gewählten Mittel befremdet und irritiert. Doch hat dieses 'Ringen' mit der Materialität meinen Wunsch verdeutlicht, Alltagsgegenstände wie Kabel und Lautsprecher neu zu beleuchten und ihre poetischen und sinnlichen Qualitäten auszuloten. Mehr noch: Sie transformieren die existentielle Thematik von Zeit und Vergänglichkeit in die visuelle Dimension. Ausstrahlung Bei Kindern und Jugendlichen, dem Publikum von morgen, liegt enormes Potential. Mit Barbara Balba Weber, Leiterin des Berner ‘tönstör‘-Projekts (www.toenstoer.ch), habe ich eine 6. Klasse aus Thun auf die Aufführung vorbereitet. Die Schüler besuchten die Premiere in der Dampfzentrale und waren durchwegs begeistert: „Ich habe viel über das Musikmachen gelernt, auch wenn es neue Töne sind. Musik und Theater finde ich toll und ich will wieder mitmachen: Ich habe mich so 'hineingelebt' und das hat mir riesigen Spass gemacht.“ Salome, 13 Jahre Der Erfolg von zeitgewoben bei den Kindern wie auch dem Fachpublikum zeigt, wie durch sorgfältiges und kluges Heranführen Neue Musik zum lustvollen und herausfordernden Erlebnis wird. Auch für das aufstrebende ensemble interface, das ich 2009 mitbegründet habe, wurde das neuartige und experimentelle Arbeiten bei zeitgewoben zur richtungsweisenden Erfahrung: Seither haben uns drei Komponisten der internationalen Musikszene angeboten, gemeinsam mit ihnen Musiktheater- Projekte zu entwickeln und 2014 bei wichtigen Festivals in Europa und den USA aufzuführen (www.ensembleinterface.com).