Meerluft - warum Kulturmanagement Forschung braucht. Ein Beitrag von Martin Tröndle, Korrespondent, Berlin/Basel Nehmen wir die Schweiz: Circa 1.8 Milliarden Franken werden jährlich von Bund, Kantonen (Ländern) und Gemeinden an öffentlichen Geldern für Kulturelles aufgewendet. Hinzu kommen die Ausgaben für die Musik-, Kunst-, und Theaterhochschulen, in denen die zukünftigen Künstler und Kunstpädagogen ausgebildet werden. 1.8 Milliarden Franken (das entspricht ca. 1,2 Milliarden Euro) für die Kultur mag verglichen mit anderen Bereichen wenig sein – das sind etwa 2 Prozent der gesamten öffentlichen Ausgaben in der Schweiz –, jedoch ist es verwunderlich, dass die öffentliche Hand nur geringes Interesse an einem möglichst effizienten Einsatz der Mittel hat: Denn im Gegensatz zu Österreich und Deutschland fördern weder Bund noch die Kantone die universitäre Forschung im Bereich Kulturmanagement und auch die Lehre wird nur rudimentär unterstützt. Die Lehrangebote sollen gemäß den Sparverordnungen selbsttragend sein und sind es auch, eine selbsttragende Forschung ist allerdings nicht möglich. Es besteht ein Missverhältnis zwischen dem geforderten verantwortungsvollen Umgang mit öffentlichen Geldern und der fehlenden Grundlage dafür. Eine neue Wetterlage Dabei sind die Zeiten stürmischer geworden: Der gesellschaftliche Wertewandel, die zunehmende Pluralisierung des Kunst- und Kulturverständnisses und die sich verschärfende Konkurrenzsituation um Aufmerksamkeit und öffentliche Gelder zwischen den verschiedenen Kultur- und Erlebnisanbietern lassen die Handlungsmaximen von gestern obsolet werden. Die schwierige Situation der öffentlichen Hand und der damit einhergehende Rückzug aus der Kulturfinanzierung lassen weitere Turbulenzen erwarten. Mit der Umkehrung der Alterspyramide werden die skizzierten Trends an Dynamik gewinnen. Das Herbeiwünschen alter Verhältnisse – das heißt, wieder unter der Flagge einer „Kultur für Alle“ segeln zu wollen – ist illusionär. Selbst wo der politische Wille noch vorhanden sein mag, ist er finanziell nicht mehr oder nur noch eingeschränkt umsetzbar. Die Akteure des Kulturbetriebs stehen unter Handlungszwang, das ist inzwischen Allgemeingut. Werner Heinrichs folgend kann gesagt werden, dass die Ziele, Strukturen und Handlungsmaximen des Kulturbetriebs von gestern für den von morgen nur noch begrenzt tauglich sein werden: Wer im Rennen bleiben will, wird zukünftig nicht bloß härter am Wind segeln, sondern auch neue Passagen erkunden müssen. Die Akteure des Kulturbetriebs versuchen sich seit einigen Jahren vermehrt auf die steifere Brise einzustellen. Dies zeigt sich in der wachsenden Nachfrage von Kulturmanagement. Das Fach Kulturmanagement, das sich im deutschsprachigen Raum seit den 1980er Jahren in Anlehnung an angelsächsische Vorbilder konstituierte, hat in den letzten zehn Jahren einen enormen Boom erlebt – abzulesen an einer Vielzahl neu entstandener Ausbildungsgänge. Der Kulturmanager – einst und teils noch mit Argwohn beäugt – soll die unter dem Wellengang ächzenden Veranstaltungshäuser insbesondere in den Bereichen Management, Marketing, Finanzierung, Öffentlichkeitsarbeit auf die neue Wetterlage einstellen. Hervorgehoben wird dabei immer wieder die angestrebte Professionalisierung des Kulturbetriebs. Der Kulturmanager soll die verschiedenen Druckgebiete ausgleichen, den die politischen und gesellschaftlichen Kräfte auf die Häuser ausüben. In der geschickten Balancierung und Neugewichtung interner (künstlerischer, kaufmännischer, gewerkschaftlicher etc.) und externer Interessen (Anspruchsgruppen wie die unterschiedlichen Publika, Kritiker, Kulturpolitiker etc.) soll er das Schiff durch die stürmischen Zeiten der Veränderung, vorbei an den Klippen der Budgetkürzungen, dem tarifpolitischen Gezänk der Sirenen und den seichten Gewässern der inhaltlichen Verflachung führen. Angesichts dieser enormen Herausforderungen an den Navigator muss gefragt werden, wo er denn seine Ausbildung erworben hat. Dem Kulturmanager geht es um Professionalisierung des Kulturbetriebs, wie jedoch steht es um seine Professionalität? Woher nimmt er sein Wissen? Wer hat seine Karten gezeichnet, mit denen er sich orientiert? Von der Kunst des Navigierens Theodor W. Adornos 1960 hervorgebrachte Kritik (Merkur 144), dass die Verwaltung „Kulturelles, was immer es auch sei, an Normen messen muss, die ihr nicht innewohnen“, ist immer noch à jour. Sie findet ihr sprachliches Update im Management der Kultur. Einem Management für die Kultur hat sich das Fach Kulturmanagement verpflichtet. Allerdings muss zugegeben werden, dass auch für das Fach Kulturmanagement Adornos Kritik weiterhin Relevanz besitzt. Denn obwohl in der Literatur zum Kulturmanagement immer wieder vor einer Übertragung betriebswirtschaftlicher Instrumentarien auf den Kulturbetrieb gewarnt wird, hat es das Fach bisher nicht geschafft, eigenständige kulturspezifische Instrumente zu entwickeln. Was vorliegt, ist Importware aus anderen Disziplinen wie Projektmanagement, Marketing etc., die sich meist nur wenig von ihren Pendants ohne den spezifischen Vornamen „Kultur-“ unterscheidet. Diese Techniken gehen nicht auf die Eigenlogik und die Spezifika des Kunstsystems ein, und um mit Adorno zu sprechen, sie operieren mit Größen, die dem Künstlerischen nicht innewohnen. Zudem ergeben sich, wie Werner Heinrichs feststellt, erhebliche Schwierigkeiten bei der Übertragung betriebswirtschaftlicher Instrumentarien in den Kulturbetrieb, denn sie ziehen in hohem Maße messbare und bewertbare Faktoren heran, wie sie im Kulturmanagement kaum zur Verfügung stehen: Die Betriebswirtschaftslehre stellt Instrumente zur Berechnung von Gewinnchancen angesichts der Entscheidungsalternativen bereit. Für nicht-gewinnorientierte Kulturorganisationen steht ein solches Instrumentarium nicht zur Verfügung. In der Privatwirtschaft besteht die Zielorientierung meist in einer Gewinnerzielung. Die Produkte und ihre Gestaltung werden auf die Bedürfnisse der Nachfrager hin ausgerichtet. Die Zielerreichung, also der Erfolg, lässt sich mit der ökonomischen Größe Geld – einem abstrakten Medium – messen. Im Gegensatz dazu liegen die Ziele im nicht-gewinnorientierten oder öffentlichen Bereich vor allem in der möglichst optimalen und effizienten Erfüllung eines öffentlichen Auftrags beziehungsweise einer daraus abgeleiteten Zielsetzung. Das heißt, der „Sinn“ und das Ziel einer nicht-gewinnorientierten Kulturorganisation liegt in der Erfüllung ihres künstlerischen, kulturellen oder pädagogischen Auftrags. Das Produkt und die Produktgestaltung orientieren sich hier an ästhetischen, kulturellen, künstlerischen, kulturpolitischen oder vermittelnden Kriterien. Metaphorisch gesprochen, halten die leichten „Kultur-Segler“ auf andere Inseln Kurs, als die Tanker des Geldes. Die Inseln des Ökonomie sind zahlenmäßig bis hinters Komma kartiert, die der Kultur sind imaginär. Um sie anzulaufen braucht der Navigator andere Karten und ein anderes Wissen sie zu lesen. Auch ist die „Bordkultur“ eine verschiedene: auf der einen Seite die Befehlskette der Hierarchie, die die angeheuerte Mannschaft zusammenhält, auf der anderen die verschworene Gemeinde, die das Abenteuer des Einmaligen der Routine des Gewohnten vorzieht. Dem hierarchischen Aufbau folgend, hält der Tanker zielstrebig seinen Kurs. Die Segler jedoch müssen nicht nur wissen, wie man gegen den Wind kreuzt, sondern sie müssen auch eine tagelange Flaute ertragen können. Beide Flotten werden zwar durch die selben Sterne geleitet und ihr Weg kreuzt manchmal an den gemeinsamen Handelsplätzen: In der Art ihres Funktionierens jedoch, sind sie grundverschieden. Anstatt deshalb bisherigem Denken zu folgen und betriebswirtschaftliche Ansätze in den Kulturbetrieb zu übertragen, müssen kulturbetriebsspezifische Instrumente „zur Navigation“ entwickelt werden: Erst sie erlauben den Akteuren professionelles, kunstgerechtes Handeln. Hierfür sind im Kulturmanagement selbst die notwendigen Forschungsarbeiten zu leisten. Kulturmanagement ist auf die Praxis ausgerichtet und gleichwohl akademisches Fach. Seine Erkenntnisse müssen praxisrelevant und gleichzeitig wissenschaftlich fundiert sein. Die Wissenschaftlichkeit jedoch, die auch eine gewisse Zuverlässigkeit der kulturmanagerialen Lerninhalte mit sich bringen sollte, ist rar. In der Schweiz gibt es keine, in Deutschland und Österreich immerhin je eine Hand voll Forschungsstellen für das junge Fach. Das heißt, die Politik muss den notwendigen wissenschaftlichen Kompetenzaufbau ermöglichen, denn: Fordern ohne zu fördern bleibt wirkungslos. Anstatt also bloß kurzfristig zu agieren und notwendige Sparanstrengungen zu lancieren, sollten die politischen Instanzen ihre langfristige Verantwortung wahrnehmen und den Kompetenzaufbau im Kulturmanagement zugunsten einer langfristigen Sicherung von Kunst und Kultur initiieren: Man muss der Mannschaft die Möglichkeit geben das Schiff zu überholen, bevor man sie damit ins Rennen schickt – allein ein neuer Anstrich hilft vor Seenot nicht. An der Leine segeln? Neben den von politischer Seite eingeforderten Veränderungen in den Kulturbetrieben, müssen den Akteuren gleichzeitig Handlungsspielräume eröffnet werden. Handlungsspielräume ergeben sich zum Einen, indem Verantwortung an die Handelnden in einer lockeren Rahmengestaltung delegiert wird und zum Andern, indem die Akteure die fachlich notwendigen Kompetenzen erhalten, um ihren Spielraum auch optimal nutzen zu können. Die lokalen Kulturmacher und Kulturvermittler brauchen diese Handlungsfreiheit, denn das Publikum wird vor Ort gewonnen, nicht in den Kulturgremien des bürokratisch-administrativen Apparates. Von dem ist zu fordern, die Regelungen zu minimieren, um den Kulturverantwortlichen flexibles und situationsadäquates Handeln vor Ort zu ermöglichen: Jede Mannschaft im Rennen muss selbst entscheiden können welchen Kurs sie wählt, und ihr muss die fachliche Kompetenz inne sein, diese Entscheidungen auch umzusetzen. Professionalisierung des Kulturbetriebs bedeutet also, die Handlungsoptionen der Akteure zu erweitern: einerseits durch Deregulierung, andererseits durch Professionalisierung. Für das Erste ist die Politik zuständig, für das Zweite der Kulturmanager. Er eröffnet als Fachmann Optionen zur Kunst- und Kulturermöglichung, die der Laie nicht erkennt. So lässt sich, auch unter gesellschaftlich und finanziell schwieriger werdenden Bedingungen, die Vermittlung und Herstellung von Kunst und Kultur gewährleisten. Culture: c‘est la societé Die wissenschaftliche Investition in das Fach hat zusätzlich zur aufgezeigten Notwendigkeit, auch einen beachtlichen Return on Investment auf die Gesellschaft: denn Kultur schafft einen wesentlichen gesellschaftlichen Mehrwert. Neben den Nieten und Tauen wird die Gesellschaft durch ihre Kultur zusammengehalten: Kultur und Gesellschaft konstituieren sich gegenseitig. Um mit Rolf Keller zu sprechen: „So wie die materielle, technische, wirtschaftliche Produktion den Lebensunterhalt sichert, so sichert die geistig-kulturelle Produktion den Lebens-Sinn – und macht damit das Leben erst lebenswert.“ Oder, um im Jargon zu bleiben: nicht nur das Boot und die Mannschaft entscheiden das Rennen, sondern vor allem der Geist, der sie beflügelt. © Kulturmanagement Network / Martin Tröndle, November 2004, Email: [email protected]