Auszüge aus meinem Vortrag zu Jonathan Rowsons Buch „Die sieben Todsünden des Schachspielers“ (Das gesamte Skript besteht aus 8 Seiten und wird durch zahlreiche Partiebeispiele im Chessbase-Format ergänzt.) (Pädagogisches Institut Tirol , 2006) Rowson wurde 1999 als dritter Schotte überhaupt Großmeister. 2004 gewann er das Britische Championat, das er 2005 verteidigte. Er hat einen Studienabschluss an der Oxford Universität. Seine Schwerpunkte waren unter anderem Psychologie und Philosophie. Bereits sein erstes Buch war ein voller Erfolg – Understanding the Grünfeld. Nach den „Sieben Todsünden“ erschien 2004 „Chess for Zebras“. In seinem Buch „Die Sieben Todsünden des Schachspielers“ untersucht er die psychologischen Ursachen für Fehler. Neben den Symptomen zeigt er auch Möglichkeiten auf, diese Fehler zu überwinden. Sein Buch gibt neue Denkansätze – und zwar durchaus provokante – die unsere Sichtweise über Schach erweitern bzw. eingefahrene Denkmuster ersetzen können. Insofern kann sich unser praktisches Spiel durch das Studium dieses Buchs verbessern, auch wenn sie Rowson nicht bei jeder seiner Thesen zustimmen. Unter „Sünde“ im schachlichen Sinn versteht er eine Fehlinterpretation der Realität am Schachbrett. Dabei unterscheidet Rowson sieben Hauptsünden, die oft ineinander überfließen und sich nicht klar voneinander trennen lassen. Sünde Denken Blinzeln Wollen Materialismus Egoismus Perfektion Fahrigkeit Häufigste Symptome Fehlendes Vertrauen in die Intuition, Konfusion, Regelhörigkeit Verpassen kritischer Momente, fehlende Sensibilität für Trends Fixierung auf das Ergebnis, übertriebene Erwartungen Fehlerhafte Stellungsbewertung, unterschätzen der Dynamik „Vergessen“ des Gegners Zeitnot, „Den Hals nicht voll kriegen“ , Moralisieren Den Faden verlieren Gegenmittel Intuition Sensibilität Flow Pluralismus Prophylaxe Selbstvertrauen Konzentration 1. Denken „Denke nicht. Fühle.“ (Bruce Lee) Wir glauben oft, dass wir beim Schach kühl und rational Denken müssen. Alles andere soll ausgeblendet werden. Wir halten stur an Regeln und Rezepten fest (Doppelbauer ist immer schwach, …) ohne auf unsere Intuition in einer konkreten Partie zu hören. Die „pure Rechenarbeit“ muss im Vordergrund stehen. Doch darin liegt schon die Wurzel der Sünde. Denken ist viel komplexer. Beim Schach muss ich bewerten, erinnern, abschätzen, analysieren, vergleichen, suchen, zweifeln, vereinfachen, das Timing berücksichtigen, vorbeugen … Weiters wird unser Spiel auch durch unsere Gefühle beeinflusst. Angst vor der Niederlage, Hoffnung auf den Turniersieg, der Wunsch einen „Angstgegner“ endlich mal zu besiegen, Probleme mit den Kindern, … all das fließt in unsere Partie ein. Es beeinflusst unseren Prozess der Entscheidungsfindung. Denken und Fühlen sind untrennbar miteinander verbunden. Nur wenn wir unsere Gefühle nicht ausschalten sondern sinnvoll einsetzen, werden wir erfolgreich sein. Dabei brauchen wir ein Höchstmaß an Flexibilität im Denken. Alles schachliche Denken muss letztendlich wertend sein. Wir müssen uns darauf einrichten, mehr unserer Intuition zu vertrauen, indem wir weniger „denken“ und mehr „fühlen“, was wiederum darauf hinausläuft, dass wir mehr unserem Unterbewusstsein vertrauen müssen. Abhilfen: - - - Flexibilität im Denken zunächst Makrokosmos, dann Mikrokosmos: Wir müssen das Wesen der Stellung erfassen – die Partie in ihrer Gesamtheit erkennen. Erst danach können wir uns auf Details stürzen. Arbeiten an der Intuition („Züge raten“ – Punktepartien): Der Meister rechnet nicht mehr als der Anfänger. Er sieht mehr, und vor allem sieht er die wichtigeren Dinge. „Intuition ist das spontane Erkennen von Möglichkeiten vor dem geistigen Auge.“ Eine Absicherung des Zuges durch Variantenberechnung ist bis zu einem gewissen Grad sinnvoll. Je nach Art der Stellung wird die Berechnung tiefer oder weniger tief sein. Ein „gutes Omen“ kann entstehen, wenn der „spontan gefühlte Zug“ durch günstige taktische Varianten gestützt wird. Doch nicht immer ist das der Fall. Dann müssen Sie sich für oder gegen Ihr Gefühl entscheiden. In der Regel sollten Sie aber Ihrem Gefühl vertrauen. Mit Figuren sprechen: Nimzwoitsch in „Mein System“: … die Schachfiguren haben für mich eine Seele, genau wie der Mensch, Wünsche, die unerkannt in ihnen schlummern und nur von mir verstanden werden können. Sie wollen etwas, ohne zu verstehen warum. Ich verstehe es auch nicht, aber ich weiß, was sie wollen.“ Je öfter Sie ihre Figuren befragen, was sie wollen, umso besser werden Sie sie verstehen. Dieser Trick bleibt aber besser ein Geheimnis unter uns Schachspielern. Verraten Sie ihn nicht Ihrer Frau, nicht Ihrem Direktor und schon gar nicht Ihrem Psychotherapeuten. Es ist eine exemplarische Art des Denkens, die einem dabei helfen kann, sich über vorhandene Muster hinweg zu setzen. Oft ist es auch ein Denkansatz, wenn man einfach keine Idee hat, was man gerade spielen soll. Es hilft uns die Stellung aus einem neuen Blickwinkel zu sehen. Durch das Sprechen mit den Figuren werden unbewusste Werturteile an die Oberfläche geholt. Da das gute Bewerten der Schlüssel zu guten Zügen ist, müssen Sie das besonders trainieren! Das Sprechen mit Figuren hilft auch in Stellungen, in denen wir besonders viel rechnen. In Endspielen sollten wir uns ständig mit den Figuren unterhalten. Im Mittelspiel hilft uns diese Methode dabei, welche Figur wir abtauschen sollten und welche lieber am Brett bleiben. Eine Figur die keinen eigenen Willen äußert, die keinen Sinn in ihrem ziellosen Dasein sieht, muss so schnell wie möglich abgetauscht werden. - Trainieren mit „positionellen Bildern“: instruktive Stellungen werden auf einem Blatt skizziert und ausführlich mit eigenen Worten beschrieben. Diese Methode gründet darauf, dass es nicht nur wichtig ist, wie viele Stellungen Sie in Ihrer Datenbank gespeichert haben, sondern auch, wie gut Sie die Stellung verstanden haben und wie Sie sie, in der Regel unbewusst, auf eine praktische Stellung anwenden können. - Das Gehirn speichert Informationen auf der Basis von Mustererkennung. Verknüpfungen zwischen den Mustern werden automatisch hergestellt. Alle im Langzeitgedächtnis abgelegten Muster werden zur Verarbeitung von neuen Mustern verwendet. Das Gehirn nützt was es hat, um das sinnvoll verwerten zu können, womit es „gefüttert“ wird. - Wenn Sie also über viele Muster verfügen, fällt es dem Gehirn leicht, ein neues Muster einzuordnen und zu interpretieren. Haben Sie nur wenige Muster zur Verfügung, ist die Neuaufnahme schwieriger. - Wenn die existierenden Muster zu starr sind (das Läuferpaar ist in offenen Stellungen immer stark), fehlerhaft (zwei Türme sind immer besser als die Dame), tief verwurzelt (Seit 50 Jahren spiele ich Schach und bin stets ohne Rochade ausgekommen) oder instabil sind (Was genau ist Prophylaxe) werden alteingesessene Muster den neuen oft den Zutritt verwähren. - Sie brauchen also nicht nur neue Muster, sondern müssen auch einige alte über Bord werfen. - Humor: Er zeigt sich am Schachbrett durch paradoxe Lösungen und Brechen von allgemeinen Regeln – bestimmt durch die konkreten Anforderungen an eine Stellung. Eine gute Trainingsmethode ist (in dosiertem Maße) … Lösen von Problemstudien Königswanderung von Nunn, „Suchen Sie nach Lachern“ – dabei tauchen sie unbewusst in das Suchen nach gespeicherten Mustern ein. Und Sie bleiben flexibel, diese neu zusammen zu setzen. (…) Die Vervielfältigung des Skripts (oder von Teilen des Skripts) ist nur mit ausdrücklicher Genehmigung des Autors erlaubt! Alle Rechte vorbehalten! Harald Schneider-Zinner Heigerleinstraße 66/105 1160 Wien Mail: [email protected] Homepage: www.schachtrainer.at Tel: 01 945 82 90 0699 1 945 82 90 Wien, 2007