1 Predigt über Römer 3, 21-28 „Christsein in einer säkularen Welt“ besass der Predigttext des heutigen Abends Leitfunktion. Ich lese aus dem dritten Kapitel des Römerbriefes die Verse 21-28: zur Reformationsfeier am 31. Oktober 2013 „Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor in der Trinitatiskirche in Köln Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch Liebe Brüder und Schwestern, den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem hier kein Unterschied: sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Herrn Jesus Christus! Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, und werden ohne Die Reformatoren, an deren Wirken wir heute erinnern, lebten Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch nicht in einer säkularen Welt. Zu ihrer Zeit, am Ausgang des Christus Jesus geschehen ist. Den hat Gott für den Glauben Mittelalters, war das Dasein der Menschen durch Religion geprägt. hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Die Menschen glaubten sozusagen natürlicherweise an Gott. Sie Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher begangen baten Heilige um Hilfe, rechneten mit Gottes Eingreifen in wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Notlagen und verstanden Kriege und Missernten als Strafe des Gerechtigkeit zu erweisen, dass er selbst gerecht ist und gerecht Allmächtigen. Religiöse Riten und der Besuch sakraler Orte macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. Wo bleibt nun das gehörten selbstverständlich zu ihrem Alltag hinzu. Die Kirche war Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das die tragende Institution der Gesellschaft. Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. Entsprechend mussten die Reformatoren nicht dafür streiten, dass So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Religion und Glaube an Gott wichtig sind. Sie stritten vielmehr um Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.“ das Wie. Sie stritten mit ihrer Kirche darum, wie an Gott zu Die Reformatoren waren überzeugt, dass in diesem Text des glauben ist, wer um Hilfe angerufen werden soll und welchen Sinn Paulus das Wesen des Christseins auf den Punkt gebracht wird. und welche Form religiöse Riten haben müssen. Bei diesem Streit Inwiefern? Wie verstanden sie: Der Mensch wird gerecht ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben? 2 Luther, Reformatoren sie, der Mensch werde vor Gott allein durch den Glauben gerecht. beobachteten, dass die Menschen ihrer Zeit durch ihr eigenes Tun Mit dieser Rechtfertigung allein durch den Glauben ist nicht eine versuchten Anerkennung vor Gott zu erwirken. Sie versuchten, weitere, nun eben religiöse Leistung gemeint, in dem Sinne: Wer durch Wallfahrten und besondere Frömmigkeit zu erwirken, dass am meisten glaubt, wer am frömmsten ist, der ist der beste Christ. Gott sie annimmt, oder durch den Kauf von Reliquien und Nein, Rechtfertigung allein durch den Glauben heisst: Allein im Ablässen zu erreichen, dass Gott ihnen die Strafen für ihre Sünden Glauben an Gottes bedingungslose Annahme, die in Jesus Christus erlässt. realisiert ist, begreift der Mensch, wer er vor Gott ist. Im Glauben Die Zwingli, Calvin Reformatoren und kritisierten die anderen dieses Verhalten als lässt sich der Mensch Gottes Gnade gefallen, lässt er zu, dass Gott „Werkgerechtigkeit“. Werkgerechtigkeit bedeutet: Der Mensch ihn annimmt, ohne dass er etwas dafür tun kann. versucht durch seine eigenen Werke, seine eigenen Leistungen für Die Reformatoren waren überzeugt: Anders geht es gar nicht. Der Gott akzeptabel zu sein und Anerkennung seines Lebens durch Mensch kann gar nicht durch sein eigenes Tun Anerkennung vor Gott zu erwirken. Gegen diese Grundhaltung, in der der Mensch Gott erwirken. Wenn er versucht, sich durch seine eigene Leistung mit Gott so handelt, als wäre dieser ein Schulmeister, der Leistung vor Gott ins rechte Licht zu setzen, wenn er versucht, sich selbst belohnt und Fehlleistung bestraft, wandten die Reformatoren ein: vor Gott annehmbar zu machen, dann bleibt er ja ganz bei sich Der Mensch muss nichts tun, um von Gott angenommen zu selbst. Und dann funktionalisiert er Gott für sich selbst. Diese werden. Gott nimmt den Menschen allein aus Gnade an. selbstbezogene Haltung ist für die Reformatoren die eigentliche Die Reformatoren waren überzeugt: In Jesus Christus vollzieht „Sünde“ des Menschen. Letztlich, so meinten Luther und die sich diese Gnade Gottes, weil sich Gott in ihm ganz auf das Leben anderen, ist jeder Mensch in dieser grundlegenden Hinsicht um und Leiden der Menschen einlässt. Nicht die Entfernung des sich selbst besorgt. Er ist unentwegt auf der Suche nach Menschen von Gott durch Versagen und Schuld, sondern die Nähe Anerkennung, will seine eigene Stellung verbessern, sich Gottes zum Menschen hat das letzte Wort. gegenüber anderen ins rechte Licht setzen. Wenn jemand Die Antwort des Menschen auf dieses Handeln Gottes ist für die beispielsweise einem anderen Menschen etwas Gutes tut, dann Reformatoren zuerst und zuletzt der Glaube. Deshalb formulierten fragt er sich dabei stets auch: Was bekomme ich selbst dafür? 3 Oder: Inwiefern verbessert dies das Bild, das andere von mir mit der Säkularität unseres Staates. Religion solle ganz aus dem haben? Oder: Bin ich nicht eindrucksvoll selbstlos? Die öffentlichen Raum verbannt werden, sie solle allenfalls im privaten Reformatoren gaben Paulus Recht: „es ist hier kein Unterschied: Bereich noch zulässig sein. sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Das ist der eine, der im strengen Sinne säkularistische Kontext, in Gott haben sollten“. Deshalb ist ein Ausbruch aus dieser dem Christsein heute stattfindet. Wie sollen wir Christen damit verkehrten Haltung nicht durch den Menschen, sondern nur durch umgehen? Mir scheint, zuerst ist hier Nüchternheit gefordert und Gott möglich. - klare Erinnerung daran, was denn eigentlich der Sinn der Das waren die theologischen Einsichten, für die die Reformatoren Säkularität unseres Staates ist. Säkular ist unser Staat darin, dass er kämpften und die, nachdem sie weiten Nachhall in der keine Religion privilegiert und religiöse Lebensformen nicht Bevölkerung und bei politischen Herrschern gefunden hatten, gegenüber nichtreligiösen bevorzugt. Aber das Umgekehrte gilt grosse kirchliche und gesellschaftliche Veränderungen nach sich eben auch. Verbannung der Religion aus der Oeffentlichkeit wäre zogen. die Priveligierung des Nichtreligiösen. Dafür sollte der unser Staat Heute nur scheint sich keiner für sie zu interessieren. Das Dasein angesichts der deutschen Geschichte nicht gutstehen. Christen der Menschen ist nicht mehr durch Religion geprägt. Wir streiten sollten gegen einen derartigen Säkularismus gemeinsam mit heute kaum noch um das Wie der Religion, sondern – wenn Menschen anderer Religionen eintreten. - überhaupt - um das Ob, streiten darum, ob Religion überhaupt Der andere Kontext, in dem wir Christen leben, ist die noch sinnvoll ist. In letzter Zeit, bei jedem Problem mit Kirche und Säkularisierung. Wir leben in einer säkularen Welt, insofern in den Religionen, melden sich laute Stimmen zu Wort, die klagen, letzten Jahrhunderten die christliche Prägung in unseren Breiten Religion halte Menschen unmündig, wer aufgeklärt und modern stetig abgenommen hat. Der Anteil der Kirchenmitglieder ist leben wolle, der könne nicht länger den alten Konzepten anhängen. zurückgegangen. Der Glaube an Gott daran, sich in Selbstverständlichkeit mehr. Der christliche Glaube ist nur noch Verantwortung ihren Aufgaben in dieser Welt zu stellen und führe eine Option unter anderen. Die Frage nach der Rechtfertigung des zu Weltflucht oder Intoleranz. Deshalb sei endlich ernst zu machen Menschen vor Gott treibt kaum noch jemanden um. hindere Menschen Religiös zu sein ist eben keine 4 Doch stimmt das? Kennt unsere Gesellschaft diese Fragen wirklich meine Entscheidungen und Erfahrungen anerkennen und wie sie nicht mehr – oder begegnen sie nur in säkularem Gewand? mit meinen Fehlern umgehen, beschäftigt doch. Schauen wir genauer hin. Die Aufgabe von Christen kann nicht sein, in dieser Situation Menschen versuchen sich nicht mehr vor Gott zu rechtfertigen, Menschen, die ohne Gott leben und leben wollen, einzureden, dass aber sie suchen – so scheint mir – sehr wohl nach einer sie nun ja merkten, dass sie Gott eben doch brauchten und dass Rechtfertigung ihrer selbst, ihres Lebens, ihrer Entscheidungen. Ruhe in ihr Leben erst dann einkehrt, wenn auch sie endlich Denn unzählige anfangen an Gott zu glauben. Es gehört zur Redlichkeit im Möglichkeiten, das eigene Leben zu gestalten, das am besten Umgang mit anderen Menschen, ihr Selbstverständnis ernst zu bewertete Hotel für die Ferienreise auszusuchen, den richtigen nehmen und sie, wenn sie ohne Glauben an Gott leben wollen, Beruf zu wählen, den passendsten Partner fürs Leben zu finden. auch als solche anzunehmen. Und es gehört zur Redlichkeit Wo früher die Wege vorgegeben waren, muss heute stets neu gegenüber unserem eigenen Glauben, Gott nicht erneut als eine herausgefunden werden, was richtig ist. Grösse einzuführen, die eine bestimmte Funktion für den Damit bleiben aber Fragen: Ist es wirklich richtig? Hätte es noch Menschen, eben die der Rechtfertigung des eigenen Lebensweges, bessere Optionen gegeben? Finden die anderen auch, dass ich es erfüllen soll. gut gemacht habe? Oder, medial gewendet: Gibt es genug, die Aber: Wenn Menschen uns fragen, wie wir uns selbst verstehen, meine Facebook-Freunde werden wollen? Werden die anderen was uns in unserem Leben wichtig ist, wie wir mit der Frage der meine eine Rechtfertigung unseres Lebens umgehen, dann sollten wir uns Entscheidung treffe, die nicht von allen akzeptiert werden wird? nicht schämen, zuzugeben, dass wir versuchen unser Leben mit Was, wenn ich versage? Gott zu leben. Wir sollten erklären können, was es für das Leben Es ist vielleicht nicht mehr Gott, demgegenüber die meisten von Christen bedeutet, dass sie ihre letzte Identität nicht aus ihren Menschen nach Anerkennung suchen, aber die Frage, ob das Entscheidungen und Leistungen ziehen, sondern daraus, von Gott eigene Leben von anderen als gerechtfertigt angesehen wird, ob sie angenommen zu sein. „Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist in unserer Zeit Entscheidung gibt „liken“? es Und vordergründig was, wenn ich ausgeschlossen.“ Wir sollten sagen können, was es für uns 5 bedeutet, dass Versagen und Schuld von Gott gnädig vergeben Von dieser Gnade zu leben bedeutet nicht, in dieser Welt untätig wird. zu sein und alles sanftmütig gutzuheissen, was geschieht. Wer von Mir scheint, darüber sprechen zu können, ist in unserer Zeit der Gnade Gottes her lebt, der weiss, welche Dinge nur aufgrund besonders wichtig. Denn unsere Gesellschaft ist ungnädig von Gnade vor Gott Bestand haben können. Und wer von ihr her geworden, gerade durch die neuen medialen Formen. Shitstorms, lebt, der kann, frei von der Sorge um Anerkennung und hemmungslose Beschimpfungen sind hier an der Tagesordnung. Selbstrechtfertigung, danach fragen, was der Andere an Gutem von Die Möglichkeit, Kritik und Verachtung Anderer ohne Nennung ihm braucht. des eigenen Namens öffentlich machen zu können, scheint alle Wenn wir so von der Gnade Gottes her leben in einer säkularen Dämme an Anstand und Fairness zu brechen. Menschen, die in der Welt, vielleicht lädt das dann auch Andere zum Glauben ein. Öffentlichkeit stehen, erleben dies besonders brutal. Es wird nicht Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre mehr nur einzelnes Fehlverhalten kritisiert, sondern man begegnet Eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen! den Betreffenden mit manchmal fast genüsslicher Verachtung. Hier hat die reformatorische Rechtfertigungslehre ungeheure Aktualität. Dass Gott den Menschen allein aus Gnade annimmt, heisst, dass für Gott ein Mensch mit dem, was er geleistet oder nicht geleistet hat, nicht identisch ist. Gottes Gnade unterscheidet zwischen Person und Werk. Christen sollten in unserer säkularen Gesellschaft an diese Gnade Gottes erinnern, indem sie, wenigsten sie, gegenüber anderen Menschen gnädig sind. Christen sollten sich nicht an spöttischer Verachtung und billiger Schelte beteiligen. Dadurch lassen sie andere etwas spüren von der Gnade, von der sie selbst leben.