„Sowie die Bereiche, welche jenseits des Denkens liegen, in der Therapie ihren Platz bekommen, ergeben sich Problemlösungen.“ Manuel Schoch Manuel Schoch Nüchternheit ist Lebensqualität Die Schlagzeile einer grossen kalifornischen Zeitung ist knallig: ‚Dieser Mann schafft in fünfzig Minuten, wofür Psychiater fünf Jahre brauchen’. Das macht Eindruck. Man fragt sich, ist der Mann ein Wunderheiler oder ein Scharlatan? Manuel Schoch, hellsichtiger Therapeut, Leiter des von ihm gegründeten ‚tune in Instituts‘ mit Sitz in Zürich, Athen und London, diagnostiziert Krankheiten und psychische Probleme mit Hilfe seiner Hellsichtigkeit (Aurasehen). Er hat tatsächlich schon schwerste Krankheiten wie Krebs geheilt. In seinen Unterrichtsstätten bietet er Ausbildungen in der von ihm entwickelten ‚Time Therapie‘ an, er leitet Meditationen, hält Vorträge und schreibt Bücher. Ich sitze diesem Mann gegenüber. Oder, er sitzt mir gegenüber. Aus dem Fenster blickend sehe ich die frisch verschneiten Glarner und Innerschweizer Alpen. Grelle Frühlingssonne flutet durch eine Lücke in den weissen Vorhängen in die geräumige Wohnung im kleinen Mehrfamilienhaus am Zürichberg und wirft einen hellen Streifen auf den Teppich. Der Himmel ist dunkelblau, Sonnenlicht und weisse Quellwolken malen hell-dunkle Muster auf die Wälder am Üetliberg gegenüber. Im Raum hängt ein einziges, grosses Bild. Die Fotografie eines von einem schmalen, abschüssigen Weg durchzogenen steilen Berghanges. Eine kleine Gruppe Menschen – buddhistische Mönche? – geht auf dem Weg. Daneben ein Text. Manuel Schoch Der Mann also. Mittelgross, der Kopf glattrasiert. Weisser Pullover, helles Hemd, helle Hosen, ovale, fein golden gefasste Brillengläser. Ein Anflug von Mahatma Gandhi ... Oder denke ich das aufgrund des Bildes an der Wand? Nein. Es ist Manuel Schoch. Ein Muster, das sich in unserem ersten Gespräch immer wieder zeigt, ist der Vergleich mit anderen Menschen, Männern. Das Aussehen – ein wenig – wie Mahatma Gandhi. Die Klarheit wie Krishnamurti. Die Unverfrorenheit wie Baghwan Shree Rajneesh. Auch wenn Manuel Schoch erzählt, drängen sich Ähnlichkeiten auf mit deren Tätigkeiten oder Handlungen oder Weltanschauungen. Diese ‚Vergleiche’ beantwortet Manuel Schoch stets auf die gleiche Art: „Nein. Es ist Manuel Schoch.“ Manuel Schoch lebt Manuel Schoch. Diese einfache Tatsache hat mich so zum Staunen gebracht, dass ich sie eine Zeitlang wiederholen muss wie ein Mantra. Das ist aussergewöhnlich. Manuel Schoch würde dem sicherlich widersprechen. Er würde einen Begriff wie ‚pragmatisch’ vorziehen. Da passt es, dass er sich selbst nicht als ‚Heiler’ 2 bezeichnet. „Ich bin kein Heiler. Ich tue das, was ich am besten kann: mit Menschen arbeiten.“ Geschichten Manuel Schoch erzählt und ich höre zu. Seine Erzählungen ziehen mich in ihren Bann. Da wundert es nicht, dass Manuel Schoch einmal eine ganz passende Aufgabe innehatte: Er war Quiz-Chef beim Deutschweizer Fernsehen und damals der jüngste Redaktor in diesem Hause. Geschichten erzählt er auch heute noch leidenschaftlich gerne. Zum Beispiel jene, dass er bei einer Mathematikprüfung in der Schule die Höchstnote erzielte, ohne eine Sekunde dafür gebüffelt zu haben, indem er, damals völlig unbewusst, die Antworten aus dem Energiefeld des Lehrers ablas. Oder jene seiner Begegnung mit dem berühmten Krishnamurti, der ihn, den Fremden, den Unbekannten, zum grossen Erstaunen und teilweise nackten Entsetzen seiner Entourage als einzigen an seinen Tisch holte und sich mit ihm unterhielt. Oder die Episode, als eines Tages ein riesiger Nobelwagen vor seinem Londoner Büro anhielt, eine elegant gekleidete und weltweit bekannte Dame aus dem Musikbusiness ausstieg und zu ihm eilte. „Die Dame wollte, dass ich ihr den Verlauf der Börsenkurse voraussage, damit sie ihr Geld möglichst gewinnbringend anlegen kann“, erzählt Manuel Schoch. „Ich habe sie gleich wieder hinausgeschickt.“ Die schreckliche Kindheit Manuel Schoch wurde 1946 geboren und kam schon als Kleinkind in ein Waisenhaus. Seine leibliche Mutter lernte er erst im Alter von 32 Jahren kennen, seinen Vater nie. Im Heim herrschte ein grausames Regime. In der Nacht wurden die Kinder an Armen und Beinen ans Bett gefesselt. Wer schrie oder weinte, dem setzt man ein Messer an die Brust und drohte, ihn zu töten, wenn er nicht ruhig sei. „Es gab nur zwei Möglichkeiten“, erzählt Manuel Schoch, „entweder Auflehnung, doch dabei hattest du keine Chance, du wurdest vernichtet. Oder Vertrauen. Totales Vertrauen in etwas anderes.“ Diese traumatischen Ereignisse brachten den hellfühligen und hellsichtigen Jungen dazu, immer wieder aus dem Körper zu gehen. Heute sagt er, auch mit Blick auf das Schicksal seiner Adoptivtochter, die bei einem Sexualdelikt ermordet wurde: „Das sind sehr heftige Erfahrungen, die du nie vergisst. Aber sogar solche schrecklichen Dinge haben eine unpersönliche Komponente; sie haben sich immer schon ereignet und es gibt unzählige derart Betroffene. Nach dem ersten Schmerz musst du einen Weg finden, wie du wieder zu Stille kommst, indem du zu sehen lernst, dass du nichts tun kannst – ausser natürlich zu hoffen, dass so etwas nie wieder passiert und in Zukunft vermieden werden kann.“ Seit einem Nahtodeserlebnis im Alter von drei Jahren sind Manuel Schochs Wahrnehmungsfähigkeiten noch mehr intensiviert. Im Alter von sechs Jahren wurde er adoptiert. Mit sieben sah er ein ertrinkendes Mädchen sich aus ihrem Körper lösen. Auf ihn zukommend hörte er sie sagen: „Hilf mir!“, und dem irritierten Arzt versuchte er zu erklären, dass es keinen Sinn hätte, das Mädchen zu reanimieren. Mit acht verblüffte er seine Mitmenschen, weil er viele Dinge voraussagen konnte, zum Beispiel, wer als nächstes zur Tür 3 hereinkommen oder anrufen würde. „Solche Dinge kann man auch lernen, man darf nur nicht von einer hundertprozentigen Erfolgsgarantie ausgehen“, sagt er heute dazu. „Du kannst nur in den Fluss springen und sehen, was kommt.“ Nicht revolutionär. Radikal Manuel Schoch ist kein Revolutionär, obwohl er mit vielen seiner Ansichten mehr als quer in der medizinischen, psychologischen, therapeutischen – und auch in der politischen – Landschaft liegt. Seine Erkenntisse und Aussagen sind auch nicht fundamental neu. Und doch machen sie hellhörig in ihrer Klarheit, Direktheit und Glaubwürdigkeit. Er zeigt, dass es immer auch eine andere Möglichkeit gibt. Auch angesichts seiner persönlichen Geschichte ist es für ihn völlig klar: „Die ersten sechs Jahre meiner Kindheit waren die reinste Hölle. Aber – ich bin mir nicht sicher, ob ich ohne die Erfahrungen meiner Kindheit im Leben dorthin gekommen wäre, wo ich heute bin. Ich bin mir zudem nicht sicher, ob ein Lebensumfeld von Schutz und Vertrauen tatsächlich die einzige sichere Grundlage ist, um spirituell aufzublühen. Solche Lebensumstände mögen recht angenehm sein, doch mit der Frage, wie spirituell man dabei wird, haben sie nichts zu tun. Es ist höchste Zeit, sich von der Haltung zu verabschieden, wir müssten zuerst Liebe bekommen, um später selber Liebe geben zu können. Die Atmosphäre der Qualitäten ist stets mit uns, ständig steht sie uns zur Verfügung. Doch solange wir glauben, die Liebe müsse uns zuerst von aussen begegnen, damit wir später selber lieben können, werden wir dauernd auf die Schwächen anderer Leute schauen, statt deren Qualitäten zu schätzen. Kein Wunder, wird es unter diesen Vorgaben schwierig, zu den eigenen Qualitäten zu finden. Da braucht es eine radikale Kehrtwende.“ „Dein eigenes Fundament darfst du nie aufgeben, was auch immer komme und was auch immer andere über dich und zu dir sagen“, betont Manuel. Das hat er selbst auch so gehandhabt. Dazu passt, dass er von sich sagt, keine ‚Lehrer’ gehabt zu haben. „Mein Lehrer war und ist das Leben.“ Drei Namen fallen doch: Osho – „Während seiner besten Jahre, der authentischste Mensch, dem ich begegnet bin“; Krishnamurti – „Er lehrte mich die Sprache richtig zu gebrauchen“; Bob Moore, ein irischer Auraseher – „Er half mir, meine Fähigkeiten zur Blüte zu bringen“. Schmunzelnd sagt er, ohne jemanden besonders anzusprechen: „Man kann erleuchtet und trotzdem ein Machtmensch sein.“ Was bedeutet Erleuchtung, dieses Modewort? „Erleuchtung ist die Abwesenheit des abstrakten Ich“, definiert Manuel Schoch. Viele weiter gehende Gedanken zu Funktionsweisen und tieferen Erklärungen verschiedener Phänomene macht sich Manuel Schoch nicht. Er scheut sich auch nicht, immer mal wieder mit den Schultern zu zucken und zu bekennen, dass es sinnlos sei, Unfassbares fassen zu wollen, weil dies unmöglich sei. Für ihn steht fest: „Jedes Problem ist mit Stille lösbar.“ Finden statt suchen Manuel Schoch sucht nicht, er findet. Wie das geht? Aufhören zu suchen. So einfach ist das. Einfach? Mit Manuel Schoch ist alles einfach. Sogar die Lebensgeschichte eines ganz und gar 4 nicht einfachen Lebens. Das ist ein wichtiges Prinzip seiner Haltung: „Alles, was im Leben eines Menschen geschieht, hat nicht mit Geschichte, Erlebnissen oder Ereignissen zu tun, sondern mit der Grundstruktur. Jeder Mensch hat eine eigene Grundstruktur.“ „Und“, frage ich gespannt, „kann ich meine Grundstruktur verändern?“ „Nein. Aber du kannst deine Art verändern, wie du sie betrachtest. Eine Standpunkt-Veränderung verändert dein Erleben, dein Wahrnehmen des Lebens und der Welt.“ Irgendwie ist das erleichternd. Es besteht also Aussicht auf Besserung, Veränderung, Heilung. Andererseits – wem schiebe ich nun die Schuld zu, wenn die Eltern nicht verantwortlich sind für meine Unzulänglichkeitsgefühle, die Lehrer nicht mehr ausschlaggebend für meine Versagensängste, die Rekrutenschule nichts kann für meinen krummen Rücken, die Tabakindustrie nicht verantwortlich für meine Raucherlunge? Ich werde nachdenklich. „Denken hat keinen Sinn“, sagt Manuel Schoch in meine Gedanken hinein. „Man kann das Denken nicht mit dem Denken auflösen.“ Kommt mir irgendwie bekannt vor. Emma Kunz hat auch so etwas gesagt, die grosse Schweizer Heilerin des letzten Jahrhunderts: Die Bereiche des Unbekannten könnten nicht mit dem Instrumentarium des Verstandes angesprochen werden. Was das Leben und die Welt angeht, besteht der grösste Teil aus diesem Unbekannten. Was kann ich tun? frage ich schliesslich, endgültig in die Enge getrieben. „Stille“, rät Manuel Schoch. „In der Stille kann das Wunder geschehen.“ ‚Aus dem Körper gehen’ Für Diagnose und Heilung praktiziert Manuel Schoch einen Vorgang, den er ‚aus dem Körper gehen’ nennt. Ich versuche mir das vorzustellen. Da sitzt Manuel mit seinem Körper und fünf Meter weiter schwebt sein Geist und beobachtet oder nimmt eine Heilbehandlung vor. Der Körper von Manuel ist dabei nicht bewusstlos oder in Trance. Er sitzt hellwach im Sessel. Seine Technik bezeichnet er als ‚ausserkörperliches Heilen’. Er erklärt, dass feinstoffliche Schwingungen viel effizienter seien, als wenn er mit seiner Hand den Körper der Klientin direkt berühre. „Je weiter ich von meinem Körper entfernt bin, desto höher ist die Energiefrequenz und diese ist es, die heilt.“ Er ist davon überzeugt, dass die meisten Menschen mit Übung dazu fähig sind und lehrt das auch an Kursen und Seminaren. Man kann es als einen veränderten Bewusstseinszustand bezeichnen, als grundsätzliche Standpunkt-Veränderung. „Über das Denken schaust du durch einen engen Raster auf ein Problem“, erläutert er, „wenn du deinen Standpunkt veränderst, hast du einen grösseren Überblick. Betrachte eine Ameise und einen Menschen. Für den Menschen sind zehn Meter eine kurze Distanz, für die Ameise eine längere Strecke. Der Meter bleibt sich gleich, aber der Blickwinkel, die Art darauf zu schauen, ist unterschiedlich bei den beiden.“ Beispiele aus der Praxis Obwohl er sich selbst nicht als Heiler bezeichnet, heilt Manuel Schoch in mannigfaltiger Form. Atemberaubend ist es, zuzuhören, wenn er in direkten und einfachen Worten von seinen Sitzungen erzählt. „Einmal kam eine Frau zu mir. Ich sah, dass ihr linkes Auge krank war, etwas, wovon sie gar nichts spürte. Das kam von einem Tumor im Ohr, den ich bei 5 dieser Gelegenheit heilen konnte.“ Wunderheilung! Wunderheilung? Manuel Schoch bejaht wieder: „Das Dumme ist, es funktioniert nicht immer und bei allen.“ Ein anderer Fall. Ein Mann kommt zu Manuel weil er Probleme in der Ehe hat. Dieser ‚sieht’ einen weit fortgeschrittenen Tumor. Er muss sich entscheiden, was er dem Mann sagt. Ob er überhaupt etwas sagt. Ein weiterer Fall. Eine Frau ist im sechsten Monat schwanger. Manuel Schoch diagnostiziert Hautkrebs. „Das war eine sehr schwierige Situation für mich“, erklärt er. „Ich konnte und wollte ihr in ihrem Zustand nicht sagen, gehen Sie in eine Kontrolle, Sie haben Krebs. Ich sagte ihr, dass man sich in ihrem Alter regelmässig untersuchen lassen sollte.“ Wenn ich mir diese Situationen vor Augen halte, wird mir schwindlig. Eine WahnsinnsVerantwortung! Manuel winkt ab. „Für mich ist das kein Problem. Ich weiss, dass ich mich auch irren kann, und deshalb schicke ich diese Menschen immer ins Spital oder zum Arzt zur Abklärung.“ Auch sich selbst hat der Heiler – obwohl er betont, es gäbe effizientere Methoden als seine – schon geheilt. Von Hautkrebs. „Ich erhielt damals vom Arzt eine Salbe, die den Krebs abtöten sollte. Diese Salbe hätte ich nur mit Handschuhen auf meine Haut auftragen dürfen, so ätzend war sie. Da dachte ich, das kann es nicht sein, und verzichtete auf deren Verwendung. Ich ging aus meinem Körper und heilte den Krebs energetisch.“ Manuel Schoch ist mit seinem Ansatz erfolgreich. Erfahrene Schulmediziner auf dem Platz Zürich holen Rat bei ihm und schicken Klientinnen, bei denen sie nicht mehr weiterkommen zu ihm. Wer heute einen Termin für eine Einzelsitzung bei ihm hat, wartete zuvor rund eineinhalb Jahre. Im Prinzip führt er auch keine Therapien durch: „Mein Job ist die Diagnose.“ Anschliessend schickt er die Menschen zum Arzt oder in das von ihm gegründete tune in Institut, wo von ihm ausgebildete Therapeuten mit dem Klienten arbeiten. Und natürlich springt er bei Notfällen ein. Wenn Manuel Schoch spricht, ist er vollkommen wach. Nur selten verändert er seine Position in dem grossen, weissen Sessel, aber mit den Armen und Händen sagt er viel. Seine leise vorgetragenen Sätze in leicht abgeschliffenem Berndeutsch sind fliessend, klar, oft schon beinahe druckreif. Nicht nur fast – in seinen Publikationen finde ich sie beim späteren Nachlesen immer wieder. Manchmal aufs Wort so, wie er sie mir gegenüber formuliert hat. Je länger er spricht, desto schwieriger wird es für mich, Fragen zu stellen, nachzuhaken. Ich brauche nur ein Stichwort zu nennen, und schon spricht es. Es gibt so viel, was dieser Mann zu sagen hat. Wir kommen noch einmal auf das Thema ‚Heilen’ zu sprechen. Manuel erzählt, dass in Englands Spitälern überall Listen von Heilern aushängen, welche Patienten und Angehörige kontaktieren können und die auch in die Spitäler kommen, um zu praktizieren. Dieser offenere Umgang beugt Missverständnissen und Scharlatanerie vor, denn Heiler, die im gleissenden Licht des Spitals und womöglich der Öffentlichkeit arbeiten, sind besser kontrollierbar. Allerdings stellt Manuel ganz allgemein eine Überforderung bei Heilern und Klienten fest: „Mit einigen spektakulären Fällen, womöglich noch im Fernsehen, werden Erwartungen geschaffen, die nie der Wirklichkeit entsprechen“, warnt er. 6 Nach dieser ersten Begegnung überfliege ich zu Hause meine Notizen. Dabei komme ich mir vor wie ein kleines Kind mit einem Franz Carl Weber-Katalog auf den Knien, drei Wochen vor Weihnachten. So viel Wichtiges. So viel Interessantes. Und so viele Fragen. Unproblematische Schnittstelle zur Schulmedizin Manuel Schoch betont, dass er mit der Schulmedizin absolut keine Probleme habe, weder ideologische noch fachliche. Er schickt seine Klienten oft zum Arzt oder ins Spital. Manchmal mit seiner Diagnose, manchmal ohne. Die Zusammenarbeit mit Ärzten ist eingespielt, gegenseitiger Respekt und Achtung füreinander seien in hohem Masse vorhanden. So hat er auch schon mit Dr. Roman Lietha zusammengearbeitet, den ich in der Folge aufsuche. Auf den Austausch mit dem Heiler angesprochen, meint der Arzt: „So umfassend ist die Zusammenarbeit mit Manuel Schoch gar nicht. Mehr als einige Fälle haben wir im Laufe der letzten Jahre nicht ausgetauscht.“ Er fügt an, dass Manuel Schoch „es wohl gar nicht nötig hat, sich seine Diagnosen von anderen rückbestätigen zu lassen.“ Und die Fälle, bei denen Manuel nichts finde, seien sehr selten. Dann erzählt er doch von dem einen oder anderen Beispiel. Von einer Frau zum Beispiel, bei der Manuel Schoch ein ‚Virusproblem’ diagnostizierte, ohne Genaueres sagen zu können. Auch viele schulmedizinische Abklärungen und Untersuchungen ergaben nichts Brauchbares. Und doch waren die Beschwerden da. „Schau du mal“, bat Manuel Schoch seinen Kollegen, und dieser fand mit einer Reihe von Tests im Bluteiweiss heraus, dass die Auswirkungen einer alten, längst überwundenen Krankheit noch immer im Körper der Frau vorhanden waren und die Beschwerden verursachten. In diesem Moment betritt Roman Liethas Frau Irène den Raum. Auch sie kennt Manuel Schoch persönlich, ein Aura-Reading bei ihm hat sie sehr beeindruckt: „Er verfügt über mehrere Begabungen, mit denen er arbeiten kann. Er interpretiert nicht, er gibt den Menschen den Anstoss, dass sie selbst auf das kommen, was sie betrifft. Er ist sehr vorsichtig in dem, was er sagt.“ „Aber auch sehr direkt“, unterbricht ihr Mann sie, „erinnerst du dich, einmal waren wir zusammen und ich habe dir etwas erklärt. Da hat Manuel gesagt, du kannst aufhören, sie hört dir gar nicht zu. Ich hab das nicht bemerkt, dein Gesicht war mir aufmerksam zugewendet.“ „Ja“, sagt seine Frau, „aber er hatte recht, ich hatte dir wirklich nicht zugehört. Manuel sieht so etwas einfach.“ Manuels Klarheit gefällt Frau Lietha, gleichzeitig versteht sie Leute, die mit ihm nichts anfangen können, weil er ihnen zu direkt, zu klar ist: „Man muss mit dem umgehen können, was man bei ihm erfährt, denn manchmal sind es doch heftige Dinge“, sagt sie. Und fügt bei: „das Wichtigste aus meiner Sicht ist, dass er die Menschen wirklich mag. Ja, er liebt Menschen.“ Ihr Mann erwähnt noch die realistische Seite Manuel Schochs, die ihm besonders gefalle: „Bei ihm habe ich nie den Eindruck, in entfernte Welten gezogen zu werden oder ins Uferlose. Er bleibt im überschaubaren Rahmen.“ Roman Lietha betont, dass er Menschen 7 vertraue, die über eine gewisse strukturierte Art und Weise verfügten.“ Seine Anschauung deckt sich in diesem Punkt durchaus mit derjenigen von Manuel Schoch: „Ich glaube an gelenkte, geordnete Zufälle.“ Aura-Reading bei Manuel Schoch Ein halbes Jahr später kann ich das Vorgehen von Manuel Schocham eigenen Leib oder besser gesagt an der eigenen Aura erfahren. Ich besuche ein Aura-Reading in den Räumlichkeiten des tune in Instituts in Zürich. Weiss und mattes Beige herrschen vor, die Böden sind mit Schall schluckenden Teppichen belegt. Vor einer leicht rund gebogenen weissen Wand steht ein Stuhl, diesem in einiger Entfernung gegenüber steht der weisse Sessel von Manuel. Zu beiden Seiten je drei weitere Stühle, auf denen die Teilnehmer des Aura-Readings Platz nehmen. Dahinter sind noch zwei Stühle für Manuels Mitarbeiter, die das Aura-Reading begleiten, aufgestellt. Manuel Schoch begrüsst und stellt klar, dass es sich bei diesem Aura-Reading um eine Diagnose handle, nicht um eine Therapie, welche andere Methoden, Verfahren oder einen Arztbesuch ersetze: „Ich sage, was ich in euerem Energiefeld sehe, und ihr seid verantwortlich dafür, was ihr mit dem Gesagten beginnt. Vergesst nicht, ich sage nur, was ich sehe! Wenn ihr an der Reihe seid, nennt ihr euren Namen, das Alter und welches Problem ihr mitbringt. Die anderen konzentrieren sich auf die Person, die vorne sitzt, und nicht auf mich. So, wer mag als erste?“ Zögern. Wir schauen uns an, ein bisschen wie in der Schule. Leichte Nervosität. Wer getraut sich als erste? Da erhebt sich meine Nachbarin und setzt sich uns allen gegenüber auf den Stuhl vor der weissen Wand. Manuel konzentriert sich auf die Aura, das Energiefeld der Person ihm gegenüber. Er sieht Ereignisse, inklusive die Zeit von deren Entstehung, Verhaltensmuster, körperliche Schädigungen und sogar solche, die noch keinen spürbaren Ausdruck gefunden haben. In einem knappen Dialog tastet sich der Heiler an die konkreten Themen heran. Er fragt nach Ereignissen und dem, was die Person dabei gefühlt hat – als es geschah oder jetzt, wenn sie daran denkt. Er ist klar, manchmal auch sehr klar in dem, was er sagt; er wirkt gleichzeitig professionell und liebevoll. Manchmal spricht er auch Schmerzhaftes an, immer aber getreu dem Grundsatz seiner ‚Time Therapy’: Heilung geschieht aufgrund der Qualitäten. Dabei betont er, dass das, was wir als Laster, Schwäche oder Nachteil empfinden, eine Qualität, eine Stärke ist, etwas, was uns einzigartig macht. Jetzt bin ich an der Reihe. Ich sitze auf diesem Stuhl da vorne, die Blicke der anderen auf mir. Ich fühle mich aber nicht ausgesetzt, sondern liebevoll angenommen. Manuel führt mich sacht an die Grundthematik meines geäusserten Problems heran, indem Fragen stellt in der Art von: „Wie war das damals mit dreizehn? Wie hast du dich gefühlt? Wie war dein Essverhalten?“ So führt er mich durch Stationen meines Lebens, an denen sich das gleiche Grundmuster zeigte wie bei meinem jetzigen Problem. Sicher nennt er die Zeitpunkte, seien sie vor vierzig Jahren oder vor drei Monaten. Er sagt mir nicht, du hast dieses Problem wegen dem und dem, sondern lässt es mich mit seinen Fragen selbst entdecken, wobei sein Schwergewicht darauf ruht, was ich bei den jeweiligen Situationen gefühlt habe. 8 So betrachtet und beschrieben, gewinne ich einen neuen Standpunkt mir selbst gegenüber. Einen Blickwinkel auf mich, der mir bisher unbekannt war. Einer, der mich entspannt und freut. Ursachen trennen sich von Wirkungen. Erleichterung breitet sich aus. Die Aura ist ... ein offenes Lebens-Buch des Menschen Nach dem Aurareading erklärt mir Manuel Schoch, was er unter der Aura versteht: „Das erste, was man sieht, bevor ein Baby geboren wird, ist eine Energie, die ich Qualitätsaura nenne. Ab dem vierten Schwangerschaftsmonat bildet sich der Ätherkörper. Der Ätherkörper entspringt der Vibration der Körperzellen, ihrer chemisch-magnetischen Abstrahlung und ist eine Form von Licht um den Körper herum (mittels der das geschulte Auge zum Beispiel körperliche Schwächen und mögliche Krankheiten Monate im Voraus entdecken kann.) Nach der Geburt dauert es zwölf Stunden, bis die mentale Aura sich zu bilden beginnt und sie braucht dann ungefähr 28 Jahre, um sich vollständig zu entwickeln. Die mentale Aura ergibt sich aus der Bewegung der Gehirnzellen, der Gehirnprozesse und Gehirnwellen. Zwischen dem Ätherkörper und der Mentalaura gibt es ein Energiefeld, welches die mentale Struktur spiegelt und das ich Emotionalaura nenne.“ Skizze Manuel hat beobachtet, wie sich die Aurastruktur während des Sterbens verhält: „Die Mentalaura und mit ihr all unsere Gedanken löst sich als erstes auf. Als nächstes verschwindet die emotionale Aura. Der Ätherkörper folgt darauf mit einer Bewegung von den Füssen aufwärts nach oben. Was bleibt ist die Qualitätsaura, die Atmosphäre der Seele. Diese unsterbliche Qualitätsaura ist Bewusstsein, Potenzial und Zukunft. Sie ist unsere grösste Heilungsmöglichkeit. Wenn wir mit ihr in Kontakt sind durch einfache Aufmerksamkeit, durchfliesst sie unsere gesamte Aurastruktur. Auch die bedauernswürdigsten und gewalttätigsten Handlungen können die Qualitätsaura nie zerstören oder vermindern.“ „Aurafarben sind eine phosphoreszierende Pulsation verschiedener Farben, die kommen und gehen und ganz anders sind als unsere ‚Normalfarben’. Es braucht Jahre des Trainings, um zu lernen, diese Vibrationen zu interpretieren. Wir sind alle so besetzt von Gesichtern, Körpern, Kleidern und Frisuren, dass wir dem Raum um den Körper herum, da, wo man die Aura wahrnimmt, keine Beachtung schenken. Ausserdem kann man die Aura ja nicht nur sehen, sie wird auch gefühlt, gehört, mit unterschiedlichen Sinnen erfahren. Die meisten Missverständnisse in Bezug auf die Aura entstehen aus der Tatsache, dass sie nicht für jeden Menschen allgemeingültig verstanden werden kann. Jede Person hat ihren eigenen Code. Wo jemand beispielsweise Braun sieht, sieht ein anderer Grün. Die Kunst es richtig zu interpretieren.“ Manuel Schoch hat seine angeborene Fähigkeit, die Aura zu sehen, als Auraleser bis zur Meisterschaft entwickelt. Er relativiert dies allerdings mit der Aussage, dass hervorragende Auraseher eine Erfolgsquote von etwa 70 % verbuchen. Mehr liege nicht drin. Er glaubt, dass es für uns hilfreich ist, unsere eigene Aurastruktur zu kennen. Unser Potenzial, unsere Erinnerungen, unsere Lebensgeschichte, unsere Gedanken und all unsere psychischen Muster existieren in unserer Aura. 9 Aus der Aura bezieht Manuel Schoch also die Informationen für seine Diagnosen. Unglaublich ist die Vorstellung, der Mann, der da vor mir sitzt, sehe in den Menschen kranke Nieren, verengte Blutgefässe, den Krebs in der Leber. Ist das so? Manuel Schoch bejaht: „Die Aura ist ein elektromagnetisches Feld und darin sind die Ausstrahlungen aller Zellen sichtbar. Auch kranke Organe sind in der Aura sichtbar.“ Art und Aufbau der Aura, so wie er sie sieht, hat Manuel Schoch zu seinem Konzept der Time Therapy gebracht, die er ‚Heilung aus der Qualität’ nennt. Qualitätsaura – Qualität – Lebensqualität. Begründer der Time Therapy Manuel definiert für mich die von ihm begründete Time Therapy in einem längeren, sehr aufschlussreichen Vortrag: „Time Therapy durchbricht unsere Identifikation mit dem Ursache-Wirkungs-Denken und arbeitet mit unserem Potenzial. Jeder Mensch hat eine Qualitätsaura und jeder Mensch hat seine Schwächen. Die Schwächen sind aber immer das Symptom nicht gelebter Qualitäten. In der Time Therapy arbeiten wir mit den Qualitäten und nicht mit den Schwächen oder mit dem, was in der Vergangenheit geschehen ist. Die psychische Grundangst, nicht geliebt zu werden und Liebe nicht leben zu können, ändert sich nicht durch das Verständnis der Vergangenheit. Sie ist zutiefst menschlich und kann sich nur durch Trauer transfomieren. Menschliche Probleme können nicht verstanden werden; Analyse ist der Prozess, Probleme auf die Zeit und die persönliche Geschichte zu reduzieren. Wirkliches Verständnis kommt nicht aus Wissen oder Erfahrung; es kommt aus der Stille. Diese Stille können wir in der Meditation erfahren. Gute Therapeuten haben die Fähigkeit, mit jemandem zu reden und gleichzeitig dauernd in Stille zu sein. Dies ermöglicht den Zugang zu unseren Qualitäten. In der von mir praktizierten und gelehrten ‚modernen Meditation’ erreichen wir die Stille, indem wir uns auf die Zwischenräume konzentrieren. Nimm ein geschriebenes Wort und, anstatt dich auf die Buchstaben oder auf den Inhalt zu konzentrieren, lenkst du deine Aufmerksamkeit auf die Zwischenräume zwischen den einzelnen Buchstaben. Dort ist es leer, dort kommst du in die Stille.“ Als wichtiges Ziel seiner Arbeit, seiner Therapie formuliert Manuel Schoch zwei herausfordernde Fragen: „Wie können wir den Zugang zu unserem Potenzial öffnen? Und wie kann uns dies helfen, die Qualität unseres Alltagslebens real zu verbessern?“ Vom Wesen der Rose An der Universität Zürich spricht Manuel Schoch regelmässig vor Professoren und Studenten in einer Reihe von Fortbildungs-Veranstaltungen, die unter dem Namen ‚Wissen und Weisheit’ laufen. „Inzwischen bin ich der einzige Nicht-Akademiker“, kommentiert er. „Früher war das anders. Da kann man sehen, welchen Stellenwert Weisheit an der Uni hat ...“ 10 Dieses Jahr heisst Manuels Thema: Die drei Realitäten der Selbsterkenntnis. Weil die Universitätsgebäude gerade umgebaut werden, findet die Veranstaltung im noblen Hotel Zürichberg statt. Sechzig Personen im Alter zwischen 30 und 70 Jahren sind gekommen. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden dieser hoch dotierten Veranstaltungsreihe verfügt über einen Studienabschluss (Uni oder ETH). Die Moderatorin stellt Manuel Schoch als ‚Leiter des tune in Instituts und Experten in erweiterten Bewusstseins- und Trancezuständen’ vor. Manuel steht auf. Er nimmt eine weisse Rose aus der Vase auf dem Tisch neben sich und hält sie in die Luft: „Diese Rose kann man als Symbol für den Menschen nehmen. Der Stengel steht für das ‚biologische Ich’, den Körper. Ihn brauchen wir, um zu überleben. Die leuchtende Blüte zeigt das, was ich das ‚abstrakte Ich’ nenne. Es besteht aus unserem Verstand, unserer Lebensgeschichte, unserem Wissen, unserem Glaubenssystem und den Ideologien. Das abstrakte Ich hat die Neigung, Modelle ins Leben zu rufen.“ Manuel redet mit den Händen, mit der Rose, mit seinem Körper. Er spricht leise, konzentriert und in Mundart. Einige Zwischenrufe, er solle lauter sprechen, ignoriert er. Jetzt riecht er an der Rose. „Dann existiert da noch etwas. Etwas was wir nicht sehen und nicht anfassen können: Der Duft. Diesen unsichtbaren Teil der Rose nenne ich das ‚soziale Ich’. Am vertrautesten dürfte für uns das ‚biologische Ich’ sein, unser Körper. Ihn nehmen wir am ehesten bewusst zur Kenntnis – etwa wenn etwas schmerzt, wenn wir krank sind oder ein Organ versagt oder einfach wenn wir Hunger haben. Das ‚abstrakte Ich’ entzieht sich gerne unserer bewussten Wahrnehmung, weil wir uns damit identifizieren. Das Problem damit ist, dass wir meinen, wir seien unser Verstand, unsere Lebensgeschichte, unsere Glaubenssätze und Verhaltensmuster. Das ‚abstrakte Ich’ lebt von dieser Identifizierung. Identifikation ist der energetische Prozess der Abgrenzung. In der Abgrenzung aber fühlen wir uns unbehaglich, die Verbindung fehlt. Aus diesem Grund versucht das ‚abstrakte Ich’, die anderen um sich herum gleich zu machen, das gibt eine Art Scheinverbindung. Die einzige Möglichkeit, klar zu sehen, ist aber, die Identifizierung mit dem ‚abstrakten Ich’ aufzugeben.“ Manuel hat einige Zettel mit Begriffen vorbereitet, die er an den Flip Chart heftet, was sofort Protestrufe zur Folge hat, man könne das Geschriebene nicht lesen, weil es zu klein sei. Ein Uni-Mitarbeiter macht sich daran, die Begriffe auf den Hellraumprojektor zu übertragen. Manuel Schoch spricht weiter. Ungerührt. „Woran erkennt man nun das ‚soziale Ich’? Wie erkenne ich das Unsichtbare? Wie finde ich heraus, dass da noch mehr ist als das ‚biologische Ich’ und das ‚abstrakte Ich’? Dass da noch mehr ist als unser Tagesbewusstsein?“ Er erwähnt neueste Hirnforschungs-Studien der Universität Bristol, die diesem unsichtbaren, aber doch vorhandenen Phänomen des Menschen auf der Spur sind. Er selbst hat eine Eigenschaft ausgemacht, an der das ‚soziale Ich’ – Nomen est Omen – zu erkennen ist: „Es wird dann aktiv, wenn Menschen in Beziehung treten. Es ist die Fähigkeit, sich in andere einzufühlen. Beim Mitfühlen geht der Einfluss des ‚abstrakten Ich’ zurück und das ‚soziale Ich’ tritt hervor.“ Der Referent erklärt, dass wir Menschen, welche über ein hoch entwickeltes ‚soziales Ich’ verfügen, als ‚charismatisch’ bezeichnen. Wir sind elektrisiert, spüren, dass ein solcher Mensch ‚etwas Besonderes’ ausstrahlt. 11 Vom Unsichtbaren, und wo man es sieht „Gehen sie einmal in die Aufnahmestation eines Spitals,“ schlägt Manuel Schoch den Anwesenden vor. „Ich habe das kürzlich getan. Gehen sie dorthin, wo die wirklich schlimmen Fälle eingeliefert werden. In solchen Situationen wird sofort das ‚soziale Ich’ aktiviert – wir sind hilflos. Unser Alltag wird unwichtig, wir geraten in grösste Unsicherheit, all die Modelle unseres ‚abstrakten Ichs’ werden ausser Kraft gesetzt. Wenn wir solchen Situationen gegenüberstehen, sind wir betroffen! „Eine Ausnahme bildet allerdings das Fernsehen“, schränkt er dann ein. „Dort sind wir täglich Zeugen der schlimmsten Dinge, aber sie berühren uns nicht. Der Grund ist, dass das Fernsehen unser ‚abstraktes Ich’ aktiviert, welches uns Sicherheit suggeriert.“ Muss es im eigenen Interesse, denke ich, sonst würden den TV-Anstalten alle Zuschauer weglaufen oder die Welt wäre tatsächlich besser ... Dann versucht Manuel mit einem aktuellen Beispiel, etwas frischen Wind in die feine Stube des Hotels ‚Zürichberg’ zu bringen, in der sich die Atmosphäre eher frostig anfühlt: „Wenn wir die Abstimmungsresultate über die erleichterte Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation betrachten, sehen wir, wie das funktioniert: Sobald die Unsicherheit wirksam wird (‚fremde Menschen’, ‚Fremdbestimmung’, ‚was kommt da auf uns zu?’), tritt sofort das ‚abstrakte Ich’ auf den Plan und wir wählen die – vermeintliche – Sicherheit. Das ‚abstrakte Ich’ glaubt, das Leben hänge davon ab, Schweizer zu sein, in einem Land zu leben, das über keine Ausländerquote von x Prozent oder mehr verfügt, Christ zu sein, Wohlstand zu haben und anderes mehr. Es meint, wenn das nicht mehr sei, sei alles vorbei. Aber es gibt nichts Idiotischeres, als für ein Glaubenssystem zu kämpfen und womöglich zu sterben“, sagt Manuel Schoch dezidiert. „Glaubenssysteme sind meist Wörter mit einem –ism (im Englischen) am Schluss. Es ist idiotisch, darum zu kämpfen, weil alle Menschen ja dasselbe, dieses Eine wollen: in Beziehung sein. Jeder will geliebt werden. Das ‚soziale Ich’ weiss im Unterschied zum ‚abstrakten Ich’, dass es keinen Unterscheid zwischen mir und einem Moslem gibt. Wir sind beide Teil des Ganzen.“ Für Manuel Schoch ist das Erkennen des ‚sozialen Ich’ entscheidend für die Zukunft der Menschheit überhaupt. „Das soziale Ich ist nicht manipulierbar und kann mit herkömmlichen Mitteln wie Psychologie, Selbsterkenntnisprozessen und Ähnlichem nicht erreicht werden. Der Zugang zum ‚sozialen Ich’ heisst ‚Angst’. Es geht darum zu lernen, stets in Unsicherheit zu sein. Zu Staunen anstatt zu wissen. Vom Bekannten ins Unbekannte zu gehen.“ Das war viel, denke ich. Manuel erläutert noch, wie einfach es ist (wäre), das ‚soziale Ich’ zu leben, weil es in jedem Menschen vorhanden ist. Und er skizziert, wie eine Welt aussehen könnte, die von Verantwortung, Beziehung und Liebe geprägt wäre. Wie das feine Nebelchen eines frühen Frühlingsmorgens steht für einen Moment eine Vision im Raum. Dann, in der Zeit des Flügelschlags eines Schmetterlings, löst sie sich auf. Nicht auf Nimmerwiedersehen. Ins Unsichtbare, Formlose. Einen Hauch von Leere erfahren 12 Anschliessend an seinen Vortrag gibt es eine Pause mit Kaffee und Gipfeli und danach führt Manuel die Anwesenden in 25 Minuten durch einige Elemente seiner modernen Meditation. Dann beantwortet er Fragen. „Ich versuche noch etwas zu verstehen“, beginnt eine Frau. „Ich auch“, sagt Manuel Schoch. Am Ende spreche ich den Referenten auf seinen Vortrag an, frage ihn nach seiner Wahrnehmung des Anlasses. „Leider entspricht er nicht mehr unserer ursprünglichen Idee, welche im Rahmen von ‚Wissenschaft und Weisheit’ Wissenschaftler und Leute aus der praktischen Szene zusammenbringen wollte. Heute sitzen nur noch Akademiker darin. Dann fällt mir an diesen Veranstaltungen auf, dass es vielen offenbar nicht darum geht, etwas Neues zu erfahren, zu lernen, sondern darum, ihr eigenes Wissen zu verbreiten. Die Universität ist der schwierigste Ort, den ich kenne, um zu sprechen.“ „Warum?“ „Mir scheint, da gibt es immer sehr viel intellektuellen Widerstand. Man hat ein Konzept und weigert sich innerlich, auf eine andere Erfahrungsebene zu gehen.“ Nach einer ähnlichen Veranstaltung hat Manuel eine Reaktion per E-Mail bekommen: „Gute Ideen gehen an die Universität, um dort zu sterben.“ Moderne Meditation Nachdem ich von Manuel soviel über seinen Ansatz ‚Moderne Meditation‘ gehört habe, will ich diese selbst erleben und melde mich für ein Wochenende im tune in Institut in Zürich an. Ein schmuckloser weisser Industriebau unmittelbar an der Stadtgrenze von Zürich. Über die nahe Seestrasse rauscht der Verkehr vorbei. Auf dem See schaukeln Segelboote. ‚Tune-in’ steht auf einem dezenten Schild an der Hausecke. Ich folge den Schildern ‚Meditationsraum’ ums Haus herum. Im kahlen, fabrikmässigen Eingangsbereich deponiere ich meinen Schirm, im ersten Stock lasse ich die Schuhe bei zahlreichen anderen Schuhen und im zweiten hänge ich den Mantel zu anderen Mänteln. Im Meditationsraum die erste Überraschung: Keine Kissen in esoterischem Kreis, sondern Stühle, wie in einem Vortragssaal angeordnet. Im Raum sitzen und stehen schwatzende Menschen. Viele scheinen sich zu kennen, begrüssen sich aufgeräumt, umarmen sich. Manuel Schoch ist unter ihnen. Manuel Schoch: „So erlebe ich die moderne Meditation“ Manuel Schoch schildert mir später, wie er diese Gruppenmeditationen als ‚Leitender’ erlebt: „Ich sitze der Gruppe gegenüber und versetze mich in denselben Zustand wie sie, gehe in diesen Zwischenraum, den ‚Space’, einfach ohne die Augen zu schliessen. Aber ich fixiere nichts Besonderes. Das gilt übrigens auch fürs Aurasehen, da blickst du auch in den Zwischenraum, du darfst nicht objektbezogen schauen. Also, ich tue zwei Dinge: Ich versuche, in einem meditativen Zustand zu bleiben und ich beobachte die Gruppen-Energie, die ich dann, wenn nötig, auch ‚führe’. Gleichzeitig achte ich stets auf das Haupt-Prinzip der ‚modernen Meditation’. Ich beobachte die drei ‚Ich’s des Menschen: Das ‚biologische Ich’, den Körper, das ‚abstrakte Ich’, den Verstand, das ‚soziale Ich’, die Beziehung zur Gruppe. Den Körper zu beobachten 13 ist relativ einfach. Da tut sich ständig etwas, dieser wird ein bisschen schwächer, jene werden schlaffer, andere spannen sich etwas an; das ist aber unwichtig. Beim Verstand, da gibt es mannigfaltige Aktivitäten zu beobachten, wenn die Leute denken und Bilder sehen und vieles mehr. Das Wichtigste ist aber das ‚soziale Ich’: Wenn eine Anzahl Menschen in etwa dasselbe tun, entsteht nach ungefähr zwanzig Minuten eine ‚Gruppenenergie’. Diese ist manchmal stark, dann flaut sie wieder ab und dann wird sie wieder intensiver. Die Intensität fühle ich anhand der Qualität, welche die Stille hat. Echte Stille ist sehr kraftvoll. Wenn ich spüre, dass sie schwächer wird, sage ich etwas, dann baut sie sich wieder auf. Solange die Gruppenenergie eine gewisse Vibration zeigt, brauche ich nichts zu tun. Dann kann es sein, dass hinten links im Raum eine Unruhe beginnt, welche sofort eine Wirkung auf die gesamte Gruppenenergie zeitigt. Dann warte ich, beobachte, und wenn die ‚Störung’ zu stark wird, sage ich wieder etwas. Mein Job besteht darin, solange wie möglich die Kraft und Dynamik des ‚sozialen Ich’, der Gruppenenergie, aufrechtzuerhalten. Ich achte nur auf die Gruppenenergie. Je mehr es mir selbst gelingt, still zu sein, desto grösser ist die Wirkung auf die Gruppenenergie. Mein Einfluss auf den einzelnen Teilnehmer ist gering, jeder erlebt, was er selbst erlebt. Natürlich ist mein Einfluss auf die Gruppe grösser als jener irgendeines Teilnehmers.“ Gefahr der Abhängigkeit Mein Abschlussgespräch mit Manuel findet im gleichen Raum statt wie das Gespräch zu Beginn unserer Reihe von Interviews. Der Kreis schliesst sich. Die Aussicht über den Zürichsee ist immer noch grossartig und die Wanderer auf dem Bild an der Wand sind immer noch unterwegs. Ich habe Manuel über diese Zeit hinweg in ganz verschiedenen Situationen erlebt und mit anderen Menschen über ihn gesprochen, ihre Reaktionen auf ihn erlebt. Ein starke, charismatische Persönlichkeit wie Manuel Schoch läuft Gefahr, dass die Menschen abhängig von ihm werden. Besonders in Bereichen, wo es um feinstoffliche Phänomene geht, um etwas, was nicht jeder sehen, hören oder anfassen kann. Auf meine Frage diesbezüglich erklärt mir Manuel, dass er sich der Gefahren bewusst sei, die hier lauern. „Abhängigkeit von einem Lehrer, einer Führungspersönlichkeit ist für die Menschen längerfristig ein Hindernis bei der Entfaltung ihres eigenen Potenzials und schlussendlich für den Lehrer auch. Für mich steht das Erleben und Entwickeln des ‚sozialen Ich’ in jedem einzelnen Menschen im Vordergrund. Das geht im Rahmen einer Gruppe besonders gut. Ein übermächtiger Lehrer ist nur hinderlich.“ Manuel Schoch will also keine abhängigen Gefolgsleute. Hat er sie doch, vielleicht wider Willen? Er sagt: „Es gibt Menschen, die mir sagen oder schreiben, dass sich ihr Leben dank mir verändert habe. Es gibt viele Leute, die mir sehr dankbar sind. Es gibt viele Leute, die das Gefühl haben bei mir etwas gefunden zu haben, was sie schon lange suchten – wie lange dieser Zustand andauert weiss man aber nie ... Es gibt viele Leute, die mich auf einem Stück Ihres Weges als Helfer, Führer erleben. Das freut mich.“ Manuel kennt den Unterschied zwischen Dankbarkeit, Anerkennung und Bewunderung. Er weiss, dass Bewunderung sehr schnell in Frustration und Aggression umschlagen kann: „Jemand, der dich bewundert, will auch Dinge von dir, die du nicht geben kannst. Es gibt 14 Lehrer, die sich bewundern lassen, die das selber fördern. Das tue ich nicht, ich reagiere nicht auf Bewunderung. Ich mag Anerkennung, aber ich fürchte Bewunderung.“ Er fügt an, dass alles, was er sehe und sage, nur seine Sicht sei, auf sein Wahrnehmungsvermögen und sein Bewusstsein reduziert – und niemals ‚die Wahrheit’. Der Mann ohne Wurzeln „Das zweite Kriterium für einen übermächtigen Lehrer ist seine Organisation. Und ein Ort, wo die Leute hinpilgern und wo er sich inszeniert. Das gibt es alles bei mir nicht“, fährt Manuel fort. „Ich bin ja an verschiedenen Orten tätig und reise viel herum.“ Damit leitet Manuel jenen Themenkreis ein, den ich gerade ansprechen wollte. „In Zukunft werde ich noch mehr unterwegs sein. Ich werde meine Tätigkeit an der Universität Zürich abbauen und mehr in Amerika sein, wo ich eine Anfrage des ‚Omega-Centers’ in New York erhalten habe. Ich werde dort Trainingskurse leiten.“ „Weshalb bist du so viel unterwegs?“, frage ich. „Ist die Reiserei – Zürich, London, Athen – nicht ermüdend?“ Manuel lacht. Er sitzt ruhig in seinem Sessel, lebendig. Die Dinge entwickeln sich prächtig, sein neuestes Buch ‚Healing from Qualities’ ist soeben in den USA erschienen und fand grossen Anklang an der Vernissage in London. Angebote aus England und Amerika treffen ein. „Das ist ganz einfach“, sagt er. „Ich habe in meinen ersten sechs Schuljahren achtmal den Wohnort gewechselt. Da lernst du, flexibel zu sein.“ Dann wieder etwas ernsthafter: „Ich habe eine Griechin zur Frau, also hat sich der Standort Griechenland aufgebaut. Ich habe 1967 in Oxford studiert, das ist mein Bezug zu England. Time Therapy ist etwas Gutes, das darf sich auch verbreiten! Ich gehe dorthin, wohin man mich ruft, sofern ich Zeit habe.“ Und, sagt er, wenn er viel unterwegs sei, könne sich Routine weniger leicht festsetzen, als wenn er in einer fixen Organisation sitze: „Alles relativiert sich immer wieder, wenn ich von einem anderen Ort zurückkomme. Das ist ein riesiger Vorteil.“ Während unseres Gesprächs scheint dieselbe wunderschöne Sonne aus demselben Himmel wie bei meinem ersten Besuch in Manuel Schochs Wohnung. Es ist Mitte November, der Sonnenstand flach, und jetzt, gegen Ende des Nachmittags wirkt das Licht golden und überhaupt nicht grell, obwohl es mir direkt ins Gesicht scheint. Manuels klare, liebevolle Art zu sprechen passt zur Stimmung. „Ja, Reisen gefällt mir. Mit sechzehn dachte ich, der tollste Job müsse Pfarrer beim Zirkus Knie sein. Ich hab’ mir das ernsthaft überlegt.“ Wir lachen und ich denke, dass er diesem Wunsch wohl recht nahe gekommen ist. „Du kannst dich ja nie richtig einlassen, wenn du so viel unterwegs bist. Leidet die Qualität deiner Arbeit und Beziehungen nicht unter den ständigen Ortswechseln?“ frage ich. „Überhaupt nicht, im Gegenteil!“, lacht Manuel. „Das ist doch toll: Ich komme an einen Ort, gebe mich voll rein und gehe wieder. Mehr kann ich eh nicht, weil danach die Leute damit machen sollen, was ihnen entspricht. Das ist viel toller, als wenn ich dableiben würde, um dafür zu sorgen, dass alle alles verstehen, dass sie es umsetzen und was weiss ich. Und, ich komme ja wieder.“ Manuel erzählt, dass er immer wieder aufgebrochen sei, dass er immer wieder Institutionen gegründet und verlassen hat, wie das ‚Analytische Zentrum’ in Zürich, das ‚HiHo-Kollektiv’, das ‚tune in‘ im Tessin ... Wenn er aus dem Buddhismus etwas habe umsetzen können, dann 15 sei es das Loslassen von materiellen Dingen. „Das Leben ist am einfachsten und lustvollsten, wenn man sich nicht an Dinge klammert. Am wohlsten fühle ich mich dort, wo ich gerade bin, und ich habe überall Freunde, dicke und lange Freundschaften. So viele Freunde, dass ich froh bin, nicht stets alle sehen zu müssen. Ich kann überall leben. Wenn mir die University of Berkely, wo ich 1987 eine Zeitlang Kurse gegeben habe, einen Posten für zwei Millionen im Jahr anbieten würde, müsste ich nicht sehr lange überlegen, was ich tun würde.“ Manuel Schoch ist also nicht auf die von ihm gegründeten Institutionen angewiesen, diese sind aber auf ihn angewiesen. „Im Moment läuft es noch nicht ganz ohne mich“, bestätigt er meine Wahrnehmung, „vor allem das ‚Tune-in’ in Zürich. Aber ich hoffe, dass sich das ändert. Denn es geht ja um die Methode und nicht um meine Person.“ Er erzählt, dass rund fünfhundert Time-Therapeuten eine entsprechende Ausbildung bei ihm absolviert haben, von denen etwa zweihundert mit dieser Methode arbeiten: „Zu etwa 50 von ihnen würde ich selbst gehen. Aber es gibt wahrscheinlich auch Therapeuten, die ich selbst nicht aufsuchen würde, die aber guten Erfolg haben, besseren vielleicht, als ich selbst“. Und er fügt bei: „Für den Erfolg ist der Therapeut und die Chemie zwischen Therapeut und Patient in erster Linie verantwortlich, nicht die Methode.“ Ich staune über die hohe Zahl von praktizierenden TimeTherapeuten, doch Manuel Schoch relativiert und meint, das sei eine kleine Zahl angesichts des gesamten aktuellen ‚Therapie-Movements’ ... Manuels Vision ... Manuel Schoch hat eine Vision. „Ich möchte den Menschen sagen, dass es möglich ist, glücklich und in Frieden auf dieser Welt zu leben.“ Er fügt bei, dass er es auf seine Weise machen muss, keinen vorfabrizierten Stoff verbreiten kann, sondern von seinen Erfahrungen erzählen will. Frei wie der Vogel, als der er, immer mehr, in der Welt umherzieht. „Am allerliebsten würde ich in der Welt herumreisen und Vorträge sowie Seminare halten.“ Und er fügt noch an: „Früher sagte man solchen Leuten Missionar.“ Wir lachen. „Ich habe einfach Spass daran, mit diesem Themen zu reisen, weil ich davon überzeugt bin, dass es sich um eine gute Sache handelt. Zwingen tue ich niemanden. Sonst müsste ich eine Religion gründen. Und das habe ich nicht im Sinn.“ „Ist die Zeit denn reif für deine Vision?“, frage ich. „Ich bin überzeugt, dass sie sich mehr und mehr durchsetzen wird. Wie ich das menschliche Gehirn kenne, wird das aber noch hundert Jahre dauern.“ Ich spreche ihn auf die gegenwärtige gesellschaftliche und politische Situation an und frage, wie er die Zukunft sehe. Manuel antwortet mit einem Bild aus der Vergangenheit: „Vor zweihundert Jahren lagen Zürich und Greifensee noch im Krieg und man konnte nicht ohne Geleitschutz nach Bern reisen. Heute ist das kein Problem mehr. Diese Entwicklung wird weitergehen. Aber sobald eine Bewegung in Richtung Aktivierung des ‚sozialen Ich’ verläuft, wird sogleich das ‚abstrakte Ich’ aktiviert und Angst produziert. Biologische Angst, psychologische Angst, spirituelle Angst. Das Neue schafft unglaubliche Angst. Aber das Gehirn wird sich entwickeln. Dieser Fortschritt setzt sich fort, das siehst du daran, was unsere Grosseltern alles erlebt haben. Oder dass unsere Kinder Dinge können, die wir in diesem Alter nicht konnten. Diese Multikomplexität im Denken und Handeln ist ungaublich! Das wird sich durchsetzen.“ 16 ... und die aktuellen Probleme dieser Welt Eine Gefahr sieht er in der ‚Ghettoisierung’ der Menschheit: Ghettos von Christen, Moslems, Reichen, Armen, Ghettos und keiner kommt zusammen. Aber irgendwann müssen wir uns dann doch finden, wenn es ums Zusammenleben im Alltag und um globale Herausforderungen geht. „Was geschieht, wenn wir alle Ressourcen auf diesem Planeten aufgebraucht haben?“, frage ich. „Es wird weitergehen. Die Evolution lässt sich nicht stoppen. Vielleicht ohne Menschen, das ist möglich. Das Aussterben des Menschen ist nicht das Schlimmste. Aber die Natur, die Erde wird überleben. Dieses Wachstum ist nicht zu stoppen.“ „Bist du angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen und weltpolitischen Lage optimistisch, was die Zukunft der Menschheit angeht?“ „Ich bin possimistisch. Auf alles Neue reagiert der Mensch mit Angst. Wenn fremde Menschen und Kulturen in unserem Kulturkreis auftauchen, reagieren wir zuerst mit Abwehr. Aber die Vermischung ist unvermeidlich. Spätestens in der dritten und vierten Generation weicht sich alles auf und schliesslich kollabiert das System. So läuft das. Und es gibt immer wieder Verschwindendes und Neues. Das Schicksal der Indianer, der Kurden, der Palästinenser ist im Einzelfall tragisch.“ „Dann ist die zunehmende Verunsicherung und Angst auf der ganzen Welt Vorbote einer kommenden Veränderung?“ „Ja, aber nicht im Sinne einer Weltuntergangsprophezeiung, sondern auf der Basis eines evolutionären Prozesses. Und es wird unglaublich lange dauern.“ Manuel deutet auf seinen Körper. „Der da will stets reflexartig einen Raum schaffen, wo niemand anderer eingreifen kann. Als Nation befinden sich die USA beispielsweise in dieser Situation. Sie haben Angst alles das zu verlieren, was sie als ‚ich’ definieren.“ Und doch mag Manuel nicht nur schwarz malen: „Zur Zeit der Hexenverbrennungen gab es mehr Angst als heute. Und die Armut war damals auch viel schlimmer. Heute glauben aber mehr Leute, sie seien arm und unglücklich, als damals.“ „Markiert diese Angst eine wichtige Schwelle?“ „Ja.“ „Kann diese Schwelle überwunden werden?“ „Das ist von der Entwicklung im Gehirn abhängig. Themen kommen und gehen. Früher hatten wir Könige, welche bestimmten; das ist ausgelaufen, heute haben wir Demokratien; diese werden auslaufen ...“ „ ... weshalb?“ „Demokratie schafft Minderheiten. Unfähige Leute werden von so genannten Mehrheiten an die Spitze gewählt. Uns fehlt die Möglichkeit, ausserhalb des Bekannten ein System zu finden. Eines, das eben nicht autoritär ist wie die Monarchie. Eines, das keine Idioten an der Spitze produziert, wie das die Form von Demokratie tut, die wir heute haben. Wir wissen es nicht, unser Gehirn ist noch nicht weit genug.“ Wir sprechen weiter. Im Moment, wo ich Manuel höre, scheint es mir ein interessantes, spannendes Gespräch zu sein. Beim Niederschreiben des Interviews muss ich seine Worte auf dem Tonband ein-, zwei-, dreimal abhören. Dieses Hören und Schreiben und Nachdenken und Hören gleicht einem Vordringen in ein geheimnisvolles Märchenschloss. Tür um Tür öffne ich, trete in die dahinter liegenden Räume ein, schaue mich um, nehme wahr, was sich darin befindet. Viele dieser Räume sind leer, einige sind angefüllt mit Realem, Bekanntem, andere mit Unbestimmtem, Unbekanntem. Ich verweile nicht und gehe weiter, um mich irgendwann in einem Raum zu finden, der kein Raum ist, nicht leer und nicht voll. Ein ungeheures Gefühl, als sei ich angeschlossen an allem Wissen. Wissen von dem, was war, und Wissen von dem, was sein könnte. Manuel Schoch formuliert es so: „Um aus dem Alten ins Neue zu kommen, 17 musst Du über die Lücke springen, die Leere, den ‚Space’. Und dieser Sprung macht Angst. Deshalb bleibt man beim Alten, auch wenn man weiss, das es nicht mehr befriedigt. Nach meiner Ansicht ist die Überbevölkerung das grösste Problem auf der Erde. Tendenz zunehmend.“ Für einen Moment breitet sich Stille aus und ich spüre, dass ich diese Aussagen noch wirken lassen muss, spüren, was sie mit mir machen. Was ich jetzt schon sehe, ist die ungeheure Dimension des Gesagten. Zum Schluss findet er noch optimistische Töne. „Die Erfahrung zeigt, dass jede zweite oder dritte Generation es geschafft hat, eine Lösung zu finden.“ „Du siehst eine Lösung? Du trägst in dir den Glauben, dass wir eine Ebene erreichen, wo wir diese Probleme lösen können?“ „Ja. Ausser einer jagt die Welt mit einer Atombombe in die Luft. Dann sind wir beim Planeten der Affen.“ Und noch einen letzten Punkt fügt er an: „Bildung. Die Bildung unserer Kinder schafft die Zukunft der Menschheit. Und kaum ein westliches Land setzt seine Prioritäten bei der Bildung. Man sollte alles investieren, was man hat! Lehrer sollten viel mehr verdienen als Banker!“ Manchmal während unserer Gespräche schleicht sich der Gedanke in mein Bewusstsein, Manuel Schoch sei eines jener Sonntagskinder, denen einfach alles gelingt. Das sage ich aber nie zu ihm und gegen den Schluss unseres letzten Interviews beantwortet er die Frage, ohne dass ich sie gestellt habe. „Wenn du offen bist, kommen die Dinge auf dich zu. Wenn sie nicht kommen, ist es noch nicht an der Zeit.“ Ich blicke auf mein Blatt mit den Fragen, die ich mitgebracht habe. Ich meine, alle sind beantwortet. Und sonst ... es ist nicht so wichtig. Die Begegnung mit Manuel Schoch war reich an Einsichten und Erfahrungen. Da kommt es auf ein paar Einzelheiten nicht an. Ich zerknülle die Blätter mit den Fragen und werfe sie in den Papierkorb. Gedankenverloren und leicht tripple ich aus der intensiven und stillen Stimmung bei Manuel Schoch den steilen Treppensteig hinab in die Stadt, in der gerade der Feierabendverkehr erwacht. Ich nehme die Autos wahr, die rauchenden, telefonierenden, in sich versunkenen, redenden Menschen wahr, den brandroten Streifen Abend über dem Üetliberg, die farbigen Lichter, die nach und nach angehen. Und ein Gefühl von Freiheit, tief in mir drin. Manuel Schoch: „Liebe verlangt nichts. Keine Anstrengung. Kein Verstehen. Kein Lernen.“