Hessischer Rundfunk Hörfunk – Bildungsprogramm Redaktion: Christiane Knauf WISSENSWERT Poetry-Slam. Von Poesieschlachten und Dichterwettkämpfen Von Uli Höhmann Sendung: Freitag, 25.05.2007, 8:30 Uhr, hr2 07-041 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. 1 Slamfish: ALLES! Ein Sonntagabend in Düsseldorf. Slamfish: Alles! Alles ist ... Die Poesieschlacht Punkt acht. Slamfish: alles ist, wenn’s ist, ist alles, alles ist Geburt. Auf der Bühne: Slamfish Sushi Slamfish: alles ist Kummer, alles ist Sorgen, alles ist Kummer und Sorgen, alles ist Ehefrau mit Kummer und Sorgen, alles ist Kind mit Ehefrau und Kummer und Sorgen, alles ist noch ein Kinderwunsch! Alles, aber wirklich alles ist nur noch Wunsch des Kindes!!! An jedem dritten Sonntag im Monat gibt es Poetry-Slam im Düsseldorfer Kulturzentrum zakk – einen Wettkampf der Dichter. Jedesmal mit anderen Teilnehmern, aber immer nach den selben Regeln. Granderath: Man darf die Zeit nicht überziehen, die von den Moderatoren vorgegeben wird, man muss mit selbst geschriebenen Texten kommen, also, Plagiate gelten nicht und man darf sich nicht verkleiden, oder Requisiten mitbringen oder reine Gesangsstücke vortragen. 2 Pamela Granderath moderiert die Poesieschlacht in Düsseldorf zusammen mit Markim Pause. Sie stellen die Teilnehmer kurz vor, losen die Reihenfolge aus, verteilen Wertungskarten unter den Zuschauern und führen an einer Tafel Buch über die Punkte der Slamer. Wen das Publikum am besten findet, der wird gewinnen. Einfluss auf die Autoren, was sie vortragen und wer überhaupt teil nimmt, das haben die Moderatoren nicht. Wer auf die Bühne will, kann sich schon Tage vorher per e-mail anmelden, es reicht aber auch am Abend selbst einfach an der Kasse seinen Namen zu nennen. Granderath: Wir wissen nie, wer kommt. Und das ist für mich auch das Ausschlaggebende oder warum Poetry-Slam nie langweilig wird, weil jeden Abend ist der Topf neu gemischt. Wir sind wie Fernsehköche, ne: Wir machen aus verschiedenen Zutaten ein schönes Gericht. Dea, eine junge Frau aus Düsseldorf, macht an diesem Abend zum ersten Mal mit. Sie ist ziemlich aufgeregt und ganz anders als ihr Vorgänger und Konkurrent Slamfish Sushi, trägt sie ruhig ein ernstes Gedicht vor: Dea: Von tiefster Trauer – Von tiefster Trauer erfüllt/ senkt sich dein lieblicher Horizont/ alles blüht, wo dein sanfter Flügel weilt/ mit lidlosen Augen ... Noch keine zwei Minuten ist es her, da hat das Publikum über Slamfish Sushi laut abgelacht, jetzt kann es sich nicht recht auf Deas Verse einlassen. Die Zuschauer applaudieren nur schwach und entsprechend fällt die Wertung aus. In der Pause nach der ersten Runde meint Dea: Dea: Es ist sehr schwer, weil ich eher Texte schreibe, die vielleicht nicht unbedingt zu einer Unterhaltung dieser Art ist, die hier vielleicht manchmal so eine Tendenz hat. 3 Die Slam-Novizin zuckt mit den Schultern, der Versuch war es wert. Es geht zwar um nichts, aber trotzdem tut es weh im Augenblick. Das kennen alle Autoren auf Poetry-Slams, alle haben mal so angefangen. Wolfgang Lüchtrath zum Beispiel, ein erfahrener Slamer aus Köln und Veranstalter eines Poetry-Slams in Koblenz: Lüchtrath: Du bist mit dem einen Text an einem Abend Sieger, am nächsten Abend, anderes Publikum oder anderer Ort, oder der Flow ist anders und da kannst du dann mit dem gleichen Text Dritter, Vierter, Fünfter werden. Aber ernste Gedichte ruhig vorgetragen, noch dazu von einer Frau, das ist fast schon eine Ausnahme auf einer Slam-Bühne. Die Szene wird eindeutig von Männern dominiert. Lüchtrath: weil offensichtlich in dieser Wettkampfsituation auch ein männliches Element drin steckt. Wolfgang Lüchtrath ist 43 und eine Art Poetry-Slam-Quereinsteiger. Nach vielen Jahren mit Kleinkunst, Straßen-, Impro- und Jugendtheater hat er im Jahr 2000 den Slam für sich entdeckt und dann rasch selbst einen in seiner Geburtsstadt Koblenz aufgebaut mit Hilfe einer Förderung des Landes Rheinland-Pfalz. Ganz wesentlich für Wolfgang Lüchtrath ist bei dieser Literatur- und Vortragskunst: Lüchtrath: Da gibt’s kein Geld zu verdienen und das ist ja gerade das Schöne. Das hast du ja in der Kleinkunst gesehen: In dem Moment, wo sich RTL da drauf gesetzt hat, hieß das auf einmal Stand-up und dann gibt es nur noch Witze über Mädchen mit Zahnspangen an Supermarktschlangen und auf einmal reden sie alle über ihre Aktienpakete. 4 Und weil man bei Poetry-Slams gerade mal die Fahrtkosten bezahlt bekommt und höchstens eine Flasche Whiskey gewinnen kann, kommen die Autoren aus allen Schichten, Millieus und Generationen. Sebastian Krämer aus Berlin ist professioneller Künstler, Kabarettist und Chansonier – damit verdient er sein Geld. Aber er ist auch auf Poetry-Slams. Die Gesetze dort sind jedoch völlig andere als im Theater, sagt er. Krämer: Man muss schon wer sein, bevor man überhaupt auf die Bühne kommt und beim Slam ist es eben anders rum: Man ist erstmal noch niemand, die Leute kommen nicht, weil sie einen meistens schon kennen, sondern weil sie eben erleben wollen, wie jemand an diesem Abend nach oben gespült wird. Einer aus der Masse, einer von unten, einer von uns. Sebastian Krämer bewegt sich in der Poetry-Slam-Szene auf allerhöchstem Niveau: 2001 und 2003 wurde er Nationalmeister. Seit zehn Jahren gibt es solche Meisterschaften. Dieses Jahr werden sie Anfang Oktober in Berlin ausgetragen, unter anderem organisiert von Sebastian Krämer. In ganz Deutschland gibt es etwa um die 70 Poetry-Slams, genau kann das aber niemand sagen. Rayl Patzak aus München, einer der Pioniere des Poetry-Slams in Deutschland, vergleicht die Vielschichtigkeit der Szene mit dem Fußball: Patzak: Es gibt die Kinder, die hinterm Haus ein bisschen mit dem Ball rumkicken. Dann gibt’s jemand, der aus Spaß aufm Bolzplatz einmal im Monat mit seinen Freunden ein Turnier austrägt. Dann gibt’s Leute, die ernsthaft in einer Fußballmannschaft spielen, aber nebenher einen normalen Beruf haben und dann gibt’s Leute, die mit Fußball sehr viel Geld verdienen. 5 Das sind zwar nur wenige, aber zweifellos die Besten – im Fußball wie beim Slamen. Doch wann ist ein Poetry-Slamer richtig gut? Lüchtrath: Wenn er echt ist. sagt Wolfgang Lüchtrath. Lüchtrath: Oder zumindest echt wirkt. Wenn das, was er vorträgt, in einer nachvollziehbaren Beziehung zu dem ist, wie man zumindest vermutet, dass er ist. Die viel beschworene Authentizität des Künstlers. Krämer: Ein guter Slamer ist für mich eigentlich schon ein Literat. meint Sebastian Krämer. Aber ... Pause: Wenn jemand grandios schreiben kann, muss er es nicht vortragen können. Und das sind eben diese zwei Sachen beim Slam: einmal einen guten Text zu machen und dann es auch entsprechend rüber zu bringen. sagt Markim Pause, einer der Moderatoren der Poesieschlacht in Düsseldorf. Es gibt natürlich keine Rezepte für den Erfolg bei einem Poetry-Slam, denn jeder Abend verläuft anders, aber es gibt Muster und Erfahrungen, meint Sebastian Krämer: Krämer: Unterhaltung und einfach eben irgendwie ne klare Struktur, wo man nicht erst rätseln muss, was hat es jetzt mit der Textgestalt auf sich, sondern: ich hab gestern das und das gemacht, dabei ist mir das passiert. Wenn das dann irgendwie noch komisch ist, damit hat man schon gute Chancen natürlich. 6 Humorige Kurzgeschichten – das hört man viel auf Poetry-Slams, vor allem in Berlin. Dort haben die sogenannten Lesebühnen eine gewisse Tradition – offene Veranstaltungen, auf denen Autoren ihre Werke lesen – Prosa, Geschichten, Erzählungen, Romanausschnitte, aber ohne Wettkampf. Die selben Autoren treten auch auf Slams auf. Doch Poetry-Slam ist mehr als Vorlesen und Geschichtenerzählen, stellt Rayl Patzak klar: Patzak: Ich denke, wir haben drei große Elemente: die Lesebühnenkunst – englisches Fachwort Story-telling, das große weite Feld der Performance-Poetry als zweites Element und die Rap-Poetry als drittes Element. Da wird der Ursprung des Poetry-Slam besonders deutlich: die USA, Chicago. Dort hat Marc Kelly Smith 1988 den ersten Poetry-Slam der Welt veranstaltet. Smith war der Gründer des Chicago Poetry-Ensembles, das mit einer Poesie-Revue wöchentlich im Greenmill Club in einem Arbeiterviertel von Chicago auftrat, weiß Rayl Patzak, der die Wiege des Slams und seinen geistigen Vater Marc Kelly Smith persönlich kennt. Patzak: Der Slam war eigentlich ein Unfall. Weil’s ihm zu mühsam war, jede Woche ein neues Programm mit diesem Ensemble einzustudieren, hat er gesagt: O.k., dann gibt’s nur noch zwei mal im Monat, also alle 14 Tage, das Highlight und die restlichen zwei Sonntage im Monat als Behelf eine Art Dichterwettkampf. Doch egal ob Poesie-Show, Poesie-Revue oder Poetry-Slam, alles gehört zu dem, was Rayl Patzak Performance Poetry nennt: schreiben für den Vortrag, dichten für die Bühne, auf der der Autor schließlich selbst steht und seinen Text nicht liest, sondern ihn darstellt, aufführt, ihm Gestalt gibt. 7 Krämer: dadurch, dass man Energie erzeugt, dass man ne Virtuosität beim Sprechen zeigt, dass man besonders schnell sprechen kann oder bestimmte Wörter zungenbrecherartig ausspricht; so eine Artistik, nicht wahr, erzeugt dann auch eine gewisse Art der Begeisterung. meint der bühnenerfahrene Künstler Sebastian Krämer. Performance-Poetry heißt die Kunstform. Poetry-Slam, der Wettkampf, erklärt Rayl Patzak, ist nur eine Spielart unter vielen, ein bestimmtes Format. Patzak: Es ist so ähnlich wie Ritter und Ritterspiele. Ein Ritter nimmt sicherlich an Ritterturnieren, an Ritterspielen teil, aber ein Ritter definiert sich natürlich nicht nur allein durch Ritterspiele. Und der Dichter nicht allein über Slams, sondern über seine Verse. Vor allem über diese, sein Werk, in dem er auch ein Stück seines Inneres preis gibt und sei es nur seine Kreativität. Rayl Patzak verweist in dem Zusammenhang auf zwei entgegengesetzte Lyriktheorien. Patzak: Die eine ist, ein Dichter ist untrennbar mit seinem Werk verbunden, die Person ist untrennbar mit dem Werk verbunden. Die zweite Theorie ist, ein Dichter ist völlig losgelöst von seinem Werk, also das Gedicht hat mit der Person an sich nichts zu tun, besteht ohne ihn. Natürlich sind Poetry-Slamer Anhänger der ersten Theorie. Sie zelebrieren schließlich regelrecht auf der Bühne, dass sie als Person mit ihrem Werk untrennbar verbunden sind ... 8 Patzak: so wie eine Band und ihr Song untrennbar miteinander verbunden sind. Fast ebenso rasch wie eine Band und ihr Hit hat sich Poetry-Slam in den USA verbreitet. Chicago und New York waren und sind die Hochburgen. Als schließlich verschiedene amerikanische Fernsehsender Poetry-Slam vor die Kamera brachten, erreichten die Dichterwettkämpfe Mitte der 90er auch Europa. In Deutschland allerdings hat sich Poetry-Slam und allgemein die Dicht- und Vortragskunst ganz anders entwickelt als im Ursprungsland USA. Anfangs taten sich Veranstalter von deutschen Slams, wie Rayl Patzak in München, schwer überhaupt Teilnehmer zu finden. Mittlerweile aber ist die Szene hierzulande breiter und vielfältiger als die amerikanische, vor allem durch die Lesebühnenkunst, das Geschichten-Vorlesen, was es in den USA bei Poetry Slams nicht gibt. Dort wiederum pflegt man Traditionen, die bei uns wenig bis gar nicht bekannt sind. Patzak: Hip-Hop-Traditionen, schwarze Erzähltraditionen, die eben orale Traditionen sind, die also keine Lese-, sondern wirklich Vortragskunsttraditionen sind. Es gibt ganz andere Formen von Predigern, die eben starken Einfluss auf die Literatur, speziell auf die Lyrik genommen haben – all diese Dinge haben existiert, die hier nicht da waren. Mittlerweile ist Poetry-Slam in Deutschland auf dem Sprung von der Subkultur zur etablierten Kunstform. Die Feuilltons berichten über die nationalen Meisterschaften, die Poetry-Slam-, Lesebühnen- und Kleinkunstszenen finden ihre gemeinsame Schnittmenge und auch das deutsche Fernsehen hat ein neues Format für sich entdeckt: An neun Sonntagen von Feburar bis April sendete der WDR Poetry-Slam mit Jörg Thadeusz als Moderator: 9 Thadeusz: ((Musik)) Herzlich Willkommen zu einer europaweiten Einmaligkeit ((Applaus)) Die Slamer und ihre Veranstalter sehen diese Entwicklung teilweise kritisch: Die einen fürchten die Kommerzialisierung einer Kunstform und den Verlust eines Stücks basisdemokratischer Volkskultur, die anderen sehen darin eine Möglichkeit, PoetrySlam noch mehr Menschen nahe zu bringen. Und das Publikum von Poetry-Slams? Das ist extrem bunt gemischt. Bei der Poesieschlacht in Düsseldorf schauen regelmäßig um die zweihundert Menschen zu im Alter von 17 bis 70, sagt der Moderator Markim Pause: Pause: Es sind Studenten, es sind Leute, die beim Finanzamt arbeiten, TÜVIngenieure und auch Gärtner. Publikum: Ich komm eigentlich regelmäßig hier hin. Das ist sehr interessant, mehr so Privatleute, Amateure, manchmal gute, manchmal schlechte. Publikum: Ich wollte eigentlich heute das erste Mal mitmachen, aber ich wusste nicht, was mich erwartet, aber das nächste Mal: definitiv. Ich hab so viel zu erzählen. Auf jeden Fall kommen Menschen, meint Sebastian Krämer, die sich für Literatur interessieren: Krämer: Obwohl das nicht unbedingt was Intellektuelles ist. Das sind keine gebildeten Leute, die dahin gehen, oder jedenfalls nicht hauptsächlich. 10 Die Düsseldorfer Poesieschlacht ist geschlagen. Die nächste ist in einem Monat. Sieger des Abends wurde übrigens nicht der laute und schrille Slamfish Sushi, sondern einer, der mit leisen Tönen das Publikum beeindruckte, Patrick Funke. Funke: Du hast mich gefragt, wie ich heiß, wer ich sei/ der Name bleibt gleich, der Rest ist noch frei/ komm, frag mich nochmal, in einem anderen Leben/ diesmal will cih den Mut haben, eine Antwort zu geben. – Vielen Dank. ((Applaus)) 11