Pädagogische Mappe - theater katerland

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Die Verschwundenen von Ad de Bont
Material zur Vor- und Nachbereitung
bravebühne
Wülflingerstrasse 36 8400 Winterthur 052 222 78 07
www.katerland.ch ; [email protected]
Die Verschwundenen – Infos rund ums Stück
Die Verschwundenen („Desaparecidos“)
von Ad de Bont
„Die Verschwundenen“ spielt in Argentinien.
1976
ergreift
das
Militär
die
Macht.
Oppositionelle verschwinden, werden gefoltert
und ermordet.
Jahre später, 1988, hört ein vierzehnjähriger
Junge, aufgewachsen in einem vornehmen
Villenviertel der Stadt Buenos Aires, plötzlich
auf zu sprechen. Als er im Fernsehen einen
Grossvater sieht, der seinen Enkel sucht,
erkennt er plötzlich, dass der Junge, dessen
Bild der alte Mann mit sich herum trägt, er
selber ist. Er beginnt, seine wahre Herkunft zu
erforschen.
Das Stück basiert auf einer wahren Geschichte.
Das Theaterstück erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen:
1976, das Jahr, als die Eltern des Jungen verschwinden. Aus dieser Zeit berichtet der
Junge, erzählt nach, was er später darüber erfahren hat.
1988, das Jahr, als der Junge seine wahre Herkunft erfährt. Das Stück zeigt den Weg von
der Sprachlosigkeit des Jungen bis zu der Begegnung mit seinem wahren Grossvater.
Zwischen den Zeitebenen wird laufend gewechselt.
Besetzung
Simon Alois Huber spielt:
 den Jungen Raul Mihura/Federico Zecca
Katharina Bohny spielt:
 die Frau des Offiziers Ines Mihura
 die Mutter von Federico Estela Lopez Volando
 die Grossmuter von Federico Angeles Lopez Volando Martinez
 eine Prostituierte
Cordula Sauter spielt:
 Musik (Akkordeon)
 Eine freigekommene Gefangene Juana Sola
Peter Hottinger spielt:
 den Friseur Guillermo Diaz
 den Psychiater Jorge Cradero
 den Vater von Federico Reynaldo Zecca
 den Offizier José Antonio Mihura
Graham Smart spielt:
 den Grossvater von Federico Ernesto Lopez Volando
1
Einleitung
Die Verschwundenen
"Politik interessiert sie nicht, solange sie ihre Familie in Sicherheit weiss."
Ernesto Lopez Volando, Grossvater im Stück „Die Verschwundenen“ über seine Frau
Die Grossmutter im Stück „Die Verschwundenen“ interessiert sich nicht für Politik. Am Tag,
als ihre Tochter mit Mann und Enkelsohn verschwindet, ändert sich das. Sie entscheidet
sich, aktiv Widerstand zu leisten.
„Die Verschwundenen“ befasst sich mit einem Zeitraum der argentinischen Geschichte,
der bis in die Gegenwart wirkt. Bei der Recherche zu diesem Material stiess ich auf viele
traurige Schicksale und es stellte sich mir die Frage, warum man eine solche Geschichte
überhaupt erzählen soll. Was hat diese Geschichte mit uns zu tun? Mit jungen Menschen
in der Schweiz?
Für mich geht es in „Die Verschwundenen“ darum, mit der eigenen Geschichte zu leben,
weiter zu leben, vorwärts zu gehen. Und dabei geht es nicht in erster Linie um die grossen
Krisen. Viele Menschen leben nicht mehr in intakten Familien, viele Jugendliche schauen
auf eine ungewisse Zukunft, Werte sind beliebig, viele suchen Halt. In vielen unserer
europäischen Nachbarländer herrscht eine grosse Jugendarbeitslosigkeit, Staatshaushalte
sind bankrott. Das sind - auch heutzutage - Nährböden für ungute Tendenzen.
Ich vertiefte mich auch in Themen aus der jüngeren Schweizer Geschichte. Unter
anderem in das Projekt „Kinder der Landstrasse“, als den Jenischen in der Schweiz die
Kinder weggenommen wurden, um sie in „richtigen“ Familien unterzubringen. Je mehr ich
las, und je mehr ich wusste, desto mehr Gründe fand ich warum, solche Geschichten
erzählt werden müssen. Wir erzählen gegen das Vergessen.
In diesem Material geht es um Argentinien, es geht um Macht und Ohnmacht, um
Widerstand und Mut.
Und so schliesst sich der Kreis zu unserem Stück. Es ist ein Modell dafür, was in einer
Gesellschaft passieren kann, wenn wir nicht menschlich bleiben, nicht Widerstand leisten
gegen Unmenschlichkeit.
Theater spricht für sich. Um das Erlebnis zu intensivieren, ist eine Vorbereitung
unterstützend. Ob ganz kurz mit dem Infoblatt auf Seite 1, oder etwas ausführlicher mit den
Materialien dieser Mappe. Das Material ist unterteilt in einen Vor- und in einen
Nachbereitungsteil.
Ich wünsche Ihnen einen anregenden Theaterbesuch!
Barbara Schüpbach
Theaterpädagogin
2
Inhalt
Seite
Vorbereitung


Arbeitsvorschläge
-
Stück/Zeittafel
-
Rollenwechsel 1
-
Rollenwechsel 2
-
Club-Spiel
-
Wichtige Begriffe im Stück
5
Kopiervorlagen V1 bis V3
-
Stück/Zeittafel
6
-
Rollenwechsel 1
7
-
Wichtige Begriffe im Stück
8
Nachbereitung

Arbeitsvorschläge
-
Das nachbereitende Gespräch
-
Macht und Ohnmacht: Raumlauf „Gross und klein“
-
Macht und Ohnmacht: Szene Pflegevater/Sohn
-
Argentinien: Geschichtlicher Überblick
-
WM 1978 in Argentinien
-
Die Kinder der Verschwundenen
-
Widerstand - Die Mütter der Plaza de Mayo
-
Schreiben gegen die Diktatur
-
Argentinische Menschenrechtsbewegungen heute
-
Der, den ich suchte
-
Erinnern – Fotos von Gustavo Germano
-
Schuld und Sühne
-
Rechercheprojekt Schweiz
-
Tango
-
Textbeispiel Tango Cambalache
9, 10
3
Seite

Kopiervorlagen
-
Macht und Ohnmacht: Szene Pflegevater/Sohn
12
-
Argentinien: Geschichtlicher Überblick
13
-
WM 1978 in Argentinien
14
-
Die Kinder der Verschwundenen
15
-
Widerstand - Die Mütter der Plaza de Mayo
16
-
Schreiben gegen die Diktatur
17
-
Argentinische Menschenrechtsbewegungen heute
18
-
Der, den ich suchte
19
-
Erinnern – Fotos von Gustavo Germano
20
-
Schuld und Sühne
21
-
Rechercheprojekt Schweiz
22
-
Tango
23
-
Textbeispiel Tango Cambalache
24
4
Anregungen und Spiele zur Vorbereitung
Die Verschwundenen
Vorbereiten auf Theater ist immer auch eine Auseinandersetzung mit dem Medium
Theater. Oft spricht das Theaterstück für sich. In unserem Fall ist dient der Rezeption des
Stückes, wenn die Jugendlichen etwas wissen über die Form des Stücks und die Zeit, in der
es spielt.
Stück/Zeitafel
 Kopiervorlage V1
Stückinhalt und Zeittafel lesen. Verständnisfragen klären.
Diskussion:
 Kennst du ähnliche Ereignisse aus der Geschichte?
 Was ist eine Diktatur im Gegensatz zu einer Demokratie?
 Welche Mittel wenden Regierungen an, um stark zu bleiben? Wie macht das die
Schweiz?
 Kennst du ähnliche Ereignisse, die sich jetzt oder vor kurzem in der Welt ereignet
haben?
Rollenwechsel 1
 Kopiervorlage V2
Die fünf SchauspielerInnen übernehmen im Stück 12 Rollen. Damit das für das Publikum
funktioniert, werden bestimmte Techniken angewendet.
 Rollen lesen und sich überlegen, wie der Rollenwechsel wohl gemacht wird.
 Aus den Rollen Beziehungen herauslesen. Nachnamen vergleichen und in der Skizze
rund um den Jungen Federico einzeichnen. Ergebnisse anschauen.
Rollenwechsel 2
 Spiel
Vierergruppen bilden. Setting festlegen: im Büro, am Familientisch, in der Schule.
Mindestens sechs Rollen ausdenken. Eine Figur bleibt immer die Gleiche und ist auf der
Szene. Die anderen kommen als wechselnde Figuren zur Tür rein. Gründe finden fürs Aufund Abtreten. Das Publikum beschreibt anschliessend, welche Figuren es gesehen hat.
Welche Methoden wurden angewandt? Was hilft beim Zuschauen?
Club-Spiel
 Spiel und Reflexion
Version 1: Alle stehen im Kreis. Eine Person geht in die Mitte und sagt: Ich gründe einen
Club für…Fussballer oder Leute, die gerne essen etc. Alle, die in diesen Club gehören,
gehen auch in die Mitte. Dann stellen sich alle wieder zurück in den Kreis und der nächste
Club wird gegründet. Ziel ist es, möglichst nie allein da zu stehen.
Version 2: Club erfinden, den man möglichst exklusiv für sich hat.
Reflexion:
Wer bestimmt im Alltag, in welchen „Club“, zu welcher Gruppe man gehört?
Wo bestimmst du selber, wo wird über dich bestimmt?
 Mach eine Liste mit deinen Zugehörigkeiten: Kind, Schüler, Sportlerin, Leser, Tänzerin…
 Sammlung an der Wandtafel. Bereits genannte Begriffe werden nicht mehr notiert.
 Wählt als Klasse einen beliebigen Begriff. Stellt euch vor, ab morgen würde eine
Gruppierung, zum Beispiel die der Sportler von der Regierung verboten. Denkt euch
mögliche Folgen aus, die bei Zuwiderhandlung eintreten. In Kleingruppen diskutieren,
was das in eurem Alltag oder dem eurer Freunde verändern würde. Was würdet ihr tun
oder nicht tun? Würdest du dich wehren für dich oder für die anderen?
 Welche Form des Widerstandes brächte wahrscheinlich Erfolg?
Wichtige Begriffe im Stück
 Kopiervorlage V3
Im Stück werden verschiedene Begriffe genannt, die ohne Erklärung nicht verstanden
werden können. Auf dem Blatt sind sie zusammengestellt und kurz beschrieben.
 In Zweiergruppen Arbeitsblatt lesen. Verständnisfragen notieren. Kurzes Gespräch
darüber.
5
Stück/Zeittafel
V1
Die Verschwundenen(„Desaparecidos“) von Ad de Bont
„Die Verschwundenen“ spielt in Argentinien. 1976 ergreift das Militär die Macht.
Oppositionelle verschwinden, werden gefoltert und ermordet.
Jahre später, 1988, hört ein vierzehnjähriger Junge, aufgewachsen in einem vornehmen
Villenviertel der Stadt Buenos Aires, plötzlich auf zu sprechen.
Als er im Fernsehen einen Grossvater sieht, der seinen Enkel sucht, erkennt er plötzlich, dass
der Junge, dessen Bild der alte Mann mit sich herum trägt, er selber ist. Er beginnt, seine
wahre Herkunft zu erforschen. Das Stück basiert auf einer wahren Geschichte.
Das Theaterstück erzählt die Geschichte auf zwei Zeitebenen:
1976, das Jahr, als die Eltern des Jungen verschwinden. Aus dieser Zeit berichtet der
Junge, erzählt nach, was er später darüber erfahren hat.
1988, das Jahr, als der Junge seine wahre Herkunft erfährt. Das Stück zeigt den Weg von
der Sprachlosigkeit des Jungen bis zu der Begegnung mit seinem wahren Grossvater.
Zwischen den Zeitebenen wird laufend gewechselt.
Zeittafel
1976
Das Militär ergreift die Macht in Argentinien.
Oppositionelle, Wissenschaftler, Studenten werden verhaftet.
1977
Beginn der gewaltfreien Proteste der Mütter der Verschwundenen auf der
Plaza de Mayo.
1978
Die Fussball WM findet in Buenos Aires statt. Argentinien wird Weltmeister.
Die Fifa arbeitet mit der Militärregierung zusammen.
1982
Falklandkrieg: Argentinien besetzt die Falklandinseln, die seit 1833 zu
Grossbritannien gehören. Argentinien verliert diesen Konflikt.
1983
Ende der Militärjunta. Mehr als 30'000 Personen sind verschwunden.
1984
Die Aufarbeitung der Ereignisse dauert bis heute an.
6
Rollen
V2
Simon Huber spielt:
 den Jungen Raul Mihura/Federico Zecca
Katharina Bohny spielt:
 die Frau des Offiziers Ines Mihura
 die Mutter von Federico Estela Lopez Volando
 die Grossmuter von Federico Angeles Lopez Volando Martinez
 eine Prostituierte
Cordula Sauter spielt:
 Musik (Akkordeon)
 Eine freigekommene Gefangene Juana Sola
Peach Hottinger spielt:
 den Friseur Guillermo Diaz
 den Psychiater Jorge Cradero
 den Vater von Federico Reynaldo Zecca
 den Offizier José Antonio Mihura
Graham Smart spielt:
 den Grossvater von Federico Ernesto Lopez Volando
Zeichne die Beziehungen, die du aufgrund der Rollennamen erkennst:
Raul/Federico
7
Wichtige Begriffe im Stück
V3
ESMA
Escuela de la Mecànica de la Armada, Ingenieurschule der Marine.
Auf dem Foto sieht man as Hauptportal der Militärakademie ESMA in
Buenos Aires, in der – während der reguläre Ausbildungsbetrieb
weiterlief – etwa 5.000 Menschen gefoltert und ermordet wurden. Die
Schule ist heute eine Gedenkstätte.
MILITÄRJUNTA
Von meist rechtsgerichteten Offizieren, oft nach einem Putsch gebildete Regierung;
Kurzform: Junta.
OPPOSITIONELLE
Andersdenkende, die Widerstand ausüben. Im eigentlichen Wortsinn bedeutet
oppositionell abtrünnig, abweichlerisch, ketzerisch.
DIE MADRES DE PLAZA DE MAYO
Die wohl bekannteste Widerstandsgruppe sind die Madres de Plaza
de Mayo, die Mütter der Plaza de Mayo. Seit dem 30. April 1977
halten sie einmal wöchentlich am Donnerstagnachmittag eine
Protestkundgebung auf dem zentralen Platz in der Hauptstadt
Buenos Aires ab. Da Proteste im Stehen von der Junta verboten worden waren, drehten
die Mütter an jenem ersten Donnerstag eine Runde um die Pyramide vor dem
Präsidentenpalast. Sie wollten zu Juntachef Jorge Videla vorgelassen werden, um von ihm
Auskunft über den Verbleib ihrer vermissten Söhne und Töchter zu erhalten. Das
Kennzeichen der Madres sind ihre weissen Kopftücher, mit denen sie die Friedfertigkeit
ihrer Proteste signalisieren. Zwar sind die Madres eine Angehörigenorganisation, zu den
Kundgebungen zum Jahrestag des Militärputsches, zu denen die Mütter bis heute
aufrufen, versammeln sich jedoch Zehntausende solidarische Argentinier.
NACHT DER BLEISTIFTE
In der Nacht des 16. September 1976, wenige Monate
nachdem die Militärs in Argentinien die Macht
übernommen hatten, werden die sechs SchülerInnen Daniel
Alberto Racero, 18 Jahre alt, Maria Clara Ciocchini, 18
Jahre alt, Claudio de Acha, 17 Jahre alt, Horacio Úngaro,
17 Jahre alt, Franciso López Muntaner, 16 Jahre alt und
Maria Claudia Falcone, 16 Jahre alt in und aus der Stadt La
Plata verschleppt. Sie waren, wie viele andere SchülerInnen
auch, in der Schülergewerkschaft UES (Union de Estudiantes
Secundarios) organisiert. Bis 1975 hatten sie für den Erhalt
des Schülertickets für Bus und Bahn demonstriert.
Von den verschleppten sechs SchülerInnen aus Mar del Plata fehlt bis heute jede Spur.
Alle sind "Kinder der Nacht der Bleistifte“. In einem Fernsehinterview erklärt der damalige
Polizeichef der Provinz Buenos Aires, General Camps dazu: „Wenn diese Mütter sich in der
gleichen Weise um ihre Kinder gekümmert hätten wie sie es heute tun, würden sie jetzt
nicht das Verschwinden ihrer Kinder beklagen.“
8
Anregungen und Spiele zur Nachbereitung
Die Verschwundenen
In der Nachbereitung besteht die Gelegenheit, sich etwas vertiefter mit den Themen des
Stücks auseinanderzusetzen. Ich habe Material zusammengestellt, das sowohl den
Hintergrund in Argentinien beleuchtet, als auch Vorkommnisse aus der jüngeren
Geschichte der Schweiz aufgreift.
Das nachbereitende Gespräch
 Diskussion
Die Schüler/innen schliessen die Augen.
 Erinnert euch an bestimmte Bilder, kleine Situationen, oder auch Requisiten,
Kostümteile, Farben, Töne, Stimmungen usw. aus dem Stück, die euch aus irgendeinem
Grund besonders im Gedächtnis geblieben sind. Wenn jede/r eine oder mehrere
besondere Momente aus dem Stück vor Augen hat, öffnet die Augen wieder und
notiert diese auf einen Zettel, pro Eindruck einen Zettel.
 Sortiert anschliessend in der Klasse die Zettel nach Inhalt (Was?) und Form/Inszenierung
(Wie?).
 Sortiert die Zettel mit inhaltlichen Momentaufnahmen noch einmal. Es gibt
verschiedene Möglichkeiten für eine Reihenfolge:
so sind die Momentaufnahmen im Stück vorgekommen
so ist die Geschichte in Wirklichkeit chronologisch verlaufen
 Auch die Zettel mit formalen Eindrücken lassen sich weiter sortieren.
Zu welchen Eindrücken äussern sich die Schüler/innen spontan während dem Sortieren?
Was hat euch am meisten beeindruckt, beschäftigt,…?
Was habt ihr erlebt? Welche Gefühle und Stimmungen sind aufgekommen?
Was hat euch überrascht? Was war unerwartet?
Welche Erwartungen haben sich erfüllt?
Was hat euch irritiert und warum?
Wovon hast du dir mehr gewünscht?
Wie haben sie die Geschichte erzählt, gespielt? Mit welchen Mitteln?
Die Beziehungsskizze aus der Vorbereitung (V1) nochmals anschauen. Inwieweit
stimmt eure Zeichnung mit dem Stück überein?
Macht und Ohnmacht: Raumlauf „Gross und klein“
 Spiel
Die Gruppe halbieren. Dieses Spiel braucht etwas Platz. Im Raum umhergehen. Die eine
Hälfte macht sich gross, die andere klein. Wechseln. Die eine Hälfte macht sich breit, die
andere schmal. Wechseln. Alle Grossen-Breiten suchen sich ein kleines-schmales „Opfer“.
Benimm dich in der Position als Chef bzw. Diener/Unterhund. Wie machst du das? Die
Figuren haben einen unterschiedlichen Status. Um diesen zu spielen gibt es ein paar Tricks.
Bewegungen
Sprache
Verhalten im
Raum
Hochstatus
Sehr langsame, vor allem wenige
Bewegungen
Langsam und ruhig sprechen
Jemand wird im Hochstatus wahrgenommen, wenn er sich dem Raum
gegenüber so verhält, als wäre er zu
Hause: den Raum entspannt
durchschreiten, aus dem Fenster gucken,
Gegenstände, die im Raum sind,
selbstbewusst benutzen, es sich auf den
Sitzmöbeln gemütlich machen und so
weiter.
Tiefstatus
Viele, kleine, hektische Bewegungen
Schnell und zu laut oder zu leise
sprechen
Jemand wird im Tiefstatus
wahrgenommen, wenn er sich in
einem Raum wie ein Eindringling
verhält: schüchtern, verzagt, nur auf
der äusseren Stuhlkante kauernd,
möglichst wenig Raum einnehmend.
9
Macht und Ohnmacht: Szene Pflegevater/Sohn
 Kopiervorlage N1
In dieser Szene erlebt der Junge seine Ohnmacht am deutlichsten. Aber auch die Mutter
ist ohnmächtig gegenüber dem zornigen Vater.
 Bildet Dreiergruppen und lest die Szene in verteilten Rollen. Eine Person hat keinen Text.
Sie verkörpert die Position des Jungen.
 Lest nochmals und gestaltet den Text. Lest wütend, erschreckt etc.
 Beantwortet folgende Fragen: Wie fühlt sich der Vater? Wer ist stark in dieser Szene?
Wie fühlt sich Federico? Was würdest du an Federicos Stelle tun?
 Lest die Spielhinweise auf der unteren Blattseite. Ordnet jedem von euch eine Liste zu.
Bestimmt ein Gesprächsthema, zum Beispiel: Am Schulkiosk ist geklaut worden.
Versucht euch entsprechend eurer Liste zu verhalten.
 Verteilt die Rollen Vater-Mutter-Sohn. Wählt dazu ebenfalls etwas aus der Liste aus.
Spielt die Situation Vater-Mutter-Sohn nach, den Text aus der Erinnerung. Wichtiger sind
die Beziehungen der Figuren zueinander.
Argentinien: Geschichtlicher Überblick
 Kopiervorlage N2
Zur vertieften Auseinadersetzung mit der Zeit in Argentinien kann die Situation des Landes
davor näher beleuchtet werden. Der Überblick ist bewusst kurz gehalten. Bei erweitertem
Interesse kann die Klasse selber recherchieren.
WM 1978 in Argentinien
 Kopiervorlage N3
Der Zeitungsbericht beleuchtet eine sehr spezielle Situation während der Zeit der Junta:
Die Fussball-Weltmeisterschaft in Argentinien 1978.
Diskussion:
 Was denkt ihr darüber?
 Wie hätte die Schweiz/wie hätten die anderen Länder reagieren sollen?
 Hättest du an dieser WM teilgenommen?
Die Kinder der Verschwundenen
 Kopiervorlage N4
Ein Machtmittel der Junta war, den Oppositionellen die Kinder wegzunehmen. Diese
kamen in Heime oder wurden, wie im Stück erzählt, von Offizieren adoptiert. Das Blatt
liefert eine kurze Hintergrundsinformation dazu und erzählt ein Beispiel einer Schauspielerin,
die als Kind einen Bruder bekam. Als Erwachsene fanden sie dann heraus, dass dieser
Bruder ein Kind von Verschwundenen war.
Diskussion:
Die Tochter hat gegen den Vater ausgesagt und den Kontakt abgebrochen. Was denkt
ihr dazu? Überlegt euch, was die Mutter ihrer Tochter dazu sagen würde.
Widerstand - Die Mütter der Plaza de Mayo
 Kopiervorlage N5
Hintergrundmaterial zu der Bewegung der „Madres de Plaza de Mayo“. Im Stück wird
gezeigt, dass der Grossvater Angst um seine Frau hat, als sie demonstrieren geht.
Auftrag:
Klasse in zwei Gruppen teilen. Eine Gruppe sammelt Argumente für den Widerstand, die
andere sammelt Argumente dagegen. Danach Austausch, Streitgespräch darüber, ev. in
Form einer Talkshow („Der Club“).
Die Lehrperson moderiert. Wichtig ist, dass nicht eine Seite recht bekommt. Alle
Argumente sollen ihren Platz bekommen.
Schreiben gegen die Diktatur
 Kopiervorlage N6
Der argentinische Schriftsteller Rodolfo Walsh hat während der Diktatur einen offenen Brief
an die Militärregierung veröffentlich. Einen Auszug dieses Briefes habe ich bereit gestellt.
10
Rodolfo Jorge Walsh (* 9. Januar 1927, † 25. März 1977) war ein argentinischer Journalist
und Schriftsteller. Er wird als Begründer des investigativen Journalismus in Argentinien
betrachtet. 1977 verschickte er, wegen der seit 1976 herrschenden Militärdiktatur im
Untergrund lebend, seinen "offenen Brief eines Schriftstellers an die Militärjunta" an
verschiedene Tageszeitungen. Darin kritisierte er massiv verschiedenste Aspekte der
Militärherrschaft, vor allem die gravierenden Menschenrechtsverletzungen und Morde an
Oppositionellen. Am gleichen Tag starb er bei einem Schusswechsel mit Soldaten, die ihn
verhaften wollten. Sein Brief gilt heute als wichtiges Zeitdokument der argentinischen
Geschichte.
Argentinische Menschenrechtsbewegungen heute
 Kopiervorlage N7
Die Aufarbeitung in Argentinien dauert bis heute an. Aus den „Madres“ sind
Menschenrechtsbewegungen hervorgegangen, die auch heute noch aktiv sind.
Der, den ich suchte
 Kopiervorlage N8
Erinnern – Fotos von Gustavo Germano
 Kopiervorlage N9
Der Text von Nora Strejilevich und die Fotos von Gustavo Germano sind zwei Beispiele von
künstlerischer Aufarbeitung der Geschehnisse. Der Text ist ein Zwiegespräch mit dem
verschwundenen Bruder Gerardo. Germano hat in seinem Fotoprojekt frühere Bilder
nachgestellt. Auf den neuen Bildern fehlen diejenigen Personen, die „verschwunden“ sind.
Die beiden Kopien als Anlass nehmen, darüber zu diskutieren, wie man weiterlebt nach
solchen Erfahrungen.
 Was gibt Kraft?
 Stell dir vor, in deiner Familie wäre jemand verschwunden. Was würdest du, was würdet
ihr machen?
 Die beiden Künstler haben einen Weg gefunden, ihre Gefühle, ihre Erinnerungen
auszudrücken. Kennst du andere Wege dafür? Hast du Strategien für dich?
Schuld und Sühne
 Kopiervorlage N10
Zeitungsartikel zur Verurteilung der beiden Ex-Diktatoren Bignone und Videla.
 Was denkst du zu der Bestrafung?
 Ist die Gerechtigkeit wieder hergestellt?
 Gibt es in so einem Fall Vergebung?
 Wie würdest du empfinden?
 Kannst du dir erklären, warum diese Verurteilung erst im Jahr 2012 zustande kam?
Rechercheprojekt Schweiz
 Kopiervorlage N11
Anregung, die nähere Schweizer Geschichte zu erforschen. Auch in der Schweiz sind
Menschenrechtsverbrechen passiert. Betroffen war dabei das Volk der Jenischen. Der
wohl berühmteste Schweizer jenischer Abstammung ist übrigens Stephan Eicher. Auf der
Kopiervorlage finden sich Stichworte und ein paar Internetadressen als Starthilfe.
Tango
 Kopiervorlage N12
Textbeispiel Tango Cambalache
 Kopiervorlage N13
Im Stück spielt Cordula Sauter auf dem Akkordeon Tangostücke. Diese beiden
Arbeitsblätter sind für Liebhaber des Tangos gedacht.
Der erste Text beschreibt die Entstehung des Tangos und dessen Bedeutung anhand eines
Zeitungsberichtes aus dem Jahr 1913.
Während der Diktatur waren Versammlungen verboten. Daher wurden auch weniger
Konzerte gespielt, vieles spielte sich heimlich ab, viele Künstler hatten das Land verlassen.
Der Tango „Cambalache“ aus dem Jahr 1935 wurde während der Militärjunta sogar ganz
verboten. Der Text erschien zu provokativ. Den Tango kann man auf youtube anhören.
11
Macht und Ohnmacht
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
JOSÉ ANTONIO
INES
N1
Sag, warum du nicht mehr redest.
José! Bind ihn los!
Misch dich nicht ein.
Du tust mir weh.
Weiss ich.
Das geht nicht.
Ines, halt dich raus.
Das kannst du nicht machen.
Wenn du redest, lass ich dich gehn. Sonst nicht.
Dann mach ich es.
Was?
Ich dulde nicht, dass mein Kind misshandelt wird.
Was? Dein Kind? Dieser Bastard?
José!
Ich hätte ihn gleich mit seiner Mutter…
Was sagst du da?
Er hätte gleich mit seiner Mutter verrecken sollen.
Hast du seine Mutter ermordet?
Tu nicht so scheinheilig.
Also doch.
Das weisst du doch schon lang.
Mörder.
Das wusstest du von Anfang an. Und trotzdem wolltest du ihn haben.
Ich zeig dich an.
Tu das.
Er bekommt keine Luft mehr.
Rede endlich, Bastard!
Du bringst ihn um.
Leuten das Leben schwermachen
Widersprich ihnen.
Beende die Sätze für sie.
Sei unruhig, trommle mit den Fingern.
Kritisiere ihr Äusseres, ihre Grammatik usw.
Dringe in ihren Raum ein.
Schau immer wieder weg.
Sei nur an dir interessiert.
Sich schuldig fühlen
Entschuldige dich.
Sag oft: Ist es recht so? Macht es dir etwas
aus?
Vermeide Blickkontakt.
Lass den Kopf hängen.
Als Held erscheinen
Hab eine feste, volltönende Stimme.
Stelle deine Kraft zur Schau.
Halt den Kopf ruhig beim Sprechen.
Geh Risiken ein.
Lache laut.
Sei stolz.
Jemanden demütigen
Tadle sie/ihn.
Sie sollen es nicht wagen, dich anzumachen.
Zieh Vergleiche.
Mach sie vor anderen Leuten lächerlich.
Gähne.
Beleidige sie.
Beschuldige sie eines Vergehens.
12
Argentinien - Geschichtlicher Hintergrund
N2
1946 bis 1955: Die Ära Perón
Juan Perón wird im Februar 1946 zum Präsidenten gewählt. Seine Regierung leitet
weitreichende Sozialreformen ein. Argentinien gewinnt an Stärke. Das Schlagwort
Justicialismo wird seiner Politik der sozialen Gerechtigkeit zugeschrieben. Dies
verdankt er vor allem auch seiner Frau Eva Duarta de Perón, besser bekannt unter
dem Namen Evita, die sich sozial sehr engagiert.
Evita stirbt im Jahr 1952. Mit ihrem Tod schwindet auch die Beliebtheit Peróns. Dazu
trägt auch die leere Staatskasse bei, hervorgerufen durch rückläufige Exporte und
Missernten. Perón verliert seine Glaubwürdigkeit, als er durch eine
unternehmerfreundliche Politik versucht, Argentinien aus der Krise zu führen. 1955
zwingt ihn die Opposition zur Abdankung. Er lebt fortan in Madrid im Exil.
1955 bis 1973: Unruhige Zeiten
In den Jahren von 1955 bis 1973 wechseln sich 3 Militärregierungen mit 2
Zivilregierungen ab. Die Arbeitslosigkeit wird immer grösser. Massenarbeitslosigkeit
und galoppierende Inflation führen im Mai 1969 zu einem Aufstand der Massen. Der
Aufstand wird blutig niedergeschlagen.
1973 bis 1976: Die Rückkehr Peróns
1973 kehrt Perón aus dem Exil zurück, zusammen mit seiner dritten Frau María Estela,
genannt Isabelita. Er wird Präsident mit dem Ziel, die Arbeiterschaft und
Unternehmerschaft wieder zu versöhnen. Dies gelingt jedoch nicht.
1974 stirbt Juan Domingo Perón. Nachfolgerin wird seine Frau Isabel. Sie steuert einen
immer härteren Rechtskurs, um die finanziellen Probleme Argentiniens in den Griff zu
bekommen. Argentiniens Auslandsverschuldung steigt jedoch rapide. Die Konkurrenz
am Weltmarkt ist gross.
Im Untergrund bildeten sich Widerstandsorganisationen der Linksperonisten, z.B. die
Montoneros, eine Studentenbewegung, die kommunistischen ERP, Ejéricito
Revolutionaria del Pueblo. Im März 1976 wird Isabel Perón des Präsidentenamtes
enthoben.
1976 bis 1983: Die Militärregierung
Das Militär ergreift 1976 die Macht in Argentinien. Die Mehrheit der Bevölkerung steht
hinter ihm, denn es wird als Träger der argentinischen Moral angesehen. General
Jorge Rafael Videla ist Kopf der neuen Machthaber. Doch auch ihm gelingt es nicht,
die wirtschaftspolitische Lage zu ändern. Die Bevölkerung lässt sich aber durch
Ereignisse wie die Fussball WM 1978, deren Gastgeber Argentinien ist, ablenken. Das
Militär beginnt mit einer ideologischen Säuberung: Widerständler werden bekämpft,
offen und verdeckt. Spezialkommandos verschleppen Menschen, foltern und töten
sie. Die Gesamtzahl dieser verschwundenen Opfer wird auf mehr als 30.000
geschätzt.
General Leopoldo Galtieri folgt Videla im Amt nach. Er besetzt 1982 die
Falklandinseln (Islas Malvinas). Sie werden jedoch nach 3 Monaten durch die
Engländer im Falklandkrieg zurück erobert.
13
WM 1978 in Argentinien
N3
Die traurigste WM der Geschichte
Als Argentinien den Finalsieg über Holland feiert, dringt der Torjubel in die Kerker
der politischen Häftlinge durch. Das Konzentrationslager liegt direkt neben dem WMStadion.
Die verbindende Kraft des Fussballs ist selten so deutlich geworden wie am 25. Juni 1978. Vor 77 000
Zuschauern besiegt die argentinische Nationalmannschaft in Buenos Aires die Niederlande mit 3:1.
Der Held im Endspielstadion Monumental heisst Mario Kempes. Der zweifache Torschütze hat den
Traum von 25 Millionen Argentiniern erfüllt: Fussball-Weltmeister! Im ganzen Land stürmen die
Menschen auf die Strassen, ein noch nie gesehener Freudentaumel setzt ein. „Wer nicht hüpft, der
kommt aus Holland!“, lautet der Schlager des Tages.
Häftlinge und Wärter jubeln gemeinsam
Nur 700 Meter vom Monumental entfernt hört man den Jubel der Tore bis in die Kerker der nationalen
Armeeschule. Dort sitzen die politischen Gefangenen, die sich bei jedem Aufschrei aus dem nahen
Stadion mitfreuen. Bis es schliesslich heisst: „Argentinien ist Weltmeister“. Einige Häftlinge dürfen
sogar mit den Gefängniswärtern das Spiel am Fernseher verfolgen. Sie jubeln gemeinsam. Fussball
verbindet. Ein paar der Insassen fahren die Wächter zu den Freuden-Korsos. Sie sollen sehen, dass das
Volk unter der Militärregierung glücklich ist.
Die WM 1978 ist das grausigste Kapitel in der Geschichte der Fussball-Weltmeisterschaften. Gut zwei
Jahre zuvor reisst das argentinische Militär in einem Putsch die Macht an sich. Für Fifa-Präsident Joao
Havelange ist dies aber kein Grund, das Austragungsland in Südamerika infrage zu stellen. Im
Gegenteil: „Jetzt ist Argentinien in der Lage, die Weltmeisterschaft auszurichten“, freut sich
Havelange zwei Tage nach dem Staatsstreich am 26. März 1976.
Morddrohungen gegen Cruyff
Die Militärjunta errichtet unter General Videla ein widerwärtiges Regime: „Es müssen so viele
Menschen wie nötig in Argentinien sterben, damit das Land wieder sicher ist.“ Mindestens 30 000
Oppositionelle – darunter besonders viele Studenten – kommen bis zum Ende der Diktatur 1983 ums
Leben. Darunter wohl auch über 100 Deutsche. Die Militärs nennen die Morde „verschwinden lassen“.
Den Grossteil der Gräueltaten verübt die Junta in ihren ersten zwei Jahren bis zur WM 1978. Über
einen Boykott der WM denken aber nur Frankreich und die Niederlande ernsthaft nach.
Sportlich ist das Turnier wegen der politischen Umstände wenig wert. Die beiden Superstars der Zeit
nehmen aus zweifelhaften Gründen nicht teil. Der Holländer Johan Cruyff gibt familiäre Probleme an.
Gut 15 Jahre später berichtet er von einem Einbruch in sein Haus in Barcelona 1977: „Mir wurde eine
Pistole an den Kopf gehalten.“ Franz Beckenbauer darf vom DFB-Präsidium aus nicht mitspielen, weil
er im Ausland bei Cosmos New York unter Vertrag steht. (…)
1986 verdrängt den Titel von 1978
Der Gewinn der Weltmeisterschaft löst in Argentinien tatsächlich ein nationales Hochgefühl aus.
Zeitzeugen sagen heute: „Wenigstens konnten wir uns auch mal wieder über etwas freuen. Wir sind
alle auf die Strasse gerannt, um unser Adrenalin herauszuschreien.“ Stolz sind in Buenos Aires aber
nur noch wenige auf den Titel von 1978. Ein Grund, um zu verstehen, warum der WM-Triumph 1986
einen derart hohen Stellenwert trägt: Der Titel in Mexiko mit Diego Maradona verdrängt die
Erinnerungen an 1978.
Die politischen Häftlinge aus dem Konzentrationslager neben dem Monumental-Stadion haben
ebenfalls ihre Erinnerung an den Glücksrausch auf den Strassen von Buenos Aires. Die inhaftierte
Graciela Daleo etwa darf während des Autokorsos ihren Kopf aus dem Wagendach strecken. Aber sie
weiss: „Wenn ich jetzt schreie, ,ich bin eine Verschwundene´, niemanden würde das interessieren.“
Die Fifa-Funktionäre beenden die WM gemeinsam mit der Militärjunta bei einem rauschenden
Festbankett. Fussball verbindet eben. Präsident Havelange schwärmt danach: „Die Welt hat das wahre
Gesicht von Argentinien gesehen“.
Donnerstag, 10.06.2010, 08:38 · von FOCUS-Online-Autor Alexis Mirbach, Buenos Aires
14
Die Kinder der Verschwundenen
N4
Die Militärjunta richtete geheime Haftanstalten ein. In den etwa 340 landesweit
verteilten Einrichtungen wurden oft mehr oder weniger willkürlich ausgewählte
„Verdächtige“ ohne Prozess monate- oder jahrelang festgehalten. Fast alle
Festgehaltenen wurden systematisch gefoltert und später umgebracht, nur ein
Bruchteil davon wieder freigelassen. Kinder der Verdächtigen wurden
mitgenommen. Familien von Offizieren konnten diese adoptieren, teilweise gegen
Geld.
Die Fotos stammen aus einem Theaterprojekt aus dem Jahr 2009, das sich mit dem
Leben nach der Diktatur befasst. Die Fotos sind Originale der Schauspielerin Vanina
Falco, deren Vater Polizist war.
Aussschnitt aus dem Theaterstück „Mein Leben danach:
Vanina
Blas
Vanina
Blas
Vanina
Mariano
Vanina
Ich wollte schon lange aussagen, aber laut Gesetz durfte ich nicht gegen den
eigenen Vater aussagen, ohne selbst ein Verfahren gegen ihn anzustrengen.
Vor einigen Monaten habe ich einen Sonderantrag an die Justiz gerichtet und
man hat mir die Genehmigung zur Aussage erteilt. Einer der Gründe, die die
Kammer für ihre Entscheidung anführte, war, dass ich meine Zeugenaussage ja
schon in einem Theaterstück mache. Jetzt darf ich endlich aussagen. Es ist das
erste Mal, dass in einem Verfahren wie diesem eine Tochter gegen ihren Vater
als Zeugin auftritt.
Wenn sie ihn schuldig sprechen, wie viele Jahre bekommt er dann dafür?
Zwischen siebzehn und fünfundzwanzig. Vor zehn Jahren habe ich
beschlossen, dass ich ihn nicht mehr sehen will; inzwischen müsste er sechzig
sein.
Das heisst, wenn sie ihn verurteilen, stirbt er wahrscheinlich im Gefängnis.
Das Traurigste daran ist, dass er immer mein Vater bleiben wird, auch wenn ich
ihn nicht mehr sehen will.
Und dein Bruder? Heisst er Mariano oder Juan?
Seine biologische Mutter hatte ihm bei der Geburt den Namen Juan gegeben,
doch mein Vater taufte ihn Mariano. Aber seit er alles erfahren hat, nennt er
sich wieder Juan. Aber er sagt immer noch, dass ich seine Schwester bin.
15
Widerstand – Die Mütter der Plaza de Mayo
N5
Die perfideste Methode der Sicherheitskräfte der Diktatur war das so genannte
Verschwinden lassen: Die Verschleppten wurden nach ihrer Ermordung an geheimen
Orten in anonymen Massengräbern verscharrt oder von Flugzeugen aus in den Rio
de la Plata geworfen. Laut offiziellen Angaben erlitten fast 9.000 Menschen dieses
Schicksal. Menschenrechtsorganisationen setzen die Zahl der Verschwundenen mit
30.000 sogar noch höher an.
Der Widerstand gegen den Terror war wegen der sehr gefährlichen Situation
versteckt und zögerlich – man riskierte bei Entdeckung sein Leben. Die bedeutendste
Protestbewegung waren die Madres de Plaza de Mayo, eine zunächst lockere
Organisation von Müttern von „Verschwundenen“, die sich jeden Donnerstag ab
1977 auf dem Platz vor dem Regierungsgebäude in Buenos Aires trafen und dort, mit
weissen Kopftüchern gekennzeichnet, stillschweigend Runden um den Platz drehten.
Seit dem 30. April 1977 halten sie einmal wöchentlich am Donnerstagnachmittag
eine Protestkundgebung auf dem zentralen Platz in der Hauptstadt Buenos Aires ab.
Da Proteste im Stehen von der Junta verboten worden waren, drehten die Mütter an
jenem ersten Donnerstag eine Runde um die Pyramide vor dem Präsidentenpalast.
Sie wollten zu Juntachef Jorge Videla vorgelassen werden, um von ihm Auskunft
über den Verbleib ihrer vermissten Söhne und Töchter zu erhalten. Das Kennzeichen
der Madres sind ihre weissen Kopftücher, mit denen sie die Friedfertigkeit ihrer
Proteste signalisieren. Diese gewaltlose Protestform wurde von den Militärs aus Angst
um eine Radikalisierung der Opposition geduldet.
Im Jahr 1977 schlossen sich Grossmütter, die auf der Suche nach ihren
verschwundenen Enkelkindern waren, zu einer Organisation zusammen. Der erste
Name der Organisation war Abuelas Argentinas con Nietos Desaparecidos. Später
wurde der Name in Abuelas de Plaza de Mayo in Anlehnung an die Madres de Plaza
de Mayo geändert. Viele Grossmütter waren zuvor bei den Madres de Plaza de
Mayo aktiv geworden. Die beiden Gruppen trafen sich zu wöchentlichen
Demonstrationen auf der namensgebenden Plaza de Mayo (vor dem
Regierungspalast in Buenos Aires). Dort versuchten sie mit Fotos ihrer Kinder auf deren
Verschwinden aufmerksam zu machen. Das Ziel der nicht-staatlichen Organisation
war und ist es, alle Kinder, die während der Militärdiktatur entführt wurden,
wiederzufinden und an ihre rechtmässigen Familien zurückzuführen. Viele der
Grossmütter waren, bevor sie auf diese Weise politisch aktiv wurden, Hausfrauen. Die
Grossmütter forderten bei verschiedenen Gerichtshöfen die Rückgabe ihrer
Enkelkinder sowie die Untersuchung der Umstände ihres Verschwindens. Sie
organisierten Demonstrationen, stellten Anfragen bei Gericht und den Kirchen und
wandten sich auch an internationale Organisationen, wie die UNO. Obwohl viele
Mitglieder der Organisation während der Diktatur bedroht wurden, verschwand
keine der Aktivistinnen.
16
Argentinische Menschenrechtsbewegungen heute
N6
Madres de Plaza de Mayo
Der Kampf der Mütter richtet sich bis heute gegen die Situation der impunidad, also
der Straflosigkeit, welche nach der Diktatur durch Begnadigungen und Amnestien
erzielt wurden.
Die Madres gelten in Argentinien als nationale Institution. Sie betreiben eine eigene
Zeitung, einen Radiosender und eine Universität. Finanziell unterstützt werden die
Mütter von internationalen Menschenrechtsorganisationen und durch Spenden.
Heute ist der Weg frei für die Wiederaufnahme von Prozessen gegen Mitglieder der
Junta.
Abuelas de Plaza de Mayo und H.I.J.O.S
Eng verbunden mit den Madres sind die Abuelas de Plaza de Mayo, die Grossmütter
der Plaza de Mayo, deren Kampf sich auf das Auffinden der geraubten Kinder der
Verschwundenen richtet. Hunderte Babys wurden ihren Müttern in Gefangenschaft
weggenommen und Familien von Angehörigen der Sicherheitskräfte übergeben. Die
Kinder wuchsen auf, ohne ihre wahre Identität zu kennen. Mithilfe von Recherchen
und dem Vergleich von DNA-Proben gelang es den Abuelas bis Juli 2007, 87 solcher
Fälle aufzuklären.
Die Nachfahren der Verschwundenen sind seit 1995 organisiert. Zusammen mit ExHäftlingen und Politaktivisten haben sie H.I.J.O.S., eine strikt horizontal organisierte
Menschenrechtsbewegung mit mehreren regionalen Sektionen (in
Córdoba, Rosario und Buenos Aires) gegründet: Die "Hijos por la
Identidad y la Justicia contra el Olvido y el Silencio" ("Söhne und Töchter
für die Identität und die Gerechtigkeit gegen das Vergessen und das
Schweigen") wollen den Kampf der Elterngeneration für eine gerechtere
Welt fortsetzen. In der Öffentlichkeit wurden sie vor allem durch die von
ihnen entwickelte Aktionsform des „escrache“ bekannt. Um gegen die
Straflosigkeit zu protestieren, halten sie vor Wohnhäusern ehemaliger
Junta-Mitglieder und Menschenrechtsverbrecher lautstarke
Kundgebungen ab. Mit der öffentlichen Brandmarkung wollen sie eine
soziale Bestrafung der Täter erreichen. Durch Aufklärungskampagnen im
Vorfeld wird den Nachbarn mitgeteilt, wer neben ihnen wohnt. Die
H.I.J.O.S. sind ebenfalls sehr aktiv im Kampf gegen die Nichtahndung aktueller
Menschenrechtsvergehen. Seit der Rückkehr zur Demokratie 1983 wurden allein in
Buenos Aires 1.900 Fälle leichtfertiger und mutwilliger Tötungen von Jugendlichen
durch die Sicherheitskräfte gezählt.
Kennzeichen der argentinischen Menschenrechtsorganisationen ist, dass sie die
Problematik der Menschenrechte nicht als isoliertes Phänomen betrachten, sondern
sie in einen grösseren Zusammenhang von sozialem und wirtschaftlichem Wandel
stellen. Nach dem Selbstverständnis der Mütter stellen die Arbeitslosen die "neuen
Verschwundenen des Systems" dar. So überrascht es nicht, dass sich Madres,
Abuelas und H.I.J.O.S. auch an Protesten gegen die Folgen des neoliberalen
Umbaus der argentinischen Wirtschaft beteiligen. Das ökonomische Modell, das 2001
und 2002 in die bislang schwerste Krise des Landes führte, wurde, so ihre
Argumentation, vom Wirtschaftsminister der Militärdiktatur, José Alfredo Martínez de
Hoz, eingeführt und mit Hilfe der Sicherheitskräfte gegen den massiven Widerstand
von Gewerkschaften und sozialen Organisationen durchgesetzt.
17
Schreiben gegen die Diktatur – Rodolfo Walsh
N7
Offener Brief eines Schriftstellers an die Militärjunta
I
Die Zensur der Presse, die Verfolgung von Intellektuellen, die Hausdurchsuchungen
bei mir, die Ermordung guter Freunde und der Verlust einer Tochter im
Widerstandskampf – das sind einige der Gründe, die mich nach beinahe dreissig
Jahren als Journalist und Schriftsteller, in denen ich stets frei und offen meine Position
vertreten konnte, nun zu klandestinen (heimlichen, geheimen) Formen der
Meinungsäusserung zwingen.
Die erste Jahresbilanz dieser Militärjunta brachte eine Flut offizieller Reden und
Schriften hervor, worin alles, was Sie als Erfolge bezeichnen, Irrtümer sind; was Sie
aber als Irrtümer zugeben, sind Verbrechen, und das, was verschwiegen wird, ist das
eigentlich Unheilvolle.
Am 24 . März 1976 stürzten Sie eine Regierung, an der Sie selbst beteiligt und für
deren Schamlosigkeit Sie als Vollstrecker der repressiven Politik mit verantwortlich
waren. (…) Eine solche Politik kann freilich nicht von langer Dauer sein und nur
gewaltsam durchgesetzt werden: indem man die Parteien verbietet, die
Gewerkschaften gegängelt, die Presse knebelt und einen
Terror verbreitet, wie ihn die argentinische Gesellschaft noch nie gesehen hat.
II
15 000 Verschwundene, 10 000 Gefangene, 4000 Tote, Zehntausende, die aus dem
Land vertrieben worden sind – dies sind die nackten Zahlen dieses Terrors. Als die
herkömmlichen Gefängnisse überfüllt waren, verwandelten Sie die grössten
militärischen Einrichtungen des Landes in regelrechte Konzentrationslager, zu denen
kein Richter, kein Rechtsanwalt, kein Journalist, kein internationaler Beobachter
Zugang hat. Die Anwendung des Militärgeheimnisses, für die Untersuchung all der
Fälle als unumgänglich erklärt, macht die Mehrzahl der Verhaftungen de facto zu
Entführungen, was Folter ohne jede Einschränkung und Hinrichtungen ohne
Gerichtsurteil ermöglicht.(…)
Die Praktiken, die Sie anwenden, sind ein Rückschritt in jene Epochen, in denen die
Gliedmassen und die Organe eines Folteropfers direkt angegriffen wurden. Heute
geschieht dies mit chirurgischen und pharmazeutischen Hilfsmitteln, über welche die
damaligen Schergen noch nicht verfügten. Zwar tauchen die Folterbank, die
Daumenschraube, das Häuten bei lebendigem Leib, die Eisenkette der
mittelalterlichen Inquisition in den Verhören allesamt wieder auf, doch ergänzt um
die Picana [Elektroschockgerät], den Submarino [Waterboarding] und weitere
technische Anpassungen an die Gegenwart.(…)
III
Das Militärregime weigert sich, die Namen der Gefangenen zu publizieren, und
vertuscht so die systematischen Erschiessungen, die immer im Morgengrauen und in
entlegenen Gegenden durchgeführt werden unter dem Vorwand frei erfundener
»Kämpfe« und angeblicher »Fluchtversuche«. (…)
Am 25. März 1977 verschickte Rodolfo Walsh den »Offenen Brief eines Schriftstellers an die
Militärjunta« an die Redaktionen der argentinischen Tageszeitungen, in dem er die
diktatorische Regierung ihrer zahlreichen Verbrechen anklagte. Am selben Tag wurde er von
Soldaten auf der Strasse getötet.
18
Der, den ich suche
N8
Welche Nummer soll ich wählen, wenn ich mit dir sprechen möchte,
Gerardo?
Leute, der den ich suche, spielt Gitarre, hat eine Schwäche für Kaffee, spielt
Fussball und treibt noch anderen Sport, schaut gelegentlich fern und kocht
besser als meine Mutter. Er geht auf Zeltlager und bleibt die ganze Nacht auf,
hat Freunde in mehreren Sprachen, bereist den Kontinent und schreibt
Gedichte in der Abenddämmerung und im Morgengrauen. Er ist dabei, seine
Doktorarbeit über Materialwiderstand zu beenden, aber er widersteht nicht
einmal dem Metall der Schere, die ich mit 4 Jahren nach ihm werfe. Er
möchte mal heiraten. Er ist politisch engagiert und sagt, er sei Atheist, aber
ein Vaterunser hat er doch: dass alle essen, studieren, wählen können.
Der, den ich suche, hat sprechende Augen, wilde Haare, eine
beeindruckende Grösse, eine volltönende Stimme und die Gesten eines
Kindes.
Der, den ich suche, ist nicht älter geworden, seine Stirn ist nicht gefurcht, seine
Schläfen nicht ergraut. Er ist gut in Mathematik, kann aber keine Kuh
zeichnen. Als Kind hat er sich im Bad eingeschlossen und als junger Mann in
seinem Zimmer. Als Erwachsener hat man ihn in ein Lager gesperrt.
Ich versuche, Schlüsse zu ziehen, deine Geschichte so zurechtzuzupfen, dass
die Ungewissheit verfliegt, eine Version zu schaffen, die Anfang, Mitte und
Ende hat. Jemand hat erzählt, man habe dich erschossen. Jemand hat dich
in der ESMA gesehen. ESMA, Gerardo ist erschossen worden, die dort haben
das Ende beschlossen.
Aus: Nora Strejilevich, „Una sola muerte numerosa“
19
Gustavo Germano
N9
1976: Orlando René Méndez, Laura Cecilia Méndez
Oliva, Leticia Margarita Oliva
2006: Laura Cecilia Méndez Oliva
1970: Maria Irma Ferreira, Maria Susana Ferreira
2006: Maria Susana Ferreira
1969: Der Fotograf Gustavo M. Germano, Guillermo
A. Germano, Diego H. M. Germano, Eduardo R.
Germano
2006: Gustavo M. Germano, Guillermo A. Germano,
Diego H. M. Germano
20
AUfarbeitung der Geschichte
N10
ARGENTINIEN
Ex-Diktatoren Videla und Bignone
wegen Babyraubes verurteilt
In Argentinien entführten Militärs in den Jahren 1976 bis 1983 etwa 500 Babys
von Regimegegnern. Mitglieder der Junta bekamen dafür nun langjährige
Haftstrafen. 06. Juli 2012 - 09:31 Uhr
Argentiniens ehemalige Diktatoren Jorge Rafael Videla (Mitte) und Reynaldo Bignone (Zweiter von rechts) vor Gericht
Die früheren argentinischen Diktatoren Jorge Rafael Videla und Reynaldo Bignone sind am
Donnerstag wegen Babyraubes zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Das Gericht machte sie
dafür verantwortlich, dass während der Militärdiktatur von 1976 bis 1983 Kinder inhaftierter
Regimegegner ihren Eltern systematisch geraubt und unter falschem Namen an regierungstreue
Familien geben wurden.
Gegen den 86-jährigen Ex-General Videla verhängte das Bundesgericht in Buenos Aires eine
Gefängnisstrafe von 50 Jahren, berichtete die Nachrichtenagentur dyn. Der 84-jährige Bignone erhielt
15 Jahre. Vier weitere ranghohe Offiziere bekamen Strafen von 14 bis 40 Jahren Gefängnis. Zwei
Angeklagte wurden freigesprochen.
Menschenrechtsaktivisten zufolge starben während der Militärdiktatur rund 30.000 Menschen. Die
Militärs gaben schätzungsweise 500 Neugeborene und Kleinkinder illegal an fremde und zumeist
regimetreue Familien. Die leiblichen Mütter – und oft auch die Väter – wurden gefoltert und ermordet.
"Eine Wiedergutmachung"
In dem Prozess ging es um 35 Fälle geraubter Kinder. Bei 26 gelang es inzwischen, sie zu ermitteln
und ihnen ihre wahre Identität zurückzugeben. "Dieses Urteil ist eine Wiedergutmachung nicht nur für
die Opfer, deren Angehörige und Freunde, sondern für die gesamte Gesellschaft", sagte die
Abgeordnete Victoria Donda nach der Urteilsverkündung. Sie selbst ist auch Betroffene: Donda wurde
1977 in der Marineschule ESMA geboren, wohin ihre Mutter von den Militärs verschleppt und dort
später ermordet worden war. Erst 2003 fand sie mit Hilfe der Vereinigung der "Grossmütter des
Maiplatzes" ihre wahre Identität. Ihr vermeintlicher Vater Juan Antonio Azic wurde am Donnerstag zu
14 Jahren Gefängnis verurteilt. Die ehemaligen Diktatoren Videla (1976-1981) und Bignone (19821983) sind bereits wegen anderer Menschenrechtsverletzungen jeweils zwei Mal zu lebenslanger Haft
verurteilt worden.
COPYRIGHT: ZEIT
ONLINE, dpa, AFP
21
Rechercheprojekt Schweiz
N11
Argentinien scheint weit weg zu sein. Aber auch in
der Schweiz wurden Kinder ihren leiblichen Eltern
weggenommen. Recherchiere zu den
untenstehenden Stichworten im Internet.
Stichworte für die Recherche:
Jenische, Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse, Kinderraub, Stephan Eicher.
Hilfreiche Internetseiten:
www.swissinfo.ch/www.beobachter.ch/www.radgenossenschaft.ch
www.naschet-jenische.ch/www.jenischekultur.ch/www.gra.ch/
www.wikipedia.org
Beantworte folgende Fragestellungen:
Was sind Jenische?
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Wie und wo lebt diese Bevölkerungsgruppe in der Schweiz?
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Welche Sprache(n) sprechen sie?
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Was erfährst du über Kultur, Berufe, Religion?
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Was ist das Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse?
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
___________________________________________________________________________
Und was hat Stephan Eicher (Sänger) damit zu tun?
22
Tango
N12
Kalenderblatt: 20.11.1913
Kein Tango für Offiziere
Offizieren in Uniform ist es ab dem 20. November
1913 verboten, Tango zu tanzen. Kaiser Wilhelm
macht
sich
damit
zum
Vorreiter
jener
konservativen Kreise in Deutschland, die den
argentinischen Salontanz als unsittlich verpönen
und ablehnen.
In den Hafenvierteln von Buenos Aires entstand Mitte des 19. Jahrhunderts ein neuer
Tanz: der Tango. Im Lateinischen bedeutet das Wort "ich berühre". Ein treffender
Name. Zu aufwühlenden Harmonien und hart stakkatierten Rhythmen tanzten die
Paare zum ersten Mal auf der Welt in engstem Körperkontakt. Mit ihren Bewegungen
erzählen sie Geschichten von Schmerz und Sehnsucht.
In der "Encyclopedia of Latin America" ist über den Tango zu lesen: "Tango ist
fordernde Leidenschaft, Zärtlichkeit, Melancholie und natürlich ein Spiel zwischen
Mann und Frau. Er erzählt von gescheiterten Liebesbeziehungen, dem der Prostitution
verfallenen Mädchen, Verlust der Jugend, des heimischen Stadtviertels."
Seine unverwechselbare, melancholische Stimme erhält der Tango durch ein
Musikinstrument, das deutsche Einwanderer nach Argentinien mitbrachten: Eine
kleine Ziehharmonika aus der Werkstatt von Heinrich Band in Krefeld, dem
Bandoneon.
Der Tango, das Rinnsteinkind
Der Tango ist kein vornehmer Tanz. Der Tango ist ein Kind der Hafenkneipen. Im
Tango drücken die Vergessenen am unteren Rand der Gesellschaft ihr Leiden aus,
das passte so gar nicht ins kaiserliche Kunstverständnis.
Da griff der Kaiser durch. Wenigstens seine Lieblingsuntertanen, die Soldaten, sollten
dem sündigen Treiben fernbleiben. Am 20. November 1913 erging ein Erlass, nach
dem es Offizieren in Uniform verboten war, den Tango zu tanzen.
©
SPIEGEL
ONLINE
2008
Bis in die fünfziger Jahre war der Tango der Gesellschaftstanz Argentiniens. Mit dem Sturz des
argentinischen Präsidenten Juan Peron 1955 durch das Militär, schwindet zwangsläufig die Popularität
des Tangos. Während dieser Zeit waren öffentliche Versammlungen aller Art verboten, was auch dazu
führte, dass die Menschen nicht mehr tanzten. Viele Künstler gingen ins Exil. Erst mit dem Ende der
Diktatur 1983 lebte der Tango wieder auf und man knüpfte dort an, wo man vor Jahrzehnten aufhören
musste, nämlich am Tanzstil der vierziger Jahre.
23
Tango „Cambalache“
N13
Enrique Santos Discépolo (1935) Deutsche Übersetzung: Frank Schladitz
Cambalache
Que el mundo fue y será una porqueria,
ya lo sé... (¡En el quinientos seis y en el dos
mil también!).
que siempre ha habido chorros,
maquiavelos y estafaos, contentos y
amargaos, valores y dublés...
Pero que el siglo veinte es un despliegue
de maldá insolente ya no hay quien lo
niegue.
Vivimos revolcaos en un merengue y en un
mismo lodo todos manoseaos...
¡Hoy resulta que es lo mismo ser derecho
que traidor..!
¡Ignorante, sabio, chorro, generoso o
estafador! ¡ Todo es igual! Nada es mejor!
¡Lo mismo un burro que un gran profesor!
No hay aplazaos ni escalafón, los
inmorales nos han igualao. Si uno vive en
la impostura y otro roba en su ambición,
¡da lo mismo que sea cura, colchonero,
rey de bastos, caradura o polizón!...
¡Qué falta de respeto, qué atropello a la
razón! ¡Cualquiera es un señor! Cualquiera
es un ladrón!
Mezclao con Stavisky va Don Bosco y "La
Mignón", Don Chicho y Napoleón, Carnera
y San Martín...
Igual que en la vidriera irrespetuosa de los
cambalaches se ha mezclao la vida y
herida por un sable sin remache ves llorar
la Biblia contra un calefón...
¡Siglo veinte, cambalache problemático y
febril! ... El que no llora, no mama, y el que
no afana es un gil.
¡Dale nomás! ¡Dale que va! ¡Que allá en el
horno nos vamo a encontrar! ¡No pienses
más, sentate a un lao que a nadie importa
si naciste honrao!
Es lo mismo el que labura noche y día,
como un buey, que el que vive de los
otros, que el que mata o el que cura o
está fuera de la ley.
Trödelladen
Dass die Welt ein Schweinestall war und
bleibt, das weiss ich schon, (im Jahr 506,
und auch im Jahr 2000!)
dass es immer Diebe gab, Machiavellisten
und Angeschmierte, Zufriedene und
Verbitterte, Wichtige und Falsche...
Aber dass das 20. Jahrhundert eine
unverschämte Entfaltung von Bosheit ist,
kann schon niemand bestreiten.
Wir leben in einem Durcheinander und mit
demselben Schlamm werden alle
befummelt.
Heute sieht es so aus, als ob es egal wäre,
aufrecht oder treulos zu sein!
Unwissender, Weiser, Dieb, Grosszügiger
oder Betrüger! Alles ist gleich! Nichts ist
besser! Ein Esel ist dasselbe wie ein grosser
Professor!
Es gibt kein Vertagen noch eine Rangliste.
Die Unmoralischen haben uns
gleichgemacht. Der eine täuscht und
verleumdet, der andere raubt ohne
Skrupel... Ob Priester, Matratzenhersteller,
König der Unterwelt, ein unverschämter
Kerl oder ein blinder Passagier.
Welche Respektlosigkeit, welche
Beleidigung der Vernunft! Jeder ist ein
feiner Herr! Jeder ist ein Gauner!
Vermischt mit Stavisky kommt Don Bosco
und "La Mignón", Don Chicho und
Napoleon, Carnera und San Martin...
Genauso wie in dem respektlosen
Glasfenster der Trödelläden hat sich das
Leben vermischt. Und verletzt mit einem
Säbel ohne Niete, siehst du die Bibel
weinen neben einem Wassererhitzer.
20. Jahrhundert, Trödelladen, voller
Probleme und fiebernd! Wer nicht
jammert, kriegt nichts, wer nicht klaut, ist
ein Dummer.
Geh weiter! Geh nur ! Dass wir uns dort im
Ofen treffen werden! Denke nicht mehr,
setze dich daneben, dass niemand sich
dafür interessiert ob du ehrlich geboren
bist!
Derjenige, der Tag und Nacht wie ein Rind
arbeitet, ist genauso wie derjenige, der
von anderen lebt, und wie derjenige, der
tötet, oder derjenige, der heilt oder der ein
Gesetzesbrecher ist.
24
Quellen
Literatur
„Zweimal Überleben“, Eva Eisenstaedt
ISBN 978-3-85476-345-1
„Eine kleine Geschichte Argentiniens“, Sandra Carreras, Barbara Potthast
ISBN 978-3-518-46147-1
„Theaterspiele“ Keith Johnstone
ISBN 978-3-89581-001-0
„Mein Leben danach“, Theaterstück von Lola Arias
ISBN 978-3-88661-335-9
„Verschwunden“ - ein Fotoprojekt von Gustavo Germano mit Texten zur Diktatur in
Argentinien 1976–1983
ISBN 978-3-940233-43-1
Internet
Zeit online: www.zeit.de/politik/ausland/2012-07/argentinien-diktatur-babyraub
Beobachter: www.beobachter.ch
Spiegel online: www.spiegel.de
Bundeszentrale für politische Bildung: www.bpb.de, Dossier Lateinamerika
Grossmütter der Plaza de Mayo: http://www.abuelas.org.ar
Sammlung von Informationen über Argentinien: www.argentina-argentinien.com
Offener Brief von Rodolfo Walsh: www.rotpunktverlag.ch
www.wikipedia.org
Tangotexte: www.tango-rosetta.com
25
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