Gunthard Weber, Gunther Schmidt, Fritz B

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Gunthard Weber, Gunther Schmidt, Fritz B. Simon: Aufstellungsarbeit
revisted... nach Hellinger? Mit einem Metakommentar von Matthias Varga von
Kibéd. Heidelberg (Carl-Auer) 2005, EUR 24,95.
Es ist längst fällig sich mit der so stark in Mode gekommenen Aufstellungsarbeit
kritisch auseinander zusetzen. Kaum ein Patient, den ich derzeit in Therapie
habe, hat nicht zumindest vom Wunsch gesprochen, ein solches Seminar zu
besuchen oder hat daran teilgenommen. Die Berichte, was in diesen Seminaren
geschieht, lassen gemischte Gefühle hochkommen.
Vor ca. 20 Jahren war es der „Körper-Boom“, von dem große Faszination
ausgegangen ist; Bioenergetik-Seminare erfreuten sich damals sogar in
Managmentkreisen großer Beliebtheit. Dieser Boom ist mittlerweile vorbei, und
nun ist es die Aufstellungsarbeit im Hellinger´schen Sinn, die als stark
erlebnisorientierter und regressionsfördernder Ansatz die Teilnehmer in seinen
Bann zieht. Man sollte bei aller Kritik nicht vergessen zu sagen, dass sowohl
vom seinerzeitigen Körper-Boom und ebenso vom jetzigen Aufstellungs-Boom
wichtige Impulse ausgehen: einerseits für viele Menschen, die für
Psychotherapie dadurch sensibilisiert wurden und werden, andererseits für das
psychotherapeutische Kollegium; nicht wenige von ihnen integrieren
Aufstellungstechniken mit ihren ressourcen- und lösungsorientierten
Möglichkeiten mittlerweile in die eigene therapeutische Arbeit.
Ebenso wichtig ist die Kritik: die Gefahr, dass bei Menschen mit schwacher IchStruktur mehr Schaden angerichtet wird als Nutzen entsteht; die Gefahr, dass
hochemotionalisiertes Gruppenerleben verwechselt wird mit der Notwendigkeit
eines kleinschrittweisen Erarbeitens von alltagsnahen Umsetzungen; die Gefahr
der Infantilisierung des Patienten und der impliziten Förderung von Illusionen
und Abhängigkeiten; die Gefahr auf Therapeutenseite, speziell in der
Gruppensituation dem regressiven Übertragungsdruck der Gruppe im Sinne
einer stillen Kollusion mit eigenen narzisstischen Wünschen und
Größenfantasien zu erliegen und sich von den Gruppenteilnehmern unreflektiert
idealisieren zu lassen. All diese und noch andere Risken machen gerade eine
tiefenpsychologisch fundierte Kritik der Aufstellungsarbeit notwendig.
Solche Risken sind nicht zu unterschätzen, denn regressionsfördernde
Gruppenerlebnisse dieser Art befördern in letzter Konsequenz einseitige
Dependenzverhältnisse und Machtpositionen von Therapeuten, die langfristig
der Psychotherapie dadurch schaden, dass ein falsches Bild entsteht, was
Psychotherapie eigentlich sein sollte. Es hängt somit immer entscheidend davon
ab, wie Aufstellungsarbeit konkret praktiziert wird. Ich selbst habe als
Teilnehmer vor Jahren eine Aufstellung mit einem Leiter miterlebt, der eine
sachliche Haltung im wahrsten Sinn des Wortes verkörpert hat. Die Aufstellung
war dann auch entsprechend unspektakulär und vom Ergebnis her nicht mehr
und nicht weniger als ein Assoziationsexperiment: von einigen Anregungen
konnten wir gut profitieren, andere Assoziationen waren nicht zutreffend. Diese
Form der Aufstellung war gut vergleichbar mit einem psychotherapeutischen
Vorgehen anderer Art, bei dem man sich tastend und suchend weiterbewegt, im
stetigen Wechsel von Irrtum und beidseitigem Verstehen.
Das vorliegende Buch schließt an meine damaligen Aufstellungs-Erfahrungen
insofern gut an, als es in gelungener Weise die Aufstellungsarbeit entzaubert. Es
ist ein recht lebendiges Buch geworden; eine Fülle von protokollierten LiveDiskussionen zwischen den drei Autoren macht die unterschiedlichen
Zugangsweisen und Perspektiven nachvollziehbar. Ein Verdienst des Buches
liegt u. a. darin, dass der Versuch unternommen wird, die Unterschiede
zwischen Aufstellungsarbeit und systemischer Therapie, die mittlerweile ein
wenig verschwommen sind, herauszuarbeiten. Diesbezüglich weist Simon auf
die Verschiedenheit der Sprachformen hin. Während in der Aufstellungsarbeit
die Inszenierung der räumlichen Metapher gezeigt wird und das Sprechen im
wesentlichen reduziert ist auf die Befindlichkeiten der Repräsentanten, wird in
der systemischen Therapie vor allem auf der Metaebene gesprochen - über
Beziehungen, über die Wirkungen und Regelhaftigkeit von Aktionen, über
Herstellung von Problemen usw. Eine solche Klärung trägt sehr zur
Versachlichung der Diskussion bei, und ist ein wichtiger Grund dafür, warum
die einstige Kontroverse zwischen systemischer und psychoanalytischer
Perspektive mittlerweile einer nüchternen Orientierung Platz gegeben hat.
Davon zeugen z. B. die Publikationen der Psychoanalytiker Peter Fürstenau und
Michael Buchholz.
Mittlerweile verstärkt sich innerhalb des Mainstreams der Psychoanalyse eine
Tendenz zu einer systemisch-„relationalen“ Sichtweise menschlichen Erlebens
und Verhaltens, eingebettet in ein holistisches Weltbild; eine „nichthermetische“ Psychoanalyse setzt sich seit vielen Jahren mit Ergebnissen der
Säuglingsforschung, der Humanethologie und Neurowissenschaften und sogar
der Quantenphysik auseinander; dieser vernetzende Bezug zu anderen
Disziplinen und die dadurch mögliche Gesamtschau von Phänomenen kommt
mir im hier besprochenen Buch ein wenig zu kurz, trotz des differenzierten
Abschlusskommentars von M. Varga von Kibéd. Es ist vom Anspruch her aber
vermutlich weniger als wissenschaftlich fundierte Darstellung gedacht, sondern
eher als Versuch der Abgrenzung gegenüber Hellinger – und dieser Versuch
kann als gut gelungen bezeichnet werden. Dass sich dabei die drei Autoren
unterschiedlich positionieren, lässt sich beim Lesen gut nachvollziehen.
Vom Inhalt her werden in diesem Buch fünf Aufstellungen sinnesnah
nachgezeichnet (sogar mit Abbildungen zu den räumlichen Positionen der
Repräsentanten) und anschließend von den Autoren auf unterschiedliche Weise
theoretisch kommentiert. Die dabei angesprochenen thematischen Schwerpunkte
sind u. a. die konstruktivistische Perspektive sowie die
Aufmerksamkeitsfokussierung aus hypnotherapeutischer Perspektive. Durch die
genauen und detaillierten Beschreibungen erhält man auch einigen Einblick in
die Technik der Aufstellungsarbeit.
Im Gegensatz zur radikalen Kritik, die Werner Haas in seinem Buch
„Familienstellen – Therapie oder Okkultismus?“ vorgenommen hat, spürt man
bei Simon, Weber und Schmidt eine eher offene Haltung auch gegenüber
Aspekten und Phänomenen, die üblicherweise dem Esoterischen zugerechnet
werden, wie beispielsweise Theorien über Feldwirkungen. Diese offene Haltung
spricht mich im Gegensatz zu einem positivistischen Dogma an, weil sie –
durchaus im Einklang mit einer systemisch-relationalen Perspektive des
gesamtweltlichen Geschehens – erlaubt, sich bestimmten bisher wenig gut
erklärbaren Phänomen auf der Grundlage alternativer Erklärungsmodelle
behutsam anzunähern.
Somit kann dieses Buch sowohl Psychotherapeuten jeglicher Provenienz,
Organisationsberatern und Beratern anderer Art sowie auch einem interessierten
Laienpublikum empfohlen werden.
Peter Geißler
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