Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden SIEGFRIED ALEXANDER HENZL BEDEUTUNGSGEBUNG UND SPRACHE IM KONTEXT VON AUFSTELLUNG Ein metatheoretischer Versuch einer Annäherung* ALS MICH Konrad Grossmann und Helmut de Waal vor einigen Monaten einluden, diesen Vortrag über Bedeutungsgebung und Sprache im Kontext von Aufstellungsarbeit zu halten, hatte ich keinerlei Vorstellungen, wie gedanklich komplex sich meine nächsten Wochen, Tage und Stunden in Bezug auf dieses Thema gestalten würden. Ausgehend von meiner anfänglichen Frage an Konrad „Wie kommst du auf mich?“ war seine Antwort, dass er mir zutraue, mich mit einem Blick sowohl von innen wie auch von außen diesem Thema anzunähern. Von innen, weil ich mich selbst seit mehr als 15 Jahren mit Methoden der Externalisierung beschäftige – aus einer metatheoretischen Perspektive, wie auch als selektiv kritisch Praktizierender von visualisierenden, externalisierenden Methoden (zu denen ich Skulptur- und Aufstellungsarbeit im Kontext systemischer Psychotherapie zähle). Mit einem Blick von Außen, weil ich immer wieder durch meine kritische Distanz zum Thema versuche, eine Position der Außenperspektive einzunehmen und mir diese zu erhalten. Mir ist hier – wie ein Wanderer durch den schier riesigen Aufstellungswald gehend – bewusst, dass ich nur einzelne Steinchen am Weg aufhebe, diese kurz neugierig kritisch betrachte und dann wieder weglege. Vielleicht werden Sie am Ende meines Vortrages kritisieren, dass ich einen sehr eingeschränkten Fokus gewählt habe, neuere Entwicklungen nicht berücksichtige. Wenn Sie mehr über die Vielfältigkeit von Aufstellungsarbeit lesen wollen, dann verweise ich Sie auf Matthias Varga von Kibed und Insa Sparer, 2000, die einen komplexen Überblick über Aufstellungsarbeit geben. Heinz von Foerster referiert im Film „Suspicious mind“, dass wir (ich denke er meint uns PsychotherapeutInnen) eine Geschichte so erzählen müssten, dass der Hörer seine eigenen Geschichten in diese Geschichte einfließen lassen kann. Er solle seiner Meinung nach die Geschichte nicht vollständig erzählen. Ich werde versuchen, es zu versuchen, es zu versuchen ... *Dieser Artikel ist die gekürzte Fassung eines Vortrages im Rahmen des Systemischen Kaffeehauses an der LASF am 2.6.2004. Vorweg gestatten Sie mir nun folgenden Personen zu danken: Konrad Grossmann und Helmut de Waal, für ihre Einladung hierher zu kommen, der ich gerne gefolgt bin, Mag. Gerald Friedrich, Dr. Margarete Fehlinger und Gisela Moser, die mit viel Aufmerksamkeit und Behutsamkeit die Entwicklung des Vortrages in der berühmten Wortteilungsphase begleiteten und meiner Frau, Dr. Marlies Henzl, die, wenn ich ihr anfangs den Text vorlas, als Nicht-Insiderin kritisch darauf achtete, dass dieser nicht den allgemein verständlichen Rahmen verließ. Gewidmet habe ich den Vortrag meinem mentalen Begleiter in meiner beruflichen Entwicklung, Heinz von Foerster, und meiner Mutter, die als einzige der mir vorhergehenden Generation noch am Leben ist. Zuletzt gestatten Sie mir, Sie mit Hauptkommissar Van Vetereen bekannt zu machen: „Die Wirklichkeit?“ wiederholte der Hauptkommissar, nachdem er die Fantasiebilder weggezwinkert hatte. „Ach so, die...ja, vermutlich glaube ich viel zu viel. Es gibt so viele sonderbare Dinge in dieser Geschichte, und es ist so schwer, die herauszuhalten...zu viele sonderbare Dinge (...), genauer gesagt. Ihre verfluchten Dummheiten und kranken Ideen verdrehen sozusagen die ganze Perspektive. Weg vom Wesentlichen, ich dachte, wir hätten schon letztes Mal darüber geredet.“ „Und was ist das Wesentliche?“ (Hakan Nesser, Der Kommissar und das Schweigen, 2003, S.196) Seite 1 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden AUFSTELLUNGSARBEIT – ich muss Ihnen hier gestehen, nicht zu wissen, wer diesen Begriff erfunden hat und in welchem Zusammenhang er geprägt wurde – ist im Kontext von Psychotherapie und ihrer Umwelten seit bereits mehr als 10 Jahren – genauer gesagt seit 1993, seit dem Erscheinen des Buches von Gunthard Weber „Zweierlei Glück: Die systemische Psychotherapie Bert Hellingers“, erschienen im Carl Auer Verlag – Gegenstand von Diskussionen. Gunthard Weber schrieb als ein von Bert Hellinger und dessen Arbeit begeisterter geschäftsführender Eigentümer eines jungen Verlages den Bestseller schlechthin – das Buch ist inzwischen in der x-ten Auflage erschienen und stellt mit den anderen um die Person Hellingers erschienenen Werken eine wirtschaftliche Basis des Carl Auer Verlages dar. Scheinbar traf Weber den Geschmack der Kunden oder höflicher ausgedrückt, das Bedürfnis der Kunden, sprich der Psychotherapeuten. Am Ende einer Zeit konstruktivistischer Herausforderung und konstruktionistischer Theorienbildung in der systemischen Therapie bekam der Therapeut/die Therapeutin durch Hellinger wieder die ihm/ihr in den Jahren davor scheinbar abhanden gekommene gebührende Zuschreibung als „Wissende/Wissender des Heilungsrituals“. Gleichzeitig war dies aber auch der Beginn der Trennungsgeschichte einer der erfolgreichsten Gruppen systemischer Theorie- und Methodenbildung im deutschsprachigen Raum, der Heidelberger Gruppe. Seit der Erfindung der Psychoanalyse gab es keine so umfassend kontroversielle Beschäftigung mit einem, den konzeptionellen psychotherapeutischen Kontext tangierenden Thema. Kaum ein anderer methodischer Aspekt teilte die Gemeinde so stark in Gläubige und Ungläubige in Bezug auf diese Vorgangsweise, je nachdem, von welcher Position die jeweiligen Konfrontationsparteien sich dem Thema annäherten. Wie schnell Begriffe wie „Aufstellung“, „Aufstellungsarbeit“ oder „Familienaufstellung“ Eingang in die Kommunikation auch von Laien gefunden haben, ist schon daraus zu ersehen, dass diese Begriffe nicht nur Fachleu ten geläufig scheinen: Selbst Arbeiter, Hausfrauen und Bäuerinnen aus dem Inn- und Hausruckviertel haben schon einmal von ihnen gehört. Oder, wie es ein Kollege, bezogen auf den Raum um Graz, zu mir sagte: „Dort gibt es scheinbar keinen Menschen mehr, der nicht schon aufgestellt wurde“. Ich hoffe, Sie sind mir über dieses Zitat nicht böse, ich werte es eher als einen Ausdruck oft schierer Verzweiflung über die eigene schlecht gehende Praxis mancher Kollegen und Kolleginnen im Gegensatz zu AufstellungskollegInnen. LASSEN SIE MICH IHNEN HIER, an dieser Stelle, eine kleine private Statistik zeigen. Diese Zusammenstellung ist das Ergebnis einer zufälligen Eingabe der Begriffe Bert Hellinger, Matthias Varga, Insa Sparer, systemische Aufstellung, Familienaufstellung, Familienstellen, Aufstellungsarbeit, Strukturaufstellung und Organisationsaufstellung in eine der größten Suchmaschinen des Internets, nämlich Google. Angezeigte Seiten (deutschsprachig) Hellinger ca. 44.800 Familienaufstellung ca. 31.200 Familienstellen ca. 19.300 Matthias Varga ca. 7.290 Systemische Aufstellung ca. 6.540 Organisationsaufstellung ca. 5.820 Aufstellungsarbeit ca. 5.460 Insa Sparer ca. 2100 Strukturaufstellung 797 Eine Eingabe ins gesamte Web erbrachte einen Auswurf von über 84.000 Seiten beim Begriff „Aufstellung“. Ich denke, dass diese Zahlen beeindruckend sind und ein Bild davon geben, welche Bedeutung diese Vorgangsweise im Handeln von Consulting (psychosozialer Beratung, Supervision und Coaching, Seite 2 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden Organisationsbe ratung und -entwicklung) sowie auch von Therapie gewonnen hat. Ich sage hier bewusst Therapie, da oft unter dem Begriffsrahmen „Therapie“ auch Tätigkeitsfelder jener Personen wiedergegeben werden, die sich ohne psychotherapeutische Grundausbildung am Aufstellungsmarkt bewegen. Dieses Thema sei jedoch einer anderen Diskussion vorbehalten. LASSEN SIE UNS NUN den Sprung hinein ins Konkrete wagen, der geschichtliche und mediale Kontext scheint mir nun gut vorbereitet. Am Anfang stand also „Zweierlei Glück“ oder die Erfindung Bert Hellinger durch Gunthard Weber und seine phänomenologische systemische Psychotherapie. Mit folgenden Sätzen gelang es Gunthard Weber den Grundstein einer, ich gestatte mir zu sagen, heute noch nicht abzuschätzenden Bewegung zu legen (S. 17): „Beziehungen dienen unserem Überleben und unserer Entfaltung, und sie nehmen uns zugleich für Ziele in die Pflicht, die jenseits unseres Wünschens und Wollens sind. Daher walten in Beziehungen Ordnungen und Mächte, die fördern und fordern, treiben und steuern, beglücken und begrenzen, und ob wir wollen oder nicht, wir sind ihnen ausgeliefert durch Trieb und Bedürfnis, durch Sehnsucht und Furcht und durch Leid.“ Sie werden möglicherweise schon hier bei genauerer Betrachtung feststellen, dass diese Sätze einem mitunter durch Mark und Bein gehen können. Was heißt das? – In Beziehungen walten – Ordnungen (welche, von wem und für wen festgelegt?) – und Mächte (welcher Natur sind sie?) – Sie (die Ordnungen und Mächte) – fördern und fordern (was von wem, wer von wem?) – treiben und steuern (wen oder was, wer steuert wohin?) – beglücken und begrenzen (wen, womit, wer wen oder was?) – ob wir wollen oder nicht (scheinbar wird hier klargestellt, dass wir keinen Einfluss darauf haben), – wir sind ausgeliefert durch – Trieb und Bedürfnis – Sehnsucht und Furcht – und Leid (scheinbar festgelegt durch unsere Biologie, vielleicht auch durch unser Schicksal). Damit scheint die phänomenologische Konstruktion von Wirklichkeit ausformuliert und die Zielsetzung sowie der Auftrag von Aufstellungsarbeit bestimmt: Ordnungen sind zu schaffen, Mächte sind zu befriedigen, unsere Auslieferung ist zu würdigen. Ein Ihnen nicht unbekannter systemischer Kollege, ich möchte seinen Namen hier nicht preisgeben, meinte einmal pointiert im Vertrauen, dieser scheinbar alles vorgebende zweite Satz wäre seiner Ansicht nach eine gefährliche Drohung, weil er jegliche Idee von individueller Autonomie und subjektiver Einflussnahme ausschließe. Oder wie Hakan Nesser weiter in seinem Roman „Der Kommissar und das Schweigen“ seinen Kommissar Van Vetereen auf S. 130 sagen lässt: „Die Götter treiben ihr Spiel mit uns, (...). Die ziehen an den Fäden, damit die Marionetten auch gehorchen.“ ERLAUBEN SIE MIR hier an dieser Stelle festzustellen, dass mich keinerlei Absicht leitet, Ihnen Aufstellungsarbeit näher bringen oder vielleicht – noch viel schwieriger – Aufstellungsarbeit ausreden zu wollen. Ich möchte vielmehr versuchen, meine und Ihre forschende Wahrnehmung anzuregen und zu aktivieren, um auf einige Aspekte in der Verknüpfung von Bedeutungsgebung, Sprache und Aufstellungsarbeit im Sinne einer qualitativen Analyse eingehen zu können. Markierungspunkte meiner Ausführungen sind das System „Aufstellung“ und seine Umwelten „Bedeutungsgebung“ und „Sprache“, das System „Bedeutungsgebung“ und Seite 3 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden seine Umwelten „Sprache“ und „Aufstellung“, das System „Sprache“ und seine Umwelten „Bedeutungsgebung“ und „Aufstellung“. Mir ist bewusst, dass ich mich beim Beschreiben der radikal konstruktivistischen Rückbezüglichkeit nicht entziehen kann und mit jeder Form von Sprachlichkeit – mit jedem Wort, mit jedem Satz – einen Prozess von Bedeutungsgebung mitgestalte und selbst davon mitgestaltet werde. Gestatten Sie mir noch einen Kommentar zu den vorhin angeführten Einleitungsätzen Gunthard Webers mit einem Hinweis auf einen Text Jan Assmanns, in welchem Assmann auf altägyptische Konzepte vom konnektiven Leben Bezug nimmt. Sie werden vielleicht – ebenso wie ich – merken, wie ambivalent dieser Text in seinem Einfluss wirken kann. Der Titel des Textes „Der Eine lebt, wenn der andere ihn geleitet“ ist ein altägyptisches Sprichwort, könnte aber genauso gut ein zukünftiger Titel eines Aufstellungsbestsellers sein. Den Text finden Sie im Taschenbuch „Individuum und System“, 2000, bei Suhrkamp in der Reihe Wissenschaft erschienen. „Leben“, so Assmann „stellen sich die Ägypter als konstellativ vor, d.h. einbezogen in Konstellationen sozialer Bindungen, die nach seiner Überzeugung oder Hoffnung stärker sind als der Tod, die aber andererseits keineswegs als selbstverständlich gegeben vorausgesetzt werden dürfen, die vielmehr ständig gefährdet sind und unausgesetzter Pflege, Aufmerksamkeit und Investition bedürfen“ (S.148) Bereits in den um 2350 v.Chr. erschienenen Texten wird in der Weltsicht der Ägypter auf das Wesen einer sozialen Bezogenheit des Lebens und des Menschseins hingewiesen. Heute – 4350 Jahre später – konstruieren wir scheinbar immer noch eine mystische Bezogenheit. Ich zitiere weiter Jan Assmann S. 151: „Was (wir als) Personen sind, sind sie nur in Bezug aufeinander. Dadurch, dass sie in festen Konstellationen ihre bestimmte Rolle spielen, konstituieren sich wechselseitig ihre Personalitäten (...) Leben heißt Interdependenz, Kommunikation, Einbezogenheit in die Beziehungsnetze, aus denen die Wirklichkeit besteht“. Meine Abschweifungen zeigen die anfänglich angesprochene Komplexität meiner Gedanken zum Thema: „Je mehr ich über meine gegenwärtige Lage (ich füge ein: in Bezug auf Aufstellungsarbeit) nachdenke, desto weniger ist mir begreiflich, wo ich bin“ (Rousseau, J.-J., 1782c, Träumereien eines einsamen Spaziergängers. In: Rousseau, J.-J.: Werke in zwei Bänden, Bd.II, Hanser, 1978, München). AN DIESER STELLE erlaube ich mir nun, die in der Überschrift meines Vortrages genannten Begriffe aufzugreifen bzw. die von mir fokussierten Bedeutungsgebungen von Aufstellung, einige theoretische Grundlagen und Erklärungsmodelle, in Diskussion zu stellen. Meine Aufmerksamkeit gilt zuerst den Begriffen Bedeutungsgebung, Sprache, Wahrnehmung und Wirklichkeit. TEIL 1: DER KOMMUNIKATIVE RAUM BEDEUTUNGSGEBUNG, SPRACHE, WAHRNEHMUNG UND WIRKLICHKEIT Bedeutungsgebung beschreibt einen Vorgang in der Kommunikation; Bedeutung entsteht nach Retzer (2002) „in einem Sprachspiel von Worten und Metaphern in der Kommunikation“ (S.31). Wie bereits der Begriff vermuten lässt, wird scheinbar etwas gegeben – nämlich Bedeutung. Vielleicht wird zuallererst etwas gedeutet, eine Zuschreibung erfolgt – eine Deutung. Diese Deutung wiederum wird zur Bedeutung, indem sie mit einer gestaltenden Kraft versehen ausgestattet wird. Bedeutungsgebung verweist auf einen Vorgang der Selektion. Im assoziativen Vorgang der Begriffsanalyse lassen sich mögliche Funktionen vorstellen: Funktionen wie markierend, füllend, unterscheidend, bezeichnend, zuordnend usw. Wenn etwas eine Bedeutung erhält, dann existiert es, ist somit in der Aufmerksamkeit eines Betrachters existent oder ist Teil von ihr. Bedeutungsgebung erzeugt eine Qualität – nämlich Sinn. Im Kontext Aufstellung werden Zusammenhänge von Bedeutungsgebungen geschaffen, wird auf die Fragen der Fragenden und/oder der Suchenden eine Antwort gegeben. Die Deutung versucht Sinn zu stiften. Die Deutung Seite 4 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden wird in der Wahrnehmung des Betrachters zur Bedeutung. Denken und Handeln erklärt sich, erhält eine Erklärung, wird also geklärt und damit vielleicht klar. Das Gesehene, die Wahrnehmung wird in den Augen des Betrachters zur Wirklichkeit. Nach Luhmann (1998) existiert der Sinn als Ereignis nur in der Gegenwart. Bezugnehmend auf Husserls Phänomenologie ist für Luhmann Sinn die Prämisse jeder Erfahrungsverarbeitung: Sinn verweist auf weitere Möglichkeiten des Erlebens in jedem einzelnen Erlebten. Aktuelles und Mögliches (Potentielles) wird im Sinn simultan präsentiert und reproduziert sich durch ein Erleben, das ihn aktualisiert und auf weitere Möglichkeiten verweist, die nicht aktualisiert werden. Sinn konstituiert sich nur in sozialen und in psychischen Systemen. Kommunikationen und Gedanken realisieren sich im Medium des Sinns. Daraus folgend ist Aufstellungsarbeit ein sinnkonstruierendes System, eine Ordnung, die selektiv gegenüber anderen Möglichkeiten offen ist. Der Sinn beschränkt jedoch auch die Möglichkeiten der Systembeobachtung. Für die sinnkonstituierenden Systeme hat alles Sinn, weil alles nur auf der Grundlage von Sinn kommuniziert (oder gedacht) werden kann. (Vgl. Luhmann, 1998, S.170f.) Wittgenstein (1989) stellt sich in seinen Untersuchungen die Fragen nach der Bedeutung so: „Was ist die Beziehung zwischen Namen und Benanntem?“ (§37) oder „Jedes Zeichen scheint alleine tot. Was gibt ihm Leben? - Im Gebrauch lebt es. Hat es da den lebenden Atem in sich? - Oder ist der Gebrauch sein Atem?“ (§ 432) In der Aufstellungsarbeit ist die Wahrnehmung, die Prozessualisierung der Bedeutung versprachlicht im Hinweisen, im Anbieten, im Aufzeigen. Versprachlichte Sprache spielt keine Hauptrolle. Der Körper nimmt wahr, denkt. Aufstellungskommunikation ist auch ein Vorgang der Nichtversprachlichung. Ich verweise auf Bert Hellinger, der in einem Seminar mit PsychotherapeutInnen 1994 in Oberösterreich sagte, als eine Kollegin einen Zusammenhang erklären wollte: „Das brauche ich nicht!“ Matthias Varga (1998) gebraucht den Begriff der „repräsentierenden Wahrnehmung“ und beschreibt damit das Wahrnehmen des semantischen Gehalts von Zeichen, ohne dass der Repräsentant die versprachlichten Zusammenhänge der Erzählung kennt. Ich verweise noch auf Gunthard Weber, der am Züricher Kongress 2000 bei einer Bandpräsentation über einen Aufstellungskontext die Erzählung des Klien ten mit den Worten „ich sehe in Ihren Augen, dass es sich um Ihren Vater handelt“ kommentierte. Das scheint repräsentierende Wahrnehmung zu meinen. Sprache ist nach Luhmann (1998) das Medium mit der Funktion, das Verstehen der Kommunikation wahrscheinlich zu machen. Sprache ermöglicht, den Bereich des Wahrnehmbaren zu überschreiten und mit Hilfe von symbolischen Generalisierungen in der Form von Zeichen über etwas zu kommunizieren, was nicht anwesend oder was nur möglich ist. Auf der Ebene der Wahrnehmung kann man nie sicher sein, dass es sich tatsächlich um Kommunikation handelt und nicht einfach um ein Verhalten mit einem anderen Zweck. Laute, wie die der Sprache, werden nicht zufällig produziert. Mündliche Sprache hat eine spezifische Form: die Unterscheidung zwischen Laut und Sinn. Der Laut ist nicht der Sinn, aber bestimmt jeweils, was der Sinn ist, wovon die Rede ist. Der Sinn ist nicht der Laut, aber bestimmt, welcher Laut zu benutzen ist, um den betreffenden Sinn auszudrücken. Sprache eignet sich, jeden Gedanken auszudrücken und jede Kommunikation zu formulieren. Sprache ist als solches im Sinne Luhmanns kein System, sondern ein Medium, das von Systemen benutzt wird, um eigene Operationen zu strukturieren - und insbesondere, um Reflexivität zu gewinnen. Es gibt keine spezifische Operation der Sprache; die Sprache existiert nur in den Operationen der Sprache; die Sprache existiert nur in den Operationen der psychischen und sozialen Systeme. (Vgl. S.180f.) Maturana wiederum beschreibt das Phänomen Sprache „als die konsensuelle Koordination von Koordinationen von Handlungen“ (1988, S.46f.); ähnlich auch Glasersfeld (1998): „Um in den Gebrauch einer Sprache einzudringen, muss ich Lautbilder und Re-Präsentationen meiner Erfahrungen auf solche Weise koordinieren, dass die von mir konstruierten Paare mit den Paaren kompatibel (das heißt koordiniert) erscheinen, die andere Sprecher der Sprache konstruiert haben“. Seite 5 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden Die radikal konstruktivistische Annahme „Die Umwelt, die wir wahrnehmen, ist unsere Erfindung“ (Heinz von Foerster, 1993) erlaubt keine „Realitätsgewissheit“. Maturana spricht von einer Realität in Klammern. Helm Stierlin verwendet den Begriff „Realitätsgewissheit“ (2000) in seinem Artikel „Gewissheit, Zweifel und Psychotherapie“, der ihn zur Unterschiedsbildung harter und weicher Realitäten führt, die sich einerseits durch Zuschreibungen unverrückbarer Wirklichkeiten (wie Ordnungen und Regeln) und andererseits in möglichen Annahmen von Zusammenhängen eines Vollzuges, von scheinbaren Wechselwirkungen repräsentieren. Ich möchte es Ihrer Erfahrung mit Aufstellungsarbeit überlassen, ob im Kontext von Aufstellungsarbeit Bedeutungsgebung und Sprache harte oder weiche Beziehungsrealitäten konstruieren und möchte dabei den sprachlichen Zusammenhang von Heilungssätzen beleuchten. Befunde der modernen Hirnforschung erhärten etwa die Annahme, dass unser Gehirn das, was wir als Realität wahrnehmen, Schritt für Schritt selbst autopoietisch konstruiert und organisiert. Wie groß bei Wahrnehmungsprozessen der Anteil selbst generierter Aktivität ist, beschreibt in eindrucksvoller Weise Wolf Singer 2002 in seinem Buch „Der Beobachter im Gehirn, Essays zur Hirnforschung“. „Es bestätigt dies auf eindrucksvolle Weise, was wahrnehmungsphysiologische Untersuchungen nahe legen: dass Wahrnehmung nicht als passive Abbildung von Wirklichkeit verstanden werden darf, sondern als das Ergebnis eines außerordentlich aktiven, konstruktivistischen Prozesses gesehen werden muss, bei dem das Gehirn die Initiative hat. Das Gehirn bildet ständig Hypothesen darüber, wie die Welt sein sollte, und vergleicht die Signale von den Sinnesorganen mit diesen Hypothesen. Finden sich die Voraussagen bestätigt, erfolgt die Wahrnehmung nach sehr kurzen Verarbeitungszeiten. Treffen sie nicht zu, muss das Gehirn seine Hypothesen korrigieren, was die Reaktionszeiten verlängert. In den meisten Fällen dürfte sich der Wahrnehmungsakt jedoch auf das Bestätigen bereits formulierter Hypothesen beschränken“. (S.72) Übertragen wir diese Aussage Wolf Singers auf die Wirklichkeitskonstruktion Aufstellung, dann müssen wir aufpassen, in diesem Kontext nicht die allgemeine Intention der Mitglieder damit zu beschreiben, dass sich die Beteiligten möglicherweise ihre bereits zu Beginn oder im Vorfeld gefassten Hypothesen im Aufstellungsprozess lediglich bestätigen. Hat sich Hellinger im Prozess um die Erfindung von Aufstellung um die Ideologie oder Theologie bemüht, bemühten sich Matthias Varga und andere vielmehr um die Schaffung einer Theorie bildenden Grundlage der „systemischen Aufstellungsarbeit“. Varga glaubt jedoch bei all seinen Bemühungen um eine saubere systemtheoretische Konzeption auch, dass systemische Aufstellungen die Fähigkeiten von Menschen verdeutlichen, Beziehungsstrukturen fremder Systeme angemessen wiederspiegeln zu können. Seiner Ansicht nach benötigt diese Fähigkeit keine inhaltliche sondern nur rein syntaktische Information über das betrachtete System (d.h. über die Anzahl der Mitglieder, die Reihenfolge und die Zugehörigkeit in der Hierarchieebene, usw.). Er wählt für diese Form der Wahrnehmung den Begriff der „repräsentierenden Wahrnehmung“, die den als RepräsentantInnen aufgestellten Personen konkrete Informationen über das fremde System zuschreibt, welche sie aus dem eigenen Körper als Wahrnehmungsorgan für ein fremdes System beziehen. Ich zitiere Matthias Varga (1998, S.52): „Die repräsentierende Wahrnehmung entspricht offenbar nicht einem eigenen Sinnesorgan, sondern ist ein das Wahrnehmungsmuster der übrigen Sinneskanäle überlagerndes Muster. Es handelt sich dabei wohl um eine Fähigkeit, ein Zeichen höherer Ordnung (...) wahr zu nehmen“. Er nennt dieses Zeichen ein „Hyperzeichen“, d.h. ein Zeichen, das erst dadurch wahrnehmbar wird, dass es eine Form aus anderen Zeichen darstellt. Weiters führt Varga aus, dass systemische Aufstellungsarbeit auch auf der Fähigkeit beruht, repräsentierende Wahrnehmung von gewöhnlicher zu unterscheiden. Wie bereits erwähnt, ließe sich repräsentierende Wahrnehmung, wenn man Vargas weiteren Ausführungen folgt, als ein analoges Wahrnehmen des Seite 6 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden semantischen Gehalts von Zeichen beschreiben, ohne dass der Repräsentant die versprachlichten Zusammenhänge der Erzählung kennt. In diesem Zusammenhang gestatte ich mir, Ihnen einen Artikel von Alois Hahn und Rüdiger Jacob (1994) mit dem Titel „Der Körper als soziales Bedeutungssystem“ nahe zu legen. Man könnte fast glauben, dass Varga in Bezug auf die repräsentative Wahrnehmung in einem Teil seiner Aufstellungstheorie einer ähnlichen Begründung folgt. Ich zitiere (S. 152): „Insofern der Körper einerseits als Vollzugsorgan eines Bewusstseins gedeutet wird, andererseits aber auch als Manifestation von Tatsachen, die das Bewusstsein gerade nicht mitteilen will, wird er zur Schnittfläche, auf der die Differenz zwischen Mitteilung und Information sozial relevant wird. Er wird in doppelter Hinsicht beobachtet: als Medium für Mitteilung und als Feld für Informationen. Die Interpretationen des Körpers, die dessen relevante Unberechenbarkeit zum Ausgangspunkt nehmen, beziehen sich nicht nur auf das, was uns jemand mitteilen will, sondern auch auf das, was er uns ausdrücklich verheimlichen möchte. Beide Beobachtungen halten sich an den Körper des anderen. Als „Informant“ kann der Körper nicht lügen, wohl aber falsch gedeutet werden.“ Sowohl Hellinger, als auch Weber und Varga plädieren für eine wirkungsvolle Reduktion eigener Interpretationen der Repräsentanten, indem sie darauf abzielen, dass Fragen (und ich zitiere hier wörtlich) „vorwiegend möglichst ausschließlich die Körperwahrnehmung in allen Sinneskanälen und Modalitäten betreffen und in erster Linie nach Unterschieden in der Wahrnehmung zwischen den einzelnen Aufstellungsbildern gefragt wird.“ Varga präzisiert dies mit deShazers Forderung, an Stelle der illusorischen Suche nach dem richtigen Verstehen die Konstruktion einer nützlichen Weise des Missverstehens zu setzen und verneigt sich - bildlich gesprochen gegenüber Bert Hellinger, wenn er bestätigt, dass Hellingers achtungsvoller Umgang mit der phänomenologischen Schau die Illusion des Verstehens als Anmaßung sieht. (Vgl. 1998, 51f.) IM ZWEITEN TEIL meines Vortrages fokussiert meine Aufmerksamkeit nun die Begriffe Stellen bzw. Aufstellung, Zeit und Raum, das schamanistische Ritual Aufstellung als ein Übergangsritual und Ordnung als Lösungsbild. TEIL 2: AUFGESTELLT STELLEN BZW. AUFSTELLUNG, ZEIT UND RAUM, DAS SCHAMANISTISCHE RITUAL, AUFSTELLUNG EIN ÜBERGANGSRITUAL, ORDNUNG ALS LÖSUNGSBILD Hierzu zwei meiner Thesen zu Aufstellung: These 1: Aufstellung definiert sich über das Verhalten seiner Mitglieder selbst (ist daher rückbezüglich an den Aufstellungskontext gebunden, d.h. auch von allen daran Beteiligten abhängig) und ist ein sich selbst organisierendes System, welches sich ausschließlich zum Zwecke der Aufstellung organisiert. These 2: Aufstellung ist ein schamanistisches Heilungsritual zur Herstellung von „Ordnung“ (in welcher Form auch immer). Die Begriffe Stellen bzw. Aufstellung werden im oben genannten Buch Webers meines Wissens erstmalig verschriftlicht kommuniziert. Über Jahrtausende hinweg beschäftigen sich Menschen mit Zeit und Raum und sprechen darüber – auch deshalb, weil Sprache, Zeit und Raum jene Dimensionen darstellen, in denen wir uns als Menschen erleben, in denen wir wahrnehmen und etwas erfahren. Kant erklärt alltägliches Erleben, indem er Zeit und Raum als Matrix aller nur möglichen Erfahrungen betrachtet, als apriorische Anschauungsformen des inneren Sinnes. Aber auch die Alltagssprache beschreibt psychische Sachverhalte und soziale Beziehungen in Raummetaphern, so zum Seite 7 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden Beispiel, wenn wir Erfahrungen machen, von Gefühlen bewegt sind, wenn Beziehungen als nah oder distanziert erlebt werden. Psychotherapie beschäftigt sich grundlegend mit Raumfragen, mit dem Verhältnis von Innen und Außen, mit Fragen nach der Beeinflussung des Innen durch das Außen und umgekehrt. Psychotherapie gestaltet dabei auch eigene Räumlichkeiten, Kontexte, die sich gegenüber nichttherapeutischen Räumen unterscheiden sollen. Diese Unterschiede zwischen Alltagsräumen und therapeutischen Räumen sind uns nicht neu. In der Menschheitsgeschichte verbinden sich bestimmte Heilungsvorstellungen und -praktiken mit bestimmten Raumvorstellungen und Verfahrensweisen. Heilige Orte werden konzipiert. Diese Orte stellen eine Verbindung zwischen verschiedenen Welten her, z.B. in der Religion zwischen Himmel und Erde, in der Psychotherapie zwischen Innen und Außen. Die Räume sind Wirkungsstätten von Priestern, Heilern, Schamanen und PsychotherapeutInnen. In der schamanistischen Tradition versteht sich der Priester/der Schamane als Vermittler zwischen Diesseits und Jenseits, als derjenige, der sich auf Seelen, Geister und Jenseitsmächte versteht. Der Kontext Aufstellung könnte somit auch als ein Raum bezeichnet werden, in welchem ein Heilungsritual vollzogen wird, welches die Mitglieder befreien soll. Es soll befreien von Verstrikkungen und ordnen, was in Unordnung geraten scheint. Das Ritual ist die Aufstellung, der Schamane/die Schamanin, der Heiler/die Heilerin ist der/die LeiterIn der Aufstellung, der/die das Ritual kennt und dieses Ritual leitet. Ich verweise auf den Begriff „Grammatik der Aufstellung“, eine viel zitierte und gebrauchte Begrifflichkeit von Varga und Sparer. Die Kirche ist die Aufstellungsgruppe, sie umfasst die Mitglieder, die Gläubigen, Hoffenden und sich Sehnenden, die sich zum Aufstellungsritual, zum Heilungs-, Lösungsritual eingefunden haben. Ein Inneres Bild wird aufgestellt, nach außen gebracht, die (visualisierte) Externalisierung wird vollzogen. Beim Familien-Stellen wurden anfänglich in der Regel personale Systeme lebender, toter oder nicht geborener Mitglieder aufgestellt. Später wurde das Aufstellungssetting vom/von der AufstellungsleiterIn um in der Problemerzählung als bedeutend erkannte Elemente erweitert. So fanden später Symptome oder andere Elemente ihre Externalisierung im aufgestellten Problem- bzw. auch Lösungsbild. Der Ablauf des Rituals wurde zunehmend von Varga standardisiert. Varga und Sparer beschreiben (2000, S.193) die Phasen der Aufstellung folgendermaßen: 1. Auswahl des Klienten 2. Wahl der Systemebene 3. Klärung der Systemelemente 4. Auswahl der Repräsentanten 5. Aufstellung der Repräsentanten 6. Überprüfung des Ergebnisses durch den Klienten 7. Befragung der Repräsentanten 8. Überprüfung der Kongruenz des Bildes 9. Umstellen des Bildes 10. erneute Befragung 11. a) erneute Umstellung b) Prozessarbeit c) diagnostische Tests für Systemdynamiken 12. Hineinstellen des Klienten 13. Überprüfung des Lösungsbildes 14. Modifikation oder Nachkorrektur und/oder abschließende Überprüfung 15. Ankern des Lösungsbildes 16. Entlassen der Rollenspieler Seite 8 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden 17. a) (bei Aufstellungen außer Familienaufstellungen) Aufgabenverschreibung b) (bei Familienaufstellungen) Hinweis darauf, das Bild über längere Zeit wirken zu lassen 18. Verabschiedung des Klienten (kurzes Feedback der Rollenspieler, in der Regel aber besser gleich) Ähnlich wie Retzer (2002) Psychotherapie als Übergangsritual mit unterschiedlichen Stadien beschreibt, sehe ich Aufstellungsarbeit als eine Praxis des Übergangsrituals. Das Übergangsritual Aufstellung beschreibt einen Bogen (die Transformation) von einer subjektiven Problemaufrechterhaltungstheorie hin zu einer subjektiven Lösungsermöglichungstheorie von Klienten. Folge ich dieser Idee weiter, bestehen jedoch die Lücke dieser Theorie in der Aufstellung in einer Nicht-Definition durch nichtversprachlichte Kommunikation des Handelns, die mit scheinbar unbestimmten Codierungen wie Phänomenologie, repräsentierende Wahrnehmung oder wahrnehmende Wirklichkeit angesprochen wird und sich daher nur schwer, wenn überhaupt, nachvollziehen lässt. Eine zweite Lücke besteht in der Nicht- Definition von Merkmalen und Kriterien erfolgreich vollzogener Aufstellungen. Teilnehmenden SkeptikerInnen wird – zumeist mündlich, aber auch in der Literatur – der erfolgreiche Vollzug des Erkennens in einer ferne liegenden Zukunft in Aussicht gestellt. Übergangsrituale beschreiben einen Übergang von einer Struktur über die Schwellenphase hin zu einer anderen Struktur. Grundlegende Arbeiten über Rituale stammen schon von Arnold van Gennep (1908) und später von Victor Turner (1967, 1969 und 1982). Beide definieren Übergangsrituale als kulturelle Handlungen, die vollzogen werden können, wenn soziale Konflikte festgefahren oder Entwicklungen blockiert sind. Die einzelnen Phasen werden als Trennungsphase, Schwellenphase und Wiedereingliederungsphase beschrieben. Bezogen auf Aufstellung scheint die – Trennungsphase z.B. die Aufstellung des „Inneren Bildes“ zu sein, des „Problembildes“ des Erzählers /der Erzählerin, oder die Externalisierung der subjektiven Problemaufrechterhaltungstheorie, – die Schwellenphase z.B. die Suche nach Ordnungen und Lösungsstrukturen (in der auch die Umstellungen vollzogen werden), – die Wiedereingliederungsphase z.B. die mögliche Inpositionierung des Erzählers/der Erzählerin, sowie das Sprechen von Ritualsätzen (siehe Varga und Sparer, 2000, S.196) und der Abschluss der Aufstellung. Ein erster skeptischer Gedanke gilt den Ritualsätzen, die auch immer wieder im Fadenkreuz der andauernden Diskussion von Aufstellungsarbeit stehen. Varga und Sparer halten beim Sprechen von Ritualsätzen die Haltung des Leiters/der Leiterin für entscheidend. „Die LeiterInnen sollten in einem Zustand des Gewahrseins des eigenen Körpers geeignete Sätze „kommen lassen“, „zuhörend sprechen“, die Sätze als Vorschlag anbieten und gewissermaßen darauf achten, ob sie „die innere Erlaubnis haben“, diesen Satz (den RepräsentantInnen bzw. den KlientInnen) vorzuschlagen (...) Und je besser die LeiterInnen beim Vorschlagen „bei sich“ sind, desto leichter können auch RepräsentantInnen und KlientInnen wahrnehmen, was für sie passt und was nicht und es in einer für sie passenden Form abändern“. (S.196) Ein zweiter kritischer Gedanke gilt der psychotischen Prozessualisierung in der Aufstellungsarbeit. Sehr häufig zu beobachten ist, dass in der Bedeutungsgebung des Proponenten/der Proponentin (des Erzählers/ der „Erzählerin“) nicht unterschieden wird, dass es sich beim aufgestellten System lediglich um Repräsentationen handelt. Diese Unterscheidung wird möglicherweise dann nicht vollzogen, wenn der/die AufstellungsleiterIn diesen Aspekt in der Aufstellung nur undeutlich formuliert. Folgt man z.B. phänomenologischen Sichtweisen Bert Hellingers als Grundlage der Aufstellung, bleibt zum Beispiel diese Differenzierung von „real erlebten Familienmitgliedern (-bildern)“ und „im Aufstellungsprozess erfahrbaren Zuschreibungen von Repräsentationen“ mitunter aus, und es kann im Erleben der teilnehmenden RepräsentantInnen ein hoher zeitlicher Synchronisierungseffekt entstehen. Seite 9 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden Simon, Clement und Stierlin beschrieben 1999, dass bei synchroner Dissoziation Ambivalenz nicht mehr wahrnehmbar ist. Zeitunterschiede scheinen aufgehoben, eine Abfolge von Ereignissen ist nicht mehr erkennbar. Ambivalenz wird durch das Fehlen von Unterschieden aufgelöst. Zeit wird als verbindende Kontinuität aufgehoben, die psychischen Inhalte werden nicht mehr durch ein zeitliches Nacheinander organisiert, sondern durch eine dauernd gleichzeitige und scheinbar gleichwertige Präsenz ersetzt. Dadurch entsteht in der Erzählung eine Bedeutungsunklarheit alles Gesagten. Wynne et.al. bezeichneten 1958 diese auf der Ebene der familiären Kommunikation durch synchrone Dissoziation erlebte Ambivalenzfreiheit als scheinbar konfliktlose Pseudo- Gleichzeitigkeit. Die doppeldeutige Lösung von Seiten der KlientInnen ist eine mögliche psychotische Prozessualisierung der Aufstellung. Familien-Stellen nach phänomenologischen Prämissen verwendet den Grundgedanken der Familienskulptur, Beziehungen räumlich zu analogisieren, verfolgt jedoch im Gegensatz zur Familienskulptur die Idee von „ursprünglichen“ oder „richtigen“ Zuordnungen. Grundlegendes Element der nach Hellinger entwickelten Aufstellungen ist das Bild einer traditionellen, gewachsenen Grundordnung. Diese Grundidee fordert die TeilnehmerInnen auf, diese verbindliche Grundstruktur als scheinbar lösende Ordnungskraft anzuerkennen. Neben dieser können noch andere Anerkennungen, wie Eva Madelung dies in ihrem Artikel zum Buch „Praxis des Familien-Stellens, Beiträge zu systemischen Lösungen nach Bert Hellinger“ (1998) beschreibt, geortet werden: – Anerkennung einer familiären Grundordnung (Vater, Mutter, 1., 2., 3. Kind) – Anerkennung einer Rangordnung in der „Zeit-Hierarchie“ (Vorrang des Früheren vor dem Späteren) – Die Würdigung: Innere Haltung des Dankens (Vater und Mutter ehren; wer dagegen verstößt, bestraft sich selbst) – Die Vollständigkeit: Alle, die dazu gehören, müssen gewürdigt werden – Der Ausgleich durch die Wirkung des Gewissens (der Familie, der Sippe usw.) – Die Dynamik von Nachfolge und Übernahme des stellvertretenden Leidens (Rückgaberituale) – Die gute Lösung ist für alle gut (keiner kann nehmen auf Kosten des anderen, bedeutet die Notwendigkeit des Verzichtens auf Nachfolge auch stellvertretenden Leidens Die Implikationen aus diesen Grundforderungen für die TeilnehmerInnen am Prozess einer Aufstellung lassen sich vielleicht auch so beschreiben: Der/die AufstellungsteilnehmerIn ist herausgefordert, einem Weltbild des/der AufstellungsleiterIn zu folgen, d.h. die Ideen der Ordnungen im Kontext von Aufstellung zu verwirklichen. Aufstellung konstruiert sich diese Ordnung selbst. Dabei werden in unser Denken und Handeln nicht unmaßgeblich strukturierende Ordnungsparameter qualitativ impliziert. Gunthard Weber formuliert 1993 auf Seite 148 Hellingers Bezug zur Ordnung, indem er formuliert: „... der Ordnung ist es völlig egal, wie ich mich verhalte; sie steht immer da“. Ordnung erhält bei Hellinger die Bedeutung von „Wahrheit“ und wird im Sinne Stierlins zu einer harten Beziehungsrealität. In den oft heftig emotional geführten Diskussionen zwischen Aufstellungsbefürwortern und Aufstellungsgegnern lassen sich nur zaghaft Aspekte einer autopoietischen Aufstellung erkennen. Einen anderen bedeutungsgebenden Zusammenhang in Verbindung mit der Ordnungshaltung des Anleitersder Anleiterin formuliert eine sich in der Aufstellung über die Wahrnehmung der TeilnehmerInnen zeigende „Wahrheit, die Wirklichkeit (er)schafft“: Dies soll ein Zitat von Weber 1993, S.182 belegen. „Das was ist, ist aber keine objektive Wahrheit, oder ein unumstößliches Gesetz, sondern lebendige Wirklichkeit; und Wahrnehmung...ein schöpferischer Prozess, der etwas bewirkt“. Bei Hellinger erscheint die Wahrnehmung von Ordnung somit als Wahrheit, wie seine Ausführungen im Aufstellungsklassiker „Ordnungen der Liebe – Ein Kursbuch von Bert Hellinger“ (1994) zeigen. Der Inszenierung der Aufstellung wird eine lebendige Wirklichkeit in Bezug zur dargestellten Problemerzählung zugeschrieben. Seite 10 von 12 Systemische Notizen 04/04 Therapiemethoden Dem Aufstellungs-Ergebnis oder Lösungsbild einer Aufstellung wird die Bedeutung von Veränderungswahrheit oder Lösungswirklichkeit beigemessen. Dies könnte bedeuten, dass TherapeutInnen noch mehr als bisher beginnen müssten, die Bedeutungsgebungen von AufstellungsteilnehmerInnen genauer abzuklären und deren Rückbezüglichkeiten auf die Aufstellung selbst zu bedenken. Eva Madelung vergleicht den Ansatz Hellingers und jenen der Heidelberger Gruppe: Hellinger: – Die Anerkennung einer Kraft, die zwischen den Menschen und durch sie hindurch auf eine archaische Ebene wirkt. – Das Finden des Ordnungsbildes mit Hilfe der Wahrnehmung des von außen schauenden Therapeuten und der Stellvertreter. D.h. es muss etwas dazu kommen. – Eine Rangfolge in der Zeit, um eine Zeithierarchie innerhalb der Gundordnung. Heidelberg: – Die gemeinsame Neugestaltung einer Ordnung unter gleichberechtigten Familienmitgliedern. – Kontextgebundene Selbstregulation: Innerhalb des aktuellen Familiensystems sind alle Ressourcen zur Lösung vorhanden. Der Therapeut gibt nur Anstöße. – Änderung der Ordnung im Zeitfluss (zirkulärer Prozess) (Eva Madelung, 1998, S.42) LETZTENDLICH HOFFE ICH, in Ihren Augen und Ohren meine Konstruktneutralität in meinen Beschreibungen nicht ganz verloren zu haben und möchte mich mit einem Danke für Ihre Aufmerksamkeit mit einem letzten Satz Hakan Nessers auf S.232 verabschieden: „Nun ja“, dachte der Hauptkommisar mit klarsichtiger Schärfe. „So ist man also mit einer gewissen Würde wieder um ein paar Stunden gealtert“. Dann merkte er jedoch, dass es schon spät war „und nicht mehr viel Zeit übrig blieb, wenn er den Signalen seines Körpers nach einem guten Essen folgen wollte.“ BIBLIOGRAPHIE Baraldi, D., et.al (1998) GLU, Glossar zu Niklas Luhmanns Theorie sozialer Systeme; Suhrkamp, Frankfurt/M. Keeney, B.P., (1987) Konstruieren therapeutischer Wirklichkeiten, Praxis und Theorie systemischer Therapie; VML, Dortmund. 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