Ökologie des Geistes und Ordnungen der Liebe

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Ökologie des Geistes und Ordnungen der Liebe - zwei systemische
Sichtweisen im Vergleich.
Einleitung
In der Praxis ist es längst geschehen, daß Therapeutinnen und Therapeuten verschiedenster
Richtungen die von Bert Hellinger entwickelten “systemischen Lösungen“ in ihre Arbeit
einbeziehen, einfach aus dem Grunde, daß sie sich von der Wirksamkeit dieser Methode
überzeugt haben, und daß ihnen die daraus sich ergebenden Erkenntnisse einleuchten.
Andererseits gibt es eine Kontroverse, ob der Name „systemisch“ für diese Methode in
Anspruch genommen werden darf, oder ob er nur für die konstruktivistisch fundierten
Methoden – wie etwa die der Heidelberger Schule - gelten soll.
Ursprünglich hat sich Bert Hellinger selbst durch die Betonung einer „gefundenen“
Wirklichkeit gegen die „erfundene“ Wirklichkeit der konstruktivistischen Schulen abgesetzt,
und sich einem „phänomenologischen“ Vorgehen verpflichtet erklärt; und die „Ordnungen der
Liebe“ als zentrale Metapher seines therapeutischen Ansatzes, wirkt aufs erste als schroffer
Gegensatz zu einer „Ökologie des Geistes“, der zentralen Metapher Gregory Batesons. - Die
Unterschiedlichkeit und die - meiner Meinung nach - ergänzende Wirksamkeit beider Sichtund Vorgehensweisen habe ich in meinem Vortrag „Die Stellung der systembezogenen
Psychotherapie Bert Hellingers im Spektrum der Kurztherapien“ (in Gunthard Weber hrg.
1998) dargestellt, den ich vor 2 Jahren hier in Wiesloch hielt. Heute möchte ich Ihnen einige
Gemeinsamkeiten mitteilen, die mir bei der Lektüre von Batesons letztem Buch, „Wo Engel
zögern“ auffielen. Diese Gemeinsamkeiten legen es nahe, den Konstruktivmus Gregory
Batesons - der ja einer der wichtigsten Gewährsmänner der konstruktvistisch-systemischen
Schulen ist - als „phänomenologisch orientiert“ zu bezeichnen. So weit ich weiß, fand dieser
Gesichtspunkt bisher kaum Beachtung. Er könnte jedoch – so meine ich - die
Fachdiskussion bereichern, und einen theoretischen Hintergrund liefern zu dem sich
ergänzenden Nebeneinander der phänomenologisch fundierten Vorgehensweise Hellingers
mit den konstruktivistisch fundierten Methoden, wie etwa die der Heidelberger Schule, aber
auch mit Ericksonsche Hypnotherapie, NLP usw.
Die Weltsicht Gregory Batesons.
Helm Stierlin hält Bateson „für einen der wichtigsten Denker unseres Jahrhunderts“ (Bateson
1983, S. 7), und ich möchte ihm darin beipflichten.
Bateson vertritt den sogenannten „gemäßigten Konstruktivismus“. D.h. er bezieht sich auf die
„Landkartenmetapher“ Korzipskys (the map is not the territory) und nimmt damit ein
„Gegend“ an – also eine schon vorhandene, aber (wie das Kantsche „Ding an sich“) an sich,
nicht zu erkennende Wirklichkeit, auf die wir uns mit unseren „Wirklichkeits-Lankarten“, in
1
denen wir leben, beziehen. Durch seine Bücher geistern jedoch darüber hinaus noch
erstaunliche Nachrichten von „unveränderlichen Hierarchien“, „ewigen Wahrheit“ und
„Lücken im Prozeß“ der Wirklichkeitskonstruktion. Seine Weltsicht enthält also, neben
konstruktivistischen Elementen „erfundener“ Wirklichkeit, auch wesentliche und notwendige
Elemente „gegebener“, das heißt unveränderbarer Wirklichkeit. Allerdings bemerkt er dazu
leicht ironisch, daß es modern sei „allen Aussagen zu mißtrauen, die von sich behaupten
“ewig“ oder selbstverständlich zu sein (Bateson 1993, S. 221).
Bateson hat seine Version des Konstruktivismus aus seiner anthropologischen Forschung
und in Zusammenarbeit mit den an Mental Research Institute (MRI) in Palo Alto tätigen
Kommunikationsforschern und Therapeuten (wie z.B. Paul Watzlawick) entwickelt. Das der
Sicht einer „erfundenen Wirklichkeit“ eigene therapeutische Potential – nämlich die
Wirklichkeitsveränderung durch Änderung der Sicht und Kontextbezug - wurde von der an
diesem Institut entstandenen „Systemischen Familientherapie“ genutzt, und vielfältig
weiterentwickelt. In Deutschland hat das Heidelbergern Team um Helm Stierlin den
Verdienst, diesen fruchtbaren Ansatz eingeführt und ausgebaut zu haben.
Das therapeutische Potential der phänomenologischen Ebene der Batesonschen Sicht blieb
dabei jedoch unberücksichtigt; und - wenn man es wollte - könnte man die von Hellinger
entwickelte Methode des Familien-Stellens als längst fällige Einbeziehung dieser Seite der
Batesonschen Erkenntnisse in den therapeutischen Bereich sehen.
Bert Hellinger kommt jedoch aus einem eigenen Erfahrungs- und Wissenshintergrund her,
und bezieht sich hauptsächlich auf Martin Heidegger, um seinen in der therapeutischen
Praxis gewonnenen Erkenntnisse philosophisch zu fundieren.
Ich werde darauf später zurückkommen.
Das „Ineinander“ (Edmund Husserl) von erfundener und gefundener Wirklichkeit.
Die Unterscheidung zwischen menschengemachter (und damit vom Menschen
veränderbarer), und gegebener (und damit unveränderbarer) Wirklichkeit ist offensichtlich
uralt. Martin Heidegger, der sich mit den Begriffen „Sein“ und „Seiendem“ mit eben diesem
Unterschied auseinandersetzt, weist darauf hin, daß beispielsweise Aristoteles schon der
„physis“ - als gegebener Wirklichkeit - die „techné“ - als eine von Menschen erschaffenen
Wirklichkeit - gegenüberstellte. (Heidegger, 1994, 371).
Bateson benutzt zur Bezeichnung dieser zwei Arten von Wirklichkeit - auf C.G. Jung
zurückgreifend - die gnostischen Begriffe „pleroma“ und „creatura“. Mit „creatura“ bezeichnet
er den Bereich der mit Bewußtsein ausgestatteten, lebendigen, also „organischen“ Natur
einschließlich des Menschen (techné), während er unter „Pleroma“ den Bereich der Physik
oder anorganischen Natur (physis) versteht. Durch diese Einteilung wird bei Bateson Natur
2
und Geist zu einer „notwendigen Einheit“ (so der Titel seines Buches), und die Entwicklung
menschlichen Denkens wird in den und biologischen Evolutionsprozeß einbezogen.
Im Schlußkapitel von „Geist und Natur“ lesen wir Folgendes:„.... die Creatura, die Welt der
geistigen Prozesse, ist sowohl tautologisch (auf sich selbst bezogen und sich selbst
bestätigend) als auch ökologisch (wechselwirkend auf eine vorgefundene Umwelt
bezogen)....(sie ist) eine langsam sich selbst heilenden Tautologie“(Bateson 1997, S. 253).
„Sich selbst überlassen wird jeder große Ausschnitt der creatura dazu tendieren, in Richtung
Tautologie abzugleiten, das heißt in Richtung auf innere Konsistenz (einer in sich selbst
kreisende Abfolge) von Ideen und Prozessen. Ab und zu wird aber die Konsistenz zerrissen;
die Tautologie bricht auf, wie die Oberfläche eines Gewässers, wenn ein Stein hinein
geworfen wird. Dann fängt die Tautologie an, sich selbst zu heilen. Und die Heilung kann
unbarmherzig sein. In dem Prozeß können ganze Spezies ausgelöscht werden“ (Ebd.)
Bateson denkt dabei natürlich an die Spezies Mensch –
Der Begriff „Tautologie“ ist in diesem Zusammenhang aufs erste schwer verständlich 1- Im
psychotherapeutischen Bereich kennen wir jedoch Begriffe wie „Projektion“ und „self-fulfilling
prophecy“, die dem Begriff der Tautologie analog sind, und mit denen wir selbstverständlich
umgehen. Auch das Konzept des radikalen Konstruktivismus geht davon aus, daß
Wirklichkeit „tautologisch“ entsteht. Maturana und Varela benutzen dafür den Begriff
Autopoesis. Auch Rupert Sheldrakes Konzept des „morphogenetischen Feldes“ ist dem
Batesonschen Konzept der Tautologie ähnlich. Alle diese Konzepte beziehen sich auf die
allen lebendigen Organismen gemeinsame, und meist unbewußt ablaufende Fähigkeit oder
Notwendigkeit, die ihnen eigene Wirklichkeit in Form von Mustern oder Strukturen zu
erfinden, oder zu „konstruieren“.
Alle lebenden Wesen sind aber auch gleichzeitig einer Umwelt ausgeliefert; und der Mensch,
der es auf dem Gebiet der „techné“ – der Erfindung von Wirklichkeiten - besonders weit
gebracht hat, bleibt letzten Endes auch als „Subjekt ein Objekt der Wirklichkeit“, wie es Bert
Hellinger in Kassel formulierte.
Lebendige Organismen sind also – das ist die Quintessenz des Batesonschen Zitates, und
auch die Quintessenz der Metapher „Ökologie des Geistes“ - gleichermaßen
umweltbestimmend und umweltbestimmt. Das heißt: sie sind in einer wechselwirkenden
Einheit unlösbar mit ihrer Umwelt verbunden, und damit Teil des „Ineinander“ von
„konstruktivistisch erfundener“ und „phänomenologisch gefundener“ Wirklichkeit.
1
Laut Lexikon der Sprachwissenschaft sind Tautologien Aussagen, die Aufgrund ihrer sprachlogischen Form
immer wahr sind. Z.B. „Es regnet, oder es regnet nicht.
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Ewige Wahrheiten.
An verschiedenen Stellen spricht Bateson von „Regelmäßigkeiten (also Gesetzen und
Ordnungen), die im Inneren geistig organisierter Systeme existieren“ und von „notwendigen
Begrenzung(en) und Mustern geistiger Prozesse“ (Bateson, 1993, S. 43).
Es gibt also seiner Ansicht nach innerhalb der „creatura“, d.h. der von lebendigen Wesen
„hergestellten“ Wirklichkeit, Muster oder Ordnungen, die feststehen, d.h. „gegeben“ sind und
nicht verletzt werden dürfen. Dazu gibt er das naheliegende Beispiel der Menschheit als
einer „Ansammlung von Organismen , die sich bei ihrer Entwicklung ausschließlich an ihrem
eigen Überleben ausrichten.......(gelangt dieser Gesamtorganismus Mensch) dahin, seine
Umwelt zu zerstören, so hat er in der Tat sich selbst zerstört“ (Bateson 1973, 579).
Als Parallele dazu liest sich Hellingers Aphorismus: „Der Sieg des Lebens über den Tod führt
zur Verödung der Erde“. (Hellinger 1995, S. 79)
Diese Regelmäßigkeiten oder „Ewige Wahrheiten“, denen Bateson nachspürt, sind keine
feststehenden Behauptungen auf die Frage: „Was ist Wahrheit“. Sie sind im Bereich der
„relationalen Muster“ oder Beziehungsordnungen zu finden. Als Beispiel nennt er unter
anderem die archetypische Beziehungsordnung in der Familie: „Was ist ein Vater, daß ein
Mann, eine Frau, ein Kind ihn erkennen kann; und was ist ein Mann, eine Frau, ein Kind, daß
es einen Vater erkennen kann?“ (Bateson 1993, S. 43)
In dieser Frage steckt – so meine ich – ein Bezug zu jenem, auf einer archaischen Ebene
unbewußt in uns wirkenden „Beziehungssinn“, durch den es möglich wird, die Grundordnung
einer Familie über Stellvertreter zu ermitteln, wie das beim Familienstellen geschieht. – Klingt
nicht auch folgendes Zitat wie ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer therapeutischen
Methode, wie die des Familien-Stellens?
„Eine gewisse Freiheit ergibt sich aus der Einsicht in das Notwendige.......Man kann nur
Fahrrad fahren, wenn die teilweise unbewußten Reflexe die Gesetze des
Bewegungsgleichgewichts anerkennen“.(Bateson 1997, S. 266)
Denn wenn es gelingt, durch eine Aufstellung die Grundordnung einer Familie zu finden, so
ist die Voraussetzungen geschaffen, daß Handlungen und innere Einstellungen das
„Beziehungsgleichgewicht“, oder die Grundordnung, berücksichtigen. Auf der Basis dieser
Einsicht in die Notwendigkeiten der Beziehungsordnung entsteht die „gewisse Freiheit“ zu
persönlicher Lebensgestaltung.
Die „Geschichtlichkeit“ ewiger Wahrheiten.
Auf die Frage der Tochter: „Bleiben die ewigen Wahrheiten für immer wahr?“ antwortet
Bateson allerdings: „Erstens......: Unsere Meinungen über die ewigen Wahrheiten sind gewiß
dem Wandel unterworfen....Zweitens: ob die Wahrheiten, die ewige Wahrheiten genannt
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werden (die mathematischen Wahrheiten des Augustinus), für immer wahr sind, ...... kann
ich nicht wissen (Bateson 1997, S.253).
Diese Äußerung zeigt, daß seine Position der von Bert Hellinger gleicht: „Für mich ist
Wahrheit etwas, was mir der Augenblick zeigt, durch das er die Richtung weist für den
nächsten fälligen Schritt...keine bleibende Wahrheit“ (Hellinger 1994, S. 522). Oder:
„Ordnung ist ein Fluß, der fließt“ (Hellinger 1995, S. 22).
Geist, Seele und das Unbewußte.
Wer kennt nicht den immer wiederkehrenden Ausspruch Milton Ericksons: „The unconscious
mind is so much wiser than the conscious mind“? Und gleichzeitig mit ihm das Problem der
Übersetzung ins Deutsche, bei der man sich mit einer klammen Version wie etwa: “Unser
Unbewußtes ist sehr viel klüger als unser Bewußtsein“ behilft, und im übrigen hofft, daß die
Zuhörer oder Leser des Englischen mächtig sind. – Denn weder trifft unser Wort „Geist“ die
Bedeutung des englischen Wortes „mind“ völlig; noch ist die Verbindung von Geist und
Unbewußtheit bei uns geläufig. Der Begriff des „Un- oder Unterbewußten“ ist seit Freud mit
dem Begriff „Seele“ oder „Psyche“ verknüpft, und unser Begriff von Geist hat mit Bewußtsein
zu tun. Hegel zum Beispiel setzte dem „unbewußten Denken“ der Natur, das „bewußte
Denken“ des Geistes als höhere Stufe des Seins entgegen. Für Bateson dagegen ist die
schöpferische Instanz, die er „mind“ nennt – wie bei Erickson – unbewußt, und Geist und
Natur in einen gemeinsamen Evolutionsprozeß eingebunden. – Noch prägnanter formuliert
Hellinger seine ähnliche Erkenntnis: „Im Trieb offenbart sich das Tragende der Welt“
Hellinger, 1995, S.56).
Dieses Konzept eines „unconscious mind“2 scheint an vielen Stellen der Batesonschen
Schriften und Vorträge durch.
Zum Beispiel beschäftigt er sich eingehend mit der Bewußtseinslücke, die unserer
Wirklichkeit zugrunde liegt: denn wir haben kein unmittelbares Bewußtsein der Vorgänge in
unserem Gehirn, die die Voraussetzungen unseres Weltbildes sind. Nach Batesons Meinung
ist diese Lücke überlebensnotwendig, d.h. für den Fortgang der menschlichen Evolution
entscheidend.. Die „creatura“ – also der mit Leben begabte Teil der Schöpfung – ist von
Bewußtseinslücken, Kausalitätslücken und Kommunikationsschranken durchzogen. Der an
der Wurzel schaffende und ordnende Geist ist „unbewußt“, in Bewußtseinslücken verborgen.
Er entzieht sich dem Zugriff des Intellekts. „Es gibt etwas „womit Du nicht herumpfuschen
sollst“...sagt Bateson in einem der Dialoge zu seiner Tochter...ein Heiliges, dem man nur mit
Ehrfurcht begegnen kann, und das Demut weckt.“(Bateson 1993, S. 210).
2
Interessanterweise hat Erickson mit einer abischtlichen Amnesie der in der Therapiestunde eingesetzen
Interventionen gearbeitet, da er der Meinung war, daß das Bewußtsein den schöpferischen Prozess der
Lösungsfindung stört.
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Batesons „Regelmäßigkeiten“ und Hellingers „Grundordnung“.
“Ich versuche, die kommunikatorischen Regelmäßigkeiten in der Biosphäre zu erforschen“
sagt Bateson. „Diese Regelmäßigkeiten bilden eine Einheit...Sie ließen sich vielleicht als die
Eigenheiten eines Gottes betrachten, den wir „Öko“ nennen könnten. .....Dieser ökologische
Gott ist unbestechlich, und läßt sich nicht spotten“(Bateson 1993, S. 203).
Wenn man bedenkt, daß Bateson den Menschen in die „Biosphäre“ einbezieht, so liegt es
nahe, unter anderem auch an Erfahrungen in Aufstellungsgruppen zu denken, bei denen
bisweilen erschreckend klar wir, wie unbestechlich die „große Seele“ die Beziehungsordnung
durchsetzt.
Hellinger sagt über Ordnung: „Ordnung ist etwas Vorgegebenes. Ein Baum z.B. entfaltet sich
nach einer Ordnung.....So entwickelt sich auch der Mensch nach einer Ordnung. Und
menschliche Systeme entwickeln sich nach einer Ordnung........Diese vorgegebene Ordnung
ist etwas Verborgenes. Ich kann sie nicht ohne weiteres finden, geschweige denn erfinden“
(Hellinger in: Praxis der Systemaufstellung 2, S....)
Hier sind die Parallelen ebenso offensichtlich, wie wenn man der Batesonschen Definition
der Erleuchtung als „jähes Innewerden der biologischen Natur der Welt“ (Bateson 1993,
S.109) Hellingers Formulierung: „Erleuchtung ist Wissen um Ordnung“(Hellinger, 1995, S.
24) an die Seite stellt.
Ehe wir zu einem zusammenfassenden Vergleich kommen, noch etwas über
Heidegger als philosophischer Hintergrund zur Methode des Familien-Stellens.
Wie bereits erwähnt, bezieht sich Bert Hellinger vor allem auf Martin Heidegger, wenn er
seine Einsichten philosophisch fundieren will. Als Husserl-Schüler gehört Heidegger der
phänomenologischen Schule an, in der die Absicht im Vordergrund steht „Das, was sich
zeigt, wie es sich von ihm selbst her zeigt, von ihm selbst her sehen (zu) lassen“ (Heidegger
1963, S.34). Er geht also davon aus, daß es möglich ist, sich durch eine entsprechende
Wahrnehmungsweise der Wahrheit – oder vielleicht besser der Wirklichkeit – nahe zu
kommen. Andererseits findet man bei ihm auch Formulierungen wie: „Wenn aber das Sein in
seinem Wesen das Wesen des Menschen braucht. Wenn das Wesen des Menschen im
Denken der Wahrheit des Seins beruht?“(Heidegger 1994, S. 373). Hier ist die Frage nach
der Möglichkeit einer vom Menschen mitgestalteten Wirklichkeit oder Wahrheit gestellt.
Diese Formulierungen zeigen, daß es auch für Heidegger dieses „Ineinander“ von
erfundener und gefundener Wirklichkeit gab, mit dem sich spätestens seit Kant fast alle
ernstzunehmenden Philosophen auseinandergesetz haben.
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Hellingers therapeutisches Vorgehen.
Hellinger hat sein phänomenologisches Vorgehen folgendermaßen beschrieben: „wir sehen
ab vom Gewohnten, so gut wir können, ....... und setzen uns der erfahrbaren Wirklichkeit
aus, wie sie sich zeigt, und wie sie sich wandelt mit der Zeit“ (In Weber hrg, 1998, S.16), und
er hat diesen Vorgang als „Schau“ bezeichnet, die den Zugang eröffnet zu dem „was ist“.
Dies klingt deutlich an Heideggers oben zitierte Formulierung an.
Andererseits gibt es bei Hellinger aber auch Sätze wie diesen: „Das was ist, ist aber keine
objektive Wahrheit, oder ein unumstößliches Gesetz, sondern lebendige Wirklichkeit; und
Wahrnehmung... ein schöpferischer Prozeß, der etwas bewirkt (Weber 1993, S. 182)
Auch bei ihm finden wir also dieses „Ineinander“ von „gefundener“ und „erfundener“
Wirklichkeit. Er stellt jedoch den Prozeß des Findens einer Grundordnung durch Schau ganz
klar in den Vordergrund.
Parallelen.
Die unmittelbaren Gegenüberstellung zweier Zitate macht die Gemeinsamkeiten noch einmal
klar: Bateson: „.....wir erkennen einen anderen Geist innerhalb unseres eigene Geistes.... der
individuelle Nexus von Bahnen, den ich als "Ich" bezeichne" ist nun nicht mehr so kostbar,
weil dieser Nexus nur ein Teil des größeren Geistes ist.
(Bateson 1983, S. 596)
Hellinger: “Manche meinen, sie selber suchten nach der Wahrheit ihrer Seele. Doch die
große Seele denkt und sucht durch sie.“.
(in Weber 1993, S.51)
Der gemeinsame Kern beider Zitate ist der Verzicht auf „Ich“, das heißt: die Notwendigkeit
der Aufgabe der kleinen, und die Hingabe an die große Seele, an den uns alle umfassenden
Geist
Es wird deutlich, daß hier zwei geniale Geister (oder Seelen) von verschiedenen Seiten her
kommend, Ähnliches erfahren und erschlossen haben....daß es derselbe Geist, dieselbe
Seele, ist, die durch uns alle hindurch weht und sich in der Zeit entfaltet.
Zum Abschluß wird dieser bisher auf der philosophischen Ebene geführten Vergleich durch
eine Gegenüberstellung von zwei zentralen psychischen Dynamiken – nämlich von doublebind und Verstrickung – vertieft. Damit wird das „Nebeneinander“ der Methoden in der Praxis
noch tiefer begründet und fundiert. Es wird klar, daß die Verstrickung gegenüber dem
double-bind eine Weiterentwicklung bedeutet. Es wird aber auch klar, wie die doppelt
gebundene Natur menschlichen Daseins in beidem wirkt.
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Double-bind und Verstrickung als Hintergrund menschlicher Tragik.
Zum Nachdenken über die Beziehung von double-bind und Verstrickung kam ich durch die
für Beobachtung, daß sich die Arbeit mit in selbstzerstörerischem Trotz befangenen
Patienten durch die Einbeziehung der Möglichkeit einer Verstrickung wesentlich verändert
hat.
Viele auf einen double-bind zurückgehenden, selbstzerstörerischen Verhaltensweisen lösen
sich, wenn man von der Kommunikationsebene auf die Ebene der archaischen
Grundordnung absteigt, das heißt praktisch: die Therapie durch eine Familienaufstellung
ergänzt. In meinem Buch „Trotz und Treue, zweierlei Wirklichkeit in Familien“ bin ich dieser
Erfahrung nachgegangen.
Die psychischen Dynamiken, die hinter double-bind und Verstrickung stehen, muß ich in
diesem Kreis nicht erläutern; und auch die in vielen Fällen selbstzerstörerische Wirkung ist
bekannt. Wahrscheinlich haben einige von Ihnen die oben beschriebene Erfahrung schon
selbst gemacht. Sie zeigt einerseits, daß double-bind und Verstrickung – Trotz und Treue –
als elementare Grundstrukturen menschlichen Verhaltens ineinander verschränkt und eng
verbunden sind. - Andererseits zeigt sie, daß double-bind und Verstrickung zwei
Gunddynamiken der menschlichen Psyche sind. Denn die Doppelbindung gehört einerseits
zur Grundsituation menschlichen Daseins, wie uns das schon die Geschichte von Adam und
Eva zeigt. Schon sie standen zwischen Hingabe und Selbstverantwortung in einem uns alle
auch heute noch betreffenden, nicht endgültig entscheidbaren Widerspruch (Vgl. Madelung
1998, S.47 ff).
Andererseits gehört auch die Verstrickung untrennbar zur persönlichen Entwicklung jedes
Einzelnen. Denn die Kraft, die uns zusammenhält wie die Schwerkraft die Planeten, und die
bewirkt, daß Menschen im Schutz ihrer Familie zu lebensfähigen Erwachsenen heranreifen
können - die primäre Liebe nämlich - bewirkt auch, daß das Kind, diesem mächtigen Trieb
folgend, die Grundordnung mehr oder weniger schwer zu verletzen gezwungen ist. Denn in
bestimmten familiären Situationen kann es gar nicht anders als in kindlicher Not diesem
doppelgesichtigen Trieb zu folgen, der genauso wie er einerseits menschliches Leben
ermöglicht, gegebenenfalls auch zerstörerischen Charakter annimmt. Ist nicht ein diesem
Trieb unterworfenes Geschöpf nicht ebenfalls von Geburt an doppelt gebunden? - Allein
schon in den Schritten einer „normal“ verlaufenden Ablösung ist das heranwachsende Kind
immer wieder gezwungen, die Bindungsliebe zu verraten, in der es sich für Eltern,
Großeltern oder Geschwister opfern, und Schuld oder schweres Schicksal übernehmen will.
Wer diesen Schritt nicht tut, diesen „Verrat“ nicht begeht, und sich das Gefühl der Unschuld
gegenüber der Ursprungsfamilie dadurch bewahrt, stellt sich dem Lebensstrom entgegen,
durch den hindurch eine übergeordnete Form von Gewissen, ein übergeordentes Gesetz
wirkt, und dessen Natur es ist, weiter zu fließen. – Oder kürzer: von primärer Liebe bestimmt,
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nimmt das Kind Verstrickung auf sich, und wird dabei dem übergeordeten Gewissen des
Lebens gegenüber schuldig
Bisher wurde der Hintergrund tragischen Schicksals in Hybris, Gier und Haß gesehen. Auch
Bateson sieht das so (Vgl. Bateson 1993, S. 195 f.) - Hellinger sagt, daß „der Kampf der
Liebe gegen die Ordnung Anfang und Ende jeder Tragödie“ sei (Hellinger, 1996, S.135); und
es ist eine seiner zentralen Einsichten, daß – beim näheren Hinschauen – das Wirken des
systemischen Gewissens hinter tragischen Schicksalen, und wohl auch hinter tragischen
geschichtlichen Entwicklungen, steht. - Im Falle eines tragischen Geschehens in der Familie
ergeben sich bisher nicht – oder nicht mehr – gesehene Schritte zur Lösung, wenn man
„schaut, wie die Liebe fließt“.
Diese Lösung ist allerdings erst dem erwachsen werdenden Menschen möglich. Indem er die
Notsituation des Kindes, das er einmal war, sieht, wie sie war, kann er Schritte hinaus aus
der Verstrickung tun, indem er die Beziehungsordnung seiner Familie als Ganzes anerkennt
und sich entsprechen verhält. Damit überwindet er den Trieb zum Selbstopfer, in das ihn –
damals - die primäre Liebe hineinzog. Die innere Haltung, die ihn dazu befähigt, nennt Bert
Hellinger „Demut“. - Durch die Anerkennung der Grundordnung wird die doppelt gebundene
Situation im Familienzusammenhang aufgehoben. Was jedoch bleibt ist die „paradoxe
Struktur der menschlichen Wirklichkeit“, in der wir uns - in dem Drang nach Selbständigkeit
und nach Eingebunden-Sein, nach Selbstverantwortung und nach Hingabe - zwischen
Macht und Ohnmacht hin und her geworfen erleben(Vgl. Madelung 1996, S.49 - 58).
Dieser letzte Abschnitt verdankt seine Gedrängtheit dem Bemühen, einen vielfältigen und
komplexen Sachverhalt in Kürze verständlich zu machen. Wer sich für dieses Thema
ausführlicher interessiert, kann sich weitere Anregung aus meinem Buch “Trotz und Treue,
zweierlei Wirklichkeit in Familien“ holen.
Abschließend werde ich Ihnen einen Text lesen. Er entstand auf der Heimfahrt nach einem
der Workshops von Bert Hellinger, und ich widme ihn ihm hier in Dankbarkeit.
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WAHRNEHMUNG
WAHRNEHMEN
DIES ALLES
SICH LÖSEN IN SCHAU
GANZ OFFEN FÜR
DEN TON DIESER STIMME
UND DEN BLICK AUS JENEM GESICHT
OFFEN AUCH
FÜR DAS GRÜN DES FRÜHEN JAHRS
FÜR DEN SATTGELBEN HERBST
UND
FÜR DAS GRAUEN DER KALTNÄCHTE
WINTERS
WEIT OFFEN
EINGETAUCHT
IN DAS ZEITLICHT
SCHAU ABER
ZAHLT MAN
MIT ICH
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