Total glücklich

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TOTAL GLÜCKLICH
Ein Stück
von
Silke Hassler
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Die Figuren dieses Stückes:
Eine Frau, Mitte Zwanzig
Ein Mann, Ende Zwanzig
3
(Im Wohnzimmer einer kleinen Wohnung. Auf der linken Seite führt eine
Tür ins Vorzimmer, rechts eine Tür ins Nebenzimmer. An der rückseitigen
Wand hängt eine große Fototapete, sie zeigt einen gutaussehenden,
gutgebauten Mann, Mitte Zwanzig, er hat längere braune Haare, trägt
Jeans und ein offenes Hemd, er schaut den Betrachter mit einladendem
Blick an. Vor der Wand mit dem Plakat steht ein Sofa mit einem kleinen
Couchtisch. Auf dem Couchtisch befindet sich ein Schnurlostelefon,
daneben sind ein paar Bücher aufgestapelt. Links an der Wand am Boden
ist eine Stereoanlage aufgebaut. Im Raum liegen Kleidungsstücke,
Schuhe, Pappschachteln am Boden verstreut umher. Das Telefon beginnt
zu läuten. Man hört, wie jemand die Wohnungstür aufsperrt. Eine junge
Frau, Mitte Zwanzig, kommt hastig aus dem Vorzimmer in den Raum, sie
läßt die Vorzimmertür offen. Sie trägt einen roten Mantel und hält eine
Einkaufstasche in der Hand. Sie stellt die Einkaufstasche ab, läuft zum
Telefon und hebt ab.)
Sie:
Hallo? … Hallo, Max! … Ja, ich freu mich auch, dich zu hören. Du bist im
Büro? … Und wie geht’s dir? … Zu Hause alles in Ordnung? … Das ist
schön … Was hast du? Sehnsucht nach mir? Ich auch nach dir, sehr
sogar … Du bist richtig gierig auf mich? Du hältst es nicht mehr aus? …
Ich soll dich glücklich machen, total glücklich? … Das ist aber schön, sehr
schön … Jetzt? Gleich? … Bist du allein im Zimmer? Kein Kollege in der
Nähe? Keine Sekretärin? … Dann schließ die Augen. Komm schon,
schließ die Augen. Stell dir vor, ich stehe vor deiner Tür …
(Es klopft an der Wohnungstür. Sie reagiert nicht darauf und telefoniert
weiter.)
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Sie:
Ich stehe vor deiner Tür … Ich öffne sie und komme ganz langsam zu dir
ins Zimmer … Du darfst die Augen nicht aufmachen, jetzt noch nicht …
(Ein Mann, Ende Zwanzig, schaut durch die offene Vorzimmertür. Er bleibt
in der Tür stehen. Sie bemerkt ihn nicht.)
Sie:
(telefoniert weiter)
Ich trage einen roten Mantel … Darunter bin ich nackt … Und du? … Du
hast die Augen noch immer geschlossen und wirst immer geiler auf mich.
Und gleich wirst auch du nackt sein … Mach die Augen auf! … Ich öffne
meinen Mantel, und jetzt ziehst du dich ganz langsam für mich aus …
(Sie windet sich aus ihrem durchnäßten Mantel und nimmt einen dicken
Wollschal, den sie darunter trägt, ab. Der Mann steht in der Vorzimmertür
und starrt sie an.)
Sie:
(telefoniert weiter, ohne den Mann zu bemerken)
Zuerst das Hemd … einen Knopf nach dem anderen … gut so … und jetzt
öffnest du deine Hose … Süßer … Was ist los? … Der Reißverschluß
klemmt? Keine Panik, beruhig dich! Mach es noch einmal, aber mach es
langsam … Hosenschlitz offen? … Ist ja großartig … Und jetzt greifst du
dir in die Hose …
(Sie schaut in Richtung Vorzimmer und sieht den Mann, der ihr beim
Telefonieren zuhört und sie anstarrt. Sie macht ihm ein Zeichen, daß er
verschwinden
verschwindet.)
soll.
Der
Mann
schließt
die
Vorzimmertür
und
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Sie:
(telefoniert weiter)
Schließ die Augen, komm, schließ die Augen. Laß es mich für dich
machen … Stell dir vor, wie ich dein schönes pralles Stück in die Hand
nehme … Ja, ich bin feucht, eine einzige Feuchtzone. Und weißt du
warum? Weil ich deinen Wunderbaren fest in meiner Hand halte … Und
du spürst jetzt, wie meine Hand auf und ab wandert … auf und ab …
immer schneller … Komm mein Süßer, komm …
(Sie stöhnt ins Telefon.)
Sie:
Gleich sind wir soweit. Ich will hören, wie du kommst, wie es hervorbricht
aus dir … Nimm eine Aktenmappe, und wenn es soweit ist, dann laß es
auf die Mappe … Das Aufklatschen sagt mir alles … Jetzt! Komm! …
(Sie lauscht ins Telefon. Stille. Die Tür des Vorzimmers geht wieder auf
und der Mann schaut ins Zimmer.)
Er:
(vorsichtig von der Tür)
Kann ich jetzt kommen?
Sie:
(ins Telefon)
Ja, komm! Jetzt! … Ja, jetzt! … Laß es mich hören! … Ja! Ja! Ja!
(Sie lauscht ins Telefon. Dann legt sie auf.)
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Sie:
(zum Mann)
Wer sind Sie? Was wollen Sie in meiner Wohnung?
Er:
Entschuldigung. Ihre Wohnungstür war offen. Ich habe ein paar Mal
geklopft, Sie haben es wohl nicht gehört. Ich will Sie nicht belästigen, ich
bin Ihr neuer Nachbar. Ich wohne direkt neben Ihnen. Wir sind uns im
Stiegenhaus begegnet.
Sie:
Ist mir nicht aufgefallen.
Er:
Ich habe Sie gegrüßt, aber Sie sind eilig an mir vorübergesaust.
Sie:
Sonst noch was?
Er:
Ich wollte nur fragen, ob Sie mir vielleicht aushelfen könnten?
Sie:
Was brauchen Sie? Milch? Mehl?
Er:
Es handelt sich um einen Notfall.
Sie:
Sie brauchen Werkzeug? Eine Rohrzange?
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Er:
Ich hoffe, Sie nehmen es mir nicht übel, wenn ich so direkt frage. Ich
brauche dringend ein Kondom.
(Sie steht auf.)
Sie:
Ah, Kondom? Mehl habe ich keines, weder glattes noch griffiges. Die
Milch ist abgelaufen, und ich habe natürlich vergessen, frische
einzukaufen. Aber Kondome habe ich jede Menge. Die muß man immer
parat haben, man kann nicht plötzlich aufspringen und welche kaufen
gehen. Ist doch unromantisch. Mein Gott, wenn ich mir vorstelle, daß mein
Vater vor zwanzig Jahren zur Nachbarin gegangen wäre und um ein
Kondom gebeten hätte. Die Welt wäre untergegangen. Welche Farbe
wollen Sie?
Er:
Egal.
Sie:
Das ist nicht egal.
(Sie hebt eine Schachtel vom Boden auf, öffnet sie und stellt sie wieder
zurück. Sie öffnet eine zweite Schachtel und nimmt einen Packen
Kondome heraus. Sie hält sie hoch und läßt die verschweißten Kondome
wie einen Leporello herunterfallen. Sie hat Narben am Handgelenk.)
Sie:
Es stehen Gelb, Grün, Blau und Schwarz zur Auswahl.
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(Er schaut nicht auf die Kondome, sondern auf ihr Handgelenk. Kurzes
Schweigen.)
Sie:
Überlegen Sie noch oder starren Sie auf die Narben an meinem
Handgelenk? Sie denken sicher, ich habe einen Selbstmordversuch hinter
mir. Sie haben recht, habe ich auch. Das ist nichts Außergewöhnliches,
hat beinahe schon jeder. Welche Farbe wollen Sie jetzt?
Er:
Ich bin mir nicht sicher.
Sie:
Einer meiner Liebhaber hat Gelb bevorzugt, er war blond und sie sind ihm
wirklich gut zu seiner Haarfarbe gestanden. Der andere mochte Grün. Und
mein derzeitiger Freund hat am liebsten Blau.
Er:
Dann nehme ich vielleicht Schwarz.
Sie:
Schwarz? Ist eher unbeliebt. Schwarz macht bekanntlich schlank.
(Sie hält dem Mann zwei schwarze Kondome hin.)
Sie:
Sie müssen sie mir nicht zurückgeben.
(Er nimmt die Kondome.)
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Er:
Gleich zwei?
Sie:
Man kann nie wissen.
Er:
Sie sind sehr nett. Vielen Dank. Und bitte entschuldigen Sie die Störung.
Sie:
Schon in Ordnung. Und alles Gute.
(Er geht. Sie wirft die Kondome in eine der herumliegenden Schachteln,
dann trägt sie die Einkaufstasche in den Nebenraum. Man hört, wie sie
den Kühlschrank einräumt, dabei beginnt sie, einen Text zu üben.)
Sie:
(aus dem Nebenraum)
„Du weißt, die Nacht verschleiert mein Gesicht,
Sonst färbte Mädchenröte meine Wangen
Um das, was du vorhin mich sagen hörtest! …
Gern hielt ich streng auf Sitte, möchte gern
Verleugnen, was ich sprach: doch weg mit Förmlichkeit!
Sag, liebst du mich?“
(Aus der Nebenwohnung sind Stöhngeräusche zu hören. Sie kommt
zurück ins Zimmer, hört kurz zu und deklamiert dann mit etwas erhobener
Stimme weiter.)
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Sie:
„Sag, liebst du mich? Ich weiß: du wirsts bejahn,
Und will dem Worte traun. Doch wenn du schwörst,
So kannst du treulos werden: wie sie sagen,
Lacht Jupiter des Meineids der Verliebten.“
(Die Stöhngeräusche aus der Nebenwohnung werden lauter. Sie erhebt
ihre Stimme.)
Sie:
(lauter)
„O holder Romeo! wenn du mich liebst:
Sags ohne Falsch! Doch dächtest du, ich sei
Zu schnell besiegt, so will ich finster blicken,
Will widerspenstig sein und ‚Nein!’ dir sagen …“
(Die Stöhngeräusche aus der Nebenwohnung werden noch lauter. Sie
starrt auf die Wand. Sie klopft mit der Faust verärgert gegen die
rückseitige Wand. Die Stöhngeräusche hören auf.)
Sie:
(erleichtert)
Na, also.
(Sie setzt sich auf die Couch, nimmt ein Buch vom Couchtisch und sieht
darin nach, wie der Text weitergeht. Sie memoriert den Text.)
Sie:
(laut lesend)
„Ich glaube, Mann, ich werde treuer sein
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Als sie, die fremd zu tun geschickter sind.
Auch ich, bekenn ich, hätte fremd getan,
Wär ich von dir, eh ichs gewahrte, nicht
Belauscht in Liebesklagen...“
(Der Mann schaut wieder bei der offenen Vorzimmertür herein.)
Er:
Entschuldigung, Ihre Tür ist noch immer offen. Waren wir zu laut? Es tut
mir leid, wenn wir Sie gestört haben.
Sie:
Was wollen Sie schon wieder?
(Schweigen. Er schaut auf das Buch in ihrer Hand.)
Er:
Was lesen Sie gerade?
Sie:
Shakespeare.
Er:
Welches Stück?
Sie:
Sie stehen beim Sex auf, gehen zur Nachbarin und wollen sich über
Shakespeare unterhalten? Ich will mich aber nicht mit Ihnen unterhalten.
Ich muß mich konzentrieren. In zwei Wochen muß ich den Text können.
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(Sie schaut wieder in ihr Buch.)
Er:
Sie sind Schauspielerin. Wen spielen Sie denn?
(Sie schaut nicht von ihrem Buch auf.)
Sie:
Die Julia.
Er:
An welchem Theater?
(Sie schaut von ihrem Buch auf.)
Sie:
Jetzt sollten Sie wirklich gehen, und zwar schnell, bevor Ihre Freundin hier
auftaucht. Glauben Sie mir, Frauen mögen das nicht, wenn Ihnen mitten
im Sex der Partner abhanden kommt.
Er:
Sie muß sich ausruhen.
Sie:
(leicht ironisch)
Von Ihrer Leidenschaft? Gratuliere!
Er:
Danke.
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(Kurzes Schweigen.)
Er:
Dieser Mann, mit dem Sie vorhin telefoniert haben, war das Ihr Freund?
(Sie zeigt auf die Fototapete.)
Sie:
Mein Freund hängt hier an der Wand.
(Er betrachtet die Tapete.)
Er:
Ihr Freund modelt für Tapeten?
Sie:
Er heißt Paul.
(Schweigen. Sie schaut wieder in ihr Buch.)
Sie:
Ich wünsche einen guten Tag und weiterhin viel Vergnügen. Aber leise.
Er:
Ich bitte noch einmal um Entschuldigung, wenn wir zu ungestüm waren.
Wir werden Sie nicht weiter stören. Auch Ihnen einen guten Tag.
(Er verläßt die Wohnung. Stille. Sie steht auf, geht zur Stereoanlage und
legt eine CD ein. Es ist eine CD, auf der Geräusche zu hören sind, die ein
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zweiter in der Wohnung anwesender Mensch macht. Man hört, wie
jemand in der Küche ist, Dinge aus dem Kühlschrank nimmt, Geschirr
herrichtet, Kaffee kocht etc. Sie nimmt die Fernbedienung und macht es
sich auf der Couch bequem. Es klopft an der Tür. Der Mann kommt wieder
herein.)
Er:
Ich wollte nur noch sagen, Sie sollten Ihre Tür absperren, sonst kann hier
ständig jeder reinkommen.
Sie:
Sie haben recht. Auf Wiedersehen.
(Er geht nicht.)
Er:
Wie geht’s der Julia?
Sie:
Schlecht. Sie hat keine Ruhe am Balkon.
(Schweigen. Die Geräusch-CD läuft noch immer im Hintergrund.)
Er:
Sie sind nicht mehr allein? Ihr Freund ist inzwischen gekommen? Das
Tapetenmodel?
(Sie schaltet mit der Fernbedienung die Anlage ab.)
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Sie:
Nein. Das ist die CD zur Tapete.
Er:
Ich habe nicht ganz verstanden.
Sie:
Auf dieser CD sind die Geräusche zu hören, die Paul machen würde,
wenn er hier wäre.
Er:
Ich hab noch immer nicht verstanden. Ihr Freund ist auch Akustikmodel?
(Sie steht auf, holt das Cover der CD und liest vor.)
Sie:
„Diese CD liefert all die vertrauten Geräusche des Alltags, die ein Mensch
erzeugt, mit dem man die Wohnung teilt. Doch sie hat einen
unbezahlbaren Vorteil: Man fühlt sich umsorgt und ist trotzdem völlig
ungestört.“
(Sie schaut ihn an.)
Sie:
Außer ihr Nachbar kommt andauernd herein.
(Kurzes Schweigen. Sie legt das Cover auf den Couchtisch. Er nimmt das
Cover der CD vom Couchtisch.)
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Er:
(laut lesend)
„Nie mehr allein. Ihr idealer Mitbewohner.“
(Schweigen. Er legt das Cover wieder auf den Couchtisch.)
Sie:
Brauchen Sie noch was? Die abgelaufene Milch vielleicht?
(Er räuspert sich.)
Er:
„O wie sie auf die Hand die Wange lehnt!
Wär ich der Handschuh doch auf dieser Hand
Und küßte diese Wange!“
Sie:
Ihre Freundin liegt in Ihrer Wohnung im Bett, und Sie spielen hier den
Romeo? Wieso können Sie überhaupt den Text?
Er:
„Horch! Sie spricht.“ Meine Mutter hat mich als Kind immer ins Theater
geschleppt. „Romeo und Julia“ habe ich zum ersten Mal mit vier Jahren
gesehen. Einzelne Passagen kriege ich nicht mehr aus dem Kopf.
(Kurzes Schweigen.)
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Er:
Dieses Telefonat vorhin geht mir auch nicht aus dem Kopf. Führen Sie mit
Ihrem Freund öfter so, wie soll ich sagen … außergewöhnliche
Gespräche?
Sie:
Versprechen Sie mir zu gehen, wenn ich es Ihnen sage?
Er:
Versprochen.
Sie:
Der Mann am Telefon war nicht mein Freund, das war Max. Er ist ein
Stammkunde von mir.
Er:
Das heißt, Sie bieten so Dienste am Telefon an?
Sie:
Haben Sie ein Problem damit?
Er:
Ich bin nur neugierig.
Sie:
Ich habe kein Problem damit. Ich finde, man kann ganz offen damit
umgehen. Nichts ist so ehrlich wie Telefonsex. Und meistens ist er besser
als der wirkliche.
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Er:
Da fehlt mir der Vergleich.
Sie:
Da Sie jetzt Bescheid wissen, können Sie gehen.
(Kurzes Schweigen.)
Er:
Eine Frage habe ich noch. Wieso ist es am Telefon besser als in der
Wirklichkeit?
Sie:
Weil man dem Mann nur erzählen muß, daß man ihm einen bläst. Man
muß es nicht tun.
(Kurzes Schweigen.)
Er:
Entschuldigen Sie, daß ich so neugierig bin, aber das ist beruflich bedingt.
Ich bin Autor. Und als Autor muß ich bestimmte Dinge ganz genau wissen,
sonst kann ich nicht darüber schreiben. Ich kann mich am Telefon ja nicht
gut als Frau ausgeben, also muß ich Sie das fragen.
Sie:
Sie schreiben über Telefonsex?
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Er:
Nicht direkt. Ich arbeite an einem neuen Roman. Titel habe ich noch
keinen, aber einen Untertitel: Die Liebe in Zeiten ihrer unbegrenzten
Besprechbarkeit.
Sie:
Das ist mir zu hochgestochen.
Er:
Man kann über alles reden. Es gibt keine Tabus mehr. Nichts muß mehr
verschwiegen werden.
Sie:
Ist ja alles im Internet. Heutzutage ist man von der Liebe nur einen
Knopfdruck entfernt.
Er:
Ich würde gerne mehr über das Telefongewerbe erfahren, aber von Ihnen.
Sie:
Und wenn ich Sie aufgeklärt habe, dann gehen Sie?
Er:
Sicher.
Sie:
Also, ich mache kein Geheimnis daraus, daß ich am Telefon Männer
befriedige. Ich glaube, ich bin sehr talentiert für diesen Job. Meine Kunden
sind glücklich, wenn sie auflegen. Ich bin gut im Geschäft.
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(Kurzes Schweigen.)
Sie:
Welche Details wollen Sie wissen, im Interesse der Kunst?
Er:
Was braucht man für diesen Job?
Sie:
Eine erotische Stimme, zum Beispiel.
Er:
Das kann bei Ihnen kein Problem sein, Sie sind ja Schauspielerin.
Sie:
Es ist wie am Theater. Ich kann zum Beispiel den Satz, „Ich will, daß du
endlich kommst“, völlig unterschiedlich betonen. Ich sage Ihnen ganz
nüchtern: „Ich will, daß du endlich kommst“. Oder ich befehle es Ihnen:
„Ich will, daß du endlich kommst!“ Oder ich flehe verzweifelt darum: „Ich
will, daß du endlich kommst“. Das Wichtigste dabei ist, daß Sie mit dem
Zwerchfell atmen.
Er:
Und wie weiß ich, ob mein Zwerchfell atmet?
Sie:
Das lernen Sie auf der Schauspielschule.
Er:
Und wenn ich das kann?
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Sie:
Dann müssen Sie trainieren, Ihre Stimme zu senken. Je tiefer die Stimme,
desto erotischer klingt sie.
Er:
Ab wann ist die Stimme tief genug?
Sie:
Sie haben doch sicher schon einmal einem Pfarrer zugehört, wie er die
Messe hält?
Er:
Ist schon ein bißchen her.
Sie:
(im Sprechgesang)
Es segne euch der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der
Heilige Geist…
Er:
Ich glaube, jetzt kommt „Amen“.
Sie:
Tiefer!
Er:
Amen.
Sie:
Tiefer!
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Er:
Amen.
Sie:
Noch tiefer!
Er:
Amen.
Sie:
Das ist zu tief. Wir üben hier für die Erotik und nicht für ein Begräbnis.
Er:
Amen.
Sie:
So ungefähr. Und nun … Gehet hin in Frieden!
Er:
Gibt’s noch eine andere Übung? Eine weniger kirchliche? Mein letzter
Besuch einer Messe ist, wie gesagt, schon sehr lange her.
Sie:
Denken Sie an Ihren letzten Orgasmus, der ist ja wohl nicht so lange her.
Da haben Sie ganz unbewußt mit dem Zwerchfell geatmet, und Ihre
Stimme war tief und heiser. Und so laut, daß man sie bis in die
Nebenwohnung gehört hat.
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Er:
Ich bitte noch einmal um Entschuldigung. Wenn ich meine Atmung im Griff
habe, wird das nicht mehr vorkommen.
Sie:
Und jetzt gehen Sie endlich zu Ihrer Freundin zurück. Oder muß ich Sie an
der Hand nehmen und selber hinbringen?
Er:
Gleich, gleich. Es passiert ja schließlich nicht täglich, daß man jemanden
trifft, der vom Zwerchfell abwärts so genau Bescheid weiß. Ich brauche
nur noch ein paar Informationen.
Sie:
Was soll das hier werden? Die Aktion „Künstler helfen Künstlern“?
Er:
Ich halte mich beim Schreiben gerne an Fakten. Ich kann mir schließlich
nicht alles ausdenken. Also, was sage ich jetzt am Telefon?
Sie:
Sie werden doch ein paar geile Phantasien haben?
Er:
Aber wie erkennen Sie die Phantasien Ihrer Anrufer? Wissen Sie immer
gleich, was die von Ihnen wollen?
Sie:
Inzwischen.
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Er:
Und wie war es am Anfang?
Sie:
Schrecklich.
Er:
Erzählen Sie. Bitte. Dann sind Sie mich schneller los.
Sie:
Als ich damit begonnen habe, habe ich mir vorher geile Geschichten
ausgedacht und sie dann am Telefon erzählt. Aber die Anrufer wollten
immer etwas anderes hören. Wenn ich mir eine besonders ausführliche
Geschichte mit langem Vorspiel ausgedacht hatte, wollte er ihn sofort
reinstecken. Beim nächsten Mal habe ich dem Mann gesagt, er soll ihn mir
sofort reinstecken, er hat aufgelegt. Ich bin in die Videothek gegangen und
hab mir Pornofilme ausgeliehen, um zu schauen, wie es dort abläuft, aber
die handeln überwiegend von Elektrikern, die in die Wohnung kommen,
um einen Kurzschluß zu reparieren. Noch bevor sie ihren Werkzeugkoffer
geöffnet haben, hat ihnen die Frau schon den Hosenschlitz aufgemacht.
Das hat auch nichts gebracht. Ich kann doch einem Mann am Telefon
nichts über Elektriker und Stromausfälle erzählen. Oder finden Sie
Geschichten mit Elektrikern geil?
Er:
Nicht
unbedingt.
interessieren.
Mich
würden
mehr
die
einsamen
Hausfrauen
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Sie:
Das habe ich mir auch gedacht und mich am Telefon als einsame
Hausfrau ausgegeben. Das hat überhaupt nicht funktioniert, weil die
meisten Männer, die mich anrufen, zu Hause selber eine einsame
Hausfrau haben. Bei dem Gedanken kriegt keiner einen hoch.
(Kurzes Schweigen.)
Er:
Und was erzählen Sie jetzt am Telefon?
Sie:
Ich improvisiere. Sagen wir, Sie rufen eine dieser Sexhotlines an und
hören ein Tonband, auf dem sich die Frauen kurz vorstellen. Sie hören
meine Ansage: „Hallo, hier ist Denise, ich bin feucht und warte auf dich“.
Sie finden meine Stimme besonders anziehend und drücken auf die Eins.
Dann läutet bei mir das Telefon. Ich hebe ab und sage am Anfang nur ein
unverbindliches „Hallo?“. Es könnte ja sein, daß mein Vater anruft, und
wenn ich da gleich sage, er soll seine Hose aufmachen und ihn rausholen,
wäre das ganz schön peinlich. Wenn Sie halbwegs gut erzogen sind,
sagen Sie als erstes Ihren Namen. Also ich sage: „Hallo?“. Und jetzt Sie!
Er:
Heißen Sie wirklich Denise?
Sie:
Natürlich nicht. Bei der Arbeit heiße ich Denise. Also ich sage „Hallo?“…
Er:
Hallo, ich bin Andreas.
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(Sie hält einen imaginären Telefonhörer ans Ohr.)
Sie:
Hallo, Andreas, wo bist du gerade? (Sie hält den imaginären Telefonhörer
kurz weg.) Am Telefon ist man nämlich per Du.
Er:
Ich bin in der Wohnung meiner Nachbarin.
(Sie hält den imaginären Telefonhörer wieder ans Ohr.)
Sie:
Bist du geil auf mich?
Er:
Was soll ich sagen? Auf jeden Fall bin ich neugierig.
(Sie hält den imaginären Telefonhörer wieder kurz weg.)
Sie:
Das kann natürlich passieren, daß jemand anruft, weil er nur neugierig ist.
Die sind meistens nicht volljährig. Es ist aber verboten, mit jemanden
unter achtzehn zu telefonieren.
Er:
Ich bin achtundzwanzig.
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Sie:
Wenn man sicher ist, daß der Anrufer erwachsen ist, kann man
weitermachen.
(Sie hält den imaginären Telefonhörer wieder ans Ohr.)
Sie:
Also, Andreas, schließ die Augen, stell dir vor, ich stehe in deiner Tür. Ich
komme ganz langsam zu dir ins Zimmer…
Er:
Apropos: Du solltest … Sie sollten jetzt die Tür schließen, damit nicht
jeden Moment jemand reinkommen kann.
(Sie läßt den imaginären Telefonhörer sinken.)
Sie:
Ihre Freundin?
Er:
Nein, die schläft.
Sie:
Man muß als erstes rausfinden, ob er allein ist. Stellen Sie sich vor,
jemand anderer kommt mitten in so einem Telefonat ins Zimmer. Ist mir
auch schon passiert. Der Kunde ist voll aufgegeilt, und ich höre im
Hintergrund plötzlich Geräusche und eine weibliche Stimme. Was soll ich
machen? Soll ich vielleicht sagen, hallo, deine Frau steht hinter dir, pack
deine Erektion wieder ein?
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Er:
Was passiert in so einer Situation?
Sie:
Die Frau reißt ihm den Hörer aus der Hand und legt auf.
Er:
Und wenn keine Frau oder sonstwer in der Nähe ist?
Sie:
Wenn ich mir sicher bin, daß er allein und volljährig ist, beginnt meine
Improvisationskunst. Ich versuche herauszufinden, wie seine Phantasie
ist. Er soll mir beschreiben, was er sich genau vorstellt. Also ich sage,
Andreas, was machst du gerade?
Er:
Ich höre meiner Nachbarin zu, wie sie am Telefon einen Mann anmacht.
Sie:
Zum Beispiel. Das wäre eine brauchbare Phantasie. Hallo, Andreas,
gefalle ich dir?
Er:
Ja. Du bist hübsch.
Sie:
Und? Was gefällt dir am besten an mir?
Er:
Du hast ein schönes Gesicht.
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Sie:
Wie findest du meine Brüste? Gefallen sie dir?
(Er schaut ihr auf den Busen.)
Er:
Ja, sind okay.
Sie:
Und was siehst du, wenn dein Blick noch weiter nach unten geht?
Er:
Ich möchte dir lieber in die Augen schauen.
Sie:
Das ist gut. Schau mir tief in die Augen.
(Sie schauen sich tief in die Augen.)
Sie:
Ich habe blaue Augen.
Er:
Entschuldigen Sie, aber Ihre Augen sind grün.
Sie:
Am Telefon sind sie blau.
30
Er:
Wie Sie meinen.
Sie:
Du schaust mir in meine tiefblauen Augen.
Er:
Ich versinke geradezu darin.
Sie:
Was möchtest du tun, Andreas? Was stellst du dir vor?
Er:
Ich würde dich gerne küssen.
Sie:
Ja, küß mich ganz zärtlich. Und dann? Was möchtest du dann tun?
Er:
Ich würde dich gerne umarmen.
Sie:
Gut, sehr gut. Du umarmst mich und hältst mich ganz fest.
Er:
Ich umarme dich und halte dich fest. Lange.
Sie:
Und dann? Möchtest du mich streicheln?
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Er:
Ich streichle dir ganz langsam über den Körper.
Sie:
Das, zum Beispiel, ist ein besonders guter Kunde. Er geht es ganz
langsam an, er stellt sich alles im Detail vor, dabei vergeht viel Zeit. Jede
Minute Reden bringt knapp zwei Euro. Einen Euro neunundachtzig, ganz
genau. Bei dem Telefonat, das Sie belauscht haben, habe ich knapp
zwanzig Euro verdient. Man kann auch viel stöhnen, um Zeit zu gewinnen,
aber das machen nur die Untalentierten in unserem Gewerbe. Jedenfalls
dauert so ein Gespräch maximal sechzig Minuten, dann wird die
Verbindung unterbrochen. Das ist gesetzlich geregelt.
Er:
Nach einer Stunde ist Schluß?
Sie:
Dann ist er entweder gekommen oder aus der Leitung geflogen.
Er:
Woher wissen Sie so genau, daß er wirklich gekommen ist? Er könnte
Ihnen den Orgasmus nur vorspielen. Weil er Schwierigkeiten hat, zum
Höhepunkt zu kommen und ihm das Ganze zu teuer wird.
Sie:
Ich habe mir von einer Kollegin einen Trick abgeschaut. Sie fordert die
Männer auf, in die Küche zu gehen und ein Stück Alufolie zu holen. Wenn
jemand auf Alufolie ejakuliert, hört man ein Knistern. Wenn einer meiner
Kunden
im
Büro
ist,
sage
ich
ihm,
er
soll
Akten
oder
das
Telefonverzeichnis verwenden. Wenn er bei sich zu Hause im
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Wohnzimmer ist, die Fernsehzeitschrift. Wenn er heimlich am Klo
telefoniert, Rätselhefte oder Frauenzeitschriften. Ich hatte mal einen
Kunden, der hat auf sein gerade geschriebenes Testament onaniert.
Er:
Und wenn er nicht gestorben ist, onaniert er noch heute.
(Beide lachen.)
Er:
Und was ist, wenn er es in einer Stunde nicht geschafft hat, ruft er dann
wieder an? Wenn er es sich leisten kann?
Sie:
Manchmal ruft jemand ein zweites Mal an. Dann mache ich dort weiter, wo
ich aufgehört habe.
(Schweigen. Die beiden stehen etwas verlegen voreinander.)
Er:
Könnten wir dort weitermachen, wo Sie aufgehört haben?
(Sie setzt sich auf die Couch. Er bleibt stehen.)
Sie:
Wo waren wir?
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Er:
Ich glaube, wir waren noch ziemlich am Anfang. Wir haben uns ein
bißchen kennengelernt.
Sie:
Das geht dann so. Wenn ich sein Interesse an mir geweckt habe, und er
sich nicht gleich wieder auswählt, komme ich ihm langsam immer näher.
Ich sage ihm, er soll sich vorstellen, wie ich zu ihm ins Zimmer komme. Ich
erzähle ihm, was ich anhabe. Oder nicht anhabe. Ich beschreibe ihm mein
Gesicht, meinen Körper, meine großen Brüste.
(Er setzt sich vorsichtig zu ihr auf die Couch.)
Er:
Entschuldigen Sie, ich will Ihnen nicht zu nahe treten, aber Sie haben
keinen großen Busen.
Sie:
Das weiß ich auch. Aber der Anrufer nicht. Er hat sich für mich
entschieden, egal, ob ich in Wirklichkeit groß- oder kleinbusig bin, dünn
oder dick, ein Zwerg oder schon Großmutter. Er begehrt mich, in seiner
Vorstellung bin ich sein Traum, ich bin die Frau, die ihn glücklich macht.
Total glücklich. Und das für Euro einsneunundachtzig die Minute. Ist doch
toll, oder?
Er:
Was sagt Ihr Freund zu dem allen? Das Model?
(Sie dreht sich um und zeigt auf die Fototapete.)
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Sie:
Paul? Er schweigt.
(Er dreht sich um und betrachtet die Tapete.)
Er:
Was macht Paul sonst so?
Sie:
Er hängt in den Wohnungen anderer Frauen rum.
Er:
Das heißt, er hat mehrere Freundinnen? Sie leben in einer offenen
Zweierbeziehung?
Sie:
Nein. Paul ist eine Tapete, eine Singletapete, Modell „Paul“.
Er:
Das verstehe ich nicht.
Sie:
Was gibt es da nicht zu verstehen? Es gibt die verschiedensten Tapeten.
Schilflandschaften
für
Naturliebhaber,
Wildtiere
für
Abenteurer,
Sonnenuntergänge für Romantiker. Und wenn man will, kann man sich
auch einen Mann an die Wand kleben, Modell „Paul“.
Er:
Sozusagen für einsame Frauen.
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Sie:
Sozusagen. Und für einsame Männer gibt’s das Modell „Priscilla“.
Bekommen Sie beide im gut sortierten Fachhandel.
(Kurzes Schweigen.)
Er:
Vielleicht ist es Zeit für einen Tapetenwechsel?
(Schweigen.)
Sie:
Ich glaube, es ist Zeit, daß Sie gehen.
Er:
Und Ihr anderer Freund?
Sie:
Welcher andere?
Er:
Der mit dem blauen Kondom.
Sie:
Blaues Kondom?
Er:
Sie haben gesagt, er würde blaue Kondome bevorzugen.
36
Sie:
Ach, der. Von dem habe ich seit einem Jahr nichts gehört.
Er:
Tut mir leid.
Sie:
Mir nicht.
(Schweigen.)
Er:
Jetzt frage ich Sie ganz direkt. Fühlen Sie sich manchmal einsam?
Sie:
Einsam? Wieso? Mich rufen täglich mindestens zehn Männer an, alle geil.
(Schweigen.)
Sie:
Sie sollten besser zu Ihrer Freundin zurückgehen, die gibt sonst eine
Vermißtenanzeige auf. Suche Andreas, Autor, achtundzwanzig, ist seit
dem letzten Sex abgängig.
Er:
Ich habe ihr einen Zettel hingelegt, wo ich hingegangen bin.
Sie:
Das heißt, sie kann jederzeit hier auftauchen?
37
Er:
Das glaube ich nicht. Nachher ist sie glücklich und schläft immer
stundenlang.
(Schweigen.)
Er:
Eines würde mich jetzt, vor allem literarisch, noch interessieren. Haben
Sie schon einmal einen Ihrer Anrufer kennengelernt?
Sie:
Man lernt sich am Telefon nicht kennen.
Er:
Ich meine persönlich kennengelernt.
Sie:
Die Anrufer wollen ständig, daß man sie zurückruft und sich privat mit
ihnen trifft. Ganz am Anfang habe ich es einmal getan, es war ziemlich
enttäuschend. Ich hatte eine völlig andere Vorstellung von ihm, und er
wohl auch von mir.
Er:
Das kenne ich. Er beschreibt sich als sportlich, erotisch und weltoffen. Sie
als ungebunden, kulturinteressiert und sexy. Das nennt sich Blind Date.
Sie:
Es werden einem sehr schnell die Augen geöffnet.
(Sie lacht.)
38
Sie:
Ungefähr ein halbes Jahr, nachdem mich mein Freund verlassen hat, hat
mir eine Freundin einen Gutschein geschenkt. Für ein „Blind Date Dinner
and more“. Sie hat ihn nicht mehr gebraucht, weil sie kurz davor jemanden
kennengelernt hat, sie wollte ihn nicht verfallen lassen, den Gutschein,
meine ich. Das Blind Date Dinner findet im Extrazimmer eines Lokals statt.
Die Teilnehmer werden paarweise an den Tisch geführt, der Raum ist
völlig abgedunkelt.
Er:
Damit man die inneren Werte des anderen entdeckt?
Sie:
Man soll den anderen in der Dunkelheit erspüren, ganz nebenbei. Wenn
man das Besteck sucht oder nach dem Glas greift.
Er:
Und die Kellner, wie können die in der Dunkelheit servieren?
Sie:
Die sind blind, die sind das gewohnt.
Er:
Wie geht’s weiter? Es heißt doch „Blind Date Dinner and more”. Was ist
das „and more“?
Sie:
Nach dem Dessert wird das Licht aufgedreht.
39
Er:
Und dann wünscht man sich mehr?
Sie:
Nein. Man wünscht sich, man wäre blind. Wie die Kellner.
(Die beiden lachen.)
Er:
Ich habe einmal bei einem Speed-Dating mitgemacht. Man hat fünf
Minuten, um bei seinem Gegenüber einen bleibenden Eindruck zu
hinterlassen.
Sie:
Und, was haben Sie gemacht?
Er:
Ausschließlich darüber geredet, wie ich beerdigt werden will. Unter keinen
Umständen Einäschern.
Sie:
Wie hat Ihr Gegenüber reagiert?
Er:
Sie hat ununterbrochen auf die Uhr geschaut.
Sie:
Hat Sie das getroffen?
40
Er:
Nein, nicht im geringsten. Ich bin ja nur aus literarischem Interesse
hingegangen.
(Das Telefon läutet. Er will aufstehen. Sie bedeutet ihm, daß er warten
soll. Sie nimmt den Hörer ab und stellt sich etwas abseits.)
Sie:
Hallo? … Ja, hier ist Denise … Hallo, Fritz! … Was willst du? Eine Reise
um die Welt? … Französisch, englisch, griechisch, russisch … All
inclusive, ich weiß … Mit dem Blasen soll ich anfangen? … Ob ich was
kenne? … Den Unterschied zwischen einer Frau und einem Tsunami? Ja,
ja, kenn ich. Gar keiner. Bei beiden fängt es mit einem leichten Blasen an
und am Ende ist das Haus weg … Warum ich nicht lache? Es tut mir leid,
ich bin derzeit nicht in Stimmung … Du bist scharf auf mich? … Ich aber
nicht auf dich ... Weder will ich dir einen blasen, noch will ich mit dir eine
Reise um die Welt machen … Das schon gar nicht. Mit dir nicht einmal bis
Klosterneuburg … Was mit mir los ist? Hab ich ja schon gesagt, ich bin
nicht in Stimmung …
Sie:
Aufgelegt.
Er:
Ich glaube, es ist mein Schicksal, Sie bei der Arbeit zu stören.
Sie:
Haben Sie nicht, der Anrufer hat mich gestört.
(Kurzes Schweigen. Sie setzt sich wieder zu ihm auf die Couch.)
41
Sie:
Auch, wenn Sie nur aus literarischem Interesse zu Ihrem Date gegangen
sind, hätten Sie trotzdem etwas Persönliches sagen können.
Er:
Im zwischenmenschlichen Bereich ist bereits alles gesagt worden. Mann
trifft Frau, und was dann folgt, ist eine endlose Wiederholung. Jeder Satz,
jedes Wort, ist schon einmal dagewesen. Es gibt nichts mehr zu sagen.
Sie:
Und warum sitzen wir auf meiner Couch und reden?
Er:
Alles wiederholt sich. Wir reden miteinander, nehmen uns in die Arme,
legen uns auf die Couch. Ich küsse Sie eventuell an einer sehr intimen
Stelle und kann davon ausgehen, daß dort schon mehrere Kollegen tätig
waren. Stimmt doch, oder?
Sie:
Ja, talentierte und untalentierte. Wird bei den Schriftstellern wohl nicht
anders sein.
(Schweigen.)
Sie:
Mein Vorschlag, daß Sie gehen, ist noch immer aufrecht.
Er:
Ich würde gern bleiben.
42
Sie:
Wozu?
Er:
Bei Ihnen habe ich das Gefühl, daß ich etwas Neues erfahren könnte.
Sie:
Ich habe Ihnen alles über Telefonsex erzählt.
(Kurzes Schweigen.)
Er:
Wieso
machen
Sie
das
mit
dem
Telefonsex?
Sie
sind
doch
Schauspielerin? Sie spielen doch demnächst die Julia? Sie müssen doch
davon leben können?
Sie:
Vielleicht wird „Romeo und Julia“ modern inszeniert, und die beiden haben
Sex am Mobiltelefon, damit es die verfeindeten Familien nicht mitkriegen?
(Die beiden lachen.)
Sie:
Und Sie? Können Sie vom Schreiben leben?
Er:
(lächelnd)
Mein Buch wird ein Welterfolg. Jeder Satz eine literarische Sensation.
Alles neu.
43
Sie:
Wann erscheint es?
Er:
Und wenn es kein Welterfolg wird, kann ich noch immer eine Hotline für
einsame Hausfrauen betreiben. Glauben Sie, daß ich das kann, mit Ihrer
Hilfe?
Sie:
Üben, üben, üben.
(Er steht auf, hält ein imaginäres Telefon ans Ohr und stellt sich vor sie
hin.)
Er:
Hallo, ich bin Andreas.
Sie:
Nicht auf das Zwerchfell vergessen und mit tiefer erotischer Stimme
sprechen.
Er:
(mit tiefer Stimme)
Hallo, ich bin Andreas.
Sie:
(lachend)
Hallo, ich bin Denise.
44
Er:
Hallo Denise, was machst du gerade?
Sie:
Ich sitze am Sofa.
Er:
Bist du allein?
Sie:
Nein.
Er:
Wer ist bei dir?
Sie:
Mein Nachbar.
Er:
Und? Wie sieht er aus, dein Nachbar?
Sie:
Nicht schlecht.
Er:
Nicht schlecht?
45
Sie:
Er sieht ganz gut aus. Aber er hat leider eine Freundin. Die schläft zwar
die meiste Zeit, aber irgendwann wacht sie ja doch auf.
Er:
Vielleicht hat er gelogen und hat gar keine Freundin?
Sie:
Männer haben beim ersten Date nie eine Freundin, damit rücken sie
immer erst später raus.
Er:
Dann stell dir vor, er hat keine Freundin. Weder jetzt noch später.
Sie:
Nehmen wir also an, er hat keine Freundin und sieht sehr gut aus. Irgend
etwas muß bei ihm nicht stimmen.
Er:
Er sieht blendend aus, hat keine Freundin, und bei ihm ist alles in bester
Ordnung.
Sie:
Das gibt’s nicht.
Er:
Wir teilen nur gemeinsam eine Phantasie. Es muß nicht immer alles
stimmen. Ihre Augen sind ja auch nicht blau.
46
Sie:
Gut. Er ist also ein Glückstreffer.
Er:
So ist es. Er sieht toll aus, die Frauen sind verrückt nach ihm und die Welt
wartet voller Spannung auf sein neues Buch.
Sie:
Wow. Ich bin überwältigt. Wenn Sie mit mir ein Speed-Dating gemacht
hätten, wäre ich vollkommen hingerissen von Ihnen.
(Schweigen.)
Er:
Wenn dieser Traumtyp jetzt zu Ihnen sagen würde, daß es vielleicht
angebracht wäre, Ihre Tür von innen abzusperren, was würden Sie
sagen?
(Schweigen. Sie steht auf, geht in den Vorraum und schließt die
Eingangstür der Wohnung ab. Sie kommt zurück und bleibt verlegen vor
ihm stehen. Die beiden schweigen.)
Er:
Was denken Sie jetzt?
Sie:
Ich denke, daß Sie sich denken, gleich passiert etwas, das ganz einmalig
ist, noch nie dagewesen. Das setzt mich ziemlich unter Druck.
47
Er:
Mich auch. Gut, daß wir darüber reden können.
(Schweigen.)
Sie:
Wo waren wir? Ich meine, bevor ich die Tür abgesperrt habe? Ah ja, Sie
betreiben eine Hotline für einsame Hausfrauen, ich rufe Sie an, und Sie
sagen mit tiefer Stimme, hallo, hier ist Andreas.
Er:
Waren wir nicht schon ein bißchen weiter?
Sie:
Ja, Sie haben mir gesagt, daß Sie ein Glückstreffer sind.
Er:
Stellen Sie sich vor, der Glückstreffer kommt langsam auf Sie zu.
(Er legt wieder das imaginäre Telefon ans Ohr und geht einen Schritt auf
sie zu.)
Er:
(mit tiefer Stimme)
Du hast dich nach mir gesehnt?
Sie:
(spielt mit)
Ich habe mich nach dir gesehnt.
48
Er:
Wie sehr?
Sie:
Sehr.
Er:
Sag, wie sehr?
Sie:
Schrecklich.
Er:
Sag mir, wie schrecklich?
Sie:
Fürchterlich. Ich bin vor Einsamkeit fast umgekommen.
Er:
Das ist gut.
Sie:
Das ist überhaupt nicht gut. Das ist beschissen.
Er:
Was hast du dir in deiner Einsamkeit vorgestellt?
Sie:
Daß sie aufhört, die Einsamkeit.
49
Er:
Was noch?
Sie:
Ich habe mir vorgestellt, wie ich deine Schritte vor der Tür höre.
(Man hört Schritte vor der Eingangstür. Es klopft. Die beiden schweigen.
Es klopft noch einmal, dann ist es wieder still.)
Sie:
Sie sollten jetzt gehen.
Er:
Ich bin gerade erst gekommen. Ich stehe vor deiner Tür.
Sie:
Ihre Freundin ist aufgewacht und steht vor meiner Tür.
(Er nimmt den imaginären Telefonhörer vom Ohr.)
Er:
Wer immer es war, es war nicht meine Freundin. Ich habe keine Freundin.
(Schweigen. Sie schaut ihn an.)
Er:
Das ist die Wahrheit.
50
Sie:
Halt. Jetzt weiß ich nicht mehr, was hier abläuft. Sie sagen, Sie haben
keine Freundin, und ich höre ihr Stöhnen durch diese Wand bis in meine
Wohnung?
Er:
Ich habe mein Zwerchfell trainiert.
Sie:
Keine Witze. Ich will die Wahrheit.
Er:
Ich hoffe, wir bekommen kein Problem, wenn ich es ganz offen sage. Ich
habe einen Pornofilm eingelegt und den Ton überlaut aufgedreht.
Sie:
Was haben Sie?
Er:
Ich wollte, daß Sie auf mich aufmerksam werden. Im Stiegenhaus haben
Sie mich nicht wahrgenommen.
Sie:
Moment, nur damit ich das richtig verstehe. Sie sind an mir interessiert
und anstatt mich anzusprechen und auf einen Kaffee einzuladen, erfinden
Sie eine Geliebte, leihen sich Kondome aus und drehen einen Pornofilm
auf Überlautstärke auf?
51
Er:
Ich weiß, ich bin nicht ganz normal, beziehungstechnisch. Jetzt haben wir
ein Problem, weil ich die Wahrheit gesagt habe, nicht wahr? Sie sind
entsetzt?
Sie:
Nein, nein, ich bin nicht entsetzt, eher gerührt. Ich mag zwar keine
Pornofilme, aber so viel Aufwand, um mich kennenzulernen, das ist doch
romantisch. Ich muß sagen, ich bin wirklich gerührt.
Er:
Erstaunlich, wie Sie die Sache sehen. Sie überraschen mich. Können wir
dort weitermachen, wo wir aufgehört haben?
Sie:
Sehr gerne. Ich glaube, mir ging es gerade beschissen vor Einsamkeit.
(Er legt wieder das imaginäre Telefon an sein Ohr.)
Er:
Du hast dir vorgestellt, daß ich endlich zu dir komme.
(Er geht einen Schritt auf sie zu.)
Sie:
(spielt mit)
Ich habe mir vorgestellt, wie du bei der Tür hereinkommst, und ich dich
leidenschaftlich küsse. Ich berühre deine Schultern, deine Brust, deinen
Bauch, du fühlst dich so wunderbar an.
52
(Sie geht einen Schritt auf ihn zu. Er schweigt und nimmt das imaginäre
Telefon von seinem Ohr.)
Er:
Entschuldigen Sie, ich glaube, ich habe jetzt einen Telefonhänger. Wenn
eine Frau so aufregende Dinge zu mir sagt, weiß ich nicht mehr, was ich
sagen soll. Was soll ich sagen?
Sie:
Nimm vor allem das Telefon wieder hoch und sag ihr, daß du es vor
Leidenschaft kaum noch aushältst, und daß du dich am liebsten mit ihr
aufs Sofa werfen möchtest.
(Sie geht in Richtung Sofa, er geht ihr nach.)
Er:
(nimmt das imaginäre Telefon wieder ans Ohr)
Ich halte es vor Leidenschaft kaum noch aus und möchte mich am
liebsten mit dir aufs Sofa werfen.
Sie:
Weiter im Text.
Er:
Auf dem langen Weg zum Sofa öffne ich deine Bluse.
Sie:
Weiter.
53
Er:
Ich streichle deine Brüste, sie werden immer praller und praller, immer
größer und größer.
Sie:
Falscher Text. Jetzt wird’s unrealistisch.
Er:
Stimmt. Ich mag keinen großen Busen.
Sie:
Das hör ich von einem Mann zum ersten Mal.
Er:
Können wir weitermachen? Ich verzehre mich nach dir.
Sie:
Und ich mich nach dir.
(Er läßt das imaginäre Telefon sinken.)
Er:
Seit ich dich das erste Mal im Stiegenhaus gesehen habe, mußte ich an
dich denken.
Sie:
Warum hast du nicht angerufen? Mein Name steht am Türschild und ich
im Telefonbuch. Gleiche Adresse wie deine.
54
(Er nimmt das imaginäre Telefon wieder ans Ohr.)
Er:
Hallo, Denise? Hier ist Andreas! Dein Nachbar.
Sie:
Ich heiße nicht Denise, ich heiße Elisabeth.
Er:
Ich heiße Andreas, wie Andreas.
Sie:
Freut mich.
Er:
Können wir uns treffen? Auf einen Kaffee vielleicht?
(Die beiden sind am Sofa angelangt. Sie brechen das imaginäre
Telefonieren ab. Sie stehen voreinander und schauen sich an.
Schweigen.)
Sie:
Gelb, Grün, Blau oder Schwarz?
Er:
Schwarz.
(Sie dreht sich um und beginnt, nach einem Kondom zu suchen. Dabei
wirbelt sie einige Schachteln durch die Gegend. Er setzt sich vorsichtig
55
aufs Sofa. Sie findet eine Digitalkamera, schaltet sie ein und richtet sie auf
ihn. Er erstarrt.)
Er:
Was soll das?
Sie:
Im schönsten Fall das erste Photo einer unendlichen Serie. Im weniger
schönen Fall, sofern wir über das erste Mal nicht hinauskommen, wird es
ein Erinnerungsphoto. Hinten schreibe ich das Datum drauf. Dann kann
man im Alter, wenn ich schon ein wenig vergeßlich bin, nachschauen, wen
man wann gehabt hat. So wie man früher Urlaubsphotos gesammelt hat,
damit man nachher weiß, wann man wo war. Und wenn’s ein Verhau wird
und du nichts taugst, dann geb ich dein Photo ins Internet.
Er:
Ins Internet?
Sie:
Ja, mit Text. Versager des Monats. Warnung an alle Ladies. Wenn euch
dieser Typ unterkommt, Hände weg.
Er:
Dann muß ich auswandern.
Sie:
Auf einen anderen Planeten. Wer einmal im Netz ist, ist es weltweit.
Internet-Pranger heißt das. Der Hund eines südkoreanischen Mädchens
hat in einer U-Bahn auf den Boden geschissen, sie wollte die Scheiße
nicht wegräumen. Ein Fahrgast hat das Mädchen, den Hund und den
56
Scheißhaufen mit dem Handy photographiert. Seitdem ist sie weltweit als
„Dog Shit Girl“ bekannt und gemieden. Oder ein Hamburger, der zu viel
Bier säuft und aus dem Fenster rülpst, photographiert von seinem
Nachbarn, mit Namen und Adresse ins Internet gegeben, weltweit
verachtet als der „Rülpser aus dem Norden“. Es ist schon alles gesagt,
hast du gesagt? Nicht ganz. Ein paar Privatheiten, ein paar Schwächen,
gibt es noch, und die kommen jetzt alle, alle ins Internet! Nicht nur die
Liebe,
auch
der
Mensch
lebt
im
Zeitalter
der
unbegrenzten
Bespechbarkeit. Alles muß gesagt werden! Alles muß durchleuchtet
werden! Bis ins Allerletzte!
(Sie photographiert wie wild, macht ein Photo nach dem anderen.)
Sie:
Nicht nur das Äußere muß festgehalten werden, auch das Innere. Ich muß
wissen, wie es in deinem Inneren aussieht. Ich muß alles ausleuchten,
jeden Winkel. Du darfst nichts vor mir verbergen. Vielleicht sitzt in deinem
Kopf ein Gedanke, der mich bedroht? Vielleicht hast du in deinem Herzen
ein Messer versteckt, mit dem du mich verletzen willst? Du mußt mich
überall hineinlassen, überall!
(Plötzlich hält sie inne und schluchzt. Schweigen.)
Sie:
Ich glaube, ich bin auch nicht ganz normal, beziehungstechnisch.
(Schweigen.)
57
Er:
Ich denke, es ist wohl besser, ich gehe. Sie müßten mir nur vorher die Tür
aufsperren.
Sie:
Der Schlüssel steckt.
(Schweigen. Der Mann geht zur Tür.)
Sie:
Natürlich, Sie müssen gehen. Die Männer gehen immer. Manche bleiben
ein paar Tage oder Wochen und manche verabschieden sich schon in der
Tür,
bei
der
sie
gerade
erst
hereingekommen
sind.
Mein
Beziehungsrekord liegt bei zwei Monaten, zwölf Tagen und vierzehn
Stunden. Länger hat noch nichts gedauert.
(Der Mann bleibt an der Tür stehen, er hat ihr den Rücken zugewendet.
Das Telefon beginnt zu läuten. Sie nimmt den Hörer ab und wendet ihm
den Rücken zu.)
Sie:
Hallo? … Gut, wie Sie wollen … Mit einer Leine? … Zu meinen Füßen? …
Aus einem Freßnapf? … Tut mir leid! Ich kann nicht kochen! … Sie
bevorzugen Katzenfutter? Wissen Sie, wie das stinkt? … Sie mögen den
Geruch? … Hören Sie zu! Für diese Nummer haben Sie die falsche
Nummer gewählt. Versuchen Sie’s bei einer Kollegin. Bei mir geht’s um
Sex und nicht um Kitekat.
(Sie legt auf. Langes Schweigen. Er dreht sich um.)
58
Er:
Was haben Sie vorhin gesagt? Sie stellen mein Photo ins Internet? Als
Versager des Monats?
(Sie dreht sich um.)
Sie:
Das habe ich nur so gesagt.
(Er geht auf sie zu.)
Er:
Ich bin nicht der Versager des Monats, ich bin der Versager des Jahres.
(Sie geht auf ihn zu.)
Sie:
So schlimm wie bei mir kann es nicht sein. Immerhin erscheint demnächst
Ihr Buch.
Er:
Nein, tut es nicht. Der Verlag hat abgesagt.
Sie:
Tut mir leid. Haben Sie es bei einem anderen Verlag versucht?
Er:
Jawohl, ich habe es bei einem anderen versucht. Und noch einem
anderen. Und noch einem anderen. Ich glaube, es gibt keinen Verlag im
59
deutschen Sprachraum, dem ich meine Manuskripte nicht geschickt habe.
Alle lehnen mich ab.
Sie:
Zu dem Thema kann ich auch etwas beitragen.
Er:
Bitteschön.
Sie:
Ich werde die Julia demnächst nicht spielen.
Er:
Eine andere hat die Rolle bekommen?
Sie:
Immer bekommen die anderen die Rollen. Bei jeder Aufführung, die ich
sehe, denke ich mir, ich könnte die Rolle der jungen Frau, der Geliebten,
der Irren, wesentlich besser spielen. Das denke ich mir auch bei den
kleineren Rollen, ja sogar bei den Statistenrollen. Ich sehe eine stumme
Wasserleiche auf der Bühne und denke mir, auch die hättest du besser
hingekriegt. Aber spielen tun sie immer die anderen.
Er:
Das einzige, was ich bis jetzt veröffentlicht habe, sind ein paar Gedichte in
Literaturzeitschriften,
die
niemand
bekommen, nur Belegexemplare.
liest.
Honorar
habe
ich
keins
60
Sie:
Sie haben mich in keiner öffentlichen Schauspielschule genommen.
Weder im Seminar, noch im Konservatorium. Sie haben mich nicht einmal
in den Schauspielschulen genommen, für die man selber zahlen muß.
Er:
Ich habe einen Einfall für eine Geschichte, aber wenn ich beginne, sie
niederzuschreiben, wird sie immer banaler, immer nichtssagender. Jede
gute Zeile hat schon ein anderer vor mir geschrieben. Jede Geschichte ist
schon woanders vorgekommen. Alles ist schon einmal dagewesen. Ich
auch. Diesen Mangel an Einmaligkeit ertrage ich nicht.
Sie:
Ich habe einen Kredit aufgenommen, um mir privaten Schauspielunterricht
leisten zu können. Ich fahre überall hin, wenn es irgendwo eine Chance
für ein Vorsprechen gibt. Und ich blase und stöhne mich durch mindestens
fünf Telefonate täglich, damit ich mir das alles leisten kann, einschließlich
dieser kleinen, aber sündteuren Wohnung. Die Lebensmittel sind ja auch
nicht gratis, und wenn du dich nicht mit teuren Klamotten und Kosmetika
herrichtest, schaut dich kein Mann an.
Er:
Die letzte Zeit habe ich damit verbracht, nach einer extremen Todesart zu
suchen, aber sie sollte wirklich extrem sein. Dann würde ich als
Berühmtheit in der Zeitung stehen. Zumindest für einen Tag, zumindest
als Notiz. Aber alle Todesarten, die ich durchgegangen bin, sind schon
vorgekommen.
61
Sie:
Nach
der
soundsovielten
Absage
habe
ich
mir
die
Pulsadern
aufgeschnitten, aber dabei aufgepaßt, daß ich nicht zu tief schneide und
zu große Narben bekomme. Das hätte meine Chancen, eines Tages doch
noch engagiert zu werden, ganz zunichte gemacht. Ich kann nur noch mit
langen Ärmeln spielen. Aber eines Tages spiele ich sie, die Julia!
Er:
(als Romeo)
„Ich schwöre, Fräulein, bei dem heil’gen Mond,
Der silbern dieser Bäume Wipfel säumt…“
Sie:
(als Julia)
„O, schwöre nicht beim Mond, dem wandelbaren,
Der immerfort in seiner Scheibe wechselt,
Damit nicht wandelbar dein Lieben sei!“
(Kurzes Schweigen.)
Er:
Ich weiß nicht, wie’s weitergeht.
Sie:
Weißt du, wie alt ich bin? Schon fünfundzwanzig. Ein bißchen alt für die
Julia, findest du nicht? Aber ich fühl mich nicht so. In meiner Vorstellung
ist alles am Anfang. Ich fühle mich wie mit vierzehn, das Leben spielt sich
vor mir ab wie auf einer Tanzfläche, und ich warte, daß ich endlich
aufgefordert werde, mitzutanzen. Aber niemand kommt und fragt mich.
(Zu ihm) Darf ich bitten?
62
Er:
Ich bin der mieseste Tanzpartner der Welt.
(Sie tanzt allein.)
Er:
Ich bin total erfolglos, aber ich fühl mich nicht so. Ich lebe vom Geld
meiner Eltern, ich bin ein verdammter Schnorrer, aber ich fühl mich nicht
so. Schließlich beschäftige ich mich mit etwas Besonderem, mit Kunst.
Mich treibt Höheres, ich verabscheue Alltägliches. Ich habe keine
Waschmaschine und bringe die Schmutzwäsche jedes Wochenende zu
meiner Mutter. Ich bin ein mutterfixiertes, faules Schwein, aber ich fühl
mich nicht so. Deine Theaterträume existieren nur in deinem Kopf, und ich
bin ein größenwahnsinniger, untalentierter Arsch. Aber wir fühlen uns nicht
so.
(Er nimmt sie an der Hand und dreht sich mit ihr im Kreis.)
Er:
(singt)
Aber wir fühlen uns nicht so! Aber wir fühlen uns nicht so!
(Die beiden halten inne.)
Sie:
Irgend etwas Überraschendes könnte doch passieren?
Er:
Könnte.
63
Sie:
Ein Theater könnte völlig überraschend anrufen und sagen: Die
Hauptdarstellerin hat sich völlig überraschend den Fuß gebrochen, wir
haben Ihr Photo in einer Bewerbung gefunden und sind der Meinung, daß
Sie genau die richtige Besetzung sind. Das kann doch passieren, oder?
Er:
Durchaus möglich.
Sie:
Irgend jemand muß mich doch einmal wollen.
Er:
Durchaus möglich.
Sie:
Es gibt so viele Verlage, die dich nehmen könnten.
Er:
Sehr viele sind es nicht mehr.
(Schweigen.)
Sie:
Ich muß einfach das Gefühl haben, daß morgen alles ganz anders sein
kann.
Er:
Ja, und daß noch unendlich viel Zeit ist bis morgen.
64
(Langes Schweigen.)
Sie:
Worauf warten wir?
(Sie geht zur rückseitigen Wand und fängt an, einzelne Bahnen der
Tapete herunterzureißen.)
Er:
Was machst du?
Sie:
Einen Tapetenwechsel. Ich trenne mich vom schönen Paul.
(Er geht zu ihr hin und hilft ihr beim Herunterreißen der Tapetenbahnen.
Grauer, bröseliger Verputz und vertrockneter Klebstoff kommen zum
Vorschein.)
Sie:
Warum es mit mir und den Männern immer schiefgegangen ist, weiß ich
einigermaßen, wenn auch nicht ganz genau. Aber du? Warum hast du
keine glückliche Beziehung? Warum kaufst du Pornofilme?
Er:
Ganz einfach, ein Pornofilm hat keine Launen und bekommt keine Regel.
Eine DVD steht immer zur Verfügung.
Sie:
Und sich verlieben, das geht nicht?
65
Er:
Ich suche noch nach der idealen Frau.
Sie:
Die ideale Frau gibt’s nicht. Nur auf DVD.
Er:
Nur am anderen Ende der Sex-Hotline.
Sie:
Für einen Euro neunundachtzig die Minute.
Er:
Vierundzwanzig Stunden am Tag verfügbar.
Sie:
Wenn du es dir leisten kannst.
(Sie reißt ein Tapetenstück herunter.)
Sie:
Runter mit dem idealen Mitbewohner!
(Er reißt ein Tapetenstück herunter.)
Er:
Weg mit den Illusionen!
(Sie reißt ein Tapetenstück herunter.)
66
Sie:
Ende der Vorstellung!
(Er reißt ein Tapetenstück herunter.)
Er:
Aus der Traum!
(Sie reißt eines der letzten Tapetenstücke herunter.)
Sie:
Schluß mit der Schauspielerei!
(Er reißt eines der letzten Tapetenstücke herunter.)
Er:
Scheiß auf die Kunst!
(Sie haben die letzten Stücke der Tapete heruntergerissen. Sie atmen
schwer. Sie betrachten die nackte Wand, auf der Klebstoffreste zu sehen
sind. Schweigen.)
Er:
Tolle Aussicht.
(Schweigen.)
Sie:
Was bleibt für uns übrig? Gar nichts!
67
Er:
Nothing!
(Schweigen. Sie stehen noch immer mit dem Rücken zum Publikum. Sie
nimmt seine Hand.)
Sie:
Am Ende von „Romeo und Julia“ nimmt sie seine Hand. Er ist tot und sie
will auch nicht mehr leben. Sie findet das Gift, aber er hat ihr keinen
einzigen Tropfen übriggelassen. Gar nichts.
(Sie schaut ihn an.)
Sie:
(als Julia)
„Ich will dir deine Lippen küssen: ach, vielleicht
Hängt noch ein wenig Gift daran und läßt mich
An einer Labung sterben.“
(Sie küßt ihn, sehr vorsichtig.)
Sie:
Es ist ihr letzter Kuß, dann erdolcht sie sich. Sie liegen beide tot in der
Gruft. Aber das weißt du ja.
Er:
Bei uns beiden ist es nicht der letzte Kuß, es ist der erste. Was sagt
Romeo zu Julia, wenn er sie zum ersten Mal küßt? Ich kann mich nicht
erinnern.
68
Sie:
Er sagt: „Derweil mein Mund dir nimmt, was er erfleht!“ Also im Klartext, er
ist völlig hingerissen von der Aussicht auf einen Kuß.
Er:
(als Romeo)
„Derweil mein Mund dir nimmt, was er erfleht!“
Sie:
Genau. Und dann küßt er sie.
(Er küßt sie, sehr vorsichtig.)
Er:
Was sagt er dann?
Sie:
Er sagt: „Nun hat dein Mund ihn aller Sünd entbunden.“
Er:
(als Romeo)
„Nun hat dein Mund ihn aller Sünd entbunden.“
Sie:
Und sie antwortet: „So hat mein Mund zum Lohn sie für die Gunst?“
Er:
Und weiter?
69
Sie:
Er antwortet ihr: „Zum Lohn die Sünd? O Vorwurf, süß erfunden: Gebt sie
zurück!“
Er:
(als Romeo)
„Zum Lohn die Sünd? O Vorwurf, süß erfunden: Gebt sie zurück!“
(Er küßt sie wieder.)
Sie:
(als Julia)
„Ihr küßt recht nach der Kunst.“
Er:
Wirklich?
Sie:
Sagt Julia zu Romeo. Aber du küßt auch nicht schlecht.
Er:
Wie geht’s weiter?
Sie:
Sie heiraten heimlich und verbringen eine Liebesnacht. Aber die kommt im
Text nicht vor. Nur der Morgen danach.
Er:
Wie geht’s weiter?
70
Sie:
Du kennst doch das Stück. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf.
Er:
Mit uns? Wie geht’s mit uns weiter?
Sie:
Ich weiß nicht. Die Katastrophe nimmt ihren Lauf?
Er:
Worauf warten wir dann noch?
(Sie lachen. Er geht zur Couch und setzt sich hin. Schweigen.)
Er:
Soll ich mich ausziehen?
(Kurzes Schweigen.)
Sie:
Offen gesagt, wenn du dich jetzt ausziehst, habe ich ein Problem. Dann
muß ich mich auch ausziehen. Und dann siehst du sofort, daß mein Bauch
ganz schön aufgebläht ist und mein Busen im Verhältnis dazu viel zu
klein.
Er:
Ich würde mein Hemd auch lieber anlassen. Ich habe in letzter Zeit stark
zugenommen.
71
Sie:
Gut, in Ordnung.
(Sie setzt sich neben ihn aufs Sofa. Beide schauen ins Publikum. Sie legt
ihren Kopf an seine Schulter. Schweigen.)
Er:
Es ist mir wirklich unangenehm, das zu sagen, aber ich habe heute nicht
geduscht.
Sie:
Damit machst du mir eine richtige Freude.
Er:
Wieso?
Sie:
Weißt du, wie das ist, wenn ein Mann am Kopf nach Haargel riecht, im
Gesicht nach Rasierwasser, auf der Brust nach Bodylotion, unter der
Achsel nach Deospray, zwischen den Beinen nach „Wilden Erdbeeren“
und, wenn er Sportler ist, an den Füßen nach Franzbranntwein?
(Beide lachen.)
Sie:
Darf ich mich auf dich setzen?
Er:
Ich bitte darum.
72
(Sie setzt sich mit dem Rücken zum Publikum auf ihn.)
Sie:
So okay?
Er:
An und für sich schon.
(Er versucht vorsichtig, seine Position zu verändern.)
Er:
Aber ehrlicherweise muß ich dir sagen, daß dein Hintern auf meine Hoden
drückt.
Sie:
Ich bin dir zu schwer!
Er:
Nein. Aber kannst du dich ein bißchen weiter nach hinten setzen?
(Sie rutscht etwas nach hinten.)
Sie:
So?
Er:
Super!
(Schweigen.)
73
Er:
Soll ich meine Armbanduhr abnehmen?
Sie:
Wieso?
Er:
Es gibt so viele Frauen, die eine Allergie haben, gegen Nickel. Du nicht?
Sie:
Nein. Du vielleicht? Sonst müßte ich, bevor wir anfangen, ein paar Dinge
aus dem Intimbereich entfernen.
Er:
Nein, nein, laß nur. Was Nickel betrifft, bin ich definitiv allergiefrei. Sonst
würde ich die Uhr nicht tragen,
Sie:
Logisch.
(Schweigen.)
Er:
Eine Sache möchte ich vorher noch ansprechen.
Sie:
Sag einfach.
74
Er:
Ich komme selten zum richtigen Zeitpunkt.
(Das Schnurlostelefon läutet. Sie steht auf und hebt ab.)
Sie:
(ins Telefon)
Jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt.
(Sie legt wieder auf.)
Er:
Kundschaft?
Sie:
Nein, mein kleiner Bruder.
(Sie setzt sich wieder auf ihn. Schweigen.)
Sie:
Und wie geht’s jetzt weiter?
(Schweigen. Er schaut ihr über die Schulter ins Publikum.)
Er:
Ich muß ständig daran denken, was du vorhin gesagt hast. Wenn ich
nichts tauge, gibst du mein Photo ins Internet. Dann wissen sämtliche
Frauen bis Cleveland, Ohio, daß ich einen Hänger gehabt habe.
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Sie:
Kann ich dich damit beruhigen, daß die Frauen in Ohio andere Probleme
haben als deinen Hänger?
Er:
Du hast leicht reden. Wenn du nicht kannst, krieg ich nichts davon mit.
Sie:
Ja, du vielleicht nicht. Aber ich krieg es mit. Und das ist schlimm genug.
Er:
Aber du könntest den Orgasmus vorspielen.
Sie:
Ja, am Telefon. Aber warum soll ich dir einen vorspielen?
Er:
Woher weiß ich, daß du mit mir nicht so redest wie mit einem deiner
Kunden?
Sie:
Wie kommst du auf die Idee, daß ich an einen meiner Kunden denke,
wenn ich auf dir sitze?
(Er befreit sich von ihr und springt auf.)
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Er:
(schreit)
Weil ich untalentiert, größenwahnsinnig, erfolglos, das Letzte bin! Eine
Frau, die mich toll findet, kann sich nur irren oder blind sein.
Wahrscheinlich beides.
(Sie bleibt am Sofa sitzen.)
Sie:
Und ein Mann, der mich schön findet, hat eine schwere Störung.
(Er geht im Raum auf und ab.)
Er:
Ich habe nichts vorzuweisen. Keine Buchausgabe. Keinen Literaturpreis.
Nichts.
Sie:
Wenn wenigstens meine Oberschenkel perfekt wären. Aber sie bestehen
aus einhundert Prozent Cellulite.
Er:
Wenn ich mich in der Früh im Spiegel sehe, wird mir schlecht.
Sie:
Wer will mein Gesicht auf der Bühne sehen?
(Er greift sich selbst in den Schritt.)
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Er:
Hier tut sich überhaupt nichts. Nichts. Ich bringe nichts zusammen.
(Schweigen.)
Er:
Jetzt bist du total enttäuscht von mir, was?
Sie:
Nein, bin ich nicht. Eher erleichtert. Ich habe beim ersten Mal immer
Angst, daß ich nicht perfekt genug bin. Nicht schön genug. Nicht geil
genug. Nicht aufregend genug. Daß er sich etwas anderes vorstellt. Ich
die falschen Sachen sage ...
Er:
(unterbricht sie)
Weißt du, wie das ist, wenn man einen Premierenhänger hat und mit aller
Gewalt versucht, ihn irgendwie hineinzubringen?
Sie:
(laut)
Weißt du, wie das ist, wenn einer keucht und vor sich hin rammelt, und du
das Gefühl hast, es hat überhaupt nichts mit dir zu tun?
(Kurzes Schweigen.)
Sie:
Da finde ich, ehrlich gesagt, einen Halbsteifen persönlicher.
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Er:
Wirklich?
Sie:
Ja.
Er:
Du machst mich glücklich!
Sie:
Ist das wahr?
Er:
Ja, total glücklich!
(Er geht in Richtung Vorzimmertür.)
Er:
Wirklich glücklich. Danke. Danke. Danke.
(Er steht bei der Tür.)
Er:
Ich bin glücklich. Einfach unglaublich glücklich. Total glücklich.
(Er verläßt die Wohnung. Sie starrt ihm fassungslos hinterher. Lange
Stille. Sie steht auf und horcht an der Wand zur Nebenwohnung. Sie lacht
verzweifelt auf.)
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Sie:
Bisher sind die Männer immer gegangen, weil ich sie angeblich nicht
glücklich gemacht habe. Und der geht, weil er glücklich ist.
(Lange Stille. Sie nimmt die Fernbedienung, die am Couchtisch liegt, und
schaltet die Geräusch-CD ein. Man hört die Alltagsgeräusche, die ein
Mann
machen
würde,
wenn
es
ihn
gäbe.
Sie
räumt
die
heruntergerissenen und am Boden umherliegenden Tapetenstücke weg.
Das Telefon läutet. Sie schaltet die CD schnell ab und nimmt den Hörer.)
Sie:
Andreas? … Wer spricht? … Okay. (Mit tiefer Stimme): Hallo, Mario. Wie
geht es dir? Wo bist du denn? … In deinem Schlafzimmer? Und, was
machst du gerade? … Du bist geil auf mich. Das ist gut. Ich auch, ich auch
… Du hältst es nicht mehr aus? Du willst es jetzt? Sofort? … Bist du
allein? … Dann schließ deine Augen. Stell dir vor, ich stehe vor deiner Tür
… ich öffne sie und komme ganz langsam zu dir ins Zimmer …
(Die Vorzimmertür geht auf. Andreas kommt herein und bleibt in der Tür
stehen. Er trägt einen Mantel und beobachtet sie.)
Sie:
Ich komme langsam auf dich zu … Ich trage nur einen Mantel, darunter
bin ich ganz …
(Sie bemerkt ihn.)
80
Sie:
(ins Telefon)
Entschuldige, Mario, ich bin nicht allein. Bei mir ist gerade jemand
gekommen.
(Sie legt auf.)
Sie:
(zornig zu ihm)
Was willst du noch von mir? Mehl? Kondome? Gibt’s nicht. Oder Milch? Ist
abgelaufen. Der Laden ist dicht.
(Er zieht zwei Päckchen Haltbarmilch aus seinen Manteltaschen.)
Er:
Tut mir leid, daß ich ohne Erklärung davongerannt bin. Aber ich hatte
plötzlich eine Idee, die mußte ich sofort in die Tat umsetzen. Ich bin
hinunter ins Geschäft gerannt und habe uns Haltbarmilch besorgt. Laut
Ablaufdatum soll sie ein halbes Jahr halten. Das kann ich mir zwar nicht
vorstellen. Aber … man kann es versuchen. Ein halbes Jahr.
Sie:
Ein halbes Jahr, so lange, im Ernst?
(Sie lächelt ihn an, er lächelt zurück und hält die zwei Päckchen
Haltbarmilch triumphierend in die Höhe. Das Licht der Scheinwerfer
erlischt. Ende des Stücks.)
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