Das amerikanische Drama der Moderne II - Phil.

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Ringvorlesung Amerikanistik SS 2006
22.Mai 2006
Die amerikanische Moderne II: Prosa
Die amerikanische Erzählliteratur der Moderne:
Entsteht (1) aus der Weiterentwicklung und den inneren Widersprüchen des Realismus und
Naturalismus – ‚Wirklichkeit‘ wird nur noch als sprachlich-medial vermittelte faßbar, und (2)
aus dem Einfluß der künstlerischen Avantgarde in Europa. Henry James als Übergangsfigur –
vom psychologischen Realismus zum modernistischen Roman (Betonung auf Erzähltechnik,
Perspektivenvielfalt, Bewußtseinserforschung, Sprachprozesse).
Sinclair Lewis (1885-1951): Milieustudien, Porträt des amerikanischen Kleinstadtlebens in
Main Street (1920); Babbitt (1922): Satire auf den Konformismus und die Bigotterie des
amerikanischen Durchschnittsbürgers der 20er Jahre. Immobilienmakler als fiktionaler Held
und als Satireobjekt. Weitere sozialkritische Romane, z.B. Elmer Gantry (1927), sarkastische
Kritik der religiösen Scharlatanerie; It Can’t Happen Here (1935): Bezug der NaziMachtübernahme in Deutschland auf Verhältnisse in den USA. Nobelpreis für Literatur 1930.
John Dos Passos (1896-1970): Vielschichtige, experimentelle, mehrperspektivische
Stadtromane: Manhattan Transfer (1925) über den Moloch Großstadt: ‚simultane Chronik‘
New Yorks zu Anfang des 20. Jh.s; unzählige Episoden; Liedfragmente, Schlagzeilen,
Werbeslogans. Trilogie U.S.A. (1930-36): von New York auf Gesamtamerika ausgeweitet
Literarische Collagen. Plädoyer für selbstbestimmte Individualität in der Form der collective
novel. Identitätssuche und ihre Schwierigkeiten zentral. Engagement im Sacco-und-VanzettiJustizskandal (1927), später wie Hemingway im spanischen Bürgerkrieg. Demokratischer
literarischer Modernismus – Techniken der Massenmedien Film und Fotografie auf Literatur
übertragen.
Ernest Hemingway (1899-1961): Mitglied der „lost generation“ (1. Weltkrieg – Exil in
Europa); drei Schaffensphasen: modernistische Frühphase: In Our Time (1925), The Sun Also
Rises (1926), A Farewell to Arms (1929): kennzeichnend ist die Orientierung an den
Prinzipien des Modernismus – objektives Bild, klare, unsentimentale Sprache,
understatement; iceberg-Stil.
Phase der Neuorientierung in 30er Jahren: Selbstinszenierung und politisches Engagement:
Death in the Afternoon (Tradition und Kunst des spanischen Stierkampfs, 1932), Green Hills
of Africa (Safaribericht, 1935), To Have and Have Not (sozialkritischer Roman über
Südamerika, 1937); The First Forty-Nine Stories, 1938.
Spätphase der 40er und 50er Jahre, stärker symbolisch und erzählorientiert, positivere
Akzente gegenüber dem Nihilismus der 20er Jahre: For Whom the Bell Tolls (Roman über
den spanischen Bürgerkrieg, 1941), The Old Man and the Sea (1952). 1954 Nobelpreis.
Charakteristisch für Hemingway: Aufsuchen von Grenzsituationen – im Leben wie im
Schreiben; Ethik des Stils: „Hemingway-Kode“; „grace under pressure“, Disziplin,
Wichtigkeit des Handwerklichen, Aufrichtigkeit, Reduktion aufs Wesentliche.
Einflüsse: Journalismus und Kriegserfahrung einerseits; künstlerische Moderne andererseits
(G. Stein, Pound, Eliot: ‚objective correlative‘, Cézanne), aber auch Mark Twain (gegen
falsche Künstlichkeit, „common sense“).
Meister der modernen short story (Kunst des Aussparens, der Andeutung, indirekte
Leseransprache, archetypische Grenzerfahrungen)
1
The Sun Also Rises: Roman über die „lost generation“; zwischen Paris (moderne Welt) und
Pamplona (traditionale Welt); Thema des „waste land“ (Jakes Impotenz); Stierkampf als
Metapher für Hemingways Kunstauffassung
A Farewell to Arms: Antikriegsroman; Desertion und „separate peace“
The Old Man and the Sea: Geschichte vom alten Mann und einem Riesenfisch; allegorische
Erzählung über Alter und Jugend, Mensch und Natur, Sinn und Sinnlosigkeit des Lebens;
starke Symbolik. Deutungsebenen: (1) existentialistische Parabel; (2) tragische Parabel; (3)
christliche Parabel; (4) ökologische Parabel, (5) Parabel über Kunst und Künstler
F. Scott Fitzgerald (1896-1940):
Autor des Jazz Age (20er Jahre): Literarische Schilderung der Welt der Schönen und Reichen,
aber zugleich Brüchigkeit der Oberfläche. Mit den frühen Romanen This Side of Paradise
(1920, über die Studienjahre des romantisch-rebellischen jugendlichen Helden Amory
Blaines) und The Beautiful and the Damned (1922, satirische Darstellung des moralischen
Abstiegs eines Boheme-Paares) etabliert er sich als Erfolgsautor und Sprachrohr einer
postviktorianischen Nachkriegsgeneration.
Nicht reduktiv-sprachasketisch wie Hemingway, sondern hochsymbolischer und
metaphernreicher Stil. Ästhetisierung des Mediums Roman. T.S. Eliot-Einfluss. Mischung
‚hochliterarischer‘ Formen textueller Komplexität und modernistischer
Bedeutungsverdichtung mit Verfahrensweisen der popular literature (Melodrama, Romanze).
Stärker subjektiv und artistisch als Hemingway. Spannungsreiche Verbindung von
Imagination und Realität.
The Great Gatsby (1925): Roman über den American Dream im Widerspruch zwischen der
Ideologie des self-made man und dem pursuit of happiness. Glitzerwelt der Reichen vs.
„Valley of the Ashes“(American nightmare). Themen der 20er Jahre im Buch verarbeitet:
Großstadt, Auto, Jazz-Musik, Parties, neue Frauenrolle; aber auch Armut, Mafia, Gewalt,
reaktionäre politische Ideologien. Ausgeprägte Farbsymbolik.
Finanzieller und persönlicher Abstieg nach der Weltwirtschaftskrise; Alkoholismus,
vergeblicher Versuch, in Hollywood Fuß zu fassen. Spätere Werke: Tender is the Night
(1934, über die Folgen psychiatrischer Behandlung und das Scheitern von Exilamerikanern in
der Alten Welt – teilw. autobiographisch); The Love of the Last Tycoon (1941 –
fragmentarisch gebliebene Abrechnung mit der Scheinwelt Hollywoods – vgl. auch Nathanael
Wests grotesk-apokalyptischen Hollywoodroman The Day of the Locust, 1939).
William Faulkner (1897-1962):
Einer der bedeutendsten Romanciers des 20. Jh.s. Südstaatenautor. Mythisches
Yoknapatawpha County als fiktionale Entsprechung zur realen Region des nördlichen
Mississippi-Staats. Mikrokosmos mit vielfältig miteinander verbundenen Figuren und
Familien, die in den verschiedenen Werken wiederkehren. Oberschicht, Mittelschicht und
gesellschaftliche Randgruppen, Gegenwart und Vergangenheit der Südstaatengesellschaft
aufeinander bezogen. Macht der Geschichte, Aufarbeitung des Bürgerkriegstraumas.
Regionaler Autor mit universaler Thematik.
Der experimentellste unter den Modernisten im Medium des Romans: BewußtseinsstromTechnik (Vgl. J.Joyce, V.Woolf). Stark imaginative, symbolische, bilderreiche Sprache;
psychologisch-mythisierende Züge; fließende Bewegung, lange, verschachtelte, ausufernde
Sätze. Mehrperspektivität – aus der Innenwelt verschiedener Charaktere erzählt, und dennoch
ein narratives Kontinuum.
The Sound and the Fury (1929): Roman über den Verfall einer einst bedeutenden
Südstaatenfamilie; programmatisches Zitat aus Macbeth; erzählt aus 4 verschiedenen
Perspektiven (der schwachsinnige Benjy, der Harvard-Student und Selbstmörder Quentin, der
zynische Pragmatiker Jason und der auktoriale Erzähler). Extrem fragmentierte
2
Erzähloberfläche, v.a. in Teil I und II; starke Leserbeteiligung erforderlich. Radikale
Bedeutungsoffenheit. Verschiedene Bewußtseinsebenen: Es (Benjy), Über-Ich (Quentin), Ich
(Jason) und tieferes, archetypisches Selbst (die schwarze Dienerin Dilsey). Verschiedene.
Ordnungssysteme: emotional (B), moralisch (Q), materiell (J) und spirituell (D).
Desillusionierung der Moderne vs. spirituelle Regeneration (schwarze Kultur, religiöse
Symbolik).
Weitere bedeutende Romane: Light in August (1932) über den Rassismus der Südstaaten am
Beispiel eines mixedblood, Joe Christmas. Bedingungszusammenhang zwischen
Puritanismus, sexueller Unterdrückung und Gewalt.
Absalom, Absalom (1936) über den Aufstieg und Fall des sozialen Außenseiters Thomas
Sutpen; kritische Darstellung von Machtbesessenheit, Individualismus und Rassentrennung.
Go Down, Moses (1942), Roman aus mehreren Erzählungen zusammengestellt, u.a. „The
Bear“ und „Delta Autumn“ über die Beziehung Zivilisation/Natur.
Viele bedeutende Kurzgeschichten: „Dry September“(Lynchgeschichte), „A Rose for Emily“
(makabre Liebesgeschichte), „Red Leaves“ (Geschichte einer Menschenjagd), „Barn
Burning“ (Initiationsgeschichte)
Nobelpreis 1949.
Literaturhinweise:
H. Bloom, ed., William Faulkner’s ‚ The Sound and the Fury‘, New York 1988.
M. Bradbury /D. Palmer (Hg.), Modernism, New York 1976.
M. Bucco, Critical Essays on Sinclair Lewis, Boston 1986.
S. Donaldson, The Cambridge Companion to Ernest Hemingway, Cambridge 1996.
L. Fietz, „Ernest Hemingway, The Sun Also Rises“, in Der amerikanische Roman. Von den
Anfängen bis zur Gegenwart, hg. H.-J. Lang, Düsseldorf 1972: 276-300.
F. Scott Fitzgerald, The Great Gatsby, Texts for English and American Studies, Student’s and
Teacher’s Book, Paderborn: Schöningh 1986.
G. Hurm, Fragmented Urban Images. The American City in Modern Fiction from Stephen
Crane to Thomas Pynchon, Frankfurt 1991.
H. Ickstadt, Heinz, „Die Amerikanische Moderne“, in Amerikanische Literaturgeschichte, Hg.
H. Zapf, Stuttgart 1997: 218-280.
H. Isernhagen, Ästhetische Innovation und Kulturkritik. Das Frühwerk von Dos Passos,
München 1983.
V. Klotz, „Gezeiten der Stadt: John Dos Passos‘ Manhattan Transfer, in Interpretationen.
Amerikanische Literatur des 20. Jahrhunderts, hg. G. Hoffmann, Frankfurt 1972: 71-103.
K. Müller, Ernest Hemingway. Der Mensch, der Schriftsteller, das Werk, Darmstadt 1999.
K. Stromberg, Zelda und F. Scott Fitzgerald: Ein amerikanischer Traum, Berlin 1997.
M. Tate, F. Scott Fitzgerald A to Z, New York 1998.
P. M. Weinstein, ed., The Cambridge Companion to Faulkner, Cambridge 1995.
H. Zapf, „Reflection Vs. Daydream: Two Types of the Implied Reader in Hemingway’s
Fiction“, in New Critical Approaches to the Short Stories of Ernest Hemingway, Duke
University Press 1991: 96-111.
H. Zapf, „William Faulkner: The Sound and the Fury,“ in Große Werke der Literatur IV. hg.
H.V. Geppert, Tübingen 1995: 239-54.
3
Vorlesung „Amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jh.s“ (Zapf) 6. Sitzung
Das amerikanische Drama der Moderne I:
Susan Glaspell (1876-1948):
Zusammen mit O’Neill Schlüsselfigur des modernen amerikanischen Dramas. Mitbegründerin
der Provincetown Players (Little-Theatre-Bewegung).
Experimentelle Stücke: Einakter Trifles (1916): Feministisches Detektivstück, in dem Frauen
aufgrund ihrer spezifischen, die Kleinigkeiten des Alltags („trifles“) einbeziehenden
Sensibilität sich als die überlegenen Detektive in einem Mordfall erweisen.
The Verge (1921): Von Nietzsche beeinflußt - Übermensch-Idee auf eine Frau projiziert, die
sich, in einem Turm lebend, immer mehr von allen konventionellen menschlichen
Beziehungen zurückzieht, um eine neue, ganz andere Seinssphäre anzustreben.
Daneben auch traditionellere Stücke und Prosaerzählungen.
Eugene O’Neill (1888-1953):
Hauptbegründer und Hauptvertreter des modernen amerikanischen Dramas. Extremes,
wechselvolles Leben (Sohn eines Schauspielers, Heimatlosigkeit, Alkoholismus, TBC, 1912
Lebenskrise). Ibsen und Strindberg-Einfluß. Überwindung der Dominanz des kommerziellen
Broadway-Theaters. Statt Obverflächenrealismus der Versuch, eine tiefere seelische
Wirklichkeit des modernen Menschen darzustellen. Nobelpreis 1936.
Einakter für die Provincetown Players. Experimentelle, teils realistische, teils
expressionistische Frühdramen.
Frühe Phase: The Emperor Jones (1920): Expressionistisches Stück über einen schwarzen
Aufsteiger, der eine westindischen Insel beherrscht und, nachdem er durch einen Aufstand
entmachtet wird, eine Bewußtseinsregression in die archetypische Welt seiner afrikanischen
Ursprünge erlebt. Motiv der Trommeln/des sich immer mehr steigernden Herzschlags.
Teilweise Bestätigung, teilweise Umkehrung der Rassenstereotype.
The Hairy Ape (1922): Teils naturalistisches, teils expressionistisches Stationendrama über
einen Schiffsheizer, der durch eine Frau der Oberschicht aus seiner Identifikation mit seiner
Arbeit gerissen wird und sich – vergeblich - an der Gesellschaft zu rächen versucht.
Bildlichkeit des „animal in the cage“. Kritik anonymer moderner Macht- und
Gesellschaftsstrukturen.
Mittlere Phase: Dramatische Großform, psychologische Thematik; Ziel: Schaffung einer
amerikanischen Tragödie: Desire under the Elms (1924), über destruktive Auswirkungen des
Puritanismus auf engste Familienbeziehungen; The Great God Brown (1926): Drama mit
Maskenverwendung über das Verhältnis von Macht und Kunst, Liebe und Rolle, den
Materialismus des American Dream und die tiefere Wahrheit des Lebens.
Mourning Becomes Electra (1931):Versuch, die klassische Tragödie (Atridenstoff) in einen
modernen amerikanischen Kontext zu übertragen. Statt trojanischer Krieg amerikanischer
Bürgerkrieg; Kampf zwischen dem Puritanismus als lebensfeindlichem Machtsystem und
einem dionysischen Lebensprinzip (die Happy Isles). Einfluß von Nietzsche und Freud. Drei
Teile: „The Homecoming“, „The Hunted“, „The Haunted“.
Spätphase: Symbolischer Realismus. The Iceman Cometh (1946): Gestrandete Existenzen in
einem New Yorker Hotel-Hinterzimmer, Christus als „iceman“, der seine Frau umgebracht
hat, und die Gruppe der sozial Gescheiterten als seine „Apostel“.
4
Long Day’s Journey into Night (1956): Autobiographisches Stück über seine Lebenskrise von
1912, die als Krise der Familie insgesamt dargestellt wird. Alkoholismus der Männer,
Drogensucht der Mutter. Isolation und Momente der Kommunikation. Symbolik des Nebels
und Nebelhorns. Kritische Auseinandersetzung mit dem Vater, dem Erfolgsschauspieler des
späten 19. Jh.s.
Elmer Rice (1892-1967): The Adding Machine (1923): satirisch-expressionistische Parabel
über die Fremdbestimmtheit des Menschen in einer Welt bürokratisch-ökonomischer
Anonymität. Street Scene (1929): Milieustudie des Lebens in einem New Yorker Miershaus.
Thornton Wilder (1897-1975): Episches Theater in Amerika. Nicht wie bei Brecht
Sozialkritik, sondern anthropologische Universalität. Our Town (1938): archetypische
Grundsituationen des Lebens in einer Kleinstadt: je ein Akt über Geburt, Heirat und Tod.
Metafiktionale Figur des stage manager. The Skin of Our Teeth (1942): Weltzeitliche
Kultursynopse am Beispiel der Familie Anthrobus. Überleben der Menschheit in
Katastrophenzeiten von Eiszeit über Sintflut zum Weltkrieg.
Drama der 30er Jahre stärker politisch und gesellschaftlich engagiert als zuvor (Great
Depression, New Deal, ‚Red Decade‘). Clifford Odets, Waiting for Lefty (1935)
Lillian Hellman (1906-1984): The Children’s Hour (1934) über historischen Fall zweier
Lehrerinnen, die unter den Verdacht geraten, lesbisch zu sein. The Little Foxes (1939),
Kapitalismuskritik und Studie innerfamiliärer Machtkämpfe. In den 50er Jahren wurde H.
eines der Opfer der politischen Verfolgungen der McCarthy-Ära.
Literaturhinweise:
C.W.E. Bigsby, A Critical Introduction to Twentieth-Century American Drama, 3 Bde.,
Cambridge 1982.
P. Goetsch, Hg., Das amerikanische Drama, Düsseldorf 1974.
U. Halfmann Hg., Eugene O’Neill 1988. Deutsche Beiträge zum 100. Geburtstag des
amerikanischen Dramatikers, Tübingen 1990.
J. MacNicholas, ed., Twentieth Century American Dramatists. Dictionary of Literary
Biogaphy 7, 2 Bde., Detroit 1981.
M. Manheim, ed. The Cambridge Companion to Eugene O’Neill, Cambridge 1998.
K. Müller, Inszenierte Wirklichkeiten: Die Erfahrung der Moderne im Leben und Werk
Eugene O’Neills, Darmstadt 1993.
J. Schäfer, Geschichte des amerikanischen Dramas im 20. Jahrhundert, Stuttgart etc. 1982.
H. Zapf, „Eugene O’Neill’s The Hairy Ape and the Reversal of Hegelian Dialectics“, Modern
Drama 1988: 35-40.
------, “Drama und Postmoderne. Zur Aktualität Eugene O’Neills”, Forum Modernes Theater
3, 2, 1988: 142-54.
------, „Die verspätete Gattung: Das amerikanische Drama der Moderne“, in Amerikanische
Literaturgeschichte, Hg. H. Zapf, S. 281-303.
5
Vorlesung „Amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jh.s“ (Zapf) 7. Sitzung
Das amerikanische Drama der Moderne II:
Tennessee Williams (1911-83):
Südstaatendramatiker; psychologisch-symbolische Dramen mit z.T. expressionistischem
Einschlag: Idee des plastic theater (als eine Art ‚Gesamtkunstwerk‘); biographische Züge
(traumatisiertes Familienleben, Homosexualität); dennoch zugleich allgemeinkulturanalytische Aussage – Dekadenz des Alten Südens vs. Aufstieg einer neuen,
materialistischen Kultur. Realismus, Brutalität, Desillusionierung vs. Sensibilität,
Imagination, Poesie.
The Glass Menagerie (1944): episch-poetisches memory play, Symbolik der Glastierchen als
Verkörperung der zerbrechlichen Lebenshoffnungen der Figuren, insbesondere der leicht
behinderten Laura (erinnert an Williams‘ Schwester); kurze Liebesillusion und deren
Scheitern. A Streetcar Named Desire (1947): Konflikt personifiziert in Stan Kowalski und
Blanche DuBois zwischen Arbeiterschicht und dekadenter Südstaatenaristokratie, brutaler
Männlichkeit und hypersensibler Weiblichkeit, Realismus und Traumwelt, Materialismus und
Kunst; Wichtigkeit von Lichtregie und Musik. Cat on a Hot Tin Roof (1955): Drama einer
Familienkrise auf einer Südstaatenplantage, gegenseitige Konfrontation illusionärer
Selbstbilder mit der Realität; Desillusionierung, aber zugleich Wahrheitsaufdeckung, Ansätze
von Kommunikation und neuer Vitalität (Symbolik der ‚Katze‘).
Arthur Miller (geb. 1915):
Prägende Erfahrung des Börsenkrachs 1929 – Bankrott des väterlichen
Familienunternehmens. Viele verschiedene Jobs. Soziale Thematik seiner Stücke, Kritik des
American Dream, d.h. des materialistisch aufgefaßten Erfolgsdenkens als maßgeblicher Form
des pursuit of happiness. Social domestic drama = unauflöslicher Zusammenhang von
privater und öffentlicher, familiärer und gesellschaftlicher Thematik. All My Sons (1947):
Vater-Sohn-Konflikt über die Lieferung schadhafter Flugzeugteile im Weltkrieg, durch die
der Erfolg und das materielle Familienglück um den Preis des Absturzes amerikanischer
Flieger, u.a. eines Sohns, erkauft wird.
Death of a Salesman (1949): Tragödie des einfachen Mannes (Willy Loman – ‚low man‘) in
der Maschinerie des amerikanischen Erfolgstraums und einer erbarmungslos
effizienzorientierten Geschäftswelt. Selbstzerstörerischer Illusionszwang der Hauptfigur, der
sich auf die anderen Familienmitglieder (Biff, Happy, Linda) unterschiedlich auswirkt.
Selbstmord als problematischer Lösungsversuch. Verbindung von realistischen Mitteln mit
einer ‚stream-of-consciousness‘-Technik szenischer Rückblenden, variables Bühnenbild,
musikalische Leitmotive.
The Crucible (1953): Historisch-episches Drama über die Hexenverfolgung in Salem, Mass.
(1692), zugleich Parabel über die Intellektuellenverfolgung der McCarthy-Ära, unter der auch
Miller zu leiden hatte. Gründe der Hexenjagd werden in puritanisch unterdrückter Sexualität
(Pastor Parris), in materieller Besitzgier (Putnam) und in institutioneller Selbstverblendung
gesehen (der Intellektuelle, die Richter Danforth und Hathorne). Ins Destruktive verkehrte
erotische Energie (Abigail) als Antriebskraft der Hexen-Halluzinationen; Tragödie John
Proctors zwischen persönlichem Überlebenswillen und menschlicher Solidarität.
Broken Glass (1994): Psychodramatisches Stück über die Beziehungskrise eines jüdischen
Ehepaars in New York zur Zeit des aufkommenden Antisemitismus in Deutschland
(‚Reichskristallnacht‘). Problematik von jüdischer Identität und Geschlechterrollen.
6
Edward Albee (geb. 1928):
Dem absurden Drama am nächsten kommender amerikanischer Dramatiker; dennoch kein
radikaler Nihilismus, sondern stets auch Versuch der Sinnstiftung. The Zoo Story (1959,
uraufgeführt in Berlin): Versuch des gesellschaftlichen Außenseiters Jerry, einem Fremden
auf einer Parkbank im Central Park von New York seine ‚Zoogeschichte‘ zu erzählen; der
scheiternde Versuch der Kommunikation mit dem bürgerlichen Mittelklasse-Vertreter Peter
eskaliert zum Kampf um die Parkbank und zum inszenierten Selbstmord Jerrys, der dennoch
als paradoxer Akt sinnstiftender Kommunikation erscheint.
Who’s Afraid of Virginia Woolf? (1962) Intimes Beziehungsdrama, zugleich gesellschaftlich
repräsentativ, zwischen zwei Ehepaaren im College-Milieu: George/Martha, Nick/Honey.
Radikaler Macht- und Geschlechterkampf; Geistes- vs. Naturwissenschaften; Katastrophe und
Katharsis. Psychodramatische Konzeption. Drei Teile: „Fun and Games“, „Walpurgisnacht“,
„The Exorcism“. Am Schluß Austreibung der Illusion (Tötung des fiktiven Sohns) und
angedeuteter Neuanfang. Kritik des amerikanischen Machbarkeits- und Zukunftsoptimismus.
Kommunikationsthema (vgl. Watzlawick, Menschliche Kommunikation).
Literaturhinweise:
C. W. E. Bigsby, ed., The Cambridge Companion to Arthur Miller, Cambridge 1998.
H. Bloom, ed., Tennessee Williams, New York 1987.
P. Goetsch, „Arthur Miller, Death of a Salesman“, in P. Goetsch (Hg.), Das amerikanische
Drama, Düsseldorf 1974: 208-33.
A. Griffin, Understanding Arthur Miller
P.C. Kolin, ed., Tennessee Williams: A Guide to Research and Performance, Westport, CT
1998.
R.A. Martin, ed., Critical Essays on Tennessee Williams, New York 1997.
H. Oppel, „Tennessee Williams: A Streetcar Named Desire“, in P. Goetsch (Hg.), Das
amerikanische Drama, Hg. P. Goetsch, Düsseldorf 1974: 183-207.
M.C. Roudané, Understanding Edward Albee, Columbia, S.C. 1987.
M. Wächter, Darstellung und Deutung der Vergangenheit in den Dramen Arthur Millers,
Frankfurt 1989.
P. Watzlawick et al., Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien, Bern
etc., Huber 19826 (1971)(Kap. 5, „Kommunikationsstrukturen in Edward Albee, ‚Wer hat
Angst vor Virginia Woolf?‘“)
7
Vorlesung „Amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jh.s“ (Zapf) 8. Sitzung
Die Epoche der literarischen Postmoderne (ca. 1950/60er – 1980/90er Jahre):
Weiterer und engerer Begriff der Postmoderne: 1) Allgemeiner kulturgeschichtlicher
Epochenbegriff 2) literarischer Stil- und Ästhetikbegriff.
Zu 1): Verlust der ‚großen Erzählungen‘(F. Lyotard), Abdankung eines teleologischen
Geschichtsbilds. Schwinden einer gesicherten Wissens- und Wertebasis bereits seit Nietzsche
(= einer der Hauptvordenker der Postmoderne) und Freud. Auflösung des Gegensatzes von
Realität und Fiktion, da alle Realität stets sprachlich-textuell vermittelt ist: “Von der Welt
zum Text“. Auflösung eines einheitlichen Subjekts. Zweifel an Alleingeltung rationalwissenschaftlicher Erklärungsmodelle, Bedingtheit und Relativität von Wissen und
Erkenntnis. Radikale Dezentrierung und Prozessualisierung der Weltsicht. Verlust eines
„Zentrums“ = Haltung des “Spiels“ (J. Derrida). Betonung des Zeichencharakters der Welt
und des Selbst; dabei Verschiebung der Aufmerksamkeit vom Signifikat zum Signifikanten
(„Das Design bestimmt das Bewußtsein“). Primäre Erfahrungswelten überfremdet durch die
Dominanz sekundärer, medienvermittelter Simulationswelten (J. Baudrillard, „Simulakrum“=
Kopie ohne Realität). Differenz statt Identität, Prozeß statt Struktur, Pluralisierung statt
Uniformität, Heterogenität statt Homogenität. Mit der Auflösung von Einheit und Zentrum
zugleich Aufwertung marginaler Gruppen, Themen, Diskursformen.
Zu 2): Amerikanische Literatur ab den 50er Jahren zwischen Spätmoderne und eigentlichem
„Postmodernismus.“ Teilweise Fortsetzung, teilweise Absetzung von modernistischer
Literatur. Fortführung des avantgardistischen Impulses, der Experimentierhaltung der
Moderne, ebenso der Erkentnisskepsis, des Bewußtseins der Wertkrise, der Suche nach
Alternativen in nichtwestlichen Kulturen. Zugleich Bruch mit dem elitären Kunstverständnis
der Moderne. Überbrückung der Kluft zwischen Elitekunst und Populärkultur angestrebt.
Experimentelle Exploration der eigenen Medialität, Öffnung auf andere Medien. Auflösung
des geschlossenen Kunstwerks. Von der Fiktion zur Metafiktion. Von der Repräsentation zur
Performanz. Vom Einzeltext zum Intertext.
D.h. generelle Merkmale der postmodernen Literatur: Experiment, Offenheit, Pluralität,
Performanz, Selbstreferenz.
Konsequenzen für die Texte: Dekonstruktion, Pluralisierung und Selbstbezüglichkeit auf
allen Ebenen (Sprache, Handlung, Figuren, Raum, Zeit, Erzählerrolle, literarische Kodes etc.)
Dennoch gegenüber der überwiegend von Entfremdung und Negativität gekennzeichneten
Moderne eher eine Haltung der Affirmation, wenn auch nur der Affirmation des dezentrierten,
kreativ-destruktiven Spiels der Welt und der Texte (von der „literature of exhaustion“ zur
„literature of replenishment“[John Barth]).
Die Beat Generation:
Gegenbegriff zur modernistischen „Lost Generation“. Ambivalenz zwischen depressiver
Entfremdungserfahrung und ekstatischer Lebensbejahung („Beat“ = ‚niedergeschlagen‘, aber
auch ‚glückselig‘, von beatific). Postmoderne Züge: Auflösung eines zentrierten,
geschlossenen Textbegriffs; radikal-experimentelle Haltung gegenüber Text und Leben;
Bruch mit elitärem Kunstverständnis; Verschmelzung von Imagination und Realität.
Gleichzeitig aber auch Fortführung spezifisch amerikanischer romantisch-prämoderner
Textformen (starker Einfluß Walt Whitmans). Stark politisch-sozialkritische Komponente
(v.a. bei Gregory Corso und Lawrence Ferlinghetti, aber auch bei Allen Ginsberg). Darüber
hinaus Einflüsse östlicher Philosophie (Zen-Buddhismus). Ökologische Themen (vor allem
bei Gary Snyder). Flucht vor gesellschaftlichem Konformismus, Suche nach extremer
8
Lebensintensität in Form von Ausnahmeerfahrungen (Drogen, Alkohol, Sex, Mystizismus,
Meditation). Gesellschaftliches Außenseiter-, Untergrund- und Jazzmilieu.
Allen Ginsberg (1926-97): spezifische In-Spirationsthese (atmungsbezogen: Atemlänge des
Dichters als Maß der poetischen Sprecheinheit). „The message is: widen the area of
consciousness“. Bruch mit eigener bürgerlicher Herkunft. Von Columbia University wg.
homosexueller Beziehung zu J. Kerouac entlassen. Freundschaft mit W. Burroughs.
Howl (1956), in der Nachfolge Whitmans (Langzeile) und W.C. Williams‘ (wechselndes
Metrum) stehendes, spontan-visionäres Gedicht in vier Abschnitten - (1) das
selbstzerstörerische Aufbegehren der jungen Generation gegen Normalität und Establishment,
(2) Vision des Gottes Moloch als Inbegriff moderner Entfremdung, (3) Anrufung des
‚wahnsinnigen‘ Dichters Carl Solomon, an den Howl gerichtet ist, (4) ‚Fußnote‘ zu Howl –
‚Heiligsprechung‘ der Opfer des Molochs; Andeutung einer Überwindung der
Fragmentierung durch ganzheitliches Denken.
Kaddish (1959) – jüd. Totenklage über seine Mutter. Später Anti-Vietnam-Proteste und
Zusammenarbeit mit Musikern (B. Dylan, P. McCartney).
Jack Kerouac (1922-69): Bekanntes Mitglied und Chronist der Beat Generation.
„Spontaneous prose“ – stets der erste Gedanke, der erste Ausdruck ist der richtige und
authentische. On the Road (1957) angeblich in einer dreiwöchigen manischen
Schreibeuphorie verfaßt. Kombination von Elementen des Pikaresken, des Bildungsromans,
der frontier- und road novel; Entdeckungsreise von Sal Paradise mit Dean Moriarty (Dichter,
Autodieb, Vagabund) durch die USA bis Mexiko, unter Einbeziehung von Drogen, Visionen,
Sexualität etc. zum Zweck der Provokation und Steigerung der Lebensintensität. Stilistisch
anspruchsvolle Fortschreibung des Romans in Visions of Cody (1960).
Die alptraumhafte Seite dieses Experiments und die apokalyptisch-surrealen Phantasiewelten
der Drogensucht beschreibt William Burroughs (1914-97) in The Naked Lunch (1959), eine
diskontinuierliche Serie von Horrorvisionen zwischen Gewalt und Sexualität innerhalb eines
totalitären Systems. Zufallsgesteuerte, inkohärente Abfolge der im Drogenrausch erlebten und
anschließend niedergeschriebenen Szenen (post-dadaistisches ‚Textinferno‘).
Literaturhinweise:
D. Allen & W. Tallman, eds., The Poetics of the New American Poetry, New York 1973.
J. Baudrillard, Der symbolische Tausch und der Tod, München 1992 [1976].
Chr. Bürger & P. Bürger (Hg.), Postmoderne. Alltag, Allegorie und Avantgarde, Frankfurt
1987.
J. Derrida, „Structure, Sign and Play in the Discourse of the Human Sciences“, in Twentieth
Century Literary Theory, ed. K.M. Newton, London 1988: 149-53.
L. Hutcheon, A Poetics of Postmodernism. History, Theory, Fiction, London &New York
1988.
T. Eagleton, The Illusions of Postmodernism, Oxford 1996.
W. French, Kerouac, Boston 1986.
A. Hornung, „Postmoderne bis zur Gegenwart“, in Amerikanische Literaturgeschichte, Hg.
H. Zapf, Stuttgart & Weimar 1997: 304-75.
J.-F. Lyotard, Das postmoderne Wissen, Hg. P. Engelmann, Wien 1993 [1979].
T.F. Merrill, Allen Ginsberg, New York 1969.
M. Schumacher, Dharma Lion: A Critical Biography of Allen Ginsberg, New York 1992.
W. Welsch (Hg.), Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion,
Weinheim 1988
9
Vorlesung „Amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jh.s“ (Zapf) 9. Sitzung
Romane der Spätmoderne: Fortführung realistischer und modernistischer Schreibweisen unter
den veränderten Bedingungen der Nachkriegszeit (Krisenbewußtsein, Identitätsproblematik,
Selbstbehauptung der Humanität in einer inhumanen Welt nach dem Holocaust und im Kalten
Krieg). Starker Einfluß von Psychologie und Sozialpsychologie (Erikson, D. Riesman).
J.D. Salinger (1919-). Zurückgezogen lebend, zunehmend von Zen-Buddhismus beeinflußt,
öffentlichkeitsscheu. Eine Reihe von Kurzgeschichten und einen Roman, The Catcher in the
Rye (1951) veröffentlicht. Bestseller, Kultbuch in den 60er/70er Jahren. Aus der
Krisensituation eines Nervenzusammenbruchs heraus in einer psychiatrischen Anstalt
niedergeschrieben von dem 17jährigen Holden Caulfield, der im Konflikt zwischen Kindheit
Schwester Phoebe) und Erwachsenenwelt (Schule, Großstadt, Prostitution, Homosexualität)
steht. Versuch, die Kinder vor dem Absturz in die verlogene Erwachsenenwelt zu bewahren.
Erzählerstimme in ihrem Jugendslang und ihrem der mündlichen Sprache nachempfundenen
Erzählrhythmus eine urbane Entsprechung von Twains Huck Finn. Der typische
Adoleszenzkonflikt in die Struktur der Handlungen eingezeichnet.
Norman Mailer (1923-) Einflußreicher Autor, Kritiker, Polit- und Medienstar (Gegensatz zu
Salinger oder Pynchon). Die ganze Breite der amerikanischen Wirklichkeit als Gegenstand:
Weltkrieg (The Naked and the Dead, 1948: Armee als technokratische Maschinerie).
Hollywood-Roman The Deer Park (1955) Nichtfiktionale Literatur, Verbindung von
Gesellschaftskritik und Selbstreflexion – Essay „The White Negro“, in Advertisement for
Myself, 1957, zwischen Kulturkritik der Beat Generation und der Protestbewegung der
Counterculture der 60er Jahre. Figur des ‚Hipster‘. Beispiel des „New Journalism“: The
Armies of the Night (1968), Roman über die Anti-Vietnam-Demonstration 1967 (zwischen
Fakten und Fiktion). The Executioner’s Song (1979) über den verurteilten Mörder Gary
Gilmore, der seine eigene Hinrichtung durchsetzt.
Joseph Heller (1923-99) Vor allem bekannt durch Antikriegsroman Catch-22 (1964) und
dessen spätere Verfilmung. Irrwitz der Kriegsmaschinerie (repräsentiert u.a. durch General
Scheisskopf und den korrupten Offizier Minderbinder). Amerikanische Fliegerstaffel auf
einer italienischen Insel. Groteske Irrationalität – der Protagonist, die Außenseiterfigur
Yossarian, tut so, als wäre er verrückt, um Feindeinsätze zu vermeiden, aber wird gerade
deswegen für ‚normal‘ gehalten (=‘Trick 17‘). Zwischen absurder Komik und abgründigem
Horror. U.a. auch Kritik des Kalten Kriegs.
Jüdisch-amerikanische Autoren:
Bernard Malamud (1914-86). Jüd.-amerik. Autor russ. Abstammung. Einbeziehung
osteuropäischer jiddischer Erzähltraditionen in moderne Erzählformen (shtetl-Mentalität).
Identitätsproblem und Kritik des American Dream in The Assistant (1957); Universitätsroman
A New Life (1961); The Tenants (1971) über das Verhältnis von Juden und Schwarzen. God’s
Grace (1982) über einzigen Überlebenden eines thernonuklearen Holocaust. 54 bedeutende
Erzählungen. Starke Präsenz der Bibel und der Weltliteratur.
Saul Bellow (1915-): Thema von Individuum und Gesellschaft, intellektueller Schriftsteller.
Ebenfalls russ. Herkunft, in Chicago aufgewachsen - verarbeitet im Roman The Adventures of
Augie March, 1953, pikaresker Roman über die Frage von Identität in einer rollenbestimmten
Welt. Seize the Day (1956): Vater-Sohn-Konflikt, Kritik des amerikanischen Materialismus.
Henderson, The Rain King (1959), parodistische Phantasiereise eines Amerikaners nach
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Afrika, wo er zum neuen Menschen wird. Herzog (1964), bedeutender und komplexer Roman
über einen Intellektuellen, der in eine Lebenskrise gerät und sich durch das Schreiben nie
abgeschickter Briefe selbst zu therapieren versucht. Humboldt’s Gift (1975), Roman über
Kunst und Wirklichkeit, Realität und Transzendenz (unter Einbeziehung von Rudolf Steiners
Anthroposophie). Nobelpreis 1976.
Philip Roth (1933-): Goodbye, Columbus (1962) über Identitätssuche eines jungen
amerikanischen Juden zwischen Anpassung und Selbstbestimmung. Kritische
Auseinandersetzung mit Orthodoxie, Portnoy’s Complaint (1969) Stark biographische Anteile
– Nathan Zuckerman als sein fiktionales alter ego in zahlreichen Romanen der 80er und 90er
Jahre. Neuerer Roman The Human Stain (1998), über menschliche Schwächen und political
correctness, College-Roman in der Clinton-Ära
Cynthia Ozick (1928-) Neue Rückbesinnung auf jüdische Traditionen, ebf. russischstämmig,
dreisprachiges Milieu (Jiddisch in Familie, Englisch im öffentl. Leben, Hebräisch in
Synagoge). Trust (1966) an drei Vaterfiguren die Quellen von Kreativität zwischen
Calvinismus, Judaismus und Paganismus aufgesucht. The Cannibal Galaxy (1983) und The
Messiah of Stockholm (1987) Romane über die moralische Verantwortung des Individuums in
einer potentiell destruktiv gewordenen Zivilisation. Stark metaphorischer, bildkräftiger
Schreibstil. Mehrere Kurzgeschichtensammlungen. Eindrucksvolle Holocaust-Geschichte,
„The Shawl“(1989), über den Marsch einer Frau und ihrer zwei Töchter ins KZ und die
Ermordung der kleineren Tochter.
Literaturhinweise:
E.A. Abramson, Bernard Malamud Revisited, Boston 1993.
G. Bach, ed., The Critical Response to Saul Bellow, Westport, CT 1995.
S.B. Cohen, Cynthia Ozick’s Comic Art: From Levity to Liturgy, Bloomington 1994.
A. Cooper, Philip Roth and the Jews, Albany, N.Y. 1996.
P. Freese, Die Initiationsreise: Studien zum jugendlichen Helden im modernen
amerikanischen Roman, mit einer exemplarischen Analyse von J.D. Salingers „The Catcher
in the Rye“, Neumünster 1971.
M.J. Lennon, ed., Critical Essays on Norman Mailer, Boston 1986.
J. Nagel, ed., Critical Essays on Joseph Heller,Boston 1984.
H. Zapf, Der Roman als Medium der Reflexion. Eine Untersuchung am Beispiel dreier
Romane von Saul Bellow (Augie March, Herzog, Humboldt’s Gift), Frankfurt 1981.
„
, „Logical Action in Salinger’s Catcher in the Rye“, College Literature 12, 3, 1985:
266-71.
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Vorlesung „Amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jh.s“ (Zapf)
Postmodernismus in der Erzählliteratur:
Vladimir Nabokov (1899-1977); russ. Herkunft, Dtld.-, Frkr.aufenthalte, gest. in Schweiz –
„ageless international freak“. Im Exil in USA erschien 1955 Lolita, Skandalroman über die
tragische Beziehung eines 37jährigen Europäers zu einer 12jährigen Amerikanerin; voll von
Parodie, Sprachwitz und literarischen Anspielungen (u.a. E.A. Poe, „Annabel Lee“).
Selbstreferentialität (auf Schreibakt zurückbezogen), Spiel mit Konventionen.
John Barth (1930-). Geht von Erschöpfung literarischer Formen aus, die aber durch
parodistisches recycling wieder neu kreativ genutzt werden können. Oft in der Postmoderne:
Universitätsprofessor als Autor. Lost in the Funhouse (1968) ist B.s bekannteste
Kurzgeschichtensammlung; darin erste Geschichte „Night Sea Journey“ aus der
Erzählperspektive eines Spermiums. Parodie des Entwicklungsromans. Realität nur noch in
Zitatform erfahrbar. Text als selbstreferentielles Zeichenlabyrinth.
Kurt Vonnegut (1922-). Postmoderne Durchdringung von Real- und Phantasiewelt.
Verbindung von komplexer experimenteller Kunst und Populärliteratur – ‚humoristische
Apokalypsen‘. Einfluß biographischer Erfahrungen: Weltwirtschaftskrise, Kriegserfahrung.
Radikale Kulturkritik. The Sirens of Titan (1959), im Science Fiction-Stil geschriebene
Parodie der Fortschrittsideologie. Slaughterhouse-Five (1969), Romanexperiment in einer
„telegraphisch-schizophrenen“ Methode über die von V. selbst erlebte Bombardierung
Dresdens; SF-Strategien (Planet Tralfamadore als Gegenwelt), Metafiktion (regressus ad
infinitum), Zitate, Vermischung von Fiktion und Wirklichkeit, Songs, Witze etc. – d.h.
Mischung heterogener Stilmittel und Textformen, um das unausdrückbare Grauen dennoch
ausdrückbar zu machen. Starke Technik- und Fortschrittsskepsis.
Thomas Pynchon (1937-). Studierte Literatur bei Nabokov, sehr zurückgezogen lebend.
‚James Joyce der Postmoderne‘. V. (1963) über die Suche nach einer Frau, Victoria Wren, in
den Wirren der neueren Geschichte, wobei das „V.“ immer neue mögliche Bedeutungen
annimmt. Realität wird zu einer Welt wuchernder Zeichen, der Versuch der zivilisatorischen
Totalkontrolle der Welt führt zum zunehmenden Kontrollverlust („Entropie“).
The Crying of Lot 49 (1966): zivilisatorische Herrschaftsstrukturen und die imaginäre
Untergrundorganisation ‚Tristero‘. Kodewort „W.A.S.T.E.“. Der menschliche ‚Abfall‘ der
Geschichte als kryptographischer Gegendiskurs zur offiziellen Kultur. Suche der Hauptfigur
Oedipa Maas nach dem Vermächtnis des Immobilien-Tycoons Pierce Inverarity führt zur
Entdeckung von immer mehr Hinweisen und Zeichen, aber zugleich auch in ein immer
unüberschaubareres Labyrinth von Ungewissheit und Mehrdeutigkeit. Intermediale
(Remedios Varo, Breughel) und intertextuelle Dimension (u.a. Märchen)
Gravity’s Rainbow (1973), durch Einschlag einer V 2-Rakete umrahmte, chaotischapokalyptische Handlungsstruktur mit unzähligen Figuren, nichtlineare Erzählweise
(Zeitumkehrungen etc.), teilweise Nachkriegsdeutschland als Schauplatz, Determination vs.
Zufall/Offenheit/Möglichkeit, Pseudotranszendenz der Technik.
Rückkehr zu kohärenteren Formen des Erzählens: Vineland (1990), Rückblick auf exzessive
60er Jahre, Wendung aus TV-beherrschter Medienwelt ins Märchenhafte; Mason & Dixon
(1997), historischer Roman über die Grenzziehung zwischen Maryland und Pennsylvanien
(1763-8), der späteren Mason-Dixon-Linie.
Donald Barthelme (1931-1989): Demonstriert Praktiken postmoderner Metafiktionalität im
Medium der Kurzprosa; parodistische Wiederbelebung von Mythen- und Folklorestoffen,
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Verrätselung der Textbedeutung und Appell an die Leserkreativität. „Snow White“, „Glass
Mountain“ – Märchenhafte Phantasiearchitektur und postmodernes Zeichenbewusstsein.
Literaturhinweise:
V.E. Alexandrov, The Garland Companion to Vladimir Nabokov, New York 1995.
A.W. Brownlie, Thomans Pynchon’s Narratives: Subjectivity and Problems of Knowing, New
York 2000.
H. Ickstadt (Hg.), Ordnung und Entropie: Zum Romanwerk von Thomas Pynchon, Reinbek
1981.
M. Leeds, The Vonnegut Encyclopedia, Westport, CT 1995.
G. Schwab, Entgrenzungen und Entgrenzungsmythen: Zur Subjektivität im modernen Roman,
Stuttgart 1987.
H. Ziegler, John Barth, London 1987.
Das neuere amerikanische Drama:
Postmoderne Züge des amerikanischen Dramas seit Albee (Tiny Alice, Zoo Story).
Arthur Kopit (1937-), Indians (1968), parodistisch-kulturkritisches Drama über Buffalo Bills
Wild West Show, den Mythos des Westens, das Verhältnis von Weißen und Indianern, und
das Verhältnis von Fiktion und Geschichte.
Sam Shepard (1943-): Bedeutendster amerikanischer Gegenwartsdramatiker,
Drehbuchschreiber, Schauspieler; Einfluß der Rockmusik. Buried Child (1978) über ein im
Garten vergrabenes ermordetes Kind, das ein zerstörtes Familienleben, aber auch eine
vergessene Hoffnung symbolisiert, Fool for Love (1983), Drama über eine Haß-LiebeBeziehung zweier Halbgeschwister. A Lie of the Mind (1985), ein surreales Symbolstück über
Geschlechterbeziehungen zwischen Identitätsverlust, Gewalt, Katastrophe und Katharsis.
David Mamet (1947-): Groteske Demontagen des American Dream, Verfall der Sprache als
Kommunikationsmittel (Einfluß Harold Pinters). American Buffalo (1977), Kritik
kapitalistischer Geschäftspraktiken in parodistischer Form im Kleinkriminellen-Milieu;
Oleanna (1992), Stück über einen College-Dozenten und eine Studentin vor dem Hintergrund
der political correctness-Debatte.
Beth Henley (1952-): Vertreterin der women playwrights (zusammen mit Marsha Norman –
v.a. night, Mother, 1983, und Wendy Wasserstein – v.a. The Heidi Chronicles , 1988).
Thematisierung der Frauenrolle in der amerikanischen Gesellschaft, sowie der komplexen
Beziehungen von Frauen untereinander im Spannungsfeld zwischen privater und öffentlicher
Sphäre. Groteske Inszenierung dieser Thematik v.a. in Crimes of the Heart (1980).
Literaturhinweise:
C.Bigsby, A Critical Introduction to Twentieth Century American Drama, vols. I-3,
Cambridge 1982.
-----, Modern American Drama, 1945-1990, Cambridge 1992.
Bloom, Clive, Twentieth Century American Drama, Basingstoke 1995.
H. Zapf, „Alltagstrauma und Psychodrama: Zum Verhältnis von Katastrophe und Katharsis
im amerikanischen Gegenwartsdrama“, in Gewalt im Drama und auf der Bühne, ed. H.J.
Diller, Tübingen 1998, 207-27.
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Vorlesung „Amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jh.s“ (Zapf) 12. Sitzung
Multikulturalität und amerikanische Literatur:
Multikulturalität ein Zentralbegriff der neueren Amerikastudien. Zwei mögliche
Bedeutungen: a) Pluralität verschiedener Kulturen, ihr konstruktiv-spannungsreiches
Zusammenspiel als neues Selbstverständnis Amerikas (vom melting pot zur salad bowl); b)
literarisch meist die teils konfliktorische, teils dialogische Mischung von Lebens- und
Schreibstilen aus unterschiedlichen Kulturen in einem Text, insbesondere in der Begegnung
der modernen westlichen Zivilisation mit anderen, nichtwestlichen und vormodernen
Kulturwelten (indianisch, afrikanisch, asiatisch, etc.). Hieraus ergeben sich typische
Spannungsfelder wie die zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit, Rationalität und Mythos,
Technologie und Natur, Individualismus und community, selbstreferentiellem und
relationalem Denken.
Indianerliteratur:
Älteste amerikanische Literatur, überliefert meist in mündlicher Form durch
Geschichtenerzähler und wiederkehrende Stammesrituale, aber auch durch Piktogramme,
frühe Aufzeichnungen von Kolonisten, Übersetzungen v.a. im 19. Jh.. Beginn einer
schriftlichen Indianerliteratur seit dem 18. Jh. in der Form religiöser, autobiographischer und
stammesgeschichtlicher Schriften, noch stark unter dem Einfluß ‚weißer‘ Denkmuster.
Darstellung der Indianer in der weißen Literatur zwischen noble savage (v.a. Romantik) und
satanic savage (v.a. Puritaner). Vgl. J.F. Cooper, Leatherstocking Tales (1823-41).
Erste Romane in 1. Hälfte 20. Jh. (D’Arcy McNickle, The Surrounded, 1936).
Native American Renaissance: ab Ende der 60er Jahre eine Explosion der Kreativität in
Dichtung und Roman. Trickster-Figuren und story-teller, Verbindung von Mythos und
Moderne.
Zentraler Einfluß von N. Scott Momaday (1934-, Kiowa, Cherokee), House Made of Dawn
(1968), Roman über einen Heimkehrer des 2. Weltkriegs, der traumatisiert ist und zunächst
vergeblich die Wiedereingliederung in die indianische Gemeinschaft versucht, aber am Ende
durch Reaktivierung oraler Traditionen und Rituale eine neue Identität findet. „House Made
of Dawn“= Teil eines traditionellen Navajo Night Chant. Mischung aus modernen, dem
Bewußtseinsstrom angenäherten, fragmentarisch-multiperspektivischen Erzähltechniken
(Faulkner-Einfluß) mit vormodernen mündlich-mythischen Traditionen. Auch als Dichter
hervorgetreten – Lyrik im Spannungsfeld zwischen ‚Heiligem‘ und ‚Profanem‘, Ritual und
persönlichem Erleben, Natur und Kultur, Magie und Wort.
Leslie Marmon Silko (1948-, Laguna Pueblo, mexikanisch, weiß), strebt ebenfalls die
kulturelle und literarische Regeneration durch Wiederbelebung indianischer Traditionen an;
allerdings müssen diese immer wieder verändert und umgeschrieben werden, um in der
modernen Welt zu bestehen. Ceremony (1977) ist ähnlich wie House Made of Dawn die
Geschichte eines Kriegsheimkehrers, der sich nicht mehr integrieren kann und der durch die
Rückkehr zu traditionellen Ritualen neuen Sinn findet – allerdings werden diese Traditionen
hier neu ‚erfunden‘, wie die Romanhandlung denn auch der Imagination einer mythischen
Erzählerfigur der Pueblos, der „Thought-Woman“, entspringt. In The Almanac of the Dead
(1991) herrscht eine stärker transindividuelle Struktur, eine Vielzahl von aufeinander
bezogenen Figuren, Stimmen und Handlungssträngen, die dem Popol Vuh, dem
hieroglyphischen Geschichtswerk der Mayas, nachvollzogen sind. Scharfe Kritik der
Korruption Nord- und Südamerikas. Auch Lyrikerin.
James Welch (1940-, Blackfoot/Gros Ventre): Schwarzer Humor und Tragikomik zwischen
Sterilität und Regeneration – Winter in the Blood (1974) – Anspielung auf Eliots Waste Land,
in den Kontext der Geschichte und Traditionen der Blackfeet gestellt. Ebenfalls bedeutende
Lyrik.
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Simon Ortiz (1941-, Acoma Pueblo): einer der bedeutendsten indianischen Lyriker und
Verfasser von Kurzgeschichten. Motiv der Reise vom Pueblo-Reservat in verschiedene Teile
der USA, dennoch stets Rückbezug auf Herkunft und Erbe.
Louise Erdrich (1954-, Chippewa/ deutsch): Eine der bekanntesten indianischen
Gegenwartsautorinnen. Gedichte, Erzählsammlungen, sechs Romane. Setzt stärker als andere
auf moderne Erzählverfahren. Ironisch-spielerischer Ton, zugleich aber traditionelle Elemente
weiterführend. Romantetralogie bestehend aus Love Medicine (1984), The Beet Queen (1986),
Tracks (1988), und The Bingo Palace (1994) über die Geschichte(n) verwandter Familien im
Umbruch zwischen eigener Tradition und Moderne. Mehrstimmigkeit und unterschiedliche
Versionen der Wahrheit. Wichtige Rolle des story-telling, aber auch grotesk-postmoderne
Züge. The Crown of Columbus (1991): zus. mit ihrem Mann Michael Dorris verfaßte
Neuschreibung des Columbus-Themas. Akademischer Kriminalroman um die ‚wahre‘
Entdeckung Amerikas, aus wechselnden Perspektiven dargestellt, unter Mischung
realistischer und magisch-imaginativer Elemente.
Tales of Burning Love (1997) über unterschiedliche Arten der Liebe, die in der Form von
Geschichten von vier (Ex-)Frauen über ihr Verhältnis zu ihrem Ehemann durchgespielt
werden. Trickster-Figur (Jack of Hearts) und story telling als Überlebenstechnik
(Geschichtenerzählen der vier Frauen im vom Blizzard eingeschneiten Auto). Sehr
bilderreiche Sprache, polyphone Romane. Alltagswelt auf Mythos hin durchsichtig gemacht.
Literaturhinweise:
W. Arens & H.M. Braun (Hgg. und Übs.), Der Gesang des schwarzen Bären. Lieder und
Gedichte der Indianer, München 19942.
P.G. Beidler & G. Barton, A Reader’s Guide to the Novels of Louise Erdrich, Columbia 1999.
U. Bitterli, Die ‚Wilden‘ und die ‚Zivilisierten‘: Grundzüge einer Geistes- und
Kulturgeschichte der europäisch-überseeischen Begegnung, München 19912.
B. Georgy-Findlay, Tradition und Moderne in der zeitgenössischen indianischen Literatur
der USA. N. Scott Momadays Roman House Made of Dawn, Köln 1986.
S.D. Gill, Native American Traditions, Belmot, CA 1983.
M. Graulich, ed., ‚Yellow Woman‘: Leslie Marmon Silko, Boise ID 1980.
A. Krupat, The Voice in the Margin: Native American Literature and the Canon (Berkeley,
CA 1989.
L. Owens, Other Destinies. Understanding the American Indian Novel, Norman & London
1992.
G. Vizenor, ed., Narrative Chance: Postmodern Discourse on Native American Indian
Literatures, Albuquerque 1989.
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Vorlesung „Amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jh.s“ (Zapf) 13. Sitzung
Afroamerikanische Literatur:
Ebenfalls, wie bei Indianerliteratur, eigene mündliche Traditionen auf den Sklavenschiffen in
die Neue Welt mitgebracht. Unter den Bedingungen der Sklaverei besondere Schwierigkeiten
– Trennung der Familien, Verlust der eigenen Sprache; lange Zeit nur heimlich, subversiv
gepflegte eigene Erzähl-, Gesangs-, Gemeinschaftstraditionen. Folk tales, Arbeitslieder,
Wortspiele etc., in das von den Schwarzen geprägte Idiom des Black English übertragen.
Beginn einer schriftlichen Literatur im 18. Jh. Biblische Bezüge sehr stark genutzt – ExodusMotiv. Spirituals („Go Down, Moses“). Predigtform. Religiöse Gedichte (Phillis Wheatley).
Slave narratives: wichtigste Form vor dem Bürgerkrieg (Olaudah Equiano, 1789 –
Umkehrung der Muster von Zivilisation und Barbarei; Frederick Douglass, 1845,
Emanzipationsgeschichte der Hauptfigur, Harriet Jacobs, Incidents in the Life of a Slave Girl,
1861 – über den Zusammenhang von Sklaverei und sexueller Ausbeutung der Frau). Weiße
Muster mit eigenen afroamerikanischen Elementen verbunden. Einfluß u.a. auf H.B. Stowe,
Uncle Tom’s Cabin (1851); W.W. Brown, Clotel, or The President’s Daughter (1853), erster
afroamerikanischer Roman.
Erzählliteratur (Charles W. Chesnutt) und Lyrik (P.L. Dunbar) zwischen Bürgerkrieg und 1.
Weltkrieg. Aufkommen der Dialektdarstellung. Harlem Renaissance: in den 20er Jahren ein
erster Höhepunkt der afroamerikanischen Literatur (Theoretiker: Alain Locke, The New
Negro, 1925; Langston Hughes, Gedichte; Romane: Jean Toomer, Claude McKay, Romane).
Zora Neale Hurston, Their Eyes Were Watching God (1937): weibliche schwarze Perspektive;
starke Rolle der Frau in der Beziehung zu drei aufeinander folgenden Ehemännern. Akzent
weniger auf der Konfrontation mit der weißen Kultur als auf der Selbstdarstellung und
Selbsterkundung der schwarzen Kultur; Aktivierung folkloristisch-mythologischer Themen
und afroamerikanischer Sprach- und Erzählformen.in modernem Kontext. Zwischen black
vernacular und poetisierter Sprache. Darin Vorläuferin der modernen afroamerikanischen
Frauenliteratur.
30er Jahre Depression, Ende der Harlem Renaissance.
Richard Wright, Native Son (1940): sozialer Realismus, Rassenproblem im Mittelpunkt
(anders als bei Hurston).
50er Jahre: Ralph Ellison (1914-94), Invisible Man (1952): moderne Entfremdungsthematik
verbunden mit kreativen Möglichkeiten der „American Negro experience“ (Jazz, Blues,
Trickster-Figur). Pikaresker Roman, umgekehrter Bildungsroman (statt Erkenntniszuwachs
Abbau von Illusionen). Beginn im Süden, Erfahrung des Rassismus. In New York Odyssee
durch Großstadt, verschiedene Identifikationsangebote (Brotherhood), aber als Individuum
‚unsichtbar‘ bleibend – in Kellerloch geflüchtet. Auch Einflüsse der ‚weißen‘ Literatur
(Melville, Twain, Dostojewskij, Joyce, Eliot). D.h. ethnische Erfahrung universalisiert.
James Baldwin, Go Tell It on the Mountain (1953), religiös inspirierte Sozialkritik.
Amiri Baraka (Leroi Jones), Black Aesthetic: Schwarzer Nationalismus, politischer
Aktivismus. ‚Haßdichtung‘. Oppositionshaltung gegen weiße Kultur und Betonung
autonomer eigener Identitätsmuster (Nation of Islam, Black Muslims, Malcolm X.)
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Neuere Literatur: Abwendung von Konfrontation, Zuwendung zu Themen und Problemen der
afroamerikanischen community, auch verstärkt an eine schwarze Leserschaft gerichtet.
Ablösung oder jedenfalls Erweiterung von Anklage durch Affirmation der eigenen kulturellen
Möglichkeiten (v.a. mündliche Tradition) . Neue Aneignung der Geschichte der Sklaverei –
nicht mehr nur auf die Opferrolle konzentriert, sondern als eine Geschichte des Überlebens
noch unter den widrigsten Bedingungen: Robert Hayden, „Middle Passage“ (1940); Margaret
Walker, Jubilee (1968); Ernest Gaines, The Autobiography of Miss Jane Pittman (1971) (‚folk
autobiography‘); Alex Haley, Roots (1974), über die Ursprünge der eigenen
Familiengeschichte in Afrika (auf slave narrative aufbauend); von Objekten zu Subjekten der
Geschichte.
Ishmael Reed (1938-): Afroamerikanische, indianische und irische Herkunft. Sonderstellung.
Plädiert für Hybridität, Vermischung verschiedener Kulturen statt ‚Authentizität‘. Parodist,
Satiriker, stark experimentell-intertextuelle Ausrichtung: Mumbo Jumbo (1972) – spielerischpostmoderne Züge. Der linear-westlichen Geschichtskonzeption eine Jazz-Version („Jes
Grew“) gegenübergestellt und beide provokativ-improvisierend miteinander vermischt.
Songs, Bilder, Zeitungsausschnitte, Vodun-Einflüsse („neo-hoodoo aesthetic“). Wichtigkeit
des Performativen (welterschaffende Kraft der Sprache).
Afroamerikanische Frauenliteratur: Alice Walker, The Color Purple (1982): Briefroman
(„Dear God“), Umgangssprache vs. Hochsprache, Befreiung der Protagonistin Celie aus
männlicher Unterdrückung durch Beziehung zu Frau. Geschichten weiblicher Solidarität und
Selbstermächtigung.
Toni Morrison (1931-): Romane im Spannungsfeld zwischen formalen Einflüssen der
Moderne (Faulkner) und in den Mittelpunkt gestellten, eigenen afroamerikanischen
Traditionen (story-telling, Vodun-Elemente, Jazz-Ästhetik, etc.). Beloved (1987): eine breit
angelegte Auseinandersetzung mit der Sklaverei als dem noch unverarbeiteten Trauma der
amerikanischen Geschichte. Einerseits wird der Horror der Sklaverei als amerikanischer
Holocaust in aller Destruktivität konfrontiert, andererseits wird aus der Verarbeitung des
Verdrängten die Kraft zu neuer Vitalität und Kreativität gewonnen. Im Zentrum steht die
Tötung der kleinen Tochter ‚Beloved‘ durch ihre Mutter Sethe, als Sklavenfänger sie auf der
Flucht finden und in die Sklaverei zurückholen wollen. Nach 18 Jahren kehrt der ‚Geist‘ der
toten Beloved zurück, und damit setzt der Prozeß der – individuellen und kollektiven Aufarbeitung der Vergangenheit ein, den der Roman darstellt und der in die symbolische
‚Exorzierung‘ des Alptraums und die Regeneration der afroamerikanischen Kultur mündet.
Fragmentarisch-assoziatives Erzählen; teils stream-of-consciousness-Passagen. Polyphones
Geschichtenerzählen als intersubjektiver Akt der „rememory“.
Literaturhinweise:
M. Busby, Ralph Ellison, Boston 1991.
M. Diedrich, Ausbruch aus der Knechtschaft. Das amerikanische Slave Narrative zwischen
Unabhängigkeitserklärung und Bürgerkrieg, Stuttgart 1986.
K. Ensslen, Einführung in die schwarzamerikanische Literatur, Stuttgart 1982.
H.L. Gates, The Signifying Monkey. A Theory of Afro-American Literary Criticism, New York
1988.
T.L. Middleton (ed.), Toni Morrison’s Fiction. Contemporary Criticism New York 1997.
Ostendorf, Berndt, Black Literature in White America, New York 1982.
W. Sollors und M. Diedrich (eds.), The Black Columbiad. Defining Moments in African
American Literature and Culture, Cambridge, Mass. 1994.
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Vorlesung “Amerikanische Literaturgeschichte des 20. Jahrhunderts“ (Zapf) 14.Sitzung
Erzählliteratur der Gegenwart:
Viele Spielarten des Romans zwischen Postmodernismus, Multikulturalität und Neorealismus.
Einige markante Beispiele:
Paul Auster, New York Trilogy (1988): postmoderne Anti-Detektivromane; New York als
Babylon (Sprachverwirrung, Zeichenlabyrinth, Spiegelungs- und Doppelungseffekte: der
Detektiv aus der Suche nach seiner Zielperson begegnet sich selbst). Brillante
selbstreferentielle Imaginationswelten, vermischt mit der banalen Alltagsrealität
postmoderner Außenseiterfiguren.
Frank McCourt, Angela’s Ashes (1996): ethnographischer Neorealismus; Darstellung des
Lebens einer irischen Einwandererfamilie in den USA, die völlig verarmt in den 30er Jahren
in das repressive, von Kirche und Nationalisten unterdrückte Irland zurückkehrt und dort
unter unsäglichen Umständen zu überleben versucht. Hervorstechendes Merkmal ist die
Erzählerfigur, die in ihrer spontanen, der mündlichen Rede nachempfundenen Erzählweise
und kindlich unverbildeten Beobachtungsgabe deutlich an Huck Finn erinnert und mit ihrem
an irische Traditionen anknüofenden satirisch-grotesken Humor die fürchterlichen Tragödien,
die die Familie heimsuchen, in eine einigermaßen erträgliche Form bringen.
Tom Wolfe, The Bonfire of the Vanities (1987). In Fortführung des New Journalism seiner
früheren Romane ein bewusst neorealistischer Versuch der Analyse des New York der 80er
Jahren, wobei das Verhältnis von Reich und Arm sowie der verschiedenen ethnischen
Gruppen im Mittelpunkt steht. John Irving, The Fourth Hand (2001), neuester Roman des
Autors des Kultbuchs The World According to Garp (1978), der durch seine bizarre
Vermischung von Phantastik und Realismus bekannt geworden ist. In The Fourth Hand geht
es um einen Journalisten, dem von einem Löwen eine Hand abgebissen wird und der dadurch
selbst zum Opfer jenes Sensationsjournalismus wird, den er zuvor praktizierte, der aber
dadurch gleichzeitig auch einen menschlichen Lernprozeß durchmacht.
Don DeLillo, Underworld (1997). Postmoderne Techniken verbinden sich mit der
realistischen Beschreibung moderner Gesellschaftsprozesse (schon in früheren Romanen
stehen vor allem auch Massenphänomene und der Einfluß der Medien im Mittelpunkt). Der
Roman behandelt die gesamt zweite Hälfte der amerikanischen Geschichte des 20.
Jahrhunderts aus vielen verschiedenen Perspektiven, sprachlichen Registern und montageartig
ineinander verschachtelten Szenen. Überlagerung verschiedener Zeitebenen, symbolische
‚Unterweltreise’ durch verschiedene Schichten der kollektiven Psyche Amerikas, Kritik der
binären Denkmuster des Kalten Kriegs. Thematik des des Mülls und der Atombombe als
Phänomenen der spätmodernen Gesellschaft. Gegenwelt des Baseball einerseits und der Kunst
andererseits, die in der Form der waste art das waste land der Realität verarbeitet und in
ästhetische Gestalt bringt.
Siri Hustvedt, What I Loved (2002). Psychologisch hochdifferenzierter Roman über das
Verhältnis von Kunst und Leben unter postmodernen Bedingungen. Icherzähler ist der
gealterte, von Sehschwäche bedrohte Kunstprofessor Leo Hertzberg, der seine Freundschaft
mit dem Künstler Bill Wechsler aus der Erinnerung rekonstruiert und dabei sowohl die
Beziehungen zu dessen Frau, Ex-Frau und Sohn wie zu seiner eigenen Familie durchleuchtet.
In großer Komplexität werden dabei die psychischen Profile der einzelnen Charaktere auf
eine Weise eintworfen, dass sie stets zugleich in ihren Beziehungsgeflechten zu anderen
Charakteren deutlich werden, ohne dass sich je ein endgültiges, klares Bild ergibt. Idee des
„mixing“: statt „I think therefore I am“ (Descartes’ cogito ergo sum) besagt sie: „I am because
you are“. Die im Roman beschriebenen realen und fiktiven Kunstwerke werden stets in
Beziehung zu der Entwicklung des Lebens der Personen gesetzt. Auch hier also: ein
postmodernes Bewusstsein und postmoderne Techniken einbeziehender, aber darüber
hinausgehender, den ‚Flux’ des Lebens selbst in der Sprache anvisierender Roman.
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Literaturhinweise: Siehe Internet-Begleitung
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