im blickpunkt Deutsches Engineering – amerikanisches Marketing Unterschiede und Gemeinsamkeiten in Marketing und Vertrieb / Von Torsten Schwermann In der Euphorie um die schnell wachsenden Märkte in den neuen EU-Staaten und den Wirtschaftsboom in China und Indien wird allzu leicht vergessen, dass sich der größte Markt für Industrie- und Konsumgüter im „wilden Westen“ befindet – in den USA. Annähernd 300 Millionen Konsumenten mit einem der höchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit bieten für nahezu jeden Hersteller gigantische Absatzmöglichkeiten. Der amerikanische Markt ist gemessen an der Industrieproduktion und damit am Marktpotenzial so groß wie die Euro­ zone und circa dreimal so groß wie der deutsche Markt. Angenommen, Ihr Auftrag würde lauten: „Entwickeln Sie eine allgemeingültig anwendbare Vertriebs- und Marketingstrategie für alle Länder der Europäischen Union“, wäre Ihre Antwort sicherlich und zu Recht: „unmöglich“. Zu unterschiedlich sind die EU-Staaten hinsichtlich Industriestruktur, Größe, Bruttosozialprodukt, Pro-Kopf-Einkommen und Mentalität. Eine derartige Strategie für die USA zu entwickeln, maßen sich jedoch zahlreiche europäische Unternehmen an, ohne jedoch die Größe des Landes und die regionalen Unterschiede zu berücksichtigen. Obwohl uns die USA oftmals als ein Land erscheinen, bestehen sie doch aus 50 Bundesstaaten, die hinsichtlich ihrer Größe, Wirtschaftskraft, Industriestruktur, Gesetzgebung und Mentalität unterschiedlicher nicht sein könnten und die oftmals lediglich die Sprache als gemeinsamen Nenner haben. Dieser Hochmut ist häufig die Ursache für den mangelnden Erfolg deutscher Unternehmen in den USA. Diese Erfolglosigkeit hat oft ihre Ursachen in der Unkennt- „Erfolglosigkeit hat oft ihre Ursachen in der Unkenntnis des amerikanischen Marktes sowie in einer mangelnden Vorbereitung und Professionalität beim Markteintritt, Vertrieb und Foto: ifm electronic Marketing.“ 38 VDMA Nachrichten 11 • 06 nis des amerikanischen Marktes sowie in einer mangelnden Vorbereitung und Professionalität beim Markteintritt, Vertrieb und Marketing. Aufgrund der Fokussierung auf einen schnellen „Break-even“ investieren zahlreiche deutsche Unternehmen unzureichend Kapital in ihr USA-Geschäft, und oftmals fehlt es an erfahrenen Managern und qualifizierten Mitarbeitern vor Ort. Nachteilig kann sich die „typisch deutsche“ kulturelle Konditionierung und die derzeitige ablehnende Grundstimmung gegenüber den USA wegen deren Rolle in der Weltpolitik auswirken. Die ifm electronic hat ihre Vertriebsniederlassung in den USA bereits vor 18 Jahren gegründet und agiert dort inzwischen sehr erfolgreich. Insgesamt betrug der Erlös der ifm efector Inc. 2005 mit rund 200 Mitarbeitern circa 65 Millionen US-Dollar. Die US-Tochter erwirtschaf- tete somit annähernd 16 Prozent des ifm-Konzernumsatzes. Zum Vergleich: Im Durchschnitt erzielen die US-amerikanischen Niederlassungen deutscher Unternehmen lediglich circa 9 Prozent ihres Konzernumsatzes. Eine sorgfältige Marktanalyse ist die wichtigste Entscheidungsgrundlage Vor dem Eintritt in den amerikanischen Markt ist vor allem eine sorgfältige Marktanalyse erforderlich. Es gilt zunächst die Zielgruppe und die Vertriebsregionen zu definieren, wobei man sich im ersten Schritt auf einige strukturstarke Gebiete beziehungsweise Staaten ­ fokussieren sollte. Wichtigstes Kriterium für die ifm war hier die Anzahl potenzieller Abnehmer aus den produzierenden Zielbranchen (Maschinenbau, Automobil, Stahl, Lebensmittel) mit mehr als 250 Mitarbeitern. Wichtig ist es zudem, die eigene Marktposition und die eigene Preisstruktur gegenüber dem Wettbewerb zu analysieren. Oftmals ist es auch erforderlich, die Produktion aufgrund technischer ­ Erfordernisse (Stichworte: US-Normen, UL-Zertifizierung) umzustellen. Die ­ höhere Kostenstruktur in den USA, insbesondere hinsichtlich der Löhne und Gehälter, bedingt zudem eine Anpassung der Verkaufspreise. Darüber hinaus sind die Anforderungen aufgrund der Größe des Landes an Transport und Logistik wesentlich komplexer als in Deutschland. Detaillierte Marktinformationen bietet das US Census Bureau (www.census. gov). Die USA nutzen ein dem europäischen NACE Code vergleichbares Klassifizierungssystem, das NAICS (North American Industry Classification System). Eine dem VDMA ähnliche Organisation existiert nicht, jedoch bieten die nationalen und regionalen Industrieverbände gute Informationen über den jeweiligen Verband und seine Mitgliedsunternehmen. Sämtliche Verbände sind in der Encyclopedia of Associations verzeichnet. im blickpunkt Im Profil ifm electronic gmbh Firmensitz: Essen und Tettnang Mitarbeiter:ca. 2 850 weltweit, ca. 2 100 in Deutschland Umsatz: ca. 330 Mio. € Geschäftsfelder: Herstellung, Entwicklung und Vertrieb von Sensoren und ­Automatisierungstechnik www.ifm-electronic.com Mögliche Strategien des Markteinstieges Es gibt zahlreiche Möglichkeiten, in den US-amerikanischen Markt einzutreten. Wenn man nur eine Handvoll potenzieller Kunden hat, kann ein Direktexport durchaus Sinn machen. Die Kundenbetreuung erfolgt dann durch das deutsche Stammhaus. Wegen der Größe des amerikanischen Marktes wählen viele Unternehmen den klassischen Weg über Handelsvertreter (Sales Representatives). Auch die ifm startete zunächst nur mit Handelsvertretern, was jedoch zahlreiche Nachteile hatte. Der Handelsvertreter vertritt zumeist nicht die firmeneigene Vertriebsstrategie, hat oftmals Wettbewerbsprodukte im Portfolio, und man hat von Beginn an mit hohem Preisdruck und Margenverlusten zu kämpfen. Zudem ist durch die starke juristische Position des Handelsvertreters eine spätere Trennung nur schwer möglich. Ziel der ifm ist heute, 90 Prozent Marktabdeckung mit eigenem Personal zu erreichen. Wir empfehlen daher, das USA-Geschäft mit einer eigenen Tochtergesellschaft zu starten. Dies hat zahlreiche Vorteile: Man bleibt wirtschaftlich und rechtlich selbstständig, hat die Kontrolle über den Markt und kann seine eigene Vertriebsstrategie, Preisgestaltung und Produktpolitik umsetzen. Der amerikanische Kunde – ein unbekanntes Wesen Nachdem die Entscheidung für einen Markteinstieg gefallen ist, gilt das Augenmerk nun dem Objekt all unserer Aktivitäten – dem Kunden. Der amerikanische Kunde ist in erster Linie ungeduldig. Dies hat seine Ursache darin, dass er das ­ Motto „Time is money“ zu seinem Lebensprinzip erklärt hat. Daher hat die ifm ihre Vertriebsstrategie und den Verkaufsprozess konsequent an den Bedürfnissen des amerikanischen Kunden ausgerichtet. Der amerikanische Kunde hat eine hohe Erwartung gegenüber seinen Lieferanten hinsichtlich Produkt und Service: Innovationen müssen Dinge einfacher machen, Technologie muss im Hintergrund bleiben, Lieferzeiten sollen kurz sein, für Ersatzteile wird ein 24-StundenLieferservice erwartet, und der Lieferant muss mögliche Kosteneinsparungen aufzeigen können. Unser Tipp: Verfahren Sie stets nach dem Motto „KISS“ – Keep it short and simple. Die Loyalität von Kunden gegenüber ihrem Lieferanten ist zudem sehr gering im Vergleich zu Deutschland. Der amerikanische Kunde möchte „delighted“ sein, er möchte das Gefühl haben, etwas Besonderes zu sein. Wenn Kunden nur „zufrieden“ sind, werden sie früher oder Tipps für den Geschäfts­ erfolg in den USA •Befreien Sie sich von Ihren Vorurteilen über die USA. •Beachten Sie kulturelle Unterschiede. •Starten Sie Ihr USA-Geschäft mit einer eigenen Niederlassung. •Wählen Sie Ihre ersten Mitarbeiter besonders sorgfältig aus. •Bilden Sie ein USA-SupportTeam in Deutschland. •Klotzen statt Kleckern hinsichtlich der Kapitalausstattung. •Bewahren Sie Geduld bei anfänglichen Rückschlägen. •Der amerikanische Kunde beschwert sich, um Ihren Service zu verbessern – dies ist ein eindeutiges Kaufsignal. später abwandern. Daher empfiehlt es sich, durch den Aufbau eines positiven Markenimages einen hohen Anteil an Fans (Promotern) für das eigene Produkt im Kundenkreis zu schaffen. Erfolgreiche Marketingtools und Tipps für den Markterfolg Das Internet ist das wichtigste Marketingtool für den Markterfolg der ifm in den USA. Auch hier gilt das Motto „KISS“ – Keep it short and simple. Informationen müssen leicht auffindbar und frei zugänglich sein, die Bedienung sollte intui­ tiv sein. Für registrierte Kunden haben wir ein Extranet mit zusätzlichen Inhalten und kundenspezifischen Preisen aufgebaut. Erfolgreich sind wir auch nach wie vor mit Direktmailings. Diese müssen vor allem „smart“ sein, das heißt durch ­auffälliges Design den Kunden zum Öffnen anregen. Hilfreich ist auch die Bei­ gabe von „Gimmicks“ und die Aussicht auf Gewinne in einem Preisausschreiben. Die Wortwahl ist im Vergleich zu Deutschland einfacher. In jeglicher Dokumenta­ tion ist die Verwendung von Zeichnungen der von Fotos vorzuziehen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass das Marketing komplexe Zusammenhänge einfach erklären können muss, getreu dem Motto „Explain it to me like I’m a 3-year-old child“. Es ist gar nicht so schwer, als deut­ sches Unternehmen Erfolg in den USA zu haben. Deutsche Produkte haben eine sehr gute Reputation, gelten als hoch qualitativ, verlässlich und gut designt. Amerikaner wünschen sich von ihren deutschen Geschäftspartnern, dass diese sich weniger „typisch deutsch“ geben, das heißt hohe Flexibilität zeigen, bereit sind, Produkte dem amerikanischen Markt anzupassen, lokal zu handeln und regionale Besonderheiten zu akzeptieren. Deutsches Engineering und amerikanisches Marketing – bei der ifm elec­ tronic eine sehr erfolgreiche Kombina­ tion. > Bp-102 Torsten Schwermann ist Regional Export Manager bei der ifm electronic gmbh, Essen. VDMA Nachrichten 11 • 06 39